Kräftige Kerle, glitzernde Kristallkugeln

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Kräftige Kerle, glitzernde Kristallkugeln
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TAZ .A M WO C H EN EN D E
Reise
SON NA BEN D/SO N N TAG , 12./ 13. DEZ EM BER 2015
1 taz vom 12.12.2015 Seite 37,36
Das geblasene Glas steckt der Glasmeister zur Ausformung in ein Model aus Buchenholz
Kräftige Kerle, glitzernde Kristallkugeln
Die Geschichte der Glasmanufakturen erzählt auch die Geschichte der Region und ihrer
Erneuerung. Glas ist der traditionelle Werkstoff in Nordböhmen und Teil der nationalen Identität
GLASBLÄSER
VON EDITH KRESTA (TEXT)
UND JÜRGEN SORGES (FOTO)
P
rag ist beliebt, laut, voll.
Durch die verwinkelten Gassen trotten Besucher meist in Großgruppen. Sie lassen sich auf der Karlsbrücke mit Blick auf die Moldau
malen, sie lauschen den unzähligen Straßenmusikern, wenn
sie sich nicht vor den auf dem
Gehsteig vorbeirollenden Segwaytruppen in Sicherheit bringen. Und sie kommen unausweichlich am „Bohemia Cristal“
vorbei: Glaskreationen glitzern
in unzähligen Auslagen: grün,
blau, orange, violett strahlende
Gläser, Vasen, Kronleuchter.
Und Glasperlen in allen Formen, Farben und Variationen.
Verführerisch, knallig bis zum
Überdruss. Ob am Wenzelsplatz
oder auf dem Weg zum Hradschin, dem historischen Viertel
auf dem Burgberg, böhmisches
Glas ist das Souvenir aus Tschechien.
Das glitzernde Überangebot
trübt leicht den Blick. So manche ausladende Vase, so manches verspielte Glas möchte
man dann doch lieber nicht
vererbt bekommen. Mit Jiří &
Jiří, Landeskennern der besonderen Art, besuche ich Glashütten in Karlsbad, Lindava, Světlá
nad Sázavou, Nový Bor, Šenov
und Horní Dubenky, wo die gläserne Pracht nach traditioneller
Handwerkskunst entsteht.
In der Glasgalerie Minea im
Kurhaus von Karlsbad bekommen wir einen Vorgeschmack
auf modernes Design. Die Gale-
rie steht für Kunst am Glas, elegant und modern. Radek Stehlik,
Glasproduzent und Glasschneidemeister, erklärt uns die Besonderheiten des tschechischen
Glases: „Es geht um hochwertiges Glas, in der Regel mit einem
hohen Anteil an Bleioxid, mindestens 24 Prozent. Daher wird
es Bleikristall genannt. Diese
Substanz und spezielle Herstellungsmethoden verleihen dem
Glas besondere Härte, sodass es
sich gut zum Feinschleifen und
zum Gravieren eignet.“
Die Arbeit mit Glas
scheint eine
nationale Berufung
Und es glitzert. Das einfallende Licht wird so gebrochen,
dass regenbogenartige Farben
entstehen. Eignet es sich in seiner ganzen Pracht auch zum
Rotweintrinken ohne Bleivergiftung?
„Klar“, sagt Stehlik schmunzelnd. „Da passiert nichts. Aber
in Tschechien wird ohnehin
mehr Bier getrunken.“
Radek Stehlik bezeichnet sich
selbst als begeisterten Glasmeister. Die Arbeit mit Glas scheint
– nicht nur für ihn – eine nationale Berufung. „Glashütten entstanden in waldreichen
Gegenden. Für die Produktion
brauchte man Holz als Energie
und Pottasche. Waldglas wurde
dieses durch Eisenoxide grünlich gefärbte Pottascheglas genannt“, erzählt Radek Stehlik.
Glas blasen mit Puste, Kraft und Gefühl
Das böhmische Kristallglas wird traditionell seit dem
16. Jahrhundert hergestellt,
hauptsächlich in Nord- und
Westböhmen. Seitdem schmücken böhmische Kristalllüster,
geschliffene Glasprodukte wie
Wein- und Schnapsgläser, Vasen
europäische Paläste. Das erste
kristallklare Glas wurde Mitte
des 15. Jahrhunderts in Venedig
geschmolzen, das in der Folge
mit Murano-Glas als Glasmetropole Karriere machte.
„Die mitteleuropäischen Feudalherren ahmten mit einheimischem Material das künstlerische Niveau und den Komfort
der italienischen Renaissance
nach“, behauptet Stehlik. „In der
Barockzeit wurde das böhmische Glas beliebt und bekannt:
Es konnte geschliffen, geschnitten und somit noch facettenreicher bearbeitet werden.“
Weltstars und Prominente
schmücken die Galerie des modern grau-schwarz-weiß gestalteten Cafés in der Karlsbader Glashütte Moser: Claudia
Cardinale, Gina Lollobrigida,
Whoopi Goldberg, Ornella Muti,
Gérard Depardieu, Robert Redford. Auch der Papst und das
neue spanische Königspaar waren hier. Moser Glas steht für edlen Luxus.
Moser Glas ist bleifrei. Trotzdem weist es eine besondere
mechanische Härte auf. Die Moser-Kunst steckt im Handschliff,
in der künstlerischen Gravierung. Im Museum können wir
die schönsten Exponate bewundern: beispielsweise das Hochzeitsgeschenk an die Prinzessin
Elisabeth aus der Edition Splendid, den typischen Goldrandgläsern. Moser-Produkte sind bis
heute offizielles tschechisches
Staatsgeschenk.
Arisiert, kollektiviert
und privatisiert
Videoprojektionen
erzählen
die Geschichte der Glasmanufaktur. Die Brüche in der Firmengeschichte sind typisch
auch für andere Glashersteller: 1893 eröffnet Ludwig Moser seine eigene Glashütte, die
bald die ganze ÖsterreichischUngarische Monarchie belieferte. Schon damals gab es Moser-Niederlassungen in New
York, London, Paris, Sankt Petersburg. Mit dem Einmarsch
der Deutschen in die Tschechoslowakei wurde die Fabrik „arisiert“ und zur Glasmanufaktur
Karlsbad AG umbenannt.
1945 wurde der Betrieb verstaatlicht. 1991, nach der Wende,
wurde eine Aktiengesellschaft
daraus. Heute ist es für Moser
ein großer Erfolg, dass Amerika
und Russland zu den Hauptabnehmern gehören und auch
Thailand, Japan und Südkorea
die Gläser mit Gravuren schätzen. Groß im Kommen sind der
arabische Markt und China.
Schon seit dem 11. Jahrhundert soll es in Böhmen Glashütten gegeben haben. An der Produktion des handgearbeiteten
Glases in der Luxusmanufaktur Moser scheint sich bis heute
nicht allzu viel verändert zu haben. Ein kräftiger, bulliger Kerl
in kurzen Hosen, verschwitztem
T-Shirt, mit verkohltem Gesicht
2 taz vom 12.12.2015 Seite 37,36
Glas und Leuchten
40 km
DEUTSCHLAND
■■Moser: In dem Werk in Karls-
bad gibt es täglich Führungen
durch die Produktion und das
Glasmuseum: www.moser-glass.
com; www.karlovyvary.cz/de
■■Ajeto: Führungen durch das
Glaswerk in Lindava inklusive
Produktionsbesichtigung müssen
angemeldet werden:
www.ajetoglass.com
■■Preciosa: Das Werk und die
Kronleuchter des Herstellers in
Nový Šenov können besichtigt
werden. Seit 2015 stellt Preciosa
auch den Tour-de-France-Pokal
her: preciosalighting.com
■■Bomma: Eine der modernsten
Glasereien Europas befindet sich
in Světlá nad Sázavou. Kann nach
Anmeldung besucht werden:
www.bomma.cz
■■Brokis: Der DesignerleuchtenHersteller empfängt Besucher
im großen neuen Schauraum in
Horní Dubenky: www.brokis.cz
■■Liberec: Die Hauptstadt
Nordböhmens ist umgeben vom
Isergebirge. Mit einer Kabinenseilbahn kann man von hier
auf den Berg Jeschken/Ještěd
fahren. Der Besuch dort, auch die
Übernachtung im Hotel auf dem
Jeschken, lohnt sich: jested.cz;
www.visitliberec.eu/de
■■Weitere Informationen: Tschechische Zentrale für Tourismus
www.czechtourism.com
■■Diese Reise wurde unterstützt
von der Tschechischen Zentrale
für Tourismus.
wuchtet das glühende Glas mit
dem Hefteisen, der Stahlstange
für die Glasentnahme, aus dem
Schmelzofen. Der Zweite bläst
es mit der Blaspfeife, und der
Glasmeister bringt es dann in
die endgültige Form.
Es ist heiß und laut in der Fabrikhalle. Aus dem Radio schmettert Hard Rock, überall stehen
Wasserflaschen herum, aber
auch Bier ist in diesem schweißtreibenden Ambiente erlaubt.
350 Arbeiter sind hier an 7 Tagen in der Woche tätig, auch feiertags, rund um die Uhr.
Lindava ist ein kleines Nest
östlich von Nový Bor mit sozialistischem Plattenbau und alten
böhmischen Holzhäusern. Auf
dem platten Land liegt die Glasmanufaktur Ajeto. Auch diese
Werkstatt kann besichtigt werden. Sie ist klein und überschaubar. Die Prozedur am Schmelzofen ist überall die gleiche. Vasen, Schüssel werden hier in
traditioneller Handarbeit hergestellt. Im kleinen Museum kann
das Ajeto Art Glass bewundert
werden: eine Sammlung von Gebrauchskunst, Kunsthandwerk
und modernem Glas.
Touristengruppen kommen
POLEN
Liberec
Lindava
Mladá Boleslav
Karlsbad
Tschechische
Republik
Prag
TSCHECHISCHE
REPUBLIK
Svetlá nad Sázavou
Horni Dubenky
SLOWAKEI
taz.Grafik: infotext-berlin.de
ÖSTERREICH
im Restaurant der Glaserei, einer restaurierten Scheune, auf
ihre Kosten. Die regionalen Spezialitäten, die Knödel, das Kraut,
vor allem das regional gebraute
Bier, lohnen sich. Regionalbewusstsein, regionalen Konsum,
regionale Wanderwege und damit regionale Entwicklung hält
man auch in Tschechien hoch.
Die Firma Preciosa, auch bekannt für ihren Schmuck, stellt
in Nový Šenov vor allem Kronleuchter her, vorwiegend klassisch, auch modern. Hotels, Theater, arabische Scheichs, russische Oligarchen lassen mit den
traditionell produzierten glitzernden Lampen das Interieur
veredeln. Schon 1743 schufen
tschechische Handwerker einen imposanten Kronleuchter
für Maria Theresia.
Die Entwicklung der prosperierenden Schmuck- und Glasunternehmen in Nordböhmen
wurde durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen. 1945 schlossen sich sieben Kristallmanufakturen und achtzehn kleinere
Firmen zur Preciosa Gesellschaft zusammen. Preciosa in
Nový Šenov ist eine Tochtergesellschaft dieser Gruppe.
Eine Studie der Universität in
Liberec/Reichenberg bestätigt:
„Die böhmische Glasindustrie
ist nach schweren Einbrüchen
wieder im Aufwind. Die Konkurrenz durch Billigimporte aus
Asien sowie die Wirtschaftskrise
trafen den Industriezweig hart.
Die Herstellung von industriell produziertem Glas, Flachglas, Verpackungsglas und Glasfaser, auch für die Škoda-Werke
in Mladá Boleslav, steigerte die
Produktion. Aber auch das qualitativ hohe Glashandwerk wurde
gefördert und vermarktet. Exporte und Gewinne stiegen.
Die neue Generation
des Glascuttings
Im 19. Jahrhundert wurde die
Glasherstellung mithilfe diverser Erfindungen industrialisiert.
Doch konnten das Filigrane und
Reine der handgearbeiteten Gläser erst nach vielen Erfindungen
erzielt werden. Für eine weitere
Industrialisierung der hochwertigen Glasproduktion steht
die Firma Bomma in Světlá nad
Sázavou. Der Ingenieur Jiří Trtík,
Besitzer der Firma , will die langen Tradition des Glascutting in
einer neuen Ära fortsetzen.
In Svetlá nad Sázavou, der
Wiege der tschechischen Glasschleiferei, wird mundgeblasenes Glas durch maschinellen
Schliff veredelt. „Es ist eine industrielle Evolution“, behauptet Trtík. Die Maschine dafür,
Bohemia Machine, hat er selbst
erfunden. „Wir behalten die
Qualität handwerklicher Arbeit, produzieren aber moderner, avantgardistisch und mit
den besten tschechischen Designern“, sagt Trtík. In dem kleinen
Laden der Fabrik können wir das
überprüfen. Jiří, der Begleiter
und Glasliebhaber, kann nicht
widerstehen. Booma Weingläser, behauptet er, seien schön,
modern und trotzdem alltagstauglich und praktisch.
Mit Design punktet auch der
Hersteller Brokis in Horní Dubenky. Er fertigt anspruchsvolle
Leuchten. In der Produktionshalle ist es brütend heiß, wenn
aus unförmigen Klumpen von
Glasmasse durchscheinende
Glasballons entstehen. Hier werden Leuchten produziert, die
aussehen wie Luftballons, wie
die Kollektion Balloons von Lucie Koldova und Yan Effet, die
Glas mit Metall vereint.
Von der Inszenierung à la
Kristallwelten Swarowski in der
Erlebnisdestination Tirol, die allein zwischen Mai und Oktober
2015 über 500.000 Gäste aus 60
Nationen anzog, ist man in den
unspektakulären Glasmanufakturen in Lindava, Nový Šenov
oder Horní Dubenky meilenweit entfernt. Hier sieht man
ungeschönt die Produktion der
schönen Gläser. Und der riesige
bunte Scherbenhaufen auf dem
Firmengelände von Brokis zeigt,
wie schwierig die Herstellung
von Glas eigentlich ist.
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Zum langsamen Abkühlen kommt das geformte Glas in den vorgeheizten Ofen
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