Kein Folientitel - Hirsch
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Kein Folientitel - Hirsch
Hirsch Apotheke Hirsch Apotheke 100 Jahre in Familienbesitz 1. 11. 2005 Zur Geschichte der Hirsch-Apotheke, Wernigerode, unter besonderer Berücksichtigung der 100-jährigen Familientradition der Familie Runge, nach den Privatarchiven der Apotheke und der Familie, ergänzt durch mündliche Überlieferung. Zusammengestellt von Brigitte Runge, in diese Form gegossen und vorgetragen anlässlich des Empfangs am 1. November 2005 von Christopher Schlage Als „Quereinsteiger” der Familie Runge – allerdings vor fast der Hälfte der 100 Jahre – komme ich gerne den Bitten von Schwägerin und Tochter nach, mit Ihnen die letzten 100 Jahre der Hof-/HirschApotheke Revue passieren zu lassen. Dank gebührt dabei vor allem Frau Brigitte Runge für ihr intensives Aktenstudium und ihre schriftlichen Vorgaben zu diesen Ausführungen zur Geschichte der Hirsch-Apotheke, Wernigerode, unter besonderer Berücksichtigung der 100-jährigen Familientradition der Familie Runge, nach den Privatarchiven der Apotheke und der Familie, ergänzt durch mündliche Überlieferung. Vorgeschichte (1738 – 1905) (167 Jahre) Am 8. November 1737 erteilte Christian Ernst, Graf zu Stolberg-Wernigerode, dem früheren Pächter der Raths-Apotheke, Johann Georg Möller und dessen Erben das Privilegium, in Nöschenrode eine Apotheke einzurichten, wofür er jährlich 30 Thaler auf Martini einzuzahlen habe. Das Bemühen um eine zweite Apotheke hatte allerdings schon mehrere Jahre zuvor begonnen. Möller richtete das Rosenthalsche Haus Nr. 21 in Nöschenrode zur Apotheke ein (heute Nöschenroder Str. 75). Am 1. Februar 1738 wurde die Apotheke in Nöschenrode eröffnet. Sie führte den Namen “Hof-Apotheke”. Möller ließ sie durch einen Gesellen führen, er selbst blieb in Wernigerode und trieb Handel mit Arzneien. Er starb im Juli 1738. Die Hof-Apotheke wechselte mehrere Male ihren Besitzer: Von 1748 bis 1829 blieb sie über drei Generationen im Besitz der Familie Weinschenck. 1819 erbte Johann Friedrich Weinschenck die Apotheke und erhielt vom regierenden Grafen Henrich zu Stolberg-Wernigerode die Konzession für Wernigerode. Er verlegte 1820 mit Genehmigung des Grafen die Hof-Apotheke in die Stadt und zwar in das in der Burgstraße gelegene Haus des Medizinalrates Dr. Hardege, damals Haus Nr.514, seit 1885 Burgstraße 22. Dieses Gebäude ist etwas Besonderes: Nach dem großen Brand von 1751, der alle Häuser der Burgstraße und der angrenzenden Gassen zerstörte, entstand das Haus als erstes massives, aus Stein gebautes Haus. Solche Häuser wurden auf Befehl König Friedrich II. von Preußen als Brandbrecher zwischen die wieder errichteten Fachwerkhäuser gebaut. Noch mehrmals wechselten die Besitzer der Apotheke. Als letzter vor den Runges führte August Die Burgstraße Emil Wockowitz sie fast 40 Jahre lang von 1866 bis 1905. Die letzten 10 Jahre hatte er allerdings seinen Sohn Franz als Verwalter eingesetzt. 1. Generation: Franz Runge (1905 – 1932) (27 Jahre) Und nun begann die Tradition der Familie Runge, als erstes ebenfalls mit einem Franz. Franz Runge wurde am 1.3.1868 in Wesenberg bei Neustrelitz/Mecklenburg geboren. Er besuchte in Neustrelitz das Gymnasium Carolinum. Am 1. Juli 1886 begann er seine pharmazeutische Lehre in der Hof-Apotheke in Wismar und bestand 1889 in Rostock das Vorexamen mit der Note “1”. Er “konditionierte” dann in Trittau, Bielefeld und Ham-burg, wo er 1892 die große Cholera-Epidemie miterlebte. Von 1892-1894 studierte er in Jena Pharmazie und bestand dort sein Staatsexamen wieder mit der Note „1”. Anschließend diente er 1894 – 1895 in Mecklenburg-Schwerin. Nach kurzer Tätigkeit in der Apo-theke in Hecklingen, wo er seine künftige Ehefrau Anna Schumann kennen lernte, kaufte er schon am 1. Juli 1896 die Apotheke in GroßRosenburg bei Calbe/Saale. Er heiratete in Hecklingen am 17.8.1896.- In Groß-Rosenburg wurden 4 Jungen geboren, von denen 2 sehr jung verstarben. Es überlebten Walter, geb. 20.11.1898 und Günter, geb. 11.1.1903. Franz Runge Die Familie blieb in Groß-Rosenburg bis Franz Runge die Hof-Apotheke in Wernigerode am 25. 9. 1905 kaufte und am 12.10. die Konzession vom Regierungspräsidenten in Magdeburg erhielt. Zum 1. 11. 1905 übernimmt Franz Runge die HofApotheke Wernigerode. Am 15. Januar 1906 wurde ihm von Sr. Durchlaucht, dem Fürsten ErnstChristian zu Stolberg-Wernigerode das Recht bestätigt, den Titel „Hof-Apotheker” und das fürstliche Wappen im Briefkopf und auf Rechnungen zu führen, „aber nicht als Siegel und Petschaft”. Das Wappen war über der Haustür angebracht. Ein gleiches Wappen kann man heute noch bei der Fa. Gadebusch in der Breiten Straße betrachten. Wappen der Fa. Gadebusch Vom November 1905 bis April 1906 nahm Franz Runge einen gründlichen inneren und äußeren Renovierungsbau aller Geschäftsräume und der Wohnung vor (z.B. gab es vorher im Haus zum Entsetzen seiner Ehefrau keine Küche, dazu lief das Regenwasser offen durch den Hausflur und es gab nur ein Plumps-Klosett am Ende des Hofes). Das Haus erhielt eine neue Fassade und einen neuen Eingang im Renaissance-Stil nach der Burgstraße 22 im Jahre 1906 Zeichnung und unter der Leitung des bekannten Architekten Bruhns aus Wernigerode. Die linke Hälfte der unteren Etage, heute Arztpraxis, wurde herunter gelegt und ein moderner Ladenbau aufgeführt, der für 10 Jahre an den Nachbarn vermietet wurde. Seit 1903 ist Franz Runge bereits Apothekenrevisor. Anlässlich seines 25. Dienst-Jubiläums veröffentlichte sein Kollege Dr. Eduard Blell aus Magdeburg in der Pharmazeutischen Zeitung eine Laudatio, aus der zitiert sei: „Durch das Vertrauen seiner Kollegen vorgeschlagen, wurde er von der Regierung in Magdeburg wurde er am 27.10.1903, erst 35 Jahre alt, von der Regierung in Magdeburg zum pharmazeutischen Bevollmächtigten für die Revisionen der Apotheken und zum Mitglied der Prüfungskommission ernannt. Alter Destillationsaparat Von dieser Zeit an gehörte er der Magdeburger Apothekerkonferenz und dem Kreis Magdeburg-Halberstadt des Deutschen Apotheker-Vereins an. Sein reges Interesse für alle Standesfragen, sein klares Denken und seine Art der Rede lenkten bald die Aufmerksamkeit der Kollegen auf ihn, und so nahm es dann nicht wunder, dass ihn die Kollegen zu dem verantwortungsvollen Posten eines ApothekenRevisors vorschlugen. Dieses Vertrauen hat Labor vor 1971 Runge in vollem Maße gerechtfertigt. Durchaus nicht kleinlich, sondern als gerechter Beamter hat er stets die Würde des Standes als obersten Grundsatz im Auge gehabt. In den Sitzungen der Magdeburger Apotheken-Konferenz hat er des öffteren über die ihm besonders häufig vorkommenden Monita [Beanstandungen] berichtet und in seiner offenen geraden Art die Kollegen zu beeinflussen gewusst, dass sie alles daran setzten, ihre Apotheken in mustergültigem Zustand zu haben. So kann auch unser verehrter Kollege Runge an seinem heutigen Jubeltage es auf sein Konto buchen, dass in unserem Bezirk die Apotheken sich durchschnittlich in einem sehr guten Zustande befinden. Das Interesse an unseren Standesfragen blieb auch das gleiche, als er am 1. 11. 1905 nach Verkauf seiner Apotheke in Groß-Rosenburg die alte Wockowitz‘sche Hof-Apotheke in Wernigerode kaufte. Aber nicht nur als Revisor, sondern auch in anderen Ämtern hat sich Runge stets bewährt. Seit dem Jahre 1910 ist er ordentliches Mitglied der Apotheker-Kammer der Provinz Sachsen, der er schon 6 Jahre lang als stellvertretendes Mitglied angehört hatte. Möge auch sein Sohn, der ihm schon so viel Freude im Apothekerberuf machte, wenn er demnächst die väterliche Apotheke übernimmt, seinem Vater nacheifern. Wir aber danken unserem Kollegen Runge für die viele Arbeit, die er in diesen letzten 25 Jahren für uns geleistet hat und wünschen ihm, dem immer Jugendlichen, dass es ihm noch viele Jahre vergönnt sein möge, unsere Interessen zum Wohle unseres Standes zu vertreten.” Franz Runge war in Wernigerode eine bekannte Persön lichkeit, auch bekannt als „der schöne Franz”. Er war sehr selbstbewusst, hatte ein „scharfe Zunge”, die ihm der Legende nach einmal beinahe ein Duell eingebracht haben soll. Alte Presse Ein andermal ratschte er in bierseliger Abendlaune mit seinem Spazierstock die Rolläden herunter. Der Lärm brachte ihm eine Bußgeld von 5 ,- M ein. Prompt beantragte er Ratenzahlung. Er galt aber auch als sehr großzügig. Als Mitglied der Prüfungskommission prüfte er auch Ilse Brand, seine zukünftige Schwiegertochter, im pharmazeutischen Vorexamen. Als die junge Dame ihm nach bestandener Prüfung freudestrahlend um den Hals fiel, vermuteten die anderen Herren Schlimmes. Aber er soll nur lässig gesagt haben: „Meine Herren, darf ich Ihnen meine zukünftige Schwiegertochter vorstellen”. Den Nachtdienst – jeweils umschichtig mit der Raths-Apotheke – verbrachte er gerne vom gegenüber gelegenen „Deutschen Haus” aus, vor dem man so schön draußen sitzen konnte. Franz Runge starb nach kurzer, schwerer Krankheit am 16. 2. 1932 im Alter von 63 Jahren in Wernigerode, nur 4 Jahre nach der zitierten Jubiläums-Laudatio. „Riesenmörser“ 2. Generation: Günter Runge (1932 – 1971) (39 Jahre) Günter Runge wurde am 11 .2. 1903 in Groß Rosenburg geboren und kam mit knapp drei Jahren nach Wernigerode. Hier besuchte er die Mittelschule und anschließend das humanistische Fürstlich Stolbergsche Gymnasium bis zu Abitur 1921. Anschließend war er in der väterlichen Apotheke als Praktikant tätig. 1923 bestand er das pharmazeutische Vorexamen in Magdeburg mir „sehr gut”. Anschließend arbeitete er dann ein Jahr lang in der Löwenapotheke in Magdeburg als „Vorexaminierter”. Von 1924 - 1926 studierte er, wie sein Vater, in Jena Pharmazie, bestand dort das pharmazeutische Staatsexamen mit „gut” und erhielt seine Approbation als Apotheker am 6. 6. 1928. Günther Runge Bis September 1926 arbeitete er zunächst in der väterlichen Apotheke, dann in zwei Hamburger Apotheken (Holsten- und Sonnen-Apotheke) und ab 1931 in der Raths-Apotheke Dr. Blell in Magdeburg. In dieser Zeit heiratete er am 19. 9. 1931 in Halle seine Jugendliebe, die Krankenschwester Erika Schollmeyer. Beide hatten schon mit 16 Jahren in Wernigerode zusammen die Tanzstunde besucht. Nach dem Tod des Vaters waren dann beide vom 1. 3. 1932 an in Wernigerode, um die väterliche Apotheke zu übernehmen. Günther Runge Hier wurden 1934, 1937 und 1940 ihre drei Töchter Ursula, Ingeborg und Brigitte geboren. Der einzige Sohn, 1941 geboren, blieb leider nur 2 Wochen am Leben. Brigitte Ingeborg Ursula Der ältere Bruder Walter konnte die Apotheke nicht übernehmen, da er kein Apotheker war. Er promovierte als Volkswirt mit „summa cum laude” allerdings über das Thema „Die Lage des Apothekengewerbes in Deutschland unter der Herrschaft des Konzessionssystems, mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Preußen”. Günter Runge war Mitglied im Deutschen Apothekerverein ab 2. 6. 1932, in der deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. In Wernigerode trat er dem Harzklub und dem Verschönerungsverein bei. Günter Historisches Pflanzenbuch Runge wurde ein richtiger Harzer, der die Natur liebte. Als großer Naturfreund wanderte er viel mit der ganzen Familie und zeigte und erklärte seinen Kindern schon frühzeitig die Harzer Pflanzenwelt. 1938 feierte er das 200-jährige Apothekenjubiläum. Aus diesem Anlass ließ er den handgeschmiedeten Ausleger am Apothekengebäude anbringen, der auch heute noch hoch neben dem Hauseingang hängt, schon damals mit dem Hirsch-Wappen geziert, allerdings wurde 1950 das Wort „Hof” durch die Darstellung eines Hirsches ersetzt. Günter Runge arbeitet schon damals mit der Apotheken-Buchstelle in Magdeburg zusammen, deren Nachfolgeeinrichtung die heutige Treuhand Hannover GmbH ist. Günter Runge hatte nach 1945 als Privatapotheker sehr schwierige Zeiten durchzustehen. Er war gewohnt, seine Warenbestellung abends in den Briefkasten zu stecken um am nächsten Tag – z. B. von der Fa. Kehr aus Halberstadt –, beliefert zu werden. Dieses System der Warenbelieferung änderte sich grundlegend. Die zeitlichen Abstände der Lieferungen verlängerten sich, erst auf zweimal, dann auf nur einmal pro Woche, so dass das Warenlager stark erhöht werden musste. Offizien vor 1971 Natürlich brachte das finanzielle Probleme mit sich. Da er ein absoluter Gegner des Schuldenmachens war, steckte er jeden Pfennig in die Apotheke und kündigte sogar vorfristig seine Lebensversicherung. So schaffte er es, seine Apotheke zu erhalten. Es kamen dann auch wieder bessere Zeiten. 1949 wurde er anonym in einem Artikel „Unter der Lupe“ vom 1. 10. in der Volksstimme scharf angegriffen wegen des Die Hof-Apotheke in der Burgstraße Namens seiner „Hof“Apotheke: „Im schönen Städtchen Wernigerode gibt es eine Hof-Apotheke. Das ist keine Apotheke, die sich nicht auf dem Hof befindet, sondern einmal in dunkler Vorzeit den fürstlichen Hof belieferte. Wie doch die Menschen an alten Überlieferungen hängen, auch dann, wenn diese Überlieferungen nichts wert sind! Aber haben nicht noch viele Menschen ihre Hof-Apotheke im Kopf? Denken sie nicht noch gerne an eine Zeit, die uns Schritt für Schritt dem Faschismus in die Arme trieb, die das Unglück heraufbeschwor, das wir wiederum nur Schritt für Schritt überwinden können? Begann nicht auch die Zeit nach dem 1.Weltkrieg mit solchen Traditionen, mit Krieger- und Schützenvereins-Rummel, mit Paradeschritt und Militärmusik? Wir sollen doch aus den Fehlern der VerDie Hirsch-Apotheke im Jahr 2000 gangenheit lernen und nicht Traditionen pflegen, die Keimzellen des Unglücks sind. Nicht wie in der Vergangenheit den Höfen, sondern wie in der Gegenwart der werktätigen Bevölkerung gedient wird, darauf kommt es an. Nicht wahr, liebe Hof-Apotheke?“ Darauf setzte ein Kesseltreiben ein. Schreiben von Gesundheitsamt und Gewerbelenkung des Rates des Landkreises Wernigerode und vom Rat der Stadt – Liegenschaftsamt – trafen ein und forderten eine Namensänderung. Man rät ihm zu „BurgApotheke“. Günter Runge entschließt sich aber zu dem Namen „Hirsch-Apotheke“, weil der Hirsch als Wappentier des Fürstenhauses im Inneren der Apotheke, in der Offizin, über der Tür zum Büro und außen im Ausleger bereits vorhanden ist. Damit bleibt die Tradition der Hof-Apotheke gewahrt. Ab 1950 gilt also der offizielle Name Die Hirsch-Apotheke im Jahr 2005 „Hirsch-Apotheke“. 1961 wurde Günter Runge der Titel „Pharmazierat“ verliehen „In Anerkennung langjähriger Tätigkeit und vorbildlicher Leistungen auf dem Gebiet der Pharmazie“. Er war zu dieser Zeit fast 30 Jahre Inhaber der Apotheke. Er spöttelte damals gern und meinte „Die Räte-Republik ist ausgebrochen“, denn es gab ja auch noch Medizinalräte, Sanitätsräte u.a. Räte. Oder er verballhornte den Titel zu „Pharmazies‘chenRat“. Zies’chen nannte man in alten Zeiten die von ihm besonders geschätzten Bockwürste von Würstchen-Heine in Halberstadt. 1968 erkrankte Günter Runge, so dass er bald seiner Leitungstätigkeit in der Apotheke kaum noch nachkommen konnte. Glücklicherweise konnte seine jüngste Tochter Brigitte, die seit 1966 als seine Stellvertreterin mit ihm zusammenarbeitete, seine Aufgaben so weit nötig übernehmen. So änderte sich nach außen hin nichts an dem Betrieb der Apotheke, bis Günter Runge am 4. 3. 1971 verstarb. Am 1. 4. 1971 begann dann offiziell mit Brigitte die dritte Runge- Generation. 3. Generation: Brigitte Runge (1971 – 2005) (34 Jahre) Brigitte Runge wurde am 26. 5. 1940 in Wernigerode geboren. Sie besuchte von 1946 bis 1954 die ThomasMüntzer-Schule und anschließend die GerhartHauptmann-Oberschule in Wernigerode bis zum Abitur 1958. Da sie wie ihre beiden älteren Schwestern nicht zum Studium zugelassen wurde (beide gingen schließlich nach West-Berlin um Pharmazie (Ingeborg) bzw. Medizin (Ursula) zu studieren), begann sie am 1. 9. 1958 in der väterlichen Apotheke die Lehre als Apothekenhelferin. Sie besuchte die kaufmännische Berufsschule „Sophie-Scholl“ in Halberstadt und bestand die Abschlussprüfung 1960 mit der Note „1“. Brigitte Runge Während des ersten Lehrjahres bewarb sie sich 1959 nochmals an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg für das Pharmaziestudium und erhielt auf Grund der gerade herrschenden „Weichen Welle“ die Vorimmatrikulation für das Studienjahr 1960. So konnte sie am 1. 9. 1960 das Pharmaziestudium aufnehmen. Das erste Studienjahr (Vorpraktikum) absolvierte sie in der Löwen-Apotheke in Halle. Der Chef der Apotheke, Dr. Alfred Steinbicker, hatte seinerzeit sein Praktikum beim Großvater Franz Runge gemacht. Die praktischen und menschlichen Erfahrungen aus den zwei Lehrjahren beim Vater und der phantastische Chemie-Unterrricht in der Berufsschule kamen ihr sehr zugute. So waren die beiden Lehrjahre keine verlorene Zeit. 1965 bestand sie das Staatsexamen mit der Note „gut“. Nach dem Kandidatenjahr 1960/61 in der Apotheke am Käthe-Kollwitz-Platz in Halberstadt erhielt sie im September 1966 die Approbation als Apotheker. Ab 1966 arbeitete sie dann als stellvertretende Apothekenleiterin in der väterlichen Apotheke in Wernigerode. So hielt sie den Eltern vor Ort die Treue, während ihre Schwestern in „Afrika und Amerika“ lebten: Ingeborg war 1963, Die Apotheke vor 1971 nach dem Studium der Pharmazie in Marburg, ihrem amerikanischen Verlobten in die USA gefolgt, Ursula lebte mit ihrer Familie 1965 – 1969 in den Usambara-Bergen / Tansania. Nach dem Tode von Günter Runge im März 1971 stellte Brigitte beim Rat des Kreises – Abteilung Gesundheitswesen – den Antrag auf private Übernahme der Apotheke. Zum 1. 4. 1971 wurde ihr zunächst die Leitung des Betriebes bis zur endgültigen Klärung der Leitungsverhältnisse übertragen. Die erste Reaktion auf ihren Antrag erhielt sie nach 4 Monaten im September 1971. Ein mit dunkler Sonnenbrille versehener Mitarbeiter der Abteilung Gesundheitswesen Offizien vor 1971 überbrachte ihr eine kurze schriftliche Mitteilung, dass sie mit einer Genehmigung des Antrages nicht rechnen könne. Auf ihre Frage nach der Begründung hieß es, man wolle eben keine Privat-Apotheken mehr. Nach vielen Verhandlungen mit dem Rat des Bezirkes, dem Finanzamt und viel Ärger mit dem Wohnungsamt wurde die Hirsch-Apotheke zum 1. 1. 1972 in das staatliche Apothekenwesen übernommen. Gleichzeitig wurden Haus und Grundstück an den Rat des Kreises, Abt. Gesundheitswesen, verkauft. Brigitte Runge wurde als Leiterin der Apotheke eingesetzt. Gleichzeitig wurde der Witwe von Günter Runge Wohnrecht auf Lebenszeit und Brigitte Runge das Wohnrecht im Hause für die Dauer ihrer Tätigkeit im Apothekenwesen des Kreises eingeräumt. Von 1973 - 1975 fand ein großer Umbau statt: ein Hintergebäude wurde abgerissen, das Innere des Offizien vor 1971 Hauses weitgehend um gestaltet. Drei große Schornsteine wurden abgerissen, ein neuer gebaut, Eingangsbereich, Offizin, Treppenhaus und Wohnung wurden gründlich verändert und eine Gas-Zentralheizung eingebaut. Viele Wernigeröder Firmen waren daran beteiligt. In der Bauzeit wurden die Räume der heutigen Arztpraxis provisorisch für die Apotheke genutzt, es waren zwei Jahre mit großer Belastung für Belegschaft und Bewohner, aber es gab keine längere Schließung. Am 3. November 1975 wurde die modernisierte Apotheke mit völlig neuer Einrichtung wieder eröffnet. Das Apothekenwesen veränderte sich im Laufe der Jahre, zunächst wurde es 1975 zum „Versorgungszentrum für Pharmazie und Medizintechnik Wernigerode“, dann zum „Pharmazeutischen Zentrum Wernigerode“. Damit wurden Möglichkeiten für selbständige Entscheidungen der Apothekenleiter immer mehr eingeschränkt, sie erhielten die Position von abhängigen Abteilungsleitern. Sogar die Etiketten für individuelle Rezepturen wurden abgeschafft. Sie enthielten nicht mehr den Apotheken-Namen, nur „Pharmazeutisches Zentrum Wernigerode“ und eine Nummer (die Hirschapotheke war Nr.11). Sozialistischer Wettbewerb und der Kampf um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ waren angesagt. Ein Zeugnis dafür geben die Brigadebücher, die jährlich zur Beurteilung eingereicht werden mussten. Offizien 2005 Am 8. 11. 1987 feierte die Hirsch- (Hof-)Apotheke ihr 250-jähriges Bestehen. Es wurde ein großer Tag mit vielen Gratulanten für die Apotheke und mit vielen Überraschungen für die Patienten. Mitarbeiterinnen hatten Johanniskrautöl, Ringelblumensalbe, Majoranbutter, ein Schnäpschen und die berühmten Morsellen hergestellt. Kleine Standgefäße und Schraubgläser wurden mit Gewürzetiketten versehen und verkauft. Alte Geräte wurden ausgestellt und für das leibliche Wohl gesorgt. Gitzes Belegschaft 1987 Zwei Jahre danach kam „die Wende“. Brigitte Runge reichte am 14. 3. 1990 als erste im Kreis Wernigerode beim Kreisapotheker den Antrag auf Privatisierung der Hirsch-Apotheke ein und stellte im Rathaus am 17. 4. 1990 den Antrag auf Rückkauf des Hauses. Letzteres gelang ihr zum 19. 6. 1990, 14 Tage vor der Währungs-Union. Die Apotheke konnte sie von der Treuhand Berlin zurückkaufen und ab 1.10.1990 als erste Wernigeröder Apotheke wieder privat führen. Die Mitarbeiterinnen wurden selbstverständlich alle übernommen. Die Monate bis zur Privatisierung waren sehr turbulent und aufregend und würden, in allen Einzelheiten erzählt, für sich ein ganzes Buch füllen. Die Familie stand ihr dabei immer treu zur Seite. Besonders hilfreich war dabei z.B. der Verzicht beider Schwestern auf ihr Erbteil bereits zu DDR-Zeiten. 1991 begann noch einmal eine rege Bautätigkeit: Erneuerung der Heizung (aus einer wurden drei mit einem Bruchteil des Gasverbrauches), Umbau der Räume für die Arztpraxis, Errichtung eines Zwischenbaus zwischen Nebengebäude und Haupthaus, Erneuerung der sanitären Anlagen, Umbau und Verlegung von Rezeptur und Labor, Neugestaltung der Offizin und der anschließenden Räume, Einbau eines Aufzuges, Neugestaltung von Büro einschl. Nachtdienstzimmer, Frühstücksecke und Apothekenküche. Die Apotheke im Jahr 2005 Am Ende war alles verändert, Haus und Hof in das Schmuckstück verwandelt, das wir heute vorfinden. Im Mai dieses Jahres wurde Brigitte Runge 65 Jahre alt und übergab die Apotheke zum 1.6. an ihre Nichte Dr. Christina Schlage und damit an die 4. Generation der Familie Runge. Nach 40 Jahren bewegten Apothekerdaseins mit vielen einschneidenden Veränderungen genießt sie nun seit 5 Monaten den wohlverdienten Unruhestand. 4. Generation: Dr. Christina Schlage (ab 2005 ) Christina Schlage wurde am 1. April 1966 in Bumbuli / Tansania geboren. Ihre Mutter, Ursula Schlage, geb. Runge, älteste Tochter von Günter Runge, hatte während ihres Medizin-Studiums in West-Berlin 1958 den Chemie-Studenten Christopher Schlage kennengelernt, den sie 1960 – standesamtlich in Saarbrücken und kirchlich in Wernigerode – heiratete. Mit ihm ging sie schließlich nach Tansania wo ihr Mann als Lebensmittelchemiker von 1965 bis 1969 am Aufbau eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes beteiligt war. Dort wurde dann auch als drittes von vier Kindern in Bumbuli (Usambara-Berge) ihre Tochter Christina geboren. Dr. Christina Schlage Nach dem Besuch verschiedener Schulen in Deutschland beendete Christina Schlage ihre Schulzeit 1985 mit dem Abitur am Gymnasium Osterholz-Scharmbeck bei Bremen. Auf ein Freiwilliges Soziales Jahr folgte 1986 in Frankfurt/Main ihre Ausbildung zur Krankenschwester, als die sie anschließend 1 Jahr lang am RotKreuz-Krankenhaus in Bremen arbeitete. Ihr anschließendes Pharmaziestudium in Würzburg 1990 - 1995 unterbrach sie für 1 Semester mit einem Praktikum in der Krankenhaus-Apotheke eines MissionsHospitals im Süden Tansanias, nach dem Studium absolvierte sie Gitzes Belegschaft 2005 ihr praktisches Jahr 1995/6 an der Krankenhausapotheke des Royal London Hospital und in der St. Laurentius-Apotheke in Zell/Main. Ihre Approbation erhielt sie 1996. Nach einem Jahr an der St. Sebastian-Apotheke in Eibelstadt bei Würzburg begann sie 1997 einen vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanzierten Forschungsaufenthalt in Soni/Tansania, ganz in der Nähe ihres Geburtsortes, um in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit lokalen Heilern traditionelle Heilpflanzen und Informationen über ihre Anwendungen zu sammeln. Daraus resultierte ihre Dissertation als Stipendiatin des Evangelischen Studienwerkes Villigst am Institut für pharmazeutische Biologie über ethnobotanische, phytochemische und biologischpharmakologische Untersuchungen von Heilpflanzen der Usambara-Berge, mit der sie 2002 mit „Magna cum laude“ promoviert wurde. In Freiburg lernte sie auch beim gemeinsamen Singen in einem Kammerchor den Mathematiker JanChristoph Puchta kennen, den sie 2002 heiratete. Das „Schaufenster“ der Apotheke 2005 Seit 2002 arbeitete Dr. Christina Schlage bereits in Teilzeit in der Apotheke ihrer Tante Brigitte Runge. Mit deren Ausscheiden aus dem aktiven Erwerbsleben übernahm sie in vierter Generation die Leitung der Hirsch-Apotheke in Wernigerode am 1. Juni 2005. Rückblick: Vor Familie Runge gab es noch keine Familie, die in den fast 270 Jahren ihres Bestehens der Hof- bzw. Hirsch-Apotheke über 100 Jahre und über vier Generationen die Apotheke führen konnte. Besonders bemerkenswert erscheint dabei die Vielzahl der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Hofbzw. Hirsch-Apotheke in den letzten 100 Jahren existierte: 1905 – 1919 (14 Jahre) Kaiserzeit (davon 4 ½ Jahre 1. Weltkrieg) 1919 – 1933 (14 Jahre) Weimarer Republik (Weltwirtschaftskrise, Inflation, Währungsreform!) 1933 – 1945 (12 Jahre) Drittes Reich/ Faschismus, davon 5 ½ Jahre 2. Weltkrieg) 1945 – 1971 (26 Jahre) als Privat- Apotheke in der Sowjetischen Besatzungszone/ der Deutschen Demokratischen Republik (Währungsreform, Namensänderung) 1972 – 1990 (18 Jahre) als staatliche Apotheke in der Deutschen Demokratischen Republik seit 1990 (bisher 15 Jahre) wieder privat geführte Apotheke in der Bundesrepublik Deutschland (Währungsreform!) Quellen: (1) Chronik der Hof-Apotheke, Wernigerode (im Besitz der Raths-Apotheke Wernigerode) (2) G. von Gynz-Rekowski, B. Runge: Chronik der Hirschapotheke anlässlich ihres 250-jährigen Bestehens. Pharmazeutisches Zentrum Wernigerode 1988. (3) Privat- Archiv der Hirsch-Apotheke, Wernigerode (4) Privat- Archiv Familie Runge, Wernigerode Offizin 2005 Verkauf von Apothekenstandgefäßen zu Gunsten der Kirchturmuhr der Liebfrauenkirche Christina an ihrem eigenen Arbeitsplatz