Teil 2
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Teil 2
POLITIK 5 Fotos: Feisal Omar/Reuters (S.4); Juergen Escher/laif (2) 1. Dezember 2011 DIE ZEIT No 49 Eine Familie in einem Flüchtlingslager (links), bewaffnete Milizen sind in der ganzen Stadt präsent (rechts) Frieden notfalls mit Waffengewalt erzwingen lia. »Vor ein paar Monaten wurde 200 Meter von sollten. Somalia schien als erster Einsatz strategisch hier noch täglich geschossen.« Und die Anschläperfekt geeignet und moralisch geboten: Eine ge? »Nun ja, die kommen vor«, räumt er ein. Zum Beispiel am 4. Oktober, als ein Attentäter Diktatur, plötzlich abgehängt vom Tropf Washingtons oder Moskaus, war kollabiert und in einen von al-Shabaab einen Lkw vor dem ErziehungsBürgerkrieg mit Hungersnot abgerutscht. Milizen ministerium in die Luft jagte und über achtzig befrieden, Waffen einsammeln, Hilfslieferungen Zivilisten tötete. Seither gab es immer wieder Ansichern, Menschen retten. Nichts einfacher als das. schläge mit Autobomben, Handgranaten oder Operation Restore Hope mündete – nach an- durch Al-Shabaab-Mitglieder, die sich in der Unifänglichen Erfolgen – in ein Desaster. Die huma- form von Regierungssoldaten vor den Stützpunknitäre Mission artete in eine Jagd auf somalische ten der AU-Soldaten in die Luft sprengten. Aber wahrscheinlich hat Fiqi recht: Nach JahMilizenführer aus, die Helfer in Uniform verwandelten sich in eine Okkupationsmacht. Ope- ren des Krieges ist eine brüchige, hin und wieder ration Restore Hope endete im Oktober 1993 in von Explosionen zerrissene Ruhe für die Mender Schlacht von Mogadischu mit dem Abschuss schen in Mogadischu ein Fortschritt. zweier Black-Hawk-Helikopter, dem Tod von Das Gefängnis im Keller gehört zu dem von der 18 amerikanischen Soldaten und Hunderter So- CIA finanzierten Antiterrorismus-Programm in malier, darunter vielen Zivilisten. Die USA zogen Somalia, nach amerikanischen Presseberichten ihre Soldaten bald darauf ab, die anderen Natio- nehmen CIA-Beamte an den Verhören teil. Unter nen folgten. Somalia blieb sich selbst überlassen den Häftlingen befinden sich offenbar auch somaund den Milizen. lische Emigranten aus Nachbarländern, vor allem »Da«, sagt Mahdi und deutet auf ein rundes Kenia, die dort nach ihrer Festnahme verschwunLoch von gut einem Meter Durchmesser, »da schlug den sind. Extraordinary rendition heißt das im Jardie Rakete ein.« Wir stehen im verwilderten Garten gon des war on terror. Das bedeutet nichts anderes eines zweistöckigen Gebäudes. Die Außenmauern als behördliches Verschleppen von Verdächtigen. sind weggebombt, das Betondach mit dem Loch Was in Europa und den USA inzwischen als Skanneigt sich wie aufgeweichte Pappe Richtung Boden. dal gilt, ist am Horn von Afrika gängige Praxis. Einige Wochen vor der Schlacht um Mogadischu hatten US-Einheiten hier nach eigenen Angaben Seit Tayyip Erdoğan Mogadischu einen »sauberen chirurgischen Schlag« gegen feind- besucht hat, ist er im Volk ein Held liche somalische Milizen durchgeführt. In Wahrheit lagen unter den Trümmern die Leichen mehrerer »Natürlich sind die Amerikaner hier«, sagt Ahmed Dutzend Clanältester begraben, die sich zu Bera- Fiqi. Die Fr anzosen auch, aber die seien damit betungen über einen allumfassenden Waffenstillstand schäftigt, von Piraten oder Clanmilizen entführte eingefunden hatten. Ein Angriff, der in Black Hawk Landsleute aufzuspüren. Und noch ein paar westDown nicht vorkommt. Aber für die Somalier war liche Geheimdienste. »Bloß die Deutschen sehe ich es ein Fanal, das verfeindete Clans einte im Kampf hier nicht«, sagt er mit Bedauern. gegen die ausländischen Truppen. Nach Mahdis Ein wenig zusätzliche Hilfe, sagt Ahmed Hassan Ansicht fehlt noch etwas in der westlichen Erinne- Fiqi, könne man in Mogadischu schon gebrauchen. rung der Ereignisse. »Wusstest du«, sagt er und Zaghaft deutet er an, dass ihm nicht nur Attentäter senkt die Stimme, als würde er eine schier unerträg- von al-Shabaab zu schaffen machen, sondern auch liche Anschuldigung erheben, humanitäre Helfer aus der SAUDI-ARABIEN arabischen Welt, deren Fi»wusstest du, dass sich einige der Amerikaner während der nanzquellen er offenbar missSchlacht um Mogadischu in traut – und deren knallharter ERITREA die Hose gemacht haben?« Wettbewerb ihm Probleme JEMEN bereitet. Im Kampf um ProDie USA sind längst wieGolf von Aden der in Somalia präsent: Am jekte in Krankenhäusern oder DSCHIBUTI Flughafen von Mogadischu Flüchtlingslagern wird auch betreibt die CIA ein Ausbilschon mal eine EntführungsSOMALIA dungslager für somalische drohung gegen die KonkurAgenten. Und im Regierenz ausgesprochen. »Und ÄTHIOPIEN Indischer dann«, sagt Fiqi, »sind da rungsviertel, wo sich die ZenOzean noch die türkischen Helfer.« trale der National Security Eifrig, durchaus effizient. Agency befindet, des somaAber manchmal haarsträulischen Geheimdienstes. Mogadischu bend naiv. Seit der türkische Das Wort Regierung KENIA Premierminister Tayyip Erklingt ein wenig hochtraZEIT-Grafik 250 km doğan als einziger ausländibend, denn Somalia, das zu scher Regierungschef Mogaregierende Land, bleibt eine Illusion. Da ist im Nordwesten das de facto un- dischu zum Höhepunkt der Hungerkatastrophe abhängige, aber von niemandem anerkannte So- besuchte, ist er bei den Bewohnern der Stadt ein maliland, vormals britische Kolonie, das vom Held. Immer mehr türkische Helfer kommen nach Bürgerkrieg verschont geblieben ist und eine halb- Mogadischu. »Manche«, sagt Fiqi und macht ein wegs funktionierende staatliche Verwaltung auf- Gesicht, als habe er es mit Irren zu tun, »fahren hier gebaut hat. Da ist die halbautonome Region Punt- mit dem Fahrrad herum.« Kann man die Türken treffen? »Na klar«, sagt land, Hochburg jener Clans, die das Geschäft mit der Piraterie kontrollieren. Und da ist »Restsoma- Mahdi. Am nächsten Morgen kommen sechs Mänlia« mit der Hauptstadt Mogadischu, wo sich ra- ner auf das Gelände einer Hilfsorganisation. Verdikale Islamisten und die westlich unterstützte schwitzt, erschöpft, aber auch aufgekratzt stellen sie Übergangsregierung bekämpfen. sich vor – auf Deutsch: »Hallo, Nihad Turan, InGemessen an der Häufigkeit, mit der somalische stallateur, Berlin-Kreuzberg.« – »Tangir Yalcin, Minister Attentätern zum Opfer fallen, müsste das Frankfurt, Frührentner«. – »Enes, Bauarbeiter aus Regierungsviertel aussehen wie eine Festung. Doch Braunschweig.« Dazu zwei Kollegen aus Frankreich der Schlagbaum am Eingang wird ohne weitere und Schweden. Allesamt Migranten der ersten oder Kontrolle unseres Autos geöffnet. Eine zaghafte zweiten Generation, Familienväter mit MalocherDurchsuchung am Eingang zum Hauptquartier des Händen. Sie sind zum ersten Mal in Afrika. Ihr europaweiter Verein hat in den vergangeGeheimdienstes, und wenige Minuten später sitzt man im eisig klimatisierten Empfangszimmer auf nen Monaten mehrere Tonnen Hilfsgüter vereiner monumentalen Ledercouch Ahmed Hassan schickt, sie selbst haben die Sammlung von einer Fiqi gegenüber. Mit seiner Baseballmütze und dem halben Million Dollar für den Ankauf der 1450 etwas zu groß geratenen Jackett mangelt es dem Kühe in Mogadischu mitorganisiert. Bis in die Mann an der Aura bedrohlicher Allmacht, die Ge- Nacht haben sie gestern das Schlachten überheimdienstler in diesen Breitengraden gewöhnlich wacht, gleich geht es weiter in die Flüchtlingsausstrahlen wollen. Fiqi wirkt eher wie ein Besucher lager, um Fleisch zu verteilen, »hygienisch als wie der Chef einer Behörde, in deren Keller sich abgepackt in Plastiktüten«, sagt Turan, der Kreuzberger. Ihre Kollegen daheim – »auch die ein inoffizielles Gefängnis befindet. »Die Sicherheitslage hat sich enorm verbes- Deutschen« – hätten gespendet, ihre Kinder das sert«, sagt der Geheimdienstchef von Restsoma- Taschengeld geopfert. »Wer sich gesättigt zu Bett legt, während die Nachbarn hungern«, sprach der Prophet Mohammed, »der gehört nicht zu uns.« Wie sie da so sitzen, übermüdet und doch atemlos, beschämen sie einen fast mit ihrem ungetrübten Drang, etwas zu tun gegen eine Welt, in der Dreijährige nur noch aus Haut und Knochen bestehen. Also vergisst man einen Moment lang alle Einwände: dass Krisengebiete Laienhelfer nicht gebrauchen können. Dass lebende Kühe zum Wiederaufbau der Viehzucht nachhaltiger helfen würden als drei Kilo Fleischspende. Und dass durch den plötzlichen Zufluss von Euro und Dollarspenden aus muslimischen Ländern vor dem Feiertag jetzt der Wechselkurs für den somalischen Schilling verrücktspielt, was die Ar- beit einheimischer NGOs erschwert. »Schreiben Sie bitte nichts Schlechtes über uns«, sagt Turan, »wir haben schon öfter negative Erfahrung mit der Presse gemacht.« Er meint das Kürzel ihres Vereins, das auf ihre Westen gedruckt ist: IGMG. Das steht für Islamische Gemeinschaft Milli Görüş, die wegen islamistischer Tendenzen immer wieder ins Blickfeld deutscher Verfassungsschutzbehörden geraten ist. Nicht, dass dies in Mogadischu eine Rolle spielen würde. In den Augen von al-Shabaab handelt es sich bei Milli Görüş um Handlanger der Übergangsregierung – und damit um Feinde. Als am folgenden Sonntag Eid al-Adha, das Opferfest, beginnt, scheint der Stadt die Munition aus- gegangen. Kein Schuss stört den dissonanten Chor der Muezzine. Die Ausgabe von Fleisch in den Camps verläuft ruhig, die Flüchtlingsfrauen tragen die Plastiktüten vor sich her wie eine Auszeichnung. Gegen Mittag wagen sich die ersten Einwohner an den Strand, seit Jahren hat sich kein Somalier mehr dorthin getraut. Sie laufen barfuß, ein paar beginnen, Fußball zu spielen. Eisverkäufer schleppen Kühlboxen durch den Sand. Frauen im Hijab gehen in gehörigem Abstand zu Männern spazieren. Manche bleiben stehen, kehren dem Skelett ihrer Stadt den Rücken zu und schauen gen Osten. Ein strahlend blauer Himmel und ein leuchtend blaues Meer. Das ist alles, was sie sehen. Glashütte Original – 165 Jahre deutsche Uhrmacherkunst. Seventies Panoramadatum Die Seventies Panoramadatum. Stromlinienförmige Kurven reflektieren den Geist der 70er Jahre in einem faszinierenden, kultigen Design. Der gewölbte Saphirglasboden und der patentierte Feinstellmechanismus des Metallarmbandes optimieren den Tragekomfort. Erfahren Sie mehr unter www.glashuette-original.com. 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