Psychosen, Schizophrenie
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Psychosen, Schizophrenie
Ein Engagement der betapharm betaCare-Wissenssystem Psychosen, Schizophrenie Psychosen, Schizophrenie & Soziales Gesundheit ist unser Ziel! & Soziales Soziallexikon Die größte Suchmaschine für Sozialfragen im Gesundheitswesen in Deutschland. 4.800 Stichwörter helfen gezielt, soziale, rechtliche und finanzielle Fragen einfach und verständlich zu beantworten. Finden Sie z.B. Antworten auf folgende Fragen: – Wie ist die Zuzahlung bei Arzneimitteln geregelt? – Wie bekomme ich einen Schwerbehindertenausweis? – Welche Vorsorge kann ich treffen, für den Fall, dass ich nicht mehr selbst entscheiden kann? Patientenratgeber Die Broschüren bieten gebündelt und verständlich sozialrechtliche und psychosoziale Informationen zur folgenden Themen und Krankheiten: –Behinderung & Soziales –Brustkrebs & Soziales –Demenz & Soziales –Depression & Soziales –Epilepsie & Soziales –Migräne & Soziales – Multiple Sklerose & Soziales –Osteoporose & Soziales –Palliativversorgung & Soziales –Patientenvorsorge –Pflege –Prostatakrebs & Soziales –Schmerz & Soziales Patientenfilme ©Anja Greiner Adam_fotolia.com Zu Asthma, Brustkrebs, Darmkrebs, Demenz, Depression, Diabetes, Osteoporose, Rheuma, Schlaganfall. Die Initiative „betaCare – Verbesserung der Patientenversorgung und Prävention“ wird gefördert durch die betapharm Arzneimittel GmbH, ein Generika-Unternehmen mit hochwertigen und preiswerten Qualitätsarzneimitteln. www.betaCare.de Michael Ewers Liebe Leserin, lieber Leser, betapharm setzt sich seit Jahren aktiv für eine verbesserte Versorgungsqualität im Gesundheitswesen und Hilfen für Angehörige ein. Aus diesem Engagement hat sich betaCare – das Wissenssystem für Krankheit & Soziales – entwickelt, welches Antworten auf alle sozialen Fragen rund um eine Krankheit bietet. Der vorliegende Ratgeber „Psychosen, Schizophrenie & Soziales“ informiert zu sozialrechtlich relevanten Themen wie Krankengeld, Erwerbsminderungsrente und Sozialhilfe sowie zu kritischen rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit schweren psychischen Erkrankungen. Darüber hinaus behandelt er alltägliche Themen wie Arbeiten oder Wohnen, die für Psychiatrie-Erfahrene immer auch eine therapeutische Dimension haben können. Mit herzlichen Grüßen, Michael Ewers Geschäftsführer betapharm & beta Institut Impressum Herausgeber und Redaktion beta Institut gemeinnützige GmbH Institut für angewandtes Gesundheitsmanagement, Entwicklung und Forschung in der Sozialmedizin Geschäftsführer: Michael Ewers Kobelweg 95, 86156 Augsburg Telefon 0821 45054-0, Telefax 0821 45054-9100 E-Mail: [email protected] www.betainstitut.de Text Sabine Bayer Maria Kästle Andrea Nagl Layout und Gestaltung Manuela Mahl Autoren und Herausgeber übernehmen keine Haftung für die Angaben in diesem Werk. Alle Bausteine des betaCare-Wissenssystems mit seinen vielfältigen Inhalten finden Sie unter www.betaCare.de. Mehr über das soziale Engagement und die Produkte der betapharm Arzneimittel GmbH finden Sie unter www.betapharm.de. Alle Rechte vorbehalten © 2014 Copyright beta Institut gemeinnützige GmbH Der Ratgeber einschließlich all seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Reproduzierung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen oder Datenverarbeitungsanlagen. Weitere sozialrechtliche Informationen finden Sie unter www.betanet.de. 4. Auflage, August 2014 Schutzgebühr 5,– Euro Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung ________________________ 2 Erkrankung___________________________ Formen psychotischer Störungen _________ Auftreten und Verlauf __________________ Ursachen ____________________________ Symptome ___________________________ Behandlung _________________________ Stationäre und teilstationäre Behandlung _ Medikamentöse Behandlung____________ Psychotherapie_______________________ Soziotherapie________________________ Psychoedukation _____________________ Ergotherapie ________________________ Psychoseseminare ____________________ Soteria_____________________________ Gerontopsychiatrische Einrichtungen _____ 5 6 6 7 8 11 12 14 15 17 19 21 22 23 24 Rehabilitation _______________________ 57 Bereiche der Rehabilitation_____________ 58 Zuständigkeit________________________ 59 Stationäre medizinische Rehabilitation____ 60 Berufliche Rehhabilitation/ Teilhabe am Arbeitsleben ______________ 63 Rehabilitation psychisch kranker Menschen _ 66 Übergangsgeld ______________________ 67 Krankenversicherung _________________ 69 Krankenversicherungsschutz____________ 70 Säumige Beitragszahler _______________ 71 Zuzahlungen ________________________ 72 Zuzahlungsbefreiung _________________ 74 Schwerbehinderung __________________ 77 Grad der Behinderung ________________ 78 Schwerbehindertenausweis_____________ 81 Merkzeichen ________________________ 82 Sozialpsychiatrischer Dienst ____________ 25 Erwerbsminderungsrente_______________ 83 Arbeit ______________________________ 27 Stufenweise Wiedereingliederung________ 29 Nachteilsausgleiche bei Schwerbehinderung_________________________ 31 Zweiter Arbeitsmarkt und Integrations projekte ____________________________ 31 Tages- und Werkstätten für behinderte Menschen __________________________ 34 Berufsfindung und Arbeitserprobung _____ 35 Arbeitstherapie und Belastungserprobung _ 36 Pflege ______________________________ 87 Pflegebedürftigkeit ___________________ 88 Leistungen der Pflegekassen ____________ 89 Pflegegeld __________________________ 90 Psychiatrische Krankenpflege ___________ 91 Finanzielle Leistungen bei Arbeits unfähigkeit und Arbeitslosigkeit ________ 37 Arbeitsunfähigkeit____________________ 38 Entgeltfortzahlung___________________ 39 Krankengeld_________________________ 39 Arbeitslosengeld _____________________ 42 Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit ___ 42 Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV) ___________________________ 43 Arbeitslosengeld II und Sozialgeld________ 47 Sozialhilfe __________________________ 49 Einsatz von Einkommen und Vermögen ___ 51 Hilfe zum Lebensunterhalt______________ 54 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs minderung__________________________ 55 Familie und Angehörige_______________ 95 Umgang miteinander__________________ 96 Angehörige von Psychose-Patienten______ 99 Selbstschutzmaßnahmen für Betroffene__ 101 Wohnen___________________________ 103 Betreute Wohnformen________________ 104 Wohnen in der Familie________________ 107 Wohngeld_________________________ 107 Autofahren und Führerschein__________ 109 Führerschein und schwere Krankheit______110 Zweifel an der Fahrtauglichkeit__________ 111 Autofahren bei Psychosen______________ 111 Rechtliche Aspekte der Betreuung______ 113 Vorsorge____________________________114 Betreuung __________________________115 Freiheitsentziehende Maßnahmen________118 Krisenpass _________________________ 120 Adressen___________________________ 121 Buchtipps __________________________ 123 Impressum__________________________ 125 1 Vorbemerkung Psychotische Störungen (Psychosen) sind zum Teil schwer exakt zu diagnostizieren. Verkomplizierend kommt hinzu, dass in den letzten Jahren • sich die Haltung „gegenüber“ dem Patienten und die Arbeit mit dem Patienten wandelten, • neue Behandlungsansätze hinzugekommen sind, • verschiedene Lehrmeinungen und Terminologien miteinander konkurrieren und • ähnliche Symptome bei den verschiedensten Störungen auftreten. Dieser Ratgeber gibt aus medizinisch-therapeutischer Sicht nur einen kurzen Überblick – im Kern informiert er wie alle betaCare-Ratgeber zu sozialrechtlichen und psychosozialen Themen. Dies soll jedoch nicht heißen, dass die Autoren dem sozialtherapeutischen Ansatz den Vorzug geben. Die Gewichtung medikamentöser, psychologischer und sozialer Therapieelemente liegt in der Entscheidungshoheit von Arzt und Patient. Sozialrecht und Psychosen Betroffene, Angehörige und Therapeuten sollten sich bewusst machen, dass im Sozialrecht Formalitäten wie Anträge und Fristen schwerwiegende Auswirkungen auf mögliche (finanzielle) Leistungen und den Versicherungsschutz haben können. Nur sehr selten wird es gelingen, bei Behörden und Versicherungen eine abgelaufene Frist mit dem Hinweis auf eine Akutphase verlängern zu können. Eine besondere Wachsamkeit ist hier beim Auslaufen des Krankengelds und der damit verbundenen Gefahr des Verlusts des Krankenversicherungsschutzes (siehe S. 70) erforderlich. Das Sozialrecht ist schon für einen gesunden Menschen nicht leicht verständlich. Patienten mit einer „verrückten“ Sicht auf die Welt brauchen hier umso mehr Hilfe, wenn möglich in Form von Hilfe zur Selbsthilfe. In Akutphasen müssen aber auch wachsame Betreuer und Angehörige entsprechende Briefe und Fristen ernst nehmen und sofort darauf reagieren. 2 Menschen müssen im Unterschied zu anderen Lebewesen um ihr Selbstverständnis ringen. Es gehört zu unseren Möglichkeiten, an uns zu zweifeln, andere(s) zu bezweifeln und dabei auch zu verzweifeln, über uns hinaus zu denken und uns dabei zu verlieren. Psychosen – ein zutiefst menschliches Phänomen Wer lange Zeit verzweifelt ist, ohne Halt und Trost zu finden, wer seine Gefühle nicht mehr mitteilen kann und sie nicht mehr aushält, kann depressiv werden, wer die Flucht nach vorne ergreift, auch manisch. Wer sich selbst verliert, verliert auch seine Begrenzung und Abgrenzung zu anderen. Entsprechend verändert sich die Art, Dinge und Personen um sich herum wahrzunehmen. Die Gedanken werden sprunghaft, probierend und weniger folgerichtig. Dauert dieser Zustand an, sprechen wir von Psychosen. Wer psychotisch wird, ist also kein „Wesen vom anderen Stern“, reagiert nicht menschen-untypisch, sondern zutiefst menschlich. Eine Psychose ist eine tiefe existenzielle Krise, eine meist alle Lebensbereiche umfassende Verunsicherung. Subjektiv ist nichts mehr, wie es war, auch wenn aus der Sicht von anderen gar nicht viel passiert ist. Vorrangig können Stimmung, Lebensgefühl und Lebensenergie wesentlich verändert sein, dann spricht die Psychiatrie von „affektiver Psychose“. Oder es können vorrangig Wahrnehmung, Denken und Sprache betroffen sein, das nennen Psychiater „schizophrene/kognitive Psychose“. Letztlich hängen Wahrnehmung und Stimmung (in beiden Richtungen) zusammen. Und jede Psychose ist anders, so wie jeder Traum anders ist, weil jeder Mensch anders ist. Prof. Dr. Thomas Bock – Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Zitat aus: „Es ist normal, verschieden zu sein!“ (Blaue Broschüre). Verständnis und Behandlung von Psychosen erstellt im Dialog von Psychose-Erfahrenen, Angehörigen und Therapeuten/Wissenschaftlern in der AG der Psychoseseminare (Hrsg.) Download der gesamten Broschüre unter www.irremenschlich.de > Download > Mediathek > Druck 3 4 © drubig.photo_fotolia.com Erkrankung 5 Formen psychiotischer Störungen Bei den psychotischen Störungen (= Psychosen) werden folgende Formen unterschieden: • Organische Psychosen Es gibt eine organische Ursache, z. B. Demenz, Hirnverletzungen. • Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis Sehr unterschiedliche Erscheinungsbilder mit einem Schwerpunkt auf kognitiven Störungen bei Wahrnehmung und Denken. • Affektive Psychosen Veränderungen der Realitätsverarbeitung im Zusammenhang mit eher affektiven Störungen von Stimmung und Antrieb in Richtung einer Depression oder Manie oder in beide Richtungen (= bipolare Störung). • Schizoaffektive Psychosen Wechsel von Symptomen einer Schizophrenie, einer Depression und/oder einer Manie. Auftreten und Verlauf Bei Psychosen handelt es sich oft um vorübergehende Phasen, die einmal oder mehrmals im Leben der Betroffenen auftreten können – meist im Zusammenhang mit Lebens krisen. Psychotische Störungen sind relativ häufig; es wird davon ausgegangen, dass ca. 2 % der Bevölkerung im Lauf des Lebens eine Psychose entwickeln, 1 % im Sinne von schizophrenen Psychosen, 1 % im Zusammenhang mit Depression und Manie. Der Verlauf psychotischer Störungen ist sehr unterschiedlich und hängt neben der diagnostizierten Störungsform auch vom Betroffenen und von den therapeutischen Maßnahmen ab. 6 Psychosen verlaufen in Phasen. In der akuten Phase sind die Symptome sehr ausgeprägt, die Patienten werden dann möglichst dicht, häufig stationär betreut. In der sich daran anschließenden Stabilisierungsphase brauchen viele Patienten Ruhe und Zeit zur Erholung. In der dritten, der Remissionsphase, gehen die Symptome stark zurück oder verschwinden ganz. Ein Teil der Betroffenen durchlebt nur eine einmalige Akutphase. Manche müssen in Lebenskrisen mit erneuten Phasen rechnen. Bei anderen kann es zu bleibenden Beeinträchtigungen kommen. Sie müssen lernen damit umzugehen, können mit entsprechenden Hilfen aber ein eigenständiges und zufriedenstellendes Leben führen. In vielen Fällen entwickelt sich eine Psychose chronisch und verläuft in Schüben. Die Betroffenen können den Umgang mit den zeitweisen Störungen aber lernen. Ursachen Mit Ausnahme der organischen Psychosen sind die Ursachen weitgehend unbekannt. Vermutet werden zum einen Störungen des Hirnstoffwechsels, zum anderen anlagebedingte Faktoren im Zusammenhang mit äußeren psychischen Belastungen. Das derzeit aktuelle Vulnerabilitäts-Stress-Modell besagt, dass bestimmte Belastungssituationen wie etwa Auszug aus dem Elternhaus, Eheschließung, Tod eines Angehörigen, Drogenkonsum etc. im Zusammenhang mit einer angeborenen Vulnerabilität (Anfälligkeit) eine psychotische Störung auslösen könnten. Das heißt, dass einer Psychose genetisch-biologische und psychosoziale Ursachen zugrunde liegen könnten. Bei extremer Reizüberflutung oder extremem Reizentzug kann jeder Mensch gezwungen sein, aus der Realität auszusteigen. Das unterstreicht die anthropologische Sicht, dass die Möglich keit, psychotisch zu werden, zum Wesen des Menschen gehört (siehe S. 3). 7 Symptome Nachfolgend eine Schilderung von Symptomen einer psychotischen Störung am Beispiel der Schizophrenie. Die Schilderung erfolgt in der Absicht, ein minimales Verständnis für das Erleben der Patienten zu erreichen. Patienten können versuchen, vertrauten Menschen das zu schildern, was sie in einer akuten Psychose erlebt haben. Angehörige, Betreuer und Therapeuten können versuchen, für diese Erlebnisse ein Verständnis zu entwickeln. Sie sollten jedoch immer beachten, dass der Mensch nie nur aus psychotischen Symptomen besteht. Dies kann gegenseitiges Verständnis fördern und Konflikte und gegenseitige Verletzungen reduzieren. Plussymptomatik In einer schizophrenen Akutphase erscheint Außenstehenden die gesamte Persönlichkeit des Betroffenen auf verschiedene Art fremdgesteuert. Charakteristisch sind Wahn, Halluzinationen, Ich-Störungen und formale Denkstörungen. Diese Störungen werden als Plussymptomatik bezeichnet. • Wahn Eine nicht korrigierbare, „falsche“ Beurteilung der Realität. Am häufigsten leiden die Patienten unter Verfolgungsund Beziehungsideen. Sie beziehen das Verhalten anderer Menschen wahnhaft auf sich selbst. Ein Wahn kann sich sowohl mit als auch ohne äußere Wahrnehmungen entwickeln. • Halluzinationen Empfunden wird eine Sinneswahrnehmung, der kein realer Sinnesreiz zugrunde liegt. Diese Täuschung kann alle Sinnes organe betreffen, wobei es am häufigsten zu akustischen Halluzinationen kommt. Der Patient hört Stimmen, die ihm Befehle erteilen oder sich über ihn unterhalten. • Ich-Störungen Die Grenze zwischen der eigenen Person und der Umwelt wird als durchlässig empfunden. Körper, Gedanken oder/und Gefühle werden als fremd erlebt. Auch kann es zu einem Gefühl der Beeinflussung oder Eingebung bzw. auch dem Entzug der Gedanken kommen. Der Patient lebt zugleich in einer wirklichen und einer wahnhaften Welt. • Formale Denkstörungen Darunter fallen Verzerrungen des herkömmlichen Denkablaufs, Zerfahrenheit mit sprunghaften und unlogischen Gedankengängen oder Abbruch eines Gedankengangs ohne erkenn- 8 baren Grund. Der Patient verschmilzt verwandte Wörter oder erfindet neue Wörter. Zu den sogenannten Minussymptomen zählen • sozialer Rückzug, • emotionale Verarmung oder Verflachung, •Antriebsunlust, •Willensschwäche, • mangelnde Körperpflege und • psychomotorische Verlangsamung. Minussymptomatik Manche Patienten berichten von einer Überempfindlichkeit gegenüber Licht oder Farben, Geräuschen, Gerüchen oder Geschmacksempfindungen. Auch das Zeitempfinden kann gestört sein. Die Intelligenz dagegen ist nie beeinträchtigt. 9 10 © nikesidoroff_fotolia.com Behandlung Bei der Therapie von Psychosen wird ein mehrdimensionaler Ansatz verfolgt, bestehend aus medikamentösen, psychotherapeutischen und sozialtherapeutischen Maßnahmen. 11 In der Akutphase erfolgt in der Regel eine stationäre Behandlung. In den darauf folgenden Phasen reicht meist eine ambulante Betreuung aus. Ein alternativer, ganzheitlicher Behandlungs ansatz ist das Soteria-Konzept. Stationäre und teilstationäre Behandlung Im Krisenfall erfolgt die Behandlung von Patienten mit Psychosen häufig in psychiatrischen Kliniken bzw. psychiatrischen Abteilungen von Kliniken. Eine stationäre Behandlung hat immer das Ziel, die aktuelle Krise zu bewältigen und die Betroffenen so zu stabilisieren, dass sie – mit der angemessenen therapeutischen Unterstützung – ihr Leben möglichst selbstständig gestalten können. Allerdings haben sehr viele Menschen große Vorbehalte gegen „die Psychiatrie“, „Anstalten“ und Behandlung „auf Station“. Doch die Erkenntnisse für die Arbeit mit psychotisch erkrankten Menschen haben sich in den letzten Jahren stark erweitert und vor allem in den Kliniken zu großen Veränderungen geführt. Viele Betroffene haben mittlerweile erlebt, dass sie in ihrer schwierigsten Zeit, als sie in die Klinik eingewiesen wurden, dort erstmals auf Menschen trafen, die ihnen zuhörten, Zeit hatten, sehr erfahren waren und so – zusammen mit dem Patienten – ein Behandlungskonzept entwickelten, das auch über die Entlassung hinaus Halt und Hilfe gab. Wenn möglich und nötig, werden Angehörige mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung von den Therapeuten der Klinik mit eingebunden. Je nach Situation kann der Aufenthalt in der Klinik unterschiedlich lang sein, meist bewegt sich die Aufenthaltszeit zwischen zwei und sechs Wochen. Die Entlassung muss sorgfältig geplant werden, denn mit der Klinik verlassen die Betroffenen auch einen Schutzraum und müssen stabil genug sein, die Belastungen des Alltags wieder auszuhalten. Viele Kliniken gestalten den Übergang deshalb fließend, z. B. durch Besuche oder Übernachtungen zu Hause. Zum Teil bleibt auch nach der Entlassung eine mehr oder weniger feste Bindung zur Klinik oder zu einem einzelnen Therapeuten, zu dem der Betroffene ein besonderes Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Diese Bindung reicht von regelmäßigen Therapieterminen in der Institutsambulanz bis hin zur Notfallnummer für Krisenzeiten. 12 Die Krankenhausbehandlung beinhaltet alle Leistungen, die für den Patienten nach Art und Schwere seiner Erkrankung notwendig und im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses möglich sind. Dazu zählt neben der ärztlichen Behandlung auch die Krankenpflege sowie die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, Heilmitteln und Hilfsmitteln. Die Kosten des Krankenhausaufenthaltes trägt die Krankenkasse oder der Sozialhilfeträger. Krankenhausbehandlung Patienten ab Vollendung des 18. Lebensjahres müssen für die vollstationäre Krankenhausbehandlung eine Zuzahlung von 10,– e pro Tag leisten. Diese Zuzahlung ist auf 28 Tage pro Kalenderjahr begrenzt. Der Aufnahme- und der Entlassungstag zählen jeweils als ganzer Tag. Wird ein Elternteil stationär untergebracht, kann eine Haushaltshilfe beantragt werden. Eine Haushaltshilfe ist eine fremde oder verwandte Person, die die tägliche Arbeit im Haushalt erledigt. Sie übernimmt alle notwendigen Arbeiten, z. B. Einkauf, Kochen, Waschen oder Kinderbetreuung. Wichtigste Voraussetzungen für die Antragstellung sind: • Keine andere Person im Haushalt kann die Arbeiten übernehmen und • es ist ein Kind unter 12 Jahren zu versorgen. Träger der Leistung kann die Krankenkasse, die Unfallversicherung oder die Rentenversicherung sein, selten auch die Sozialhilfe. Die Haushaltshilfe ist in jedem Fall vorher zu beantragen. In der Regel ist an eine psychiatrische Klinik eine Institutsambulanz angebunden, in der psychiatrische Patienten ambulant behandelt werden. Meist arbeiten dort verschiedene Berufsgruppen zusammen. Institutsambulanzen Die Übergänge in der Institutsambulanz sind fließend: sowohl zum ambulanten Bereich (z. B. Betreuung in einer Arztpraxis) als auch zum stationären Bereich (Wiederaufnahme in die Klinik). Zum Teil sind Institutsambulanzen auch in integrierte Versorgungsmodelle eingebunden, das heißt, dass die ambulante und stationäre Versorgung aus einer Hand organisiert wird. Tageskliniken gibt es unabhängig von psychiatrischen Kliniken oder dort angebunden. Sie nehmen Patienten in der Regel nur an Werktagen und tagsüber auf und bieten dort – bei Bedarf – dasselbe Leistungsspektrum wie die Klinik. Tageskliniken 13 Medikamentöse Behandlung Medikamente sind meist wirksam in Bezug auf Positivsymptome wie Halluzinationen, Wahnideen, Ich- und Denkstörungen. Sie können der psychosetypischen Reiz überflutung entgegenwirken und so der Entwicklung von Symptomen vorbeugen sowie Symptome abschwächen oder unterdrücken. Eingesetzt werden meist sogenannte Neuro leptika. Über die medikamentöse Behandlung sollten Arzt und Patient gemeinsam entscheiden. Eine vertrauensvolle Arzt-PatientenBeziehung ist eine wichtige Basis für diese Entscheidung und den weiteren Behandlungsverlauf. Zentrale Probleme bei dieser Entscheidung sind die unterschiedlichen Wirkungs- und Neben wirkungsprofile der Medikamente sowie die Dosierung, d. h. die Entscheidung darüber, wie viel Schutz bzw. Abschirmung nötig ist und wie viele Erlebnisse auch anders zu verarbeiten sind. Manchmal sind mehrere zeitintensive Anläufe notwendig, bis das individuell passende Medikament gefunden wird. Auch über das Ende der Medikation sollten Arzt und Patient sich abstimmen. Zuzahlung Zuzahlungsfreie Medikamente Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, müssen für viele Medikamente Zuzahlungen in Höhe von 10 % des Abgabepreises bezahlen, mindestens 5,– e und höchstens 10,– e – umgangssprachlich oft als „Rezeptgebühr“ bezeichnet. Zuzahlungsbefreiung ist möglich, Details siehe S. 74. Manche Arzneimittelwirkstoffe können von der Zuzahlung befreit sein. Auf den Internetseiten der GKV (Die gesetzlichen Krankenkassen), steht eine Übersicht über diese Wirkstoffe, ebenso eine Liste der Arzneimittel, die tatsächlich zuzahlungs befreit sind: www.gkv-spitzenverband.de > Krankenversicherung > Arzneimittel. Darüber hinaus können Medikamente eines Arzneimittelherstellers, mit dem die Krankenkasse einen Rabattvertrag geschlossen hat, ganz oder zur Hälfte zuzahlungsfrei sein. 14 Psychotherapie Die Psychotherapie orientiert sich an der jeweiligen Erkrankungsphase sowie den individuellen Möglichkeiten des Patienten und seiner Lebenssituation. Die therapeutische Beziehung kann helfen, sich zu spiegeln, zu spüren und zu vergewissern. Langfristig kann sie helfen, psychotische Symptome zu entschlüsseln und damit zusammenhängende Konflikte zu entschärfen. Der Patient muss zu Beginn der Psychotherapie einen gewissen Realitätsbezug aufweisen. Bei psychischen Störungen mit Krankheitswert übernimmt die Krankenkasse die Kosten bestimmter psychotherapeutischer Behandlungen (im Sinne einer Krankenbehandlung. Derzeit von den Kassen anerkannt sind psychoanalytisch begründete Verfahren und Verhaltenstherapie. Für andere Therapien übernehmen die Kassen die Kosten nur im Einzelfall und auf Antrag. Kosten Bei der Behandlung von Patienten mit einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis wird häufig die kognitive Verhaltens therapie eingesetzt. In der Therapie wird zunächst gemeinsam mit dem Patienten ein Verständnis seiner Probleme erarbeitet und er wird über die Störungen und Behandlungsmöglichkeiten informiert. So sollen Ängste und Unsicherheiten abgebaut werden. Dann wird der Patient befähigt, Frühwarnsymptome zu erkennen und Strategien zu entwickeln, wie er darauf reagieren kann, um einen Rückfall zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Weitere wichtige Themen der Therapie sind die Akzeptanz fortbestehender Symptome und der Medikamenteneinnahme, die Entwicklung und Stärkung vorhandener Fähig keiten sowie die Förderung der Lebensqualität. Kognitive Verhaltenstherapie Für eine Psychotherapie ist keine Überweisung durch einen Arzt erforderlich. Der gewählte Psychotherapeut muss allerdings eine Kassenzulassung haben, damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Therapeuten können entweder Psychologen („psychologischer Psychotherapeut“) oder Mediziner („ärztlicher Psychotherapeut“) sein. Für Patienten mit Psychosen ist es nicht einfach, den richtigen Therapeuten zu finden. Häufig kommen auch noch lange Wartezeiten bis zum Therapiebeginn dazu. Betroffene sollten auf jeden Fall darauf achten und danach fragen, ob der Therapeut Erfahrung mit Psychosen hat. Therapeutenwahl 15 Praxistipps! Die folgenden Tipps helfen bei der Therapeutensuche. • Vermittlungsstellen für psychotherapeutische Behandlungen Die meisten Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) auf Länder ebene bieten Vermittlungsstellen für psychotherapeutische Behandlungen. Unter www.kbv.de > Die KBV > Mitglieder > Adressliste stehen die Internetadressen der KVen. • Einige KVen haben eine sogenannte „Koordinationsstelle Psychotherapie“ eingerichtet. Dort werden Patienten über unterschiedliche Therapiemöglichkeiten und -formen informiert. • Unter www.kbv.de > Service > Arztsuche können regional Ärzte aller Fachrichtungen recherchiert werden, auch Psychotherapeuten. • Der Suchservice der Bundespsychotherapeutenkammer steht unter www.bptk.de > Psychotherapeutensuche • Falls ein Patient nachweisen kann, dass erst nach mehr monatiger Wartezeit ein Therapieplatz in der Region frei wird, kann die Krankenkasse auf Antrag auch die Therapie bei einem Psychotherapeuten mit Berufszulassung, jedoch ohne Kassenzulassung genehmigen. Daher sollte eine Liste der vergeblichen Suche mit Namen der Psychotherapeuten, Anrufdatum und Wartezeit angefertigt und bei der Krankenkasse vorgelegt werden. Diese prüft jedoch selbst nach, ob tatsächlich kein Platz bei Therapeuten, mit denen Verträge bestehen, zu bekommen ist. Erst wenn die Genehmigung der Krankenkasse vorliegt, kann die Therapie dort begonnen werden. • Institutsambulanzen können und sollen bei der Suche nach Psychotherapeuten helfen, die Zeit bis zur Therapie über brücken und bestimmte psychotherapeutische Leistungen integriert in einem Gesamtkonzept selbst erbringen. Das gilt insbesondere für Krisengespräche, Gruppentherapien und familientherapeutische Gespräche. Probesitzungen Der Patient kann bis zu 5 Probestunden (bei einer analytischen Psychotherapie bis zu 8) bei einem Therapeuten machen, bis er entscheidet, ob er dort die Therapie durchführen will. Nach diesen „probatorischen“ Sitzungen, auf jeden Fall bevor die eigentliche Therapie beginnt, muss ein Arzt, z. B. Hausarzt oder Neurologe, aufgesucht werden, der abklärt, ob eine körperliche Erkrankung vorliegt, die zusätzlich medizinisch behandelt werden muss. Dieser Arztbesuch ist jedoch nur nötig, wenn es sich bei dem behandelnden Therapeuten um einen psycho logischen Psychotherapeuten handelt. Bei einem ärztlichen 16 Psychotherapeuten erübrigt sich dieser Arztbesuch. Der Patient muss bei seiner Krankenkasse einen Antrag auf Feststellung der Leistungspflicht für Psychotherapie stellen. Zu diesem Antrag teilt der behandelnde Psychotherapeut der Krankenkasse die Diagnose mit, begründet die Indikation und beschreibt Art und Dauer der Therapie. Nach Klärung der Diagnose und Indikationsstellung werden vor Beginn der Behandlung der Behandlungsumfang und die -frequenz festgelegt. Die Dauer einer Psychotherapie ist abhängig von der Art der Behandlung und beträgt z. B. bei einer Verhaltenstherapie 45, in besonderen Fällen bis zu 60 Stunden. Antragsverfahren Dauer Die Probesitzungen zählen nicht zur Therapiedauer. Eine Sitzung dauert mindestens 50 Minuten. Eine Überschreitung ist dann zulässig, wenn mit der Beendigung der Therapie das Behand lungsziel nicht erreicht werden kann, aber bei Fortführung der Therapie begründete Aussicht darauf besteht. Soziotherapie Soziotherapeutische Maßnahmen beziehen sich auf das soziale Umfeld des Betroffenen und zielen darauf ab, vorhandene soziale Fähigkeiten des Betroffenen zu fördern und die Verstärkung sozialer Probleme zu verhindern. Soziotherapie unterstützt vorrangig Patienten, die krankheitsbedingt in den Bereichen Wohnen, Arbeit, Bestreitung des Lebensunterhalts, Freizeitgestaltung und soziale Beziehungen beeinträchtigt sind. Der Betroffene soll gefördert werden, sein Leben wieder aktiv zu gestalten. Menschen mit Psychosen sind oft nicht in der Lage, Leistungen, die ihnen zustehen, in Anspruch zu nehmen. Basis für eine Sozio therapie ist, dass der Patient die Therapieziele erreichen kann, er über die hierzu notwendige Belastbarkeit, Motivierbarkeit und Kommunikationsfähigkeit verfügt und in der Lage ist, einfache 17 Ziele Leistungsinhalt Therapeutensuche Absprachen einzuhalten. Ziel der Soziotherapie ist der Abbau psychosozialer Defizite, damit Patienten selbstständig und eigenverantwortlich medizinische Leistungen in Anspruch nehmen können, z. B.: • Koordinierung der Leistungen, d. h. Organisation der not wendigen medizinischen Maßnahmen, z. B. deren zeitliche Planung • therapiegerechte Eigen-Einnahme von Medikamenten • Motivation zur Verwendung medizinischer Leistungen • Einsicht in die Notwendigkeit medizinischer Leistungen • Bereitschaft zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen Folgende Leistungen sind innerhalb der Soziotherapie in jedem Fall zu erbringen: • Erstellung eines Betreuungsplans • Arbeit im sozialen Umfeld • Soziotherapeutische Dokumentation, d. h. der Soziotherapeut beschreibt die durchgeführten Maßnahmen (Art und Umfang), den Behandlungsverlauf und die bereits erreichten und noch verbleibenden Therapieziele. Erbringen können diese Leistungen nur Diplom-Sozialarbeiter, Diplom-Sozialpädagogen und Fachkrankenschwestern für Psychiatrie mit Berufserfahrung, die bei der Krankenkasse als Soziotherapeuten zugelassen sind und mit dieser einen Vertrag haben. Die Krankenkassen vermitteln Adressen der zugelassenen Soziotherapeuten. Da die Soziotherapie noch eine recht junge Leistung ist, gibt es jedoch nicht überall entsprechende Angebote. Ähnliche Leistungen bieten aber mancherorts auch die Sozial psychiatrischen Dienste und diese wiederum kennen häufig die regionalen Soziotherapie-Angebote. Dauer Verordnung 18 Eine Soziotherapie dauert 120 Stunden innerhalb von 3 Jahren je Krankheitsfall. „Krankheitsfall“ ist das Krankheitsgeschehen, das eine einheitliche medizinische Ursache hat, z. B. eine Psychose, die immer wieder zu Hilfebedürftigkeit führt. Versicherte müssen eine Zuzahlung von 10 % der kalendertäglichen Kosten der Soziotherapie leisten, jedoch mindestens 5,– e, maximal 10,– e pro Tag. Zuzahlungsbefreiung ist möglich, Details siehe S. 74. Verordnen dürfen Soziotherapie in der Regel nur Nervenärzte und Psychiater, die von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eine Befugnis zur Verordnung von Soziotherapie haben. Adressen von entsprechenden Ärzten erhält man bei der KV. Die Verordnung von Soziotherapie muss von der Krankenkasse genehmigt werden. Hierzu muss ein soziotherapeutischer Betreuungsplan vorgelegt werden. Verordnung In Einzelfällen können auch andere Ärzte, z. B. der Hausarzt, bis zu 3 Probestunden verordnen. Ziel ist hierbei die Überweisung zu einem Nervenarzt oder Psychiater mit der entsprechenden Befugnis zur Verordnung der Soziotherapie. Bei Verordnung und Antragstellung sind auch die Soziothera peuten selbst behilflich. Wer hilft weiter? Soziotherapeuten sind nicht einfach zu finden, helfen können Krankenkasse, Nervenärzte, Psychiater oder die Sozialpsychia trischen Dienste. Psychoedukation Bei der Psychoedukation handelt es sich um eine Schulung von Patienten mit Psychosen und – in getrennten Gruppen – ihren Angehörigen. Eingesetzt wird Psychoedukation vor allem bei Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis. Die Teilnehmer werden über die Erkrankung und die not wendigen Behandlungsmaßnahmen informiert und tauschen Erfahrungen vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Forschung aus. Dies soll die Krankheitsbewältigung fördern und zur Therapietreue beitragen, denn ein Patient, der versteht, warum er z. B. bestimmte Medikamente benötigt, wird sie eher ein nehmen als ein Patient, der von der Notwendigkeit nicht überzeugt ist. Die Psychoedukation soll Betroffene und Angehörige für Symptome sensibilisieren, die auf eine herannahende Akutphase hindeuten. 19 Neben Information und Austausch ist die sogenannte „emotionale Entlastung“ ein wichtiger Aspekt, d. h., dass Betroffene und Angehörige von dem gefühlsmäßigen Druck entlastet werden, der oft mit der Erkrankung oder der Erkenntnis der Erkrankung einhergeht. Formen und Anbieter Psychoedukation erfolgt in der Regel in Gruppen, kann aber auch im Einzelgespräch zwischen Therapeut und Patient bzw. Therapeut und Angehörigen stattfinden. Für Akutpatienten mit psychotischen Symptomen oder starken Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen ist eine Psychoedukation nicht geeignet. Betroffene sollten nur in ausreichend stabilisiertem Zustand an einer Gruppe teilnehmen, denn das Risiko einer Psychoedukation ist, dass die Information über die Erkrankung und ihre möglichen Folgen und Symptome Betroffene stark belastet. Vorteil der Gruppe ist der gegenseitige Austausch unter den Betroffenen. So kann der Patient von Erfahrungen anderer Patienten lernen, daraus für sich Strategien für den Umgang mit der Krankheit entwickeln, Anzeichen drohender Rückfälle erkennen und lernen, entsprechende Gegenmaßnahmen ein zuleiten. Psychoedukation wird zum Teil bereits während eines stationären Aufenthalts in einer Klinik angeboten. Gruppenleiter sind meist Ärzte, Psychologen, Diplom-Pädagogen oder geschultes pflegerisches Personal. Psychoedukative Gruppen treffen sich ein bis zwei Mal wöchentlich. Die vermittelten Inhalte folgen einem festen Curriculum, so dass die Gruppen in der Regel fest sind, d. h.: Im Lauf einer Schulung kommen keine neuen Mitglieder hinzu. Die Schulungen sind je nach Konzept unterschiedlich lang. Sie können von ca. 8 gemeinsamen Sitzungen bis hin zu lang fristigen Edukationen mit bis zu 2 Jahren andauern. Kostenübernahme 20 Erfolgt die Edukation in der Klinik, wird sie für Patienten im Rahmen der stationären oder tagesklinischen Behandlung abgerechnet. Erfolgt sie im ambulanten Bereich von Institutsambulanzen, entstehen dem Patienten ebenfalls keine Kosten, er benötigt in der Regel aber eine Überweisung seines Arztes. Kliniken bieten Psychoedukation teilweise auch für Angehörige an, häufig auch kostenfrei. Psychoedukation im Rahmen einer Psychotherapie wird als Teil dieser Therapie abgerechnet. Wer hilft weiter? Termine für Psychoedukationen (auch Psychosegruppe genannt) kann man erfragen bei: • Psychiatern und Psychotherapeuten, • sozialpsychiatrischen Diensten, • Kliniken und Tageskliniken oder • Selbsthilfegruppen. Ergotherapie Im Rahmen einer Ergotherapie geht es für Menschen mit Psychosen vor allem um die sogenannte „psychischfunktionelle Behandlung“. Diese dient der Therapie krankheitsbedingter psychosozialer und sozioemotionaler Störungen. Dies umfasst z. B. Maßnahmen zur Verbesserung • der psychischen Grundleistungsfunktionen wie Antrieb, Motivation, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität und Selbst ständigkeit in der Tagesstrukturierung, • der Realitätsbezogenheit, der Selbst- und Fremdwahrnehmung, • des situationsgerechten Verhaltens, auch der sozioemotionalen Kompetenz und Interaktionsfähigkeit, • der psychischen Stabilisierung und des Selbstvertrauens oder • der eigenständigen Lebensführung und der Grundarbeits fähigkeiten. Ergotherapie gehört zu den Heilmitteln, wie z.B. auch Massagen und Krankengymnastik. Sie muss vom Arzt verordnet werden und wird in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Die psychisch-funktionelle Behandlung kann als Einzel- oder Gruppenbehandlung verordnet werden. Verordnung Erwachsene gesetzlich Krankenversicherte zahlen 10 % der Kosten plus 10,– e je Verordnung zu. Eine Befreiung von der Zuzahlung ist bei Überschreitung der Belastungsgrenze möglich, Zuzahlung 21 Therapiebesuch zu Hause Details siehe S. 74. Die Verordnung von Ergotherapie außerhalb der Praxis des Therapeuten, insbesondere in Form eines Hausbesuchs, ist ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn der Patient aus medi zinischen Gründen den Therapeuten nicht aufsuchen kann bzw. wenn der Hausbesuch aus medizinischen Gründen zwingend notwendig ist. Der Arzt muss dann auf der Verordnung „Haus besuch“ ankreuzen. Der Patient muss zusätzlich zur Zuzahlung die Fahrtkosten übernehmen. Wer hilft weiter? Adressen von Ergotherapeuten vermittelt der Verband der Ergotherapeuten unter Telefon 07248 9181-0, per E-Mail [email protected] oder im Internet unter www.dve.info/ therapeutensuche.html Es gibt Ergotherapie-Praxen mit dem Schwerpunkt Psychiatrie. Darauf sollten Patienten mit Psychosen bei der Ergotherapeutensuche achten. Psychoseseminare Psychoseseminare richten sich an Psychose-Erfahrene, Angehörige und Therapeuten gleichzeitig und dienen dem wechselseitigen Erfahrungsaustausch und der gegenseitigen Fortbildung (Trialog). Ziel ist ein breites Verständnis von Psychosen und eine Unterstützung vielfältiger Bewältigungs strategien. Die Vielfalt des subjektiven Erlebens und der individuellen Verarbeitung von Psychosen nimmt in den Psychosesemina ren besonders viel Raum ein. • Die Kommunikation auf Augenhöhe stärkt das Selbstwertgefühl der Betroffenen und lässt Therapeuten einen ent sprechenden wertschätzenden Umgang auch im psychia trischen Alltag üben. • Für die Patienten ist der Austausch über eigene Erfahrungen in der wohlwollenden Atmosphäre und ohne Veränderungsdruck 22 hilfreich bei der Integration des Erlebten. • Der Austausch erweitert die Perspektive. Er hilft Patienten, sich besser in ihre eigenen Angehörigen hineinzuversetzen, wenn sie mit fremden Angehörigen sprechen. Dasselbe gilt für teilnehmende Angehörige: Sie können sich besser in einen Patienten hineinversetzen, wenn es nicht der Patient in der eigenen Familie ist. • Profis und Auszubildende können ihr Verständnis von Psychosen erweitern und lernen eine Vielfalt von Ver arbeitungsmöglichkeiten kennen. Adressen von Psychose seminaren finden Sie unter www.trialog.psychoseminar.de > Adressen. Dort finden sich auch detaillierte Informationen zu Psychoseminaren. Soteria Soteria ist eine alternative stationäre Behandlungsform speziell bei Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis, aber auch bei anderen Psychoseformen. Das Wort Soteria kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Wohl, Rettung, Heil“. Die Psychosebegleitung erfolgt in der Form aktiven Dabeiseins („being-with“), mit neuroleptischer Medikation wird zurückhaltend umgegangen und es wird ein milieutherapeutischer Ansatz verfolgt. Soteria erfolgt in kleinen heimartigen Häusern, maximal 10 Bewohner werden aufgenommen. Zentraler Gedanke ist die Abschirmung der Bewohner von verwirrenden Umwelt einflüssen. Sie werden kontinuierlich unterstützt durch tragende zwischenmenschliche Beziehungen und durch die Geborgenheit der Umgebung, die die Befindlichkeit beeinflusst. Die Betreuung erfolgt rund um die Uhr mit einer festen Bezugs person pro Bewohner. Die Beziehung zwischen Bezugsperson und Bewohner wird gleichwertig gestaltet. Es geht darum, eine beruhigende, ausgeglichene Atmosphäre zu schaffen. Die Mitarbeiter unterstützen und fördern je nach individuellem Befinden des Bewohners. Behandlungsziele werden gemeinsam entwickelt. Eine Tagesstruktur wird geschaffen und soll die Bewohner zu alltäglichen Verrichtungen anhalten (Kochen, Putzen etc.). Diese Aufgaben sind für die Bewohner überschau- 23 bar und die Ergebnisse und Erfolge sind unmittelbar erkennbar. Wichtig ist die Kontinuität in der Betreuung, die durch 24- oder 48-Stunden-Dienste der Mitarbeiter ermöglicht wird. Soteria legt zudem großen Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit den Angehörigen, weiteren Bezugspersonen und Betreuern. Derzeit gibt es nur wenige Soteria-Einrichtungen in Deutschland, z. B. in Zwiefalten, München, Köln und Leipzig. In manchen psychiatrischen Kliniken werden Elemente des Soteria-Konzepts angewandt. Adressen und weitere Informationen unter: www.soteria-netzwerk.de. Gerontopsychiatrische Einrichtungen Gerontopsychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie, das sich mit der diagnostischen Abklärung und Behandlung psychischer Erkrankungen im Alter befasst. Häufig werden Demenzerkrankungen und Depressionen behandelt, aber auch Wahnvorstellungen und Schizophrenien. Manchmal können erst bei einem stationären Aufenthalt diagnostische Maßnahmen ergriffen werden und eine sinnvolle medikamentöse Einstellung erfolgen. Die Behandlungsmaßnahmen in gerontopsychiatrischen Ein richtungen dienen nicht nur der medikamentösen Therapie der psychischen Beeinträchtigungen, sondern fördern auch noch erhaltene Fertigkeiten und soziale Kontakte. Ziel ist die Verbesserung der durch die Erkrankung beeinträchtigten Lebensqualität und die Entlassung des Patienten in seine häusliche Umgebung. 24 © Alexander Raths_fotolia.com Sozialpsychiatrischer Dienst Eine Schlüsselrolle in der Beratung und Begleitung von Menschen mit Psychosen nehmen häufig die Sozialpsychiatrischen Dienste (SpDi) ein. Die Dienste gibt es nahezu überall, meist sind sie an die lokalen Gesundheitsämter angegliedert, zum Teil, vor allem in Süddeutschland, sind aber auch Wohlfahrtsverbände die Träger. 25 Die Aufgaben und die Personalausstattung der SpDi sind sehr unterschiedlich und variieren oft schon von einer Stadt zur nächsten. In der Regel arbeiten Ärzte und Sozialarbeiter beim SpDi, bisweilen auch Krankenschwestern oder Psychologen. In der Regel bieten sie aber weder Psychotherapie an noch dürfen sie Medikamente verschreiben. Fast überall werden die SpDi bei Krisensituationen involviert, wenn es also z. B. um die Begut achtung akut gefährdeter Patienten geht und um die Frage, ob sie stationär untergebracht werden sollen (siehe Seite 12). Häufig halten sie Kontakte zu Menschen mit Psychosen, die sich stark zurückziehen und wenig bis keine anderen sonstigen Kontakte haben. Sie machen auch Hausbesuche bei betroffenen Familien und bieten Kontaktmöglichkeiten (z. B. Patientenclubs) und Beratung. Die SpDi sind gut über regionale Hilfen, Angebote und Einrichtungen für Menschen mit psychotischen Störungen informiert, so dass sie immer eine gute Anlaufstelle bei der Suche nach entsprechenden Adressen sind. Die Inanspruchnahme der SpDi-Angebote ist kostenlos. Wer hilft weiter Welcher Sozialpsychiatrische Dienst regional zuständig ist, erfahren Sie beim Gesundheitsamt. 26 © Udo Kroener_fotolia.com Arbeit Bei einer Chronifizierung der psychotischen Störung kommt es zu bleibenden bzw. immer wiederkehrenden Beeinträchtigungen, die nicht selten zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Arbeitslosigkeit kann aber ein zusätzlicher Risikofaktor für eine erneute Akutphase sein. Einer Berufstätigkeit ist daher nicht nur aus finanziellen, sondern auch vielen weiteren Gründen eine hohe Priorität einzuräumen. 27 Arbeit • schafft soziale Kontakte und Beziehungen. • ermöglicht die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. • fördert Aktivität. • strukturiert den Tagesablauf. • gibt dem Menschen eine anerkannte Rolle und einen sozialen Status und unterstützt damit die Bildung einer subjektiven Identität. Dabei muss aber ebenso berücksichtigt werden, dass der Betroffene einer wie auch immer gearteten Arbeitstätigkeit gewachsen sein muss, denn auch Druck und Überforderung können eine Akutphase auslösen. Eine besondere Rolle spielt hier der sogenannte Reha-Druck, d. h. die Vorgabe, innerhalb einer bestimmten Frist mit einer bestimmten Maßnahme das vorgegebene Ziel zu erreichen. Praxistipps Folgende Tipps sind bei Menschen mit psychotischen Störungen, die einen Arbeitsplatz haben, zu beachten: • In einer Akutphase kann die Gefahr bestehen, dass der Patient der Arbeit fernbleibt, ohne beim Arzt eine Krankmeldung (= AU-Bescheinigung) zu besorgen. Angehörige können hier helfen, indem sie zum Arztbesuch motivieren oder beim Arzt einen Hausbesuch erbitten. Die AU-Bescheinigung muss an den Arbeitgeber und an die Krankenkasse geschickt werden. Ohne AU-Bescheinigung gefährdet der Patient sowohl seinen Arbeitsplatz als auch eine spätere Krankengeldzahlung (siehe auch S. 39). • Wenn ein Arbeitnehmer gekündigt wird, endet die Pflicht mitgliedschaft in der Krankenkasse. Er muss sich dann rechtzeitig um seinen Krankenversicherungsschutz kümmern, Details siehe S. 70. 28 Stufenweise Wiedereingliederung Patienten mit schweren Psychosen sind aufgrund der Erkrankung häufig über Wochen oder Monate arbeitsunfähig. Oft fühlen sie sich nicht in der Lage einen normalen Arbeitstag durchzustehen. Ziel der Stufenweisen Wieder eingliederung (sogenanntes „Hamburger Modell“) ist, arbeitsunfähige Arbeit-nehmer nach längerer schwerer Krankheit schrittweise an die volle Arbeitsbelastung heran zuführen und so den Übergang zur vollen Berufstätigkeit zu erleichtern. Die Stufenweise Wiedereingliederung ist eine Maßnahme der Medizinischen Rehabilitation. Findet sie im unmittelbaren Anschluss an eine medizinische Rehamaßnahme statt, d. h. wird sie innerhalb von 14 Tagen nach der Entlassung aus einer Reha klinik angetreten, ist die Rentenversicherung der Kostenträger. Trifft dies nicht zu, ist in den meisten Fällen die Kranken versicherung zuständig. Für eine Stufenweise Wiedereingliederung müssen folgende Voraussetzungen vorliegen: • Es besteht noch Anspruch auf Krankengeld bzw. der Arbeitnehmer ist noch arbeitsunfähig (siehe S. 38). • Der Versicherte ist mit der Maßnahme einverstanden. • Der Arzt stellt einen Wiedereingliederungsplan auf. • Der Arbeitgeber erklärt sich mit der Maßnahme einverstanden. • Der Versicherte wird am bisherigen Arbeitsplatz eingesetzt. Voraussetzungen Die Dauer der Wiedereingliederung ist abhängig vom individuellen gesundheitlichen Zustand des Arbeitnehmers. In der Regel dauert sie 6 Wochen bis 6 Monate. Der Arbeitnehmer ist während der Maßnahme weiterhin arbeitsunfähig. Dauer In der Regel erhält der Versicherte während der Wiedereingliederung weiterhin Krankengeld von der Krankenkasse bzw. Übergangsgeld vom Rentenversicherungsträger. Falls der Arbeitgeber während der Maßnahme freiwillig Arbeitsentgelt entrichtet, dann wird dies darauf angerechnet. Entgelt 29 Praxistipps! Vorgehensweise • Dem Arbeitsversuch muss als Erstes aus medizinischer Sicht zugestimmt werden: Nach Überzeugung des Arztes dürfen einer Stufenweisen Wiedereingliederung keine medizinischen Gründe entgegenstehen. • Der Versicherte muss die Stufenweise Wiedereingliederung selbst wollen. • Arzt und Patient füllen gemeinsam den Antrag auf Stufen weise Wiedereingliederung aus. Dieses Formular hat jeder Arzt vorliegen. Es kann bei der Krankenkasse oder beim Rentenversicherungsträger angefordert werden. • Arzt und Patient erstellen gemeinsam einen „Wiedereingliederungsplan“, aus dem hervorgeht, mit welcher Tätigkeit und Stundenzahl begonnen wird und in welchem Zeitraum Art und Umfang der Tätigkeit gesteigert werden. • Der Antrag wird dem Arbeitgeber vorgelegt – von ihm hängt die Stufenweise Wiedereingliederung ab: Er muss sein Ein verständnis mit der Maßnahme mit einer Unterschrift bestätigen, ist dazu aber nicht verpflichtet. • Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Zustimmung zur Stufen weisen Wiedereingliederung, vorausgesetzt es liegt eine ärztliche Bescheinigung vor, die einen Wiedereingliederungsplan und eine Prognose über den Zeitpunkt der zu erwartenden Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit enthält. • Es empfiehlt sich, eine Stellungnahme des Betriebsarztes bzw. des MDK einzuholen. • Der Antrag wird bei der Krankenkasse eingereicht. Diese prüft, ob sie der Maßnahme zustimmt. Zum Teil bezieht auch die Krankenkasse den MDK mit ein. • Haben alle Beteiligten zugestimmt, kann die Maßnahme beginnen. • Während der eingeschränkten Beschäftigung bleibt der Versicherte weiterhin arbeitsunfähig geschrieben. Wer hilft weiter? Informationen geben die Krankenkassen, Rentenversicherungsträger, der behandelnde Arzt und der Arbeitgeber. 30 Nachteilsausgleiche bei Schwerbehinderung Wenn ein Betroffener mit psychotischen Störungen als schwerbehindert (Details siehe S. 77) anerkannt ist, genießt er einen besonderen Kündigungsschutz, bekommt zusätzlich fünf bezahlte Urlaubstage im Jahr und kann eine vorgezogene Altersrente ab 63 Jahren oder – mit Rentenkürzung – ab 60 Jahren beantragen. Personen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30, können sich Schwerbehinderten gleich stellen lassen (Details siehe S. 80), wenn sie dann einen Arbeitsplatz erlangen oder behalten können. Wer hilft weiter? Hilfreiche Anlaufstelle für alle Fragen zu Arbeit bei Schwerbehinderung sind die Integrationsfachdienste. Sie • unterstützen berufsbegleitend, wenn eine Arbeitsstelle vorhanden ist, und • vermitteln in Arbeit, wenn der Betroffene arbeitslos ist. Zweiter Arbeitsmarkt und Integrationsprojekte Hat der Patient kein Arbeitsverhältnis (mehr) und ist die Aufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich, kommen Projekte auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt in Frage. Auf dem zweiten Arbeitsmarkt gibt es eine große Vielfalt von Projekten, die regional sehr unterschiedlich ausgeprägt sind und meist von mehreren Kostenträgern gemeinsam getragen werden. Finanzierung und Träger 31 Mögliche Träger, Partner und/oder Geldgeber sind z. B.: • Agentur für Arbeit • Integrationsamt, Integrationsfachdienst • Sozialpsychiatrischer Dienst (siehe S. 25), psychosozialer Dienst • Gemeinden, Städte, Landkreise, Bezirke • Ministerien, hier oft Sonderförderprogramme • Aktion Mensch, Lebenshilfe •Behindertenwerkstätten • Wohlfahrtsverbände wie Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz •Kirchen • Stiftungen und Spenden •Firmen Für die Beschäftigten handelt es sich dann zum Teil auch um sogenannte Ein-Euro-Jobs (= „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandentschädigungen nach SGB II“). Sie geben den Beschäftigten die Möglichkeit, über den öffentlichen und sozialen Sektor im Berufsleben wieder Fuß zu fassen und die tagtägliche Arbeitsfähigkeit zu testen, Details siehe S. 46. Integrationsfirmen Integrationsfirmen können zusammen mit mehreren der eben genannten Partner betrieben werden, aber auch unabhängig agieren. Sie arbeiten wie ein normales Unternehmen und bieten ihre Leistungen an, sind aber gleichzeitig gemeinnützig und werden gefördert, weil sie einen besonderen Aufwand durch die Struktur ihrer Mitarbeiter haben. Überwiegend sind diese Unter nehmen im handwerklichen und im Dienstleistungssektor aktiv. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrations firmen gibt es in Deutschland rund 600 Integrationsfirmen und -projekte in den verschiedensten Branchen: von industrieller Fertigung über Dienstleistungen, Handel, Handwerk, Hotel- und Gaststättengewerbe bis hin zu Multimedia- und IT-Firmen. Die Integrationsziele der Firmen sind unterschiedlich. Sie reichen von der Ausbildung und Umschulung über die Hilfe zur Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt bis hin zur dauerhaften Beschäftigung unter geschützten Arbeitsbedingungen. Zum Teil bieten auch reguläre Firmen beschützte oder integrative Arbeitsplätze für Menschen mit psychischen Störungen an. Wer hilft weiter? Eine Auflistung von Integrationsfirmen finden Sie bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen, Telefon 06131 6035520 oder 030 2512082 im Internet unter www.bag-if.de 32 Das Problem bei den meisten bisher genannten Arbeitsmöglichkeiten ist, dass sie von einer kontinuierlichen Vollzeitbeschäftigung ausgehen. Das ist eine große Hürde für Menschen mit Psychosen. Hilfreich sind hier sogenannte „Zuverdienst projekte“ für Menschen mit psychischen Störungen. Zuverdienstprojekte Sie bieten Arbeits- und Trainingsmöglichkeiten für weniger als 20 Wochenarbeitsstunden und passen ihre Anforderungen mit folgenden Maßnahmen an die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Betroffenen an: • Flexible Arbeitszeiten • Flexible Arbeitsgeschwindigkeit und -produktivität, bei Bedarf viele Pausen • Rücksicht auf Leistungsschwankungen und Krankheitsausfälle • Keine zeitliche Befristung der Beschäftigung (Loslösung von Bewilligungszeiträumen) • Kein Reha-Druck mit Zielvorgabe: Mitarbeiter können auch „einfach so“ bleiben. Die Trägerschaft ist ebenso vielfältig wie oben genannt, zum Teil sind die Projekte an Integrationsfirmen (siehe S. 31) oder Tages stätten (siehe unten) angegliedert. Trotz der flexiblen Vorgaben müssen wirtschaftlich verwertbare Produkte oder Dienstleistungen erbracht werden. Kosten und Gehalt müssen erwirtschaftet werden, die Qualität der Arbeit muss stimmen und die Entlohnung ist abhängig von der Arbeitsleistung. 33 Tages- und Werkstätten für behinderte Menschen Tagesstätten sind Einrichtungen, in denen Menschen mit psychischen Störungen an Wochentagen tagsüber betreut und zur Beschäftigung angeleitet werden. Die Einrichtungen sind immer möglichst niedrigschwellig, je nach Konzept ist das Kommen und Fernbleiben freiwillig oder verbindlich. Mit der Tagesgestaltung in der Tagesstätte beginnen die Betroffenen, eine Tagesstruktur aufzubauen und einfache Aufgaben zu übernehmen. Typische Angebote und Hilfen einer Tagesstätte sind: • Tagesstrukturierende Angebote • Förderung sozialer Kontakte • Kreativkurse oder -arbeit mit Farben, Holz, Ton, Musik, Förderung persönlicher Interessen • Anleitung bei Dingen des alltäglichen Lebens • Kognitive Arbeit (auch am PC) • Entspannung und Bewegung • Ausflüge und Ferienfreizeiten • Unterstützung bei Behörden- und Wohnungsangelegenheiten Häufig sind an Tagesstätten Beratungsangebote angegliedert, die bei sozialrechtlichen Fragen helfen oder bei der Suche nach Reha, Therapie- oder Arbeitsmöglichkeiten. Bisweilen machen sie auch selbst solche Angebote. Manche Tagesstätten sind als Vereine oder Clubs organisiert. In der Regel stellen sie dann an die sozialen Fähigkeiten der Mitglieder höhere Anforderungen und fordern eine etwas höhere Verbindlichkeit, z. B. durch die Übernahme von Pflichten zu bestimmten Zeiten. Manche Werkstätten für behinderte Menschen bieten spezielle Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen Behinderungen. Informationen zur Schwerbehinderung siehe S. 77. Wer hilft weiter? Auf der Suche nach geeigneten Arbeitsmöglichkeiten helfen der Sozialdienst in der Klinik, der ambulante Sozialpsychiatrische Dienst (siehe S. 25), alle Träger mit entsprechenden Angeboten, das sind meist Wohlfahrtsverbände, aber auch Gemeinden und Vereine, sowie mögliche Kostenträger, z. B. Integrationsamt oder Agentur für Arbeit. 34 Berufsfindung und Arbeitserprobung Berufsfindung und Arbeitserprobung dienen dazu, den geeignetsten Weg der beruflichen (Wieder-)Eingliederung zu finden. Sie zählen zu den Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben (siehe S. 63). In der Regel geht es dabei um das Finden und Erproben eines neuen beruflichen Umfelds. Die Maßnahmen werden meist in Berufsförderungs- und Berufsfindungswerken durchgeführt. Einige von ihnen haben sich auf die Berufsfindung für psychisch kranke Menschen spezialisiert. • Die Berufsfindung klärt das Leistungsvermögen, die Eignung und Neigung sowie die Auswirkungen der Behinderung auf eine spätere berufliche Tätigkeit des Versicherten. • Die Arbeitserprobung soll nach weitgehender Klärung und Entscheidung für einen Beruf noch bestehende Fragen zu bestimmten Ausbildungs- und Arbeitsplatzanforderungen klären. Beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen übernimmt der Rentenversicherungsträger die Kosten. Die Krankenkasse zahlt nachrangig. Bei Geringverdienenden oder nicht Versicherten kommt unter Umständen das Sozialamt für die Kosten auf. Kostenübernahme Praxistipps! Die Anmeldung erfolgt durch den Reha-Träger in Abstimmung mit den Fachdiensten der Agentur für Arbeit. Erforderliche Unterlagen: • Eingliederungsplan, der vom Reha-Träger zusammen mit der Agentur für Arbeit vor Ort und dem Behinderten erstellt wird • Eignungsgutachten des Fachpsychologen • ärztliche Gutachten mit Befundunterlagen • Kostenzusage des Reha-Trägers Ein Verzeichnis der bundesweiten Berufsförderungswerke ist mit der Bestellnummer A 714 erhältlich beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales oder kann unter www.bmas.de > Publikationen > Suchwort „Berufsförderungswerke“ herunter geladen werden. 35 Wer hilft weiter? Fragen beantworten der jeweils zuständige Sozialversicherungsträger oder die Servicestellen. Letztere klären im Zweifelsfall auch ab, welcher Träger für die Berufsfindung und Arbeits erprobung zuständig ist. Arbeitstherapie und Belastungserprobung Arbeitstherapie und Belastungserprobung unterstützen die Wiedereingliederung in das Arbeitsleben und gehören zu den Leistungen der Medizinischen Rehabilitation (siehe S. 60). Als Arbeitstherapie gelten die Ausbildung und Klärung von •Handfertigkeiten, • handwerklich-technischen Fähigkeiten und/oder • geistig-psychischen Befähigungen (z. B. Interesse, Ausdauer, Pünktlichkeit, Auftreten im Arbeitsmilieu, Kontaktfähigkeit, Kooperationsbereitschaft) zur Vorbereitung auf die Arbeitsaufnahme im alten Beruf. Als Belastungserprobung gelten • die Feststellung der körperlichen und geistig-seelischen Leistungsbreite durch praktische Überprüfung oder Tests. • die Ermittlung der Eignung eines Menschen für die allgemeine soziale oder berufliche Wiedereingliederung in den erlernten oder einen neuen, angemessenen Beruf. Kostenübernahme Die Krankenkassen, die Rentenversicherungsträger oder die Berufsgenossenschaften übernehmen unter bestimmten Voraus setzungen die Kosten. Bei Geringverdienenden oder nicht Versicherten kommt unter Umständen das Sozialamt für die Kosten auf. Die Kosten werden nur übernommen, wenn die Maßnahmen ärztlich verordnet sind und wenn noch nicht abschließend beurteilt werden kann, welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (siehe S. 63) für den Versicherten notwendig sind. 36 ©Bernd Leitner_fotolia.com Finanzielle Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit 37 Arbeitsunfähigkeit Menschen, die an einer Psychose leiden, sind aufgrund der Erkrankung häufig arbeitsunfähig, teilweise über Wochen und Monate. Oft fühlen sie sich nicht in der Lage einen normalen Arbeitsalltag durchzustehen. Definition „Arbeitsunfähigkeit“: Arbeitsunfähigkeit (AU) ist ein durch Krankheit oder Unfall hervorgerufener regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, aufgrund dessen der in der Kranken- und Unfallversicherung Versicherte seine bisherige Erwerbstätigkeit nicht oder nur unter Gefahr der Verschlimmerung des Zustands weiter ausüben kann. Die AU ist Voraussetzung für Entgeltfortzahlung und Krankenoder Verletztengeld. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Arbeitsunfähigkeit: Welche Hilfen greifen wann? Nachfolgend eine vereinfachte grafische Darstellung, welche Hilfen greifen (können), wenn ein Arbeitnehmer längere Zeit arbeitsunfähig ist. Arbeitsunfähigkeit (Krankmeldung) – Seite 38 Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber (in der Regel 6 Wochen) – Seite 39 Krankengeld von der Krankenkasse (bis max. 78 Wochen) – Seite 39 Aussteuerung aus der Krankenkasse – Seite 41 Erwerbsminderungsrente Seite 83 38 Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit Seite 42 Medizinische Rehabilitation Seite 60 Berufliche Reha – Seite 63 Übergangsgeld – Seite 67 Entgeltfortzahlung Entgeltfortzahlung erhalten alle Arbeitnehmer – auch geringfügig Beschäftigte, unabhängig von der wöchentlichen Arbeitszeit –, die ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis von mindestens 4 Wochen haben. Die AU muss ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten sein. Die gesetzliche Anspruchsdauer auf Entgeltfortzahlung beträgt6 Wochen. Die Entgeltfortzahlung beträgt 100 % des bisherigen üblichen Arbeitsentgelts, dazu zählen auch regel mäßig gewährte Zulagen sowie Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als 6 Wochen, erhält der Versicherte Krankengeld. Um Entgeltfortzahlung zu erhalten, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: • Entgeltfortzahlung erhalten alle Arbeitnehmer, auch geringfügig Beschäftigte und Auszubildende, unabhängig von der wöchentlichen Arbeitszeit, die ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis von mindestens 4 Wochen haben. • Die AU muss ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten sein. Im Anschluss an die Entgeltfortzahlung erhalten die meisten Arbeitnehmer Krankengeld. Voraussetzungen Krankengeld Krankengeld erhalten versicherte Patienten von der Krankenkasse, wenn sie länger als 6 Wochen arbeitsunfähig sind. Das Krankengeld ist eine sogenannte Lohnersatz leistung, d. h., sie wird nur gezahlt, wenn nach 6 Wochen kein Anspruch (mehr) auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber besteht. Voraussetzungen für den Erhalt von Krankengeld: • Grundsätzlicher Anspruch auf Krankengeldbezug durch die Krankenversicherung • Arbeitsunfähigkeit aufgrund Krankheit oder stationärer Behandlung in Krankenhaus, Vorsorge- oder Reha-Einrichtung auf Kosten der Krankenkasse • Es handelt sich immer um dieselbe Krankheit bzw. um eindeutige Folgeerkrankungen derselben Grunderkrankung. Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit auf, verlängert sich die Leistungsdauer dennoch nicht. Voraussetzungen 39 Höhe Das Krankengeld beträgt 70 % des Bruttogehalts, maximal aber 90 % des Nettogehalts. Der Höchstbetrag liegt bei 94,50 e täglich. Dauer Krankengeld gibt es wegen derselben Krankheit für eine maximale Leistungsdauer von 78 Wochen innerhalb von je 3 Jahren ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Dabei handelt es sich um die sogenannte Blockfrist. Eine Blockfrist beginnt mit dem erstmaligen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit für die ihr zugrunde liegende Krankheit. Bei jeder Arbeitsunfähigkeit wegen einer anderen Erkrankung beginnt eine neue Blockfrist. Es ist möglich, dass mehrere Blockfristen nebeneinander laufen. Wenn jedoch dieselbe Krankheit, z. B. die Schizophrenie, einen Krankheitsschub (Akutphase) bewirkt, gilt dieselbe Blockfrist. Die Leistungsdauer verlängert sich auch nicht, wenn während einer Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzutritt. Es bleibt bei maximal 78 Wochen. Zeiten, in denen der Anspruch auf Krankengeld zwar theoretisch besteht, aber tatsächlich ruht oder versagt wird, werden wie Bezugszeiten von Krankengeld angesehen. Beispiel Der Arbeitgeber zahlt bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeit nehmers dessen Arbeitsentgelt bis zu 6 Wochen weiter (§ 3 EntgeltfortzahlungsG), d. h.: Der Anspruch auf Krankengeld besteht zwar, aber er ruht (§ 49 Abs. 1 SGB V). Erst danach gibt es Krankengeld. Die 6 Wochen Entgelt fortzahlung werden aber wie Krankengeld-Bezugszeiten behandelt, so dass noch maximal 72 Wochen (78 Wochen abzüglich 6 Wochen = 72 Wochen) Krankengeld gezahlt wird. Wegfall des Krankengeldes bei fehlender Mitwirkung 40 Wenn der behandelnde Arzt oder der Arzt des MDK die Erwerbsfähigkeit des Versicherten als erheblich gefährdet oder gemindert einschätzt und dies der Krankenkasse mitteilt (häufig kontaktieren die Krankenkassen Ärzte gezielt mit dieser Fragestellung, um den weiteren Rehabilitationsbedarf abzu klären), kann die Krankenkasse dem Versicherten eine Frist von 10 Wochen setzen, um einen Antrag auf Rehamaßnahmen zu stellen. Kommt der Versicherte dieser Aufforderung nicht fristgerecht nach, ruht mit Ablauf der Frist der Anspruch auf Krankengeld und die Mitgliedschaft bei der Krankenkasse in ihrer bisherigen Form endet. Um weiter krankenversichert zu bleiben, bietet die zuständige Krankenkasse in der Regel die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung oder der Familienversicherung an. Wird der Antrag später gestellt, lebt der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tag der Antragstellung wieder auf. Zu beachten ist hierbei, dass der Rentenversicherungsträger nach Prüfung des Antrags auch zur Erkenntnis kommen kann, dass Rehabilitationsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg (Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit) mehr haben und den Antrag auf Rehamaßnahmen dann direkt in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente umwandelt. Wird der Anspruch auf Krankengeld (78 Wochen Arbeitsunfähigkeit innerhalb von 3 Jahren wegen derselben Erkrankung) ausgeschöpft und ist der Versicherte noch immer arbeitsunfähig, endet auch seine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung! Dieser Vorgang wird Aussteuerung genannt. Aussteuerung: Ende des Krankengelds durch Höchstbezugsdauer In der Regel informieren die Krankenkassen das Mitglied 2–3 Monate vor der Aussteuerung. Damit weiter ein Anspruch auf medizinische Leistungen besteht, ist es wichtig Mitglied der Krankenkasse zu bleiben. Es gibt folgende Möglichkeiten: • Freiwillige Versicherung bei einer gesetzlichen Krankenkasse • Familienversicherung (wenn z. B. der Ehemann/die Ehefrau Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist) • Beantragung von Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit, einer Sonderform des Arbeitslosengelds im Sinne der Naht losigkeit Praxistipp! Ist abzusehen, dass der Krankengeldbezug endet, sollte sich der Betroffene unbedingt rechtzeitig mit der Krankenkasse in Verbindung setzen, um den künftigen Versicherungsschutz zu klären. Nach Ende der Mitgliedschaft besteht für Krankengeldbezieher noch für einen Monat ein sogenannter nachgehender Leistungsanspruch, allerdings ohne Krankengeld. Wer keinen Anspruch auf eine kostenfreie Familienversicherung hat, sollte daher spätestens innerhalb dieses Monats eine freiwillige Mitgliedschaft beantragen. Da die freiwillige Mitgliedschaft sich unmittelbar an den Tag des Endes der Mitgliedschaft anschließen muss, besteht auch keine Möglichkeit, diese erst zum Ende des nachgehenden Leistungsanspruchs beginnen zu lassen. 41 Arbeitslosengeld Die Regelungen zum Arbeitslosengeld sind von vielen individuellen Voraussetzungen abhängig und teilweise sehr kompliziert. Genaue und verbindliche Auskünfte geben die Agenturen für Arbeit. Arbeitslosengeld gibt es normalerweise 12 Monate lang. Wer bei Beginn der Arbeitslosigkeit mindestens 50 Jahre alt ist, hat einen längeren Anspruch, je nach Alter bis zu 24 Monate. Das Arbeitslosengeld beträgt 60 % (ohne Kinder) bzw. 67 % vom letzten Nettogehalt. Voraussetzungen für den Erhalt von Arbeitslosengeld sind: •Arbeitslosigkeit • 65. Lebensjahr noch nicht vollendet • Bereitschaft, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen • Persönliche Arbeitslosenmeldung • Erfüllung der Anwartschaftszeit Die Anwartschaftszeit ist erfüllt, wenn der Antragsteller in den letzten 2 Jahren vor der Arbeitslosmeldung und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis stand. Krankheitsschub während Arbeitslosengeld Treten bei einem Empfänger von Arbeitslosengeld massive psychotische Störungen auf, muss er sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsunfähig melden. Ab diesem Tag bekommt er noch 6 Wochen Leistungsfortzahlung und anschließend Krankengeld von der Krankenkasse (siehe S. 39) in Höhe des Arbeitslosengelds. Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit Ist die Arbeitsfähigkeit eines Arbeitslosen gemindert, gibt es als Sonderform das Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit, die sogenannte Regelung im Sinne der Nahtlosigkeit. Diese Zahlung überbrückt die Zeit ohne Arbeitslosengeld (weil man nicht vermittelt werden kann), bis eine andere Leistung, z. B. Weiterbildung oder Rente, gezahlt wird. Wer hilft weiter? Die örtliche Agentur für Arbeit hilft bei allen Fragen des Arbeits losengelds und führt individuelle Berechnungen durch. 42 Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV) Die „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ (SGB II) umfasst Leistungen für erwerbsfähige, hilfebedürftige Menschen von 15 bis 65 Jahren und 3 Monate (Stand 2014). Die bekannteste Leistung ist das Arbeitslosengeld II (= ALG II, siehe S. 47). Die Grundsicherung wurde 2005 eingeführt und ist als „Hartz IV“ bekannt. Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbs fähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedin gungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich zu arbeiten. Erwerbsfähigkeit Zumutbarkeit von Arbeit Grundsätzlich ist jede Arbeit zumutbar, auch wenn • sie nicht dem früheren Beruf oder der Ausbildung entspricht. • der Beschäftigungsort weiter entfernt ist als der frühere. • die Bedingungen ungünstiger sind als bei der letzten Tätigkeit. Arbeit ist unzumutbar, wenn • der Hilfebedürftige dazu geistig, seelisch und körperlich nicht in der Lage ist. • die Arbeit dem Hilfebedürftigen die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt. • die Arbeit die Erziehung eines Kindes oder des Kindes eines Lebenspartners gefährden würde. Die Erziehung eines Kindes, das das 3. Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege oder auf sonstige Weise sichergestellt ist. • die Arbeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann. • der Ausübung der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht. Ablehnung von Arbeit Wird zumutbare Arbeit oder Ausbildung, Erwerbsfähigkeit oder Eingliederungsmaßnahme erstmalig abgelehnt, kann dies zu einer Kürzung der Regelleistung zwischen 30 und 100 % führen. 43 Hilfebedürftigkeit Hilfebedürftig sind Menschen, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen bestreiten können. Auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende wird eigenes Einkommen und vorhandenes Vermögen angerechnet. Zu berücksichtigendes Einkommen Grundsätzlich zählen alle Einnahmen in Geld oder geldwerten Vorteilen zum Einkommen, z. B.: • Einnahmen aus Arbeit (selbstständig oder abhängig beschäftigt) • Arbeitslosengeld oder Krankengeld •Unterhaltsleistungen • Elterngeld über 300,– e (bei doppeltem Bezugszeitraum über 150,– e) • Kapital- oder Zinserträge Nicht zum Einkommen zählen z. B.: • Kindergeld und Kinderzuschlag (= Einkommen des Kindes) • Elterngeld bis 300,– e bzw. 150,– e •Blindengeld •Pflegegeld • Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz Vom Einkommen sind unter anderem abzuziehen: • Steuern und Sozialabgaben • Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder angemessen sind • geförderte Altersvorsorgebeiträge Einkommen und Freibetrag Einkommen aus Erwerbstätigkeit von ALG-II-Empfängern ist auf das ALG II bis auf einen monatlichen Freibetrag anzurechnen. Er beträgt mindestens 100,– e (= Grundfreibetrag) und steigt mit steigendem Einkommen. Die individuelle Berechnung führt die Agentur für Arbeit durch. Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen, mit folgenden Ausnahmen: • Grundfreibetrag –Ein Grundfreibetrag in Höhe von 150,– e je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seines Partners, mindestens jeweils 3.100,– e. – Grundfreibetrag für Menschen, die von 1948 bis 1957 geboren sind: maximal 9.750,– e. –Grundfreibetrag für Menschen, die von 1958 bis 1963 geboren sind: maximal 9.900,– e. 44 –Grundfreibetrag für Menschen, die ab dem 1.1.1964 geboren sind: maximal 10.050,– e. –Grundfreibetrag für jedes hilfebedürftige minderjährige Kind: 3.100,– e. • Private Altersvorsorge –Altersvorsorge (z. B. Riester-Anlageformen), welche aufgrund von bundesgesetzlichen Vorschriften ausdrücklich als Altersvorsorge gefördert wird, wird einschließlich ihrer Erträge bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht berücksichtigt – allerdings nur, wenn der Inhaber die Altersvorsorge nicht vorzeitig verwendet. – Weiteres Vermögen, das der Altersvorsorge dient, bis zu einer Höhe von 750,– e je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seines Partners, ist anrechnungsfrei. Auch hier gilt: Nur wenn das Vermögen aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung nicht vor dem Renteneintritt verwertet werden kann. • Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750,– e für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen. •Angemessener Hausrat. •Angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen. •Selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung. • Vermögen, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks von angemessener Größe bestimmt ist, so weit dieses zu Wohnzwecken behinderter oder pflegebedürftiger Menschen dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde. • Sachen und Rechte, sobald deren Verwertung unwirtschaftlich wäre oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören: • erwerbsfähige Hilfebedürftige • im Haushalt lebende Eltern oder ein im Haushalt lebender Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes unter 25 Jahren und der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils • Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen • dem Haushalt angehörende unverheiratete Kinder unter 25 Jahren des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen oder seines Partners, soweit sie nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen ihren Lebensunterhalt sichern können Bedarfsgemeinschaft 45 Überblick über die Leistungen Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende bieten die Agentur für Arbeit oder die Jobcenter folgende Leistungen: • Dienstleistungen, z. B. Information, Beratung und umfassende Unterstützung mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit. Jeder ALG-II-Empfänger bekommt einen persönlichen Ansprechpartner bei der Agentur für Arbeit, mit dem eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen wird. • Geldleistungen, z. B. zur Eingliederung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Arbeit (siehe unten) sowie zur Sicherung des Lebensunterhalts der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (ALG II) und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen (= Sozialgeld) • Sachleistungen Außerdem können weitere Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht werden, z. B.: • Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder oder häusliche Pflege von Angehörigen •Schuldnerberatung • psychosoziale Betreuung •Suchtberatung Eingliederung Als Leistungen zur Eingliederung gelten die „Arbeitsgelegen heiten mit Mehraufwandentschädigungen“. Dabei handelt es sich um die sogenannten „Ein-Euro-Jobs“. Für Empfänger von ALG II, die keine Arbeit finden können, können Kommunen, Verbände der freien Wohlfahrtspflege und Stiftungen Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Diese Arbeitsgelegenheiten dürfen auf keinen Fall reguläre Arbeitsplätze verdrängen. Diese Jobs sollen täglich bis 8 Stunden ausgeübt werden, der ALG-II-Empfänger bekommt pro Stunde zwischen 1,– und 2,– e zusätzlich zum ALG II. Es entsteht kein arbeitsrechtliches Ver hältnis. Wird diese Arbeitsmöglichkeit abgelehnt, kommt es zu Kürzungen des ALG II. Bei entsprechender Auswahl und Begleitung können diese Arbeitsmöglichkeiten auch seelisch beeinträchtigten Menschen bei der Integration in den Arbeitsmarkt oder zu einer Ausbildung verhelfen. Weitere geförderte und betreute Arbeitsmöglichkeiten siehe S. 31. Wer hilft weiter? Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende werden in der Regel von den örtlichen Agenturen für Arbeit, den Jobcentern sowie den kreisfreien Städten und Kreisen (kommunale Träger) erbracht. Sie beraten, betreuen und führen individuelle Berechnungen durch. 46 Arbeitslosengeld II und Sozialgeld Arbeitslosengeld II (ALG II) erhalten Arbeitslose nach dem Arbeitslosengeld, wenn sie erwerbsfähig und hilfebedürftig sind. Sozialgeld erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, wenn sie keine Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bekommen. Erklärungen der Begriffe „erwerbsfähig“, „hilfebedürftig“ und „Bedarfsgemeinschaft“ (siehe ab S. 43). ALG II und Sozialgeld entsprechen dem Niveau der Sozialhilfe und setzen sich im Wesentlichen auch aus denselben Bausteinen zusammen: • Pauschalisierte Regelbedarfe (= Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts). Diese sollen die Kosten für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne Heizkosten, Bedarfe des täglichen Lebens und Teilnahme am kulturellen Leben abdecken. • Kosten für Unterkunft und Heizung • Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Renten versicherng • Einmalige Bedarfe • Mehrbedarfe in besonderen Lebenssituationen Höhe und Umfang 47 48 ©Tobi82_fotolia.com Sozialhilfe Wer nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften und mit eigenen Mitteln seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder sich in besonderen Lebenslagen selbst zu helfen, hat unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Sozialhilfe. 49 Hilfebedürftige erwerbsfähige Menschen von 15 bis 65 Jahren, die mindestens 3 Stunden am Tag arbeiten können, haben keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe, sondern auf Grundsicherung für Arbeitssuchende und deren wesentliche Leistung, das Arbeitslosengeld II und Sozialgeld (siehe S. 47). Dieses entspricht in der Höhe der Sozialhilfe. Umfang Antrag Nachrangigkeit Vorleistung 50 Die Sozialhilfe umfasst folgende Leistungen: • Hilfe zum Lebensunterhalt • Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (siehe S. 55) • Hilfen zur Gesundheit (entspricht den Leistungen der Krankenkassen, inklusive der Pflicht zu Zuzahlungen) • Eingliederungshilfe für behinderte Menschen • Hilfe zur Pflege (entspricht den Leistungen der Pflegekassen) • Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten • Hilfe in anderen Lebenslagen Alle Sozialhilfeleistungen müssen beim Sozialamt beantragt werden. Die Sozialhilfe ist gegenüber allen anderen Sozialversicherungs trägern nachrangig, d. h. die Sozialhilfe tritt immer erst dann ein, wenn sich der Betroffene nicht selbst und auch nicht durch seine unterhaltspflichtigen Angehörigen (Eltern, Kinder, Eheoder Lebenspartner) helfen kann und auch kein anderer Sozial versicherungsträger (wie Krankenkasse, Pflegekasse, Berufs genossenschaft, Agentur für Arbeit, Jugendamt, Rentenversicherung) zuständig ist und Leistungen erbringt. In Vorleistung geht das Sozialamt, wenn sich die Auszahlung von Leistungen anderer Sozialversicherungsträger verzögert. Dies ist z. B. der Fall, wenn bei der Pflegekasse ein Antrag auf Pflege leistungen gestellt wurde, das Überprüfungsverfahren mehrere Wochen dauert und die Pflege schon stattfindet. Einsatz von Einkommen und Vermögen Sozialhilfe erhalten nur Personen, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, insbesondere aus eigenem Einkommen und Vermögen beschaffen können. Auch das Einkommen und Vermögen von nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern ist zu berücksichtigen. Zudem ist bei minderjährigen unverheirateten Kindern im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils auch das Einkommen und Vermögen der Eltern/des Elternteils zu berücksichtigen. Grundsätzlich zählen alle Einnahmen in Geld oder geldwerten Vorteilen zum Einkommen, z. B.: • Einnahmen aus Arbeit (selbstständig oder abhängig beschäftigt) • Arbeitslosengeld oder Krankengeld • Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung • Elterngeld über 300,– e (bei doppeltem Bezugszeitraum über 150,– e) •Betreuungsgeld Zu berücksichtigendes Einkommen Nicht zum Einkommen zählen z.B.: •Landeserziehungsgeld • Grundrente nach dem Bundesverordnungsgesetz (BGV) • Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz bis zur Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz • Elterngeld in Höhe des Sockelbetrags von 300,– e bzw. 150,– e (bei doppeltem Bezugszeitraum) •Landeserziehungsgeld • Mittel der Bundesstiftung „Mutter und Kind” und Zuwendungen anderer Stiftungen, z. B. für Krebshilfe, für ConterganGeschädigte oder aus Aidshilfe-Fonds für durch Blutkonserven Infizierte •Schmerzensgeld • Pflegegeld (Pflegegeld Pflegeversicherung, Pflegegeld Sozialhilfe, Pflegegeld Unfallversicherung) Vom Einkommen sind unter anderem abzuziehen: • Steuern und Sozialabgaben • Gesetzlich vorgeschriebene oder angemessene Versicherungsbeiträge 51 Zu berücksichtigendes Vermögen 52 Neben dem Einkommen wird auch das Vermögen herangezogen. Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Ausnahmen bildet das sogenannte „Schonvermögen“: • Grundfreibeträge (siehe S. 44) • Existenzsicherungsmittel aus öffentlichen Mitteln, z. B. Aufbaudarlehen, Wohnraum- und Hausratshilfen nach dem Lastenausgleichsgesetz. • Zusätzliche Altersvorsorge, die staatlich gefördert ist. • Angemessener Hausrat, z. B. Möbel, Haushaltsgegenstände. • Gegenstände zur Berufsausübung, z. B. Pkw bei Handelsvertretern, Arbeitsgeräte, Fachliteratur, Schutzkleidung. • Familien- und Erbstücke, so weit der Verkauf eine besondere Härte für den Hilfesuchenden bedeuten würde. • Gegenstände für kulturelle oder wissenschaftliche Bedürfnisse, z. B. Musikinstrumente, Stereoanlage, Handbibliothek, Schallplatten, Briefmarkensammlung. • Ein nach Größe und Verkehrswert angemessenes und selbst genutztes Hausgrundstück oder eine solche selbst genutzte Eigentumswohnung. • Kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte bei Hilfe zum Lebensunterhalt: – maximal 1.600,– e für Hilfesuchende unter 60 Jahren. – maximal 2.600,– e, wenn der Hilfesuchende das 60. Lebensjahr vollendet hat, voll erwerbsgemindert im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhält. • Kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte bei Gesundheitshilfe, Eingliederungshilfe für Behinderte, Hilfe zur Pflege (Pflege Sozialhilfe), Hilfe zur Überwindung besonderer Sozialer Schwierigkeiten, Hilfe in anderen Lebenslagen: – maximal 2.600,– e für Hilfesuchende, zuzüglich 256,– e für jede vom Hilfesuchenden unterhaltene Person. • Zusätzliche kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte bei allen Leistungen der Sozialhilfe: – maximal 614,- e für den Ehegatten bzw. Lebenspartner des Hilfesuchenden oder für einen Elternteil bei minderjährigen unverheirateten Hilfesuchenden. – maximal 1.534,- e für den Ehegatten bzw. Lebenspartner der Hilfesuchenden oder für einen Elternteil bei minder jährigen unverheirateten Hilfesuchenden, wenn der Hilfe suchende und sein Ehegatte bzw. Lebenspartner oder beide Elternteile blind (Blindenhilfe) oder schwerst pflegebedürftig (Pflegestufe III) sind. – maximal 256,– e für jede vom Hilfesuchenden, Ehegatten, Lebenspartner oder von den Eltern unterhaltene Person. – maximal 256,– e für den minderjährigen unverheirateten Hilfesuchenden selbst. Sozialhilfeempfänger können 30 % des aus Erwerbstätigkeit erzielten Einkommens, höchstens jedoch 195,50 e (= 50 % der Regelbedarfsstufe 1) für sich behalten. Hier wird davon ausgegangen, dass eine Erwerbstätigkeit eines Sozialhilfeempfängers einen geringeren Umfang als 3 Stunden pro Tag hat, denn bei höherer Leistungsfähigkeit würde er Grundsicherung für Arbeitssuchende (siehe S. 43) erhalten. Hinzuverdienst Das Sozialamt klärt im Zuge seiner Leistung für den Hilfebedürftigen, ob dessen Angehörige unterhaltspflichtig sind. Es wird unterschieden zwischen gesteigert Unterhaltspflichtigen, normal Unterhaltspflichtigen und nicht Unterhaltspflichtigen. Unterhaltspflicht Gesteigert unterhaltspflichtige müssen einen höheren Unterhalt leisten und können einen geringeren Selbstbehalt beanspruchen. Gesteigert unterhaltspflichtig sind z. B.: • Eltern gegenüber ihren minderjährigen und unverheirateten Kindern, • Eltern gegenüber ihren volljährigen und unverheirateten Kindern bis zu deren Alter von 21 Jahren, wenn diese im Haushalt der Eltern wohnen und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden, sowie • Ehegatten, gleichgeschlechtliche Lebenspartner und Partner in eheähnlicher Gemeinschaft untereinander. Wer hilft weiter? Zuständig sind die örtlichen Sozialämter und die überörtlichen Träger der Sozialhilfe. Die überörtlichen Träger sind in der Regel für Hilfen zuständig, die in Einrichtungen gewährt werden; die örtlichen Sozialämter in Landkreisen, großen und kreisfreien Städten für alle anderen Hilfen. Gemeinden sind nicht Träger der Sozialhilfe, können aber als erste Anlaufstelle genutzt werden und wissen, wie und wo die Ansprechpartner erreichbar sind. Sehr viele Beratungsstellen informieren über Fragen der Sozialhilfe und angrenzende Gebiete. 53 Hilfe zum Lebensunterhalt Wenn umgangssprachlich von „Sozialhilfe“ gesprochen wird, ist meist die Hilfe zum Lebensunterhalt gemeint. Ihre Höhe summiert sich aus den folgenden Leistungen: • Regelsätze der Sozialhilfe (siehe Tabelle) • Kosten für Unterkunft und Heizung, wenn sie angemessen sind • Mehrbedarfe bei Schwangerschaft, Alleinerziehung, Behinderung oder kostenaufwendiger Ernährung • Einmalige Hilfen für –Erstausstattung für Bekleidung (z. B. nach Brand) –Bekleidung für Schwangere und Erstausstattungen für Neugeborene –Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten –mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen schulrechtlicher Bestimmungen • Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung Seit 1.1.2014 gelten folgende Regelsätze: RS* Regelsätze für 1 Volljährige Alleinstehende oder Alleinerziehende 391,– 2 Volljährige Ehe- oder Lebenspartner in einer Bedarfsgemeinschaft (= gemeinsamer Haushalt) jeweils 353,– 3 Sonstige Volljährige in einer Bedarfsgemeinschaft 313,– 4 Jugendliche vom 14. bis zum 18. Geburtstag jeweils 296,– 5 Kinder vom 6. bis zum 14. Geburtstag jeweils 261,– 6 Kinder bis zum 6. Geburtstag jeweils 229,– * RS = Regelbedarfsstufe 54 Höhe € ©Wissmann Design_fotolia.com Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Die Grundsicherung soll den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt von Menschen sicherstellen, die wegen Alters oder aufgrund voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und deren Einkünfte für den notwendigen Lebensunterhalt nicht ausreichen. Leistungsberechtigt sind Menschen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, • die die Altersgrenze für die Regelaltersrente erreicht haben (2014: 65 Jahre und 3 Monate) oder • die das 18. Lebensjahr vollendet haben und – unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage – aus medizinischen Gründen dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen (siehe S. 51) bestreiten können. Voraussetzungen Für Personen, die nach dem 31.12.1946 geboren sind, wird seit 2012 die Altersgrenze für die Grundsicherung im Alter schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Nicht leistungsberechtigt sind Personen, • deren zu versteuerndes Gesamteinkommen der Eltern oder Kinder jährlich 100.000,– e übersteigt. Bei einer Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihrem Kind wird das gemeinsame Einkommen betrachtet, bei Kindern gegenüber ihren Eltern gilt diese Einkommensgrenze für jedes einzelne Kind. • die ihre Bedürftigkeit in den letzten 10 Jahren vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. 55 Umfang und Höhe Die Grundsicherung ist abhängig von der Bedürftigkeit und entspricht in der Höhe der Hilfe zum Lebensunterhalt in der Sozial hilfe (siehe S. 39). Die Grundsicherung setzt sich aus folgenden Leistungen zusammen: • Regelsatz der Sozialhilfe • Angemessene tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung • Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, wenn keine Pflichtversicherung besteht •Mehrbedarfszuschläge • Einmalige Leistungen • Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen, insbesondere Übernahme von Mietschulden Von diesem Bedarf werden die eigenen Einkünfte abgezogen, die Differenz wird als Grundsicherung ausgezahlt. Sind die Einkünfte höher als der Bedarf, besteht kein Anspruch auf eine Grund sicherungsleistung. Dauer Die Grundsicherung wird in der Regel für 12 Kalendermonate bewilligt. • Erstbewilligung Die Auszahlung beginnt am Ersten des Monats, in dem der Antrag gestellt worden ist. • Änderung der Leistung Die Auszahlung beginnt am Ersten des Monats, in dem die Voraussetzungen für die Änderung eingetreten und mitgeteilt worden sind. Bekommt der Berechtigte infolge der Änderung weniger Leistungen, beginnt der neue Bewilligungszeitraum am Ersten des Folgemonats. Wer hilft weiter? Der Antrag kann beim zuständigen Sozialamt gestellt werden, in dessen Bereich der Antragsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. 56 ©wavebreakmediamicro_fotolia.com Rehabilitation Die Rehabilitation (Reha) ist ein sehr großer und komplexer Bereich, für den alle Versicherungsträger zuständig sein können. 57 Grundsätzlich gilt: Reha(bilitation) geht vor Rente (§ 9 SGB VI). Das heißt: Es wird möglichst versucht, mit Rehamaßnahmen den Renteneintritt zu verhindern oder zu verzögern. Ambulant vor stationär (§§ 23 Abs. 4, 40 Abs. 2 SGB V). Das heißt: Erst wenn ambulante Maßnahmen nicht ausreichen, werden stationäre Leistungen erbracht. Bereiche der Rehabilitation Hier ein kurzer Überblick über die Bereiche der Rehabilitation: • Medizinische Leistungen zur Rehabilitation Sie dienen insbesondere der Ausheilung einer Erkrankung und der Wiederherstellung der Gesundheit. • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Sie werden auch als „berufsfördernde Maßnahmen“ bezeichnet und sollen die Erwerbsfähigkeit Behinderter erhalten, verbessern, (wieder-)herstellen und möglichst dauerhaft sichern. • Ergänzende Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe Diese dienen dazu, das Ziel der Rehamaßnahmen zu erreichen und zu sichern. Dazu zählen z. B. Übergangsgeld, Haushalts hilfe, Reisekosten, Kinderbetreuungskosten. • Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft („soziale Reha“). 58 Zuständigkeit Nahezu alle Träger der Sozialversicherung können für die Kostenübernahme von Rehamaßnahmen zuständig sein: • Krankenkassen sind zuständig bei Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation, soweit es um den Erhalt oder die Wiederherstellung der Gesundheit geht und wenn nicht andere Sozialversicherungsträger solche Leistungen erbringen. • Rentenversicherungsträger erbringen Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn die Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder schon gemindert ist und durch die Rehamaßnahme wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann und wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllt sind. • Berufsgenossenschaften sind bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten für die gesamte Rehabilitation verantwortlich. • Agenturen für Arbeit übernehmen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn kein anderer Sozialversicherungsträger hierfür zuständig ist. • Sozialämter treten nachrangig für die Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben ein, wenn kein anderer Sozialversicherungsträger vorrangig zuständig ist. • Jugendämter erbringen Leistungen zur Teilhabe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und hiervon Bedrohte bis zu einem Alter von 26 Jahren, wenn kein anderer Träger der Sozial versicherung zuständig ist. Zuständigkeitsklärung Spätestens 2 Wochen nachdem ein Antrag auf Reha-Leistungen bei einem Reha-Träger eingegangen ist, muss dieser Träger geklärt haben, ob er hierfür zuständig ist. Die „Zuständigkeitsklärung“ soll verhindern, dass ein Antrag zwischen verschiedenen Trägern hin- und hergeschoben wird. Nach einer weiteren Woche wird über die beantragte Leistung entschieden, außer der Antrag wurde – bei Erklärung der Unzuständigkeit – an einen weiteren Reha-Träger weitergeleitet. Die Weiterleitung erfolgt (automatisch) durch den Träger, der zunächst den Antrag erhielt. Dieser „weitere“ (= zweite) Träger entscheidet innerhalb von 3 Wochen, nachdem der Antrag bei ihm eingegangen ist. 59 Eine nochmalige Weiterleitung gibt es nicht, auch wenn sich später herausstellen sollte, dass der zweite Träger nicht zuständig ist. Die Erstattung der Aufwendungen erfolgt dann zwischen den Trägern, ohne Auswirkung auf den Versicherten. Sofern ein Gutachten zur Ermittlung des Reha-Bedarfs nötig ist, muss das Gutachten 2 Wochen nach Auftragserteilung vorliegen und die Entscheidung über den Antrag 2 Wochen nach Vorliegen des Gutachtens getroffen sein. Wer hilft weiter? Wenn eine Rehabilitation empfohlen, aber noch nicht beantragt wurde, weil erst geklärt werden muss, wer als Kostenträger zuständig ist, sind die dafür eingerichteten „Servicestellen“ die richtigen Ansprechpartner. Es gibt sie bei fast allen Krankenkassen und Kommunen. Sie arbeiten rehaträgerübergreifend. Stationäre Medizinische Rehabilitation Bei einer stationären Medizinischen Reha(bilitation) (umgangssprachlich „Kur“) wohnt der Patient für die Zeit der Rehamaßnahme in einer entsprechenden Einrichtung. Stationäre Rehamaßnahmen sind z. B. bei Nachbehandlungen schwerer Erkrankungen möglich, hierzu zählen auch Psychosen. Voraussetzungen Dauer 60 Voraussetzungen für die Beantragung von stationären Rehamaßnahmen sind: • Eine ambulante Rehamaßnahme reicht nicht aus. • Die stationäre Aufnahme ist aus medizinischen Gründen erforderlich. Stationäre Rehamaßnahmen dauern längstens 3 Wochen. Eine Verlängerung aus medizinischen Gründen ist möglich. Den Antrag auf eine Medizinische Rehamaßnahme beim zuständigen Träger (siehe oben) sollte zweckmäßigerweise der Arzt gemeinsam mit dem Patienten stellen. Erforderlich sind ggf. eine ärztliche Bescheinigung, Arztbericht(e) und ein eigenes, persönliches Schreiben. Der Leistungsumfang bei Rehamaß nahmen liegt im Ermessen des Sozialversicherungsträgers und wird aufgrund medizinischer Erfordernisse festgelegt. Antrag Antragstellung bei der Krankenkasse Erkennt der behandelnde Arzt die Notwendigkeit einer Reha, so muss er bei der Krankenkasse einen Antrag auf „Einleitung von Leistungen zur Rehabilitation oder alternativen Angeboten“ stellen. Kommt nach Ansicht der Krankenkasse eine Rehamaßnahme und sie selbst als Kostenträger in Betracht, dann bekommt der Arzt die „Verordnung von medizinischer Rehabilitation“ zugeschickt. Falls der Antrag bei einem anderen Kostenträger (z. B. Rentenversicherungsträger) gestellt werden muss, wird dies von der Krankenkasse mitgeteilt. Antragstellung mit ausführlicher Begründung Eigentlich genügt bei den Anträgen auf Rehamaßnahmen die Angabe der Indikationen nach der ICD 10 (Internationale Klassi fikation der Krankheiten). Es ist jedoch mittlerweile fast zur Regel geworden, dass der Arzt die Notwendigkeit der medi zinischen Rehabilitation ausführlich begründet. Auf jeden Fall vermindert es das Risiko einer Ablehnung beim Kostenträger, wenn dem Antrag sofort eine ausführliche ärztliche Begründung beigefügt wird. Es kann durchaus sein, dass der MDK (Medizi nischer Dienst der Krankenversicherung) über das ärztliche Attest hinaus den Patienten zu einer Begutachtung einlädt, um die Notwendigkeit der Rehamaßnahme zu prüfen. Stationäre medizinische Rehamaßnahmen dürfen nicht auf den Urlaub angerechnet werden. Deshalb besteht auch Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber (siehe S. 39). Urlaub Die Leistung wird in der Regel im Inland erbracht. • Ist der Kostenträger die Krankenkasse, kann der Patient eine zugelassene und zertifizierte Reha-Einrichtung selbst wählen. Sind die Kosten höher als bei den Vertragseinrichtungen der Krankenkasse, zahlt der Patient die Mehrkosten. Die letzte Entscheidung liegt bei der Krankenkasse. • Ist der Kostenträger die Rentenversicherung, kann der Arzt eine Reha-Einrichtung vorschlagen. Soll die Maßnahme in einer bestimmten Einrichtung stattfinden, muss der Arzt das ausdrücklich vermerken und möglichst auch begründen. Auch die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie oder die religiösen Bedürfnisse der Betroffenen sollten bei der Wahl eine Rolle spielen und berücksichtigt werden. Wahl der Reha-Einrichtung 61 Wartezeit Zwischen 2 bezuschussten Rehamaßnahmen muss in der Regel ein Zeitraum von 4 Jahren liegen. Nicht anzurechnen sind Leistungen zur medizinischen Vorsorge. Ausnahmen macht die Krankenkasse nur bei medizinisch dringender Erforderlichkeit. Dies muss mit Arztberichten oder einem Gutachten des behandelnden Arztes bei der Krankenkasse begründet werden. Der Rentenversicherungsträger genehmigt Medizinische Reha maßnahmen vor Ablauf der 4-Jahres-Frist, wenn vorzeitige Leistungen aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich sind, weil ansonsten mit einer weiteren Minderung der Leistungsfähigkeit zu rechnen ist. Zuzahlung 62 Versicherte ab Vollendung des 18. Lebensjahres müssen bei fast allen stationären Rehamaßnahmen 10,– e Zuzahlung pro Tag leisten: • In der Regel zeitlich unbegrenzt für Rehamaßnahmen der Krankenkasse. • Längstens 42 Tage innerhalb eines Kalenderjahres für stationäre Medizinische Rehamaßnahmen des Rentenversicherungsträgers. Bereits im selben Kalenderjahr geleistete Zuzahlungen an den Rentenversicherungsträger und die Krankenkasse werden angerechnet. • Findet die stationäre Rehamaßnahme als Anschlussheilbehandlung statt, so begrenzt sich die Zuzahlung bei der Krankenkasse auf 28 Tage und beim Rentenversicherungsträger auf 14 Tage. Eine bereits geleistete Zuzahlung für die vorhergegangene Krankenhausbehandlung wird berücksichtigt. Berufliche Rehabilitation/ Teilhabe am Arbeitsleben „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ umfassen alle Rehamaßnahmen, die die Arbeits- und Berufstätigkeit von kranken und/oder behinderten Menschen fördern. Sie werden von verschiedenen Trägern übernommen, um die Erwerbsfähigkeit herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern und die Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Praxistipp! Die Anträge auf Kostenübernahme für die jeweiligen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sollten gestellt werden, bevor die Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Aus Gründen der Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolgs der Reha können die Maßnahmen auch stationär erbracht werden. Das umfasst neben der Unterkunft auch die Verpflegung, wenn die Unterbringung außerhalb des eigenen oder elterlichen Haushalts erforderlich ist, d. h. wenn aufgrund der Erkrankung oder Behinderung ein begleitender medizinischer, psychologischer und sozialer Dienst notwendig ist. Es gibt mehrere Arten von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, unter anderem: 1. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes 2.Berufsvorbereitung 3. Berufliche Bildung 4. Leistungen in Werkstätten für Behinderte 5. Weitere Kosten 6. Zuschüsse an den Arbeitgeber Leistungen der beruflichen Rehabilitation Nachfolgend Informationen zu den einzelnen Leistungen. 1. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes Vorrangiges Ziel ist es, den bisherigen Arbeitsplatz zu erhalten. Ist dies nicht möglich, wird nach einem anderen, geeigneten Arbeitsplatz im bisherigen oder aber in einem anderen Betrieb gesucht. 63 In diesem Rahmen übernehmen vorwiegend die Berufs genossenschaften und Rentenversicherungsträger im Zusammenwirken mit der Bundesagentur für Arbeit unter anderem folgende Leistungen: • Umsetzung im Betrieb, Vermittlung eines neuen Arbeitsplatzes in Form beruflicher Anpassung, Weiter bildung und Ausbildung. • Gründungszuschuss für Arbeitslose, die sich selbstständig machen, um dadurch die Arbeitslosigkeit zu beenden oder zu verhindern. • Fahrtkostenbeihilfe für die täglichen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle, soweit der Versicherte ansonsten unzumutbar belastet wäre und das Reha-Ziel absehbar ist. • Trennungskostenbeihilfe bei erforderlicher auswärtiger Arbeitsaufnahme und damit verbundener doppelter Haushaltsführung. Das tägliche Pendeln oder der Umzug der Familie zum Arbeitsort müssen unzumutbar sein. • Übergangsbeihilfe bei Arbeitsaufnahme bis zur ersten vollen Lohnzahlung. Die Übergangsbeihilfe wird in der Regel als Darlehen gewährt. • Umzugskostenbeihilfe soweit eine Arbeitsaufnahme am Wohnort unmöglich ist. 2.Berufsvorbereitung Zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zählt die Berufsvorbereitung einschließlich der wegen eines Gesundheitsschadens erforderlichen Grundausbildung. Darunter fallen die ganzheitliche Stabilisierung der Persönlichkeit und des sozialen Umfelds neben Aufbau und Festigung der Motivation und der beruflichen Fähigkeiten. 3. Berufliche Bildung Zur beruflichen Bildung zählen Maßnahmen zur Anpassung an den Beruf, Ausbildung und Weiterbildung einschließlich des dafür erforderlichen Schulabschlusses. Nicht dazu zählen allgemeinbildende Maßnahmen. 4. Leistungen in Werkstätten für Behinderte Die Rentenversicherungsträger übernehmen vorwiegend die folgenden berufsfördernden Maßnahmen: • bis zu 4 Wochen, maximal 3 Monaten in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte zur Arbeits- und Berufsförderung im Eingangsverfahren, 64 • bis zu 2 Jahren im Berufsbildungsbereich als berufs vorbereitende Bildungsmaßnahme, aber nur dann über 1 Jahr hinaus, wenn die Leistungsfähigkeit des Behinderten weiterentwickelt oder wiedergewonnen werden kann. 5. Weitere Kosten Die Berufsgenossenschaften und Rentenversicherungsträger übernehmen auch Kosten, die mit den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Hierzu zählen z. B.: • Lehrgangskosten, Prüfungsgebühren, Lernmittel, • Arbeitskleidung, Arbeitsgeräte (z. B. Werkzeuge) sowie • Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wenn für die Teil nehmer einer Maßnahme eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts nötig ist (z. B. unzumutbar weiter Anfahrtsweg), wegen der Art und Schwere der Erkrankung bzw. der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolgs der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. 6. Zuschüsse an den Arbeitgeber Die Reha-Träger können Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch als Zuschüsse an den Arbeitgeber leisten. Anspruchs- und antragsberechtigt ist der Versicherte; der Arbeitgeber ist „nur“ Begünstigter ohne eigenes Antragsrecht. Die Gewährung eines Zuschusses kann von Bedingungen und Auflagen abhängig gemacht werden. Zuschüsse an den Arbeitgeber gibt es z. B. als • Ausbildungszuschüsse zur betrieblichen Ausführung von Bildungsleistungen, •Eingliederungszuschüsse, • Zuschüsse für Arbeitshilfen im Betrieb, • Kostenerstattung für eine befristete Probebeschäftigung, • Umschulung, Aus- oder Weiterbildung im Betrieb. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sollen für die Zeit erbracht werden, die vorgeschrieben oder allgemein üblich ist, um das angestrebte Berufsziel zu erreichen. •Die berufliche Eingliederung dauert in der Regel bis zur Erreichung des angestrebten Berufsziels in der hierfür vorgeschriebenen oder allgemein üblichen Zeit im Sinne der notwendigen Ausbildungsdauer. •Die Ausbildung dauert in der Regel bis zu 2 Jahre bei ganztägigem Unterricht. Eine Teilförderung (eines Ausbildungs abschnitts) innerhalb einer geschlossenen Weiterbildungs maßnahme ist nicht möglich. Dauer Eine Verlängerung ist denkbar bei: • bestimmter Art und Schwere der Behinderung • Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts • voller Ausschöpfung des Leistungsvermögens des Behinderten • Erlernbarkeit des Ausbildungsberufs nicht unter 2 Jahren 65 Soziale Sicherung Bei Teilnahme an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden Beiträge zur Kranken-, Unfall-, Pflege- und Renten versicherung übernommen. Wer hilft weiter? Das Integrationsamt und die Integrationsfachdienste helfen bei Fragen der beruflichen Integration weiter. Adressen der Integrationsämter unter www.integrationsaemter.de Rehabilitation psychisch kranker Menschen Die „Rehabilitation psychisch kranker Menschen“, kurz RPK, ist ein spezieller Reha-Bereich, bei dem medizinische, berufliche und psychosoziale Hilfen aus der Hand eines multiprofessionellen Reha-Teams angeboten und Elemente der stationären und ambulanten Reha kombiniert werden. Für den Reha-Teilnehmer wird, orientiert an seinem persönlichen Bedarf, ein Hilfeplan erstellt. Durch die enge Verzahnung aller dieser Leistungen kann auf die besonderen Bedürfnisse und die schwankende Leistungsfähigkeit sehr individuell eingegangen werden. Angebote und Einrichtungen der RPK sind regional unter schiedlich. Adressen und weitere Informationen bietet die Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft RPK unter www.bagrpk.de > die PRKs > Standorte finden. 66 Übergangsgeld Übergangsgeld überbrückt einkommenslose Zeiten während der Teilnahme an Rehamaßnahmen oder an Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Übergangsgeld wird je nach Voraussetzungen vom jeweiligen Reha-Träger gezahlt. Höhe und Dauer sind im Wesentlichen einheitlich geregelt, nur die Voraussetzungen unterscheiden sich bei den Leistungsträgern. Die Berechnungsgrundlage des Übergangsgelds beträgt bei allen Trägern 80 % des letzten Bruttoverdienstes, höchstens jedoch den Nettoverdienst. Höhe Das Übergangsgeld beträgt: • 75 % dieser Berechnungsgrundlage bei Versicherten, – die ein Kind haben oder – die pflegebedürftig sind und durch ihren Ehegatten gepflegt werden, der deshalb keine Erwerbstätigkeit ausüben kann, oder – deren Ehegatte pflegebedürftig ist und keinen Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hat. • 68 % dieser Berechnungsgrundlage für die übrigen Versicherten. Die Reha-Träger zahlen Übergangsgeld • für den Zeitraum der Leistung zur Medizinischen Reha bilitation bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben. • während einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben maximal 6 Wochen bei gesundheitsbedingter Unterbrechung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. • nach einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben maximal 3 Monate bei anschließender Arbeitslosigkeit nach einer ab geschlossenen Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, soweit kein Anspruch auf Arbeitslosengeld für 3 Monate besteht. • nach Abschluss von Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben bei Erforderlichkeit weiterer Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, soweit Arbeitsunfähigkeit vorliegt und kein Anspruch auf Krankengeld oder keine Vermittelbarkeit in eine zumutbare Beschäftigung besteht. Allerdings wird in diesem Fall das Übergangsgeld reduziert. • Findet eine Stufenweise Wiedereingliederung (siehe S. 29) im unmittelbaren Anschluss (maximal 14 Tage) an Leistungen zur medizinischen Reha statt, dann wird das Übergangsgeld bis zu deren Ende gezahlt. Dauer Wer hilft weiter? Individuelle Auskünfte erteilt der zuständige Sozialversicherungsträger: Rentenversicherungsträger, Berufsgenossenschaften oder Agentur für Arbeit. 67 68 ©openwater_fotolia.com Krankenversicherung Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die Kosten für Leistungen, soweit es um den Erhalt der Gesundheit oder die Wiederherstellung der Gesundheit nach einer Krankheit geht. Zuständig sind die Krankenkassen. 69 Krankenversicherungsschutz Ein durchgängiger Versicherungsschutz ist die Grundvoraussetzung, um eine adäquate Behandlung zu erhalten. Eine Gefahr bei Menschen mit psychiotischen Störungen ist, dass sie durch das Verstreichenlassen von Fristen oder die Nichtbeachtung von Formalitäten ihren Krankenversicherungsschutz verlieren können. Kritisch ist insbesondere das Auslaufen des Krankengelds und die damit verbundene Aussteuerung (Details siehe S. 41) aus der Krankenkasse. Hierauf sollten Patienten, Angehörige und Betreuer/Therapeuten in besonderer Weise achten. Praxistipp! Auf folgende Punkte ist beim Krankenversicherungsverhältnis zu achten: • Pflichtversicherte Mitglieder der Krankenkasse Ihnen kann Aussteuerung drohen und die Weiterversicherung muss mit der Krankenkasse geregelt werden. Wird einem Arbeitnehmer gekündigt und er erhält keine anderweitigen Leistungen, z. B. Krankengeld oder Arbeits losengeld II, über die er krankenversichert ist, muss ebenfalls die Weiterversicherung mit der Krankenkasse geregelt werden. • Freiwillig versicherte Mitglieder der Krankenkasse Besonders zu achten ist auf die Weiterbezahlung der Beiträge, sonst ruhen die Leistungen und der Patient erhält nur Leistungen für unaufschiebbare Behandlungen. • Privat Krankenversicherte Besonders zu achten ist auf die Weiterbezahlung der Beiträge, sonst drohen vertragsrechtliche Konsequenzen. Auf jeden Fall sollten Angehörige oder Betreuer in einer Akutphase auf Krankenversicherungsangelegenheiten achten und ggf. Kontakt zur Krankenversicherung aufnehmen, da der Betroffene zum Teil hierzu nicht mehr in der Lage ist und/oder die Konsequenzen nicht abschätzen kann. 70 Wer hilft weiter? Mit der Krankenkasse ist abzuklären, wie der Versicherungsschutz und die Beitragszahlungen weiterhin geregelt werden können. Beim Sozialamt oder beim Job Center gibt es unter bestimmten Voraussetzungen einen Zuschuss zur Beitragszahlung. Befindet sich der Patient in stationärer Behandlung, kann auch der Sozialdienst der Klinik angesprochen werden, damit dieser den weiteren Versicherungsschutz und gegebenenfalls den zuständigen Kostenträger klären kann. Säumige Beitragszahler Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung, die ihre Beiträge nicht zahlen (Rückstand mindestens so hoch wie 2 Monatsbeiträge), obwohl sie dazu in der Lage wären, erhalten nur noch Leistungen für unaufschiebbare Behandlungen, z. B. Behandlung bei akuten Schmerzen, sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Der Anspruch für alle sonstigen Krankenversicherungsleistungen ruht so lange, bis die rückständigen Beiträge samt Säumniszuschlägen (1 % der Beitragsschulden) ausgeglichen sind. Ausgenommen von dieser Regelung sind Familienversicherte. Sie erhalten weiterhin alle Leistungen. Privat Versicherte, die ihre Beiträge nicht zahlen, werden in den Notlagentarif umgestuft. Dieser umfasst nur die Notfallversorgung. Wenn alle Schulden beglichen sind, kann die Versicherung im ursprünglichen Tarif fortgesetzt werden. Wer hilft weiter? Fragen zur gesetzlichen Krankenversicherung und zum Versicherungsschutz beantwortet das Bürgertelefon des Gesundheitsministeriums: Mo–Do 8–18 Uhr und Fr 8–15 Uhr, Telefon 030 3406066-01. 71 Zuzahlungen Bei zahlreichen Leistungen der Krankenversicherung muss der Patient Zuzahlungen leisten. Die folgende Auflistung enthält auch Zuzahlungen, die bei Psychosen nicht relevant sind. Denn für eine mögliche Zuzahlungsbefreiung (siehe S. 74) werden alle Zuzahlungen einbezogen. Übersicht Zuzahlungen Arznei- und Verbandmittel Die Zuzahlung (umgangssprachlich „Rezeptgebühr“) beträgt 10 % der Kosten, mindestens 5,– e, maximal 10,– e, in keinem Fall mehr als die Kosten des Arznei- oder Verbandmittels. Preis/Kosten bis 5,– € 5,01 € bis 50,– € 50,– € bis 100,– € Ab 100,– € Zuzahlung Preis = Zuzahlung 5,– € 10 % des Preises 10,– € Diese Tabelle gilt entsprechend auch für Verbandmittel, die meisten Hilfsmittel, Haushaltshilfe, Soziotherapie und Fahrtkosten. Festbetrag: Der Festbetrag ist der erstattungsfähige Höchstbetrag bei einem Arzneimittel. Liegt der Preis eines verordneten Arzneimittels darüber, muss der Versicherte selbst den Differenzbetrag (Mehrkosten) zahlen. Die Zuzahlung richtet sich nach dem (niedrigeren) Festbetrag. In der Summe zahlt der Patient also Mehrkosten plus Zuzahlung. Den Differenzbetrag müssen auch Versicherte zahlen, die von der Zuzahlung befreit sind. Heilmittel Die Zuzahlung beträgt 10 % der Kosten zuzüglich 10,– e je Verordnung. Heilmittel sind äußerliche Behandlungsmethoden wie Ergotherapie, Massage oder Fangopackungen. 72 Hilfsmittel 10 % der Kosten, mindestens 5,– €, maximal 10,– €. Bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt die Zuzahlung 10 % je Packung, maximal jedoch 10,– € monatlich. Hilfsmittel sind Gegenstände oder Geräte, wie z. B. Hörgerät, Brille oder Rollstuhl. Häusliche Krankenpflege 10 % der Kosten pro Tag, begrenzt auf 28 Tage im Kalenderjahr, zuzüglich 10,– € je Verordnung. Häusliche Krankenpflege bedeutet, dass ein Patient zu Hause von Fachpersonal versorgt wird. Soziotherapie 10 % der Kosten pro Tag, mindestens 5,– €, maximal 10,– €. Soziotherapie ist die ambulante Betreuung schwer psychisch kranker Menschen. Haushaltshilfe 10 % der Kosten pro Tag, mindestens 5,– €, maximal 10,– €. Eine Haushaltshilfe ist eine fremde oder verwandte Person, die die tägliche Arbeit im Haushalt erledigt. Krankenhausbehandlung, Anschlussheilbehandlung 10,– € pro Kalendertag, für längstens 28 Tage pro Kalenderjahr. Bereits im selben Jahr geleistete Zuzahlungen zu Krankenhausund Anschlussheilbehandlung werden angerechnet. Ambulante und stationäre Leistungen zur Rehabilitation 10,– € pro Kalendertag an die Einrichtung, in der Regel ohne zeitliche Begrenzung. Fahrtkosten 10 % der Fahrtkosten (bei medizinisch angeordneten Fahrten), mindestens 5,– €, maximal 10,– €, in keinem Fall mehr als die Kosten der Fahrt. Folgende Zuzahlungen werden bei der Berechnung der Zuzahlungsbefreiung nicht berücksichtigt: Nicht befreiungsfähige Zuzahlungen • Zahnersatz Die Krankenkasse übernimmt: –50 % der Regelversorgungskosten (= Festzuschuss) –60 % der Regelversorgungskosten bei 5 Jahren Vorsorge (nachgewiesen durch das Bonusheft) –65 % der Regelversorgungskosten bei zehn Jahren Vorsorge (nachgewiesen durch das Bonusheft) Den Rest zahlt der Versicherte zu. Darüber hinaus gelten beim Zahnersatz besondere Härtefallregelungen. • Kieferorthopädische Behandlung 20 % der Kosten und nur, wenn zusätzlich kieferchirurgische Behandlungsmaßnahmen erforderlich sind, ansonsten zahlt der Versicherte voll. 73 Zuzahlungsbefreiung Bei zahlreichen Leistungen der Krankenversicherung muss der Patient Zuzahlungen leisten. Die Belastungsgrenze soll verhindern, dass insbesondere chronisch Kranke, Behinderte, Versicherte mit einem geringen Einkommen und Sozialhilfe empfänger durch die Zuzahlungen zu medizinischen Leistungen unzumutbar belastet werden. Die Belastungs grenze liegt bei 2 % des jährlichen Bruttoeinkommens. Chronisch Kranke Für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind, gilt eine andere Belastungs– grenze: Sie gelten bereits dann als „belastet“, wenn sie mehr als 1 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für Zuzahlungen ausgeben müssen/mussten. Definition „schwerwiegend chronisch krank“ Als „schwerwiegend chronisch krank“ gilt, wer sich wenigstens ein Jahr lang wegen derselben Krankheit mindestens einmal pro Quartal in ärztlicher Behandlung befindet und mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt: • Pflegebedürftigkeit mit Pflegestufe 2 oder 3. • Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 60 oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 60 % (Schwerbehinderte). GdB und GdS muss durch schwerwiegende Krankheit begründet sein. • Eine kontinuierliche medizinische Versorgung (ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung, Arzneimittel therapie, Versorgung mit Hilfs- und Heilmitteln) ist erforderlich, ohne die aufgrund der chronischen Krankheit nach ärztlicher Einschätzung eine lebens bedrohliche Verschlimmerung der Erkrankung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität zu erwarten ist. Rückerstattung 74 Zuzahlungen werden als „Familienzuzahlungen“ betrachtet, d. h. es werden die Zuzahlungen des Versicherten mit den Zuzahlungen seiner Angehörigen, die mit ihm im gemeinsamen Haushalt leben, zusammengerechnet. Dasselbe gilt auch bei eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Überschreiten die Zuzahlungen 2 % bzw. 1 % der o. g. Bruttoeinnahmen im Kalenderjahr (= Belastungsgrenze), erhalten der Versicherte sowie sein Ehegatte und die familienversicherten Kinder, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt leben, für den Rest des Kalenderjahres eine Zuzahlungsbefreiung bzw. den Mehrbetrag von der Krankenkasse zurückerstattet. Verschiedene Krankenkassen bieten ihren Versicherten ein Quittungsheft an, in dem sie übers Jahr alle Quittungen von Zuzahlungen sammeln können. Quittungsheft Praxistipp! Die Belastungsgrenze wird im Nachhinein wirksam, weshalb der Patient immer alle Zuzahlungsbelege aufbewahren sollte, da nicht absehbar ist, welche Kosten im Laufe eines Kalenderjahres auflaufen. Wenn ein Versicherter im Lauf des Jahres die „Belastungsgrenze“ erreicht hat, sollte er sich mit seiner Krankenkasse in Verbindung setzen. Bei Erreichen der Belastungsgrenze wird für den Rest des Jahres auch eine Zuzahlungsbefreiung bescheinigt. Es besteht auch die Möglichkeit, bereits zu Jahresbeginn die Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze (2 % bzw. 1 %) im Voraus zu leisten. Der Patient erhält dann sofort einen Befreiungsausweis und für das gesamte Kalenderjahr sind keine Zuzahlungen mehr erforderlich. Bei Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe), von Arbeitslosengeld II und von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird jeweils nur der jährliche Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 als Bruttoeinkommen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft gezählt, d. h.: Der jährliche Zuzahlungsgesamtbetrag beträgt 93,84 e, bei chronisch Kranken 46,92 e. 75 76 Schwerbehinderung Eine schwere psychotische Störung kann dazu führen, dass Patienten als behindert oder schwerbehindert eingestuft werden können. 77 Es ist in jedem einzelnen Fall abzuwägen, ob die Anerkennung als Schwerbehinderter eine Stigmatisierung und/oder Belastung darstellt, die dem Patienten zusätzliche Probleme bereiten kann, oder ob die Anerkennung hilfreich ist, weil dadurch Leistungen in Anspruch genommen werden können, die nur Schwerbehinderten offenstehen, z. B. in Zusammenhang mit der beruflichen Integration. Grad der Behinderung Der Grad der Behinderung (GdB) beziffert bei Behinderten die Schwere der Behinderung. Er wird auf Antrag durch das Versorgungsamt festgestellt, soweit er nicht bereits anderweitig festgestellt wurde, z. B. durch Rentenbescheid oder durch eine Verwaltungs- oder Gerichts entscheidung. Sozialrechtlich gilt ein Mensch mit einem festgestellten GdB von mindestens 50 als schwerbehindert und kann damit viele Nach teilsausgleiche für sich beanspruchen. Die Schwerbehinderten eigenschaft wird mit dem Schwerbehindertenausweis nachgewiesen (siehe S. 81). Grad der Behinderung bei Psychosen 78 Das Versorgungsamt richtet sich bei der Feststellung der Behinderung, des GdB und der Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises nach den sogenannten „Versorgungs medizinischen Grundsätzen“. Diese gelten bundesweit und sollen für eine möglichst einheitliche Praxis sorgen. Sie enthalten allgemeine Beurteilungsregeln und Einzelangaben darüber, wie hoch der GdB bei welchen Erkrankungen festzusetzen ist. Es handelt sich allerdings nur um einen Orientierungsrahmen, die Berechnung des GdB ist vom individuellen Einzelfall abhängig. Maßgeblich für den GdB ist vor allem die tatsächliche Leistungseinschränkung durch die Erkrankung bzw. Behinderung. Bei der Beurteilung ist vom klinischen Bild und von den Funktions einschränkungen im Alltag auszugehen. Die GdB von mehreren Erkrankungen werden dabei nicht zusammengerechnet. Maß gebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Anhaltspunkte für die Festsetzung des GdB für „Schizophrene und affektive Psychosen“: GdB Langdauernde (über ein halbes Jahr anhaltende) Psychose im floriden Stadium je nach Einbuße beruflicher und sozialer Anpassungsmöglichkeiten 5–100 Schizophrener Residualzustand (z. B. Konzentrationsstörung, Kontaktschwäche, Vitalitätseinbuße, affektive Nivellierung) mit geringen und einzelnen Restsymptomen … …ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten 10–20 …mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten 30–40 …mit mittelgradigen sozialen Anpassungs schwierigkeiten 50–70 …mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80–100 Affektive Psychose mit relativ kurz andauernden, aber häufig wiederkehrenden Phasen … … bei 1 bis 2 Phasen im Jahr von mehrwöchiger Dauer je nach Art und Ausprägung 30–50 … bei häufigeren Phasen von mehrwöchiger Dauer 60–100 Nach dem Abklingen lang dauernder psychotischer Episoden ist im Allgemeinen (Ausnahme siehe unten) eine Heilungsbewährung von 2 Jahren abzuwarten … … wenn bereits mehrere manische oder manische und depressive Phasen vorangegangen sind 50 …sonst 30 Ausnahme: Eine Heilungsbewährung braucht nicht abgewartet zu werden, wenn eine monopolar verlaufene depressive Phase vorgelegen hat, die als erste Krankheitsphase oder erst mehr als 10 Jahre nach einer früheren Krankheitsphase aufgetreten ist. 79 Antrag auf Erhöhung Verschlechtert sich der Gesundheitszustand eines schwerbehinderten Menschen oder kommt eine weitere dauerhafte Einschränkung durch eine neue Erkrankung dazu, dann sollte beim Versorgungsamt ein Antrag auf Erhöhung des GdB gestellt werden. Der Vordruck für den Antrag wird auf Anfrage vom Versorgungsamt zugeschickt und es wird geprüft, ob ein neuer Schwerbehindertenausweis mit evtl. neuen Merkzeichen aus gestellt wird. Kündigungsschutz Die Kündigung eines Schwerbehinderten bedarf in der Regel der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Die Kündigungs frist beträgt mindestens 4 Wochen. Zusatzurlaub Schwerbehinderte haben Anspruch auf zusätzlich 5 bezahlte Urlaubstage im Jahr. Bei mehr oder weniger als 5 Arbeitstagen in der Woche erhöht bzw. vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend. Gleichstellung Für Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber mindestens 30 gelten dieselben gesetzlichen Regelungen wie für Schwerbehinderte, wenn sie infolge ihrer Behinderung keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behalten können. Gleichgestellte genießen wie Schwerbehinderte einen besonderen Kündigungsschutz. Sie haben jedoch im Gegensatz zu Schwerbehinderten keinen Anspruch auf einen Zusatzurlaub von 5 bezahlten Arbeitstagen im Jahr und auf vorgezogene Altersrente ab 60 Jahren. Praxistipp! Diese Gleichstellung muss bei der Agentur für Arbeit beantragt werden. Benötigte Unterlagen: Feststellungsbescheid des Versorgungsamts sowie Arbeitsvertrag und Bescheinigung des Arbeitgebers, der den Behinderten als Schwerbehinderten einstellen bzw. weiterbeschäftigen würde. 80 Schwerbehindertenausweis Der Schwerbehindertenausweis belegt Art und Schwere der Behinderung und muss vorgelegt werden, wenn Vergünstigungen für Schwerbehinderte beantragt oder in Anspruch genommen werden. Er ist ab einem GdB von 50 erhältlich. Die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises erfolgt auf Antrag des Schwerbehinderten. Antragsformulare sind beim Versorgungsamt erhältlich. Antrag Praxistipps! Folgende Tipps können bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises helfen: • Nicht nur die Grunderkrankung, sondern auch alle zusätzlichen Beeinträchtigungen (z. B. Sehfehler) sowie Begleiterscheinungen angeben. • Kliniken und Ärzte anführen, die am besten über die angeführten Gesundheitsstörungen informiert sind. Dabei unbedingt die dem Antrag beiliegenden Schweige pflichtsentbindungen und Einverständniserklärungen aus füllen, damit das Versorgungsamt bei den angegebenen Stellen die entsprechenden Auskünfte einholen kann. • Antragstellung mit dem behandelnden Arzt absprechen. Der Arzt sollte in den Befundberichten die einzelnen Aus wirkungen der Erkrankung detailliert darstellen. Diese Kriterien, nicht allein die Diagnose, entscheiden über den Grad der Behinderung. Zusätzlich ist eine Beschreibung hilfreich, worin genau die Beeinträchtigung durch die psychische Störung im Alltag besteht, z. B. in Handlungsunfähigkeit durch das Gefühl von Bedrohung. Eventuell sollten auch die Wahr nehmungen von vertrauten Personen mit aufgeführt werden. • Bereits vorhandene ärztliche Unterlagen gleich bei Antrag stellung mit einreichen, z. B. Krankenhausentlassungsbericht, Reha-Bericht, alle die Erkrankung betreffenden Befunde in Kopie. • Lichtbild beilegen. Nach der Feststellung des GdB bekommt der Behinderte vom Versorgungsamt einen sogenannten Feststellungsbescheid. 81 Gültigkeitsdauer Der Ausweis wird in der Regel für längstens 5 Jahre aus gestellt. Ausnahme: Bei einer voraussichtlich lebenslangen Behinderung kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden. Verlängerung: Die Gültigkeit kann auf Antrag höchstens zweimal verlängert werden. Danach muss ein neuer Ausweis beantragt werden. Ausweis im Scheckkartenformat Seit 1.1.2013 kann der Schwerbehindertenausweis als Identifikationskarte im Bankkartenformat ausgestellt werden. Über den genauen Zeitpunkt der Umstellung entscheidet jedes Bundesland selbstständig. Ab 1.1.2015 wird er nur noch in dieser Form ausgestellt. Alle alten Ausweise im Papierformat, die bis 31.12.2014 ausgestellt werden, gelten noch solange, bis ihre eingetragene Gültigkeitsdauer abläuft. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bietet ein Faltblatt zum neuen Ausweis. Es kann unter www.bmas.de > Service > Publikationen kostenlos heruntergeladen oder bestellt werden. Merkzeichen Verschiedene Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis kennzeichnen die Behinderung und signalisieren, welche Vergünstigungen der Behinderte erhält. Bei Psychosen kann unter Umständen das Merkzeichen H (= hilflos) erteilt werden. Dazu muss ein GdB von 100 vorliegen. 82 © antiksu_fotolia.com Erwerbsminderungsrente „Rente“ infolge von Psychosen verursacht bei Betroffenen oft Angst und Abwehr. Die „Erwerbsminderungsrente“ wird hier vorgestellt, weil es sich um eine grundsätzlich befristete Rente handelt, d. h.: In Phasen sehr schwerer Erkrankung kann die Rente einkommenslose Zeiten überbrücken, aber der Weg zurück in die Arbeitswelt ist vorgesehen. 83 Vor einem Rentenantrag sollte aber immer intensiv überprüft werden, ob alle Reha- und beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Es gibt zwei Arten von Erwerbsminderungsrente: die volle Erwerbsminderungsrente und die teilweise Erwerbsminderungsrente. Sie werden in allen Fällen nur auf Antrag gezahlt. Anspruch auf die Erwerbsminderungsrente besteht bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres. Seit 2012 wird die Altergrenze schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Volle Erwerbsminderungsrente Voll erwerbsgemindert ist, wer aus gesundheitlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit nur eine berufliche Tätigkeit von weniger als 3 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann. Teilweise Erwerbsminderungsrente Teilweise erwerbsgemindert ist, wer aus gesundheitlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit eine berufliche Tätigkeit von mindestens 3, aber weniger als 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann. Berufsschutz Voraussetzungen Befristung Versicherte, die vor dem 2.1.1961 geboren sind und in ihrem oder einem vergleichbaren Beruf nur noch weniger als 6 Stunden arbeiten können, bekommen eine teilweise Erwerbsminderungsrente wegen Berufsunfähigkeit, auch wenn sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 und mehr Stunden arbeiten könnten. Für den Erhalt von Erwerbsminderungsrente müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: • Erfüllung der Wartezeit von 5 Jahren (= Mindestversicherungszeit) und • in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge. Die Erwerbsminderungsrente ist in der Regel befristet. Sie wird für längstens 3 Jahre gewährt. Danach kann sie wiederholt werden. Unbefristet wird die Rente nur gewährt, wenn keine Verbesserung der Erwerbsminderung mehr absehbar ist, davon ist nach 9 Jahren auszugehen. 84 Praxistipps! Dem Rentenantrag sind zweckmäßige ärztliche Unterlagen (z. B. Befundbericht des Hausarztes) sowie alle Versicherungsnachweise beizufügen, damit er möglichst schnell bearbeitet werden kann. Bei Notwendigkeit der Weiterführung der Rente ist ein neuer bzw. ein Verlängerungsantrag nötig. Im Antrag sind die Einschränkungen des Versicherten durch den Arzt möglichst genau zu beschreiben bzw. die Angaben aus dem Erstantrag zu bestätigen, falls keine Verbesserung eingetreten ist. Der Versicherte kann dabei mithelfen, indem er sich selbst genau beobachtet bzw. sich von seiner Umgebung beobachten lässt, um festzustellen, worin er im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen behindert/eingeschränkt ist. Die meisten Ärzte schätzen es sehr, wenn der Patient diese Aufzeichnungen mit zur Sprechstunde bringt. Für jeden Monat, den die Rente vor den 63. Geburtstag vorgezogen wird, gibt es einen Rentenabschlag von je 0,3 %, höchstens aber von 10,8 %. Rentenabschläge bei Erwerbsminderungsrente Das heißt: Bei einem Rentenbeginn vor dem 60. Lebensjahr beträgt der Abschlag immer 10,8 %, bei einem Rentenbeginn nach dem 63. Lebensjahr gibt es keinen Abschlag. Diese Renten kürzung ist dauerhaft, d. h. sie fällt mit dem Eintritt in eine Altersrente nicht weg und führt nach dem Tod des Versicherten auch zu einer Kürzung der Hinterbliebenenrente. Vorgezogene Monate vor dem 63. Geburtstag Dauerhafte Kürzung der Rente um 1 Monat 0,3 % 2 Monate 0,6 % 3 Monate 0,9 % 4 Monate 1,2% … … 33 Monate 9,9 % 34 Monate 10,2 % 35 Monate 10,5 % 36 Monate 10,8 % 85 Abschlagsfreie Rente seit 2012 Hinzuverdienst Seit 2012 wird die Altersgrenze für eine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente schrittweise von 63 auf 65 Jahre angehoben. Die volle Erwerbsminderungsrente wird nur dann ungekürzt ausgezahlt, wenn der Hinzuverdienst monatlich 450,– e nicht übersteigt. Bei höherem Hinzuverdienst kann die Rente nur noch in geringerer Höhe oder überhaupt nicht mehr ausgezahlt werden. Jede Erwerbstätigkeit ist dem Rentenversicherungsträger zu melden. Praxistipp! Bei der teilweisen Erwerbsminderungsrente kann die Berechnung der individuellen Hinzuverdienstgrenzen beim Rentenversicherungsträger oder z. B. bei einem Rentenberater durchgeführt werden. Wer hilft weiter? Auskünfte und Beratungsstellen vor Ort vermitteln die Rentenversicherungsträger, welche auch individuelle Renten berechnungen vornehmen. 86 © MAST_fotolia.com Pflege Psychotische Störungen können bei sehr schwerem, chronischem Verlauf manchmal zu einer Pflegebedürftigkeit führen. 87 Pflegebedürftigkeit Definition „Pflegebedürftigkeit“ Pflegebedürftig im Sinne der Pflegekassen ist, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf. Grundlage für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist der Hilfebedarf eines Menschen, den er in den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung hat. Die Schwere der Pflegebedürftigkeit wird in Pflegestufen ein geteilt. Damit eine Pflegebedürftigkeit festgestellt und der Patient in eine Pflegestufe eingestuft wird, muss die Fähigkeit, bestimmte Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auszuüben, eingeschränkt oder nicht vorhanden ist. Dies ist auch dann gegeben, wenn der Pflegebedürftige die Verrichtung zwar motorisch ausüben, ihre Notwendigkeit jedoch nicht erkennen oder nicht in sinnvoll zielgerichtetes Handeln umsetzen kann. So kann ein Mensch mit psychotischer Störung zwar durchaus körperlich in der Lage sein, sich selbst zu waschen, zu kämmen und Nahrung zu sich zu nehmen, doch er braucht Hilfen, um diese Tätigkeiten in Angriff zu nehmen. Anleitung und Beaufsichtigung Als Anleitung und Beaufsichtigung im Sinne der Pflegeversicherung gelten: • Unterstützung bei den pflegerelevanten Verrichtungen des täglichen Lebens • Teilweise oder vollständige Übernahme dieser Verrichtungen • Beaufsichtigung der Ausführung oder Anleitung zur Selbst vornahme dieser Verrichtungen Für eine vorübergehende Pflegebedürftigkeit unter 6 Monaten kommt unter Umständen die gesetzliche Krankenversicherung auf. Die entsprechende Leistung ist die sogenannte Häusliche Krankenpflege, die es speziell für Menschen mit Psychosen in Form der psychiatrischen Krankenpflege (siehe S. 91) gibt. 88 Leistungen der Pflegekassen Die Leistungen der Pflegekassen werden im Folgenden nur auszugsweise dargestellt. Über Details informieren die Pflegekassen. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen: • Häuslicher Pflege Der Patient wird im häuslichen Umfeld gepflegt. • Teilstationäre Pflege • Vollstationärer Pflege Der Patient wird im Heim gepflegt. • Kurzzeitpflege • Pflege in einer Behinderteneinrichtung Bei der häuslichen Pflege ist entscheidend, ob ein Angehöriger oder ein Pflegedienst die Pflege übernimmt. Häusliche Pflege Angehöriger pflegt: Pflegegeld Wenn ein Angehöriger oder eine nicht berufsmäßig tätige Pflegekraft den Patienten pflegt, erhält der Patient ein monatliches Pflegegeld von: Pflegestufe I ➞ 235,– e Pflegestufe II ➞ 440,– e Pflegestufe III ➞ 700,– e Pflegedienst (Sozialstation) pflegt: Pflegesachleistung Wenn ein Pflegedienst den Patienten zu Hause versorgt, erhält der Patient die sogenannte Pflegesachleistung. Der Pflegedienst rechnet monatlich mit der Pflegekasse ab. Pflegestufe I ➞ bis zu 450,– e Pflegestufe II ➞ bis zu 1.100,– e Pflegestufe III ➞ bis zu 1.550,– e Härtefall der Stufe 3 ➞ bis zu 1.918,– e Kombinationsleistung Pflegesachleistung (= Pflegedienst pflegt) und Pflegegeld (= Angehöriger pflegt) können auch miteinander kombiniert werden und werden dann anteilig von der Pflegekasse gezahlt. 89 Betreuungsleistungen bei erheblichem Betreuungsbedarf Für Pflegebedürftige mit schwerer psychischer Erkrankung kann die Pflegekasse zusätzliche Betreuungsleistungen bis zu 200,– e monatlich übernehmen. Die Mittel müssen nachweislich zweckgebunden eingesetzt werden. Auch Menschen mit stark ein geschränkter Alltagskompetenz ohne Pflegestufe bekommen je nach Betreuungsbedarf einen Betrag von der Pflegekasse. Vollstationäre Pflege Eine vollstationäre Pflege in einem Heim finanziert die Pflegekasse nur, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich sind. monatliche Höhe Pflegestufe I ➞ 1.023,– e Pflegestufe II ➞ 1.279,– e Pflegestufe III ➞ 1.550,– e Härtefall der Stufe 3 ➞ 1.918,– e Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Heim (die sogenannten „Hotelkosten“) und eventuelle Mehrkosten bei der Pflege muss der Pflegebedürftige selbst zahlen. Wenn er sich das nicht leisten kann, hilft unter Umständen das Sozialamt. Pflegegeld Pflegegeld bekommt ein Pflegebedürftiger, um eine selbst beschaffte Pflegekraft zu bezahlen. Dabei kann es sich z. B. um Angehörige, ehrenamtliche Pflegepersonen, erwerbsmäßige Pflegekräfte oder eine vom Pflegebedürftigen angestellte Pflegeperson handeln. Pflegegeld gehört im Rahmen der Pflegeversicherung zur Häuslichen Pflege und stellt die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise sicher. Für Nichtmitglieder der Pflegeversicherung tritt unter bestimmten Voraussetzungen das Sozialamt ein. Pflegegeld ist kein Einkommen des Pflegebedürftigen. Wenn der Pflegebedürftige das Pflegegeld an die pflegende Person weiterleitet, gilt dies ebenfalls nicht als Einkommen, außer der Pflegende wird im Rahmen eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses für den Pflegebedürftigen tätig. 90 Wenn die vorrangige Pflegekasse nicht oder nicht in vollem Umfang leistet, kann das Sozialamt nachrangig eintreten. Beim Pflegegeld der Sozialhilfe gelten bestimmte Einkommens grenzen. Pflegegeld der Sozialhilfe Das Pflegegeld der Sozialhilfe wird unter bestimmten Voraussetzungen gekürzt: • Werden der Pflegeperson neben dem Pflegegeld Aufwendungen erstattet oder einer Pflegefachkraft angemessene Kosten gewährt, kann das Pflegegeld um bis zu zwei Drittel gekürzt werden. • Bei teilstationärer Betreuung (Tages- oder Nachtpflege) des Pflegebedürftigen kann das Pflegegeld angemessen gekürzt werden. Wer hilft weiter? Individuelle Auskünfte erteilen die Pflegekassen und das Sozialamt. Psychiatrische Krankenpflege Sozialrechtlich gesehen ist die psychiatrische Krankenpflege ein Teil der häuslichen Krankenpflege, die von der Kranken kasse übernommen wird. In der Praxis wird häufig von „Ambulanter Psychiatrischer Pflege“ gesprochen. Bei zahlreichen psychotischen Störungen kann psychiatrische Krankenpflege verordnet werden. Eine detaillierte Auflistung der Diagnosen findet sich in den Richtlinien über die Verordnung häuslicher Krankenpflege unter Punkt 27a „Psychiatrische Krankenpflege“, Download im Internet unter www.g-ba.de > Informations-Archiv > Richtlinien > Häusliche KrankenpflegeRichtlinie. Die psychiatrische Krankenpflege dient • der Erarbeitung der Pflegeakzeptanz (Beziehungsaufbau), • der Durchführung von Maßnahmen zur Bewältigung von Krisensituationen und • der Entwicklung kompensatorischer Hilfen bei krankheits bedingten Beeinträchtigungen der Aktivitäten. Der Krankenkasse ist ein Behandlungsplan vorzulegen. 91 Voraussetzungen Häusliche Krankenpflege kann verordnet werden, wenn • eine Krankenhausbehandlung erforderlich, aber nicht ausführbar ist (z. B. Patient verweigert aus nachvollziehbaren Gründen die Zustimmung zur Krankenhauseinweisung) oder • eine Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird. In beiden Fällen handelt es sich um die sogenannte Kranken hausvermeidungspflege oder • sie zur Sicherung des ärztlichen Behandlungszieles erforderlich ist (z. B. falls der Arzt Injektionen im nötigen Umfeld nicht selbst vornehmen kann). In diesem Fall handelt es sich um eine sogenannte Sicherungspflege, und • keine im Haushalt lebende Person kann den Patienten im erforderlichen Umfang pflegen und versorgen. Spezielle Voraussetzungen für die Verordnung psychiatrischer Krankenpflege: • Der Patient weist eine ausreichende Behandlungsfähigkeit auf, damit bestehende Funktionsstörungen durch die Maßnahmen im Pflegeprozess positiv beeinflusst werden können. • Es ist zu erwarten, dass die Therapieziele vom Patienten erreicht werden können. Können diese Voraussetzungen bei erstmaliger Verordnung nicht eingeschätzt werden, ist eine Erstverordnung über einen Zeitraum von bis zu 14 Tagen zur Erarbeitung der Pflegeakzeptanz und zum Beziehungsaufbau möglich. Dabei kann auch die Anleitung der Angehörigen des Patienten im Umgang mit dessen Erkrankung Gegenstand der Leistung sein. Zeichnet sich in diesem Zeitraum ab, dass Pflegeakzeptanz und Beziehungsaufbau nicht erreicht werden können, ist eine Folgeverordnung nicht möglich. Verordnung und Behandlungsplan Die ärztliche Verordnung der psychiatrischen Krankenpflege erfolgt durch einen Vertragsarzt des Fachgebiets Nervenheil kunde, Neurologie, Psychiatrie oder Psychotherapeutische Medizin oder durch einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie. Die Verordnung durch den Hausarzt erfordert eine vorherige Diagnosesicherung durch einen der oben genannten Fachärzte. Zur Verordnung gehören der Verordnungsvordruck zur häuslichen Krankenpflege und ein vom Arzt erstellter Behandlungsplan. Dieser muss die Indikation, die Fähigkeitsstörungen, die Zielsetzung der Behandlung und die Behandlungsschritte (Behandlungsfrequenzen und -dauer) enthalten. Maßnahmen der psychiatrischen Krankenpflege und der Sozio therapie (siehe S. 17) können in der Regel nur nacheinander, nicht zeitlich nebeneinander verordnet werden. 92 Ausnahme: Die Maßnahmen ergänzen sich aufgrund ihrer jeweiligen Zielsetzung. Diese Abgrenzung gegeneinander ist dann sowohl im Behandlungsplan der psychiatrischen Krankenpflege als auch im soziotherapeutischen Betreuungsplan darzulegen. Psychiatrische Krankenpflege kann bis zu 4 Monate lang mit bis zu 14 Einheiten pro Woche (abnehmende Frequenz) verordnet werden. Dauer und Häufigkeit Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, zahlen 10 % der Kosten pro Tag für längstens 28 Tage im Kalenderjahr sowie 10,– e pro Verordnung. Eine Zuzahlungsbefreiung ist möglich, siehe S. 74. Zuzahlung Praxistipp! Herkömmliche ambulante Pflegedienste haben ihren Schwer punkt in der Regel auf der Pflege älterer Patienten. Psychiatrische Krankenpflege auf Verordnung kann aber nur ein spezialisierter Dienst für psychiatrische Krankenpflege erbringen, der mit der Krankenkasse des Patienten einen Versorgungsvertrag haben muss. Nicht in jedem Bundesland gibt es entsprechende Dienste. 93 94 © Tatyana Gladskih_fotolia.com Familie und Angehörige Die Familie merkt oft bald, dass mit dem Angehörigen „etwas nicht stimmt“. Doch als Ursachen werden eher eine Sinneswandlung oder eine vorübergehende Krise angenommen. Bis zur Diagnosestellung können Jahre vergehen und zwischenzeitlich brechen Freundschaften auseinander und manchmal sogar die Familie. 95 Betroffenen kann die Psychose dagegen plötzlich kommen. Denken und Fühlen, Wahrnehmung von Körper und Umfeld sind gestört und führen – manchmal unmerklich – dazu, dass gewohnte Lebensbahnen verlassen werden. Es kann zum Verlust des Arbeitsplatzes kommen, zum Abbruch eines Studiums, zu Auseinandersetzungen mit und Trennungen von Freunden, Verwandten oder Lebenspartnern. Rückzug aus dem gewohnten Umfeld und fehlende soziale Kontakte sind die Folgen. Umgang miteinander Im Umgang mit Menschen mit psychotischen Störungen sind grundsätzlich akute Phasen von Zeiten der Remission zu unterscheiden. In der Akutphase sind zum Teil stationäre Aufenthalte erforderlich. In der Remissionsphase helfen häufig vertraute Bezugspersonen und ein geregelter Tages ablauf – allerdings ist es sehr schwierig, hier allgemein gültige Aussagen zu machen, da die Bedürfnisse der Menschen sehr unterschiedlich sind und auch bei den einzelnen Personen je nach Befindlichkeit stark schwanken können. Achtsamkeit für sich und andere 96 Menschen mit einer Psychose sind verletzlicher und dünn häutiger als gesunde Menschen. Durch eine ständige Rücksichtnahme seitens der Angehörigen können diese aber bald ihrerseits überfordert sein. Leitlinien des Umgangs miteinander sollten eine weitestgehende Offenheit und gegenseitige Anerkennung der Bedürfnisse und Sichtweisen sein. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Patienten darf keine Selbstaufgabe der Angehörigen zur Folge haben. Als auf Dauer hilfreicher hat sich das Bemühen um Verständnis und das Hineinversetzen in die Welt des Betroffenen erwiesen. „Hilfen im Dialog“ Fragt man psychoseerfahrene Menschen, was sie in akuten Krisen brauchen, oder im Nachhinein, was zur Genesung beigetragen hat, so sind scheinbar unbedeutende Dinge wichtig: • authentische, selbstverständliche, also das „normale“ Selbstverständnis fördernde Erlebnisse, • Erfahrungen von Normalität, • Zeit, Ruhe, Geduld, • Rückzugsraum, „Spielraum“, • Gewohnheiten und Eigenarten, die den „Eigen-Sinn“ fördern (Träume, Tagebücher, Naturerlebnisse usw.) • Angehörige und Freunde, die zu einem halten, Menschen, die einfach nur „da“ sind.“ (Zitat aus: Die Blaue Broschüre, Details siehe S. 3) Wichtig ist für den Betroffenen und die Angehörigen, die psychotische Störung zu erkennen und diese Situation zu akzeptieren – wobei mit Akzeptieren kein Resignieren gemeint ist. Viel produktiver ist ein „spielerischer“ Umgang mit den ver-rückten Wahrnehmungen/Äußerungen. Mit „spielerisch“ ist hier gemeint: sehen und hören, offen und neugierig sein, näher betrachten oder sich auch wieder zurückziehen, Erfahrungen sammeln mit dem Ungewohnten und ihm auf diese Weise seine Fremdheit und seinen Schrecken nehmen, dabei aber nie die oft existenziell allumfassende Dimension der Erkrankung verharm losen. Schuldzuweisungen sollen nicht vorgenommen werden. Die Situation akzeptieren Die große Hürde auf dem Weg zur Akzeptanz ist, dass psychische Erkrankungen mit vielen falschen Vorurteilen belegt sind – in der Regel sowohl bei den Betroffenen und ihren Angehörigen als auch im Umfeld. „Unberechenbar, gefährlich, träge, dumm, unheilbar“ – in dieser Bandbreite bewegt sich das allgemeine Bild. „Gespaltene Persönlichkeiten“, „genetische Veranlagung“ und „das Elternhaus“ sind weitere Bausteine der Vorurteile, die die Betroffenen in eine (mentale) Ecke stellen, aus der sie nur schwer herausfinden. Angesichts dieser Vorurteile ist es nur allzu verständlich, dass viele Betroffene und Angehörige lange um Akzeptanz ringen müssen, mit sich und mit dem Umfeld. Inzwischen gibt es an vielen Orten trialogische Informationsund Aufklärungsprojekte unter Beteiligung von Experten, Psychose-Erfahrenen und Angehörigen, die diesen Fehl einschätzungen entgegenwirken, z. B. www.irremenschlich.de (siehe auch Psychoseseminare S. 22). 97 In die Familie einbeziehen Auch ein Mensch mit psychotischen Störungen sollte weiterhin und ganz bewusst in Familienangelegenheiten einbezogen sein. Er sollte seine Meinung zu Themen äußern, die für ihn von Belang sind. Angehörige sind oft versucht, dem Betroffenen alles abzunehmen. Dies kann jedoch die Minussymptomatik verstärken. Ziel muss sein, trotz der Psychose eine weitgehende Selbstständigkeit zu erhalten oder wiederzuerlangen. Das Machbare anstreben Psychose-Erkrankten fehlen häufig Antrieb und Energie. Dies kann entweder in der Negativsymptomatik (verminderte Aufmerksamkeit, Sprachverarmung, Gemütsverflachung, Interessenschwund und anderes) begründet sein oder als Nebenwirkung der Psychopharmaka auftreten. Hilfreich für den Patienten ist, wenn er ermutigt und unterstützt wird, so viel zu tun, wie ihm möglich ist. Dabei sollten kleine, allmähliche Schritte anvisiert werden, damit Erfolgserlebnisse möglich sind. Wichtige Bereiche, in denen Betroffene solche Unterstützung brauchen, sind Hygiene, Körperpflege und kleinere Aufgaben im Haushalt. Gemeinsame Unternehmungen 98 Manche Betroffene empfinden es als angenehm, mit einem Angehörigen eher nonverbalen Aktivitäten nachzugehen, z. B. einen Spaziergang zu unternehmen, gemeinsam fernzusehen oder zu lesen. Auch wird es von Betroffenen als hilfreich angesehen, wenn sie ihre Gefühle und Gedanken durch kreatives Gestalten ausdrücken können, z. B. durch Schreiben, Malen, Musizieren oder Töpfern. Ehrliche und positive Rück meldungen sind dabei sehr wichtig, ein falsches Lob kann die unbedingt notwendige Vertrauensbasis schnell und auf lange Zeit zerstören. Angehörige von Psychose-Patienten Bei einer psychotischen Störung wie z. B. Schizophrenie sind die Angehörigen in besonderer Weise mitbetroffen. Die Diagnose stellt eine Belastung für das ganze familiäre Umfeld dar. Deshalb ist es ratsam, dass auch die Angehörigen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Der Patient sollte davon wissen, damit er nicht das Gefühl bekommt, dass hinter seinem Rücken gehandelt wird. Nachfolgend Anhaltspunkte für Angehörige zum Umgang mit Psychose-Patienten. Sie sind der „Blauen Broschüre“ entnommen, genaue Angaben siehe S. 3. Ergänzungen, Veränderungen und Auslassungen sind mit [eckigen Klammern] gekennzeichnet. Wenn eine Psychose u. a. mit einer Verunsicherung des inneren Selbst, vielleicht auch den Verlust von eigenen Grenzen bedeutet, dann macht es keinen Sinn, wenn die Mitmenschen „selbst-los“ handeln. Es ist wichtig, dass sie zwar Rücksicht nehmen und den anderen immer wieder so selbstverständlich wie möglich einbeziehen, die eigenen Interessen und Gewohnheiten aber nicht völlig aufgeben. Orientierung [Die Gleichzeitigkeit sehr unterschiedlicher Verhaltensweisen] bedeutet vor allem für die Angehörigen eine schwierige Balance zwischen den beiden Polen, einerseits Verständnis für kindlich [wirkende Verhaltensweisen] zu zeigen, andererseits die reale Person und ihren realen Entwicklungsstand zu respektieren. Entwicklung Wenn Psychosen Rätsel aufgeben, dann steckt darin auch für die Angehörigen die Chance, mehr über sich, die Wahrnehmungen des anderen und die Bedingungen des Zusammenlebens zu erfahren. Das kann schmerzhaft sein und befreiend. Die psychotische Kommunikation kann der einzige Ausweg aus diesem Dilemma sein. Alle sind gefordert, ihre Wahrnehmung zu vervollständigen und mehr von sich selbst wahr-zu-machen. Jeweils eigene Fragen und Antworten zu finden, ist sicher nicht leicht. Wechselwirkungen festzustellen, ohne Schuld zu verteilen, ist eine hohe Kunst, die oft erst mit größerem zeitlichem Abstand gelingen kann und manchmal auch therapeutischer Hilfe bedarf. Rätsel 99 Existenzsicherung Wenn eine Psychose zum Verlust der eigenen Grenzen führt, kann das große Gefahr bedeuten. Eher für den Betreffenden selbst, seltener auch für andere. An dieser Stelle ist Gegnerschaft gefordert. Die Orientierung an den Grenzen anderer kann die einzige Orientierung sein. Die Sicherung der eigenen Existenz kann vom Handeln anderer abhängen. Für den anderen Gegner/ Gegenüber zu sein, ohne ihn klein zu machen, ist sehr schwierig. Scheuen Sie sich nicht, sich Hilfe zu holen. Dabeisein Wenn Psychosen mit panischen Ängsten zusammenhängen, so können sich diese quasi durch die Poren auf andere übertragen. Das macht es schwer, Notwendiges zu verwirklichen: Gelassenheit und Geduld, räumliche Geborgenheit, Ruhe ohne neue angstauslösende Reize, körperliche Nähe ohne Grenzüberschreitung, Anwesenheit ohne Forderung … Kontakt Wenn eine Psychose aus menschlicher Isolation erwächst oder wenn sie sich in Isolation verstärkt, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit wie auch die Schwierigkeit, den Kontakt zu halten, bzw. herzustellen. Dies geschieht oft in einem lang wierigen Ringen. Angehörige sind in dieser Situation besonders wichtig. Auch scheinbar banale Kontakte können dabei wichtig sein, wenn sie „selbstverständlich“ sind, auch seltene Kontakte, wenn sie verlässlich sind. Alltägliche Kontakte zu Nachbarn, Postboten usw. haben den Vorteil, dass sie „ungefährlich“ sind. In Psychosen Kontakt zu halten bzw. zu bekommen ist schwierig, weil notwendige Nähe und gefürchtete Grenzüberschreitung sehr nah beieinander liegen. In dieser Situation brauchen Angehörige und Profis eine Abstützung in Angehörigen- oder Balintgruppen, um den Kontakt zu sich selbst nicht zu verlieren. Grenzen des Verstehens Wenn ein Mensch sich in der Psychose unverständlich macht, so schützt er sich damit auch vor dem Verstehen: Gewissermaßen prüft er das Bemühen der anderen um Verständnis und entflieht gleichzeitig in einen Bereich, in den letztlich niemand folgen kann. Das bedeutet Einsamkeit und Eigenheit/Unangreifbarkeit. Menschen in Psychosen senden somit eine Doppelbotschaft aus, die zutiefst menschlich ist, weil sie letztlich das Spannungsfeld konzentriert, dem wir alle ausgesetzt sind: das Spannungsfeld zwischen dem sozialen Angewiesensein und der unausweich lichen Einsamkeit eines jeden Menschen. Um Verständnis zu ringen, ohne Verstehbarkeit zu fordern, also die Eigenheit des anderen zu respektieren, erfordert eine große Genauigkeit mit sich selbst. 100 Hilfen bieten Selbsthilfegruppen für Angehörige, örtliche Beratungsstellen, psychiatrische Kliniken, Gesundheitsämter und Volkshochschulen. In den Gruppen können Angehörige sich austauschen, mit anderen Angehörigen oder auch mit Fach leuten wie Ärzten, Psychologen oder Sozialpädagogen ihre Probleme erörtern und nach besseren Bewältigungsstrategien suchen. Dadurch werden Angehörige entlastet und finden mehr Ruhe und Gelassenheit im Umgang mit dem Patienten. Selbsthilfegruppen und andere Anlaufstellen Wer hilft weiter? Adressen für Selbsthilfegruppen vermitteln der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker und andere Selbsthilfeverbände, Adressen siehe S. 121. Selbstschutzmaßnahmen für Betroffene Die nachfolgenden Hinweise richten sich direkt an Betroffene, ihre Lektüre empfiehlt sich aber auch für alle Menschen, die privat oder beruflich mit psychoseerfahrenen Menschen zu tun haben. Sie sind der „Blauen Broschüre“ (Details siehe S. 3) entnommen, weil aus dieser vor allem eines spricht: das hohe Ziel eines achtsamen und respektvollen Umgangs miteinander. Ergänzungen, Auslassungen und Veränderungen sind mit [eckigen Klammern] gekennzeichnet. • Wenn Sie in eine existenzielle Krise geraten und dabei psychotisch werden, ist es hilfreich, in gewohnter Umgebung zu sein mit Menschen, die Ihnen vertraut sind, ohne allzu viel zu wollen. • Es kann hilfreich sein, gewohnte Aktivitäten beizubehalten. Bei depressiven Tendenzen sollten Sie sich für jede kleinste Kleinigkeit, die Sie noch schaffen, loben und belohnen. Vermeiden Sie fremde Maßstäbe, suchen Sie Ihre eigenen. Neigen Sie eher zu Manien, versuchen Sie herauszufinden, wie Ungewöhnliches auch im Alltag zu integrieren ist. Immer gilt: Sie müssen Ihre eigenen Maßstäbe finden. • Schön ist es, wenn Sie eine neutrale (therapeutische) Person haben, auf deren Beziehungs- und Tragfähigkeit Sie sich verlassen können und deren Urteil Sie trauen. 101 • Wenn Sie Medikamente brauchen und nehmen wollen, bestehen Sie auf einer sorgfältigen Auswahl und Abstimmung, auch wenn es möglicherweise mehrere Versuche braucht, bis das für Sie passende Medikament und seine optimale Dosierung gefunden ist. Achten Sie auf Nebenwirkungen und besprechen Sie alle Reaktionen Ihres Körpers mit Ihrem Arzt. Er sollte Ihnen zuhören, auch wenn es lange dauert. • Lassen Sie sich nicht einreden, Ihre Krise sei nur körperlich bedingt, die Psychose nur eine Transmitterstörung. Transmitter sind ein Zwischenglied im komplexen Zusammen hang von Körper, Seele und Geist. Verweisen Sie auf den differenzierten Umgang von Internisten mit Fieber, verlangen Sie auch ein Nachdenken über die Hintergründe des aktuellen Konflikts. • Wenn Sie an einer Psychoedukation teilnehmen, hören Sie gut zu: Sie werden entdecken, dass auch das Wissen der Psychiater relativ begrenzt ist. Die wirklichen Antworten lassen sich nicht per Edukation, sondern nur im Dialog finden. • Achten Sie auf die für Sie persönlich wichtigen Frühsignale, lassen Sie sich aber nicht dazu verführen, ständig alarmbereit alles zu hinterfragen und sich dauernd zu beobachten. Das verwirrt nur und kann das schönste Leben vermiesen. Suchen Sie Gruppen auf, um gemeinsam auf sich aufzupassen [oder besuchen Sie ein Psychoseseminar]. • Achten Sie auf Ihre Grundbedürfnisse: auf gesundes Essen und Trinken, auf regelmäßigen Schlaf, auf frische Luft. • Versuchen Sie einen Aktivitätsgrad zu finden, der für Sie richtig ist, nicht zu viel und nicht zu wenig. Abwechslung, aber nicht Verwirrung; Beständigkeit, aber nicht Monotonie. Was für jeden ungesund ist (z. B. Schichtarbeit), ist für Sie besonders belastend. • Achten Sie auch bei Kontakten und Beziehungen auf Ihre ganz persönlichen Maßstäbe und Bedürfnisse: Wenige gute Freunde sind besser als viele schlechte. Manchmal kann auch Rückzug schützen; aber ein wenig Austausch braucht wohl jeder. Auch entferntere, aber zuverlässige Kontakte können einen halten. • Sie sind ein Mensch mit Bedürfnissen wie jeder andere. Ihr Leben wird Krisen bringen, die nicht zu vermeiden sind. Achten Sie auf sich, seien Sie sich selbst ein Freund. Das haben viele [Menschen] verlernt. Machen Sie sich zum Maßstab, nicht die Psychose. Wer hilft weiter? Adressen für Selbsthilfegruppen vermitteln der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener und andere Selbsthilfeverbände, Adressen siehe S. 121. 102 © Atlantis_fotolia.com Wohnen Rückzugsraum zu haben, in eine soziale Gemeinschaft eingebunden zu sein, alltägliche Pflichten wie Putzen oder Kochen sowie eine Tagesstruktur zu haben, Selbstständigkeit gewinnen – das sind für psychoseerfahrene Menschen oft zentrale Heraus forderungen. Der Wohnsituation kommt deswegen große Bedeutung zu, sowohl in der ersten Zeit nach der klinischen Behandlung als auch als langfristige Lebensfrage. 103 Neben dem Wohnen im bisherigen Familienumfeld gibt es, regional stark unterschiedlich, verschiedenste geförderte und begleitete Wohnformen. Nachfolgend ein kurzer Überblick über die theoretischen Möglichkeiten. Was in der einzelnen Region tatsächlich zur Verfügung steht, inklusive Aufnahme bedingungen und (häufig) Wartezeiten, wissen in der Regel die Sozialpsychiatrischen Dienste sowie die Sozialdienste in den Kliniken. Betreute Wohnformen Im Bereich „Wohnen für psychisch kranke Menschen“ ist in den letzten Jahren viel in Bewegung gekommen ist. In dem Maß, wie die klinische Behandlung zeitlich verkürzt wird, entstehen Angebote für betreute Wohnformen. Am deutlichsten sichtbar wird das bei den psychiatrischen Kliniken, die mancherorts Klinikraum umwidmen und für offene Wohnangebote nutzen. Bei betreuten Wohnformen stehen dem Bewohner Sozialarbeiter, Ärzte, Therapeuten oder Schwestern/Pfleger zur Seite. Die fach liche Ausrichtung ist je nach Konzept unterschiedlich. Im Idealfall kommen die Betreuer aus verschiedenen Berufsgruppen und arbeiten eng zusammen. Die Betreuung richtet sich immer nach dem individuellen Bedarf und unterscheidet sich deshalb ebenfalls sehr stark, sowohl was die Themen und Ziele angeht als auch in der Intensität. Wichtig ist, dass es verbindliche Absprachen gibt, gemeinsam festgelegte Betreuungsziele und ein Netz im Hintergrund, mit dem jederzeit auf Veränderungen und Krisen reagiert werden kann. Die Betreuungsangebote umfassen z. B. • Tagesstrukturierende Hilfen • Hilfen und Anleitung im Haushalt: Putzen, Waschen, Kochen • Freizeitangebote: Sport, Ausflüge, kreatives Gestalten, kulturelle Aktivitäten, Reisen • Sozialrechtliche und finanzielle Beratung • Hilfe im Umgang mit Geld • Hilfe bei der Beantragung und Aufrechterhaltung von Rehamaßnahmen • Hilfen zur Erlangung von Arbeitsmöglichkeiten • Sicherung der medizinischen Versorgung • Einzel- und Gruppengespräche •Krisenintervention 104 Die Betreuer werden von den Trägern gestellt und finanziert, und auch hier herrscht große Vielfalt. Viele Wohnprojekte haben mehrere Träger oder einen Träger, der mit verschiedenen Partnern kooperiert. Infrage kommen z. B. der Sozialpsychiatrische Dienst, der Allgemeine Sozialdienst oder Wohlfahrtsverbände. Auch an psychiatrische Akutkliniken, Behindertenwohnheime, Werk stätten für Behinderte oder Integrationsprojekte sind teilweise Wohnmöglichkeiten angebunden. Träger Der Aufenthalt in den meisten betreuten Wohnformen ist befristet. Die Dauer reicht von wenigen Monaten bis einigen Jahren. Die oben genannten Angebote gibt es in mannigfachen Kombinationen mit den folgenden Wohnungsformen: Wohnformen • Betreutes Einzelwohnen Dabei erfolgt die Unterstützung in der eigenen Wohnung. In der Regel besucht ein Betreuer den Klienten mehrmals in der Woche zu Hause zu fest ausgemachten Terminen, nachts erfolgt keine Betreuung. Betreutes Einzelwohnen kommt insbesondere für Menschen in Frage, die schon relativ sicher mit ihrer Psychose umgehen und selbst ihren Tag strukturieren können. Ziel ist, größtmögliche Selbstständigkeit zu erreichen oder ganz ohne Betreuung zu leben. • Appartementwohnen Appartementwohnen ist eine Zwischenform zwischen betreutem Einzelwohnen und Wohngruppe. Jeder Appartementbewohner ist eigenständig, hat ein eigenes Bad und eine kleine Küche, wohnt aber in einem Appartementhaus mit anderen Betroffenen. Gemeinschaftseinrichtungen ermöglichen soziale Kontakte, aber es ist auch der völlige Rückzug möglich. Betreuer und Therapeuten haben separate Räume. • (Therapeutische) Wohngemeinschaft In einer Wohngemeinschaft (WG) wohnen mehrere Betroffene zusammen. Jeder hat ein Zimmer für sich, Bad, Wohn- und Esszimmer sowie die Küche werden gemeinschaftlich genutzt. Bei therapeutischen WGs (TWG) liegt ein deutlicherer Akzent auf dem therapeutischen Konzept, doch in der Praxis sind die Übergänge fließend und konzeptabhängig: Im einen Fall wird die Therapie betont, im anderen ist es Teil des Konzepts, die Normalität zu betonen und zu leben. In jedem Fall fördert der „normale“ Tagesablauf die Selbstständigkeit der Bewohner: durch die Tagesstruktur, das Wechselspiel von sozialem Miteinander und Rückzug in das eigene Zimmer sowie die Übernahme von Pflichten in der Gemeinschaft. In der Regel ist ein Zimmer oder Büro in der WG für die therapeutischen Begleiter reserviert. Diese sind je nach Bedarf und Konzept zeitweise oder ganztags oder auch über Nacht vor Ort. 105 • Wohngruppe Von einer Wohngruppe spricht man meist im Zusammenhang mit einem Heim. Die Bewohner bilden innerhalb eines Heims eine Art WG, lernen soziales Miteinander und die Übernahme von Pflichten wie Kochen, Waschen und Putzen. • Langzeitwohnprojekte Im Gegensatz zu den bisher genannten Formen sind Langzeit wohnprojekte auf Dauer angelegt. Bewohner sind chronisch psychisch kranke Menschen. Als Wohnformen werden Wohn gruppen, WGs oder ganze Häuser genutzt. Meist haben die Bewohner einen höheren Schutz- und Betreuungsbedarf als in den oben genannten Formen. • Eine besondere Form der Wohngemeinschaft sind SoteriaHäuser, Details siehe S. 23. • Wohnheim In einem Wohnheim nutzt der Bewohner sein Zimmer, alle anderen Einrichtungen sind Gemeinschaftseinrichtungen. Das Wohnen im Heim kann eine dauerhafte Lebensform sein, aber es besteht zunehmend die Tendenz, die Bewohner zu möglichst viel Selbstständigkeit und sozialen Wohnformen zu befähigen: über die Wohngruppe im Heim hin zur heim unabhängigen WG. Wer hilft weiter? Auf der Suche nach betreutem Wohnen helfen der Sozialdienst in der Klinik, der ambulante Sozialpsychiatrische Dienst sowie alle Träger mit entsprechenden Angeboten – das sind meist Wohlfahrtsverbände, aber auch Gemeinden und Vereine. 106 Wohnen in der Familie Das Zusammenleben mit der Familie sollte – wenn möglich – bewusst geprüft und entschieden werden. Je nach Alter und Störungsbild kann das Familienleben die erstrebenswerte Wohnform sein, weil die vertraute Umgebung und die Angehörigen Sicherheit und Geborgenheit geben. Aber ebenso kann eine familienunabhängige Wohnform Selbstständigkeit und Entwicklung erst ermöglichen. Kommt ein Patient nach einem Klinikaufenthalt (wieder) nach Hause, sollte eine ambulante Nachsorge durch ärztliche Behand lung, Beratungsstellen, Ambulanzen und/oder Tagesstätten für psychisch kranke Menschen (siehe S. 34) gewährleistet sein. Dem Betroffenen sollte ermöglicht werden, eine Balance zwischen Rückzug und Teilnahme am Familienleben zu finden. Dazu sollten ihm räumliche Rückzugsmöglichkeiten geschaffen werden. Details zum Umgang miteinander siehe S. 96. Ein wichtiges Thema ist der Auszug junger, psychotisch erkrankter Menschen aus der elterlichen Wohnung. Fast allen Eltern fällt es schwer, ihre Kinder gehen zu lassen, für ein psychisch gefährdetes Kind gilt das umso mehr. Für den jungen Erwachsenen ist die Loslösung aus dem Elternhaus ein großer Schritt, der mit einem Therapeuten sorgfältig geplant werden sollte. Denn der Umbruch kann sowohl positiv als auch negativ wirken. Stützend kann hier der Umzug in eine der oben auf geführten betreuten Wohnformen wirken. Wohngeld Wohngeld ist ein staatlicher Zuschuss zu den Kosten für Wohnraum. Dieser Zuschuss wird entweder als Mietzuschuss für Mieter einer Wohnung oder als Lastenzuschuss für Eigentümer eines Hauses oder einer Wohnung gewährt. Wohngeld ist abhängig von der Zahl der Familienmitglieder, deren Einkommen und der regional unterschiedlichen Höhe der zuschussfähigen Miete oder Belastung. Das Wohngeld wird in der Regel für 12 Monate gewährt und muss möglichst vor Ablauf der Bezugszeit neu beantragt werden. 107 Keinen Anspruch auf Wohngeld haben Empfänger von • Arbeitslosengeld II und Sozialgeld, • Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderungsrente und • Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Sozialhilfe, bei deren Leistungen bereits Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt und abgedeckt worden sind. Schwerbehinderte – besonderer Freibetrag Bei Patienten, die eine Anerkennung als Schwerbehinderte haben, wird bei der Ermittlung des für das Wohngeld maß geblichen Jahreseinkommens ein Freibetrag abgezogen: Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 ➞ 1.500,– e Schwerbehinderte mit einem GdB von mindestens 80 und häuslicher Pflege bedürftigkeit ➞ 1.500,– e Schwerbehinderte mit einem GdB von 50 bis unter 80 und häuslicher Pflegebedürftigkeit ➞ 1.200,– e Wer hilft weiter? Der Antrag auf Wohngeld erfolgt bei der örtlichen Wohngeld stelle, die auch weitere Auskünfte erteilt. Hier können auch die lokalen Wohngeldtabellen eingesehen werden. Die Stadt- oder Gemeindeverwaltung des Wohnorts nennt die zuständige Stelle bzw. das zuständige Amt für Wohngeld. Informationen und Downloads beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, www.bmvbs.de/ Wohnen > Bauen und Wohnen > Wohnraumförderung > Wohngeldtabellen Unter anderem gibt es dort die Broschüre „Wohngeld 2014 – Ratschläge und Hinweise“ als Download. 108 © kurhan_fotolia.com Autofahren und Führerschein Die meisten Menschen wollen selbstständig und mobil sein und deshalb Auto fahren. Doch wer sich infolge körperlicher oder geistiger Einschränkungen (dazu können auch psychotische Störungen zählen) nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn er selbst Vorsorge getroffen hat, dass er andere nicht gefährdet, z. B. durch Anbringen geeigneter Einrichtungen oder Beisein einer Begleitperson (§ 2 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung). 109 Ist ein Patient fahruntauglich und steuert dennoch ein Kraft fahrzeug, macht er sich strafbar und muss für mögliche Schäden selbst aufkommen. Bei einem Unfall muss er mit strafrechtlichen und versicherungsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Erstantrag auf Führerschein Der Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis ist bei der Führer scheinstelle im Landratsamt oder bei der Stadtverwaltung zu stellen. Die Antragstellung kann auch über die Fahrschule erfolgen. Bei diesem Antrag ist anzugeben, ob eine körperliche oder geistige Einschränkung vorliegt. Dies sollte der Antragsteller wahrheitsgemäß angeben. Die Führerscheinstelle entscheidet dann, ob und welche Gutachten beizubringen sind und wer diese erstellen kann. Führerschein und schwere Krankheit Nach schweren Krankheitsphasen ist der behandelnde Arzt verpflichtet, Führerscheininhaber auf mögliche Einschränkungen und Gefahren hinzuweisen. Der Arzt lässt den Patienten in der Regel auch schriftlich bestätigen, dass er auf die Gefahr hingewiesen wurde, andernfalls kann der Arzt für die Kosten möglicher Unfälle haftbar gemacht werden. Oft steht diese Empfehlung auch im Abschlussbericht von Rehamaßnahmen. Ob der Patient dies dann bei der zuständigen Führerschein- bzw. Kfz-Zulassungsstelle meldet und seine Fahrtauglichkeit überprüfen lässt, bleibt diesem selbst überlassen. Auch Fahrradfahrer, die nach einer schweren Erkrankung am Verkehr teilnehmen und aufgrund ihres Gesundheitszustands einen Unfall verursachen, können ihren Führerschein verlieren. Bei entsprechendem Verdacht macht die Polizei eine Mitteilung an die Führerscheinstelle, welche dann den Patienten auffordert, die Fahrtauglichkeit prüfen zu lassen. 110 Zweifel an der Fahrtauglichkeit Bestehen Zweifel an der Fahrtauglichkeit, z. B. bei einer Verkehrsroutinekontrolle durch die Polizei, fordert die Führerscheinstelle in der Regel ein fachärztliches Gutachten. Der Facharzt sollte nicht der behandelnde Arzt sein. Bestehen laut diesem Facharztgutachten noch immer Bedenken, fordert die Führerscheinstelle ein medizinisch-psychologisches Gutachten bzw. eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU). Die MPU setzt sich aus folgenden Teilen zusammen: • Fragebögen, die vom Patienten ausgefüllt werden müssen, als Vorbereitung des Arzt- und Psychologengesprächs • Leistungstests zur Prüfung der Reaktions- und Wahr nehmungsfähigkeit sowie der Reaktionsgeschwindigkeit • Medizinischer Bereich: Körperlicher Allgemeinzustand, Sinnesfunktionen, fachärztlicher Befund, neurologischer Befund (falls erforderlich), Medikamenteneinnahme werden berücksichtigt. • Psychologischer Bereich: Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Orientierung, Reaktion, Belastbarkeit werden beurteilt. Im Gespräch mit dem Arzt und Psychologen geht es um die Einstellungen zum Straßenverkehr (Vorausschauen, Planen, Erkennen von Gefahren), aber auch um die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung und den Umgang mit Schwierigkeiten. Autofahren bei Psychosen In der Akutphase einer Psychose darf kein Fahrzeug geführt werden. Nach dem Abklingen der akuten Symptome darf ein Fahrzeug geführt werden, allerdings abhängig von der Art und Prognose des Grundleidens: • Organisch-psychische Störungen Ein Fahrzeug darf wieder geführt werden, wenn das Grundleiden eine positive Beurteilung zulässt und weder Restsymptome noch ein chronisches, hirnorganisches Psychosyndrom vorliegen. In der Regel sind regelmäßige Nach untersuchungen erforderlich. 111 • Affektive Psychosen Ein Fahrzeug darf wieder geführt werden, wenn nicht mit dem Wiederauftreten der Symptome gerechnet werden muss. Auswirkungen der medikamentösen Behandlung sind zu berücksichtigen, insbesondere bei Veränderung der Dosierung oder des Wirkstoffs. • Schizophrene Psychosen Ein Fahrzeug darf wieder geführt werden, wenn keine Störungen (z. B. Wahn, Halluzination, schwere kognitive Störung) mehr nachweisbar sind, die das Realitätsurteil erheblich beeinträchtigen. Bei mehreren psychotischen Episoden sind regelmäßige Untersuchungen durchzuführen. Psychopharmaka (auch bei Langzeitbehandlung) sind grundsätzlich kein Hindernis: Sie können sowohl stabilisierend wirken (also die Fahreignung fördern) als auch die Fahreignung beeinträchtigen. Die medikamentöse Behandlung sollte durch den behandelnden Facharzt dokumentiert werden. Dauerbehandlung mit Arzneimitteln Bei nachgewiesenen Intoxikationen und anderen Wirkungen von Arzneimitteln, die die Leistungsfähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeuges beeinträchtigen, ist bis zu deren völligem Abklingen die Voraussetzung zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Art nicht gegeben. Der Patient muss grundsätzlich wissen, dass er für die Fahrtüchtigkeit selbst verantwortlich ist. Er muss sich kritisch beobachten, bevor er ein Fahrzeug steuert. Im Zweifel sollte er das Auto lieber stehen lassen. Gerade Psychopharmaka, die eine dämpfende Wirkung haben, können die Reaktionszeit verlängern und somit die Fahrtauglichkeit einschränken. Autofahrer, die Psychopharmaka einnehmen, sollten auf jedem Fall mit ihrem Arzt besprechen, ob sie mit den verordneten Medikamenten fahrtauglich sind. Wer hilft weiter? Bei Fragen helfen der behandelnde Arzt, die Führerscheinstelle, TÜV oder DEKRA sowie Stellen, die medizinisch-psychologische Untersuchungen durchführen. 112 © Hugo Berties_fotolia.com Rechtliche Aspekte der Betreuung Psychotische Störungen können, insbesondere in akuten Phasen, zu tiefgreifenden Verhaltensänderungen, Wahrnehmungsstörungen und zu einer völlig ver-rückten Beurteilung von Sachverhalten weit außerhalb der gesellschaftlichen Norm führen. Die Geschäftsfähigkeit ist dann zum Teil nicht mehr gegeben. 113 Definition „Geschäftsfähig“/„Geschäftsunfähig“ „Geschäftsfähig“ ist, wer seine Willenserklärungen oder rechtsgeschäftlichen Handlungen selbst beurteilen und verstehen kann. „Geschäftsunfähig“ ist demgegenüber unter anderem, wer sich in einem Zustand krankhafter und dauerhaft gestörter Geistestätigkeit befindet, der die freie Willensbildung ausschließt. Die Geschäftsunfähigkeit ist allerdings nicht automatisch mit Erreichen eines bestimmten Krankheitsstadiums zu vermuten, sondern muss konkret festgestellt werden. Vorsorge In der Akutphase einer Psychose sind Patienten in der Regel geschäftsunfähig. Dann erledigt häufig ein Betreuer (siehe unten) die notwendigen persönlichen Angelegenheiten. Auf diese fremdbestimmten Regelungen können Menschen aber im Vorfeld Einfluss nehmen, indem sie eine Vorsorge vollmacht oder Betreuungsverfügung erstellen: • In einer Vorsorgevollmacht legt der Verfasser fest, wen er für welche Aufgabenbereiche als Bevollmächtigten einsetzt, wenn er selbst entscheidungsunfähig ist. Liegt eine ausreichende Vorsorgevollmacht vor, darf kein Betreuer eingesetzt werden. • In einer Betreuungsverfügung legt der Verfügende fest, wer – oder wer auf keinen Fall – im Bedarfsfall als Betreuer eingesetzt wird und welche Wünsche der Betreuer zu beachten hat. Betreuungsverfügung und/oder Vorsorgevollmacht sollten auf jeden Fall mit den gewünschten Betreuern/Bevollmächtigten abgesprochen werden. 114 Betreuung Betreuung ist eine Fürsorgeform, in deren Rahmen ein gerichtlich bestellter Betreuer die Angelegenheiten des Betroffenen erledigt. Betreuer wird in der Regel ein naher Angehöriger, in einigen Fällen auch ein neutraler Dritter. Die Betreuung wird (im Gegensatz zur früheren „Entmündigung“) zeitlich begrenzt und nur für die Aufgabenbereiche eingerichtet, für die sie erforderlich ist. Nur ein Teil der Patienten mit psycho tischen Störungen braucht einen Betreuer zur Regelung persönlicher Angelegenheiten. Wenn offensichtlich wird, dass ein Mensch im Alltag nicht mehr zurechtkommt, dann kann jeder, dem das auffällt, z. B. Arzt, Apotheker, Nachbar, eine Betreuung beim Betreuungsgericht anregen. Anzeichen dafür, dass jemand nicht mehr ohne Hilfe zurechtkommt, sind beispielsweise zunehmende Verwahrlosung der Wohnung und des äußeren Erscheinungsbildes, Ablehnung von ärztlicher Hilfe und Versorgung, Auffälligkeiten bei finanziellen Geschäften. Im Rahmen des Betreuungsverfahrens verschafft sich der Betreuungsrichter in der Wohnung des Betroffenen oder in einer betreuten Wohnform einen persönlichen Eindruck von der Gesamtsituation und der Erforderlichkeit einer Betreuung. Dabei werden auch die Aufgabenkreise des künftigen Betreuers erläutert und bestimmt. Das Betreuungsgericht bestellt einen Betreuer, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: • Der Betroffene kann aufgrund seiner Erkrankung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst erledigen. Dies wird regelmäßig durch ein fachärztliches Gutachten festgestellt. • Die Betreuung ist erforderlich, d. h.: Es liegen Angelegenheiten vor, die geregelt werden müssen, und es gibt keinen Bevoll mächtigten, der sie regeln kann. Voraussetzungen Bei einer Betreuung bleibt die Geschäftsfähigkeit des Betreuten – im Gegensatz zur früheren Entmündigung – in der Regel erhalten. Wenn es aber zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, kann das Vormundschaftsgericht anordnen, dass Erklärungen des Betreuten zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung des Betreuers bedürfen, um rechtswirksam zu werden. Einwilligungsvorbehalt 115 Praxistipp! Das kann in der Praxis bedeuten, dass der Betreuer der Bank einen Betrag (z. B. 200,– e) nennt, den der Betreute in der Woche abheben darf. Will er mehr Geld haben, muss die Bank mit dem Betreuer Rücksprache halten. Kein Einwilligungsvorbehalt ist möglich bei „Willenserklärungen, die auf Eingehung einer Ehe gerichtet sind“ und „Verfügungen von Todes wegen“. Aufgabenkreise Die Bestellung eines Betreuers führt zu einer Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten. Der Betreuer kann, wenn es zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, Maßnahmen gegen den Willen des Betreuten einleiten, soweit diese zum Aufgabenkreis des Betreuers gehören. Aufgabenkreise des Betreuers können u. a. sein: •Gesundheitsfürsorge – Veranlassung von ärztlicher Behandlung – Zustimmung zu Operationen und Medikamentengabe – Behandlung in einem Krankenhaus • Aufenthaltsbestimmung –Mietangelegenheiten – Suche einer geeigneten Wohnform – Entscheidung über Umzug in ein Heim – Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gegen den Willen des Betreuten (nur mit Zustimmung des Betreuungsgerichts) • Vermögenssorge – Verwaltung von Vermögen und laufendem Einkommen – Antragstellung auf Sozialhilfe, Renten und andere öffentliche Leistungen –Erbschaftsangelegenheiten Das Prinzip der Betreuung besteht darin, dem Patienten zu helfen, dabei jedoch seine Fähigkeiten zur Selbstbestimmung so weit als möglich zu achten. Dieses Selbstbestimmungsrecht findet seine Grenzen, wenn die Wünsche des Patienten seinem Wohl entgegenstehen. 116 Bei weitreichenden Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte des Betreuten muss der Betreuer die Zustimmung des Betreuungsgerichts einholen. Zustimmung des Betreuungsgerichts Dies gilt z. B. bei • Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet oder stirbt • Sterilisation des Betreuten • Kündigung der Wohnung des Betreuten • einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung (Details siehe S. 118) Darüber hinaus muss der Betreuer dem Betreuungsgericht Rechenschaft ablegen und haftet für die Verletzung seiner Pflichten. Bei einer Betreuung entstehen folgende Kosten: • Gerichtsgebühren z. B. in Form von gerichtlichen Gebühren und als Auslagen. Letztere insbesondere für das Sachverständigengutachten über die Ermittlung der Notwendigkeit, den Umfang und die voraussichtliche Dauer der Betreuung. Diese Kosten muss der Betreute nur tragen, wenn sein Vermögen nach Abzug der Verbindlichkeiten mehr als 25.000,– e beträgt. Eine Eigentumswohnung oder ein eigenes Haus, das der Betreute allein oder mit Angehörigen bewohnt, bleibt unberücksichtigt und wird nicht zum Vermögen gerechnet. Bei einem Reinvermögen über 25.000,– e wird für eine dauerhafte Betreuung eine Jahresgebühr fällig. Sie beträgt 5,– e für jede angefangenen 5.000,– e, die über dem Vermögen von 25.000,– e liegen. Kosten • Gebühren für Berufsbetreuer Bei einem Reinvermögen ab 2.600,– e müssen der Betreute oder seine Unterhaltspflichtigen (z. B. Ehegatte, Kinder) die Kosten für einen Berufsbetreuer prinzipiell selbst tragen. Berufsbetreuer haben bestimmte Stundensätze, abhängig von ihrer Vorbildung: – Ohne besondere Kenntnisse: 27,– e inkl. Mehrwertsteuer. – Abgeschlossene Ausbildung: 33,50 e inkl. Mehrwertsteuer. – Abgeschlossenes Studium: 44,– e inkl. Mehrwertsteuer. • Ehrenamtlicher Betreuer Dieser kostet entweder eine Aufwandspauschale von jährlich 323,– e inkl. Mehrwertsteuer, oder er erhält eine individuell zu belegende Aufwandsentschädigung. Ob ein Berufs- oder ein ehrenamtlicher Betreuer eingesetzt wird, entscheidet das Betreuungsgericht. 117 Praxistipps! Folgende Punkte sind in der Praxis zu beachten: • Anregung der Einrichtung einer Betreuung: Wer meint, dass eine Betreuung für einen Menschen nötig ist, kann sich an das Betreuungsgericht oder an die örtliche Betreuungsstelle wenden. Das Betreuungsgericht wird dann im Rahmen seiner Amtserhebungspflicht tätig. • Es ist zu beachten, ob es bereits eine Betreuungsverfügung gibt, in der der Betroffene festgelegt hat, wen er unter welchen Bedingungen als Betreuer haben möchte. • Aufhebung oder Änderung einer Betreuung müssen beim Betreuungsgericht schriftlich oder persönlich vom Betroffenen oder seinem Betreuer beantragt werden. Wer hilft weiter? Zuständig für Betreuungssachen ist das Betreuungsgericht beim örtlich zuständigen Amtsgericht. Informationen und Aufklärung leisten auch die Betreuungsbehörden bei der örtlichen Kreisbzw. Stadtverwaltung und Betreuungsvereine. Freiheitsentziehende Maßnahmen Als freiheitsentziehende Maßnahmen werden Maßnahmen bezeichnet, die die Bewegungsfreiheit eines Menschen gegen dessen Willen einschränken. Alle nachfolgend aufgeführten Maßnahmen sind nur im Akutfall zum Schutz des Patienten und seiner Umgebung erlaubt. Auf längere Sicht muss immer eine richterliche Genehmigung durch das Betreuungsgericht eingeholt werden. Die Maßnahmen müssen vom Pflegepersonal täglich dokumentiert und auf ihre Notwendigkeit geprüft werden. Unterbringung im Notfall 118 Die zwangsweise Einweisung zur medizinischen Behandlung in die geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses wird als „Unterbringung“ bezeichnet. Diese ist nur im Notfall zulässig, wenn der Patient sich selbst und/oder andere erheblich gefährdet. Oft ist ein Mensch in einer akuten Psychose aber nicht in der Lage, zu erkennen, dass er sich selbst oder andere gefährdet. In solchen Fällen kann eine Unter bringung gegen seinen Willen notwendig werden. Anzeichen sind z.B. Verwahrlosung des Patienten in der eigenen Wohnung, Erkrankung oder Unterernährung in Verbindung mit der Ab lehnung jeglicher Hilfe. Zudem können Patienten in Akutphasen durch Unfälle gefährdet sein, weil sie Gefahren falsch ein schätzen oder sich für „allmächtig“ oder „unverletzlich“ halten. Eine medizinische Behandlungsbedürftigkeit allein, die der Patient aufgrund seiner Erkrankung nicht einsehen kann, oder die Gefährdung seines Vermögens sind keine ausreichenden Gründe für eine Unterbringung. Sehen Ärzte, Angehörige oder Nachbarn Anzeichen für eine Selbst- oder Fremdgefährdung, sollten sie sich an den Betreuer des Betroffenen oder den Sozialpsychiatrischen Dienst wenden. Im Notfall sind Polizei, Ordnungs- oder Gesundheitsamt weitere Ansprechpartner, in manchen Städten gibt es auch psychiatrische Krisendienste. Durch das Einschalten kompetenter Stellen und deren Intervention kann eine Unterbringung oft vermieden werden, denn immer mehr Therapeuten bemühen sich darum, sich in die Lage der Patienten zu versetzen und so auf sie einzuwirken, dass sie sich freiwillig in stationäre Behandlung begeben. Bei einer Unterbringung gegen Widerstand besteht immer auch die Gefahr einer Traumatisierung. Das Verfahren zur zwangsweisen Unterbringung von psychisch kranken Menschen ist in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt. In jedem Fall ist für eine solche Unterbringung das Betreuungsgericht zuständig. Weitere freiheitsentziehende Maßnahmen sind mechanische Maßnahmen, z. B. Fixiergurte, Bettgitter oder andere Methoden, die einem Menschen die Möglichkeit nehmen, das Bett, den Stuhl oder den Raum zu verlassen. Sie werden bei psychotischen Störungen nur sehr selten eingesetzt. Mechanische Maßnahme Auch sedierende (ruhigstellende) Medikamente zählen zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen. Sedierende Medikamente bewirken eine Verlangsamung auf körperlicher und geistiger Ebene und können bis zu Apathie und Dauerschläfrigkeit führen. Der Arzt darf solche Psychopharmaka nur zum Zweck der Heilung oder Linderung bei Krankheitszuständen (z. B. momentane Angst- oder Wahnvorstellungen) oder in Notfällen verordnen. Sedierende Maßnahme 119 Werden sedierende Medikamente jedoch dauerhaft über Wochen zum Zweck der Ruhigstellung verordnet, ist dies eine freiheitsentziehende Maßnahme, die in die Persönlichkeitsrechte des Patienten eingreift. Eine solche Medikamentengabe muss vom Betreuungsgericht genehmigt werden. Durch die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung ist meist die Gefahr abgewendet. Eine zusätzliche Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka ist rechtlich problematisch und nur in seltenen Fällen vor dem Betreuungsgericht zu rechtfertigen. Wer hilft weiter? Bei Fragen und Unsicherheiten hilft das Betreuungsgericht. Krisenpass Beim Psychiatrie-Verlag ist für Betroffene ein Krisenpass erhältlich, der im Notfall informiert über • die aktuelle Medikation und Dosierung, • erfahrungsgemäß hilfreiche Medikation im Krisenfall, • Personen, die benachrichtigt werden sollen, •Behandlungsvereinbarungen, • unverträgliche Medikamente, • spezielle Wünsche des Patienten im Krisenfall und gegebenenfalls weitere Erkrankungen wie Allergien etc. Der direkte Download aus dem Internet ist möglich unter der Adresse www.psychiatrie-verlag.de > service > Nützliche Materialien zum Download. 120 Adressen 121 ©robynmac_fotolia.com Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V. Wittener Straße 87, 44789 Bochum Telefon 0234 6405103 E-Mail: [email protected] www.bpe-online.de Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. Oppelner Straße 30, 53119 Bonn Telefon 0228 96399223 E-Mail: [email protected] www.psychiatrie.de/dachverband Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie Zeltinger Straße 9, 50969 Köln Telefon 0221 511002 E-Mail: [email protected] www.dgsp-ev.de Aktion Psychisch Kranke e. V. Oppelner Straße 130, 53119 Bonn Telefon 0228 676740 oder 676741 E-Mail: [email protected] www.dpk-ev.de Irre menschlich Hamburg e.V. Martinistraße 52, 20246 Hamburg Telefon 040 7410-59259 E-Mail: [email protected] www.irremenschlich.de Internationale Arbeitsgemeinschaft Soteria (IAS) Klinikum München-Ost Ringstr. 14, 85529 Haar E-Mail: [email protected] www.soteria-netzwerk.de Internet: www.betaCare.de Suchmaschine für Sozialfragen im Gesundheitswesen mit Sozialrechtsinformationen und zahlreichen Selbsthilfe-Adressen. 122 Buchtipps 123 © Friedberg_fotolia.com Von Betroffenen Dorothea Sophie Buck-Zerchin: Auf der Spur des Morgensterns – Psychose als Selbstfindung. Neumünster, Paranus-Verlag, 2005, ISBN 978-3-926200-65-5 Auch als Hörbuch: ISBN: 978-3-926200-66-2 Kerstin Kempker: Mitgift, Notizen vom Verschwinden. Berlin, Lehmann Antipsychiatrieverlag, 2000. ISBN 987-3-925931-15-4 Lilla Sachse: Heilsame Erfahrungen, Biotop Mosbach: Eine Gruppe als Wegbegleiter durch psychotische Krisen. Neumünster, Paranus-Verlag, 1998. ISBN 978-3926200266 Von und für Angehörige Edda Hattebier: Reifeprüfung, eine Familie lebt mit psychischer Erkrankung. Bonn, Psychiatrie-Verlag, 1999. ISBN 978-3884142301 Helene und Hubert Beitler: Zusammen wachsen, Psychose, Partnerschaft und Familie. Bonn, BALANCE buch + medien Verlag, 2008. ISBN 978-3-86739-023-1 Katrin Müller: Kinder psychisch kranker Eltern, Lebenswelten und Hilfemöglichkeiten bei Kindern schizophren und affektiverkrankter Eltern. Hamburg, Diplomica-Verlag, 2008. ISBN 978-3-8366-5520-0 Corinna Soria: Leben zwischen den Seiten. Klagenfurt, Wieser Verlag, 2007. ISBN 978-3-85129-716-4 Für fachlich Interessierte Petra Hunold, Ewald Rahn: Selbstbewusster Umgang mit psychiatrischen Diagnosen, ein Ratgeber. Bonn, Psychiatrie-Verlag, 2000. ISBN 978-3884142455 Thomas Bock: Achterbahn der Gefühle. Mit Manie und Depression leben lernen. Bonn, BALANCE buch + medien, 2012. ISBN 978-3-86739-022-4 Andreas Knuf: Selbstbefähigung fördern. Empowerment und psychiatrische Arbeit. Bonn, Psychiatrie-Verlag, 2006. ISBN 978-3-88414-413-8 Von und für Fachleute, Angehörige und Betroffene 124 Thomas Bock, Dorothea Buck, Ingeborg Esterer: Stimmenreich, Mitteilungen über den Wahnsinn. Bonn, Balance-Buch + Medien-Verlag, 2007. ISBN 978-3-86739-013-2 Michael Ewers Liebe Leserin, lieber Leser, betapharm setzt sich seit Jahren aktiv für eine verbesserte Versorgungsqualität im Gesundheitswesen und Hilfen für Angehörige ein. Aus diesem Engagement hat sich betaCare – das Wissenssystem für Krankheit & Soziales – entwickelt, welches Antworten auf alle sozialen Fragen rund um eine Krankheit bietet. Der vorliegende Ratgeber „Psychosen, Schizophrenie & Soziales“ informiert zu sozialrechtlich relevanten Themen wie Krankengeld, Erwerbsminderungsrente und Sozialhilfe sowie zu kritischen rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit schweren psychischen Erkrankungen. Darüber hinaus behandelt er alltägliche Themen wie Arbeiten oder Wohnen, die für Psychiatrie-Erfahrene immer auch eine therapeutische Dimension haben können. Mit herzlichen Grüßen, Michael Ewers Geschäftsführer betapharm & beta Institut Impressum Herausgeber und Redaktion beta Institut gemeinnützige GmbH Institut für angewandtes Gesundheitsmanagement, Entwicklung und Forschung in der Sozialmedizin Geschäftsführer: Michael Ewers Kobelweg 95, 86156 Augsburg Telefon 0821 45054-0, Telefax 0821 45054-9100 E-Mail: [email protected] www.betainstitut.de Text Sabine Bayer Maria Kästle Andrea Nagl Layout und Gestaltung Manuela Mahl Autoren und Herausgeber übernehmen keine Haftung für die Angaben in diesem Werk. Alle Bausteine des betaCare-Wissenssystems mit seinen vielfältigen Inhalten finden Sie unter www.betaCare.de. Mehr über das soziale Engagement und die Produkte der betapharm Arzneimittel GmbH finden Sie unter www.betapharm.de. Alle Rechte vorbehalten © 2014 Copyright beta Institut gemeinnützige GmbH Der Ratgeber einschließlich all seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. 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Antworten auf folgende Fragen: – Wie ist die Zuzahlung bei Arzneimitteln geregelt? – Wie bekomme ich einen Schwerbehindertenausweis? – Welche Vorsorge kann ich treffen, für den Fall, dass ich nicht mehr selbst entscheiden kann? Patientenratgeber Die Broschüren bieten gebündelt und verständlich sozialrechtliche und psychosoziale Informationen zur folgenden Themen und Krankheiten: –Behinderung & Soziales –Brustkrebs & Soziales –Demenz & Soziales –Depression & Soziales –Epilepsie & Soziales –Migräne & Soziales – Multiple Sklerose & Soziales –Osteoporose & Soziales –Palliativversorgung & Soziales –Patientenvorsorge –Pflege –Prostatakrebs & Soziales –Schmerz & Soziales Patientenfilme ©Anja Greiner Adam_fotolia.com Zu Asthma, Brustkrebs, Darmkrebs, Demenz, Depression, Diabetes, Osteoporose, Rheuma, Schlaganfall. Die Initiative „betaCare – Verbesserung der Patientenversorgung und Prävention“ wird gefördert durch die betapharm Arzneimittel GmbH, ein Generika-Unternehmen mit hochwertigen und preiswerten Qualitätsarzneimitteln. www.betaCare.de