Berechtigtes Interesse an Einsichtnahme in das

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Berechtigtes Interesse an Einsichtnahme in das
OLG München, Beschluss v. 08.06.2016 – 34 Wx 168/16
Titel:
Berechtigtes Interesse an Einsichtnahme in das Grundbuch des Nachbargrundstückes
wegen Beeinträchtigungen durch Bauarbeiten an einer Grenzmauer
Normenketten:
BGB § 1004 Abs. 1, § 883 Abs. 1
GBO § 12 Abs. 1, Abs. 3
GBV § 46 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
Ein berechtigtes Interesse an Einsicht in das Grundbuch kann auch dann vorliegen, wenn sich ein
Antragsteller - etwa wegen Beeinträchtigungen durch Bauarbeiten an einer Grenzmauer Aufschluss über die künftigen, durch Eigentums-(Auflassungs-)Vormerkung gesicherten
Nutzungsberechtigten des Nachbargrundstücks verschaffen will. (amtlicher Leitsatz)
Auch der Erwerber eines Grundstücks kann neben dem Eigentümer oder an dessen Stelle
Anspruchsgegner iSd § 1004 BGB sein, wenn er bei wertender Betrachtung als Störer anzusehen ist
(Anschluss an BGH BeckRS 2015, 03448 Rn. 15 und BGH BeckRS 2011, 08509 Rn. 12).
(redaktioneller Leitsatz)
Der Grundstücksnachbar kann Einsicht in die Zweite Abteilung des Grundbuchs verlangen, wenn er
konkrete, in der räumlichen Nähe seines Grundstücks begründete Umstände darlegt, die sein
berechtigtes Einsichtsinteresse ergeben (Fortführung von OLG Karlsruhe BeckRS 2015, 10335 Rn.
10). (redaktioneller Leitsatz)
Ein berechtigtes Interesse kann auch darin bestehen, sich durch Grundbucheinsicht Aufschluss
über potentielle, durch eine Auflassungsvormerkung gesicherte Erwerber zu verschaffen.
(redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grundbucheinsicht, Nachbargrundstück, Störer, Eigentumsbeeinträchtigung, Auflassungsvormerkung,
Grundbuchbeschwerde
Vorinstanz:
AG Deggendorf Beschluss vom 27.04.2016unbekannt
Fundstellen:
ZfIR 2016, 586
LSK 2016, 10884
Tenor
I.
Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf - Grundbuchamt vom 27. April 2016 aufgehoben.
II.
Das Amtsgericht Deggendorf - Grundbuchamt - wird angewiesen, den Beteiligten Grundbucheinsicht in die
Zweite Abteilung der Wohnungsgrundbücher von Deggendorf Bl. ... und Bl. ..., in Form der Erteilung von
Abschriften zu den dort eingetragenen Auflassungsvormerkungen, jeweils lfde. Nr. 2, zu gewähren.
Gründe
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I. Die Antragsteller, ein Ehepaar, sind Eigentümer eines bebauten Grundstücks. Sie begehrten unter dem
1.4.2016 Einsichtnahme in das Grundbuch eines Nachbargrundstücks mit der Begründung, es sei durch
dortige Bauarbeiten zu einer unzulässigen Aufschüttung im Grenzbereich gekommen. Dadurch werde ihre
Grenzmauer erheblich beeinträchtigt. Es sei beabsichtigt, Ansprüche wegen Eigentumsbeeinträchtigung
geltend zu machen. Es werde vermutet, dass das Nachbargrundstück in Wohnungseigentum aufgeteilt
worden sei. Das Gebäude sei noch nicht vollständig errichtet, die zukünftigen Eigentümer seien
möglicherweise noch nicht im Grundbuch als solche eingetragen. Ihnen gehe es darum zu wissen, wer
Käufer von Eigentumswohnungen seien, da diese bereits sachenrechtlich eine Anwartschaft erworben
hätten. Jedenfalls müssten ihnen auch die bereits eingetragenen Vormerkungsberechtigten mitgeteilt
werden, um gegen sie als Zustandsstörer vorgehen zu können.
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Das Grundbuchamt - Urkundsbeamtin - hat zunächst am 11.4.2016 einen sogenannten ALB-Ausdruck (=
Flurstücks- und Eigentümerauskunft) erteilt. Weitergehende Auszüge und Auskünfte betreffend etwaige
Eigentumsvormerkungsberechtigte hat es verweigert. Als Handlungsstörer sei der Eigentümer anzusehen,
das bleibe auch nach einer Veräußerung so.
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Das als Erinnerung behandelte Rechtsmittel der Beteiligten hat die Rechtspflegerin des Grundbuchamts mit
Beschluss vom 27.4.2016 zurückgewiesen. Ansprechpartner für die Geltendmachung von Ansprüchen auf
Beseitigung der Störung sei der Eigentümer des betreffenden Grundstücks. Es sei nicht ersichtlich,
inwieweit hier ein Vormerkungsberechtigter Zustandsstörer sei, indem er Einfluss auf die Bauarbeiten
nehmen könnte, um die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks zu beseitigen. Ein berechtigtes Interesse
an der gewünschten Auskunft sei daher nicht nachvollziehbar.
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Hiergegen richtet sich das als Erinnerung bezeichnete Rechtsmittel der Beteiligten vom 28.4.2016. Sie
begründen es damit, dass Ansprüche gegen die (Eigentums-)Anwartschaftsberechtigten geltend gemacht
werden sollen. Ob dies materiellrechtlich begründet sei, habe nicht der Grundbuchrechtspfleger zu prüfen.
Der aus dem Grundbuch ersichtliche Anwartschaftsinhaber könne sehr wohl Einfluss auf die Baufirma bei
mangelhafter Errichtung einer Grenzeinrichtung nehmen.
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Das Grundbuchamt hat nicht abgeholfen. Ein berechtigtes Interesse an der begehrten Einsicht sei nicht zu
erkennen.
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II. Gegen die Entscheidung der Rechtspflegerin als für die Führung des Grundbuchs zuständiger Person,
die die teilweise Versagung von Grundbucheinsicht durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bestätigt
hat (§§ 12, 12c Abs. 1 Nr. 1 GBO), ist nach § 12c Abs. 4 Satz 2 GBO i. V. m. § 11 Abs. 1 RPflG, § 71 Abs. 1
GBO die Grundbuchbeschwerde statthaft. Als solche ist das als Erinnerung bezeichnete und unmittelbar an
das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht gerichtete Rechtsmittel auszulegen, das auch im Übrigen
zulässig ist (§ 73 Abs. 1 und 2 GBO, § 10 Abs. 2 Satz 1, § 11 FamFG).
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1. Die Beschwerde erweist sich als begründet.
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a) Gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 3 GBO, § 1 WGV i. V. m. § 46 Abs. 1 GBV ist die Einsicht des (Wohnungs)Grundbuchs und der Grundakten jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Ausreichend, aber
auch erforderlich ist dafür, dass der Antragsteller ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes also nicht unbedingt rechtliches, sondern auch tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches (OLG
Zweibrücken NJW 1989, 531; Grziwotz MDR 2013, 433) - Interesse verfolgt (Schmid DWE 2014, 145). Das
setzt voraus, dass bei verständiger Würdigung des Einzelfalls und nach dem gewöhnlichen Verlauf der
Dinge mit der Einsichtnahme Erkenntnisse gesammelt werden, die für den Antragsteller aus sachlichen
Gründen für sein künftiges Handeln erheblich erscheinen. Das Interesse des Eigentümers oder von
sonstigen Grundstücksberechtigten am Schutz persönlicher und wirtschaftlicher Geheimnisse ist dabei in
jedem Einzelfall gegen das Interesse des Antragstellers an der Kenntnisgewinnung abzuwägen (allg.
Ansicht; vgl. BayObLG Rpfleger 1998, 338; OLG Oldenburg Rpfleger 2014, 131; OLG Stuttgart DNotZ
2011, 286; Demharter GBO 30. Aufl. § 12 Rn. 7; Meikel/Böttcher GBO 11. Aufl. § 12 Rn. 6 und 9;
KEHE/Keller GBO 7. Aufl. § 12 Rn. 5; aus der Senatsrechtsprechung z. B. Beschluss vom 11.1.2016, 34
Wx 333/15 juris; vom 9.2.2015, 34 Wx 43/15 = NJW 2015, 1891).
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b) Im Verhältnis zu Grundstücksnachbarn gilt, dass die Stellung als Eigentümer des Nachbargrundstücks
allein kein Einsichtsrecht gibt (OLG Karlsruhe FGPrax 2015, 202; OLG Köln RNotZ 2010, 203; Demharter §
12 Rn. 12; Hügel/Wilsch GBO 3. Aufl. § 12 Rn. 69). Anders ist dies aber, wenn konkrete, in der räumlichen
Nähe begründete Umstände dargelegt werden, aus denen das Interesse abgeleitet wird (OLG Karlsruhe,
OLG Köln, Hügel/Wilsch je a. a. O.). Dazu zählt etwa ein drohender Nachbarschaftskonflikt wegen einer
geplanten Bebauung (OLG Karlsruhe MDR 2013, 966). In solchen Fällen kann aber auch ein berechtigtes
Interesse bestehen, sich Aufschluss über den künftigen Nutzungsberechtigten des Nachbargrundstücks
durch Einsicht in die Zweite Abteilung des Grundbuchs zu verschaffen (Böhringer Rpfleger 1987, 181/186).
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c) Dies ist hier hinsichtlich potentieller und schon dinglich gesicherter Erwerber (§ 883 Abs. 1 BGB) von
Wohnungseigentum zu bejahen.
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aa) Die Antragsteller haben dargelegt, neben dem derzeitigen, ihnen mit Namen und Anschrift
zwischenzeitlich mitgeteilten, Eigentümer des Nachbargrundstücks auch Erwerber von bereits gebildetem
Wohnungseigentum als Störer in Anspruch nehmen zu wollen. Dies stellt ein verständiges, nämlich durch
die Sachlage gerechtfertigtes Interesse dar, welches die darauf bezogene Grundbucheinsicht rechtfertigt.
Denn neben dem Eigentümer oder an dessen Stelle kommen auch andere Personen, die Besitzer oder
sonst Nutzungsbefugte des Grundstücks sind, grundsätzlich als „Störer“ und damit als Anspruchsgegner i .
S. v. § 1004 BGB in Frage (vgl. BGH vom 1.4.2011, V ZR 193/10, juris - Orientierungssatz 2; NJW 1998,
3273; Palandt/Bassenge BGB 75. Aufl. § 1004 Rn. 19). Ob sie tatsächlich für die bezeichnete Aufschüttung
in Anspruch genommen werden können, bedarf an dieser Stelle keiner Klärung.
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bb) Bei der Bestimmung der Störereigenschaft nach § 1004 Abs. 1 BGB geht es um die Zurechnung von
Ursachen, die in Eigentumsbeeinträchtigungen einmünden (vgl. BGH NJW 2015, 2027 Rn. 13 m. w. N.),
und damit letztlich um den Zuschnitt von Verantwortungsbereichen. Die Störer eigenschaft hängt nicht nur
von den eigentums- oder besitzrechtlichen Verhältnissen ab (BGH NJW 2011, 739 Rn. 11). Vielmehr kommt
es auch auf die Beherrschung der Störungsquelle und auf die Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung an
(BGH NJW 2007, 432 Rn. 13 f.). Bei der Verursachung von Störungen durch eine Handlung - etwa bei der
Errichtung oder Umgestaltung des Nachbarbauwerks und seiner Außenanlagen nach bestimmten
Wünschen des Erwerbers - ist es nicht ausgeschlossen, dass bereits einem Erwerber die Störereigenschaft
aufgrund einer wertenden Betrachtung zukommt (vgl. BGH NJW 2015, 2027 Rn. 15; Greiner ZMR 2015,
356). Sind in einem Kaufvertrag auf Käuferwunsch etwa entsprechende Regelungen für die Gestaltung von
Grenzanlagen getroffen, so kann damit bereits eine adäquate Ursache für die Störung gesetzt sein. Der
Bundesgerichtshof lässt dies zwar in aller Regel nicht bereits für die Verantwortlichkeit des Käufers
genügen (BGH NJW 2015, 2027 Rn. 17). Zu beachten ist aber, dass die genannte Entscheidung eine Pflicht
im Innenverhältnis der Wohnungseigentümer betrifft und im Verhältnis zu dem außenstehenden Nachbarn
anderes gelten kann. Im Hinblick auf die regelmäßig nur in wertender Betrachtung vorzunehmende
Zurechnung von Störungen (BGH NJW 2007, 432 Rn. 14) kann nicht im Vorhinein ein berechtigtes
Interesse, die Personalien eines potentiellen Anspruchsgegners über die Grundbucheinsicht zu erfahren,
verneint werden. Denn das Grundbuchamt und im Beschwerdeverfahren der Senat wären nicht befugt, mit
der Berechtigung zur Einsichtnahme eine Vorauswahl über potentielle Anspruchsgegner zu treffen.
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cc) Es kann auf sich beruhen, ob allein eine aus dem Grundbuch ersichtliche Vormerkung, die einen
Erwerbsanspruch absichert, wegen von diesem Grundstück ausgehender Störungen ein berechtigtes
Interesse des Nachbarn an der begehrten Einsicht gibt oder ob dazu weiter gehend ein tatsächlicher Bezug
des Erwerbers zum Grundstück - etwa durch Übergang des Rechts auf Nutzung (vgl. BGH NJW 1998,
3273) - nach außen ersichtlich sein muss, der es rechtfertigt, diesen in den Kreis potentieller Störer
einzubeziehen (BGH a. a. O.). Üblicherweise - aber nicht nur - erlangt der Käufer von Wohnungseigentum
erst Besitz durch willentliche Übergabe (vgl. BGH WuM 2016, 185). Indessen fehlt es hier trotz des von den
Antragstellern beschriebenen baulichen Zustands (“noch nicht vollständig errichtet“) jedenfalls wegen der
aus den Grundakten ersichtlichen zeitlich festgelegten Fertigstellungstermine (siehe jeweils Ziff. III. 5. der
Bauträgerverträge) nicht an der Nähe der Erwerber zu einer tatsächlichen Sachbefugnis.
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2. Einblick ist im beantragten Umfang dadurch zu gewähren, dass den Antragstellern - beglaubigte (siehe
OLG Karlsruhe MDR 2013, 966/967) - Auszüge aus der jeweiligen Zweiten Abteilung der
Wohnungsgrundbücher über bereits eingetragene Vormerkungen (Bl. 10123 Nr. 2; Bl. 10125 Nr. 2; siehe
dazu Meikel/Böttcher GBO 10. Aufl. § 45 GBV Rn. 1 und 5) erteilt werden. Im Übrigen legt der Senat den
Antrag dahin aus, dass zusätzliche Auskünfte, etwa in Form eines sogenannten Negativzeugnisses, also
die Auskunft, dass entsprechende Einträge nicht vorhanden sind (Meikel/Böttcher § 45 GBV Rn. 6), nicht
begehrt werden, zumal daran kein Interesse ersichtlich ist. Dazu wäre das Grundbuchamt auch nicht
verpflichtet.
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Einsicht auch in die Grundakten wurde bisher nicht begehrt. Der Senat merkt an, dass aus den dargelegten
Gründen Einsicht in die Grundakten jedenfalls auch insoweit gewährt werden müsste, als sie sich auf die
aus den Erwerbsurkunden ersichtlichen Anschriften der Käufer von Wohnungseigentum bezieht (§ 12 Abs.
1 GBO, § 46 Abs. 1 und 3 GBV).
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3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtsgebühren fallen nicht an (§ 25 Abs. 1 GNotKG i. V.
m. § 22 Abs. 1 GNotKG). Eine Kostenerstattung kommt im gegenständlichen - einseitigen - Verfahren nicht
in Betracht.