Brackstedter Mühle: wenn Gastgeber Gäste werden

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Brackstedter Mühle: wenn Gastgeber Gäste werden
Brackstedter
Mühle:
Gastgeber Gäste werden
wenn
In der Brackstedter Mühle konnten wir erleben, wenn
Gastrononomen, also berufsmäßige Gastgeber, Gäste werden.
»Lehrers Kinder, Pfarrers Vieh, gelingen selten oder nie.« Das
geht mir auf dem Weg in die Brackstedter Mühle durch den Kopf.
Es ist einer dieser herrlichen Herbsttage, in denen man noch
einmal Kraft tanken kann, bevor Nässe und Kälte durch alle
Ritzen kriechen. Ein ganz besonderer Kulinarisch38-Abend steht
an. Wir treffen uns zum Abendessen. Zwei Ehepaare etwa
gleichen Alters. Christiane und Elmar Schuster, also zwei
Gastronomen und ein Schreiber auf kulinarischen Pfaden mit
seiner Frau, die endlich nicht nur lesen möchte, was die
»bessere Hälfte« da an Gaumenfreuden in der Region auftut. Die
Szenerie könnte für ein Filmdrehbuch taugen. Woody Allan würde
mit einem Augenzwinkern auf die Situation blicken. Wenn
Gastronomen bei sich selbst essen gehen. Wie mag das aussehen?
Die Brackstedter Mühle ist das, was man einen Familienbetrieb
nennt. »Ich habe extra einen Tag ausgesucht, wo nicht so viel
los ist«, erzählt Christiane Schuster zur Begrüßung.
Schließlich wollten sie es sich nicht gut gehen lassen,
während der Betrieb rotiert.
Schwatzen, schlemmen und die Zeit
vergessen
Los ist trotzdem so einiges in den verwinkelten Gaststuben des
Hotels und Restaurants, in denen man es sich gemütlich machen
kann. Wir sitzen etwas abgelegen. Der Tisch ist edel
eingedeckt. Man kommt sofort wie zu Hause an. Hotelgäste
schlendern vorbei. Ein freundliches Wort. Der Tag. Das Wetter.
Und unser Vierertisch. Lehrers Kinder, glaubt man dem
Volksmund, sind nicht die besten Erzieher in eigener Sache.
Wenigstens für diesen Fall zeigt sich: Gastronomen sind
dagegen nicht nur gute Gastgeber, sondern, wie sich schnell
zeigt, auch gute Gäste. Man muss sich manchmal nicht lange
kennen, um einen Draht zu haben. Ähnliche Erlebnisse, ein
gemeinsames Buch. Und schon fließt ein Gespräch, kommen
Erinnerungen hoch. Man vergisst die Zeit. Das eigene
Servicepersonal ist zurückhaltend und präsent zugleich.
Natürlich herrscht ein vertrauterer Ton, als das normal der
Fall ist. Aber trotzdem regiert Professionalität. In der
Brackstedter Mühle passt die Stimmung zum Essen.
Bekanntes neu genießen
Das ist so, wie sich das schon bei der ersten Probe
abzeichnete: Das Essen ist gutbürgerlich und überrascht
dennoch. Mit dem Begriff gutbürgerlich ist es so eine Sache.
Er ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Das ist Schade.
Denn das Bürgertum in Deutschland und Europa pflegte vor 100
Jahren einen Lebensstil in den Städten, von dem wir nur
träumen können. Es war weltläufig und witzig. Das alles hatte
Format. So wie die Menüfolge an unserem Abend. Da gibt es
zunächst nach einem Gruß aus der Küche – ein leichtes
Roastbeef mit etwas Feldsalat – Variationen von der Ente. Zart
schmelzend die Mousse. Kross die Ententeile und überraschend
die Interpretation als Frühlingsrolle. Auf jeden Fall alles
harmonisch und lecker. Dann kommt, während wir neu
angekommenen Rotwein verkosten, ein echtes Herbstgericht. Wild
ist sowieso eine Klasse für sich. Und dieses Rehrückenfilet im
Speziellen mit Cranberrys, Steinpilzen, Rosenkohl und
Dauphinkartoffeln – so eine Art Kartoffelkrapfen – ist eine
würdige Eröffnung der Wildsaison.
Geschmackliche Idealform
Ehrlich und rein, wie Wild schmeckt, mit dieser fein herben
Note. Dazu ein Sößchen, bei dem man am liebsten gleich mit dem
Zeigefinger die Reste auftitschen möchte. Der Rosenkohl klein
und zart. Der Kinderschreck ist mit seiner markanten Note
genau der richtige Begleiter zum Reh sowie die Steinpilze, die
für mich neben den Pfifferlingen die absoluten Favoriten sind.
Auf den anderen Tellern tummeln sich Lamm und ein
Wildererspieß – Letzterer mit Medaillons vom Hirsch,
Wildschwein, Reh und Hase. Als Ehemann zum WildererspießTeller darf ich kosten und weiß deshalb, was ich das nächste
Mal nehme. Die Rosmarin-Crème-brûlée mit ihrem cremig-krossen
Zauber aus Vanille und Sahne verträgt sich bestens mit einem
Pflaumenkompott, das schon einen Hauch auf Weihnachten
preisgibt. Was wäre ein Essen ohne Espresso zum Schluss und
ein Gebrannter? Auch hier gibt es in der Brackstedter Mühle
eine große Auswahl. Zum Beispiel den Obstler aus meiner
Lieblingsbrennerei Lantenhammer. Da hat man das Obst in
geschmackliche Idealform destilliert, wie ein großer Poet das
im Gedicht schafft. Die Zeit verrauscht wie im Flug, wenn man
glücklich ist. Und wo könnte man glücklicher sein als mit
netten Menschen und einem herrlichen Essen.