Zukunft der Mobilität 2020

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Zukunft der Mobilität 2020
Automotive
Langfassung
Zukunft der Mobilität 2020
Die Automobilindustrie im Umbruch?
Inhalt
1
Zusammenfassung . ........................................................................................................................................... 2
Zukunft der Mobilität 2020 – eine Industrie im Umbruch............................................................................................... 2
2
Einleitung ............................................................................................................................................... 7
3
Mega- und Konsumenten-Trends – die Treiber der Mobilitäts-Märkte von morgen .................................11
3.1
Mega-Trends – das globale Rahmenwerk der Mobilitäts-Industrie . ...........................................11
3.1.1
Mega-Trend Neo-Ökologie ...............................................................................................11
3.1.2
Mega-Trend Individualisierung .......................................................................................14
3.1.3
Mega-Trend Mobilität ...................................................................................................... 16
3.2
Die relevantesten Konsum- und Gesellschafts-Trends, welche die Mobilitäts-Typen
bis ins Jahr 2020 prägen ..................................................................................................................19
4
Mobilitäts-Typen 2020 ...................................................................................................................................... 31
4.1
Mobilitäts-Typen auf den Triade-Märkten 2020 ............................................................................. 31
4.1.1
Greenovator – Der Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS)
verändert den Mobilitäts-Konsum ................................................................................. 31
4.1.2
Family Cruiser: Die neue Vielfalt der Gemeinschafts-Mobilität .................................. 34
4.1.3
Silver Driver: Die neue Freiheit der grauen Erlebnisgeneration . ............................... 37
4.1.4
High-frequency Commuter: Zeitgeplagte Alltagspendler............................................ 39
4.1.5
Global Jet Setter: Hoher Mobilitäts-Aufwand, hoher Servicebedarf ......................... 42
4.1.6
Sensation Seeker: Die Spaßgesellschaft auf vier Rädern lebt weiter......................... 43
4.1.7
Low End User: Auto-Mobilität wird zum Rechenexempel .......................................... 45
Autoren:
Marc Winterhoff
Carsten Kahner
Dr. Christopher Ulrich
Philipp Sayler
Eike Wenzel
4.2
Mobilitäts-Typen in den Emerging Markets 2020 . ....................................................................... 49
4.2.1
Basic: Die Mobilitäts-Einsteiger....................................................................................... 50
4.2.2
Smart Basic: Die mobilisierte globale Mittelschicht...................................................... 52
4.2.3
Premium: Die Elite-Mobilität für die Emerging Markets ............................................. 55
4.3
Abschätzung der Marktverteilung................................................................................................... 56
5
Geschäftsmodelle für die Individual-Mobilität in 2020 ................................................................................ 58
5.1
Warum Geschäftsmodelle von heute morgen nicht mehr funktionieren................................... 58
5.2
Lösungsszenarien in anderen Industrien ...................................................................................... 59
5.3
Lösungsansätze in der Automobilindustrie .................................................................................. 61
5.4
Geschäftsmodelle 2020 . .................................................................................................................. 62
5.4.1
Product Focussed Manufacturer (PFM) – “It’s a car business”.................................... 64
5.4.2
Service Focussed Manufacturer (SFM) – “Mobility – individual and convenient”.... 65
5.4.3
Basic Mobility Provider (BMP) – “Mobility – nothing more”....................................... 66
5.4.4
Mobility Service Provider (MSP) – “Don’t care, we do!”.............................................. 67
5.5
Größenverteilung der Marktvolumina der Geschäftsmodelle..................................................... 68
6
Die Agenda für die Automobilindustrie.......................................................................................................... 70
Interviewte Experten
............................................................................................................................................. 72
Autoren und Kontakte
............................................................................................................................................. 73
Zukunft der Mobilität 2020
1. Zusammenfassung
Zukunft der Mobilität 2020 – eine Industrie im Umbruch
Die Automobilindustrie befindet sich inmitten einer in dieser Ausprägung
noch nie da gewesenen Krise – eine gesamte Industrie verharrt in Paralyse,
uneinig darüber, ob der Boden der Krise bereits erreicht sei oder der Markt
weiter talwärts rutscht. Die auf breiter Front eingeleiteten umfassenden
Restrukturierungsmaßnahmen werden helfen die Kostenstrukturen kurzund mittelfristig zu optimieren, aber wird dadurch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit gesichert – wird der Automobilmarkt zum Zustand vor der
Krise zurückkehren oder werden neue Geschäftsmodelle die Zukunft der
Mobilität verändern?
Bislang prophezeit die Automobilindustrie sich selbst nach überstandener Krise
eine vollständige Erholung des Markts. Zwar hat die Branche ihre Absatzzahlen für
2009 gegenüber den Prognosen von Oktober 2008 um gut 8 Millionen Fahrzeuge
nach unten korrigiert, allerdings damit gerechnet, dass die Finanzkrise 2010
überstanden ist und die alten Wachstumsraten zurückkehren. Als Hauptreiber
werden die Nachfrage in den BRIC-Staaten sowie die zunehmende Durchdringung des Marktes mit Hybrid- und Elektroantrieben angeführt.
Allerdings wird dabei übersehen, dass die Finanzkrise zwar Verstärker, aber
keinesfalls Auslöser des massiven Absatzeinbruchs ist. Die grundlegende
Veränderung der Kundennachfrage hat ihren Ursprung in den bis zum unmittelbaren Ausbruch der Krise stetig steigenden Ölpreisen und in der CO2-Diskussion
– beides hinreichend bekannte und global wirkende Entwicklungen, die allerdings
bis dahin in der Aufmerksamkeit der Automobilindustrie eher ein Schattendasein
geführt haben. Diese Faktoren haben das Kundenverhalten innerhalb eines “automobilhistorischen Wimpernschlags” unumkehrbar verändert und führten insgesamt zu einer deutlichen Marktabschwächung sowie erheblichen Segmentverschiebungen von großen, luxuriösen hin zu kleineren, verbrauchseffizienten Fahrzeugen. Selbst ein krisenbedingt am Boden liegender Ölpreis bei unter 50 US$
bringt keine Entspannung mit sich, da eine dauerhafte Notierung unter 150 US$
– so die einhellige Expertenmeinung – wohl unrealistisch ist.
Zukunft der Mobilität 2020
Für Arthur D. Little drängen sich daher eine Reihe grundlegender
Fragen auf: Was sind die langfristigen Trends, die den Markt über
konjunkturelle Schwankungen hinaus beeinflussen? Wie wirken
sich diese quantitativ und qualitativ auf den Automobilmarkt
der Zukunft aus? Gibt es vor diesem Hintergrund überhaupt
noch Wachstumspotential im PKW-Markt oder muss sich
die gesamte Branche künftig auf Marktstagnation oder gar
anhaltende Absatzrückgänge einstellen? Was würde dies für
die Automobilindustrie bedeuten und mit welchen Strategien
können die heutigen Automobilhersteller darauf reagieren?
Die Dynamik des Kundenverhaltens hat die Automobilindustrie
und Experten gleichermaßen überrascht. Um an diesem Punkt
die strategisch richtigen Weichen zu stellen, ist es notwendig
die langfristig wirkenden Trends zu erkennen, deren Auswirkung
auf die Kundennachfrage richtig zu antizipieren und rechtzeitig
notwendige Kurskorrekturen einzuleiten.
Vor diesem Hintergrund hat Arthur D. Little in Zusammenarbeit
mit dem Zukunftsinstitut die globale Studie “Zukunft der
Mobilität 2020” erstellt, in der langfristige Trends untersucht und
sich daraus ergebende Mobilitäts-Typen mit unterschiedlichen
Anforderungsprofilen abgeleitet werden. Basierend auf diesen,
teilweise grundlegend neuen Mobilitäts-Bedürfnissen werden
Auswirkungen auf den Automobilmarkt und die Geschäftsmodelle innerhalb der Automobilindustrie untersucht und
mögliche Strategien für die Marktteilnehmer aufgezeigt.
Mega-Trends als Rahmenbedingungen für die
Mobilität von morgen
Welches sind die Treiber der Veränderungen der MobilitätsBedürfnisse, und wo liegen ihre Ursachen? Arthur D. Little hat
sich zur Analyse eines in der Zukunftsforschung angewendeten
Treibermodells bedient, welches Trends zunächst anhand der
Wirkdauer auf das Gesellschafts- und Marktumfeld klassifiziert.
Als Mega-Trends werden in diesem Zusammenhang globale
Faktoren bezeichnet, die für einen Zeitraum von 30 bis 50 Jahren
die Rahmenbedingungen für alle Bereiche von Wirtschaft und
Gesellschaft darstellen. Drei Mega-Trends sind hierbei für das
Thema Mobilität als besonders relevant identifiziert worden:
Neo-Ökologie, initial entstanden durch die Umweltbewegungen
der 80er Jahren, wird heute als gesellschaftliche Verantwortung
wahrgenommen (“Corporate Social Responsibility”). Der bis zur
Finanzkrise stark angestiegene Ölpreis und die CO2-Diskussion
haben diesen Mega-Trend nochmals enorm beschleunigt.
Für nahezu alle Industrien gilt heute, dass Produkte, welche
an diesem Trend vorbeientwickelt worden sind, kaum noch
vermarktbar sind. Der Mega-Trend Individualisierung beschreibt
das Loslösen des Konsumenten aus Massenbewegungen.
Zunehmend werden traditionelle Lebensmodelle verlassen und
durch alle Gesellschaftsschichten hindurch genießt es der Kunde
nicht-konform zu sein. So kann beispielsweise ein erfolgreicher
Unternehmer einen Kleinstwagen fahren und verzichtet damit
auf Statussymbolik, während ein Student hingegen zur biederen
Familienkarosse greift. Der Kunde erwartet zunehmend
auf sein persönliches Lebensgefühl angepasste MobilitätsLösungen, hinsichtlich individualisierbarer Fahrzeugkonzepte
aber auch in Bezug auf das Ausgestalten modularer und
individueller Mobilitäts-Konzepte jenseits des Automobils. Der
Faktor Mobilität, als dritter Wirkfaktor, beschreibt den starken
quantitativen Zuwachs von Mobilität. In den 60er und 70er Jahren
hat sich in den Triade-Märkten der individuelle Mobilitäts-Radius
signifikant erweitert, die BRIC-Märkte (Brasilien, Russland,
Indien, China) folgten mit einiger Verzögerung. Limitierungen oder
schädliche Auswirkungen von Mobilität, wie Verkehrsaufkommen
und CO2-Emission, wurden jedoch erst viel später gesellschaftlich
reflektiert. Fahrzeugkonzepte für sich alleine sind nur noch
zu einem Teil in der Lage, den gestiegenen Mobilitäts-Bedarf
abzudecken – entscheidend wird in diesem Zusammenhang die
optimale Einbindung der fahrzeuggebundenen Mobilität in andere
Mobilitäts-Formen sein.
In dem Umfeld der in der Studie identifizierten Mega-,
Gesellschafts- und Konsumenten-Trends formieren sich bis 2020
neue Konsumententypen von Mobilität, sogenannte MobilitätsTypen. Als Ergänzung zu klassischen Werkzeugen der Markt- und
Trend-Forschung, wie dem Modellieren von Kundentypen anhand
von Sigmamilieus, dienen die Mobilitäts-Typen zur Verbesserung
des Verständnisses des Kunden, insbesondere hinsichtlich der
Mobilitäts-Anforderungen von morgen. Das jeweilige MobilitätsBedürfnis wird anhand der Lebensstile im Kontext ihres
soziologischen Umfeldes veranschaulicht. Für die Triade-Märkte
wurden die Mobilitäts-Typen Greenovator, Family Cruiser, Silver
Driver, High-frequency Commuter, Global Jet Setter, Sensation
Seeker und Low-End User identifiziert. Für die BRIC-Märkte sind
aufgrund des noch vergleichsweise jungen Automobilmarktes
3
Zukunft der Mobilität 2020
P
Abbildung 1: Trends und resultierende Mobilitäts-Typen 2020
Mega-Trends
(20 bis 30 Jahre)
Gesellschafts- und KonsumentenTrends (5 bis 10 Jahre)
Feminisierung
Mobilitäts-Typen 2020
Greenovator
Simplify
Deep Support
Silberne Revolution
Familie 2.0
Globalisierung
Multigraphie
Neo-Ökologie
Neo-Cities
Vernetzung
Cheap Chic
Mobilität
Greenomics
Family Cruiser
Silver Driver
High-frequency Commuter
Global Jet Setter
Low-End User
New Luxury
BRIC Märkte
Individualisierung
Triade-Märkte
Downaging
Basic
Smart Basic
Premium
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
die Mobilitäts-Typen weniger feingliedrig in Form der Segmente
Basic, Smart Basic und Premium dargestellt worden (vgl.
Abbildung 1).
Der wohl dominanteste Mobilitäts-Typ für die Triade-Märkte
wird der Greenovator sein. 2020 steht er in den Triade-Märkten
bereits für knapp 30 Prozent des gesamten Automobilmarktes.
Der Greenovator verbindet Umweltbewusstsein und einen
nachhaltigen Lebensstil mit Lebensqualität. Zurückhaltung in
Konsum und Luxus stellt für ihn einen wesentlichen Teil seines
Kultur- und Lebensverständnisses dar – mit entsprechenden
Konsequenzen für seinen Mobilitäts-Konsum. Für den
Greenovator sind vorwiegend intelligente und nachhaltige
Fahrzeugkonzepte von Interesse. Er definiert sich gegenüber
seinem soziologischen Umfeld nicht zuletzt durch den Gebrauch
nachhaltiger Produkte und interpretiert somit Fahrzeug-Prestige
für sich neu. Ganz im Gegensatz dazu steht beispielsweise der
Premium-Kunde der BRIC-Märkte. Für diesen Kundentyp ist
das klassische Verständnis von Statussymbolik, transportiert
durch luxuriöse und vorwiegend westliche Fahrzeuge, weiterhin
vorrangig vor Aspekten wie Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz.
Für die Automobilindustrie wird dies auch zukünftig ein Kundensegment mir attraktiven Margen darstellen, hinsichtlich erzielbarer Absatzzahlen bleibt es in der Gesamtbetrachtung allerdings ein vergleichsweise kleines Marktsegment.
4
Das Portfolio von morgen: Neben dem Produkt mehr
Dienstleistungen und Mobilität
Die Analyse der Mobilitäts-Typen zeigt, dass sich die Bedürfnisprofile der Kunden verschieben: Nachhaltigkeit, Individualität,
optimierte Kostenposition treten für die meisten Kundengruppen
in den Vordergrund, während Luxus, Motorleistung etc. nur noch
für ein kleineres Kundensegment wichtige Bewertungskriterien
sind (vgl. Abbildung 2). In der Fahrzeugentwicklung stehen die
Automobilhersteller damit vor der konkreten Herausforderung,
ihre Innovationskapazitäten richtig zu balancieren. Es müssen
enorm teure Entwicklungsleistungen hin zu nachhaltigen
Fahrzeugkonzepten geschultert werden, gleichzeitig erwartet
der Kunde von den Herstellern ein Produktportfolio, welches den
schrumpfenden Konsumentenbudgets hinsichtlich Anschaffungsund Betriebskosten gerecht wird. In Folge stürzen sich derzeit
alle Hersteller auf diesen umkämpften Volumenmarkt und
kannibalisieren durch den Preiskampf ihre eigenen Gewinne. Die
Ambivalenz aus steigenden Entwicklungs- und Fertigungskosten
und rückläufigem bzw. stagnierendem Marktvolumen gefährdet,
gerade in einem derart hart umkämpften Markt, die Rentabilität
der bestehenden Geschäftsmodelle.
Zukunft der Mobilität 2020
neu
Abbildung 2: Veränderte Anforderungen der Mobilitäts-Typen 2020
1
Mobilität
„ Global wachsender Mobilitäts-Bedarf
„ Geringere verfügbare Mittel der Kunden für Mobilität
oder verlagerte Budgetprioritäten
„ Weiterhin Nachfrage nach individualisierten
Mobilitätslösungen
3
Produkt
„ Hoher Fokus des Kunden auf Aspekte wie
– Downsizing
– Individualisierbarkeit
– Investitions- und Betriebskosten
– Produktinnovation
– “Environmental Correctness”
Auswahl
Fahrzeugbesitz
2
„ Wachsende Nachfrage nach flexibilisierbaren Besitzmodellen zur Reduzierung der Investitionskosten,
fixen Kosten und Betriebskosten
„ Abnehmende Bedeutung des Fahrzeugs als
Statussymbol. Nutzung zunehmend wichtiger
als Besitz
Wesentliche
Auswirkungen
Dienstleistung
auf die Kundenbedürfnisse
„ Nachfrage nach umfassenden Service- und
2020
4
Supportangeboten zum Fahrzeug und darüber
hinaus
„ Steigende Nachfrage nach Dienstleistungen, welche
Mobilität und angrenzende Bereiche in geeigneter Weise bündeln, z. B. Medienintegration, Connectivity etc.
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
Dass es Auswege aus einem Marktumfeld mit Margenverfall
und dicht gedrängtem Wettbewerb geben kann, zeigt ein
Rückblick auf die IT-Industrie Mitte der 90er Jahre. Stagnation
und Überangebot trieben Hardwarehersteller wie IBM, Compaq
oder Hewlett-Packard in ruinöse Preiskämpfe und führten zu
drastischem Margenverfall. Das vorherrschende Geschäftsmodell des reinen Produktherstellers war in Frage gestellt und die
Marktteilnehmer entwickelten unterschiedliche Geschäftsmodellinnovationen als Lösungsstrategien. Während sich Dell weiterhin
als reiner Hardwarehersteller, aber mit revolutionierten Vertriebsund Produktionsprozessen positionierte, wendete IBM sich demgegenüber sukzessive vollständig von der Produktherstellung
ab und erfand sich als Dienstleistungsunternehmen neu.
Apple ergänzte sein auf Premiumcomputern basierendes
Geschäftsmodell um weitere Produktbereiche, wie der Sparte
MP3 Player (iPod) und zuletzt Smartphones (iPhone), vor
allem aber um servicebasierte Umsatzträger wie iTunes. Die
Umsetzung eines Multi-Revenue-Geschäftsmodells ist heute
ebenso sehr gut in der Mobiltelefonindustrie zu beobachten.
Apple, als neuer Wettbewerber in dieser Industrie, zeigte der
Konkurrenz wie über ein Produkt mehrere Umsatzströme aus
Applikationen, Medien und Services generiert werden können.
Selbst der bis dato vollständig produktorientierte Marktführer
Nokia, jüngst mit deutlichen Umsatzeinbußen, versucht mittlerweile diesem Beispiel zu folgen und verfügt heute über ein
vergleichbares Internetportal, um am attraktiven Servicegeschäft
teilhaben zu können.
Zeigen sich bereits ähnliche Trends in den Automobilmärkten?
Ein Blick auf den japanischen Automobilmarkt zeigt, dass dort
gerade die jüngeren Kundensegmente sich vom Konzept, ein
Auto selbst zu besitzen, abwenden.
Fahrzeuge verlieren zusehends ihre Rolle als Statussymbol
gegenüber Smartphones, Netbooks etc. Diesem Trend
folgend geht die Fahrzeugindustrie neue Wege, um Mobilität
zu vermarkten und neue Umsatzströme zu generieren.
Die Nutzung von Car-Sharing hat sich im vergangenen Jahr
verdreifacht und auch OEM wie Toyota oder Mazda starten
in diesem Zusammenhang Pilotprojekte, die staatlich stark
gefördert werden. Für Toyota spielt das Geschäftsfeld M2MKommunikation/Telematik eine wachsende Bedeutung als
Basis für neue Services rund um die Themengebiete Sicherheit,
Komfort (Navigation, Media-on-demand, Connectivity) und
Nachhaltigkeit. Darüber hinaus investiert Toyota in den Bereich
Robotik, um damit völlig neue Produktkonzepte für Kurzstreckenmobilität innerhalb der Stadt oder in Verbindung mit öffentlichen
Verkehrsmitteln anbieten zu können.
Die Studie “Zukunft der Mobilität 2020” zeigt akuten Handlungsbedarf. Der Kunde will zukünftig weniger Geld in Mobilität
5
Zukunft der Mobilität 2020
investieren, zudem sinkt seine Bereitschaft sich lange an ein
Produkt zu binden. Trotzdem steigen seine Anforderungen an
Mobilität, Nachhaltigkeit und Innovation. In diesem Spannungsfeld wird es nur für wenige Marktteilnehmer möglich sein, im
Volumenmarkt rein über produktbezogene Umsatzströme die
notwendigen Margen zu erzielen.
Die Automobilindustrie der Zukunft steht vor der Herausforderung, das etablierte Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu
stellen und neue innovative Wege zur Erfüllung der MobilitätsBedürfnisse der Zukunft zu finden.
Arthur D. Little hat vor diesem Hintergrund ein Marktmodell
für Entwicklungsoptionen der zukünftigen Automobilindustrie
entwickelt, das durch vier idealtypische Geschäftsmodelle
für Automobilhersteller oder aber neue Marktteilnehmer
aufgespannt wird. Als Bewertungsfaktoren sind zwei Achsen
relevant: die Servicetiefe und der Grad der Abhängigkeit des
Mobilitäts-Angebots von einem bestimmten Produkt (vgl.
Abbildung 3).
In dieser Matrix beschreibt beispielsweise das Geschäftsmodell
des Basic Mobility Providers (BMP) ein Konzept, bei dem es zu
einer vollständigen Entkoppelung von Mobilität und Automobilbesitz für den einzelnen Kunden kommt. Hier bedeutet Mobilität
nicht mehr zwangsläufig Auto-Mobilität und das Fahrzeug steht
nicht im Vordergrund der Leistung, vielmehr zählt ausschließlich
die effiziente und kostengünstige Fortbewegung. Der Basic
Mobility Provider richtet sein Geschäftsmodell vornehmlich
auf das Ermöglichen von Mobilität als Dienstleistung aus und
vollzieht somit einen revolutionären Wandel gegenüber den
heute bestehenden Geschäftsmodellen der OEM. Weitere
Geschäftsmodelle zeigen genau in die entgegensetzte Richtung.
Der Product Focused Mobility Provider (PFM) ist dem heutigen
Geschäftsmodell der Automobilhersteller am nächsten und
adressiert mit einem technologisch herausragenden Produkt
vor allem die Kundengruppen, denen das Produkt, welches
Mobilität bereitstellt, weiterhin wichtig ist. Zumeist werden hier
technologisch versierte und im Automobilmarkt gut informierte
Kunden angesprochen.
Durch die Transformation zu neuen Geschäftsmodellen können
die OEM Chancen wahrnehmen und Bedrohungen durch neue
Marktteilnehmer abwenden – vorausgesetzt, sie entschließen
sich zu einem schnellen und konsequenten Handeln. Der Weg
dorthin ist aber zweifelsohne aufwändig. Neben der Definition
des jeweils geeigneten Geschäftsmodells sind die Anpassung
des Produktportfolios, die Neuausrichtung der Wertschöpfungskette und der Aufbau von Kooperationsnetzwerken die wesentlichen Herausforderungen, denen sich die Automobilhersteller
stellen müssen.
Abbildung 3: Marktmodell Mobilität
Idealtypische Geschäftsmodelle
Bindung von Produkt und Mobilität
Product Focused
Manufacturer
Abnehmende Bedeutung
eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes)
Voll
integrierte
MobilitätsDienstleistungen
Servicetiefe
Fahrzeugbasierte
Dienstleistungen
Service Focused
Manufacturer
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
6
Basic Mobility
Provider
Abnehmende Bedeutung
eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes)
Mobility Service
Provider
Zukunft der Mobilität 2020
2. Einleitung
Mobilität ist ein Grundbedürfnis unseres Lebens und Grundvoraussetzung unseres Wirtschaftens gleichermaßen. Nichts prägt
unser Leben in der global beschleunigten Gesellschaft so tiefgreifend wie Mobilität. Mobil zu sein wird von uns mit
Lebensqualität gleichgesetzt, auf Einschnitte und Einschränkungen darin reagieren wir entsprechend sensibel. Die
möglichst einfache, schnelle und komfortable Überwindung
von Distanzen erscheint uns mittlerweile als etwas Selbstverständliches, die nahezu uneingeschränkte Verfügbarkeit von
Mobilität haben wir als Bestandteil unseres Alltags verinnerlicht.
In einer immer stärker vernetzten Welt nimmt nicht nur die
Bedeutung von Mobilität zu, ebenso steigt unser quantitativer
Mobilitäts-Bedarf unaufhörlich. So prognostiziert das Institut
für Mobilitäts-Forschung ifmo für Deutschland eine Zunahme
der Verkehrsleistung bis 2025 um knapp 12 Prozent gegenüber
einem Vergleichswert aus 2003 bei einer nahezu konstanten
Bevölkerungszahl. Noch deutlicher ist eine Zunahme der Mobilitätsleistung in den Emerging Markets zu beobachten. Für China
wird beispielsweise von einer Steigerung der PKW-Dichte von
heute 30 pro tausend Einwohner auf 150 in 2020 ausgegangen.
Scheinbar im Widerspruch zum steigenden Mobilitäts-Bedarf
steht die aktuelle Entwicklung auf den Automobilmärkten.
Dort ist der Absatz seit Mitte 2008 massiv eingebrochen,
vorsichtige Prognosen erwarten eine Erholung erst in den
ersten Quartalen 2010 oder sogar später. Allerdings zeigt sich
der gesamte Automobilmarkt derzeit hochgradig volatil, so dass
die Halbwertszeiten der Prognosen entsprechend kurz sind (vgl.
Abbildung 4).
Beim Blick auf aktuelle Marktprognosen fällt jedoch v.a.
auf, dass alte Wachstumsraten nach dem überwundenen
konjunkturellen Effekt der Finanzkrise fortgeschrieben werden.
Dies würde implizit bedeuten, dass der Absatzeinbruch allein
der Finanzkrise zugeschrieben werden kann und nach der Krise
keine Ausläufer mehr auf die Märkte wirken. In den BRICMärkten stand allerdings eine riesige Konsumentengruppe
vor dem Eintritt in das Low-Entry Automobilsegment, für
die plötzlich nach Eintreten von Massenarbeitslosigkeit und
ohne nennenswerte Rücklagen ein Automobilkauf in weite
Ferne gerückt ist. Gegen die Annahme zurückkehrender
Wachstumsraten spricht außerdem, dass insbesondere die
Absatzzahlen in den Triade-Märkten schon Anfang 2007 ein
anderes Bild gezeichnet haben. Getrieben durch die Diskussion
um die CO2-Belastung und steigenden Kraftstoffpreise wurde
das Wachstum deutlich gebremst, gleichzeitig kam es zu einer
Abbildung 4: Globale Absatzentwicklung auf dem PKW-Markt
Absatzentwicklung in der Automobilindustrie
Millionen Fahrzeuge p. a.
Weltweit verkaufte PKW
Stückzahlen
70
65
60
„
„
„
„
Finanzkrise
CO2-Diskussion
Produktkrise
Strukturkrise
A
55
B
50
45
40
2004
Wachstum Abschwung
2005
2006
2007
2008
Untersättigung Normalisierung
2009
2010
2011
2012
2013
2014
„ Vollständige Erholung des PKW-Marktes,
globale Wachstumsraten identisch zu vor
der Krise
„ Zweistellige Wachstumsraten in den BRICMärkten kompensieren abflachendes
Wachstum in den Triade-Märkten
„ Ersatzinvestitionen getrieben durch
angepasste Produktportfolien
„ Wachstum nur noch in den BRIC-Märkten
„ Rückläufige Nachfrage in Triade
„ Zunehmende Verweigerung der Kunden
gegenüber Fahrzeugbesitz
„ Steigende Nachfrage nach neuen
Mobilitäts-Lösungen
… in der automobilen Zukunft erscheinen alte Wachstumsraten unwahrscheinlich
Quelle: Global Insight, Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
7
Zukunft der Mobilität 2020
signifikanten Verschiebung hin zu kleineren Fahrzeugen mit
geringen Verbrauchswerten. In 2013 wird die Kleinwagen- und
Kompaktklasse bezogen auf die Absatzzahlen für ca. 65 Prozent
des Gesamtmarktes stehen (2003: 48 Prozent). Dieses Segment
ist somit im Begriff der entscheidende Markt und gleichzeitig die
Achillessehne für die Zukunft der Automobilindustrie zu werden.
Können die hier prognostizierten Wachstumsraten nicht erzielt
werden, sind sie durch andere Segmente kaum kompensierbar.
Während die Verkaufszahlen kleiner und verbrauchseffizienter
Fahrzeuge durch Downsizen in den Triade-Märkten und
Neukunden im Einstiegssegment in den BRIC-Märkten
profitieren und vergleichsweise gute Wachstumsraten zeigen,
wird oftmals übersehen, dass in den Triade-Märkten aus
diesem Segment heraus auch eine signifikante Abwanderung
von Kunden hin zu anderen, nicht fahrzeuggebundenen
Formen der Mobilität stattfindet. In einigen Fällen können oder
wollen sich Kunden fahrzeuggebundene Mobilität aufgrund
von Mittelknappheit oder veränderten Budgetprioritäten
nicht mehr leisten. Oftmals fühlt sich der Kunde aber auch
durch das Angebot der Automobilkonzerne nicht ausreichend
angesprochen. Die Mobilitäts-Bedürfnisse der Kunden
unterliegen derzeit einem Veränderungsprozess, in dem die
Anforderungen an Mobilität und der Stellenwert des Fahrzeugs
völlig neu definiert werden. Von nachhaltigen Antrieben,
geringen Anschaffungskosten, flexiblen Besitzmodellen und
umfassenden Dienstleistungen stellt der Kunde Ansprüche,
die durch die heutigen Geschäftsmodelle und Produktportfolien
der OEM nicht vollständig bedient werden können. Die Schere
zwischen Marktangebot und Mobilitäts-Bedürfnis droht bis 2020
noch weiter auseinander zugehen – Wachstumsraten wie vor
der Krise erscheinen vor diesem Hintergrund wenig realistisch.
Kernziel der Studie ist es deswegen, die Treiber, welche
diese teilweise grundlegende Verschiebung in den MobilitätsBedürfnissen verursacht haben, zu identifizieren und deren
weitere Auswirkung auf die Mobilitäts-Märkte von morgen
zu analysieren. Welche globalen Veränderungen und welche
gesellschaftlichen Trends beeinflussen den Kunden und damit
die Mobilität von morgen? Welche Kundentypen formen sich
in diesem Umfeld bis 2020, und was sind ihre MobilitätsBedürfnisse?
8
Die Studie verfolgt folgende Ziele:
nn
Beschreiben der wesentlichen langfristigen Einflüsse auf
das Konsumverhalten, abgeleitet aus globalen Mega-Trends,
Konsum- und Gesellschafts-Trends
nn
Entwurf von Konsumentengruppierungen (Mobilitäts-Typen),
die über bestehende Milieu-Modelle hinaus gültig sind und
ein verbessertes Verständnis für zukünftige Kundengruppen
liefern
nn
Ableiten von idealtypischen Geschäftsmodellen und Handlungsimplikationen für Fahrzeughersteller und MobilitätsAnbieter, um die Chancen aus den veränderten Randbedingungen nutzen zu können
Folgende Fragen sollen in der Studie beantwortet werden:
nn
Wie werden wir mittel- und langfristig Mobilität konsumieren?
nn
Wie gestalten sich die Mobilitäts-Anforderungen der Zukunft
und welche Mobilitäts-Konzepte ergeben sich daraus?
nn
Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für die
Automobilindustrie?
nn
Welche Handlungsoptionen gibt es für die heutigen Marktteilnehmer? Welche Strategien und Geschäftsmodelle lassen
sich daraus ableiten?
Das Vorgehen innerhalb der Studie Zukunft der Mobilität 2020
ist vierstufig. Die global wirkenden Mega- und KonsumentenTrends werden im Rahmen einer hypothesenbasierten Analyse
des Marktumfelds 2020 in Kapitel 3 untersucht. Im Kapitel 4
werden die daraus resultierenden Mobilitäts-Typen in ihrem
soziologischem Umfeld beschrieben. Mögliche Geschäftsmodelle für die Automobilhersteller, mit denen die veränderten Mobilitätsbedürfnisse adressiert werden können, sind im Kapitel 5
dargestellt, die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen
folgen in Kapitel 6 (vgl. Abbildung 5 nächste Seite).
Zukunft der Mobilität 2020
Abbildung 5: Vorgehensweise der Studie
Konsumentensicht
Mega-Tends
Branchensicht
Kapitel 3
Marktanalyse
Kapitel 4
Gesellschafts-/
KonsumentenTrends
Kapitel 5
Mobilitäts-Typen
Kapitel 6
Geschäftsmodelle
„ Zielkunden
„ Triade
„ BRIC
Expertenperspektive
„ Marktangebot
„ Werktschöpfungsarchitektur
„ Wertschöpfungsnetzwerk
Handlungsempfehlungen
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
Ausblick Kapitel 3: Mega-, Gesellschafts- und Konsumenten-Trends
Mega-Trends beschreiben Veränderungen, die sich im Zeitraum
von mindestens 30 bis 50 Jahren in allen Bereichen von
Wirtschaft und Gesellschaft mit Nachdruck manifestieren. In
vielerlei Hinsicht wirken sie sich auf Konsumentenverhalten
aus und damit auch auf die Zukunft der Automobilindustrie.
Es ließen sich auch Konsequenzen von Mega-Trends wie
Gesundheit, Alterung, Connectivity, Globalisierung, Female
Empowerment auf das Thema Mobilität aufzeigen. Allerdings
soll in erster Linie ein Modell der aus unserer Sicht wichtigsten
Veränderungsparameter entworfen werden, die auf die nahe
automobile Zukunft wirken.
Mega-Trends haben einen mittelbaren Einfluss auf
Konsumenten und Märkte. Sie bestimmen die großen
Zukunftsthemen und die damit verbundenen Herausforderungen
in der Welt von morgen – eine Analyse des künftigen MobilitätsKonsums muss diesen strukturellen Randbedingungen
Rechnung tragen.
Konsum- und Gesellschafts-Trends beeinflussen dagegen
unmittelbar die Konsumentenbedürfnisse. Im Rahmen der
Studie wurden dieRelevanten unter ihnen identifiziert, die
mindestens bis ins Jahr 2020 die Wünsche und Bedürfnisse
der Konsumenten maßgeblich bestimmen werden. Auch wenn
Konsumenten-Trends regional sehr unterschiedlich ausgeprägt
sein können, gibt es einige Konsumenten-Trends, die nach
einer Latenzzeit den gesamten globalen Konsumentenmarkt
erfassen können. Um die “Mobilitäts-Typen 2020” in der Tiefe
und der Vielfalt ihrer Dimensionen schließlich beschreiben zu
können, wurde zusätzlich ein Branchenscanning anhand von
Marktanalysen und Experteninterviews durchgeführt, das als
unverzichtbares Hintergrundwissen über aktuelle Entwicklungen
der weltweiten Automobilmärkte dient. Besonders wichtig war
es hierbei, die Ergebnisse durch Einschätzungen von TrendPionieren, Insidern und Nonkonformisten der Automobilbranche
zusammenzuführen.
Ausblick Kapitel 4: Mobilitäts-Typen
Mit Hilfe der Trends und Mega-Trends wurden die wichtigsten
Zukunftsbedarfe beschrieben, welche die Konsumenten in
den nächsten Jahren bis 2020 artikulieren werden. Trends
wie Multigrafie, Individualisierung, Cheap-Chic oder New
Luxury zeigen sehr anschaulich, dass wir das Zeitalter der
nachfragegetriebenen Massenmärkte hinter uns gelassen
9
Zukunft der Mobilität 2020
haben. Klassische Marktforschung, aber auch die MilieuAnsätze (Sinus, Sigma) basieren jedoch darauf, dass sich
Zielgruppen und Konsumentenbedürfnisse eindimensional und
gegenwartsverhaftet bestimmen lassen. Tatsächlich müssen
Zielgruppen und Konsumenten von morgen aber situativer,
individueller und zukunftsoffener betrachtet werden.
Die “Mobilitäts-Typen 2020” sind die Antwort auf die
veränderten Anforderungen der Kunden, die sich aus den
genannten Trends entwickeln werden. Sie bilden eine neuartige
Möglichkeit der Kundensegmentierung, die über die heutigen
Milieu-Modelle hinaus gültig sein wird und ein noch besseres
Verständnis der zukünftigen Kundengruppen liefern.
Ausblick Kapitel 5: Geschäftsmodelle
Aus unserer Trend-Analyse und den neuen Mobilitäts-Typen
ergeben sich Handlungsimplikationen für die Automobilhersteller. Fest steht: Es sind Anforderungen, die über eine
inkrementelle Anpassung des Produktportfolios weit hinausgehen. Es ist eine grundlegende Transformation der gewachsenen Geschäftsmodelle notwendig, um den zukünftigen
Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Dazu entstehen
zusätzlich aus den (Mega-)Trends resultierend neue Bedürfnisse,
die von den bisherigen Geschäftsmodellen der OEM nicht
mehr abgedeckt werden können. Dies zusammen genommen
führt zu einem signifikanten Anstieg der Komplexität in den
Kunden-OEM-Beziehungen, die es schon zum jetzigen Zeitpunkt
erforderlich macht, weit über die Grenzen bestehender Modelle
hinaus zu denken.
Ausblick Kapitel 6: Die Agenda für die Automobilindustrie
Während in den vorangegangenen Kapiteln die Handlungsmotivation und mögliche Zielszenarien beschrieben worden
sind, gibt Kapitel 6 einen Ausblick auf die entscheidenden
Handlungsfelder und Meilensteine für die Teilnehmer des
Automobilmarktes 2020.
10
Zukunft der Mobilität 2020
3. Mega- und Konsumententrends – die
Treiber der Mobilitätsmärkte von morgen
3.1 Mega-Trends – das globale Rahmenwerk
der Mobilitäts-Industrie
3.1.1 Mega-Trend Neo-Ökologie
Unter den veränderten Voraussetzungen von Globalisierung,
Klimawandel, Verknappung bzw. Verteuerung von Rohstoffen
verändern sich die Prioritäten von Wirtschaft und Gesellschaft.
Verstärktes Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein der
Konsumenten führt zusätzlich dazu, dass Wachstum künftig
aus einem neuen Mix von Ökonomie, Ökologie und gesellschaftlichem Engagement generiert wird. Nachhaltigkeit und
Umweltaspekte werden immer öfter zum entscheidenden
Kaufkriterium.
Umweltschutz, Ressourcenschonung, Corporate Social
Responsibility – der Mega-Trend Neo-Ökologie verschiebt die
Grundkoordinaten unseres Wirtschaftssystems und wird zur
wichtigen Ergänzung der klassischen Kapitalmarktorientierung.
Der Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) ist das
Konsumparadigma der nächsten Jahre. Neo-Ökologie ist keine
vorübergehende Erscheinung, sondern Auswirkung eines
substanziellen Wandels, der unsere Märkte in den nächsten
Jahren einer radikalen Transformation unterwirft. Wesentliche
Merkmale des Mega-Trends sind:
nn
Öko-Ökonomie: Soziale und ökologische Fragen haben sich
in den vergangenen Jahren ökonomisiert und eine eigene
wirtschaftliche Dynamik entwickelt. Neo-Ökologie wird nicht
mehr als Ökonomiehemmender Faktor wahrgenommen, für
einige Industrien, wie beispielsweise erneuerbare Energien,
ist Neo-Ökologie sogar der zentrale Treiber
nn
Prinzip Verantwortung: Der Konsument beginnt Verantwortung für die Auswirkungen zu empfinden, die mit der Herstellung oder Nutzung von Produkten verbunden sind. Dies
umfasst nicht nur Umweltaspekte, sondern auch faire Arbeitsbedingungen, Korruptionsbekämpfung, Bildungschancen,
Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten werden in
zunehmendem Maße Teil der ökonomischen Kalkulation.
nn
Ethischer Konsum: Konsum findet dadurch unter völlig veränderten Voraussetzungen statt. Wer diese Zeichen der Zeit nicht
erkennt, entwickelt an den Bedürfnissen der Kunden vorbei.
Neben den in der Öffentlichkeit breit diskutierten Risiken
eröffnen sich durch die neue Lage jedoch auch große Chancen
und neue Märkte. So boomt beispielsweise der Bio-Markt, die
High-Tech-Industrie profitiert massiv vom grünen Wandel der
Märkte und das Konsumentengewissen avanciert zum neuen
Wachstumsmotor, insbesondere in den Triade-Märkten. Bis ins
Jahr 2015, so die Schätzung des Natural Marketing Instituts,
wird sich diese Zahl noch einmal verdoppeln. Bis 2015 werden
also – allein in den USA – 850 Milliarden US$ erwartet und ein
Weltmarktvolumen von 1,6 Billiarden US$ geschätzt.
Die Märkte der Zukunft sind grün
Die Sicherung der Mobilität von Personen und Gütern hängt
längst nicht mehr nur von ökonomischen Faktoren ab.
Letztlich ist schwer zu identifizieren, ob Ökologie-Trends
oder Ressourcenverknappung bzw. -verteuerung das weit
reichende Umdenken verursacht haben. Sicher ist jedoch, dass
der Konsument von morgen erwartet, dass die zunehmende
Mobilität auf eine ökologisch tragfähige Basis gestellt wird.
Die Ökologisierung betrifft aber keineswegs nur die Industrien,
die im direkten Zusammenhang mit Mobilität stehen. Im
Bereich der Energieerzeugung treibt das Erneuerbare Energien
Gesetz Technologien rund um Windkraft, Photovoltaik und
Brennstoffzellen voran und beschert den Unternehmen teilweise
Wachstumsraten von deutlich über 20 Prozent. Diese teilweise
noch sehr kleinen Industriesegmente werden 2016 nach
Schätzungen des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Clean Edge ein Weltmarktvolumen von mehr als
226 Milliarden US$ erreichen, und damit beispielsweise
das Produktionsvolumen der Halbleiterindustrie übertreffen.
Umwelttechnologien als Industriesegment werden sich in
Deutschland bereits 2020 auf Augenhöhe mit Industrien wie
Fahrzeug- oder Maschinenbau befinden.
Unter den Umwelttechnologien wachsen wiederum vor allem
die Bereiche Energieerzeugung, Energieeffizienz und Mobilität
besonders stark, wie eine Untersuchung des BMU von 2007
zeigt (vgl. Abbildung 6).
11
Zukunft der Mobilität 2020
Abbildung 6: Wachstumsmarkt Umwelttechnologien – Der Boom hält an
Umsatzwachstum für Umwelttechnologien in Deutschland
in Prozent
2005 - 2006
2007 - 2009
35
30
30
27
29
25
20
20
21
22
13
15
17
15
11
12
11
10
5
0
Umweltfreundliche
Energieerzeugung
Nachhaltige Mobilität
Energieeffizienz
Kreislaufwirtschaft
Nachhaltige
Wasserwirtschaft
Rohstoff- und
Materialeinsatz
Quelle: BMU, 2007
Wie Neo-Ökologie die Automobilindustrie verändert
Verbrennungsmotoren auf Basis konventioneller Treibstoffe
sind im großen Stile mittelfristig noch nicht substituierbar. Auch
wenn die Anstrengungen, welche in den Forschungs- und
Entwicklungslaboren betrieben werden, derzeit sehr groß sind,
fehlen den meisten Alternativkonzepten nach Expertenmeinung
zur Produktionsreife für große Stückzahlen noch einige Jahre.
Dabei ist nicht immer die technologische Machbarkeit oder
die Zuverlässigkeit die entscheidende Barriere, die noch nicht
vollständig überwunden ist. Oftmals sind die Fertigungskosten
schlichtweg zu hoch, als dass nach heutigen Standards
geeignete Fahrzeugkonzepte zu konkurrenzfähigen Preisen
angeboten werden könnten.
Die Markttreiber und das Kundenverständnis haben allerdings
die Entwicklungsgeschwindigkeit der F&E-Labore überholt.
Laut einer internationalen Umfrage in den USA, Frankreich,
Großbritannien, Deutschland sowie in den Wachstumsmärkten
China und Indien sprechen die Kunden dem konventionellen
Verbrennungsmotor die Zukunftsfähigkeit ab. Hybridmotoren
haben länderübergreifend große Imagevorsprünge gegenüber
12
Benzin- und Dieselfahrzeugen – gerade in den aufstrebenden
Ländern China und Indien. Über 41 Prozent der Neuwagenkäufer
in diesen Ländern sind überzeugt, dass dem Hybridantrieb
die Zukunft gehört. Gleichzeitig geben in Indien zwei Drittel
der Neuwagenkäufer (63 Prozent) an, dass die Umweltverträglichkeit beim Autokauf eine sehr wichtige Rolle spielt,
in China und Deutschland gilt das immerhin für ein Drittel der
Befragten (vgl. Abbildung 7 nächste Seite).
Mobilität 2020: Der Siegeszug alternativer Antriebstechnologien
Im Jahr 2007 wurden weltweit über 500.000 Hybridautos
verkauft – ein Plus von 37 Prozent gegenüber 2006 (HybridCars.
com/R. L. Polk, Hybrid Market Dashboard, Februar 2007 und
Februar 2008). Deutlich verschärfte Emissionsgrenzen, strengere
Kraftstoffvorschriften in vielen Ländern sowie stark gestiegene
Kraftstoffpreise sind aber nur äußere Faktoren für den Erfolg von
Hybrid-Fahrzeugen. Die Attraktivität dieser Autos resultiert vor
allem aus ihrem sauberen Image bei den Kunden.
Zukunft der Mobilität 2020
Abbildung 7: Umweltverträglichkeit hat beim Autokauf hohe Bedeutung
Wichtigkeit von Umweltverträglichkeit beim Autokauf – nach Ländern
Frage: Wie wichtig ist Ihnen Umweltverträglichkeit beim Autokauf?
Gesamt (N=3.644,gewichtet)
Indien (N=518)
56,0%
34,5%
Deutschland (N=505)
57,2%
32,1%
Frankreich (N=522)
25,7%
USA (N=1.065)
27,0%
Großbritannien (N=500)
2,0% 0,7%
34,6%
62,7%
China (N=534)
14,4%
52,1%
23,4%
52,6%
sehr wichtig
wichtig
weniger wichtig
8,8%
0,7%
9,9%
0,8%
10,3%
61,3%
18,4%
2,8%
11,5%
52,3%
33,4%
unwichtig
2,7%
6,4%
5,6%
keine Angabe
Quelle: Puls, 2007
Wie groß der Hybrid-Markt in Zukunft sein wird, ist momentan
noch schwer abzuschätzen. Seit der Einführung der ersten
Hybrid-Autos hat niemand das schnelle Wachstum der
Verkaufszahlen vorhergesagt. Dennoch wagen Analysten
mittlerweile hochfliegende Prognosen: B&D Forecast schätzt
den globalen Markt im Jahr 2010 auf rund 2,4 Millionen
Fahrzeuge. Aufgrund der stark wachsenden Modellpalette
prognostiziert B&D Forecast für das Jahr 2025 einen Hybridanteil von 74 Prozent in Japan, 73 Prozent in den USA und
44 Prozent in Europa – in Großbritannien sogar von ca.
70 Prozent, weil hier der Diesel keine starke Lobby besitzt und
steuerlich nicht subventioniert wird (vgl. Abbildung 8).
Abbildung 8: Europa holt beim Absatz von Hybridautos auf
Absatz von Voll- und Mildhybridautos1)
in Millionen
5
Prognose
4
3
2
USA
Europa
Japan
Deutschland
1
0
2004
2008
2010
2015
2020
Quelle: B&D Forecast; 1) ab 2006 Prognose
13
Zukunft der Mobilität 2020
Neo-Ökologische Metropolen: London ist globaler
Primus
Der Siegeszug ökologischer Konzepte wird auch von staatlicher
Seite vorangetrieben. Neben idealistischen Gründen ist dies
allerdings auch ganz praktisch getrieben von der Notwendigkeit,
im Zuge einer fortschreitenden Urbanisierung die Emissionsund Verkehrsbelastung in den Großstädten regulieren zu
können. Immer mehr Metropolen setzen auf den NeoÖkologie-Trend und versuchen, ein ökologisch kompatibles
Stadtleben umzusetzen. Der Öko-Pionier schlechthin unter
den europäischen Städten ist London, kein grüner Trend geht
an der britischen Metropole vorbei. Inzwischen gibt es für die
Londoner LOHAS sogar ökologisch saubere Taxi-Hotlines. Das
“Ecocab”-Taxiunternehmen “Atlas” chauffiert seine Kunden
im hybridbetriebenen Toyota Prius durch die Stadt (www.atlas.
uk.com). Und wer alleine unterwegs ist, kann sich ein Mini-Taxi
der “Green Tomato Cars” ordern. Deren Fahrzeuge verursachen
nur halb so viel CO2-Ausstoß wie die klassischen Taxen. Obwohl
“Green Tomato Cars” für 50 Prozent seiner CO2-Emissionen in
“Carbon Credits” beim Umweltprojekt “Climate Care” einzahlt,
ist der Fahrpreis nicht höher als der der schwarzen Konkurrenten (www.greentomatocars.com).
Geliehene Auto-Mobilität
Die Stadt London versucht die Bewohner und Besucher der
Stadt mehr und mehr dazu zu bewegen, ohne ihr eigenes Fahrzeug in den Innenstadtbereich zu fahren oder aber wenigstens
einen signifikanten monetären Entschädigungsbeitrag zu leisten. Während die beschriebenen Taxi-Angebote Alternativen
im höherpreisigen Segment zur Sicherstellung individueller
Mobilität bereitstellen, gibt es in vielen europäischen Städten
dazu mittlerweile Alternativen zu niedrigen Kosten. Der Wunsch
kostengünstig individuell mobil zu sein ist der wesentliche
Treiber für die außerordentlichen Wachstumsraten, die CarSharing-Angebote derzeit erfahren. Projekte und Unternehmen
wie Cambio Car-Sharing, Stattauto und BD Car-Sharing bieten
geliehene und geteilte Mobilität. Einen Schritt weiter geht
das Pilotprojekt Flinkster von der DB Rent GmbH. Angelehnt
an das erfolgreiche Konzept von “Call a Bike”, dem flexiblen
Fahrradverleih der DB Rent, können Kleinfahrzeuge auch
außerhalb von Verleihstationen über eine Key-Card geliehen
14
werden. Das Beenden des Mietverhältnisses ist dabei nicht
viel komplizierter als aus einem Taxi auszusteigen, allerdings zu
einem Bruchteil der Kosten.
3.1.2 Mega-Trend Individualisierung
In modernen Gesellschaften sinkt die Abhängigkeit des
Einzelnen von traditionellen Bindungen. Pflichtkultur wird
ersetzt durch Multioptionalität, also eine neue Vielfalt an
Möglichkeiten, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten.
Dank des breiten Wohlstandszuwachses seit den 60er Jahren
eröffnen sich für die Menschen neue Gestaltungsspielräume,
Freiheiten und Wahlmöglichkeiten. Auf den Märkten
manifestiert sich Individualisierung durch gehobene Ansprüche
seitens der Konsumenten sowie Produktdiversifizierung und
-personalisierung seitens der Anbieter.
In dem Maße, in dem sich traditionelle Bindungen lockern,
entstehen mehr individuelle Entscheidungsspielräume. Das gilt
für den Bereich der privaten Lebensführung, der Berufswahl,
des Wohnorts und des Konsums. Jeder kann sein Leben in
eigener Regie, nach eigenen Wünschen gestalten. Aus dem
Rückgang von soziokulturellen Normen resultieren zunehmende
Produktdiversifizierungen und stärkerer Lifestyle-Konsum. Aus
der Pluralisierung der Konsummuster und Lebensverhältnisse
resultiert schließlich auch eine Vervielfältigung der MobilitätsBedürfnisse und -anforderungen.
Wie Individualisierung das Mobilitäts-Verhalten
beeinflusst
Der Mega-Trend Individualisierung beeinflusst in vielerlei
Hinsicht die Mobilitäts-Bedürfnisse und -anforderungen.
Individualisierung ermöglicht Flexibilisierung, die zunehmende
Flexibilität erfordert aber auch höhere räumliche Mobilität. Das
führt in der Konsequenz zu einer Multi-Mobilität: Der MobilitätsGrad jedes Einzelnen, der sich aus Bewegungsradius und
Wegezahl zusammensetzt, steigt. Mobilität und Flexibilität
stehen hier partiell allerdings im Widerspruch. Ab einem
bestimmten Maße wird das Verhaftet-Sein in Mobilität, also
beispielsweise auch das tägliche Pendeln, als Belastung
empfunden.
Zukunft der Mobilität 2020
Massenhafte Individualisierung auf den Konsummärkten
Als Folge der Individualisierung nimmt auf den Konsummärkten
die Produktvielfalt zu, gleichzeitig die Produktdiversifizierung ab.
Anders gesagt: Es gibt immer mehr, aber auch immer mehr vom
Gleichen.
Eine der ersten Branchen, die auf dem Mega-Trend Individualisierung mit Mass-Customization-Angeboten reagierten, ist
die Fashion-Industrie. Maßgeschneiderte Mode, von den
Turnschuhen bis zu Businessanzügen, kann im Internet
individualisiert oder “customized” werden. Individuell entworfene Parfüme, personenspezifisch dosierte Medikamente,
sogar eigene Müslivariationen lassen sich online-basiert konfigurieren. Spezielle Produktions- und Fertigungsmethoden
greifen diesen Trend auf und ermöglichen so die Realisierung
völlig neuer Geschäftsmodelle. Der Wertschöpfungsprozess,
Produktlogistik und Kostenstrukturen verlagern sich.
Während Fertigungskosten erheblich steigen reduzieren sich
beispielsweise Lagerkosten – und nicht zuletzt wertschätzt
der Kunde die Individualisierung und ist bereit Mehrkosten,
zumindest bis zu einem bestimmten Maß, zu tragen. Doch
diese massenhafte Individualisierung wird in erster Linie ein
kleines Zusatzgeschäft für Handel und Industrie sein.
Auto-Mobilität bleibt Individualisierungs-Symbol
Auto-Mobilität ist auf den Triade-Märkten (Europa, USA, Japan)
seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Schlüsselsymbol
für Individualisierung und Individualität geworden: 46 Prozent
der Deutschen geben an, dass sie sich nur mit dem Auto frei
und unabhängig fühlen. Unter den Führerscheinbesitzern, die
regelmäßig das Fahrzeug nutzen, sind es sogar 65 Prozent. Und
immerhin 8 Prozent der Deutschen zwischen 14 und 69 Jahren
sagen ganz klar, dass sie mit ihrem Auto auffallen und sich von
anderen abheben wollen (Communication Networks 11.0).
Reichtum. Individualität wird hier vor allem durch den Besitz
von Status- und Prestige-Luxus kommuniziert. PKW-Mobilität
funktioniert in China noch ungebrochen als IndividualisierungsMetapher – als Zeichen für die Befreiung von traditionellen
Bezügen und steht für die Anschlussfähigkeit des eigenen
Lebensentwurfs am westlichen Lifestyle.
Aber auch in Zukunft, und nicht nur in den Schwellenländern,
werden sich Anbieter aller Branchen auf das ungebrochene
Bedürfnis der Kunden nach Individualität und Selbstbestimmung
einstellen müssen, wenn sie sich mit ihren Produkten erfolgreich am Markt behaupten wollen. Letztlich geht es dabei
nicht (mehr nur) um die Befriedigung eines kompromisslosen
Individualismus. Vielmehr müssen Unternehmen auf die
verschiedenen situativen Ansprüche, Lebensstile und Biografien von Verbrauchern die passenden Antworten finden.
Diese bestimmen die Konsummuster künftig stärker als
die klassischen soziodemografischen Merkmale wie Alter,
Einkommen, Bildungsstand etc.
Der Mega-Trend Individualisierung zeigt seine Wirkung am
deutlichsten in der Produktgestaltung. Die heutige Volkswagen
AG etwa ging 1938 mit dem Käfer als ersten und zunächst
einzigen PKW an den Markt. Heute produziert die Marke VW
allein im PKW-Bereich weltweit insgesamt 19 Modelle, bei
denen der Kunde noch einmal zwischen verschiedenen Modellund Ausstattungsvarianten wählen kann, die er bei Bedarf
wiederum noch einmal ganz individuell konfigurieren kann.
Dies führte zu einer sprunghaften Zunahme der Komplexität
in der Produktionslogistik sowie zu der Notwendigkeit,
ausgeklügelte Variantenmanagementsysteme einzuführen.
Die Vielzahl der Ausstattungsvarianten nimmt in den oberen
Fahrzeugsegmenten hier nochmal zu, jedoch selbst für untere
Segmente kommt die Automobilindustrie nicht an der MassCustomization vorbei.
Für Rolls-Royce ist China hinter den USA und Großbritannien
mittlerweile der größte Markt. In Chinas wachsender
Oberschicht (es gibt inzwischen 345.000 US$-Millionäre) ist
PKW-Mobilität noch ein deutliches Zeichen für Luxus und
15
Zukunft der Mobilität 2020
3.1.3 Mega-Trend Mobilität
Gesellschaften im 21. Jahrhundert sind mehr denn je durch
einen erhöhten Mobilitäts-Bedarf gekennzeichnet, Mobilität
und Beschleunigung sind die Matrix moderner und fortschrittsorientierter Gesellschaften. Angesichts der Herausforderungen,
die sich aus dem Mega-Trend Neo-Ökologie ergeben, muss
man sich allerdings schon heute intensiv um die Entwicklung
nachhaltiger Mobilitäts-Konzepte bemühen, um langfristig
wettbewerbsfähig zu bleiben.
Globalisierung bedingt Mobilisierung. Ein Rückgang von
Globalisierungseffekten ist derzeit genauso wenig in Sicht wie
eine Abnahme der Bedeutung von Mobilität. Dabei ist globale
Mobilität ebenso relevant wie Mobilität im wörtlichen Sinne
von alltäglichen Wegzeiten, häufigeren Umzügen und Reisen
– beruflich wie privat. Obwohl schon jetzt mehr Menschen in
Städten als auf dem Land leben, sind die meisten weiterhin auf
das Auto angewiesen. Folglich wächst der Verkehr. Die Gründe
für dieses Wachstum sind unterschiedlich. Der Personenverkehr
nimmt vor allem dort zu, wo Wohnen und Arbeiten nicht an
einem Ort stattfinden. Berufliche Mobilität dehnt sich immer
weiter aus und wird zum Normalfall. Auch Freizeit und Urlaub
sind heute mit mehr Mobilität verbunden als früher.
Im globalen Maßstab hat zwar der Flugverkehr längst eine
Schlüsselstellung eingenommen, gleichwohl wird das Auto bis
ins Jahr 2020 mit Abstand der wichtigste Verkehrsträger bleiben.
Zwei Drittel aller Personen, die mindestens einmal am Tag
das Haus verlassen, nehmen das Auto. Der PKW übernimmt
rund 80 Prozent der Verkehrsleistung im Personenverkehr und
bleibt damit unangefochten das Verkehrsmittel Nummer eins
(vgl. Abbildung 9). Dass Auto-Mobilität also der zentrale Treiber
des Mega-Trends Mobilität ist und bleibt, zeigt auch der Blick
auf den Kraftfahrzeugbestand in Deutschland, der sich in den
letzten 50 Jahren verzehnfacht hat: PKW machen 84 Prozent
der Kraftfahrzeuge aus und der PKW-Bestand ist seit Mitte
der 50er-Jahre weit überproportional gestiegen – um nahezu
das 27 fache. Inzwischen verfügen in Deutschland über drei
Viertel aller über 18 Jährigen über einen PKW, haben also einen
Führerschein und einen PKW im Haushalt. Weltweit steigt die
PKW-Dichte weiter an, insbesondere in den BRIC-Märkten (vgl.
Abbildung 10 nächste Seite).
Europaweit zeigen die Prognosen ein massives Verkehrswachstum innerhalb der nächsten Jahre: In den 27 EU-Ländern
wird die Zahl der PKW bis 2020 um 70 Millionen Fahrzeuge
zunehmen, die Zahl der LKW um 1,5 Millionen.
Abbildung 9: Mobilitäts-Bedarf steigt weiter – Das Auto bleibt die Nummer eins
Modalsplit EU 27
in Milliarden
Personenkilometer
1,1%
2,0%
6.000
5.000
4.971
5.053
5.160
5.278
5.378
5.468
5.535
5.566
5.646
5.653
5.747
4.000
PKW
3.000
Moped/
Mofa
Bus
2.000
Zug
1.000
0
U-Bahn
1996
1997
1998
Quelle: ERF European Road Statistic 2008
16
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
Zukunft der Mobilität 2020
Niveau stagniert oder leicht zurückgeht, bleibt abzuwarten.
Mindestens ebenso entscheidend ist jedoch die Frage, welchem
Subsegment innerhalb des Automobilmarkts sich der Kunde
zuwendet, um seinen Bedarf nach Mobilität zu befriedigen.
Hier zeigen die Debatte um den Klimawandel und steigende
Kraftstoffpreise bereits ihre Wirkung. Zwar wurden in den USA
und Europa 2007 so viele SUVs verkauft wie noch nie, 2008
allerdings sind die Verkäufe bei den großen Benzinschluckern
regelrecht eingebrochen. Mittelfristig wird der Absatz nach
aktuellen Prognosen von Global Insight zwar auch in Europa
und den USA wieder anziehen, allerdings mit einer deutlichen
Verschiebung innerhalb der Segmente: Während Full-Size-SUVs
deutlich an Marktanteil verlieren, wächst der Anteil kleiner
und kompakter SUVs – zweifellos eine Folge der insgesamt
steigenden Kraftstoffpreise und der Diskussion um den von uns
verursachten CO2-Ausstoß.
Die herausragende Bedeutung des Automobils als Transportmittel hat in den Triade-Märkten in der Vergangenheit komfortable Wachstumszahlen hervorgebracht. Insbesondere in
Deutschland hat der Automobilmarkt nach der Wiedervereinigung noch einmal einen nachhaltigen Schub erfahren.
Allerdings sind schon in den letzten Jahren die Werte des
Fahrzeugbestands nicht mehr signifikant gewachsen. Für
die PKW-Dichte, also die Anzahl an PKW pro Einwohner,
wird derzeit nur noch ein Wachstum von 0,6 Prozent in der
Periode zwischen 2008 bis 2025 erwartet. Der Neuabsatz
von Fahrzeugen basiert heute also in Deutschland, im übrigen
sehr ähnlich wie in den weiteren Triade-Ländern, zu einem
überwiegenden Teil auf Ersatzinvestitionen.
In der konsolidierten Betrachtung der Triade-Märkte prognostiziert Global Insight sogar ein Null-Wachstum bzgl. der
Fahr-zeugdichte. In den BRIC-Ländern hingegen, ein vor
allem durch Neuinvestitionen getriebener Markt, wird sich
die Fahrzeugdichte bis 2012 mehr als verdoppeln, aufgrund
steigender Bevölkerungszahlen und – aller Voraussicht nach –
auch trotz der Finanzkrise (vgl. Abbildung 11 nächste Seite).
Viele Autofahrer rüsten ihre PKW-Mobilität ab, setzen auf
geringeren Verbrauch und sauberes Image. Andere aber denken
gar nicht ans Downsizing. Gerade weil das Auto nach wie vor die
Patentlösung für die individuellen Mobilitäts-Anforderungen ist
und gerade weil das Auto nach dem Hauskauf die zweitteuerste
Anschaffung im Leben der meisten Menschen ist, werden wir
nur unter Schmerzen vollständig von dem epochalen Konzept
der PKW-Mobilität abrücken.
Das Bedürfnis nach Mobilität ist weiterhin ungebrochen, das
Auto bleibt zukünftig im Mobilitäts-Mix unstrittig die Nummer
1. Ob der globale Gesamtmarkt dabei wächst, auf hohem
Abbildung 10: Des Deutschen liebstes Kind
Bestand von Kraftfahrzeugen in Deutschland nach Fahrzeugklassen
Fahrzeugbestand
in Millionen
Durchschnittliche 5-Jahreswachstumsrate in Prozent
Sonstige Kfz
LKW
Busse
Krafträder
PKW
5-Jahres-CAGR
60
50
40
25
20
15
30
10
20
5
10
0
0
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2007
Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt, 2007
17
Zukunft der Mobilität 2020
Abbildung 11: Weltweit steigende PKW-Dichte
PKW pro 1.000 Einwohner
Fahrzeugdichte in Fzg/
1.000 Bewohner
Fahrzeugdichte BRIC
Fahrzeugdichte Triade
+0%
470
+139%
463
463
462
460
458
460
33
30
20
27
22
17
14
10
0
2004
2006
2008
2010
2012
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
Die Instanz Fahrzeug ist nahezu unumstößlich, zu sehr ist
das Mobilitäts-Verhalten zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach
wie vor mit dem Bedürfnis nach individueller Fortbewegung
verknüpft. Mobilitäts-Konzepte, die auf eine Zukunft ohne
Autos setzen, gehen zweifelsohne an den Bedürfnissen der
Menschen vorbei. Nach wie vor ist die Mehrzahl der Deutschen
der Meinung, dass nur das Auto ihnen die nötige Mobilität und
Freiheit bietet. Drei Viertel derer, die einen Führerschein haben
und einen PKW regelmäßig nutzen (mindestens einmal pro
Woche), können sich ein Leben ohne Auto gar nicht vorstellen
und sind ausgesprochen gern damit unterwegs.
Bis heute ist das Auto Gegenstand von Wünschen und Sehnsüchten: 65 Prozent der deutschen Führerscheinbesitzer fühlen
sich mit dem Auto frei und unabhängig. Dagegen betrachten
lediglich 58 Prozent das Auto “nur” als Gebrauchsgegenstand.
Frauen stimmen dieser rationalen Sicht stärker zu als Männer.
Genauso betrachten Frauen ein “kleines, innovatives Auto”
häufiger als “intelligentere Alternative zu den großen Autos” als
Männer dies tun (59 vs. 36 Prozent). Auto-Mobilität ist nach wie
vor auch Gegenstand von Männerphantasien: Für immerhin 41
Prozent von ihnen ist das Auto “Ausdruck eines Lebensgefühls”,
bei den Frauen teilen lediglich 28 Prozent diese Meinung.
18
Hingegen würde, wenn die Fahrpreise billiger wären, nur rund
ein Viertel der Befragten öfter öffentliche Verkehrsmittel nutzen
(vgl. Abbildung 12 nächste Seite).
Die zuletzt angebotenen Mobilitäts-Konzepte haben schon
begonnen, die Gesellschaften in mobile Klassengesellschaften
auseinander zu dividieren: Ein Teil zeigte sich unbeeindruckt von
steigenden Kraftstoffkosten und Betriebskosten der Fahrzeuge,
die Kaufentscheidung dieses Kundensegments bleibt von den
Verbrauchswerten der Fahrzeuge unbeeinflusst. Wer sich nach
wie vor einen SUV leisten kann, der wird auch die notwendigen
Reserven für den Kraftstoff aufbringen können. Andere Kundensegmente waren jedoch gezwungen, ihre Aufwendungen
für Mobilität deutlich zu reduzieren. Neben der Verschiebung
innerhalb der Produktsegmente war dies beispielsweise auch
in den USA durch die deutliche Zunahme der Nutzung des
öffentlichen Nahverkehrs deutlich geworden. Seit Mitte der
90er Jahre steigt dort die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel
nahezu ununterbrochen, doch nie war der Anstieg höher als in
den vergangen zwei Jahren. Für das erste Quartal 2008 meldete
der landesweite Betreiberverband fast 2,7 Mrd. Fahrten mit den
öffentlichen Verkehrsmitteln – rund 88 Mio. Fahrten mehr (plus
3,4 Prozent) als im Vorjahreszeitraum.
Zukunft der Mobilität 2020
Abbildung 12: Autofahren bedeutet Autonomie
Einstellung zum Auto (Zustimmung: voll und ganz/überwiegend)
77%
Ein Leben ohne Auto könnte ich mir gar nicht vorstellen
76%
Nur das Auto gewährt mir die nötige Mobilität
74%
Ich fahre gern Auto
65%
Mit dem Auto fühle ich mich frei und unabhängig
62%
Dort wo ich wohne, bin ich auf das Auto angewiesen, um irgendwo hin zu kommen
58%
Ein Auto ist für mich nur ein Gebrauchsgegenstand
46%
Für mich ist heutzutage ein kleines, innovatives Auto die intelligentere Alternative
zu den großen Autos
35%
Das Auto ist für mich Ausdruck eines Lebensgefühls
35%
Wegen der hohen Benzinpreise fahre ich heute weniger Auto als früher
Man sollte das Autofahren weitgehend einschränken, die Umwelt wird schon genug
belastet
Ich würde öfter mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, wenn die Fahrpreise nicht so
teuer wären
27%
25%
Quelle: Communication Networks 11.0, 2008 (Basis: Führerscheinbesitzer, PKW-Nutzung mind. einmal wöchentlich)
Durchschnitt
Männer
Frauen
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob fahrzeuggebundene Mobilität, einst als Privileg der Besserverdienenden
entstanden und mittlerweile zumindest in den Triade-Märkten
ein Art Grundgut geworden, auch zukünftig wieder ein Produkt
für gut situierte Haushalte sein wird?
Gesellschafts-Trends in ihren wichtigsten Aspekten und
hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Automobilidustrie
zusammengefasst. Viele Trends werden ihre Wirkungen in der
Branche indirekt zeigen, und nicht von jedem Trend sind
kurzfristige und durchschlagende Wirkungen zu erwarten.
Mobilität wird in einer globalisierten und von Individualisierung
geprägten Welt weiter zunehmen. In modernen Gesellschaften
wird Mobilität mehr denn je zu einem zentralen Grundbedürfnis
im Leben aller Menschen und zur Voraussetzung für sozialen
und wirtschaftlichen Fortschritt. Trotz sich wandelnder Voraussetzungen im Zuge des Mega-Trends Neo-Ökologie wird
Mobilität auch in Zukunft weltweit Ausdruck von Freiheit,
Wohlstand und Individualität bleiben.
In den folgenden neun Konsum- und Gesellschafts-Trends
bündeln sich Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse,
welche die Menschen in den nächsten 10 bis 20 Jahren
antreiben werden. Konsumenten denken hierbei nicht in
Genregrenzen, vielmehr lassen sie sich von ihren Wünschen
leiten und versuchen, Defizite in ihrem Leben zu beseitigen.
Tatsächlich sind die westlichen Gesellschaften gerade dabei, die
Wohlstandsgesellschaft der letzten Generationen zu verlassen
zugunsten eines aktiveren Konsumumfelds, welches das
individuelle Lebensgefühl in den Mittelpunkt stellt. Das heißt,
dass wir uns von den angebotsgetriebenen Massenmärkten
verabschieden und uns künftig noch stärker an den Bedürfnissen
der individuellen Konsumenten orientieren müssen.
3.2 Die relevantesten Konsum- und GesellschaftsTrends, die die Mobilitäts-Typen bis ins Jahr 2020
prägen
Als Gesellschafts-Trends bezeichnen wir all die Veränderungsprozesse, die soziales Handeln, Einstellungen und Realitätsdeutungen des Einzelnen und die Wünschen und Bedürfnisse
der Menschen in der Zukunft signifikant beeinflussen werden. In
dieser Studie werden die für das Thema Mobilität relevanten
Für die westlichen Gesellschaften gilt grundsätzlich, dass die
Phase der naiven Mobilitäts-Begeisterung vorüber ist. Mobil zu
sein wird auch im 21. Jahrhundert eine Grundvoraussetzung
für gesellschaftliche Teilhabe, Wohlstand und Selbstverwirklichung bleiben. Das Auto allerdings verliert als Ausdruck
19
Zukunft der Mobilität 2020
dessen, was man erreicht hat, als Symbol für Freiheit und
grenzenlose Fortbewegung an Bedeutung – und das nicht erst
seit der CO2-Debatte des Jahres 2007. Um diesen Wandel zu
begreifen, ist es wichtig, sich die Bedeutung des Autos in der
Wohlstandswelt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu
vergegenwärtigen. Auto-Mobilität war Teil eines Ensembles
resp. eines Wohlstandsquadrats, das sich aus vier Elementen
zusammensetzt: Mobilität (Auto), Medien (Fernsehen), Einkauf (Supermarkt) und Vorratshaltung (Kühlschrank). Dieses
Quadrat organisierte im 20. Jahrhundert das Leben in der
bürgerlichen Familie, in der Gesellschaft insgesamt und im
Massenkonsum. Über das Fernsehen erreichten die Lebensstilund Konsumangebote die “Endverbraucher”. Die nutzten den
Luxus der Massen-Mobilität zum Vorrats- oder Lusteinkauf im
Supermarkt, in der Innenstadt oder auf der grünen Wiese: eine
geschlossene bürgerliche Welt im Wohlstandsquadrat (vgl.
Abbildung 13).
Es langweilt uns, nur mehr den Wocheneinkauf zu machen,
wir wollen unterwegs etwas erleben und genießen. Wir
versammeln uns auch nicht mehr passiv vor dem Fernsehen,
sondern genießen die Zeitsouveränität als aktive Internetnutzer.
Von diesem mitunter sehr begrenzten, aber vertrauten
Quadrat beginnen wir uns zu verabschieden: Wir nutzen
Medien anders, wir konsumieren und genießen anders
und wir sind gerade dabei, unser Mobilitäts-Verhalten zu
verändern. In den Triade-Märkten befinden wir uns unmittelbar
im Transformationsprozess von einer Wohlstands- zu einer
Wohlfühlgesellschaft. Das Wohlstandsquadrat bricht auf:
Lebensentwürfe werden immer individueller. In der Welt von
morgen sind wir in immer kürzeren Abständen gezwungen,
Änderungen an unserem Lebensentwurf vorzunehmen.
Veränderungen und Brüche in der Biografie werden in den
nächsten Jahren zum Normalfall. Statt von “Biografien” sollten
wir für die Zukunft von “Multigrafien” ausgehen: Lebensverläufe,
die sich mit hoher Komplexität und Geschwindigkeit vollziehen.
Tatsächlich haben sich in allen Kulturen in den vergangenen
zehn Jahren massive Veränderungen in Konsum und Lebensgewohnheiten ergeben. Diese Veränderungen, die natürlich vor
allem das Resultat der zuvor erläuterten soziokulturellen MegaTrends sind, tangieren ganz entscheidend den Umgang und
die Nutzung von (Auto)-Mobilität. Die folgenden KonsumentenTrends spielen dabei eine wichtige Rolle (vgl. Abbildung 14
nächste Seite).
1. Multigrafie: Die Zeit der 3-phasigen Lebensplanung ist zu
Ende. In Zukunft unterliegen Lebensverläufe mehreren Lern-,
mehreren Partnerschafts- und mehreren Familienphasen.
Abbildung 13: Von der Wohlstands- in die Wohlfühlgesellschaft
Gestern
Auto
Mobilität
2020
Fernseher
Info-/ Entertainment
Bürgerliche Familie
Wohlstand
Massenkonsum
Kühlschrank
Vorratshaltung
Patchwork-Society
Lebensqualität
Mass-Sophistication
Supermarkt
Einkauf
Quelle: www.zukunftsinstitut.de; 1) Bioladen, Buchladen, Wochenmarkt, Erlebnis-Mall
20
Konvergentes Web
Communities
Prosumer-Medien
Mobilitäts-Mix
Nachhaltige Küche
Gesunder Genuss
Convenience
Third Places1)
Kommunikation
Zukunft der Mobilität 2020
Abbildung 14: Konsumenten-Trends als mittelfristiges Rahmenwerk für zukünftige Kundenbedürfnisse
Konsumenten-Trends
Multigrafie
Downaging
Familie 2.0
Implikationen für die (Auto-)Mobilität
Lebensentwürfe vollziehen sich immer fragmentierter – Bedürfnisse werden situativer. „Lebensabschnitts-Produkte“
werden wichtiger als Zielgruppenstrategien (Alter, soziale Schicht etc.)
Konsumenten fühlen sich wesentlich jünger als ihr tatsächliches biologisches Alter, keine Ghetto-Produkte, sondern
Erlebnisprodukte für den „zweiten Aufbruch“
Netzwerk-, Patchwork- und Fragmentfamilien haben einen hohen und hochdifferenzierten Mobilitäts-Bedarf, der nicht
nur über den Family Van, SUV oder Kombi bedient werden kann
Neo-Cities
Auto-Mobilität, die sich den Anforderungen der grünen Zukunftsstädte (zero-emission-cities) anpasst
Greenomics
Auto-Mobilität, die einem gesunden und gleichzeitig genussorientierten Lebensstil gerecht wird. Mobilitäts-Lösungen,
die ökologisch korrekt sind, aber auch für den Verbraucher nachhaltig wirken.
New Luxury
Produkte, welche die eigene Lebensqualität steigern. Tendenzielle Abkehr von Status- und Prestigedenken
Simplify
Vereinfachung, Zeitersparnis, Einfachheit, Unsichtbarkeit von technologischen Prozessen
Deep Support
Unterstützungsdienstleistungen, die sich individuell den Bedürfnissen des einzelnen anpassen. Infrastrukturen an
Mikro-Dienstleistungen, welches das Leben zwischen Zuhause und Arbeitsplatz organisieren.
Cheap Chic
Bezahlbare, „clevere“ Produkte, die trotzdem den Wunsch nach Exklusivität, Design und Luxus befriedigen
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
So wie es nicht mehr den einen Lebensarbeitsplatz gibt, gibt
es auch nicht mehr den einen biografischen Entwurf, der sich
irgendwann am Ende der Jugend als künftiger Lebensentwurf
verdichtet oder dem Einzelnen oktroyiert wird. Wir erleben
künftig eine Vielzahl von Familien- und Partnerschaftsphasen.
Wir lernen aber auch nicht mehr nur in der Jugend. Auch Bildung
wird von uns in Form des lebenslangen Lernens in vielen
Lebenszyklen gefordert.
Vom “flexiblen Menschen” zum Lebensabschnittskonsumenten
Immer weniger Zeit, ständig wechselnde Anforderungen im
Beruf, hohe Fluktuation auf dem Feld des privaten Lebensglücks
– all das führt dazu, dass wir auch unseren Konsum immer
stärker auf kurzfristige Ziele, Wünsche und Lebensabschnittsbefindlichkeiten einstellen. Der situative Konsum gewinnt an Bedeutung – wir sind zu Lebensabschnittskonsumenten geworden.
Für möglichst jeden privaten oder beruflichen Situationswechsel
brauchen wir neue Produkte und Dienstleistungen. Die Deutsche
Bahn hat diesen Gesellschafts-Trend bereits in ihrem MobilitätsService für Kids berücksichtigt. Da Patchworkfamilien und in
Trennung lebende Eltern zum normalen und mehrheitlichen
Erscheinungsbild in unserer Gesellschaft gehören, spielt sich
das Familienleben schon für Kinder selten an nur einem einzigen
Wohnort ab. Eltern hingegen haben immer weniger Zeit, ihren
Nachwuchs auf langen Reisen zum Ex-Partner oder auch zu den
Großeltern zu begleiten. “Kids on Tour” heißt der Service, der
allein reisende Kinder sicher ans Ziel bringt. Für eine Pauschale
von 25 Euro zuzüglich zur Fahrkarte können Eltern Kinder im Alter
zwischen 6 und 15 Jahren beruhigt alleine reisen lassen. Die
Sprösslinge werden während der Fahrt in einem Extra-Abteil mit
Spielmöglichkeiten betreut. Der Service ist gerade für getrennt
lebende Eltern ideal, weil die “Kids on Tour”-Verbindungen
zwischen deutschen Großstädten auch am Nachmittag nach der
Schule und an Wochenenden angeboten werden.
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
nn
Der Gesellschaftstrend Multigrafie deutet darauf hin,
dass die Fahrzeugtypen-Diversifizierung in der Automobilbrache noch nicht abgeschlossen ist, aber konkreter vor
dem Hintergrund aktueller Trends neu konzeptionalisiert
werden muss. Mit der weiteren Diversifizierung müssen
vor allem die situativen Bedürfnisse der Konsumenten
abgebildet werden.
nn
Im Zeitalter der Multigrafie steigen die Mobilitätsanforderungen der Menschen. Diese lassen sich nicht mehr
nur über einzelne, wenn auch spezialisierte Produkte befriedigen, sondern erfordern vielfältige Mobilitätsservices.
21
Zukunft der Mobilität 2020
2. Downaging: Wir werden gesamtgesellschaftlich immer älter,
fühlen uns dabei aber immer jünger. Alterung muss vor diesem
Hintergrund völlig neu begriffen werden.
Aufbrüche und Umbrüche gehören zum dritten Lebensabschnitt
dazu – es sind Zeichen eines veränderten Lebensstils. In
Deutschland ist es zudem mittlerweile die Regel sich jünger zu
fühlen. Die längere Lebenszeit gibt Senioren mehr Möglichkeiten
für einen individuellen Lebensentwurf. In Japan beispielsweise,
dem Land mit der weltweit höchsten Lebenserwartung, ist
die seit Jahren steigende Zahl der Ehescheidungen in keiner
Altersgruppe so auffällig wie bei den Personen im Rentenalter.
In Deutschland ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten: Die
Zahl der 60 bis 65-Jährigen und selbst die der über 75-Jährigen,
die sich zur Trennung entschließen, ist heute doppelt so hoch
wie vor zehn Jahren (vgl. Abbildung 15).
Abbildung 15: Menschen fühlen sich jünger, als sie sind
Zwischen 60 und 70 Jahren alt zu sein, ist das neue
„mittlere Alter“
Ja - stimme zu
40%
48%
Nein - stimme nicht zu
43%
45%
59%
75%
ben über 60-Jährige in Deutschland 5.000 Euro mehr für den
Neuwagen aus und bezahlen im Schnitt fast 900 Euro mehr für
Sonderausstattungen als jüngere Käufer. Über 30 Prozent der
über 60-Jährigen fahren dabei ein Premiumklasse-Fahrzeug. Laut
Verbraucheranalyse 2008 planen 4,4 Millionen Deutsche über
60 in den nächsten ein bis zwei Jahren ein Auto zu kaufen und
2015 werden über ein Drittel der Kunden über 60 Jahre alt sein.
Senioren sind somit hinsichtlich Marktvolumen und Kaufkraft zu
einer äußerst wichtigen Kundengruppe geworden. Als Kunden
verfügen sie über viel Erfahrung mit unterschiedlichen Modellen
und Marken und haben genaue Vorstellungen bezüglich des
Produkts. Es stehen wieder Sportlichkeit, aber auch Komfort
im Vordergrund, entscheidend ist zudem, dass das Fahrzeug
ihren Bedürfnissen genau entspricht. Ausreichend Flexibilität in
der Sitz- und Lenkradverstellung, komfortabler Einstieg, aber
auch elektronische Assistenzsysteme zur Kompensation von
geringerem Reaktionsvermögen. Biedere Limousinen können
Senioren allerdings kaum noch begeistern. Zwar werden viele
Senioren Wert auf ein komfortables Gesamtkonzept legen, aber
der äußere Eindruck des Fahrzeugs muss ihrem Lebensgefühl
entsprechen (vgl. Abbildung 16).
Abbildung 16: Wie Best Ager Sportlichkeit und Komfort von
Autos bewerten
Frage: Bewerten Sie Sportlichkeit und Komfort als ein
„sehr wichtiges“ Kaufargument?
70%
60%
52%
57%
55%
41%
25%
Nordam erika
Europa
AsienPazifischer
Raum
Andere
Sportlichkeit
60%
50%
Globaler
Deutschland
Durchschnitt
Quelle: ACNielsen, 2006
Die neuen Alten verhalten sich immer jünger. Die ältere Generation hat sich zu einer aktiven Erlebnisgeneration entwickelt.
Mobilität ist dabei für sie mehr als noch vor einigen Jahren ein
elementarer Bestandteil ihres Lebensgefühls geworden.
40%
30%
20%
10%
0%
18 - 50
51 - 55
56 - 60
Quelle: FHDW Center of Automotive, 2006
Downaging betrifft deswegen insbesondere auch den
Automobilmarkt. Laut ACI Trend-Monitor (Automotive
Consumer Insights) des Marktforschungsinstituts Puls ge22
Komfort
61 - 65
66 - 70
über 70
Jahre
Zukunft der Mobilität 2020
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
nn
Die jungen Alten sind eine Konsumentenmacht, die bis
2020 noch stärker in den Mittelpunkt des Interesses
rückt. Downaging beschreibt einen Mentalitätswandel,
in dessen Verlauf die Gesellschaft und die Einzelnen in
zunehmendem Maße altern, sie dabei jedoch aktiv neue
Konsumbedürfnisse ausprägen.
nn
Ein wichtiger Aspekt des Downaging-Trends ist, dass
die neuen Alten die klassische Ruhestandsmentalität
ablehnen. Sie sind erlebnisorientiert und genießen neu
gewonnene Freiheiten. Sie nutzen ihre Unabhängigkeit,
um noch einmal zu neuen Ufern aufzubrechen. Der
immer weiter verbreitete „Zweite Aufbruch“ älterer
Menschen sorgt für eine steigende Mobilitäts-Nachfrage
älterer Menschen.
3. Familie 2.0: Lange Zeit galt Familie in unserer Gesellschaft
als Ausgeburt von Unterdrückung, Langeweile und Neurose.
Jüngere Generationen setzen wieder stärker auf die Familie
– jedoch unter substanziell anderen Voraussetzungen (vgl.
Abbildung 17).
Familie 2.0 steht für eine neue Form des Zusammenlebens, das
weit über die Gemeinschaft von Vater-Mutter-Kind hinausgeht.
Moderne Familienkonzepte erfahren derzeit eine Renaissance,
offenkundig ist dabei allerdings, dass das familiäre Zusammenleben ganz neue Formen annimmt, die einer traditionellbürgerlichen Vorstellung immer weniger ähneln. Durch die
Individualisierungswünsche entwickelt sich Familie immer mehr
zu einem netzwerkähnlichen Konstrukt (vgl. Abbildung 18).
Familienfreundlichkeit wird neuerdings auch als KonsumentenTrend in der Automobilbranche identifiziert: Die Bedeutung
des Aspekts eines Autos belegt die neueste Aral-Studie
zum Thema “Trends beim Autokauf”. Vor zwei Jahren noch
interessierten sich 30 Prozent mehr Frauen als Männer für die
Familienfreundlichkeit eines Autos. Männer dagegen machten
ihre Entscheidung stärker vom Image und Prestige einer
Marke oder eines Fahrzeugs abhängig. Heute stufen beide
Geschlechter dieses Thema als ähnlich wichtig ein und machen
es zu einem wichtigen Kaufkriterium. Die hierbei führende
Marke beider Geschlechter ist Volkswagen, die erhebliche Zuwächse verzeichnen kann und bei 18 Prozent der Frauen sowie
21 Prozent der Männer ganz oben auf der Wunschliste steht
(vgl. Aral, Trends beim Autokauf 2007).
Abbildung 18: Netzwerk-Familie – Hohe Komplexität,
hohe Mobilitäts-Nachfrage
Abbildung 17: Familienleben in Deutschland
Unter 18-jährige Kinder nach Elternschaftsverhältnis in %
Vater und Mutter,
verheiratet
66%
Vater und Mutter, nicht
verheiratet
Netzwerk-Familie
6%
Mutter oder Vater ohne
Partner im Haushalt
17%
Mutter oder Vater, mit
neuem Partner im Haushalt,
verheiratet
8%
Mutter oder Vater, mit
neuem Partner im Haushalt,
nicht verheiratet
1%
Adoptiv-, Pflege-, Enkelkind
2%
Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2006
Organigramm einer Netzwerk-Familie
Tante/Onkel/
Geschwister/
Schwager/
Schwägerin
Allein erziehende
Väter/Mütter
Großeltern
Großeltern
aus 1. Ehe
Nachbarn
Freunde
ohne Kind
Quelle: Zukunftsinstitut
23
Zukunft der Mobilität 2020
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
nn
Flexiblere Mobilitäts-Konzepte sind gefragt. In dem
Maße, wie sich Familie immer stärker zu einer multilokalen Netzwerk-Konstruktion verändert, ist Mobilität
eine Kernanforderung für das Familienleben bis über das
Jahr 2020 hinaus.
nn
Tatsächlich sollte über diesen Trend jedoch nicht nur im
Sinne neuer Family-Van-Konzepte nachgedacht werden.
Mobilität wird angesichts dieser flexibilisierten Familienund Lifestyle-Konzepte zu einer komplexeren Fragestellung. Zusätzliche Variablen kommen ins Spiel: Wie kann
ich Zeit sparen beim Unterwegssein, hilft dabei überhaupt
ein Auto allein oder muss ich über alternative MobilitätsKonzepte nachdenken, die helfen, Komplexität zu reduzieren.
4. Neo-Citys: Grüne Metropolen, Null-Emissions-Städte sind
die Urbanitätsentwürfe der Zukunft. Fahrzeugkonzepte müssen
darin eine neue Positionierung finden – nachhaltiger, smarter,
näher an den Bedürfnissen des Einzelnen.
Weltweit erhalten Initiativen wie das Global Ecovillage Network
(www.ecovillage.org, www.gen-europe.org), das Ecocity Project
(www.ecocityprojects.net) oder Cittaslow (www.cittaslow.net)
immer größeren Zuspruch. Die Öko-Kampagne “Future London
– Footprints of a Generation” fördert und fordert den Green
Lifestyle in der Metropole. Neben ökologischen Fakten und
mahnenden Szenarien zum umweltschonenden Verhalten weist
ein “Ecological City Guide” den Londonern die Wege zu Läden
mit ökologischen Lebensmitteln und Modelabels, Fair-TradeProdukten usw.
Der gesundheitsbewusste und nachhaltigkeitsorientierte
Lebensstil der LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) ist
längst dabei, sich auf die Entwicklung von Städten, Standorten
und Regionen auszuwirken. Die ökologische Bauweise boomt.
In vielen Ländern der Welt entstehen komplette Öko-, Solar- und
Niedrigenergiesiedlungen. Mehr als 340 solcher “nachhaltigen”
Siedlungen gibt es inzwischen in Europa, über 170 davon alleine
in Deutschland.
24
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
nn
Zu beantworten ist in den nächsten Jahren die Frage, wie
Mobilität noch angesichts veränderter Anforderungen
durch die CO2-Debatte funktionieren kann. Der Trend zu
den Neo-Citys impliziert, dass über städtische MobilitätsKonzepte neu nachgedacht wird. In vielen Metropolen
wird dies bereits durch die Einführung von Umweltzonen
forciert.
nn
Mega-Citys müssen als ein Resultat des Wandels „von
der Wohlstands- in die Wohlfühlgesellschaft“ interpretiert
werden. Für die automobile Kultur hat diese Veränderung
drastische Konsequenzen. Die Aufgabe wird hier für die
OEM darin liegen, zusätzlich zum bisherigen Angebot
alternative Mobilitätskonzepte anzubieten, die PKWMobilität in hohem Maße substituieren.
5. Greenomics: Der grüne Wandel unserer Konsumkultur
Längst ist die LOHAS-Kultur zu einem Lifestyle avanciert, der
die Kraft und Dynamik besitzt Branchen zu verändern. LOHAS,
die pragmatischen und weltoffenen Ökos, geistern mittlerweile
täglich durch die Medien.
CO2-Debatte, Klimaveränderung, die Zukunft des Planeten,
die Zukunft unserer Umwelt, alles das sind Themen, die
mittelfristig ausnahmslos aktiv oder passiv jeden Autokäufer
beschäftigen werden. Das Phänomen der LOHAS, des Lifestyle
of Health and Sustainability, wurde vom Zukunftsinstitut im
Jahr 2003 zur Beschreibung eines neuen Öko-Trends und
Bewusstseinswandels in den westlichen Gesellschaften eingeführt. Der Begriff geht auf Forschungen des Natural Marketing
Institutes in den USA zurück. Die LOHAS leben den Lebensstil
des Sowohl-als-auch: Genuss UND Gesundheit sind wichtig,
Verantwortung (für sich selbst, für die Umwelt, für die Mitwelt)
UND Vergnügen erscheinen erstrebenswert. LOHAS sind keine
isolierte Zielgruppe – sie verkörpern einen grundsätzlichen
gesellschaftlichen Wertewandel, der schon jetzt rund ein Drittel
der Menschen auf den Triade-Märkten erfasst hat und unter den
Bedingungen des Klimawandels und der Ressourcenknappheit
bis 2020 noch stärker in den Vordergrund rücken wird (vgl.
Abbildung 19 nächste Seite).
Zukunft der Mobilität 2020
Abbildung 19: Was die LOHAS auszeichnet
Was die LOHAS wollen und was sie ablehnen
„ Qualität statt Discount
„ Authentizität statt
Spaßgesellschaft
LOHAS
„ Spiritualität statt Glauben
Dabei setzt sich immer stärker die Einsicht durch, dass darin
auch große Chancen liegen: Die High-Tech-Industrie profitiert
bereits massiv vom grünen Wandel der Märkte, die Nachfrage
nach erneuerbaren Energien und modernen Umwelttechnologien
steigt. Das Konsumieren mit gutem Gewissen wird zum
Wachstumsmotor – gerade auch auf den Mobilitäts-Märkten.
Zahlreiche Beispiele zeigen auf, wie Nachhaltigkeit und der
Konsumstil der LOHAS die Märkte bereits verändert hat:
nn
Klimaneutrales Leasing: Firma X-Leasing bietet CO2-neutrale Leasing-Verträge für Sportwagen wie den Porsche Cayenne an. Gegen Aufpreis, so das Versprechen von X-Leasing,
wird das während der Vertragslaufzeit anfallende CO2 durch
neu gepflanzte Bäume und Wälder kompensiert (www.
co2-neutral-leasen.de). Dabei kooperiert X-Leasing mit dem
Verein “PRIMAKLIMA-weltweit” dessen Angebote zertifiziert sind. Mit dem Angebot schafft X-Leasing die Möglichkeit, Autos weiterhin als Ausdrucksmittel für Individualität,
Status und Lebensfreude zu nutzen, zugleich aber dem Ziel
der CO2-Reduktion näher zu kommen.
nn
Food: In der Lebensmittelbranche und im Handel hat sich
der LOHAS-Trend zuerst abgezeichnet. Whole Foods Market
gehört in den USA zu den Pionieren, ebenso wie Alnatura
und Basic in Deutschland. Die “Naturfabrik” eröffnet 2008 in
Mannheim das erste Bio-Center Deutschlands. Das Großprojekt basiert auf vier Säulen: Bio-Supermarkt, Vollwert- oder
Bio-Gastronomie, trendige Naturtextilien sowie umweltorientierte Dienstleister wie Alternativstrom-Anbieter, Öko-Bau,
„ Partizipation statt
Repräsentation
„ Ankunft statt Steigerung
„ Werte statt Ironie
Quelle: Zukunftsinstitut 2007
Nachhaltigkeit: Ethik und Verantwortung avancieren
bis 2020 zu einem zentralen Kaufargument
Die Relevanz des Themas Nachhaltigkeit wächst stetig. Auf
allen Ebenen werden die Ansprüche an Produkte vor diesem
Hintergrund neu skaliert, ein Trend ist in der Mitte der Gesellschaft
angekommen. Bundespräsident Horst Köhler weist auf dem
ersten deutschen Verbrauchertrag 2007 in Anspielung auf die
Nachhaltigkeitsbilanz darauf hin, dass jedes Produkt heutzutage
ein “zweites Preisschild” trage. In den kommenden Jahren
werden sich immer mehr Branchen und Unternehmen auf den
wachsenden Nachhaltigkeitsanspruch der Menschen einstellen
müssen, auch auf solchen Märkten, bei denen entsprechende
Maßstäbe bislang kaum oder gar nicht angelegt wurden.
“Machen Sie nachhaltiges Wirtschaften zur Chefsache! Die soziale Marktwirtschaft hat spätestens
im 21. Jahrhundert eine ökologische Dimension.
Werben Sie mit Ihrem Engagement! Schließen auch
Sie sich dem Global Compact der Vereinten Nationen
und der Privatwirtschaft an, der Mindeststandards
für ein soziales und umweltgerechtes Wirtschaften festgelegt hat. Erkennen Sie die Chancen von
Selbstverpflichtungen.” Bundespräsident Horst Köhler, 2007
Öko-Bank usw. (www.natur-fabrik.de).
nn
Mode: Die Zahl der Geschäfte, die fair und ökologisch
hergestellte Kleidung ins Programm nehmen, wächst. Laut
Organic Exchange lag der Einzelhandelsumsatz mit Produkten aus Bio-Baumwolle im Jahr 2006 bei rund einer Milliarde US$ und wird sich 2007 auf geschätzte 1,9 Milliarden
US$ nahezu verdoppeln. Im Jahr 2008 wird der weltweite
Umsatz mit Öko-Mode schätzungsweise 2,6 Milliarden
US$ betragen. Mittelfristig wird der Anteil der Öko-Mode
am Gesamtmarkt auf bis zu 10 Prozent wachsen. EthicalFashion wird immer beliebter. Die Zahl der Labels, die auf
“Organic-Cotton” setzen, steigt permanent, weltweit sind es
inzwischen weit über 1.200 Unternehmen. Ob Nike, Sam’s
Club/Wal-Mart, Coop, C&A, Otto, American Apparel, H&M,
25
Zukunft der Mobilität 2020
IKEA, Marks & Spencer oder Woolworth – “öko” wird “chic”.
Und natürlich hat mittlerweile fast jede große Jeans-Marke
eine Organic-Cotton-Line.
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
nn
Die zukünftigen Mobilitäts-Konsumenten, vor allem
jedoch die LOHAS-Konsumenten, fassen Auto-Mobilität
nicht mehr als Privileg und Statussymbol auf.
nn
LOHAS sind, was die Alltagsbewältigung angeht, nachhaltige Pragmatiker: Mobilität von Zuhause zum Arbeitsplatz und zum Einkauf muss funktionieren und sollte im
Idealfall zeiteffektiv sein. Mit anderen Worten: Mobilität
muss sich eindeutig übergeordneten Bedürfnissen unterordnen: Eigenzeit, Bequemlichkeit, Erleben, Genuss.
nn
erster Gewinner auf den Pleasure-Markets. Während StatusLuxus-Marken von Rolls Royce über Jaguar bis Cadillac mit
einschlägigen Problemen zu kämpfen haben, fokussiert der
bayerische Autobauer den “New Luxury” Trend. Ausdruck
dieser Fokussierung ist die Positionierung als “PremiumAnbieter individueller Mobilität”, neue Markenwerte und ein
erlebnisorientiertes Markenleitbild “Freude am Fahren” (vgl.
Abbildung 20).
Abbildung 20: Die neue Erlebnisqualität der Pleasure-Markets
Spaßgesellschaft der 90er Jahre
Erlebnis
Automobilität hat hier im Wortsinne „Vehikelfunktion“, sie
ist eine Ermöglichungsdienstleistung – für die Erfüllung
immaterieller Wünsche und Ziele. Je mehr sich eine
Marke als Dienstleister des Glücks positionieren kann,
umso stärker wird sie die glücksüchtigen Konsumenten
von morgen anziehen.
Autos verkörperten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
zumindest in den westlichen Kulturen wie kaum ein anderes
Phänomen den Wunsch nach einem besseren Leben, Wohlstand
und das Bedürfnis, sich von der Masse der anderen zu unterscheiden. Soziale Differenzierung und Unterscheidungsgewinne
wurden gerne über den Kauf des richtigen Autos erzielt. Die
Wahl des Autos zeugte bei den Deutschen für ein gewachsenes
Bewusstsein für die kleinen Unterschiede – Auto-Mobilität war
die Auffahrt zu Status-Luxus und Prestige-Denken.
Aber es war auch schnell ein Zeichen für Spießigkeit und dem
Verhaftet-Sein an materiellen Dingen. Anfang des 21. Jahrhunderts, als sich in den USA und in Europa die LOHAS-Bewegung
formierte, geriet der Status-Luxus in eine Krise. BMW war ein
26
Zerstreuung
rezeptiv, passiv
Selbstbezug
aktiv
gestaltend
Pleasure-Markets
Erfahrung
6. New Luxury: Lebensqualität statt Status-Luxus
Neuer Luxus heißt: Eigenzeit, Zeitsouveränität, etwas hochgradig Immaterielles also. Natürlich werden wir auch in Zukunft
bei Luxus über das Schöne, Edle und Exklusive reden. Die
Bedürfnisse der Konsumenten bewegen sich jedoch weg vom
Prestige-Denken.
Sinnersatz
durch Attraktion
Dauer,
Kommunikation,
Selbsterfahrung
Quelle: Ernst & Young 2007
Insbesondere die Lifestyle-Avantgarde der LOHAS definiert
Luxus auf der Grundlage neuer Prämissen. Insgesamt
vier Punkte sind es, die dafür sprechen, dass wir vor einer
grundlegend neuen Situation auf den Märkten des Genusses
und des Luxus-Konsums stehen:
nn
Luxus (und der Kauf von Luxus-Produkten) wird, bedingt
durch die Mega-Trends Gesundheit und Wellness, stärker
denn je auf den individuellen Lebensentwurf, auf individuelle
Befindlichkeiten und den eigenen Körper bezogen. Luxus
koppelt sich tendenziell ab von sozialer Differenzierung,
“Klassen-Denken” und Prestige.
nn
Luxus wird von den Menschen der Zukunft nicht mehr mit
Prestige-Käufen und Status-Denken identifiziert, sondern mit
immateriellen Werten wie Lebensqualität und individuellem
Wohlergehen.
Zukunft der Mobilität 2020
nn
Genuss ist in den letzten Jahren zu einer demokratischen
Leitvokabel aufgestiegen. Genießen und Wohlfühlen sind für
viele Menschen wichtiger als Macht und Einfluss.
nn
Genuss verknüpft sich bei modernen Zielgruppen mit Begriffen wie Ethik, Authentizität und Gesundheit. Das verlangt
nach neuen hybriden Produkt-Konzepten und Geschäftsideen.
nn
Puristische Design- und Ladenkonzepte boomen: Die japanisches Design-Kette Muji, die schlichtes Design in alle Welt
exportiert, expandiert von Jahr zu Jahr und legt bei Umsatz
und Gewinn kontinuierlich zu.
nn
Marken-Multis wie Procter & Gamble, Nestlé, Unilever
oder Philips fahren heute “Strategies of Simplification” und
reduzieren ihr Markenportfolio radikal – um weit mehr als die
Hälfte.
nn
Auch die Forderung, dass aus High-Tech künftig High-Touch
werden müsse, gehört zum Simplify-Trend. Technik wird erst
dann zum geliebten Kultobjekt, wenn sie vom Nutzer nicht
mehr als Technik wahrgenommen wird und ihr perfektes
Funktionieren zusätzlichen Lebensgenuss liefert. Der iPod
von Apple ist das bekannteste Beispiel, wie man aus HighTech ein Lifestyle Produkt geschaffen hat.
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
nn
Die Lust am Besonderen, am Exklusiven, am Überfluss
und auch an der Verschwendung wird auch in den nächsten 10 bis 20 Jahren eine tragende Rolle im Konsum
spielen, und damit auch auf den Mobilitäts-Märkten von
morgen.
nn
Neuer Luxus bedeutet allerdings bis 2020 vor allem, „Infrastrukturen des Genusses“ bereit zu stellen. Möglichst
große Autonomie, Zeitsouveränität und Bewegungsfreiheit beschreibt den Luxus der Zukunft. Ohne Zweifel
sind diese Bedürfnisse bereits im alten Bedürfnis nach
grenzenloser (Auto-)Mobilität enthalten. In den nächsten
Jahren wird es für die OEM darauf ankommen, diese
Wunschwelten weiter in den Konsumenten anzusprechen
– trotz Ressourcenengpass und Klimawandel.
7. Simplify. Reduce to the Max!
Vereinfachung, Downshifting – das sind Trend-Begriffe, die
den hochaktuellen Wunsch nach purem, einfachem Leben
stimulieren. Komplexitätsreduktion und die Lust am Einfachen
sind ein Konsumthema mit Zukunft.
Die moderne Konsumgesellschaft hat ihr Versprechen des
Güter-Reichtums zwar weitgehend eingelöst. Doch die vielen
Güter sind nicht “umsonst”, wie immer mehr Menschen nun
feststellen. Die materiellen Dinge treten in Konkurrenz zu
den immateriellen Ressourcen, der materielle Besitz scheint
zur Minderung der Lebensqualität zu werden. Gebrauchsanweisungen, die noch darauf warten, studiert zu werden;
abonnierte Wochenzeitungen, die noch gelesen werden
müssten; das neue Mobiltelefon, mit dessen vielen Funktionen
man sich vertraut machen müsste; die Adressdatenbank, die
auf dem neuen Computer neu geordnet werden müsste;
der Haushalt, die Sportbetätigungen, die kulturelle Bildung,
die Familie, die Arbeit: alles schreit nach Zeit, die nicht mehr
vorhanden ist. Das erfolgreiche Produkte und Geschäftsmodelle
oftmals auf Simplizität beruhen, zeigen folgende Beispiele:
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
nn
Simplifying als Konsum-Trend kommt über viele Ebenen
auf die Autobauer zu: Im Design als Lifestyle-Statement
gegen den Ausstattungs-Überfrachtung, in der Kommunikation mit dem Händler, in der Gestaltung von zusätzlichen Servicedienstleistungen.
nn
Simplifying wird bis 2020 und noch darüber hinaus ein
zentrales Bedürfnis der Menschen des 21. Jahrhunderts
aufgreifen: Die Entlastung von unnötigem Ballast und die
Erlösung von Zeitverschwendung.
nn
Im Kontakt und für die Bedürfnisse des Kunden ist Einfachheit zukünftig das oberste Gebot auf allen Ebenen
und an allen Schnittstellen.
8. Deep-Support: Die neue Unterstützungs-Ökonomie
Das Ökonomiesegment Support stellt das Individuum in den
Mittelpunkt. Für die Automobilisten wird dieser Konsum-Trend
völlig neue Geschäftsfelder eröffnen.
Service ist schon fast zu einer Floskel verkommen, in den seltensten Fällen ist sie ernst gemeint. Oftmals werden die Kunden im
Problemfall mit dem Produkt alleine gelassen, Servicehotlines
sind oft keine Hilfe und verderben im Gegenteil nachhaltig den
Spaß und die Lust des Kunden am Produkt. Da die Komplexität
des Alltags unaufhörlich zunimmt, wird es zukünftig darauf
ankommen, dem Kunden ganzheitliche Angebote über den
27
Zukunft der Mobilität 2020
Produktlebenszyklus zu machen. Simplify ist eine wichtige
Kompenente von zukunftsfähigen Konzepten, Deep-Support
bezeichnet die geeignete und nicht minder wichtige Ergänzung.
Konsumenten von morgen werden vor dem Hintergrund ihres
komplexen Umfelds nicht nur nach aktivem Produktsupport
verlangen, zusätzlich werden alle Service und Dienstleistungen
hochwillkommen sein, die eine einfache Vernetzung zu anderen
Produkten oder nahtlose Einbettung in den Lebensalltag
ermöglichen.
In Zukunft werden die Marken zu den Gewinnern gehören, die
ein tiefes Verständnis davon entwickeln, welches die Bedürfnisse
der unterschiedlichen Kundengruppen sind, aber auch was die
großen Lebensknappheiten sind (vgl. Abbildung 21).
Abbildung 21: Zeitmanagement und Alltags-Outsourcing
Support in allen Lebenslagen
„ Rechnungen
„ Versicherungen
„ Darlehen
„ Investments
„ Mieten
Agentur für
Finanz-Dienstleistungen
Agentur für
Gesundheit und
Fitness
„ Steuer
„ Medical Care
„ Gesundheitsnahrung
„ Anti-Aging
„ Personal
Fitness
ihrer Kunden: Mobilität, Finanzen, Bildung, Gesundheit. Sie
nehmen den Kunden nicht nur Recherchearbeit ab, sondern
“lotsen” sie durch Kaufentscheidungen, Serviceprobleme und
Gesundheitsprozesse.
Kunden dieser “Meta-Dienstleistungen” werden zunächst in
erster Linie wohlhabende Haushalte und Familien sein, in denen
beide Partner arbeiten. Durch die Möglichkeiten des Internets
kann dieser Ansatz aber mehr und mehr auch auf ganz normale
Mittelstandshaushalte transferiert werden.
Der dargestellte Ansatz von Zuboff repräsentiert die nächste
Stufe der Service-Kultur, in der Zeit und Aufmerksamkeit die
begrenzten Ressourcen sind – und mehr und mehr Menschen
bereit sind, für mehr Zeitsouveränität auch zu bezahlen. Innovative Unternehmen setzen den Deep-Support-Trend schon heute
erfolgreich um. So macht Lufthansa beispielsweise seinen
Firstclass- und Vielfliegerkunden das Leben richtig angenehm.
Persönliche Assistenten helfen einem ganz individuell beim Einchecken, man kann in separaten Tagesbetten ausruhen oder ein
Bad nehmen, in Büroräumen arbeiten, und Lufthansa-Chauffeure
bringen einen dann schließlich mit dem im Oberklassefahrzeug
zum Flieger (vgl. Abbildung 22).
Abbildung 22: Service-Zukunft bedeutet: Fundamental neues
Zeitverständnis, neues Zeitempfinden
Industrie-Ära
Service-Ära
Kundenwünsche
Kinder als
Alltagskulisse
Bewusster
Time-Slot
für die Kinder
Mehr Zeit
schaffen, höhere
Beziehungsqualität
Beziehung
Teil des Alltags,
der bewältigt
werden muss
Bewusster
Time-Slot
für den Partner
Höhere
Beziehungsqualität
Arbeit
Exklusive Sphäre
des Mannes
Dominiert Leben
und Alltag von
Frau und Mann
AlltagsOutsourcing
Konsum
Beseitigung von
Mangel
Lifestyle und
Erlebnis
Neue individuelle
Produkte mehr
Lebensqualität
Haushalt
Exklusive Sphäre
der (Haus-)Frau
Verhandlungsbasis und Konfliktfeld zwischen
Frau und Mann
AlltagsOutsourcing
„ Haushaltsleistungen
„ Kindererziehung
„ Pflege
„ Karriere-Coaching
Agentur für
Work-LifeBalance
„ Transport
Agentur für
Mobilität
„ Reisen
Familie
„ Umzüge
„ Weiterbildung
Quelle: Shoshana Zuboff, James Maxmin: The Support Economy, 2002
Luxus in Zukunft ist vor allem “Aufmerksamkeits-Luxus”.
Wir suchen nach Helfern, nach “Agenten”, die uns helfen, die
Komplexität des Alltagslebens zu managen. Aber auch nach guten
Freunden, die uns verlässliche Tipps in Lebensfragen geben.
Welche Schulen sind für unsere Kinder die Besseren? Wie sollen
wir mit einer bestimmten chronischen Krankheit umgehen?
Die amerikanische Management-Beraterin Shoshana Zuboff
hat daraus das “Deep-Support”-Konzept entwickelt. In diesem
Konzept entstehen in Zukunft so genannte “Föderationen”. Diese
Föderationen kümmern sich um “Aufmerksamkeitsbündel”
28
Quelle: Zukunftsinstitut 2006
Zukunft der Mobilität 2020
nn
nn
nn
nn
Auto-Mobilität wird vom Kunden der Zukunft mehr als
Dienstleistung wahrgenommen denn als glamouröse
Produktwelt.
Deep-Support bedeutet: dem Kunden über den Produktsupport hinaus ein nachhaltiges und passgenaues Angebot
für seine Mobilitäts-Bedürfnisse zu bieten, ihm Unterwegssein noch bequemer und selbstverständlicher zu machen.
Dazu gehört auch, dass die Hersteller nicht nur Fahrzeuge
verkaufen, sondern vielmehr „Ankommensgarantien“
geben.
Hersteller werden sich in Zukunft auch als „Serviceagentur
für individuelles Mobilitäts-Management“ positionieren
und zusätzlichen Mehrwert schaffen durch zusätzliche
Assistenz, z. B. hinsichtlich der Planung von Mobilität oder
Auslandsreise-Beratung für Familien.
Der Konsum-Trend Deep-Support steht vor einer großen
Karriere, zunächst auf den Triade Märkten, bis 2020 aber
auch auf anderen regionalen Märkten. Deep-Support zwingt
die OEM dazu, eine Zukunft zu fokussieren, in der der
Kunde zum Mobilitäts-Konsumenten wird und in der die
Marke und deren Händler zum Lebensbegleiter werden.
9. Cheap-Chic: Preis UND Premium
Der Preis-Trend bleibt uns auch in den nächsten Jahren erhalten.
Allerdings ist “Geiz nicht mehr geil”, was die Konsumenten
von morgen fordern ist Premium und Preis, es muss nicht nur
“cheap”, sondern auch “chic” sein. Was dabei als neuer KonsumTrend entsteht, ist eine “Renaissance der Mitte” – smarter, näher
am Kunden, phantasievoller als die graue Mitte der 90er Jahre.
Nachdem 2007 für die Automobilindustrie ein erfolgreiches
Jahr gewesen ist, war 2008 durch massive Absatzeinbrüche
gekennzeichnet und 2009 wird für einige OEM und Zulieferer zur
Nagelprobe werden. Der Markt ist durch massive Überkapazitäten
geprägt, die OEM reagieren mit Rabattschlachten und sind gezwungen ihre eigenen Gewinne zu vereiteln (vgl. Abbildung 23).
Auch in den nächsten Jahren werden die Autokäufer weiter ihre
Rabatte einfordern – nachdem teilweise aberwitzige Rabatte
beim Autokauf schon zur Selbstverständlichkeit geworden sind,
Abbildung 23: Die Schnäppchenmentalität ist ungebrochen
Die durchschnittlichen Rabatte 2007 und 2008
in Prozent
18
16
14
12
10
M
är
z
07
A
pr
il
07
M
ai
07
Ju
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7
Ja
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08
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M
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z
08
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
Quelle: Center for Automotive Research; Horizont 14/2008
fordert der Kunde jetzt eine Aufwertung von niederpreisigen
Produkten durch Premium-Leistungen, Premium-Design und
Premium-Komponenten. Sie fordern Cheap-Chic, Premium und
Preis. In anderen Branchen hat der Trend längst Einzug gehalten.
Die verlässliche Größe “Konsument” hat begonnen, sich einer
eindimensional-marktforscherischen Klassifizierung zu entziehen.
Denn es gibt ihn schlichtweg nicht mehr: den Konsumenten, der
Luxus- oder Discountwaren, online oder stationär, Marken oder
No-Names einkauft. Stattdessen beginnt ein Empowerment des
Verbrauchers, der sich durch Individualisierung, Globalisierung
und Internetrecherche zum neuen Kunden-Souverän entwickelt.
Entweder-oder ist für ihn nicht länger aktuell. Menschen
konsumieren ambivalent und hybride: Heute Aldi, morgen
Feinkost (vgl. Abbildung 24 nächste Seite).
Mitte 2007 erklärte die Metro-Group die “Geiz ist geil” Ära für
beendet. Die Zeiten der Riesenrabatte sind in anderen Branchen
bereits vorbei. In der Lebensmittelbranche mit den in den
vergangenen Jahren dynamisch gewachsenen Discount-Marken
Aldi und Lidl geht nicht mehr alles über den Preis.
Auch in der Automobilindustrie setzt sich der Cheap-ChicTrend langsam durch. Immer häufiger überraschen Hersteller
mit smarten Kleinwagen, die auch mit schickem Design und
intelligenter Ausstattung punkten. Citroen C1, Ford KA, Lancia
29
Zukunft der Mobilität 2020
Trends und Mega-Trends – die zentralen branchenspezifischen Learnings: Wie sich anhand Trends und
Mega-Trends die zukünftigen Konsumbedürfnisse der
Menschen beschreiben lassen
Abbildung 24: Auf dem Weg in die Neue Mitte
nn
Automotive findet bis 2020 die folgende zentrale Herausforderung vor: Kundenseitiger Mobilitäts-Wunsch und Mobilitätsnotwendigkeit im Beruf (Stichwort Globalisierung) führen
zu dem Paradox, dass der Mobilitäts-Bedarf noch weiter
steigen wird (Mega-Trend Mobilität), während einer schrankenlosen (und preisgünstigen) Mobilität durch die Debatte um
den Klimawandel (Mega-Trend Neo-Ökologie) klare Grenzen
gesetzt werden.
nn
Die von uns analysierten Trends und Mega-Trends zeigen
aber auch, dass sich Konsum und Konsum von Mobilität in
den nächsten Jahren noch mit einer Vielzahl anderer Bedürfnisse von Kundenseite auseinandersetzen muss: Jeder der
von uns entwickelten (Mega-)Trends führt deshalb zu jeweils
neuen Bedürfniskonstellationen und Kundenwünschen, die
künftig mit Vorrang angesprochen werden sollten.
Starflyer
Luxusmarkt
Muji
Design-LowBudget-Hotels
Die Neue Mitte
Doc Morris
H&M + Designer
Discountmarkt
Conbinis
Quelle: Zukunftsinstitut, 2006
Ypsilon, Opel Corsa sind Beispiele, wie Cheap-Chic in einem
lange Zeit “designfernen” Segment funktionieren kann. Nicht
zuletzt zeigt der Erfolg von Retromodellen alter erfolgreicher
Kleinwagen wie dem Mini oder Fiat 500, dass es neue
Kombinationen und Auswege aus der Markt-Spreizung zwischen
Premium und Discount gibt.
Konsequenzen für die Automobilindustrie:
nn
„Preis und Premium“ klingt nach Quadratur des Kreises.
Angesichts der Marktsituation ist davon auszugehen,
dass schon in den nächsten fünf Jahren und auf nahezu
allen Märkten der Cheap-Chic-Trend an Bedeutung hinzugewinnen wird. Wenn Mobilität bis 2020 für viele zum
Luxusgut avanciert, wird der Wunsch nach Cheap-Chic die
Kaufentscheidungen vieler Menschen beeinflussen.
nn
Cheap-Chic stellt maximale Anforderungen an die Hersteller. Gerade in den Emerging Markets ist indes auch davon
auszugehen, dass PKW-Innovationen, die Cheap-Chic
folgen, vor allem die neu entstehenden globalen Mittelschichten erreichen werden. Dort wird es bis 2020
Millionen neue Weltbürger geben, die ihren beginnenden sozialen Wohlstand in günstigen, aber ästhetisch
ansprechenden Fahrzeugen repräsentiert sehen wollen.
30
Zukunft der Mobilität 2020
4. Mobilitätstypen 2020
Mit Hilfe der Konsumenten-Trends und Mega-Trends wurden
die wichtigsten Zukunftsbedarfe beschrieben, welche die
Konsumenten in den nächsten Jahren bis 2020 artikulieren
werden. Trends wie Multigrafie, Individualisierung, Cheap-Chic
oder Neuer Luxus zeigen auch sehr anschaulich, dass wir
das Zeitalter der nachfragegetriebenen Massenmärkte hinter
uns gelassen haben. Klassische Marktforschung, aber auch
die Milieu-Ansätze (Sinus, Sigma) beharren darauf, dass sich
Zielgruppen und Konsumentenbedürfnisse eindimensional
und gegenwartsverhaftet bestimmen lassen. Tatsächlich
müssen Zielgruppen und Konsumenten von morgen aber
situativer, individueller und zukunftsoffener gedacht werden. Es
kann nicht mehr von starren und tendenziell unumkehrbaren
Lebensentwürfen ausgegangen werden. Die Gesellschafts- und
Konsumenten-Trends haben auch gezeigt, dass Bedürfnisse
und Konsumentscheidungen nicht mehr grundsätzlich nach
festgelegten, generalisierbaren und zeitlich unabhängigen
Mustern entstehen.
Aus diesem Grund haben wir im Folgenden die zukünftigen
Anforderungen der Kunden, die sich aus den genannten
Trends entwickeln werden, in sogenannten “MobilitätsTypen” zusammengefasst und beschrieben. Diese neuartige
Kundengruppierung der “Mobilitäts-Typen 2020” bildet damit
eine neuartige Möglichkeit der Kundensegmentierung, die
über die heutigen Milieu-Modelle (Sinus, Sigma) hinaus gültig
sein wird und ein noch besseres Verständnis für zukünftige
Kundengruppen liefert.
Generell muss dabei in zwei grundsätzlich unterschiedliche
Gruppen von Mobilitäts-Typen unterschieden werden, der
Mobilitäts-Typen für die Triade-Märkte (USA, Europa und Japan)
und der Mobilitäts-Typen der dynamisch und rasant wachsenden
BRIC-Märkte (vgl. Abbildung 25).
4.1 Mobilitäts-Typen auf den Triade-Märkten 2020
4.1.1 Greenovator – Der Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) verändert den Mobilitäts-Konsum
Kurzbeschreibung:
nn
Mobilitäts-Konsum wird bei den Greenovators unmittelbar
mit Lebensqualität, Ressourcenschonung und Umweltschutz
verknüpft.
nn
Greenovators sind der Kern einer neuen Mobilitäts-Avantgarde, für die Nachhaltigkeit von Produkten zum PrestigeFaktor und entscheidenden Kaufargument wird.
ok
Abbildung 25: Mobilitäts-Typen in den Triade-Märkten
1. Greenovator
„ Mobilität wird sehr eng mit Ressourcenschonung und Umweltschutz verknüpft. Sie sind über die Konsequenzen, Kosten etc.
von Mobilität bestens informiert und suchen nach innovativen Lösungen
2. Family Cruiser
„ Familien werden immer fragmentierter, das führt zu einem wachsenden Mobilitäts-Grad. Moderne familiäre Lebensmuster
zeichnen sich durch einen deutlich wachsenden Mobilitäts-Aufwand aus
3. Silver Driver
„ Sie konsumieren gern, sind mobil, vielseitig interessiert und sehr aktiv in ihrem Freizeitleben. Hohe Ausgabenbereitschaft,
moderne Konsumgewohnheiten, Sinn für Lebensqualität und Genuss
4. High-frequency
Commuter
„ Hochgradig mobile Menschen, deren Mobilitäts-Nachfrage sich mehrheitlich auf den Regionalbereich bezieht.
Agglomerationspendler, die in erster Linie in Ballungsräumen flexibel und mobil sein müssen
5. Global Jet Setter
„ Menschen die sich täglich/wöchentlich/regelmäßig zwischen und in den Global Cities bewegen. Der Wertewandel ist
unübersehbar: gezielte Suche nach Exklusivität im Premium-Segment
6. Sensation Seeker
„ Mobilität wird stark mit Attributen wie Freiheit, Fun und Lifestyle besetzt, Mobilität ist weiterhin mit Status und Prestige
verbunden. "Freude am Fahren" wird ein Element modernen Lifestyles bleiben
7. Low End User
„ Diese Gruppe ist auf Mobilität angewiesen und wird den damit verbundenen Aufwand tendenziell downgraden. Suchen nach
den preisgünstigsten Angeboten, welche notwendige Mobilität sicherzustellen
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
31
Zukunft der Mobilität 2020
nn
Die Greenovators reflektieren die negativen Folgen von
Mobilität und sind bereit, ihren Mobilitäts-Grad zu reduzieren.
nn
Mobilität wird von den Greenovators ökologisch inszeniert:
Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeitsorientierung im
Mobilitäts-Konsum sind wichtige Signaturen ihres Lebensstils.
nn
Greenovators suchen nach umwelt- und sozialverträglichen,
“gesunden” Alternativen und ganzheitlich ökologischen
Mobilitäts-Konzepten.
Greenovators: Lebensqualität plus Umweltschutz
Nach Schätzungen des Zukunftsinstituts werden 2020 in
Nordamerika, Westeuropa und Japan über 30 Prozent der
Bevölkerung diesem Mobilitäts-Typ zuzuordnen sein. Sie wollen
auf die angenehmen Dinge des Lebens nicht verzichten – das
gilt auch für ihre Mobilität.
Wie kaum eine andere Zielgruppe sind Greenovators über die
Konsequenzen von Mobilität informiert und sorgen sich um die
weltweiten Folgen steigender Mobilität. Greenovators ziehen
hieraus jedoch nicht den Schluss, dass wir vor einer unabwendbaren Klimakatastrophe stehen, sondern sie suchen nach
zukunftsfähigen Lösungen, um den negativen Auswirkungen
entgegenzuwirken. Greenovators werden zweifellos zur Vorhut
derer gehören, die in den nächsten Jahren die neuen “grünen”
Autos kaufen (vgl. Abbildung 26):
Bei den Greenovators handelt es sich keineswegs um eine
gesellschaftliche Randerscheinung ideologieverbrämter Ökos,
denen es um Konsumverzicht und Absage an die Gesellschaft
geht. Greenovators sind ein Mobilitäts-Typus, der sich
unmittelbar aus dem Lifestyle of Health and Sustainability
(LOHAS) entwickelt. Dieser grüne Lebensstil zieht einen
weitreichenden Wandel der gesamten Konsumkultur und eben
auch des Mobilitäts-Verhaltens nach sich. Die Ansprüche und
Bedürfnisse nach Gesundheit, Genuss, Lebensqualität, Ökologie
und Nachhaltigkeit, die den Lifestyle of Health and Sustainability
kennzeichnen, werden künftig auch die Automobilbranche vor
neue Herausforderungen stellen.
Abbildung 26: Hohe Kaufbereitschaft für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben
Umsatzwachstum für Umwelttechnologien in Deutschland
in Prozent
Kaufwahrscheinlichkeit Elektroauto:
ganz bestimmt, sehr/eher wahrscheinlich
80
Kaufwahrscheinlichkeit Hybridfahrzeug:
ganz bestimmt, sehr/eher wahrscheinlich
73
70
60
50
40
54
54
46
46
47
44
47
43
40
36
29
30
27
37
29
30
26
28
20
10
0
Gesamt
Quelle: BMU, 2007
32
China
Frankreich
Schweiz
Österreich
Deutschland
Japan
Großbritannien
USA
Zukunft der Mobilität 2020
Vereinen, was bislang als unvereinbar galt –
Greenovators sind pragmatische Idealisten
Greenovators bringen traditionelle Widersprüche in Einklang:
Selbstverwirklichung und Gemeinsinn, Gesundheit und Genuss,
Spaß am Leben und finanzielle Unabhängigkeit, naturnahes
Wohnen und urbaner Lebensstil, Freude am Fahren und saubere
Öko-Bilanz, ästhetisch wertvolles und umweltfreundliches Design
etc. Die Greenovators sind immer auf der Suche nach gesunden,
sozial- und umweltverträglichen Lösungen, die ihrem Wunsch
nach mehr Lebensqualität entsprechen. Doch Lebensqualität
wird von ihnen vor allem mit einer intakten Umwelt in Verbindung
gebracht. An diesem Anspruch müssen sich auch künftige
Mobilitäts- und Verkehrslösungen messen lassen.
Greenovators favorisieren Fahrzeuge mit alternativen Antrieben
und fliegen klimaneutral. Sie organisieren Fahrgemeinschaften,
ohne dabei auf allzu viel Individualität zu verzichten. Greenovators
leben am liebsten in grüner Idylle, ohne auf die Vorzüge des
Urbanen zu verzichten. Sie entscheiden sich gezielt für Wohnund Arbeitsorte, die ihrem Anspruch nach einem gesunden
und nachhaltigen Leben entsprechen. Im Mobilitäts-Mix der
Greenovators wird sich der Modalsplit sehr deutlich zugunsten
öffentlicher Verkehrsmittel verschieben, aber auch die verstärkte
Nutzung von Fahrrädern und Car-Sharing ist für sie eine
Mobilitäts-Option.
“Es wird global eine Renaissance des öffentlichen
Nahverkehrs geben. Wir haben einen ganz starken
Trend zu körperlichen Bewegungsformen, wir werden mehr laufen und fahrradfahren, gerade in den
urbanen Gebieten Europas. Wir werden in den Innenstädten eher auf Autos verzichten und/oder im
Nahbereich wird ein neuer Fahrzeugtyp entstehen:
Die Plug-In-Hybrids oder Elektroautos. Da wird es
eine Spaltung im Fahrverhalten geben: Entweder
ein Langstreckenauto oder ein ökologisches Kurzstreckenauto oder man hat eben beides.”
Matthias Horx
Insbesondere die professionelle Weiterentwicklung des
Car-Sharing hat große Erfolgschancen bei den Greenovators,
prognostizieren Experten, wie Prof. Dr. Andreas Knie, MobilitätsExperte vom Wissenschaftszentrum in Berlin:
“Wir beobachten in den USA einen massiv boomenden
Car-Sharing Markt. Dort wird der Club-Gedanke
des Car-Sharing, der sich in Deutschland bisher
kaum durchgesetzt hat, immer populärer. In den USA
sind junge Menschen inzwischen sehr besorgt um die
Umwelt und das verändert ihr Mobilitäts-Verhalten.
Das Car-Sharing hat sich dort rasant entwickelt. In
diesem “Nutzen statt Besitzen”-Markt werden wir
aber auch in Deutschland und Europa insgesamt eine
deutliche Wachstumsentwicklung erleben.”
Prof. Dr. Andreas Knie
Zwischen Pragmatismus und Green Glamour:
Öko wird chic
Im Mobilitäts-Typ der Greenovators ist Auto-Mobilität an sich
längst kein Statusmerkmal mehr. Das bedeutet aber auch,
dass Mobilität hier stärker als bei anderen Mobilitäts-Typen
mit anderen Konsumbereichen konkurriert, etwa Gesundheit,
Ernährung, Bildung und Kultur. Nicht erst, wenn die Kosten
steigen sind Greenovators bereit, die Zahl der Wege und den
Mobilitäts-Grad zu reduzieren. Vor allem wenn der MobilitätsAufwand zu Lasten der Lebensqualität geht, hinterfragen
sie ihr Mobilitäts-Management und verzichten eher auf die
Nutzung des Autos zugunsten des “Langsamverkehrs” oder
stressfreier Fortbewegungsformen. Denn wirklich genießen
bedeutet: Langsamkeit entdecken, weniger mobil sein. Für die
Greenovators kommt es künftig nicht mehr darauf an, dass
man überall hinfahren kann, sondern ob es sich lohnt, dort
anzukommen.
Zugleich übernehmen viele Greenovators eine klare
Vorausdenker/ Vorreiter-Funktion auf den Mobilitäts-Märkten.
Ökologisch korrekt zu handeln, wird in Zukunft Teil eines globalen
Nachhaltigkeits-Trends. Noch einmal Andreas Knie:
33
Zukunft der Mobilität 2020
“Man sollte den Prius nicht überschätzen, aber man
sieht an seinem Erfolg, dass es einen enormen Bedarf
gibt, sich in seinem Mobilitäts-Verhalten umweltgerecht zu inszenieren.”
Prof. Dr. Andreas Knie
Mobilität wird also ökologisch inszeniert. Umweltbewusstsein
und Nachhaltigkeitsorientierung werden auch zum Lifestyle und
gerade im Mobilitäts-Konsum.
Der ökosoziale Mehrwert wird zum Prestige-Faktor und
Kaufargument
Mit der Diskussion über die Klimaerwärmung rücken Energieeffizienz, Verbrauchsreduzierung, CO2-Bilanz zunehmend
in den Relevanzbereich der umweltbewussten MobilitätsKonsumenten. Dass alternative Antriebe in der Gunst
der Greenovators ganz weit oben rangieren, resultiert vor
allem aus ihrem sauberen Image. Was zählt, sind das gute
Gewissen und Verantwortungsbewusstsein: Greenovators
kaufen Fahrzeuge mit alternativer Antriebstechnologie nicht
vorrangig aufgrund gestiegener Kraftstoffpreise. Für sie ist
die Schonung der Umwelt der wichtigste Anschaffungsgrund.
Der sozioökologische Mehrwert von Produkten und Services
bekommt als Kaufargument in Zukunft immer größere
Bedeutung.
So werden alternative Antriebe zur Verbrauchsreduzierung
selbst für Premium-Kunden interessant, die üblicherweise nicht
so sehr auf den Geldbeutel achten müssen. Und zugleich sind
es die Greenovators, die mit ihrem Konsumverhalten dafür
sorgen, dass künftig auch kleine, unscheinbar aussehende, aber
umweltfreundliche Fahrzeuge einen immer höheren PrestigeWert bekommen.
Konsumieren mit gutem Gewissen:
Mehrkosten werden akzeptiert
Entscheidend ist, dass diese Zielgruppe künftig immer stärker
bereit sein wird, für Produkte mit einer sauberen Ökobilanz
mehr zu zahlen. Dazu zählen auch umweltfreundliche MobilitätsLösungen, wie Mobilitäts-Experte Knie erläutert:
34
“Es gibt mittlerweile einen wachsenden Anteil entsprechend sensibilisierter Konsumenten und eine
größere Menge an Menschen, die bereit ist, etwas mehr
Geld für umweltfreundliche, nachhaltige Produkte
auszugeben. Obwohl die Kaufkraft generell eher sinken
wird, gibt es ausgewiesene und relevante Segmente, die,
um ein besonders umweltfreundliches Auto zu haben,
auch das entsprechende Geld ausgeben.”
Prof. Dr. Andreas Knie
Die Ansprüche, die Greenovators an Mobilitäts-Produkte und
-services stellen, werden damit komplexer. Greenovators
wollen ganzheitliche ökologische Mobilitäts-Konzepte, die auf
das persönliche Wohlbefinden und das Wohl der Gesellschaft
ausgerichtet sind.
4.1.2 Family Cruiser: Die neue Vielfalt der
Gemeinschafts-Mobilität
Kurzbeschreibung
nn
Veränderte Familienwelten prägen diesen Mobilitäts-Typ:
Patchwork-Familien, neue familiäre Netzwerke und dezentralisierte Familienmodelle sind der soziodemografische
Hintergrund der Family Cruiser.
nn
Der Trend Familie 2.0 rückt individualisierte Mobilität mehr
denn je in den Mittelpunkt, Mobilität ist nicht mehr das Privileg des Familienernährers, sondern aller Familienmitglieder.
nn
Mobilität ist gleichbedeutend mit der Aufrechterhaltung enger
persönlicher Beziehungen; für viele Family Cruiser ist Mobilität daher ein hoher Wert und bedeutet nichts Geringeres als
mit den wichtigsten Bezugspersonen in Kontakt zu sein.
nn
Family Cruiser praktizieren vermehrt “interfamiliäres Car-Sharing”, die pragmatische Nutzung des Autos hat den Charakter
des Staffelstabs.
nn
Family Cruiser tendieren künftig zu noch stärkerer Modularität
in der Fahrzeugnutzung.
Zukunft der Mobilität 2020
Familienleben vollzieht sich immer fragmentarischer und findet
unter Zeitnot statt. Gerade moderne Lebensstile zeichnen sich
künftig durch einen deutlich wachsenden Mobilitäts-Aufwand
aus. Family Cruiser organisieren Freizeit und Familie in einer
Art, die an die Logistik eines Paketdienstes und touristische
Animation zugleich erinnert – ständig werden wir zu einem
Erlebnis “transportiert”. Die Neudefinition des Familienbegriffs als
“Netzwerk von Vielen” zieht auch neue Mobilitäts-Anforderungen,
Verkehrsmittelnutzung und Fahrzeugfunktionen nach sich.
Das Ende der ottonormalen Familien-Idylle im Grünen
Family Cruiser werden es den Fahrzeugherstellern künftig
nicht einfach machen, denn sie sind anspruchsvoll und fordern
neue Lösungen für neue Bedürfnisse. Diese entstehen auf
der Grundlage ihres urban orientierten Lifestyles, der hohe
Beweglichkeit erfordert. Vor allem die jungen Starter-Familien
entscheiden sich dafür, mit ihren Kindern in den urbanen
Zentren zu wohnen. Family Cruiser möchten auch nach der
Familiengründung nicht auf ihr lieb gewordenes Großstadtleben
verzichten. Mobilität bedeutet für sie deshalb auch immer
stärker: Eine Gegenwelt, Kontrasterfahrungen machen, raus ins
Grüne, Freiheit, Freizeit, frische Luft. Bedürfnisse, die auch in Zukunft besonders gut mit dem Auto zu befriedigen sein werden.
Zweifellos wird es auch weiterhin Familien geben, die bewusst
aufs das Land ziehen. Dass aber im ländlichen Raum selbst die
Erfüllung einfachster Bedürfnisse wie Einkaufen oder die Kinder
in die Schule zu bringen tagtäglich mit langen Wegen, hohen
Kosten und negativer Ökobilanz verbunden ist, schreckt viele ab.
Familienmobilität wird künftig einem strengen Zeit- und KostenNutzen-Kalkül unterworfen werden: Mobilität muss reibungslos
funktionieren, darf keine wertvolle Familienzeit verschlingen und
soll Ressourcen schonen – so die Ansprüche der Family Cruiser.
Die schrumpfenden Kernfamilien entwickeln sich zu größeren,
netzwerkartigen Gebilden. Netzwerkfamilien sind neue,
komplexe soziale Funktionssysteme, die dezentral über eine
Vielfalt von Orten organisiert sind, wobei mitunter erhebliche
Distanzen überwunden werden müssen. Ihr Zusammenschluss
beruht auf freier Wahl und weniger auf Verwandtschaftsgraden,
so dass auch Ex-Partner und nichtverwandte Freunde und
Bekannte Teil der Familie werden.
Mit dieser markanten Ausweitung familiärer Strukturen erweitert
sich auch der Mobilitäts-Ggrad vieler Familien. Zeichneten sich
Familienbanden früher durch zeitliche und räumliche Koinzidenz
aus, werden sie in Zukunft stärker räumlich auseinander driften.
Das verleiht der Mobilität zur Aufrechterhaltung von Beziehungen einen besonderen Wert, die auch durch zunehmende
Online-Kommunikation nicht adäquat ersetzt werden kann. Hinzu
kommt: Jedes Familienmitglied trifft immer häufiger individuelle
Lebens- und Konsumentscheidungen, was die Alltagskomplexität
zunehmend erhöht. Die 10-jährige Tochter darf sich einen Traum
erfüllen und privaten Gesangsunterricht nehmen, der allerdings
dreimal pro Woche im Nachbarort stattfindet, die Mutter hat
Segeln als ihr neues Hobby entdeckt usw. Family-Cruising 2020,
das heißt erweiterte Mobilität, und diese Familienmobilität wird
zudem intensiv mobile Kommunikationsdienste nachfragen, so
auch die Einschätzung von Dr. Christine Zach, Geschäftsführerin
der Akademie des Österreichischen Automobil-, Motorrad- und
Touringclubs (ÖAMTC):
“Fahrzeuge müssen vermehrt kluge Kommunikationsund Informationsfeatures beinhalten, die beispielsweise die gesamten Mobiltelefonfunktionen auf einem
brauchbaren Display darstellen und steuerbar machen.
Idealerweise sollte das Auto den Parkplatz selbst
finden und so zu einem flexiblen und funktionalen
Gerät für urbane Gebiete werden.”
Dr. Christine Zach
Männliche Family Cruiser:
Von Macho-Vätern zu mobilen Everyday-Managern
Die patriarchale, bürgerliche Kleinfamilie stand in den meisten
westlichen Gesellschaften bis in die 80er Jahre für einen
zentralen Lebens- und Mobilitäts-Entwurf. Auch die PatchworkFamilien, die sich in den 80er und 90er Jahren verstärkt heraus
bildeten, waren noch durch klassisch bürgerliche Werte geprägt
(Familienernährer, Hausfrauenrolle, Alleinverdienermodell).
In den neuen Familiennetzwerken werden Männer ihre Rolle
als Brotverdiener künftig Stück für Stück aufgeben und einen
stärker aktiven, partnerschaftlichen und fürsorglichen Part im
35
Zukunft der Mobilität 2020
Familienleben übernehmen. Das sich wandelnde Rollenverständnis hat die Gestaltung der Fahrzeug-Typen bereits verändert und
wird dies auch weiterhin tun.
Die klassischen Rollenverteilungen und Abhängigkeiten, die
in traditionellen Familienstrukturen herrschten – der Mann als
Familien-Versorger besaß die uneingeschränkte Hoheit über
das Auto – lösten sich bereits Ende der 80er Jahre zugunsten
gleichberechtigter und liberaler Lebensformen auf. Die Family
Cruiser treiben diesen “automobilen Wertewandel” weiter voran.
Interfamiliäres Car-Sharing: Das Auto als Staffelstab
Dass das Eigentumsverhalten gegenüber dem Auto langsam,
aber sicher zurückgeht, ist ein langfristig zu beobachtender
Trend – abzulesen etwa am zunehmenden Leasing und CarSharing. Das setzt sich weiter fort und wir werden künftig
auch sehr viel mehr “interfamiliäres Car-Sharing” erleben als
heute. Für die Family Cruiser ist das Fahrzeug ein familiärer
Staffelstab, der je nach Tageszeit und Wochentag immer wieder
von anderen Personen des Familiennetzes übernommen
wird. Neben der “Kernfamilie” und ihrer volljährigen Kinder,
sind es insbesondere Eltern, Geschwister und Freunde bzw.
temporäre Erziehungspersonen (Tagesmütter etc.), die an der
gemeinsamen Mobilität partizipieren.
Die Netzwerkstruktur erlaubt es den Family Cruisern, noch
stärker nach ihren individuellen Bedürfnissen zu handeln und
ein mobiles Leben außerhalb familiärer Anforderungen zu
realisieren. Die Family Cruiser und ihr Netzwerk stellen damit
vielfältige und hohe Ansprüche an Support-Funktionen von
Fahrzeugen und Mobilitäts-Dienstleistern: Vom Fahrradtransport
über die unkomplizierte Nutzung durch Dritte bis hin zum
Hol- und Bringservice für die Kinder. Um die zahlreichen
Bedürfnisse der Family Cruiser zu befriedigen, wird es künftig
statt eines SUV oder Familienbusses eine hohe Nachfrage
nach multifunktionalen und modularen Fahrzeugmodellen
geben. Family-Cruising avanciert deshalb zu einem “Markt im
Markt” – mit einer hohen Nachfrage nach vielfältigen MobilitätsLösungen:
36
“Die Menschen werden sagen: Für die Stadt habe ich
hauptsächlich diesen Bedarf, das Fahrzeug kaufe ich
mir. Für Überlandreisen, Familienurlaube oder den
Cabrio-Fun am Wochenende wünsche ich mir einen
Zugang zu den entsprechenden Fahrzeugen – da
muss nicht immer alles im eigenen Besitz sein.”
Dr. Christine Zach
Family Cruising 2020: Elternmodule, Kindermodule
und Einkaufsmodule
Auch 2020 werden Familien nur selten mit einem Auto auskommen, geschweige denn vollständig aufs Auto verzichten
können. Statt großräumiger Familienfahrzeuge setzen viele
Family Cruiser dann aber auf situationsadäquate Mobilität: kleine,
sparsame und den Alltagsbedürfnissen entsprechende Autos.
Family Cruiser legen besonderen Wert auf multifunktionale
Nutzbarkeit. Dabei kommt es künftig jedoch weniger auf
pure Größe oder Volumen an, als auf situationsintelligente,
kontextbezogene Zweckdienlichkeit:
Auch wenn es einstweilen noch nicht praktikabel erscheint,
wäre die (ökonomisch) sinnvollste Lösung ein wirklicher
Paradigmenwechsel hin zum vollmodularisierten “Plug-andDrive-Fahrzeug”, so wie es sich Dr. Peter Maskus, ChefEntwickler des Stromlinienfahrzeugs Acabion, für die Zukunft bis
2020 vorstellt:
“Wenn man in Zukunft in den Familienurlaub
fährt, ist ein ganzer Pulk wie eine kleine Eisenbahn
unterwegs: ein Elternmodul, ein Kindermodul und
ein Kofferraummodul. Die Module kann ich für den
Urlaub dazumieten, ansonsten bin ich effizient mit
meiner kleinen Einheit unterwegs.”
Dr. Peter Maskus
Zukunft der Mobilität 2020
Family Cruiser machen vor allem eines deutlich: Die
Ansprüche, die der Gesellschafts-Trend “Familie 2.0” an
Mobilität stellt, sind mitunter so vielfältig wie ihre Mitglieder.
Die Bedürfnisse werden individueller, gleichzeitig entstehen
durch die neuen Familienformen auch neue Bedürfnisse in der
Gemeinschaftsmobilität. Das Mobilitäts-Verhalten der Family
Cruiser erklärt sich aus der Bedürfnisexplosion heraus, die sich
durch die Vereinbarungswünsche von Karriere, Partnerschaften,
Kindererziehung und individueller Persönlichkeitsentwicklung für
alle Beteiligten ergeben.
4.1.3 Silver Driver: Die neue Freiheit der grauen Erlebnisgeneration
Kurzbeschreibung:
nn
Silver Driver sind die neuen Alten des zweiten Aufbruchs
(vgl. Downaging) mit hoher Freizeitorientierung und vielfach,
zumindest noch temporärer, beruflicher Betätigung.
nn
Silver Driver bevorzugen einen neuen Mix aus Erlebnisorientierung und Sicherheit – uneingeschränkte Mobilität mit Netz
und doppeltem Boden, Freiheit, Spaß und Sportlichkeit.
nn
Autos müssen Autonomie und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, zugleich aber auch dem Wunsch nach Sicherheit,
Komfort und Kontrolle gerecht werden.
nn
Silver Driver gehören zu den Menschen zwischen 50 und
70 Jahren, die sich selbst in der Mitte des Lebens sehen,
das sie in vollen Zügen genießen möchten und einen
Mentalitätswandel vollziehen: Von den sich aufopfernden
Eltern und Großeltern zum so genannten “SKI-ing – “Spending the Kids’ Inheritance” (d. h. Konsum auf Kosten des
eigentlichen Erbes der Kinder).
Lebensgefühl der Silver Driver: “Spending the Kids’
Inheritance”
Silver Driver sind eine neue Generation älterer Menschen, die
als Zielgruppe auf den Mobilitäts-Märkten der Zukunft immer
wichtiger werden. Die Silver Driver konsumieren gern, sind
mobil, vielseitig interessiert und ausgesprochen aktiv in ihrem
Freizeitleben.
Silver Driver sind nicht nur gut situiert, sie sind vor allem auch
bereit, ihr Geld auszugeben, anstatt es zu sparen. Frei nach dem
Motto “Wer spart, hungert bloß für die Erben” kurbeln sie den
Konsum an – gerade auf den Mobilitäts-Märkten.
“SKI-ing” ist in Großbritannien eine mittlerweile geläufige
Abkürzung für “Spending the Kids’ Inheritance”, was so viel
heißt wie: Wir geben das Erbe unserer Kinder aus – und haben
Spaß dabei. In den letzten Jahren steigen die Marktanteile der
Best-Ager-Haushalte an den Konsumausgaben kontinuierlich. In
Deutschland entfallen von der Gesamtkaufkraft in Höhe von 1,4
Billionen Euro inzwischen allein 17 Prozent auf die Gruppe der
50- bis 59-Jährigen (239 Milliarden Euro) und ganze 29 Prozent
auf die Gruppe 60plus (405 Milliarden Euro).
Die Silver Driver gehören definitiv zu dieser Konsumentengruppe,
die von einem nie da gewesenen Wohlstand der Generation
50plus profitiert. Sie haben im Leben noch viel vor, richten den
Blick nach vorn und wollen die besten Jahre aktiv genießen
– Mobilität ist hierfür eine Grundvoraussetzung. Die enorme
Kaufkraft, die hohe Mobilitäts-Bereitschaft und moderne Konsumgewohnheiten machen die Silver Driver zu einem in Zukunft
gesellschaftlich einflussreichen und lukrativen Mobilitäts-Typen.
Aktiver Alltag kurbelt den Mobilitäts-Bedarf an
Weil ältere Menschen deutlich mehr Zeit zum Verreisen haben
und gern Neues entdecken, sind Silver Driver international viel
unterwegs. Steigende Mobilitätsansprüche älterer Menschen
schlagen sich aber nicht mehr nur auf dem Tourismus-Markt
wider. Vor allem Mobilität im Nahbereich wird von Älteren immer
stärker nachgefragt. Die Gründe sind zahlreich: Silver Driver
gestalten ihr Leben vielfältiger denn je; Arbeiten bis ins hohe
Alter wird zur Normalität; ihre Freizeit ist vermehrt durch Bildungsaktivitäten, gesellschaftliches Engagement und kulturelle
Events geprägt. Wenngleich der Mobilitäts-Typ der Silver Driver
sehr stark auf Selbstverwirklichung zielt, übernehmen viele
Frauen und Männer über 50 zusätzlich noch klassische familiäre Aufgaben bei der Erziehung und Betreuung ihrer Enkel,
Nichten und Neffen. All das sorgt für eine noch nie da gewesene
Mobilitäts-Nachfrage älterer Menschen.
37
Zukunft der Mobilität 2020
Silberne Auto-Mobilität: Passgenaues Vehikel für den
dritten Lebensabschnitt
Viele Tatsachen sprechen dafür, dass das Auto bis ins Jahr 2020
eine noch wichtigere Funktion für die Mobilitäts-Anforderungen
der Silver Driver einnehmen wird als heute: Künftig haben mehr
Ältere als je zuvor einen Führerschein – insbesondere mehr
ältere Frauen. Für die Automobilbranche werden Silver Driver
also schon allein quantitativ immer relevanter. Und speziell
selbstbewusste ältere Frauen avancieren zu einer immer
interessanteren Käufergruppe. In Deutschland beispielsweise
wird die Zahl weiblicher Führerscheinbesitzer zwischen 50 und
70 Jahren in den nächsten 10 Jahren von 6,8 Millionen auf 9,2
Millionen wachsen (vgl. Communication Networks 12.0). Damit
sind immer öfter die Voraussetzungen gegeben, individuell
unterwegs zu sein. Und das Auto garantiert den Silver Drivern
die Unabhängigkeit und Sicherheit, sich auch im Alter noch
einmal zu neuen Ufern aufzumachen. Prof. Knie weist auf das
veränderte Konsumbewusstsein der “neuen Alten” in der
Zukunft hin:
es der flexiblen Nutzung je nach Situation und Ort entgegenkommt. Die Folge: Silver Driver werden auch in Zukunft verstärkt
Angebote nachfragen, die öffentliche Verkehrsmittel auf langen
Entfernungen mit individueller Auto-Mobilität in Städten
intelligent und unkompliziert kombinieren.
Silver Driver: Deep-Support statt Distinktion
Körperliche Einschränkungen nehmen weiterhin mit dem
Alter zu, so dass das die Bedürfnisse nach Sicherheit und
Convenience im Straßenverkehr bei vielen Silver Drivern noch
höher ist als bei jungen Menschen. Ein Marketing-Experte
eines großen deutschen Automobilherstellers sieht sehr wohl
die erlebnislustigen Senioren als Zielgruppe, aber speziell auch
diejenigen, die den Wunsch nach Unabhängigkeit und Mobilität
mit einem hohen Convenience-Bedürfnis verbinden. Wörtlich
erklärt er:
“Einen zu starken Eingriff in die Autonomie des
Fahrers akzeptieren die Kunden nicht. Deswegen
werden wir die Idee, dass das Auto ganz alleine
“Der demografische Wandel wird die Affinität zum
fährt, erst sehr weit in der Zukunft realisiert sehen.
Auto noch weiter erhöhen. Im Moment verbinden wir Aber ein Stauassistent ist eine Convenience, die
das Alter viel zu stark mit Einschränkungen. Die
durch Fahrerassistenzsysteme geleistet werden kann.
gibt es zweifellos, und je stärker erste Einschränkun- Gerade ältere Menschen schätzen dieses Mehr an
gen für den Einzelnen spürbar werden, desto eher
Komfort.”
sucht man nach sicherer automobiler Fortbewegung.
Marketing und Vertriebsexperte eines führenden
Grundsätzlich aber werden die zukünftigen Alten
Automobilkonzerns
mit automobilen Fortbewegungsmitteln so selbstverständlich alt geworden sein, dass sie auch im Alter
Silver Driver sind weniger interessiert an “Technik, die
noch eine enorm hohe Nachfrage erzeugen.”
begeistert” als an verlässlicher und unkomplizierter Funktionalität.
Prof. Dr. Andreas Knie
Neu an den Silver Drivern ist, dass sie individuelle Mobilität
künftig stärker nachfragen als die alten Generationen vor ihnen.
Der Mobilitäts-Mix der Silver Driver ist dabei so vielfältig wie ihre
Alltagsbedürfnisse. Während für viele das eigene Auto unverzichtbar ist, ist für andere der dauerhafte Besitz unökonomisch.
Viele Silver Driver werden daher eher auf individuelle Formen
des Car-Sharing oder auf professionelle Verleiher setzen, weil
38
Sie probieren gerne Neues aus, wollen aber letztlich die Kontrolle
nicht aus der Hand geben. Innovative Produkte und Services
müssen sich in erster Linie leicht erschließen und in puncto
Mobilität einen praktischen Nutzen liefern. Es geht den Silver
Drivern um die Reduktion von Komplexität im Alltag statt um
Status, Prestige und Distinktion. Der Wunsch nach Deep-Support
führt dazu, dass ältere Konsumenten gern bereit sind, für hohe
Qualität von Produkten und besonderen Service mehr zu zahlen.
Zukunft der Mobilität 2020
Es wäre aber völlig falsch, die Lösung in speziellen SeniorenProdukten zu suchen, so Christine Zach vom ÖAMTC:
nn
Der Mobilitäts-Typ wird bis 2020 auch immer stärker von
Frauen gelebt.
“Ich bin überzeugt, dass altersspezifische Modelle
keine Chance haben werden, ebenso wenige solche,
die als ‚besonders für Ältere geeignet’ vermarktet
werden. Das wird als Stigmatisierung empfunden
und entspricht nicht dem Trend. Es geht viel mehr
darum, unterschiedliche Typen zu betrachten, eine
Vielfalt an Sichtweisen, die man bedienen sollte. Das
Alter spielt da gar nicht die übergeordnete Rolle. Einfache Bedienbarkeit etwa wünschen sich Ältere und
Jüngere gleichermaßen. Das leichte Einsteigen ins
SUV finden ja auch junge Menschen vorteilhaft.”
nn
Der PKW ist das dominierende Verkehrsmittel.
nn
Wenngleich die berufsbedingte Mobilität in der Regel vom
Arbeitgeber finanziert wird (sofern es sich nicht um Selbständige handelt), sorgt der wachsende Kostendruck dafür, dass
Mobilitäts-Konsum auch bei den High-frequency Commutern
immer stärker einem Kosten-Nutzen-Kalkül ausgesetzt ist.
nn
Der Einsatz von Informations- und Telekommunikationstechnologien dient künftig zur teilweisen Substitution von
räumlicher Mobilität.
Dr. Christine Zach
Die wirklichen Kundenbedürfnisse werden in Zukunft auch
auf den Mobilitäts-Märkten immer weniger dem biologischen
Altersunterschied unterliegen. Der Wunsch nach Sportlichkeit
und dynamischem Fahrspaß etwa ist längst nicht mehr nur ein
Kriterium für junge Männer, sondern wird auch für Silver Driver
künftig immer wichtiger. Die Wünsche und Bedürfnisse der
Silver Driver sind prototypisch dafür, dass es nicht die sinkende
körperliche Leistungsfähigkeit älterer Kunden ist, die MobilitätsAnbieter vor die größte Herausforderung stellt, sondern
veränderte Konsumgewohnheiten und moderne Ansprüche
älterer Menschen!
4.1.4 High-frequency Commuter: Zeitgeplagte Alltagspendler
Kurzbeschreibung:
nn
High-frequency Commuter sind vor allem hochgradig mobile
Jobnomaden. Tägliches Pendeln ist ein Erfordernis ihres
modernen Berufsalltags.
nn
High-frequency Commuter suchen nach bequemen,
effizienten und flexiblen Mobilitäts-Lösungen innerhalb von
Ballungsräumen und zur Überwindung von Stadt-LandDistanzen.
Hochfrequente Mobilität wird bis 2020 weiterhin ein Zeichen
für Wachstum und gute Geschäfte sein. Unterwegs sein heißt
im Geschäft sein, heißt am globalen Wohlstand teilhaben. Die
High-frequency Commuter sind hochgradig mobile Jobnomaden,
die permanent auf dem Weg zu Kunden, Geschäftspartnern und
temporären Projekten sind. Durch das veränderte Geschlechterverhältnis in der modernen Arbeitswelt wird es zukünftig
jedoch auch einen hohen Anteil an weiblichen Pendlern geben.
Mobilität bedeutet für den High-frequency Commuter vor allem
Stadt-Land-Distanzen unkompliziert zu überwinden oder als
Agglomerationspendler in den Ballungsräumen flexibel mobil
zu sein. Deswegen sind die High-frequency Commuter im
hohen Maße darauf bedacht, ihr Mobilitäts-Budget intelligent
zu organisieren bzw. zu reduzieren oder zu kompensieren.
Entsprechend hoch ist ihre Nachfrage nach Service-, Informations- und Technik-Lösungen, die Mobilität insgesamt
stressfreier machen oder teilweise ersetzen.
Arbeit “to go”: Vom festen Arbeitsplatz zum mobilen
Business-Hub
Auf dem Höhepunkt des Industriezeitalters war es normal, dass
Berufstätige ihren Arbeitsplatz in direkter Nähe zum Wohnort
hatten. Berufsbedingte Mobilität war oft gleichbedeutend mit
einem Umzug, von dem dann automatisch die ganze Familie
betroffen war. Bis vor wenigen Jahren war Pendlermobilität auf
einzelne Berufsgruppen beschränkt bzw. nur von kurzer Dauer
oder allenfalls in Führungspositionen üblich.
39
Zukunft der Mobilität 2020
Inzwischen legen aber immer mehr Berufstätige beachtliche
Strecken zur Arbeit zurück. In Deutschland beispielsweise
arbeiten rund 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten weit entfernt von ihrem eigentlichen Wohnort, nach Prognosen des
Zukunftsinstituts wird der Anteil der Pendler bis 2015 nochmals
auf 46 Prozent steigen. Die Veränderung des Arbeitslebens
in den letzten Jahrzehnten wird auch in Zukunft starke Auswirkungen auf das Mobilitäts-Verhalten haben.
Im Wissenszeitalter sind Firmenstandorte viel weniger an eine
bestimmte, feste Örtlichkeit geknüpft, Kunden tun sich für Highfrequency Commuter manchmal am anderen Ende der Welt
auf. Da Kommunikation, Face-to-Face-Informationsaustausch
und Kundenbeziehungen in der Zukunft die treibenden Kräfte
der Geschäftswelt sein werden, wird auch das MobilitätsAufkommen weiter steigen. Dem Wandel vom Arbeitsplatz zu
vernetzten Arbeitsräumen folgend, werden die High-frequency
Commuter das einfache Pendeln zwischen zwei Stationen
immer häufiger durch multiple Mobilität ersetzen. Was früher der
“Arbeitsplatz” war, wird künftig zum mobilen Arbeits-Hub, in dem
sich Warte- und Fahrzeiten durch Laptop und Breitbandanbindung
flexibel als Arbeitszeit nutzen lassen (vgl. Abbildung 27).
Female Drive: High-frequency Commuting wird immer
mehr zur Frauensache
Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor auf die Gruppe der Highfrequency Commuter ist die zunehmende Erwerbstätigkeit
von Frauen. In den kommenden Jahren ist mit einem starken
Zuwachs weiblicher High-frequency Commuter zu rechnen,
da sich in den Industrieländern die Beschäftigungsquoten und
Arbeitsmuster beider Geschlechter angleichen werden.
Untersuchungen unter Berufspendlern haben ergeben, dass mit
steigendem Haushaltseinkommen auch längere Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte in Kauf genommen werden. Dies
begünstigt wiederum die Nutzung eines PKW als Verkehrsmittel
Nummer eins. Mehr noch: Die steigende Zahl gut verdienender
Frauen wird künftig die Anzahl weiblicher Pendlerinnen weiter
nach oben verschieben. Hinzu kommt, dass die Zahl der Frauen
mit Führerschein wie auch die Zahl der auf Frauen zugelassen
Autos beständig wächst.
Durch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen wird bei
High-frequency Commuter-Paaren das “Finden” einer gut
bezahlten Arbeitsstelle beider Partner an einem Ort zu einem
komplizierten logistischen Problem. Berufliche Mobilität wird
Abbildung 27: Moderne Arbeitsnomaden
Anteil der Pendler an Vollzeitbeschäftigten (Deutschland)
in Prozent
60
Geringqualifizierte
Qualifizierte
Hochqualifizierte
Gesamt
50
40
30
20
10
0
1995
1997
1999
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2008; Prognose: Zukunftsinstitut
40
2001
2003
2005
2015
Zukunft der Mobilität 2020
immer öfter unausweichlich. Wenn darüber hinaus Kinder
im Haushalt sind, wird zusätzlich die Betreuungssituation
zum entscheidenden Standortfaktor und rückt damit in den
Mittelpunkt des Mobilitäts-Konzepts der High-frequency
Commuter.
Steigende Treibstoffkosten und die Umweltdiskussion werden
auch für Nutzer von Firmenwagen an Bedeutung gewinnen.
Unternehmen werden künftig aus ökonomischen wie
ökologischen Überlegungen heraus verstärkt versuchen ihre
Nachhaltigkeits-Bilanz zu optimieren.
Mobilitäts-Druck und Zeitmangel treiben die Nachfrage
nach effizienten Mobilitäts-Lösungen an
Die “letzte Meile” – Der Weg ins Herz der Highfrequency Commuter
Mit der starken Zersiedlung des urbanen Raums und der
Ausbildung von breiten Speckgürteln rund um die Großstädte
verlängern sich die individuellen Wegstrecken und das
Mobilitäts-Aufkommen nimmt weiter zu. Dies gilt nicht nur für
Menschen, die beruflich unterwegs sind, sondern wirkt sich
auch auf Familienbesuche, Shopping- und Freizeitaktivitäten
der Bewohner des suburbanen Raums aus. Mobilität ist für
die High-frequency Commuter kein Ausdruck von Freiheit und
Emanzipation, sondern wird zur alltäglichen Verpflichtung, die
den beruflichen Tagesablauf bestimmt und sich (tendenziell)
negativ auf das Privatleben auswirkt. Zeitmangel (und nicht
Geldmangel) ist die größte Lebensknappheit.
Zu den High-frequency Commuters zählt auch die wachsende
Anzahl an Projekt- und Wissensarbeitern, für die Mobilität
eine Grundvoraussetzung ihres geschäftlichen Erfolgs ist.
Auf ihre Flexibilitätsansprüche werden in Zukunft auch
Mobilitäts-Anbieter wie die Bahn mit den entsprechenden
Angeboten und Geschäftsmodellen antworten und in starke
Konkurrenz zum bevorzugten Transportmittel, dem PKW,
treten. Gerade vor dem Hintergrund des Mega-Trends
Neo-Ökologie steigt die Attraktivität alternativer MobilitätsLösungen durch den öffentlichen Verkehr. Carl-Ernst Müller,
Experte für Nachhaltigkeitsmanagement, weist auf diesen
Wandlungsprozess hin:
Auch bis in das Jahr 2020 bleibt der PKW das bevorzugte Fortbewegungsmittel der High-frequency Commuter. Sie wählen ihre
Motorisierung allerdings nach Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten
aus und nicht aus einer “Autoideologie” heraus. Durch die multiplen Mobilitäts-Anforderungen durch Arbeit, Freizeit und Familienleben erhöht sich der Wunsch nach Komplexitäts- und Stressreduktion noch weiter. Alternativen zur individuellen Auto-Mobilität
zu finden, ist für die High-frequency Commuter nicht einfach.
Dennoch lassen sie sich von einem Verkehrsmittelwechsel
überzeugen, wenn sich dadurch auf Wege verzichten oder
Zeit einsparen ließe. Andreas Knie prognostiziert für 2020 ein
“Greening” des Mobilitäts-Verhaltens in den Ballungsräumen,
das auch die High-frequency Commuter beeinflussen wird:
“In den Ballungsräumen wird das Verkehrsmittel
benutzt, das einfach am pragmatischsten zur Verfügung steht. Aber Pragmatismus hin oder her, was
auf keinen Fall mehr geht, sind Angebote, die offenkundig die Umwelt schädigen.”
Prof. Dr. Andreas Knie
“Das Auto wird seine Rolle als Schlüsselelement der
Fortbewegung für die Pendler nicht verlieren, aber
innovative Angebote der Bahn können die Vormachtstellung des PKW schwächen. Denkbar wäre etwa
eine ‚My-Cities-Card’, die es möglich macht, in
mehreren Städten den öffentlichen Nahverkehr zu
nutzen und sich dort dann frei bewegen zu können.
Oder so etwas wie eine ‚BahnCard 100 Weekend’
bzw. eine ‚BahnCard 100 Work’, die zwar landesweit, aber nur zu bestimmten Zeiten gültig wären.”
Carl-Ernst Müller
Renaissance der Rückbank: HFC entdecken Fahrgemeinschaften und Car-Sharing
Die Bedürfnisse des High-frequency Commuter verlangen
nach netzwerkartigen Konzepten, die mehrere MobilitätsDienstleistungen intelligent kombinieren. Mit Hilfe moderner
digitaler Vernetzungsmöglichkeiten werden sich die
High-frequency Commuter spontaner und kurzfristiger in
41
Zukunft der Mobilität 2020
Fahrgemeinschaften organisieren bzw. eine hohe Affinität
gegenüber Car-Sharing- und kurzzeitigen Mietwagenangeboten
entwickeln.
Das Auto wird für den High-frequency Commuter deshalb
tendenziell künftig eine komplementäre Rolle einnehmen,
die an den Schwachstellen des öffentlichen Verkehrs ansetzt.
Diesem wird vor allem in den Regionen mit einer großen
Bevölkerungsdichte eine noch zentralere Funktion für den
Pendlerverkehr zukommen.
4.1.5 Global Jet Setter: Hoher Mobilitäts-Aufwand,
hoher Servicebedarf
Kurzbeschreibung:
nn
Global Jet Setter sind permanent unterwegs, leben und
arbeiten an vielen Orten parallel und erobern die Welt als ihre
gegebene Lebens- und Arbeitswelt.
nn
Für die Global Jet Setter ist Multi-Mobilität eine elementare
Voraussetzung für ihr Work-Life-Management und ihre
berufliche Selbstverwirklichung.
nn
Global Jet Setter werden bis 2020 die Nachfrage nach intelligenten Mobilitäts-Dienstleistungen deutlich steigern und
professionelles Mobilitäts-Management nachfragen.
nn
Global Jet Setter werden immer mehr Lebensqualität, Komfort und Luxus beim Unterwegssein fordern.
Global Jet Setter sind Menschen, die regelmäßig, nicht selten
mehrmals pro Woche, zwischen den Metropolen der Welt
unterwegs sind. Permanentes Unterwegssein ist für die Global
Jet Setter keine Ausnahmesituation, es ist der Normalfall. So
selbstverständlich wie andere Menschen morgens für den Weg
zur Arbeit ins Auto oder die U-Bahn steigen, springen die Global
Jet Setter in den Flieger. Für die Vorort-Mobilität kommen aber
auch sie nicht ohne PKW-Lösungen aus.
Die Existenz der Global Jet Setter spielt sich längst nicht mehr
nur an einem mehr oder weniger festen Wohn- und Arbeitsort
ab, sondern an vielen Orten parallel. Sie verbringen mehr Zeit
unterwegs und an verschiedenen Orten der Welt als die meisten anderen Menschen. Wie kein anderer Mobilitäts-Typ ist das
42
Leben der Global Jet Setter von einer nahezu unbegrenzten
Multi-Mobilität gekennzeichnet
Kinder der Globalisierung: Think global, act global, be
global
Es ist vor allem die neue Business-Elite, die diesen Mobilitäts-Typ
vorantreibt. Dieses Mobilitäts-Muster findet man jedoch nicht
nur bei den 20- bis 30-jährigen Weltbürgern, sondern bei HighPotentials jeden Alters. Selbst “Silverpreneure” hält der hohe
Mobilitäts-Aufwand nicht davon ab, den Ruhestand immer weiter
proaktiv hinauszuzögern. Die Steigerungslogik der globalisierten
Wirtschaft überträgt sich eins zu eins auf das Mobilitäts-Verhalten
der Global Jet Setter: Was ihr Leben besonders kennzeichnet, ist
ein Höchstmaß an Flexibilität, Vernetzung, Internationalität und
Individualität. Global Jet Setter kennen grundsätzlich keine
Grenzen. Sie agieren in einem weltumspannenden Handlungsraum, der Globus ist ihr Arbeitsplatz, die Welt ihr Zuhause.
Mobilität ist für Global Jet Setter die Basis eines professionellen
Work-Life-Managements und Voraussetzung, um ihre Selbstverwirklichung und internationale Karriere voranzutreiben.
Sie streben nach Selbstbestätigung und gesellschaftlichem
Ansehen. Sie sind kosmopolitische Weltbürger und kreative
Wissensarbeiter, die mit spielerischer Freude und sportlichem
Wettbewerbsgedanken auf ihre persönlichen Ziele und den
Erfolg ihrer Unternehmen hinarbeiten. Die Multi-Mobilität der
Global Jet Setter prägt indes nicht nur ihr Berufsleben. Sie
überträgt sich auch in die Freizeit: Zum Shopping von Berlin nach
London, Wochenendtrip nach Johannesburg, fürs Familienfest
von New York nach Shanghai, zum Golfen nach Dubai – in
globaler Ausdehnung jederzeit unterwegs zu sein ist integraler
Bestandteil des Lebensstils der Global Jet Setter.
Mobilitäts-Management der Global Jet Setter: DeepSupport für mehr Eigenzeit und Mobile Comfort
Für die Global Jet Setter ist das Flugzeug zweifellos
Verkehrsmittel Nummer eins auf Business- und Privatreisen.
Obwohl sie sich exklusive Autos durchaus leisten könnten, stellt
sich die Besitz-Frage: Für sie macht es immer weniger Sinn,
ein teures Auto in der Garage stehen zu haben. Für die Vor-OrtFlexibilität können aber auch sie nicht auf (gemietete) AutoMobilität verzichten. Vor allem werden sie die Nachfrage nach
Zukunft der Mobilität 2020
intelligenten Mobilitäts-Dienstleistungen ankurbeln, die Reiseund Vor-Ort-Flexibilität garantieren.
4.1.6 Sensation Seeker: Die Spaßgesellschaft auf vier
Rädern lebt weiter
Global Jet Setter legen auch bezüglich Mobilität hohen Wert
auf Exklusivität und Premium-Angebote. Bei der Wahl von
Verkehrsmitteln und Mobilitäts-Produkten geht es ihnen aber
künftig nicht mehr nur um Repräsentanz und Distinktion. Mit
steigender Anzahl an Berufsmobilisten entwickeln sich neue
Ansprüche an Reisekomfort, Ausstattung von Fahrzeugen – vor
allem aber an die Synchronisierung des mobilen Alltags. Das
Leben im Dazwischen wird bei den neuen Nomaden in den
nächsten Jahren deshalb eine noch nie da gewesene Nachfrage
nach Convenience und Wohlfühlatmosphäre hervorrufen.
Mobilitäts-Dienstleister werden ihre strategischen Kompetenzen
als Mobilitäts-Manager weiter ausbauen müssen, um die
Unterwegs-Bedürfnisse der Global Jet Setter zu befriedigen.
Effiziente Alltagsorganisation, die Zeitautonomie und die
Konzentration auf das Wesentliche ermöglicht, wird von ihnen
als wahrer Luxus verstanden. Die Suche nach “Simplification”
wird damit zu einer zentralen Anforderung der Global Jet Setter:
Wenn das Leben eine derart hohe Komplexität erreicht, sehnen
sich Menschen nach Vereinfachung wo immer möglich.
Kurzbeschreibung:
Von High-Tech zu High-Touch: Digital Life Assistance
und Third Places für die Global Jet Setter
Das permanente Unterwegssein erhöht bei den Global Jet
Settern auch den Wunsch, irgendwo anzukommen, sich zu
Hause zu fühlen und Ruhe zu finden. Insbesondere für die
Global Jet Setter müssen Verkehrsmittel die Ansprüche nach
einem Third Place erfüllen: Orte, an denen man sich wohl
fühlt und produktiv sein kann, an denen man Praktisches mit
Angenehmen verbindet. Leute treffen, Kontakte pflegen, Ideen
ausbrüten, lernen, kreativ sein – all das wird für Global Jet Setter
auf ihren Reisen immer wichtiger. Verkehrsmittel (egal welche,
egal wo) müssen daher die Funktionen eines persönlichen
Arbeitsplatzes ebenso erfüllen wie den Wunsch nach Privatheit,
Vertrautheit und Intimität.
nn
Sensation Seeker sind zahlungsbereite “Gernfahrer”, für die
Autos emotionale Erlebnisgegenstände sind, die sie unmittelbar mit Genuss, Individualität und Freiheit verbinden.
nn
Sensation Seeker lassen sich nur sehr beschränkt auf Alternativen zum Auto ein, trotzdem wird auch ihr MobilitätsVerhalten künftig vom Mega-Trend Neo-Ökologie beeinflusst
werden.
nn
Autos sind Ausdruck eines Lebensgefühls, werden zu “Third
Places” und zu Rückzugsorten, auch für Frauen und die
ganze Familie.
nn
Autos haben einen hohen Freizeitwert, sind Garant für Lebensqualität und Selbstverwirklichung.
Die “Freude am Fahren” wird auch langfristig kein NostalgieGefühl, sondern ist für viele Konsumenten weiterhin ein
Element eines modernen Lebensstils. Auch 2020 wird es
zahlungsbereite “Gernfahrer” geben, für die Autos ultimative
Erlebnisgegenstände sind. Autofahren wird auch in Zukunft von
den Sensation Seekern mit Attributen wie Freiheit, Spaß und
Genuss verbunden.
Sensation Seeker: Experience matters!
Autofahren ist für die Sensation Seeker alles andere als
eine austauschbare Art der Fortbewegung, es ist eine
hochemotionale Angelegenheit. Trend-Forscher Matthias Horx
weist ausdrücklich auf diesen Zusammenhang hin:
“Wir müssen natürlich die Fahrleistung und den
Kultureffekt von Autos unterscheiden. Autos sind
eben keineswegs nur Fortbewegungsmittel, sondern es
sind Fetische, Traummaschinen, Cocoons, fahrende
Wohnzimmer, nomadische Wohlfühlsysteme, in die
man sich zurückziehen und in denen man sich
verwöhnen lassen kann. Gerade für Männer sind sie
nach wie vor massive Statussymbole.
43
Zukunft der Mobilität 2020
Und insofern muss man diese beiden sich überschneidenden Funktionen auseinander halten.
Die kulturellen und emotionalen Faktoren verschwinden in Zukunft nicht.”
Matthias Horx
Autos haben für die Sensation Seeker eine wichtige symbolische
Bedeutung und sind häufig Bestandteil des eigenen Identitätsund Statusmanagements. Für den Typus des Sensation Seeker
bleibt das Auto ein Mythos der Moderne und ein Lebensgefühl.
Auf der Basis dieses Lebensgefühls werden auch bis 2020
signifikante Umsätze generiert. Johannes Reifenrath, Leiter
Marketing PKW, Portfolio- und Produktstrategie bei MercedesBenz Cars, weist auf die Langlebigkeit des automobilen
Lebensgefühls hin:
“Wir bauen seit rund 120 Jahren Automobile für
Menschen, die dafür – nach dem Kauf eines Hauses
– den größten Batzen Geld in ihrem Leben ausgeben.
Viele davon sagen sich: ‚Das ist meins, das will ich.
Das ist mein persönliches Mobilitäts-Versprechen
und das ist mir sehr viel Geld wert.’ Dieser Wunsch
wird auch in Zukunft bestehen.”
Johannes Reifenrath
Automobile Erlebnisse werden auch für Frauen immer
interessanter
Dieser Mobilitäts-Typ wird künftig keine reine Männer-Domäne
mehr sein, sondern bestimmt das Mobilitäts-Verhalten ganzer
Familien und wird insbesondere immer öfter bei Frauen
anzutreffen sein. Auch Frauen entwickeln in puncto AutoMobilität ein immer stärkeres Markenbewusstsein, begeistern
sich für technische Innovationen und Design, das über praktische
Funktionalität hinausgeht – allesamt zentrale Charakteristika
der Sensation Seeker. Die Verkaufserfolge von Roadstern und
Family-Cabriolets bei Frauen haben das in jüngster Zeit bereits
deutlich gezeigt.
44
Sensation Seeker lassen sich aber keineswegs auf die Nutzung
bestimmter Fahrzeugklassen reduzieren. Im Gegenteil: Das
hohe Individualitätsbedürfnis der Sensation Seeker erhöht
ihren Wunsch, die wachsende Vielfalt von neuen Modellen und
Fahrzeugkonzepten auszuprobieren und zu “erfahren”. Damit
steigt die Wechselbereitschaft ebenso wie die Neigung, Autos
nutzen statt besitzen zu wollen.
Old School Mobility: No Restrictions, Please!
Nicht “freie Fahrt für freie Bürger”, sondern “möglichst viel
Mobilität für Individualisten”, so lässt sich das Bedürfnis der
Sensation Seeker am besten beschreiben. Das Auto ist für sie
eine so elementare Wohlstandserfahrung, auf die sie unter keinen
Umständen verzichten wollen. Auch wenn Mobilität immer teurer
wird und die Preissteigerungen beim Kraftstoff weitergehen,
die häufigere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel kommt für
Sensation Seeker kaum in Frage. Bis zu einem gewissen Grad
verhalten sie sich resistent gegenüber Trends wie Neo-Ökologie,
Nachhaltigkeit, der Moralisierung des Konsums etc. Versuche, das
Autofahren zu beschränken (hohe Steuern, Fahrverbote, Maut,
Congestion Charge etc.) werden von den Sensation Seekern als
Angriff auf die persönliche Freiheit verstanden.
Gegenüber anderen Mobilitäts-Typen wie den Greenovators
wirken die Sensation Seeker daher mitunter anachronistisch.
Aber Sensation Seeker sind keineswegs Ignoranten. Auch sie
erkennen und respektieren zunehmend die Notwendigkeit einer
immer stärker auf Ressourcenschonung und Umweltschutz
ausgerichteten Welt. Sie spüren den sozialen Druck und werden
kompromissbereiter. Sie setzen jedoch die Prioritäten anders: Sie
geben in ihrem Mobilitäts-Typ einer hedonistischen automobilen
Erlebniskultur den Vorrang gegenüber Kostenargumenten und
moralischen Fragestellungen. Sie gönnen sich diese Freiheit – als
Ausgleich zu alltäglichen Belastungen wie hohem Arbeitspensum
oder einfach nur als Hobby und Leidenschaft.
Für viele ist ein hoher Mobilitäts-Grad z. B. von Berufs wegen gar
nicht vermeidbar und dann soll das permanente Unterwegssein
wenigstens Spaß und maximalem Komfort bringen. Vor allem
aber haben Autos für die Sensation Seeker auch in Zukunft einen
enormen Freizeitwert, werden als Garant für Lebensqualität und
Selbstverwirklichung verstanden.
Zukunft der Mobilität 2020
Von Status-Mobilität zu Smart Mobility: Autos als Third
Places und Mobile Cocoons
“Enjoy Driving” wird also für nicht wenige Menschen nach wie
vor mit Power, Speed, exklusivem Design und “klassischem”
Luxus verknüpft sein. Zugleich ist jedoch der Einfluss des MegaTrends Neo-Ökologie auch dort unübersehbar, wo Mobilität
weiterhin mit Status und Prestige verbunden ist. Während die
einen weiter gezielt nach Exklusivität im Premium-Segment
suchen, verändert sich die Nachfrage der Sensation Seeker
auch in anderen Preissegmenten. Die Maßstäbe dessen,
was Begeisterung, Freude und Zufriedenheit bei Kunden
auslöst, werden sich verschieben. In der Konzernzentrale eines
deutschen Automobilherstellers wird der Paradigmenwechsel
bereits sorgfältig registriert. Ein Experte für Marketing weist auf
Folgendes hin:
“Was den Spaß angeht, müssen wir uns wahrscheinlich neue Formen suchen, weil sich die ‚klassischen
Freuden’ wie hochgerüstete PS-Boliden und Höchstgeschwindigkeitsfahren etc. im Jahr 2020 nicht
mehr umsetzen lassen. Dann wird sich jedoch viel
darum drehen, ob das Fahrzeug sehr dynamisch
im Alltagsverkehr ist, ob ich damit zügig wenden,
schnell einparken kann, eine gute Beschleunigung
im Stadtverkehr habe, um mich auf dichten Straßen
schnell einfädeln zu können. Begeisterung ist künftig
weniger eine Frage von Endgeschwindigkeit und
Fahrverhalten bei der Höchstgeschwindigkeit.”
Marketing und Vertriebsexperte eines führenden
Automobilkonzerns
Um die Wünsche und Bedürfnisse der Sensation Seeker zu
erfüllen, sollten Fahrzeugkonzepte Autos künftig immer stärker
als Third Places denken: als Refugien zwischen Arbeitsplatz und
Zuhause, an denen man sich gerne aufhält, sich wohl fühlt, das
Leben genießt, seine Zeit aber auch sinnvoll verbringen kann.
Autos sind für Sensation Seeker Ausdruck eines Lebensgefühls.
Das heißt aber auch, dass sie weiterhin sinnlich erfahrbar sein
und soziale Funktionen erfüllen müssen – als Verlängerung des
Büros und des Wohnzimmers samt multimedialer Vernetzung
und inklusive maximaler Sicherheit.
4.1.7 Low End User: Auto-Mobilität wird zum
Rechenexempel
Kurzbeschreibung:
nn
Steigende Kosten werden für den Low End User zur
zentralen Herausforderung, hohe Benzinpreise drohen zur
sozialen Falle zu werden.
nn
In puncto individueller Mobilität sind dem Low End User
künftig klare Grenzen gesetzt, sie konkurriert mit anderen
Konsumbereichen.
nn
Low End User schränkt seinen Mobilitäts-Grad zunehmend
ein.
nn
In dem Maße, wie individuelle Mobilität zum Luxus-Gut
wird, wird die Suche nach finanzierbaren Mobilitäts-Lösungen zum zentralen Thema.
Limitierte freie Budgets für Mobilität sind für viele Kunden
die harte Realität, welche die Mobilitäts-Märkte bis 2020
maßgeblich umkrempeln wird. In Zukunft wird sich ein nicht
unerheblicher Teil westlicher Wohlstandsgesellschaften
individuelle Mobilität im heutigen Umfang nicht mehr leisten
können. Steigende Kraftstoffpreise machen Mobilität immer
teurer. Hinzu kommen steigende finanzielle Belastungen durch
Steuern und Abgaben auf Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß.
Immer mehr Großstädte werden sich an Projekten wie der
“Congestion Charge” orientieren und ähnliches umsetzen. Das
sind die Grundkoordinaten, die das künftige Mobilitäts-Verhalten
des Low End Users bestimmen werden. Einem unliebsamen
Mobilitäts-Verzicht auf der einen Seite steht eine wachsende
Nachfrage nach effizienten, kostengünstigen MobilitätsLösungen auf der anderen Seite gegenüber.
Kostenexplosion verändert Mobilitäts-Konsum
Bislang war der Einfluss des Kraftstoffpreises auf das MobilitätsVerhalten nicht besonders groß. So lange es irgendwie ging,
verteilten die Menschen ihren Konsum zugunsten des Verkehrs
45
Zukunft der Mobilität 2020
um. Setzt sich die gegenwärtige Kostenexplosion jedoch fort,
wird sich das ändern: Viele Menschen werden ihr Verhalten nicht
länger anpassen können. Es ist die Kundengruppe der Low End
User, die künftig mit aller Vehemenz die ökonomischen Grenzen
individueller Mobilität per Auto kennen lernen werden. Johannes
Reifenrath, Mercedes-Benz Cars, weist auf den nach wie vor
bestehenden Zusammenhang zwischen Freiheit und AutoMobilität hin:
“Wenn man sich kritisch die Entwicklung autobezogener Steuern und Abgaben, der Kraftstoff-,
Fahrzeug-, Park- und Versicherungskosten sowie
des Verkehrs und seiner Regeln in den vergangenen
20 Jahren ansieht, dann müsste man sich fragen:
Wieso machen Menschen das - immer mehr Geld für
mehr Einschränkungen und immer weniger automobile Freiheit? Das ist fast widersinnig und zeigt doch
nur, wie groß der Wunsch des Menschen nach der
Freiheit ist, die ihm das Auto bietet.”
Johannes Reifenrath
In vielen Industrieländern spreizt sich der Markt immer weiter
auf: Während sich Premium-Fahrzeuge auch weiterhin einer
wachsenden Nachfrage erfreuen, verlieren die klassischen
Mittelklassefahrzeuge. Der Grund ist klar: Die Kosten für
Anschaffung, Unterhalt und Nutzung von Autos sind in den
letzten Jahren rapide angestiegen – weitaus stärker als die
Lebenshaltungskosten insgesamt. In Deutschland etwa ist
Autofahren seit dem Jahr 2000 um 20 Prozent teurer geworden.
Total Costs of Ownership werden weiter steigen und das frei
verfügbare Einkommen vieler Haushalte so sehr einschränken,
dass an den Kauf teurer Neu-Fahrzeuge kaum zu denken ist
(vgl. Abbildung 28). Wie in Deutschland steigen auch in den USA
schon seit Jahren das Durchschnittsalter und die Haltedauer
von PKW. Das hat nur bedingt mit der verbesserten Qualität
der Fahrzeuge zu tun, sondern resultiert vor allem aus der
Kaufzurückhaltung der Kunden. Der Low End User wird künftig
immer mehr gebrauchte Autos kaufen und diese immer länger
fahren. In Deutschland will jeder zweite PKW-Fahrer im Alter
zwischen 18 und 69 Jahren seinen jetzigen Wagen länger fahren
als frühere Autos oder tut das bereits; die Hälfte (48 Prozent)
gibt dafür finanzielle Gründe an (vgl. Motor Presse Stuttgart, Car
Communication Panel 2007).
Abbildung 28: Die Kosten für Auto-Mobilität steigen rapide
Autokostenindex Deutschland (2000 = 100)
180
160
Gesamtindex
Kraftstoffe
Reparaturen
140
Kfz-Steuer
120
100
80
60
40
1990
1992
1994
Quelle: BMVBS, Verkehr in Zahlen 2007/2008; VDA, 2008
46
1996
1998
2000
2002
2004
2006
2008
Zukunft der Mobilität 2020
Ohne Kostensenkung bleiben negative Folgen nicht
aus – für Kunden und Hersteller
Wenn technologische Fortschritte und Business-Innovationen
keine deutlichen Effizienzsteigerungen ermöglichen, wird
Auto-Mobilität zu einem knappen Gut oder gar zum Luxus.
Vieles deutet darauf hin, dass erstmals in der mehr als
fünfzigjährigen Geschichte der MassenAuto-Mobilität ein Teil der
Gesellschaft seinen Mobilitäts-Konsum einschränken müssen
wird. Den aufkommenden Konflikt, der sich negativ auf die
Geschäftsentwicklung auswirken könnte, erkennen inzwischen
auch die Automobilhersteller. Reifenrath dazu:
“Die Menschen spüren jetzt, dass ihr Wunsch nach
individueller Mobilität und stark steigende Mobilitätskosten in krassem Gegensatz stehen. Für Viele, ob
in Schwellenländern oder in Industriestaaten in der
Krise, könnte individuelle Mobilität etwas werden,
was man eigentlich nicht mehr bezahlen kann. Mobilität droht, etwas für Reiche zu werden. Die, die es
sich zunehmend nicht mehr leisten können, werden
extrem hohe Hoffnungen und auch Forderungen an
die Industrie stellen, dieses Problem zu lösen.”
Johannes Reifenrath
Insbesondere in dünn besiedelten, einkommensschwachen
Gegenden Amerikas und Europas könnte der hohe Benzinpreis
zur sozialen Falle werden. Lange Arbeitswege lassen sich
in ländlichen Gegenden, wo Jobs ohnehin rar sind, nicht
vermeiden. Zugleich “fressen” diese bei hohen Kraftstoffpreisen
einen so großen Teil des Einkommens, dass zum Leben immer
weniger übrig bleibt.
Die Low End User werden die sozial und räumlich Abgehängten
sein, für die sich selbst der Weg zur Arbeit eines Tages nicht
mehr lohnen könnte. Es sei denn, die Automobilindustrie
erkennt dies als Chance, denkt um und entwickelt günstigere,
energiesparende Autos. Diese Erkenntnis setzt sich in der
Branche immer weiter durch – selbst bei Premium-Herstellern
wie Daimler:
“Dabei wird es ab 2020 für alle Autohersteller mit
Technologien, die wir heute kennen, immer schwieriger, die dann bestehenden Rahmenbedingungen
zu erfüllen. Ganz neue Technologien, Materialien,
Fertigungen, Infrastrukturen und Kraftstoffe müssen her, welche langwierig und aufwändig entwickelt
werden müssen. Die Kosten für individuelle Mobilität werden sehr viel höher sein. Die Hoffnung, dass
Autofahren noch einmal günstiger werden könnte,
wird wohl ein Wunsch bleiben.”
Johannes Reifenrath
Mobilität konkurriert mit anderen Konsumbereichen
Was Jahrzehnte als selbstverständlich galt, PKW-Nutzung
für kürzere Wege in Städten und Arbeitswege, Ausflüge,
Wochenend-Trips etc., wird künftig als immer größerer
Kostenfaktor in der persönlichen Haushaltsrechnung kalkuliert.
Der Low End User wird aber nicht nur in einkommensschwachen
Haushalten anzutreffen sein. Auch Besserverdienende werden
immer öfter ihren Mobilitäts-Konsum einschränken, um ihren
Lebensstandard in anderen Bereichen zu sichern. Über alle Altersund Einkommensgruppen hinweg werden künftig immer mehr
Menschen ihre Mobilitäts-Kosten aufrechnen und sich fragen,
was sie sich anstelle dessen leisten könnten. Mobilität tritt gerade
in der Mittelschicht mit anderen Bedürfnissen in Konkurrenz:
Wohnen, Betreuung von Kindern, Gesundheit, Altersvorsorge,
Bildung und Kultur, Fashion, Consumer Electronics etc.
Verlustangst, Downsizing und die Suche nach
Alternativen
Zwar wird auch der Low End User nicht gänzlich aus seinen Autos
aussteigen und sich die gewonnenen Wohlstandserfahrungen
vollständig nehmen lassen. Allerdings werden die nahezu grenzenlosen Freiheiten individueller Mobilität deutlich zurückgehen.
Der Low End User sucht nach den preisgünstigsten Angeboten,
um notwendige Mobilität sicherzustellen. Übermotorisierte,
Kraftstoffschluckende Autos werden durch sparsamere ersetzt
– Billig-Importe aus Korea, Osteuropa, Indien und China. Selbst
47
Zukunft der Mobilität 2020
in den USA werden verbesserte Verbrauchsstandards zum
Erfolgsfaktor, weil sie auch den Kundenwünschen des Low End
Users entsprechen.
Die Wahl der Fahrzeugklasse und Fahrzeugfunktionen wird
mehr denn je unter praktisch-funktionalen Gesichtspunkten
entschieden. Während in den USA der Zweit- und Drittwagenbesitz heute noch in vielen Gegenden und auch in weniger
wohlhabenden Familien die Regel ist, wird diese Notwendigkeit
des Zweit- und Drittwagenbesitzes künftig deutlich überdacht
werden. Auch in Westeuropa haben wir eine Zeit erlebt, in der
selbst die weniger gut Verdienenden sich nicht notwendige, aber
“Nice-to-have-Upgrades” bei Autos geleistet haben. Es spricht
Vieles dafür, dass diese Haushalte künftig eher Richtung LowCost-Cars statt auf “Comfort-Plus-Pakete” schauen und auch das
Car-Sharing für den Low End User zunehmend attraktiver wird.
Der Mobilitäts-Aufwand, insbesondere die Zahl der Autofahrten
pro Tag, wird deutlich reduziert. Berufspendler nutzen verstärkt
öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrgemeinschaften. Für kürzere
Wege schwingt man sich wieder häufiger aufs Fahrrad oder
geht zu Fuß.
Auf der Suche nach Cheap-Chic: Die Nachfrage nach
Low-Cost-Cars steigt
Auch 2020 wird es nicht so sein, dass sich nur die Oberschicht
ein Auto leisten kann, während die Unterschicht nur noch
Rad fährt und zu Fuß geht. Aber das für einen Autokauf zur
Verfügung stehende Budget wird kleiner. Mobilitäts-Forscher
Knie spricht von den Grenzen der Finanzierbarkeit:
“In einigen Jahren wird in Deutschland der Peak
der Zahlungsfähigkeit erreicht sein. Wir gehen
davon aus, dass – obwohl der Drang, ein Automobil
besitzen zu wollen, weiterhin groß ist – die Zahlungsfähigkeit aufgrund konkurrierender anderer
Ausgaben z. B. für private Altersvorsorge etc., für den
Kauf teurer Autos begrenzt sein wird.”
Prof. Dr. Andreas Knie
48
Es ist gerade der Low End User, der mit seinem Kaufverhalten
dafür sorgen wird, dass Ultra-Low-Cost-Cars aus Asien oder
Osteuropa in ein paar Jahren auch nach Westeuropa und
Nordamerika kommen werden. Die wachsende Preissensibilität
dieses Mobilitäts-Typen schafft den Markt dafür. Dr. Kurt Möser,
Mobilitäts-Forscher an der Universität Karlsruhe, erklärt, wie die
gegenwärtige und künftige Upmarket-Strategie aussehen wird:
“Bei den Importwellen der letzten Jahre sieht man
einen klaren Trend: Die Japaner wurden anfangs
‚runtergebürstet’, da sie mit ziemlich einfachen
Fahrzeugen in den Markt eingestiegen sind. Dann
wurden sie zuverlässig und haben einen größeren
Marktanteil erobert, sind aber auch teuer geworden.
Bei den Koreanern zeigte sich die gleiche Entwicklung:
Markteinstieg von unten, Entwicklung eines Marktsegments, Verteuerung, Verbesserung des Images.
Jetzt sind wir kurz davor, dass der dritte Einsteiger
kommt, der zunächst auch erstmal schlecht geredet
wird: Chinesische Autos bieten keine Sicherheit,
schneiden in Crashtests furchtbar ab, sind billig und
haben keine Chancen auf dem deutschen Markt. Aber
sie werden sich einen Marktanteil erobern und dann
upmarket gehen. Und irgendwann werden sie sich zur
Überraschung vieler etabliert haben. Ich bin sicher,
wir werden hier die dritte Entwicklungsstufe erleben.”
Dr. Kurt Möser
Der Mobilitäts-Typ des Low End Users hat uns schneller erreicht
als Viele glauben wollten. Noch bis vor kurzem hat kaum jemand
erwartet, dass Dacia für sein Modell Logan in Deutschland
überhaupt Käufer finden würde. Tatsächlich aber wurden allein
2007 davon 17.000 Fahrzeuge verkauft, 2008 werden es deutlich
über 20.000 sein. In Deutschland geben inzwischen immerhin
schon 12 Prozent der PKW-Fahrern unter 70 Jahren an, “sehr
großes” oder “großes” Vertrauen in Qualität und Sicherheit von
Billig-Autos wie den Dacia Logan zu haben (vgl. Motor Presse
Zukunft der Mobilität 2020
Stuttgart, Car Communication Panel 2007). Angesichts dieses
Käuferpotentials wundert es nicht, dass auch Tata für seinen
Nano bereits eine Europaversion angekündigt hat, die bereits
2010 auf den Markt kommen könnte. Bis 2020 wird der Low
End User auf den Triade-Märkten zu einer desillusionierenden
Realität, die indes auch eine große Chance offenbart:
Innovationen nicht im Sinne von immer-schneller-immer-teurer,
sondern neue smarte Produkte für einen neuen Massenmarkt.
4.2 Mobilitäts-Typen in den Emerging Markets 2020
Natürlich kann nicht von einheitlichen Emerging Markets
gesprochen werden, da sowohl zwischen, als auch innerhalb der
einzelnen Märkte große Unterschiede bestehen. Auch ein
Marketing-Experte eines deutschen Automobilkonzerns, der
nicht namentlich genannt werden möchte, hat das im Rahmen
unserer Expertenbefragung ebenfalls betont:
“Es hat sich in den letzten Jahren ein deutlicher
Wandel vollzogen und die Emerging Markets haben
deutlich stärker an individueller Mobilität zugelegt. Auch dort hat das Auto Einzug in die ‚breite
Masse’ gehalten. Doch die Segmentierungen in
diesen Märkten sind sehr unterschiedlich: In Indien
gibt es zu 90 Prozent nur Klein- und Kleinstwagen,
während es in China und Russland doch schon viele
Autos hochpreisiger Segmente gibt. Eines der ganz
wichtigen Themen in der Zukunft ist es, die Spreizung zwischen den Ansprüchen der Triade-Märkte
und der Emerging Markets hinzubekommen.”
Marketing und Vertriebsexperte eines führenden
Automobilkonzerns
Trotz nach wie vor bestehender Unterschiede in der Wohlstandsniveaus zwischen der entwickelten westlichen Welt und
den aufstrebenden BRIC-Staaten, lässt sich eine universelle
“Logik der Wünsche” feststellen, da sich die Basis der
Konsumbedürfnisse weltweit in ähnlicher Form, wenn auch
zeitlich verschieden entwickeln.
Für den Automobilmarkt im Jahr 2020 gehen wir in den
Emerging Markets von einer dreigliedrigen Typologie aus, die
die grundsätzlichen Wünsche und Bedürfnisse dortiger Kunden
abbildet (vgl. Abbildung 29):
Abbildung 29: Mobilitäts-Typen in den BRIC-Märkten
1. Basic
„ Mobilitäts-Einsteiger, die mit dem Fahrzeugbesitz ihren sozialen Aufstieg dokumentieren. Die Newcomer unter den
Fahrzeugbesitzern erweitern durch das Fahrzeug zudem ihren Mobilitäts- und Aktionsradius
2. Smart Basic
„ Die Smart Basics suchen nach erweiterten Mobilitäts-Optionen in Anlehnung an westliche Standards, um ihr soziales
Fortkommen zu dokumentieren. Smart Basics rekrutieren sich vorwiegend aus dem Basic Segment
„ Die Smart Basics treiben die Individualisierung des Konsums auf den Emerging Markets voran
3. Premium
„ Premium Kunden etablieren sich als neue Wohlstandselite in den Emerging Markets, die sich zu selbstbewussten Kunden
des klassischen Premium-Segments entwickeln
„ Sie verstehen Luxus als Privileg und Ausdruck der eigenen Wertschätzung
4. Andere
„ Die Mobilitäts-Typen der Triade-Märkte sind typischerweise in den BRIC Märkten von untergeordneter Bedeutung – sie
sind unter „Andere“ subsumiert
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
49
Zukunft der Mobilität 2020
In den Emerging Economies war die Mehrheit der Menschen
bislang noch durch einen stark begrenzten Mobilitäts-Grad
gekennzeichnet. Nun, da sie beginnen, am Wohlstand der
globalisierten Welt teilzuhaben, stehen viele der Schwellenländer
kurz davor, den Sprung in die moderne Mobilitäts-Gesellschaft
zu machen. Für die Menschen in den Ländern verbindet sich
mit Mobilität nicht in erster Linie ein Statussymbol, sondern das
Versprechen eines wirtschaftlichen Aufstiegs und Grundlage
neuer individueller Freiheit. Den meisten geht es jedoch darum,
motorisierte Fortbewegung überhaupt erst, egal in welcher
Form und Qualität, zu erreichen. Der Versuch, ihren speziellen
Ansprüchen an Mobilität gerecht zu werden, wird zu einem
entscheidenden Innovationstreiber für die Automobilindustrie in
den kommenden Jahren.
4.2.1 Basic: Mobilitäts-Einsteiger
Kurzbeschreibung:
nn
Mit den Basic-Kunden kommen bis 2020 Milliarden von globalen Konsumenten in den Genuss individueller Mobilität.
nn
Mit einer PKW-Ausstattung haben sie nicht nur ein Zeichen
ihres beginnenden sozialen Aufstiegs zur Hand. Die Basic
Kunden erweitern damit ihren Aktionsradius.
nn
Mobilität wird für die Basic Kunden zu einem Kennzeichnen
von Modernität und Anschluss an die Weltgesellschaft.
nn
Die Basic-Kunden werden sich künftig nicht mehr mit
Fahrzeugen der letzten oder vorletzten Generation zufrieden
geben. Hohe Umsätze werden dort erzielt werden, wo
moderne, energieeffiziente und günstige Fahrzeuge für Einsteiger angeboten werden, die mit einer hohen Transportund Nutzerfunktionalität ausgestattet sind.
nn
Sie werden jedoch auch weiterhin Kosten-Nutzen-Rechnungen aufstellen und sich überlegen, ob sie schon bereit sind,
für individualisierte Mobilitäts-Lösungen oder ob sie innovativen Massen-Mobilitäts-Ansätzen den Vorzug geben sollen.
Die Basic Kunden kommen aus der aufstrebenden Mittelschicht
der Emerging Markets. Sie lassen sich über die Höhe des
Einkommens, aber nicht länderübergreifend definieren. In
Russland können sich die mittleren Schichten etwa ab einem
50
monatlichen Einkommen von rund 1.000 US$ ein eigenes
Auto leisten, im Jahr 2010 werden es 45 Millionen russische
Haushalte sein. In Indien hingegen liegt das jährliche Pro-KopfEinkommen bei gerade einmal 700 US$ und erst 8 von 1.000
Indern besitzen ein Auto.
Die Bedürfnisse, die Basic Kunden an Mobilität stellen, sind
jedoch sehr ähnlich. Bei ihrem Mobilitäts-Konsum geht es in
erster Linie um die Beseitigung eines Mangels an Autonomie
und die Erschließung eines größeren Bewegungsradius.
Leben und Arbeiten der Basic Kunden hat bislang im familiären
Nahbereich und in den lokalen Communities stattgefunden.
Die Überwindung größerer Distanzen erfolgte zumeist mit
öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. Gütertransportern. Für
viele wird das erste Auto allerdings nicht die erste Form der
autonomen motorisierten Fortbewegung sein. Sie steigen vom
Zweirad auf das Auto um, da sie vor allem ihr Bedürfnis nach
mehr Stauraum und einer stärkeren Unabhängigkeit von den
Witterungsbedingungen erfüllen wollen: In Indien, wo Zweiräder
mit einem Anteil von 75 Prozent bislang noch wichtigstes
Verkehrsmittel sind, setzt derzeit die 250 bis 300 Millionen
Menschen starke Mittelschicht zu jenem Mobilitäts-Sprung an,
den die Deutschen Mitte der 50er Jahre gemacht haben, als
es in der Bundesrepublik erstmals mehr zugelassene Autos als
motorisierte Zweiräder gab.
Der Nachfolger des Tata Nano wird zum globalen
Modell T 2.0
Wie Fords historisches Vorbild zeichnen sich die Fahrzeuge für
die Basic Kunden durch einfache Handhabung und Reparatur
sowie den Verzicht auf technische Extras aus. Damit erschließen
sie einen völlig neuen Markt. Welches enorme Absatzpotential
in den Emerging Markets liegt, zeigt die Einschätzung von Ratan
Tata, Chairman der Tata Group, zur Einführung des Tata Nano:
“The way I see it, this vehicle will cannibalise some
of the lower-end car market and some of the higherend motorcycle and scooter market. It will eat into
both of those markets but it will also create a market
of its own. It will expand the market by creating a
niche that did not previously exist. It may well can-
Zukunft der Mobilität 2020
nibalise some of the higher-end car market, but to a
small extent, and probably only when people look to
buy a second or third car.”
Ratan Tata (Januar 2008)
Fahrzeuge für die Basic Kunden müssen sich mit maximaler
Funktionalität für private und gewerbliche Belange nutzen lassen,
um den Transport von Personen und Gütern zu gewährleisten.
Die so genannten “rural vehicles”, die z. B. in Chinas ländlichen
Gebieten trotz des immensen Kraftstoffverbrauchs und der
extrem niedrigen Geschwindigkeit diese Aufgabe bislang
erfüllten, werden aufgrund der steigenden Ressourcenknappheit
zunehmend durch modernere Kleinstfahrzeuge ersetzt.
Die Grenzen des Machbaren erhöhen den
Innovationsdruck
Die sich abzeichnende Massenmobilisierung insbesondere in
Indien und China bringt aber auch unübersehbare Probleme
mit sich. In vielen Städten steigt die ohnehin schon hohe Luftverschmutzung, die zu erwartenden Folgen für den Klimaschutz
und die überlasteten Straßen sind verheerend. So besteht die
Gefahr, dass das automobile System auch an seinem eigenen
Erfolg scheitern könnte, wenn der negativen Entwicklung nicht
rechtzeitig entgegengearbeitet wird. Dr. Martin Einhorn, Leiter
der Marktforschung bei Porsche, sieht für die Zukunft deshalb
auch Folgendes möglich:
“In Städten wie Mumbai oder Shanghai wird es die
starke Notwendigkeit geben, individuelle Automobilität irgendwann relativ deutlich zu beschränken
oder zu kanalisieren. Man wird dem Bedürfnis,
Auto-Mobilität zu besitzen, nicht unbegrenzt nachgeben können. Insofern ist nicht auszuschließen, dass
sich schon bald ein öffentliches Massentransportsystem für die mobile Unterschicht entwickelt.”
Die Ursache ist schon heute klar: Die Explosion der PKWNutzung bringt individualisierte Mobilität an ihre Grenzen. Für
Horx kommen jedoch auch die zukünftigen Lösungen aus den
massenmobilen Tigerstaaten:
“Wir werden in Asien gewissermaßen eine nachgeholte Eskalation der Autoevolution Europas und
Amerikas erleben. Dort wird es eine gigantische
Explosion in der PKW-Nutzung geben, wodurch es
zu einem schnellen Kollaps des klassischen automobilen Systems kommen kann. Deshalb werden wahrscheinlich auch von Asien aus relativ schnell smarte,
alternative Autosysteme entstehen, weil man dort
natürlich noch ganz andere Bevölkerungsmassen zu
mobilisieren hat.”
Matthias Horx
Aber auch die Entwicklung innovativer Antriebssysteme wird
durch den Mobilitäts-Sprung der Basic Kunden in Zukunft massiv
vorangetrieben. Wie schnell der Wechsel von konventionellen
zu elektrischen Antrieben erfolgen kann, sobald die kritischen
Rahmenbedingungen erfüllt sind, zeigt die Entwicklung des
Elektrozweiradmarktes in China (vgl. Abbildung 30 nächste
Seite).
Automobilhersteller, die auf den Massenmärkten der Zukunft
Erfolg haben wollen, müssen extrem sparsame und kostengünstige Fahrzeuge mit alternativen Antrieben anbieten. Der
Evolutionsdruck, der auf dem System ‚Automobil’ liegt, wird
durch die Bevölkerungsmassen in Asien noch einmal verschärft.
Die modernen Technologien werden sich unter Umständen in
den Millionenstädten Asiens viel massiver durchsetzen. Vieles
spricht dafür, dass zum Beispiel Elektroautos in großen Mengen
eher in asiatischen Megacities wie Kalkutta als in London und
Berlin fahren werden.
Dr. Martin Einhorn
51
Zukunft der Mobilität 2020
neu
Abbildung 30: Verkauf motorisierter Fahrzeuge in China
in Millionen
16
14
Gasoline-powered two-wheelers (G2W)
Electric two-wheelers (E2W)
12
Passenger vehicles
10
8
6
4
2
0
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
2004
2006
Quelle: J. Weinert et al., The future of electric two-wheelers and electric vehicles in China (2008)
4.2.2 Smart Basic: Die mobilisierte globale
Mittelschicht
Kurzbeschreibung:
nn
Die Smart Basic Kunden suchen nach neuen MobilitätsOptionen, die ihren sozialen Aufstieg widerspiegeln.
nn
Sie steigern die Nachfrage nach Komfort-Ausstattungen bei
Fahrzeugen auf den Emerging Markets.
nn
Smart Basics treiben die Individualisierung des Konsums auf
den Emerging Markets voran.
nn
Smart Basics sind nicht nur an sozialem Aufstieg westlicher
Prägung und der Manifestation ihres ökonomischen Status
interessiert, sie fordern zunehmend auch eine deutliche
Umweltorientierung und soziale Verantwortung von Unternehmen ein.
Nachdem die globale Mittelschicht bis 2015 eine grundlegende
Mobilitäts-Versorgung erreicht haben wird, erweitern sich
die Mobilitäts-Ansprüche vieler Konsumenten in den schnell
wachsenden Volkswirtschaften. Mit ihrem wirtschaftlichen
Aufstieg gewinnen vor allem Komfortaspekte für Smart
Basic Kunden an Bedeutung. Ihr Konsumverhalten trägt
52
wesentlich zur Pluralisierung der Märkte bei und sorgt dafür,
dass die zentrale Bedeutung der Triade als Leitmarkt für die
Automobilbranche weiter zurückgeht. Die beschleunigten
Veränderungen der Konsumbedürfnisse in den Emerging
Economies machen sich auch darin bemerkbar, dass sich eine
wachsende Umweltorientierung schneller einstellt, als es auf
den Triade-Märkten der Fall war. Besondere Relevanz hat dies
bei den Bewohnern der Megacities in Asien und Lateinamerika.
Sie sind am unmittelbarsten von den verkehrsbedingten
Umweltbelastungen betroffen.
Mit dem Wohlstand steigen die Ansprüche
Bei den Smart Basic Kunden handelt es sich in erster Linie um
besser verdienende und gebildete, anspruchsvollere Kunden. Sie
haben in ihrem Leben bereits Basis-Mobilität in Form von ersten
Kleinstfahrzeugen oder qualitativ hochwertigen Zweirädern erlebt
und möchten nun im nächst höheren Segment einsteigen. Durch
ihren ökonomischen Erfolg denken sie daran, ihre Wünsche
jenseits von pragmatischer Funktionalität zu erfüllen, wie uns ein
Vertriebsspezialist eines deutschen Autokonzerns erklärt:
Zukunft der Mobilität 2020
“Es gibt einen konstanten Zufluss von Menschen, die
vom Moped her in den Automobilmarkt kommen. Es
gibt aber auch viele, die ihr erstes oder zweites Auto
schon haben und die dann mit steigenden Wohlstand sagen: Ich möchte ein größeres, ich möchte ein
moderneres Fahrzeug, ich möchte ein Auto mit mehr
Features haben.”
Marketing und Vertriebsexperte eines führenden
Automobilkonzerns
Die Konsumbedürfnisse, die sich auf den westlichen Märkten
über ein halbes Jahrhundert entwickelt haben, werden sich
bei den Smart Basic Kunden um ein Vielfaches schneller
einstellen. Ihre Wünsche sind dank globaler Medienöffentlichkeit
schnell gewachsen und ihre Leitbilder orientieren sich am
westlichen Lifestyle. Was das für die Entwicklung auf den
Automobilmärkten bedeutet, erklärt er folgendermaßen:
Akzeptanz und Prestige eines Anbieters entscheiden. Technische
Features, die in westlichen Kleinwagen längst Standard sind,
weil sie der Sicherheit dienen, lösen unter Indern und Chinesen
Begeisterung aus. “Westlichkeit” wird von den Smart Basic
Kunden noch lange als Symbol für den eigenen Aufstieg
verstanden und nachgefragt.
Neo-Ökologie und Nachhaltigkeitsdenken prägen den
Mobilitäts-Konsum
Der größer werdende Wunsch nach Mobilität der Smart Basic
Kunden konfrontiert sie aber auch zwangsläufig immer öfter
mit der Ressourcen- und Umweltproblematik. Nicht zuletzt von
staatlicher Seite werden Gesetze erlassen, die den ungezügelten
Mobilitäts-Konsum einschränken. Johannes Reifenrath, Mercedes-Benz Cars, geht davon aus, dass Umweltbewusstsein und
Nachhaltigkeit auch in den Emerging Markets ganz schnell weit
oben auf der Agenda der Konsumenten stehen wird:
“Es wäre falsch zu glauben, dass aufstrebende
Industriestaaten kaum Umweltbewusstsein hätten.
“Die Haltedauern sind in diesen Märkten oft schon In China und Indien beispielsweise gibt es bei den
sehr kurz. Nehmen Sie zum Beispiel Russland, dort Regierungen klare CO2-Pläne, die sich zunehmend
liegt sie sogar unter drei Jahren. Da steigen die Kon- an strengen Vorschriften etablierter Industriesumenten im günstigen und erschwinglichen Lada
staaten orientieren. Heute verkaufen wir 20 Prozent
ein. Wenn sie zu mehr Kaufkraft kommen, steigen sie der S-Klasse in China als 12-Zylinder, und diesen
meistens in einen Koreaner um und dann versuchen Kunden ist Status heute noch viel wichtiger als Versie möglichst bald einen Westeuropäer zu fahren, um brauch und CO2. Trotzdem ist klar: Auch dort wird
zu zeigen: ‚Ich habe es geschafft’.”
in Zukunft Status wichtig sein, aber bitte mit voller
Verantwortung für die Umwelt’.”
Marketing und Vertriebsexperte eines führenden
Automobilkonzerns
Der Konsum der Smart Basic Kunden ist vor allem durch das
Nachholbedürfnis nach westlichem Lifestyle und Markenglamour
geprägt. In dieser Phase ihrer Konsumentwicklung werden
die heimischen Automobilhersteller mit ihren meist nur
gering ausdifferenzierten Modelpaletten dem Mobilitäts-Typ
der Smart Basics nicht mehr gerecht. Westliche Automarken
haben aus Sicht der Smart Basics das bessere Image und
schönere Design. Oftmals sind es nur kleine Details, die über
Johannes Reifenrath
Inzwischen gehen auch die Regierungen schnell wachsender
Volkswirtschaften verstärkt dazu über, durch strengere
Vorschriften und Steuergesetze den Energieverbrauch zu
kontrollieren und den CO2-Ausstoß deutlich zu reduzieren. Die
staatliche Regulierung zum Umwelt- und Klimaschutz wird also
künftig massiv steigen.
53
Zukunft der Mobilität 2020
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen
Seite beginnt schon heute in Ländern wie China auch in den
Medien eine öffentliche Debatte über die Möglichkeiten und
Notwendigkeit von Energieeinsparung und Emissionskontrollen,
die ihre Wirkung zeigt. Megacities sind die Vorreiter beim Umweltschutz: Shanghai etwa hat jüngst einen Entwicklungsplan
vorgelegt, nachdem die Stadt langfristig zur “Eco-City” umgebaut werden soll. Der Mega-Trend Neo-Ökologie zeigt sich
also auch immer stärker in Schwellenländern. Davon werden
selbstverständlich auch die OEM betroffen sein, die sich in den
nächsten Jahren auch auf den Emerging Markets verstärkt
mit Fragen von Schadstoffbegrenzung, verbrauchsabhängiger
Besteuerung und der Limitierung des Kraftstoffverbrauchs
auseinandersetzen müssen. Wer hier die zu erwartenden
strengen Standards nicht erfüllt, muss künftig mit Verboten bei
Produktion und Verkauf rechnen.
Trotz des wachsenden Mobilitäts-Bedürfnisses setzt sich bei
den Smart Basics zunehmend die Erkenntnis durch, dass AutoMobilität nicht uneingeschränkt zu Lasten der Umwelt und
Lebensqualität gehen darf.
“In Indien kann man z. B. sehen, dass das Ökologiebewusstsein sehr stark ausgeprägt ist. Das speist sich
aus zwei Quellen: Einmal weiß man, dass das Wirtschaftswachstum des Landes nur dann weiter geht,
wenn man Energiesicherheit hat. Deshalb möchte
man möglichst wenig Energie durch Auto-Mobilität verbrauchen und daher ist die Forderung der
Kunden wie auch der Regierung nach verbrauchsarmen Produkten sehr hoch. Andererseits existiert
aus religiöser und kultureller Tradition heraus
eine starke Naturverbundenheit und die Menschen
erwarten dort, dass man etwas für das Land und die
Umwelt tut. “
Marketing und Vertriebsexperte eines führenden
Automobilkonzerns
54
Die Sensibilisierung für Umweltthemen entwickelt sich vor
allem aus der Mittelschicht heraus, wenn diese verstärkt am
Wohlstand partizipiert und sich mehr um Lebensqualität als ums
“Überleben” Gedanken machen kann. Deshalb sind es eher
die Smart Basic Kunden, die die Entwicklung vorantreiben; wer
es sich leisten kann, eine S-Klasse zu fahren, wird hingegen
wiederum eher nach westlichem Status greifen, auch wenn der
nicht “clean & green” ist.
Gesetzliche Reglementierungen und zu erwartende öffentliche
Kampagnen werden bei den Smart Basic Kunden auf ein
ohnehin geschärftes Bewusstsein für den eigenen Beitrag
zum Umweltschutz treffen. Nirgendwo sonst ist der gefühlte
ökologische Druck größer als in den Metropolen und Megacities
der aufstrebenden Länder.
Durch steigendes Bildungsniveau, digitale Vernetzung und wahrgenommene Umweltbelastungen wird auch die postmaterielle
Wertediskussion und das Greenovator-Denken für die Smart
Basic Kunden schneller eine Rolle spielen, als das in den TriadeMärkten der Fall war. Auch hier handelt es sich um eine beschleunigte Entwicklung im Zeitraffer, die die Smart Basics schneller
vollziehen werden, als dies in der Vergangenheit auf den TriadeMärkten der Fall war. Unser Vertriebsexperte stützt diese These:
“Man muss einfach sagen, dass gerade die Menschen,
die in Indien ein Auto kaufen, eine sehr gute Ausbildung haben. Durch internationales Studium und
globale Orientierung, Internet, Satellitenfernsehen
wissen sie natürlich, was in der Welt geschieht. Da
ist das Anspruchsniveau extrem hoch. Es sind junge,
gut ausgebildete, sehr anspruchsvolle Kunden, die
sagen, ich will keine Dritte-Welt-Technik. Ich will
meinem Land nicht schaden, ich will etwas für mein
Land tun. Und wenn du als Hersteller hier Autos
verkaufen willst, dann musst du das liefern, was wir
wollen und du darfst unser Land nicht schädigen.”
Marketing und Vertriebsexperte eines führenden
Automobilkonzerns
Zukunft der Mobilität 2020
Die gute ökonomische Situation erlaubt es den Smart Basics,
sich nicht nur Mobilitäts-Wünsche jenseits von Pragmatik zu
erfüllen, sondern gestattet auch eine initiale Hinwendung zu
weniger materiellen Wünschen. Am Typus der Smart Basic
Kunden zeigt sich: “Grünes Denken” ist schon jetzt nicht mehr
das Privileg westlicher Wohlstandsgesellschaften, sondern wird
mittelfristig auch in die globale Mittelschicht Einzug halten.
4.2.3 Premium: Die Elite-Mobilität für die Emerging
Markets
Kurzbeschreibung:
nn
Premium-Kunden etablieren sich als eine neue Wohlstandselite in den Emerging Economies, die sich zu selbstbewussten Kunden des klassischen Premium-Segments
entwickeln.
nn
Premium-Kunden begreifen Luxus als Auszeichnung und
Ausdruck der eigenen Wertschätzung.
nn
Premium-Kunden sind die Konsumenten der Zukunft auf
hochpreisigen globalen Prestige-Märkten.
nn
Die Premium-Kunden werden klassischen Status-Luxus in
Zukunft jedoch nicht mehr nur als “gnädiges Geschenk” aus
der entwickelten Welt auffassen. Sie werden versuchen, den
Wunsch nach Exklusivität mit eigenen Werten, regionalen
Traditionen und kulturellem Erbe in Einklang zu bringen.
Die Premium-Kunden rekrutieren sich aus der Wohlstandselite
der Emerging Markets. Sie sind extrem konsumfreudig,
markenaffin und qualitätsbewusst. Ihr Luxus-Konsum ist
demonstrativ ein Zeichen ihres gesellschaftlichen Aufstiegs
und Ausdruck ihres Wunsches, an der westlich geprägten
Wohlstandskultur teilzuhaben. Neben der klassischen ProtzSymbolik des “Größer-Schneller-Teurer” spielen aber zunehmend
auch moderatere Formen des Understatement-Luxus eine Rolle.
Hohe Zahlungsbereitschaft für Distinktion und
Exklusivität
Der Konsum von Luxus ist immer auch ein Versuch der
Differenzierung, Ausdruck von Individualität und symbolisiert
eine Abkehr vom Alltäglichen. Luxus liefert den PremiumKunden Distinktionsgewinne. Während in den Industrienationen
spätestens seit den 90er Jahren postmaterielle Werte eine
zentrale Position einnehmen, spielen für die Premium-Kunden
Status- und Prestige-Features eine wichtige Rolle. Andreas
Knie beurteilt die Entwicklung auf den Emerging Markets
folgendermaßen:
“Das, was wir bis in die 70er Jahre von den TriadeMärkten als klassischen Status-Luxus kennen, wird
in China in den nächsten Jahren große Bedeutung
erlangen. Dort erleben wir genau das, was wir in Europa und den USA schon kennen, zeitversetzt später.”
Prof. Dr. Andreas Knie
Bis 2020 werden sich große Anteile des klassischen LuxusMarktes – von Edelaccessoires bis zum Premiumauto – in viele
Zentren der Emerging Markets verlagern. Aber auch wenn es
hier um Status-Luxus geht, der Zeitraffereffekt in den nachholenden Gesellschaften gilt auch für die Überwindung einer rein
materiellen und statusbewussten Lebensstilorientierung. Bei
den Premium-Kunden handelt es sich ebenso um die “alten”
Business- und Staatseliten wie auch um die “neuen Reichen”, die
mit frischem Geld auch frischen Wind in den globalen LuxusMarkt bringen. Je mehr Menschen der globalen Mittelschicht
sich in den Emerging Markets künftig ihre indivi-duelle AutoMobilität leisten können, desto stärker wird der Drang der
Premium-Kunden nach statusorientierter Abgrenzung.
Suche nach Authentizität: Erwachendes Selbstbewusstsein steigert den Wunsch nach regionalen LuxusProdukten
Nach der zunächst starren Orientierung gen Westen wird
sich schon in den nächsten zehn Jahren vor allem in China
und Indien ein neues, emanzipiertes Selbstverständnis der
ehemaligen “Dritte-Welt-Länder” herausbilden. Und das heißt:
Die Premium-Kunden werden sich in Zukunft nicht mehr nur an
westlichem Markenglanz orientieren, sondern vermehrt Produkte
nachfragen, die ihre eigene Identität und Herkunft widerspiegeln.
Obwohl die Luxus-Marken der “alten Welt” einstweilen einen
enormen Imagevorsprung haben, ist in naher Zukunft mit neuen
Premiummarken globaler Herkunft zu rechnen.
55
Zukunft der Mobilität 2020
Ausnahmeunternehmer wie Ratan Tata stehen schon heute
für eine neue “globale Vision” und eine neue Marken- und
Unternehmenskultur, die den verblassenden amerikanischen
Traum ablöst. Sie können künftig auch bei den Premium-Kunden
ein entsprechendes Image und die Ausstrahlung von Luxus
entwickeln, die vormals nur “westlichen Marken” vorbehalten
war. Auf einer oberflächlichen Ebene hat die Fusion des
klassischen Luxus mit der Ökonomie der Emerging Markets
ohnehin längst begonnen. Für Dr. Kurt Möser ist deshalb nicht
ausgeschlossen, dass der westeuropäische Markt künftig Luxus
aus den BRIC-Staaten importieren wird:
4.3 Abschätzung der Marktverteilung
“Man beobachtet ja gerade, dass ausgerechnet Tata
zur Zeit Luxus-Marken kauft. Es kann sein, dass
traditionelle Luxus-Marken, die das feine britische
Image haben, in Zukunft auch als ‚Inder’ zu uns
kommen.”
Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass der einzelne
Kunde nicht einem Mobilitäts-Typen alleine zugeordnet werden
muss. Sehr wohl ist es denkbar, zur Gestaltung des Arbeitsalltags
ein High-frequency Commuter zu sein, am Wochenende jedoch
zusätzlich noch alle Eigenschaften eines Spaßfahrers, also eines
Sensation Seekers, zu erfüllen. Die Verteilung bezieht sich also
auf den absoluten Mobilitäts-Konsum und ergibt als solche
Dr. Kurt Möser
Die Aufteilung des Mobilitäts-Marktes in Mobilitäts-Typen stellt
eine wichtige Eingangsgröße für die Auslegung zukünftiger
Geschäftsmodelle dar. Einige Mobilitäts-Typen werden das
Massensegment von morgen darstellen, andere bleiben
Marktnischen. Wie attraktiv die Kundensegmente hinsichtlich
erzielbarer Margen sein können, hängt natürlich von einer Reihe
von Faktoren ab, wie den dort angebotenen Produkten und
Dienstleistungen sowie den Kostenstrukturen. Im Rahmen
dieser Studie wird darauf nicht eingegangen werden.
konsolidiert 100 Prozent (vgl. Abbildung 31).
In den Triade-Märkten wird erwartet, dass die Mobilitäts-Typen
Greenovator, High-frequency Commuter und Silver Driver
zusammen gut 75 Prozent des Marktes stellen. Zusammen
mit den Family Cruisern und den Low End Usern ergibt sich
Abbildung 31: Verteilung des Mobilitäts-Konsums auf Mobilitäts-Typen
Triade-Märkte
Sensation Seeker
BRIC-Märkte
Global Jet Setter
4%
Low-End User
8%
2%
Greenovator
Premium
4%
Andere
5%
27 %
Family
Cruiser
11 %
HighFrequency
Commuter
24 %
Triade: NAFTA, EU & industrialisiertes Ostasien
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020“
56
Silverdriver
24 %
Smart Basic
Basic
43 %
48 %
BRIC: Brasilien, Russland, Indien, China
Zukunft der Mobilität 2020
sogar eine Marktabdeckung von knapp 95 Prozent. Typische
Nischenmärkte werden durch die Sensation Seeker und die
Global Jet Setter präsentiert.
Der Greenovator stellt 2020 sicherlich einen der dominantesten Mobilitäts-Typen dar. Wie bereits beschrieben entsteht
er aus der Konsumentenbewegung LOHAS, welche in den
westlichen Märkten in 2020 entsprechend der Prognosen
des Zukunftsinstituts bereits über ein Drittel ausmachen
wird. Der Automobilmarkt wird diese Entwicklung zwar nicht
vollständig, aber trotzdem zu einem großen Teil widerspiegeln.
Die Silver Driver hingegen sind die Senioren von morgen.
Bedingt durch die demographische Entwicklung wird jeder
dritte Automobilkäufer in Mitteleuropa über 60 Jahre alt
sein – jedoch nicht jeder seniore Kunde ist deswegen im
Umkehrschluss ein Silver Driver. Die High-frequency Commuter
stellen das Äquivalent des heutigen Pendler dar. Aufgrund
der zunehmenden Urbanisierung in den Megacities und der
Verbesserung der Infrastruktur im Nahverkehrsbereich ist deren
Anteil am Gesamtmarkt hierbei leicht rückläufig. Gesellschaftlich
und familienpolitisch hat sich in den reiferen Märkten viel getan
– und an einigen Schlüsselthemen der modernen Gesellschaft,
wie beispielsweise der Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
wird auch weiterhin fieberhaft gearbeitet werden. Familien
zu gründen wird wieder attraktiver werden und mit weniger
Verzicht und Entbehrung verbunden sein. Dies macht das
Familiy Cruiser Segment zu einem wahren Wachstumsmarkt.
Die Low End User stehen für den Teil der Gesellschaft, die
nur so wenig wie möglich für Individualmobilität ausgeben. Zu
denen, die tatsächlich nicht mehr ausgeben können, müssen
noch die addiert werden, die nicht mehr ausgeben wollen
– beispielsweise Kunden, die motiviert durch die LOHAS
Bewegung Individualmobilität soweit als möglich reduzieren
wollen, dabei aber kaum Ansprüche an Technik und Design
stellen, wie es die Greenovator typischerweise tun.
Zweitkäufer hingegen sind eher dem Smart Basic Segment
zugeordnet. Kurz gesagt: der Basic Kunde von heute ist der
Smart Basic Kunde von morgen. Wird die durchschnittliche
Dauer, die ein Fahrzeug in der Hand des Erstbesitzers bleibt, und
die prognostizierte Anzahl der Neukunden in Betracht gezogen,
ergibt sich ein beinahe ausgeglichenes Verhältnis zwischen Basic
und Smart Basic Kunden.
Die Aufteilung des BRIC-Marktes hingegen ist etwas weniger
feingliedrig. Noch vor einigen Jahren gab es dort im Verhältnis zu
den Bevölkerungszahlen nur einen sehr geringen Absatzmarkt.
Seit etwa 5 bis 10 Jahren steigt der Automobilbestand rasant,
wobei viele Kunden naturgemäß Erstkäufer sind. Der Einstieg
in den Automobilmarkt erfolgt über das Basic Segment,
57
Zukunft der Mobilität 2020
5. Geschäftsmodelle für die IndividualMobilität in 2020
5.1 Warum Geschäftsmodelle von heute morgen
nicht mehr funktionieren
Die Geschäftsmodelle der Automobilkonzerne stecken im
wahrsten Sinne des Wortes in der Klemme. Das Geschäft aus
dem Neuwagenverkauf, bislang der größte Teil der Umsätze der
Automobilkonzerne, ist schwer angeschlagen und wird sich 2009
voraussichtlich nicht nachhaltig erholen. Dies scheint im
Widerspruch zu dem in Kapitel 3 aufgezeigten stark steigenden
Mobilitäts-Bedarf zu stehen. Die rückläufigen Absätze der
Automobilindustrie stellen allerdings den Indikator für die
Zahlungsbereitschaft der Kunden für Individualmobilität dar, sie
lassen jedoch keinen Rückschluss über den quantitativen
Konsum von Mobilität zu. Der Kunde sucht zwar derzeit nach
kostengünstigen Alternativen, “verlängert” die Lebenszeit seines
alten Gebrauchtwagens, setzt in seiner Kaufentscheidung auf
verbrauchseffiziente Kleinfahrzeuge und nimmt zunehmend
Car-Sharing-Angebote wahr, ohne dabei aber tatsächlich weniger
Mobilität zu konsumieren. Kurz gesagt: Die Zahlungsbereitschaft
für Individualmobilität hat in den gesättigten Märkten ihr
Maximum trotz steigendem Mobilitäts-Bedarf sehr wahrscheinlich überschritten – der Kunde wird zukünftig einen
geringeren Teil seines Einkommens in ein eigenes Fahrzeug
investieren. Diese Entwicklung stellt einen Bruch zu dem dar,
was in den Automobilmärkten in den letzten Jahrzehnten zu
beobachten war: die Zahlungsbereitschaft stieg scheinbar
unaufhörlich und war neben der Erschließung neuer Märkte ein
wesentlicher Wachstumsmotor der Automobilindustrie. Nur
darüber konnten die Vielfalt an Innovationen und die damit
verbundenen hohen Investitionen finanziert werden. In einem
ausgeglichenen Gleichgewicht aus Zahlungsbereitschaft und
Investitionsbedarf blieb genügend Spielraum für attraktive
Margen für die Fahrzeughersteller.
Neben der aktuell zu beobachtenden stagnierenden Zahlungsbereitschaft steigt gleichzeitig die Kostenseite in den Gewinnund Verlustrechnungen der Automobilkonzerne stetig an. Die
Unternehmen haben bedingt durch die anhaltende Nachfrage aus
Asien zuletzt empfindliche Steigerungen in den Rohstoffkosten
hinnehmen müssen, die Personalkosten sind zumindest
entsprechend der Inflationsquote gestiegen. Die enormen
Aufwendungen, die derzeit für die Entwicklung von alternativen
Antrieben aufgebracht werden müssen, schlagen zusätzlich bei
den Material- und Personalkosten zu Buche. In den nächsten
Jahren ist zudem eine überdurchschnittliche Investitionsquote zu
erwarten, da die sukzessive Umstellung auf alternative Antriebe
und neue Fahrzeugkonzepte mit neuen Zulieferbeziehungen,
neuen Fertigungstechnologien und Produktionsanlagen und in
Konsequenz mit schlechterer Gesamteffizienz in der Ramp-up
Phase verbunden sein wird (vgl. Abbildung 32).
Abbildung 32: Profitklemme in der Automobilindustrie
Kostenstruktur Automobilproduktion in den Triade-Märkten
Index 100 = UPE
120
100
„ Mittelfristig steigende
Materialkosten
„ Personalkostenanstieg
entsprechend Inflation in
WE, stärkerer Anstieg in
EE und BRIC
„ Mittels Restrukturierung und
Kosteneinsparungen können
Steigerungen in den Gemeinkosten (v. a. Personalkosten)
kompensiert werden
„ Rabatthöhe korreliert mit Zahlbereitschaft der
Kunden, welche tendenziell abnimmt oder stagniert
Rabatt 5-15%
Î
~5%
~20%
80
Î
60
Projektmarge des
Unternehmens
heute
~25%
40
Ò
20
Margenreduktion
„ Rückläufige bis hin zu negativen
Renditen auf Fahrzeugprojekte mit
bisherigen Geschäftsmodellen
~55%
5-20%
„ Zusätzlich Entwicklungsund Herstellungskosten
pro Fahrzeug für alternative Antriebe variieren
je nach Fahrzeug- und
Antriebskonzept
0
FertigungsFertigungseinzelkosten
einzelkosten
FertigungsFertigungsgemeinkosten
gem einkosten
Zielrendite
Zielrendite
UPE
UPE
Händlermarge
Händlerm arge
Kostenstruktur heute
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
58
ZahlungsZusätzlicheKosten
HK
ZahlungsZusätzliche
bereitschaft Kunden
Antriebe
bereitschaft
Kunden alternative
alternativer
Antriebe
Zukünftige Zusatzbelastung
Tendenz:
Ò Position nimmt zu Ô Position nimmt ab
Zukunft der Mobilität 2020
Selbst wenn sich die Absatzzahlen wieder auf dem Vorjahresniveau einpendeln oder sogar moderat wachsen, werden die
Gewinne der Automobilkonzerne sukzessive schwinden. Die
Automobilbranche ist, bildlich gesprochen, in der Vergangenheit
durch Wachstum vor den steigenden Kosten geflohen. Ist Wachstum zukünftig nicht mehr oder nur noch sehr begrenzt möglich,
ist die Rentabilität Einzelner in der Branche in Frage gestellt.
Welche Handlungsoptionen hat die Automobilindustrie an
dieser Stelle? Derzeit werden alle Hebel gezogen, um die
Konzernergebnisse durch Reduktion der Kosten zu verbessern,
oder zumindest krisenbedingte Verluste zu reduzieren.
Benchmarks mit anderen Industrien zeigen allerdings, dass
die Automobilindustrie hier oftmals Vorreiter und Innovator
für effiziente Maßnahmen zur Kostenreduktion ist. Die vergleichsweise geringen Verbesserungspotentiale auf der
Kostenseite sind allenfalls geeignet, der Industrie mittelfristig
etwas Luft zu verschaffen. Langfristig können sich die Automobilhersteller nur über geeignete Marktstrategien aus der
Krise befreien, welche dem geänderten Kundenverhalten und
Mobilitäts-Bedarf gerecht wird. Die Wege aus der Branchenkrise
heraus sind hierbei individuell. Je nach strategischer Positionierung und Ausrichtung ergeben sich für jeden Hersteller
grundsätzlich unterschiedliche Handlungsoptionen.
5.2 Lösungsszenarien in anderen Industrien
IT-Industrie
Dass es Auswege aus einem Marktumfeld mit Margenverfall und
dicht gedrängtem Wettbewerb geben kann, zeigt ein Rückblick
auf die IT-Industrie Mitte der 90er Jahre. Damals profitierten in der
IT-Branche vor allem die Monopolisten in den Bereichen Betriebssysteme und Prozessoren, während ein Marktüberangebot die
eigentlichen Hardware-Hersteller wie IBM, Compaq oder Hewlett
Packard in ruinöse Preiskämpfe trieb und letztlich zu drastischem
Margenverfall führte. Heute arbeiten die Hersteller mit deutlich
diversifizierten Geschäftsmodellen, und die meisten von ihnen
können heute erfolgreiche Bilanzen vorweisen (vgl. Abbildung 33).
Dell hat sich weiterhin als reiner Hardware-Hersteller, allerdings
mit revolutionierten Vertriebs- und Produktionsprozessen positioniert. Durch Umsetzung einer 1-to-1-Marktstrategie hat es der
Computer-Hersteller geschafft ein direktes Vertriebsmodell aufzubauen, welches es erlaubte, bei geringem Umlaufvermögen
sehr kostengünstig zu produzieren und die Produkte ohne
Zwischenhändler auf den Markt zu bringen. In einem vertikalen
Netzwerk wurden strategische Kernkompetenzen, wie beispielsweise Support-Funktionen oder die Fertigung von Monitoren,
durch Zulieferer oder Drittanbieter abgedeckt. Das Unternehmen
Dell konnte somit seine Kapazitäten auf das Orchestrieren des
Vertriebs- und Produktionsprozesses konzentrieren.
Abbildung 33: Geschäftsmodelle in der IT-Industrie
Geschäftsmodelle in der PC-Hardware-Industrie
Bindung an das Produkt
Servicetiefe
„ Schlanke Vertriebsstruktur, ausschließlich
über Online-Shops
„ Individualisierte Produkte
„ Order to delivery Æ minimale Bestände
„ Services über Drittanbieter
„ Technikaffiner Kundenstamm mit geringem Servicebedarf
„ Premium/Design
„ Geschäft online oder
über Apple Stores
„ Hardware und Software/Inhalt durch
Geschäftsmodell eng verbunden
(iTunes Store ínkl. Media, Spiele,
Applikationen, …)
„ Global agierender
voll integrierter
IT-Service-Dienstleister
„ Serviceangebot zu großen
Teilen hardware-unabhängig
„ Fokussierung auf
Geschäftskunden mit
hohem Servicebedarf
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
59
Zukunft der Mobilität 2020
Außerdem stellte erstmals ein Hardware-Hersteller Ansprüche an
das Produkt-Design und rechtfertigte damit seinen Anspruch als
Premium-Hersteller. Als erster Computer-Hersteller hat Apple das
Angebot um eine Reihe von Onlinediensten erweitert (iTunes,
Apple Movie Trailers, iWork etc.). Die Hardware, sei es das
iPhone oder der iMac, ist Enabler und Zugangsvoraussetzung
für die Online-Dienste gleichermaßen. Dadurch ist es Apple
gelungen, ein Multi-Revenue Geschäftsmodell aufzubauen, in
dem zusätzlich zum eigentlichen Produktverkauf Umsätze über
den Produktlebens-Zyklus generiert werden.
IBM hingegen erweiterte die strategischen Kernkompetenzen
um die Bereiche Software-Entwicklung und IT-Dienstleistungen,
nachdem das Unternehmen in den 90er Jahren seine Marktführerschaft in der Hardwareherstellung an Mitbewerber
verloren hatte. Der Beratungsbereich wurde vor allem aufgrund
der veränderten Bedürfnisse von Großkunden, die zunehmend
Unterstützung bei der Installation und dem Betrieb von Servern
benötigten, teilweise durch Akquisitionen massiv ausgebaut.
Während IBM weite Bereiche der Hardware-Sparte sukzessive
an Unternehmen wie Lenovo oder Hitachi verkauft hatte, hat
sich der weitere Entwicklungsfokus auf “Mobile Web Services”Geräte verschoben. Neben der IT-Beratung und der SoftwareEntwicklung hat IBM zudem mit dem Global Finance Bereich
einen der größten IT-Finanzdienstleister aufgebaut. Heute ist
IBM, ehemals entstanden als Hersteller von Maschinen zur
Lochkartenauswertung, ein hochprofitabler, voll integrierter
globaler IT-Servicedienstleister.
Markt Mobilfunktelefone
Die Umsetzung eines Multi-Revenue Modells ist heute ebenso
sehr gut in der Mobilfunkindustrie zu beobachten. Wiederum
zeigt Apple als neuer Wettbewerber in dieser Industrie, wie über
ein Produkt mehrere Umsatzströme aus Applikationen, Medien
und Services generiert werden können. Das Software-Geschäft
des Technologiekonzerns entpuppt sich hierbei zu einer wahren
Goldgrube. Alleine im ersten Monat der Einführung der zweiten
iPhone-Generation wurden über den iTunes Apps Store von
den Nutzern über 60 Millionen Programme für das Lifestyle
Mobiltelefon heruntergeladen. Pro Tag wird für Apple auf diesem
Weg ein Umsatz von knapp einer Million US$ generiert (vgl.
Abbildung 34).
Einen ganz anderen Weg aus dem dicht gedrängten Wettbewerberumfeld fand Apple Computers, die 1976 ebenso als
reiner Computerhersteller gegründet wurden. Mitte der 90er
Jahre geriet Apple durch die Preiskämpfe in eine tiefe Krise
und stand kurz vor einer feindlichen Übernahme. Erst durch
die Entwicklung eines völlig neuen Betriebssystems konnten
sich die Systeme von den Wettbewerbsprodukten absetzen.
Products
Abbildung 34: Multi-Revenue Geschäftsmodelle im Markt Mobilfunktelefone
Mobile
Hardware
Stationäre
Hardware
?
2000
2004
Services
Apple iTunes
2008
2012
Music
Standard
Gerät
?
2000
2004
Nokia Ovi
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
2012
N-Gage
Video
„ Gegenseitige Abhängigkeit von Hardware und Software bzw.
Media-Inhalt
„ Exklusiver Kundenzugang ermöglicht hohe Rendite
2008
Nokia Maps
Nokia Music Gateway
Applications
Updates
60
Smart
Phone
Nokia Life Tools
2000
2004
2008
2012
„ Rückläufige Umsätze mit Mobiltelefonen
„ Nokia als Marktführer passt das Angebotsportfolio zugunsten
Services und Inhalten an
Zukunft der Mobilität 2020
Diesem Beispiel folgt derzeit der bis dato vollständig produktorientierte Marktführer Nokia, jüngst mit deutlichen Umsatzeinbußen. Durch die Einführung der Nokia Online-Plattform
Ovi stehen dem Kunden mittlerweile eine Vielzahl von Medien
und Navigationskarten für die technologisch sehr aufwändigen
Smartphones der neusten Generation zur Verfügung. Der
technisch unspektakuläre Datendienst “Nokia Life Tools”
hingegen zielt vor allem auf Kunden aus den Emerging Markets
ab, die über einfache SMS-Nachrichten demnächst indischen
Landwirten, Schülern und Studenten schnellen Zugriff auf
zeitkritische Informationen bieten. Im Februar 2008 wurde
zudem das Apps-Store Äquivalent Juniper vorgestellt, auf dem
Applikationen für die Symbian-Plattform der Nokia-Mobiltelefone
angeboten werden. Die Neuausrichtung des Konzerns folgt also,
ähnlich wie Apple, dem Motto “Inhalt statt Hardware”.
5.3 Lösungsansätze in der Automobilindustrie
Beispiele aus anderen Industrien zeigen, dass die Umstellung
von Geschäftsmodellen in einem stagnierenden Gesamtmarkt
der aus wirtschaftlicher Sicht richtige Weg sein kann, um über
zusätzliche Umsatzströme weiter wachsen zu können und einem
engen Wettbewerberumfeld zu entfliehen. Voraussetzung ist
natürlich, dass durch das Zusatzangebot oder das veränderte
Angebot Produkte und Dienstleistungen entstehen, für die es
eine tatsächliche Marktnachfrage gibt. Global steigender
Mobilitäts-Bedarf und rückläufige Absatzzahlen in der Automobilindustrie zeigen, dass es einen signifikanten Bedarf an Individualmobilität gibt, der derzeit nicht oder mit unzureichenden Konzepten bedient wird. Hinzu kommt die Vielzahl von wechselwilligen
Kunden, die heute bereitgestellte Mobilitäts-Konzepte zwar
nutzen, allerdings nur in Ermangelung der für sie geeigneten
Alternative.
Die Automobilindustrie, aber auch andere Industrien haben
erkannt, dass sich das gesellschaftliche Verständnis von Mobilität
im Umbruch befindet und eine enorme Bedarfslücke gerade
dabei ist zu entstehen. Folgende Beispiele zeigen Ansätze und
Pilotprojekte, in denen innovative Formen von Individualmobilität
bereitgestellt werden.
DB Rent
Ein sehr fortschrittliches Mietwagenkonzept wird seit Januar
2009 als Pilotprojekt von der DB-Rent angeboten. Zum
Niedrigpreis sollen Kleinwagen bei “Flinkster”, so der Name
des Projekts, vermietet werden – für 1,50 EUR pro Stunde
und einer Kilometerpauschale von 25 Cent. Angelehnt an das
Call-a-Bike Konzept, welches mit großem Erfolg in vielen großen
deutschen Städten kostengünstig Mietfahrräder zur Verfügung
stellt, können die Mietwagen nach Nutzung an einem beliebigen
Ort stehen gelassen werden. Eine Reservierung ist vor der
Fahrt nicht nötig. Wer sich bei der Bahn anmeldet erhält eine
Chipkarte, mit der sich das Fahrzeug öffnen lässt. Die DB Rent
adressiert mit diesem Angebot v. a. die Kundengruppen, die sich
eine Basismobilität ohne Fixkosten und ohne Kauf eines eigenen
Fahrzeugs erhalten wollen. Aber auch Kunden, die spontan
auf Mobilität zugreifen wollen, die zu Besuch in einer fremden
Stadt sind, oder die in seltenen Fällen im Jahr Bedarf an einem
Zweitwagen haben.
“How do you make this world a better place in 2020?”
Ein neuartiges und vielbeachtetes Konzept zur Bereitstellung von
individueller Mobilität wurde vom Ex-SAP Vorstand Shai Agassi
im Projekt “Better Place” aufgesetzt. Initiiert durch die von Klaus
Schwab auf dem Weltwirtschaftsforum 2005 in Davos gestellte
Frage (wie oben zitiert) setzte der Israeli Agassi ein ehrgeiziges
Projekt auf, um 2020 Individualmobilität ohne Abhängigkeit
von Erdöl vermarkten zu können. Das Konzept sieht vor, dass
der Kunde ein Elektrofahrzeug selber kauft oder finanziert, die
Batterie jedoch Eigentum des Projekts “Better Place” beibt.
Der Akkumulator wird an Ladestationen zuhause oder am
Arbeitsplatz mit Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien
aufgeladen. Die Fahrzeuge erzeugen so eine Reichweite
von 160 km. Für längere Strecken wird der Akkumulator an
Wechselstationen vollautomatisch getauscht. Der Kunde bezahlt
nicht für die Menge des aufgenommenen Stroms, sondern
für die Zahl der gefahrenen Kilometer. Die Rentabilität des
Projekts “Better Place” steigt also bei sinkenden Energiekosten
pro gefahrenem Kilometer. Die Fahrzeughersteller haben
deswegen zusammen mit den Energielieferanten ein starkes
wirtschaftliches Interesse daran, möglichst energieeffiziente
Fahrzeuge herzustellen.
61
Zukunft der Mobilität 2020
Das Konzept eignet sich vor allem für urbane Gebiete, in denen
Kunden täglich weniger als 100 km Strecke zurücklegen. Bislang
werden Pilotprojekte in Israel und Dänemark gestartet, weitere
in den USA und Australien sind in Planung.
Markt-Trends in Japan und die Antwort der japanischen Automobilindustrie
Seit Jahren ist in Japan ein Trend zur fallenden Bedeutung
des Fahrzeugbesitzes zu erkennen, den die Japaner “Kuruma
Banare” nennen, was übersetzt etwa Demotorisierung heisst.
Fahrzeuge verlieren zusehends ihre Rolle als Statussymbol
gegenüber Smartphones, Netbooks etc. Diesem Trend folgend
geht die Fahrzeugindustrie neue Wege, um Mobilität zu
vermarkten und neue Umsatzströme zu generieren.
Die Nutzung von Car-Sharing hat sich im vergangenen Jahr
verdreifacht und auch OEMs’ wie Toyota oder Mazda starten
in diesem Zusammenhang Pilotprojekte, die staatlich stark
gefördert werden. Für Toyota spielt das Geschäftsfeld M2MKommunikation/Telematik eine wachsende Bedeutung als Basis
für neue Services während des Fahrzeugbesitzzyklus und damit
Umsatzströme rund um die Themengebiete Sicherheit, Komfort
(Navigation, Media-on-demand, Connectivity) und Nachhaltigkeit.
Darüber hinaus investiert Toyota in den Bereich Robotik, um
damit völlig neue Produktkonzepte für Kurzstreckenmobilität
innerhalb der Stadt oder in Verbindung mit öffentlichen
Verkehrsmitteln anbieten zu können. Vor dem Hintergrund des
aktuellen Marktdrucks gehen manche japanischen Hersteller
sogar noch weiter. So diskutieren die Strategen bei Nissan, ob
sich der Konzern nicht auf Entwicklung, Design und Marketing
konzentrieren und die Fertigung an Auftragsfertiger in Billiglohnländern vergeben sollte.
5.4 Geschäftsmodelle 2020
Neuartige und innovative Projekte können im kleinen Rahmen
schon sehr zeitnah Individualmobilität bereit stellen, eine
großflächige Substitution von bisherigen Konzepten kann aus
diesen Projekten heraus nicht geleistet werden. Die größten
Wettbewerber werden die Automobilhersteller mittelfristig
weiterhin in ihren eigenen Reihen finden. Trotzdem zeichnen sich
hier Mobilitäts-Konzepte ab, die auf großes mediales Interesse
62
stoßen und wohl Nischen im Mobilitäts-Markt finden werden.
Die Umsetzer eines groß angelegten Veränderungsprozesses in
der Automobilindustrie werden allerdings die OEM selber sein
müssen, nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse. Nur von ihnen
kann die Kraft und die Reichweite ausgehen, die Märkte im
großen Umfang zu bedienen. Neuartige Geschäftsmodelle
hierzu betreffen Milliardenkonzerne und zu einem Teil deren
Zulieferer. Die dargestellten Beispiele können deswegen
durchaus Inspiration für neue Geschäftsmodelle sein, die
Implikationen für ein Branchenschwergewicht sind jedoch
grundlegend anderer Natur und Dimension als innerhalb eines
Pilotprojekts.
In diesem Kapitel sind einige idealtypische Geschäftsmodelle
dargestellt, welche einerseits eine Diversifizierung gegenüber
dem Wettbewerb bedeuten können, andererseits geeignet sind,
die Mobilitäts-Bedürfnisse der Kunden 2020 besser bedienen
können als dies heutige Geschäftsmodelle leisten.
Die zukünftigen Mobilitäts-Nutzer, mit denen wir bis 2020
rechnen müssen, beginnen ihren Konsum von Mobilität
grundlegend umzustellen. Wie wir gezeigt haben, sind es
Trends und Mega-Trends, die diese Veränderungen bei den
Menschen steuern. Sie verändern Mobilitäts-Verhalten und
führen zu neuen Ausprägungen von Mobilitäts-Nutzung. Die
Mobilitäts-Typen, so wie sie von uns in Kapitel 4 entworfen
wurden, antizipieren die Mobilitäts- bzw. die Auto-MobilitätsKultur bis 2020. Aus diesen Veränderungen resultieren
wichtige Anforderungen, mit denen sich die OEM heute
auseinandersetzen müssen, um den beschleunigten Wandel
auf den Fahrzeugmärkten der nächsten Jahre eigeninitiativ
gestalten zu können. Aus unserer Trend-Analyse und den neuen
Mobilitäts-Typen ergeben sich Handlungsimplikationen für die
Automobilhersteller. Fest steht: Es sind Anforderungen, die
über eine inkrementelle Anpassung des Produktportfolios weit
hinaus gehen. Es ist eine grundlegende Transformation der
gewachsenen Geschäftsmodelle notwendig, um den zukünftigen
Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Mit Sicherheit lässt
sich schon heute prognostizieren, dass sich kundenseitige
Ansprüche in den bisher relevanten Handlungsfeldern nicht
reduzieren werden. Dazu entstehen zusätzlich aus den
(Mega-)Trends resultierend neue Bedürfnisse, die von den
bisherigen Geschäftsmodellen der OEM nicht mehr abgedeckt
Zukunft der Mobilität 2020
werden können. Dies zusammen genommen führt zu einem
signifikanten Anstieg der Komplexität in den Kunden-OEMBeziehungen, die es schon zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich
macht, weit über die Grenzen bestehender Modelle hinaus zu
denken. Wir befinden uns – angestoßen vor allem durch den
Megatrend Neo-Ökologie – an einer historischen Zäsur, die neues
Handeln verlangt.
In einer Beschreibung der Angebotsseite eignet sich die
Darstellung in einem Marktmodell für Mobilität, welches durch
die Achsen fahrzeugbezogener Servicetiefe und Bindung
zwischen Produkt und Mobilität aufgespannt wird
(vgl. Abbildung 35).
Die erste Achse Bindung von Produkt und Mobilität stellt
dar, wie zwingend die Bereitstellung von Mobilität an ein
bestimmtes Produkt gebunden ist. Der Besitz eines Fahrzeugs
würde in dieser Darstellung am linken Ende der Achse eingeordnet werden, da Mobilität ausschließlich oder zumindest zum
größten Teil über den eigenen Verkehrsträger bereitgestellt wird.
Diese Form der Mobilität wird auch zukünftig eine wichtige
Rolle spielen, da das Fahrzeug für viele Kunden weiterhin ein Teil
des persönlichen und intimen Lebensraumes darstellt, den sie
ungern mit Fremden teilen wollen. Zudem ist Statussymbolik nur
über ein eigenes Fahrzeug darstellbar.
Die zweite Achse Servicetiefe beschreibt den Umfang der
Dienstleistungen, die das Basisangebot an Mobilität durch
weitere Mobilitäts-, Convenience- und Lifestyle-Services in
geeigneter Form erweitern. Diese Services können dabei
Leistungen umfassen, die in unmittelbarem Zusammenhang zur
eigentlichen Mobilität stehen und diese unterstützen, erleichtern
oder beschleunigen. Oder aber die Services fokussieren auf
angrenzende Bereiche, die an die eigentliche fahrzeuggebundene
Mobilität andocken, wie beispielsweise virtuelles Einkaufen
während der Mobilitäts-Zeit und Lieferung an den jeweils
nächsten Aufenthaltsort des Kunden. Vor dem Hintergrund von
wirkungsstarken Trends wie Deep-Support und Cheap-Chic
muss davon ausgegangen werden, dass der Bedarf an ServiceKonzepten jenseits der puren Basismobilität bis 2020 signifikant
ansteigen wird. Im Premium- und Luxus-Segment werden
sogar neue Mobilitäts- und Lifestyle-Bedürfnisse entstehen, die
den Traum hoch individueller Mobilität weiterträumen, trotz der
fundamental neuen Herausforderungen, die durch den MegaTrend Neo-Ökologie entstehen.
Abbildung 35: Marktmodell Mobilität
Idealtypische Geschäftsmodelle
Bindung von Produkt und Mobilität
Product Focused
Manufacturer
Abnehmende Bedeutung
eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes)
Voll
integrierte
MobilitätsDienstleistungen
Servicetiefe
Fahrzeugbasierte
Dienstleistungen
Service Focused
Manufacturer
Basic Mobility
Provider
Abnehmende Bedeutung
eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes)
Mobility Service
Provider
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
63
Zukunft der Mobilität 2020
Geschäftsmodelle: Vier Idealausprägungen für die
Mobilitäts-Typen 2020
Im Folgenden sind vier zentrale, idealtypische Geschäftsmodelle
dargestellt, welche die Veränderungen im Markt- und Kundenumfeld reflektieren. Sie stellen nach unserer Überzeugung bis 2020
idealtypische Ausprägungsformen innerhalb der Matrix der
Geschäftsmodelle dar. Für OEM kann es durchaus auch sinnvoll
sein, sich als Mischformen zu positionieren.
5.4.1 Product Focussed Manufacturer (PFM) –
“It’s a car business”
Der Product Focussed Manufacturer (PFM) basiert auf einem
Geschäftsmodell mit der größten inhaltlichen und strukturellen
Nähe zu den Automobilherstellern von heute (vgl. Abbildung 36).
Seine Kernkompetenz ist die Produkt- und Fertigungstechnologie,
mit der er den Bedarf nach technologischer Exzellenz bedient.
Die Technologieführerschaft ist hierbei typischerweise in allen
Bereichen von Motorleistung zu Leichtbaukonzepten erkennbar.
Die besondere Fertigungskompetenz des PFM als weiteres
Abgrenzungsmerkmal gegenüber anderen Geschäftsmodellen
ist wiederum Voraussetzung für kostengünstige und gleichzeitig
qualitativ hochwertige Produkte.
Die Technologieexzellenz spricht somit eine Reihe von MobilitätsTypen an, wenn auch mit völlig unterschiedlichen Produkten.
So finden sich unter den Kunden nach wie vor die klassischen
Technologieenthusiasten und Komfortliebhaber wieder, die
bereit sind, sich hochpreisige Produkte zu kaufen (Sensation
Seeker, Silver Driver). Aber auch der Greenovator ist ein erklärter
Anhänger von innovativen und nachhaltigen Technologien. Der
Low-End User interessiert sich wiederum für die Entry-Level
Modelle.
Da beim Product Focussed Manufacturer der Ergebnisbeitrag
primär durch den Verkauf von Produkten und nicht über Services
erzielt wird, werden sich in Zukunft vor allem Premiumanbieter
in der Nische oder wenige Volumenhersteller mit führender
Marktposition mit ausreichenden Margen und optimalen Kostenpositionen mit diesem Geschäftsmodell behaupten können.
Beispielhaft für diese Positionierung könnte Porsche für den
Premiumbereich oder Tata für den Low-End Bereich stehen,
sofern die extreme Preispositionierung des Nano wirklich
profitabel erreicht werden kann.
Meilensteine auf dem Weg zum PFM
Der PFM entspricht am ehesten den bestehenden Geschäftsmodellen, allenfalls ist er weniger diversifiziert als die
Abbildung 36: Kerneigenschaften „Product Focussed Manufacturer“
Mobilitäts-Typen und Anforderungen
Low-End User
Mobilität
Individualität
Silver Driver
Sensation Seeker
Mobilität
Nachhaltigkeit Individualität
Mobilität
Nachhaltigkeit Individualität
Marktangebot
Greenovator
Mobilität
Nachhaltigkeit Individualität
Nachhaltigkeit
„ Hoher Wert auf Bereitstellung individueller Mobilität
„ Eigenes Fahrzeug steht im Fokus des Mobilitäts-Bedürfnisses
„ Klare Ausdifferenzierung zwischen Volumen und Premium
Produktangebot
Serviceangebot
Verkaufsmodell
„ Premium: umfangreiches Produktportfolio, High-Tech, alternative
Antriebe, höchste Produktqualität
„ Low-cost: fokussiertes Produktangebot, einfache Technologien,
Basisqualität zu geringsten Kosten
„ Alle Services über den Fahrzeuglebenszyklus, z. B. Wartung, Service
& Teile, Rücknahme, Verwertung
„ Einfache bis integrierte Finanzdienstleistungen, z. B. Fahrzeug-,
Serviceleasing, Versicherung
„ Premium: umfangreiche Leasingangebote
„ Low-cost: Kauf/-Finanzierung zu geringen Kosten
Service
Produkt
Wertschöpfungsarchitektur
Forschung &
Entwicklung
Einkauf
Produktion
Marketing
& Vertrieb
After
Sales
Schnittstelle Service / Produkt
Entwicklung/
Spezifikation
Interne
Kernkompetenzen
Einkauf
Infrastruktur/
Netzwerk
Steuerung über
Kooperationen
Marketing
& Vertrieb
Durchführung
Kein Fokus/
Zukauf auf dem Markt
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
64
Wertschöpfungsnetzwerk
Hersteller
Finanzdienstleister
Serviceanbieter
Fahrzeug
Bank/Finanzierer
Autovermietung
Energielieferant
Flotten-/Leasingmanager
Wartungsdienstleister
Versicherer
Convenience-Anbieter
Mobilitäts-Service-Anbieter
Zukunft der Mobilität 2020
heutigen OEM, die bereits heute schon Finanzdienstleister
und Automobilhersteller gleichermaßen sind. Die wichtigsten
Meilensteine auf dem Weg zum PFM sind:
nn
Definition von Nischenmärkten, entsprechende Konzentration des Produktportfolios
nn
Konzentration der Wertschöpfungskette auf die Kernkompetenz der Fahrzeugproduktion und Fahrzeugentwicklung
nn
Aufbau eines vertikalen Netzwerks duch
––
Outsourcing von Bereichen der Wertschöpfungskette
außerhalb der Kernkompetenz
––
Aufbau eines geeigneten Kooperationsnetzwerkes
5.4.2 Service Focussed Manufacturer (SFM) –
“Mobility – individual and convenient”
Der Service Focussed Manufacturer (SFM) stellt Mobilität ebenso wie der Product Focussed Manufacturer (PFM) über eine
hohe Bindung zum Kernprodukt Automobil bereit (vgl. Abbildung
37). Ein wichtiges Unterscheidungskriterium des SFM zum PFM
ist seine zurückgenommene, moderate Technologiedominanz.
Der SFM konzentriert seine Ressourcen auf das Reproduzieren
bestehender Technologie in der zweiten Generation mit geringem
eigenen produktorientierten Innovationsanteil.
Fertigungsbereiche, die außerhalb seiner strategischen
Kompetenz liegen, werden ausgelagert, so dass er in
der Wertschöpfungskette vornehmlich die Funktion des
Systemintegrators einnimmt. Der SFM erweitert sein
Leistungsportfolio jedoch um ein umfangreiches Serviceangebot
rund um das Kernprodukt Fahrzeug als auch um Dienstleistungen
in angrenzenden Bereichen. Das Fahrzeug ist die Plattform und
“Enabler” für die Services, die über den Besitzzyklus aktiv an
den Kunden vermarktet werden. Der SFM stellt die komfortable
und zentrale Schnittstelle für alle das Produkt betreffende Fragen
und Services für den Kunden dar (“One-stop-shopping”).
Das Geschäftsmodell adressiert vor allem die Kunden, die
zwar weiterhin Individualmobilität über ein bestimmtes
Produkt beziehen wollen, darüber hinaus aber auch noch
nach einem umfassenden Serviceportfolio verlangen. Die
Produktindividualität einerseits und Servicetiefe andererseits
führen zu einem gehobenen Preisniveau, das für diejenigen
Mobilitäts-Typen interessant ist, die besonders viel Zeit
im Fahrzeug verbringen oder sich neben der eigentlichen
Streckenzeit nicht mit dem Thema Mobilität auseinandersetzen
wollen. Prädestinierte Kundengruppen sind somit Global Jet
Setter, Family Cruiser oder der High-frequency Commuter.
Abbildung 37: Kerneigenschaften „Service Focussed Manufacturer“
Mobilitäts-Typen und Anforderungen
Marktangebot
Family Cruiser
High-frequency Commuter
Global Jet Setter
Mobilität
Mobilität
Mobilität
Individualität
Nachhaltigkeit
Individualität
Nachhaltigkeit
Individualität
Nachhaltigkeit
„ Produktbezogene Mobilitäts-Lösungen
„ Hohe Serviceanforderungen – Simplify, Deep Support, Luxus
„ Hohe Serviceverfügbarkeit und Service-Qualität
Produktangebot
„ Produktportfolio auf low-end und top-end Markt fokussiert
„ Erfüllung notwendiger Basis-Anforderungen
„ Mittel zur Erfüllung von Mobilitäts-Anforderungen
Serviceangebot
„ Voll-Service-Pakete, Car Sharing, Limousinenservice
„ Re-Marketing Fahrzeug, inkl. Versicherung, Service, FDL
„ Groß- & Flottenkundenbetreuung
Verkaufsmodell
„ Vermietung (Kurz-/Langzeit)
„ Leasing, Kilometer-Leasing, Flexleasing von Fahrzeugen
Service
Produkt
Wertschöpfungsarchitektur
Forschung &
Entwicklung
Einkauf
Produktion
Marketing
& Vertrieb
Wertschöpfungsnetzwerk
After
Sales
Fahrzeug
Schnittstelle Service / Produkt
Entwicklung/
Spezifikation
Interne
Kernkompetenzen
Einkauf
Infrastruktur/
Netzwerk
Steuerung über
Kooperationen
Marketing
& Vertrieb
Hersteller
Durchführung
Kein Fokus/
Zukauf auf dem Markt
Energielieferant
Finanzdienstleister
Serviceanbieter
Bank/Finanzierer
Autovermietung
Flotten-/Leasingmanager
Wartungsdienstleister
Versicherer
Convenience-Anbieter
Mobilitäts-Service-Anbieter
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
65
Zukunft der Mobilität 2020
Der Service Focussed Manufacturer beschreitet damit den Weg,
den z. B. Apple in der Computer-Industrie gegangen ist: Alleinstellung durch Design und Individualität, umfassende Services und
damit Umsatz über den gesamten Kundenlebenszyklus, aber sehr
geringe eigene Wertschöpfungstiefe. Erfolgskritisch sind dabei die
enge Integration von Hardware und Software, um dem Kunden
einerseits eine möglichst einfache Handhabung zu ermöglichen,
andererseits aber auch Wechselhürden durch immer stärker
werdende Bindung an das System Apple aufzubauen.
Meilensteine auf dem Weg zum SFM
Auf dem Weg zum SFM müssen v. a. die Wertschöpfungskette
neu angeordnet und geeignete Kooperationsbeziehungen
eingegangen werden:
nn
Definition geeigneter Serviceleistungen
nn
Definition eines Marketing-Konzepts: Nutzen der Fahrzeugmarke oder Aufbau einer neuen Marke/Submarke
nn
Neudefinition der Wertschöpfungskette, partielles Outsourcing von Entwicklungskompetenz, abwickeln von F&E
Inhalten in Zusammenarbeit mit strategischen Partnern
Aufbau eines Kooperationsnetzwerkes zur Sicherstellung von
Qualität, Verfügbarkeit und geeigneter Preisstruktur der
Services
nn
nn
Definition einer Steuerstruktur zur Koordination des gleichberechtigten Kooperationsmodells
5.4.3 Basic Mobility Provider (BMP) –
“Mobility – nothing more”
Der Basic Mobility Provider (BMP) entkoppelt die Mobilität vom
Fahrzeugbesitz, um die Anforderungen seiner Kunden optimal
erfüllen zu können (vgl. Abbildung 38). Mobilität bedeutet nicht
mehr zwangsläufig Auto-Mobilität, sondern es zählt ausschließlich die effiziente und kostengünstige Fortbewegung.
Ein Fahrzeug stellt lediglich einen Baustein eines ganzheitlichen
Mobilitäts-Konzepts dar, welches sich der Kunde individuell
konfigurieren kann. Der Auto-Mobilitäts-Anteil wird über ein
Standardfahrzeug angeboten, während andere MobilitätsBausteine auch über öffentliche und nicht-individuelle Transportmittel abgewickelt werden. Das Standardfahrzeug steht nach
technologischen Bewertungskriterien (Antriebstechnologie,
Komfort, Sicherheitstechnik) hinter den Fahrzeugen anderer
OEM zurück und ist primär an Praktikabilität und Kosteneffizienz
ausgerichtet. Da der Umkreis, in dem der Kunde auf Individualmobilität zurückgreift, gering ist und vorwiegend Kunden im
urbanen Umfeld angesprochen werden, eignen sich z. B. auch
Elektroantriebe sehr gut als Antriebskonzepte.
Der Basic Mobility Provider vermittelt Mobilität, ohne dabei
Fahrzeuge selber herstellen zu müssen. Zusammen mit dem
Abbildung 38: Kerneigenschaften „Basic Mobility Provider“
Mobilitäts-Typen und Anforderungen
Marktangebot
Low-End User
Mobilität
0
Individualität
Nachhaltigkeit
„ Auf das wesentliche reduzierte Mobilität unter Optimierung von Fixkosten und
Nachhaltigkeit
„ Verzicht auf Besitz eines Fahrzeugs
Produktangebot
„ Einfaches, solides Transportmittel zu geringsten Anschaffung- &
Serviceangebot
„ Basisversicherung und günstige Finanz-Dienstleistungen
„ Bündelung der kostengünstigsten Mobilitäts-Angebote
Verkaufsmodell
„ Minimale Servicegebühr (z. B. Flatrate oder Pay-per-Use)
„ Günstigstes Mobilitäts-Servicepaket durch Bündelung
„ Vertrieb & Abwicklung über Internet und Callcenter
Unterhaltskosten
Service
Produkt
Wertschöpfungsarchitektur
Forschung &
Entwicklung
Einkauf
Produktion
Marketing
& Vertrieb
After
Sales
Schnittstelle Service / Produkt
Entwicklung/
Spezifikation
Interne
Kernkompetenzen
Einkauf
Infrastruktur/
Netzwerk
Steuerung über
Kooperationen
Marketing
& Vertrieb
Durchführung
Kein Fokus/
Zukauf auf dem Markt
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
66
Wertschöpfungsnetzwerk
Hersteller
Finanzdienstleister
Serviceanbieter
Fahrzeug
Bank/Finanzierer
Autovermietung
Energielieferant
Flotten-/Leasingmanager
Wartungsdienstleister
Versicherer
Convenience-Anbieter
Mobilitäts-Service-Anbieter
Zukunft der Mobilität 2020
Mobility Service Provider (MSP) vollzieht der Basic Mobility
Provider deswegen den nachhaltigsten und signifikantesten
Wandel gegenüber bestehenden Geschäftsmodellen der OEM.
Ein derartiges Konzept spricht unterschiedliche Kundengruppen
an. Durch “Shared Mobility” finanziert der Kunde tatsächlich
weniger als ein Fahrzeug. Je nach Nutzung werden für ihn durch
den Pay-per-Use-Ansatz im Vergleich zu einer vollständigen
Fahrzeugfinanzierung deutlich weniger Kosten entstehen.
Zudem ist die Kostenstruktur für den Kunden flexibel, d. h. er
kann durch Verzicht auf Mobilität seine monatlichen Ausgaben
direkt reduzieren, wenn ihn persönliche Randbedingungen
dazu zwingen oder motivieren. In erster Linie angesprochen
wird deswegen der Low-End User. Typische Vertreter dieses
Geschäftsmodells sind Car-Sharing Anbieter wie Zip-Car, DB
Car-Sharing oder Mobility in der Schweiz, die in den vergangenen
Jahren stark ansteigende Nutzerzahlen verzeichnen können.
Das Konzept Car-Sharing wandelt sich dabei durch neue
Nutzungskonzepte wie Car2go von Daimler oder Flinkster von
DB Car-Sharing vom Nischenangebot für “Weltverbesserer” zu
einer attraktiven und einfach zu nutzenden Alternative für urbane
Mobilität. Im Geschäftsmodell des Basic Mobility Providers hat
auch das Car-Abo Angebot von Sixt seinen Ursprung, bei dem
der Nutzer ein Recht auf ein Fahrzeug einer bestimmten Klasse
erwirbt und an jeder Sixt Station weltweit ein Fahrzeug zur
Verfügung gestellt bekommt.
Meilensteine auf dem Weg zum BMP
Es ist keine zwingende Voraussetzung, dass der BMP 2020
sich aus den OEM von heute entwickelt. Allerdings erscheint
zumindest die Einbindung eines OEM in ein BMP Kooperationsmodell wahrscheinlich:
nn
Definition/Analyse des Marktpotentials hinsichtlich
Mobilitäts-Leistung, lokale Verteilung und Belastungsspitzen
nn
Aufbau eines geeigneten Kooperationsmodells aus
Fahrzeughersteller, Abwicklungsspezialist, Fuhrpark-Koordinator, ggf. Energiekonzern
nn
Aufbau einer geeigneten Infrastruktur zur Fahrzeugwartung,
Fahrzeugvorhaltung (Parkplätze, Exchange-Points)
nn
Aufbau einer webbasierten Plattform für die Kunden zur
Reservierung und Planung, ggf. Integration zusätzlicher
Services
5.4.4 Mobility Service Provider (MSP) –
“Don’t care, we do!”
Der Mobility Service Provider (MSP) löst gleich dem Basic
Mobility Provider (BMP) die Bindung von Fahrzeug und Mobilität
vollständig auf (vgl. Abbildung 39). Allerdings positioniert er
sich zusätzlich durch die Etablierung eines vielfältigen und sehr
Abbildung 39: Kerneigenschaften „Mobility Service Provider“
Mobilitäts-Typen und Anforderungen
Marktangebot
Greenovator
High-frequency Commuter
Global Jet Setter
Mobilität
Mobilität
Mobilität
0
0
Individualität
Nachhaltigkeit
Individualität
0
Individualität
Nachhaltigkeit
Produktangebot
„ Kein Produkt im Angebot, Fokus auf Services
Serviceangebot
„ Optimierter Mobilitäts-Mix, Bündelung Mobilitäts-Angebote
„ Weltweit lückenlose Mobilität (Auto, Flug, Bahn, etc.)
„ 24/7 Mobilitäts-Ratgeber/-Manager
Nachhaltigkeit
„ Hoher Wert auf Management der individuellen Mobilität
„ Mobilitäts-Bedürfnis wird durch beliebige Mobilitäts-Art erfüllt
„ Klarer Fokus auf effiziente Premium Mobilität
Verkaufsmodell
„ Servicegebühr für Mobilitäts-Mixoptimierung
„ Mobilitäts-Management durch monatliche Flatrate oder
Servicegebühren pro Transaktion
„ Kostenpflichtige Callcenter
Service
Produkt
Wertschöpfungsarchitektur
Forschung &
Entwicklung
Einkauf
Produktion
Marketing
& Vertrieb
Wertschöpfungsnetzwerk
After
Sales
Schnittstelle Service / Produkt
Entwicklung/
Spezifikation
Interne
Kernkompetenzen
Einkauf
Infrastruktur/
Netzwerk
Steuerung über
Kooperationen
Marketing
& Vertrieb
Durchführung
Kein Fokus/
Zukauf auf dem Markt
Hersteller
Finanzdienstleister
Serviceanbieter
Fahrzeug
Bank/Finanzierer
Autovermietung
Energielieferant
Flotten-/Leasingmanager
Wartungsdienstleister
Versicherer
Convenience-Anbieter
Mobilitäts-Service-Anbieter
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
67
Zukunft der Mobilität 2020
umfangreichen Mobilitäts-Service-Portfolios. Die Kernkompetenz
des MSP ist das erfolgreiche Beherrschen und Steuern von
komplexen Kundenbeziehung durch die Einbindung eines
Kooperationsnetzwerks. Je mehr hierbei aus einer Hand kommt,
umso komfortabler für den Kunden. Ähnlich dem Service
Focussed Manufacturer (SFM) bietet der MSP eine Reihe von
Services an, die über den Fahrzeugbezug hinaus gehen und
dabei die gesamte Mobilität als integrierten Bestandteil des
Alltags verstehen (Online Kommerz, Parkservices etc.). Faktisch
werden dem Kunden alle Fragestellungen rund um das Thema
Mobilität abgenommen, entsprechend des Deep Support
Gedanken auch darüber hinaus. Durch das Geschäftsmodell
werden Kunden adressiert, für die trotz ausreichender Mittel der
Besitz eines Fahrzeugs nicht notwendig, teilweise sogar eher
hinderlich erscheint. Komfort, Luxus und Markenstatus kann
über erweiterte Services transportiert werden. Der eigentliche
Produktverkauf ist nicht mehr Kern seines Geschäftsmodells,
sondern er löst die Mobilitätprobleme seiner Kunden und liefert
damit vor allem nachhaltige Convenience: Mehr Zeit, mehr
Eigenzeit, mehr Lebensqualität.
Die Marke des MSP steigt zu einem globalen und vertikal
organisierten Super-Brand und Lifestyle-Provider auf. Da ähnlich
dem BMP die Fahrzeuge auf eine Vielzahl von Nutzern verteilt
werden, ist das Konzept vergleichsweise effizient und vor
diesem Hintergrund durchaus nachhaltig, aber keineswegs
asketisch. Somit fühlt sich auch der erfolgreiche Greenovator mit
einem hohen und globalen Mobilitäts-Bedarf angesprochen.
Meilensteine auf dem Weg zum MSP
Der MSP ist kein Fahrzeughersteller nach dem heutigen
Verständnis, sondern ein Orchestrator von Mobilität und
Services. Er kann nur durch den Zusammenschluss von global
agierenden spezialisierten Unternehmen entstehen, die
Mobilität und Service für den Kunden bündeln. Heutige OEM
sind in einer solchen Konstellation gleichberechtigte Partner:
nn
Analyse Marktpotential
nn
Definition globaler Mobilitäts-Zentren mit erhöhtem
Servicebedarf
68
nn
Definition eines Serviceportfolio
nn
Aufbau eines Kooperationsnetzwerkes aus beispielsweise
Flottenverwalter, global agierende Autovermietung, TravelServices, diverse Servicedienstleister
nn
Aufbau eines globalen Customer-Centers mit lokalen
Vertretungen
5.5 Größenverteilung der Marktvolumina der
Geschäftsmodelle
Welche Marktanteile können durch die verschiedenen Geschäftsmodelle adressiert werden, und welche Mobilitäts-Typen werden
durch welches Geschäftsmodell besonders angesprochen?
Wir haben die im Laufe der Studie abgeleiteten Rahmenbedingungen, soweit wie möglich, in qualitative Aussagen
überführt und auf Basis dessen ein Marktmodell erstellt,
welches ein grundsätzliches Bild über die Marktaufteilung
2020 geben soll. Auch wenn an dieser Stelle diskrete Werte
angegeben sind, bleibt das Marktmodell natürlich eine auf
Abschätzungen beruhende Projektion.
Die Verteilung unterscheidet sich abhängig von den Märkten
deutlich, v. a. bedingt durch die sehr unterschiedliche Historie
der Industrie. Für die Triade genauso wie für die BRIC-Märkte
gilt allerdings gleichermaßen, dass wir keine blitzartige
Revolution innerhalb der Geschäftsmodelle erwarten. Die
Automobilindustrie, so wie sie sich heute gestaltet, ist zum
größten Teil dem Product Focussed Manufacturer zuzuordnen. Aus diesem Geschäftsmodell heraus werden sich die
beschriebenen neuen Geschäftsmodelle herausbilden. Gerade
in den Triade-Märkten spielt hierbei der Service Focussed
Manufacturer eine besondere Rolle – er kann evolutionär aus
heutigen Geschäftsmodellen entstehen. Der Basic Mobility
Provider ebenso wie der Mobility Service Provider zeigen zwar
in 2020 die größten Zuwachsraten, können allerdings nicht auf
einer bestehenden Infrastruktur aufbauen und werden nach
unseren Prognosen 2020 zusammen nur knapp ein Viertel des
Gesamtmarktes bedienen (vgl. Abbildung 40).
Zukunft der Mobilität 2020
Abbildung 40: Verteilung Mobilitäts-Markt nach Geschäftsmodell – Triade
Bindung von Produkt und Mobilität
Product Focused
Manufacturer
(PFM)
1%
10%
8%
40%
48%
41%
14%
Basic Mobility Provider
(BMP)
Greenovator
Silver Driver
Servicetiefe
14%
Service Focused
Manufacturer
(SFM)
13%
14%
35% 11%
1%1% 9%
44% 10%
2%
38%
HFC
10%
Family Cruiser
Mobility Service
Provider
(MSP)
12%
40%
23%
Low-End User
Sensation Seeker
Global Jet Setter
38%
23%
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
Der PFM spricht vor allem den Greenovator an, welcher
allerdings auch mit deutlichen Anteilen als Kunde der BMF und
MSP Geschäftsmodelle zu finden ist. Der SFM hingegen ist
vor allem für die Kunden interessant, die nach Services und
Dienstleistungen suchen, welche Mobilität für sich erleichtern.
Hier stellen also der High-frequency Commuter und der Silver
Driver die dominanten Gruppen dar. Erwartungsgemäß ist
der Low End User vor allem als Kunde des BMF zu finden,
allerdings sind kostengünstige Entry-Modelle durchaus auch
im Angebot des PFM zu finden. Der MSP adressiert bezogen
auf den Gesamtmarkt vor allem das Premiumsegment, die
Kundengruppen also, die hohe Ansprüche an die Mobilität und
begleitende Services stellen und das aber auch entsprechend
monetär wertschätzen.
Anders als in den Triade-Märkten ist der SFM in den BRICMärkten von vergleichsweise geringer Relevanz. Dies ist vor
allem der Untersättigung der Märkte geschuldet, die zunächst
nach Versorgung mit Fahrzeugen dursten, bevor Services
zur Erleichterung von Mobilität tatsächlich von sehr großem
Interesse sind. Der Basic Mobility Provider bietet interessante
Alternativen zum tatsächlichen Besitz eines Fahrzeugs, und
wird seinen Markt vor allem in den Megacities und Metropolen
der Emerging Markets finden. Der Mobility Service Provider
bedient fast ausschließlich die Premium-Kunden der BRICMärkte, zusammen mit weiteren Mobilitäts-Typen, die auf Grund
der geringen Relevanz bezogen auf das Gesamtvolumen im
Rahmen dieser Studie nicht betrachtet worden sind.
69
Zukunft der Mobilität 2020
6. Die Agenda für die Automobilindustrie
Klar ist – die gesamte Automobilindustrie steht vor elementaren
Herausforderungen. Der durch die CO2-Diskussion ausgelöste
und durch die globale Finanzkrise verstärkte Nachfrageeinbruch
hat mittlerweile mehrere Hersteller an den Rand der Existenz
gebracht. Allein die durch die Krise forcierten Kooperationen,
Insolvenzen oder Übernahmen werden die Struktur der globalen
Automobilindustrie nachhaltig verändern. Sicher ist zudem – jede
Krise hat ein Ende, aber als Ergebnis unserer Studie lässt sich
sagen, dass auch nach der Krise die Herausforderungen für
die verbleibenden Automobilhersteller nicht geringer werden.
Die Mega-Trends der Zukunft und die sich daraus ergebende
Charakteristik der Mobilitäts-Nachfrage weisen darauf hin, dass
das Spannungsfeld zwischen sinkenden Margen einerseits
und Abschwächung der Absatzsteigerungsraten andererseits
zu grundlegenden Veränderungen der Geschäftsmodelle in der
Automobilindustrie führen werden. Sinkende Margen werden
u. a. durch langfristig wieder steigende Rohstoffpreise, globale
Überproduktion, enorme Zusatzkosten für verbrauchs- bzw.
CO2-optimierte Antriebsformen inklusive Elektrifizierung,
sinkendes Fahrzeugbudget der Kunden, Downsizing etc.
verursacht. Eine Abschwächung der bisher prognostizierten
zukünftigen Absatzzahlen ergibt sich unter anderem durch die
wachsende Nachfrage nach flexiblen Besitzmodellen und der
sinkenden Bedeutung des Fahrzeugs als Statussymbol. Es
wird weiterhin erfolgreiche produkt- und technologieorientierte
Automobilhersteller geben, aber nur wenige werden das oben
beschriebene Spannungsfeld erfolgreich meistern können.
Insgesamt erwartet Arthur D. Little eine Ausdifferenzierung
der Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie, die sich
mehr und mehr zu einer Mobilitäts-Industrie wandeln wird.
Für die zukünftige Ausrichtung der Automobilhersteller
ergibt sich eine Agenda mit vier Kernelementen, die in den
Strategieentwicklungsprozessen der Unternehmen jetzt
Berücksichtigung finden sollten (vgl. Abbildung 41):
Definition des zukünftigen Geschäftsmodells
Im Kapitel 5 wurden vier mögliche idealtypische Geschäftsmodelle aufgezeigt. Auf Basis von genauen Strategie-Reviews
müssen die Marktteilnehmer von morgen festlegen, in
welchem Bereich innerhalb der Strategiematrix sie zukünftig
agieren wollen, und welcher Mobilitäts-Markt sowie welches
Zielkundensegment damit adressiert werden soll. Für einen
Hersteller, der heute im Premium-Segment positioniert ist, ergeben sich hierbei natürlich grundsätzlich andere Lösungsoptionen als für einen Hersteller im Low-Cost oder Entry
Segment. Eine strategische Neuausrichtung darf hierbei die
aktuelle Marke nicht verwässern und muss zudem ausreichend
Abgrenzungskriterien gegenüber dem Wettbewerb bieten.
Anpassung des Leistungsangebots
Basierend auf der Wahl des Geschäftsmodells gilt es im
Folgenden, das Produkt- und Serviceportfolio entsprechend
anzupassen. Ausgehend von heutigen Geschäftsmodellen
würde dies für den Product Focussed Manufacturer beispielsweise bedeuten, dass die kontinuierliche Verbesserung des
bestehenden Produktportfolios weiter vorangetrieben wird,
während kaum Ressourcen für den Ausbau der Services
aufgewendet werden. Für den Service Mobility Provider sind
jedoch gerade umfangreiche Services für die erfolgreiche
Positionierung auf dem Automobilmarkt entscheidend, das
Produkt hingegen fungiert in seinem Geschäftsmodell lediglich
als Bindeglied und Plattform zur Generierung der Umsatzströme.
Entsprechend groß sind die Möglichkeiten zur Verschlankung
des Produktportfolios, nicht zuletzt um die Kostenstrukturen
nicht durch hohe Investitionen zu belasten.
Abbildung 41: Handlungsfelder zur Entwicklung zukünftiger Geschäftsmodelle
Definition des
zukünftigen
Geschäftsmodells
Anpassung des
Leistungsangebots
Produkt
Idealtypische Geschäftsmodelle
Bindung von Produkt und Mobilität
Product Focused
Manufacturer
Abnehmende Bedeutung
eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes)
Servicetiefe
Service Focused
Manufacturer
Basic Mobility
Provider
Voll
integrierte
MobilitätsDienstleistungen
Fahrzeugbasierte
Dienstleistungen
Abnehmende Bedeutung
eines bestimmten MobilitätsTrägers (Produktes)
Mobility Service
Provider
Quelle: Arthur D. Little Studie „Zukunft der Mobilität 2020”
70
Anpassung der
Wertschöpfungskette
Service
Aufbau von
Kooperationen
Zukunft der Mobilität 2020
Anpassung der Wertschöpfungskette
Die Wahl des Geschäftsmodells beeinflusst maßgeblich die
Ausgestaltung der Wertschöpfungskette. Die Frage nach “Buy
the best or make the best?” entscheidet letztlich über die
Komplexität und Steuerbarkeit innerhalb des Unternehmens.
Dies wird gerade dann von entscheidender Bedeutung
sein, wenn das Leistungsportfolio signifikant um komplexe
Dienstleistungen und Services erweitert werden soll. Werden
die Unternehmensressourcen hier nicht in geeigneter
Weise auf die Kernkompetenzen konzentriert, so droht der
Verlust von Transparenz und Steuerbarkeit. Bei Erweiterung
des Leistungsangebots scheint es deswegen sinnvoller, die
Wertschöpfungskette zu verschieben bzw. teilweise auszulagern,
statt sie einfach um das neue Angebot zu ergänzen.
Aufbau von Kooperationen und Partnernetzwerk
Die aufgezeigten Geschäftsmodelle, den Product Focused
Manufacturer einmal ausgenommen, sind ohne ein umfassendes Kooperationsnetzwerk kaum denkbar. In Zukunft
werden Kompetenzen gefragt sein, die weit außerhalb der
originären Kernkompetenzen von Automobilherstellern liegen.
Je nach Geschäftsmodell und individueller Situation muss
deswegen schon frühzeitig ein geeignetes Netzwerk aus
Partnern inner- und außerhalb der Automobilindustrie aufgebaut werden. Zusammenarbeiten mit Konzernen aus dem
Logistikbereich, Energiesektor und mit großen Dienstleistern
sind hierbei denkbar.
Die Studie hat die dringende Notwendigkeit eines Umdenkens
in der Automobilindustrie aufgezeigt. Der Kunde kommuniziert
sehr deutlich, beispielsweise in Form seiner Kaufzurückhaltung
oder durch seine veränderten Produktpräferenzen, welche
Ansprüche er an die Mobilität von morgen stellt. Entscheidend
ist hierbei immer weniger, was technisch machbar ist, sondern
vielmehr was tatsächlich sinnvoll ist und benötigt wird.
Arthur D. Little hat in dieser Studie aufgezeigt, dass diese
Schlagrichtung zwar sehr wahrscheinlich zu einem Rückgang
oder zumindest zu einer Stagnation des Fahrzeugmarktes
führen wird, Wachstum und profitable Geschäftsmodelle jedoch
weiterhin durch neue Umsatzströme oder durch Konzentration
der Unterneh-mensressourcen möglich sein werden.
71
Zukunft der Mobilität 2020
Interviewte Experten
Dr. Martin Einhorn
Leiter der Marktforschung der Porsche AG
Matthias Horx
Gründer und Hauptgesellschafter des Zukunftsinstituts
Prof. Dr. Andreas Knie
Mobilitäts-Experte vom Wissenschaftszentrum in Berlin
Dr. Peter Maskus
Chef-Entwickler des Stromlinienfahrzeugs Acabion
Dr. Kurt Möser
Mobilitäts-Forscher an der Universität Karlsruhe
Carl-Ernst Müller
Inhaber der CSR-Agentur, einer Unternehmensberatung
für Corporate Social Responsibility
Johannes Reifenrath
Leiter Marketing PKW, Portfolio- und Produktstrategie
bei Mercedes Benz Cars
Dr. Christine Zach
Geschäftsführerin der Akademie des Österreichischen
Automobil-, Motorrad- und Touringclubs (ÖAMTC)
N.N.
Weitere Auto-Mobilitäts-Experten aus den Bereichen:
Strategische Planung, Marktforschung, Produktplanung,
Business Development
72
Autoren
Kontakt
Marc Winterhoff
Director, Head of Automotive & Manufacturing Central Europe
Deutschland, Schweiz und Zentral-Europa
Marc Winterhoff
+49 6117148136
[email protected]
Carsten Kahner
Principal Automotive & Manufacturing Central Europe
Dr. Christopher Ulrich
Consultant Automotive & Manufacturing Central Europe
Philipp Sayler
Consultant Automotive & Manufacturing Central Europe
Dr. Eike Wenzel
Mitglied der Geschäftsleitung Zukunftsinstitut
Zukunft der Mobilität 2020
Die Zukunft der Automobilindustrie ist grün und
nachhaltig – doch der Weg dorthin führt über
manches Schlagloch und Umwege. Die Automobilindustrie muss bereit sein, traditionelle
Strukturen zu hinterfragen und neue Wege
bezüglich Kooperationen und Geschäftsmodellen zu gehen, um die Kundenanforderungen von
morgen zu erfüllen.
Arthur D. Little
Arthur D. Little, gegründet 1886, ist führend in der Management
Beratung. Wir verbinden Strategie, Innovation und Technologie
mit profunder Industrieexpertise. Wir unterstützen unsere
Klienten mit nachhaltigen Lösungen für Probleme komplexer
Geschäfte und Prozesse. Arthur D. Little hat einen kooperativen
Arbeitsstil, außergewöhnliche Mitarbeiter und eine firmenweite
Verpflichtung an Qualität und Integrität. Das Unternehmen ist
weltweit an über 30 Standorten vertreten. Mit dem Partner
Altran Technologies hat Arthur D. Little Zugriff auf ein Netzwerk
von über 18.000 Experten. Arthur D. Little ist stolz, viele der
Fortune 100 Unternehmen weltweit zu beraten wie auch viele
andere führende Firmen und Körperschaften des privaten und
öffentlichen Sektors.
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