Ist eine Folsäure-Supplementierung unbedenklich?

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Ist eine Folsäure-Supplementierung unbedenklich?
Folsäure-Supplementierung
Ist eine Folsäure-Supplementierung
unbedenklich?
Contemporary issues surrounding folic Acid fortification initiatives.
Choi JH, Yates Z, Veysey M, Heo YR, Lucock M.
Prev Nutr Food Sci 2014; 19:247-60
School of Environmental and Life Sciences, University of Newcastle, Ourimbah, NSW 2258, Australia; Human Economics
Research Institute, Chonnam National University, Gwangju 500-757, Korea.
The impact of folate on health and disease, particularly pregnancy
complications and congenital malformations, has been extensively
studied. Mandatory folic acid fortification therefore has been implemented in multiple countries, resulting in a reduction in the occurrence
of neural tube defects. However, emerging evidence suggests increased folate intake may also be associated with unexpected adverse
effects. This literature review focuses on contemporary issues of concern, and possible underlying mechanisms as well as giving consideration the future direction of mandatory folic acid fortification. Folate
fortification has been associated with the presence of unmetabolized
folic acid (PteGlu) in blood, masking of vitamin B12 deficiency, increased dosage for anti-cancer medication, photo-catalysis of PteGlu
leading to potential genotoxicity, and a role in the pathoaetiology of
Folat spielt eine zentrale Rolle in einer
Reihe von Stoffwechselvorgängen im
menschlichen Körper. Es fungiert als
Co-Enzym bei Methylierungsvorgängen sowie bei der DNA-Synthese und
-Reparatur. Funktionsstörungen auf
zellulärer Ebene sind mit erhöhtem
Auftreten zahlreicher Erkrankungen
wie Krebs, neurologische Erkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen und
Bluthochdruck assoziiert.
Da natürliche Folate aus Lebensmitteln
säure- und temperaturlabil sind, wird
zur Anreicherung in Nahrungsergänzungs- und Lebensmitteln die stabile,
synthetische Folsäure eingesetzt. Diese
weist die höchste Form der Oxidationsstufe auf und gehört zu den Pteroylmonoglutamaten (PteGlu). Die Zugabe
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colorectal cancer. Increased folate intake has also been associated
with twin birth and insulin resistance in offspring, and altered epigenetic mechanisms of inheritance. Although limited data exists to elucidate potential mechanisms underlying these issues, elevated blood folate level due to the excess use of PteGlu without consideration of an
individual's specific phenotypic traits (e. g. genetic background and undiagnosed disease) may be relevant. Additionally, the accumulation of
unmetabolized PteGlu may lead to inhibition of dihydrofolate reductase and other enzymes. Concerns notwithstanding, folic acid fortification has achieved enormous advances in public health. It therefore
seems prudent to target and carefully monitor high risk groups, and to
conduct well focused further research to better understand and to minimize any risk of mandatory folic acid fortification.
von PteGlu in Grundnahrungsmittel,
wie beispielsweise in den USA, in Kanada, Australien oder Chile praktiziert,
hat sich in Österreich nicht durchgesetzt. Allerdings ist eine Vielzahl im
Handel erhältlicher Produkte wie Frühstücksflocken, Getreidedrinks oder Säfte mit unterschiedlich hohen Mengen
an Folsäure angereichert.
Die seit 2014 neu festgelegte tägliche
Zufuhrempfehlung an Folat-Äquivalenten beträgt für Erwachsene 300 µg
(davor 400 µg). Die maximale Tagesdosis wird mit 1 mg definiert. Für Stillende und Schwangere ist der Bedarf
um 150 bzw. 250 µg erhöht. Weiters
wird perikonzeptionell eine tägliche
Supplementierung eines Folsäure-Präparats mit 400 µg, zusätzlich zu einer
folatreichen Nahrung bis zum Ende des
1. Trimenons empfohlen, um Neuralrohrdefekte und Entwicklungsstörungen vorzubeugen (Krawinkel MB; EJCN
2014; 68:719).
In letzter Zeit wurden jedoch auch
mögliche nachteilige Effekte hinsichtlich des Einsatzes von synthetischer Folsäure beschrieben, die in der vorliegenden Studie näher erörtert sind.
Die Anwesenheit von unverstoffwechselter Folsäure im Blut führt zu
einem veränderten Folat-Stoffwechsel
Die Folat-Absorption und -Biotransformation im menschlichen Stoffwechsel ist bei etwa 400 µg/Tag gesättigt.
Eine Aufnahme auf diesem Level oder
Nr. 4, 2014
Folsäure-Supplementierung
darüber verursacht einen direkt proportionalen Anstieg von PteGlu im Blut,
das nicht in biologisch aktives 5-Methyltetrahydrofolat verstoffwechselt werden kann (Kalmbach RD; Am J Clin
Nutr 2008; 88:763). Eine unbedachte,
chronische Langzeitzufuhr von PteGlu,
die durch Folsäure-Supplemente und/
oder angereicherte Lebensmittel erreicht werden kann, könnte in den intrazellulären Folat-Stoffwechsel eingreifen und mögliche nachteilige Effekte
mit sich bringen.
■ Erhöhte PteGlu-Spiegel könnten
die Reduktion von Dihydrofolat
(H2PteGlu) verhindern (kompetitive Hinderung dieses Enzyms aufgrund gleichen Enzymsystems
DHFR), was zu einer verringerten
Bildung von aktivem Tetrahydrofolat (H4PteGlu) führt, das als wichtiger Methylgruppen-Donator für
den Aufbau von Purin, Thymidylat
und Methionin dient (Avali EE; Folic Acid and Folate 2008; 79:267).
■ Experimentelle Studien zeigten, dass
supplementiertes PteGlu die Expression von intestinalen und renalen
Epitheltransportern verändert und
somit auch hier die Verfügbarkeit der
aktiven Form für den Körper verringert wird (Ashokkumar B; Am J Clin
Nutr 2007; 86:159).
Erhöhtes Serumfolat und
Vitamin B12-Mangel
Angesichts aktueller Ernährungstrends
(Veganismus und damit einhergehender, möglicher Vitamin B12-Mangel)
und aufgrund von fehlendem/mangelhaftem Intrinsic-Faktor (insbesondere
bei langfristiger Einnahme von PPIs,
bariatrischen Operationen, Magenkarzinom, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, niedriger HCl-Produktion des Magens) gilt es hervorzuheben, dass erhöhtes Serumfolat die
Symptome eines Vitamin B12-Mangels
maskieren kann.
Nr. 4, 2014
Abb.: Einstieg der synthetischen PteGlu in den Folat-Stoffwechsel.
PteGlu: Pteroylmonoglutamat oder Folsäure. DHFR: Dihydrofolat Reduktase. SHMT: Serin
Hydroxymethyltransferase. MTHFR: Methylentetrahydrofolat Reduktase. MS: Methionin Synthase.
DMG: Dimethylglycin. BHMT: Betain-Homocysteinmethyltransferase. SAM: S-Adenosylmethionin.
SAH: S-Adenosyl-Homocystein. Hcy: Homocystein.
Eine frühe Diagnose einer megaloblastischen Anämie könnte dadurch ausbleiben und sich zu perniziöser Anämie
entwickeln. Mögliche irreversible neurologische Spätfolgen wie eine Entmyelinisierung der Nervenzellen und deren
neurologischen Konsequenzen wären
die Folge.
Vitamin B12 ist ein wichtiges CoEnzym für die Methionin-Synthase
(MS) und steht in enger Verbindung
zum Folat-Stoffwechsel über die Methionin-Biosynthese. Aus diesem Grund
kann ein niedriger B12-Spiegel eine
Ursache für eine Störung in der Umwandlung von Methyltetrahydrofolat
(5-CH3H4PteGlu) in Tetrahydrofolat
(H4PteGlu) = „Folatfalle“ sein.
Zusätzlich ist die Reduktion der Homocystein-Spiegel (Hcy) von der MS
abhängig und stellt den einzigen Stoffwechselweg für den Abbau von Hcy in
Methionin dar. Ältere Patienten zeigen
ein schnelleres Abnehmen der Ge-
dächtnisleistung bei hohen Folsäureund gleichzeitig niedrigen Vitamin B12Werten (Morris MC; Arch Neurol 2005;
62:641).
Inzidenz von Colorectal(CRC)- und
Ösophagus-Karzinomen
Eine Reihe von Untersuchungen zeigt
einen direkten Zusammenhang zwischen hoher Folat-Zufuhr und geringerem Entstehungsrisiko von CRC.
Das steht im Widerspruch zu Studienergebnissen von Hirsch und Mason, die
beleuchten, dass insbesondere in Ländern, wo eine gesetzliche Folsäure-Anreicherung von Grundnahrungsmitteln
gegeben ist, erhöhte CRC-Inzidenzraten festgestellt werden (Hirsch S; Eur J
Gastroenterol Hepatol 2009; 21:436;
Mason JB; Cancer Epidemiol Biomarkers
Prev 2007; 16:1325). Es wird vermutet,
dass die synthetische Folsäure einen
nachteiligen Effekt, Nahrungsfolat hin15
Folsäure-Supplementierung
gegen einen protektiven Einfluss hat,
da sie unterschiedliche Ebenen im Zellstoffwechsel einnehmen. Diese Hypothese wird durch vergleichbare Ergebnisse bei Ösophagus-Karzinomen
bestätigt. Die unterschiedlichen chemischen Formen des Vitamins (synthetisch oder natürlich) scheinen konträre
Auswirkungen zu haben (Roswall N;
Cancer Epidemiol 2010; 34:40).
Im Falle einer Supplementierung sollen nicht nur die oben genannten Hintergründe, sondern auch folgende Thematiken Beachtung finden:
■ Wirksamkeit und Dosierung von
Antifolat-Medikamenten wie z. B.
5-FU und MTX bei Krebs- und Autoimmun-Erkrankungen.
■ Reduktion der Zelltoxizität der natürlichen Killerzellen.
■ Vermehrtes Auftreten von Zwillingsgeburten.
■ Erhöhte mütterliche Folat-Spiegel
können Adipositas und Insulin-
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resistenz bei den Nachkommen begünstigen.
■ Erregende Wirkung von Folsäure bei
Epilepsie kann eine Blockierung bzw.
umkehrende Wirkung von GABA
bewirken.
■ Erhöhte perikonzeptionelle FolatSpiegel buffern schadhafte Genotypen und erhöhen somit langfristig
Morbidität und Mortalität der Gesamtbevölkerung.
Zusammenfassung
Dank gezielter Folsäure-Supplementierungsmaßnahmen konnte sowohl das
Auftreten von Neuralrohrdefekten als
auch die Mortalität nach Schlaganfällen verringert werden. Da es infolge von
synthetischer Folsäure über verarbeitete Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel auch zu unverstoffwechselter Folsäure im Blut kommen kann, die
physiologische Regelkreise beeinflusst,
muss eine unbedachte Ein- und Auf-
nahme kritisch hinterfragt werden. Die
potentiell ungünstigen Effekte können
weitreichende, ernstzunehmende Folgen haben, wurden aber bisher unzureichend erforscht.
Der tägliche Verzehr von grünem Blattgemüse sowie generell eine natürliche,
vielfältige, pflanzenbasierte Ernährung
soll gegenüber einer Supplementierung
stets Vorrang gegeben werden. Im Einzelfall muss darüber hinaus interdisziplinär, nach entsprechender (Ernährungs)-Anamnese und Krankheitsbild,
über gezielte Supplementation entschieden werden.
Interessenkonflikte: Keine
Marion Essletzbichler, BSc
Onkologische Rehabilitation
Der Sonnberghof
Bad Sauerbrunn
[email protected]
Nr. 4, 2014