Die Frau als Schriftstellerin- Eine Annäherung an Hélène Cixous

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Die Frau als Schriftstellerin- Eine Annäherung an Hélène Cixous
Die Frau als Schriftstellerin- Eine
Annäherung an Hélène Cixous
Nastasja Stupnicki
Universidad de Viena, Austria
„Schreiben ist für mich der Atem. Das Atmen, eine ebenso
dringende Notwendigkeit wie das Bedürfnis aufzustehen,
zu berühren, zu essen, zu umarmen und auszuscheiden.
Wenn ich nicht schreibe, ist es, als wäre ich tot“.1
Hélène Cixous` Biographie ist für das Verständnis
ihrer Arbeit wesentlich, da sie Auslöser und kreativer
Motor ihres Schreibens darstellt. So rekurriert sie in ihrem
Schreiben immer wieder auf ihre eigenen lebensweltlichen
Erfahrungen und thematisiert diese. Gleichzeitig sieht
sie ihre Texte als Teile ihres Lebens. “[...] to me my texts
are elements of a whole which interweaves my own
story, are the seasons, days in the Great Year of my life”.2
Obwohl in einigen europäischen Ländern hauptsächlich
als Philosophin und Literaturwissenschaftlerin bekannt,
hat sie auch ein erhebliches literarisches Werk geschaffen,
das allerdings im deutschsprachigen Raum weniger
bekannt ist.
Bis zum heutigen Tag des Jahres 2010 ist sie Professorin
für Literatur an der Faculté des Lettres, Sorbonne, Paris,
die für sie im Oktober 2010 eine Homage veranstaltete.
Hélène Cixous, Die unendliche Zirkulation des Begehrens, Merve Verlag
Berlin, 1977, p. 8.
2 Susan Sellers Hrsg., The Hélène Cixous Reader, Routledge London, 1994, p. XV.
1
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Während ihrer universitären Laufbahn wurde sie
unter anderem auch von der Universität von Alberta und
der Queen´s University in Kanada, sowie der Universität
von York in England mit Ehrentiteln ausgezeichnet.
2009 überreichte man ihr darüberhinaus den Ehrendoktortitel für Literatur des University College London
und 2010 des University College Dublin.
Hélène Cixous wird am 5. Juni 1937 in Oran, Algerien
geboren. Sie ist die Tochter von Eva Klein Cixous, einer
Hebamme, und Georges Cixous eines Arztes. Während
der ersten Jahre ihrer Kindheit durchleben sie und ihre
Eltern, als jüdische Familie, politische und historisch
einschneidende Jahre, die sie von Oran nach Algier führen.
Als Kind darf sie ausschließlich am Unterricht für jüdische
Kinder teilnehmen und ist immer wieder Opfer von Diskriminierung wegen ihrer jüdischen Herkunft. Antisemitismus
ist Hélène Cixous`Kindheit ein stetiger Begleiter.
Georges Cixous, wuchs in sehr armen Verhältnissen
auf und war der erste seiner Familie, der eine höhere
Ausbildung erhalten konnte. Bildung wurde in der
Familie Cixous somit groß geschrieben. Während der
dreißiger Jahre fühlt er sich Frankreich politisch und
kulturell näher, war er doch auch offiziell ein französischer Staatsbürger, nachdem seine Familie, sephardische Juden, von Marokko nach Algerien ausgewandert
waren.
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Eva Klein Cixous fand ihren Weg nach Algerien,
als sie sich gezwungen sah, Deutschland nach Hitlers
Machtübernahme zu verlassen.
Viele Familienmitglieder Hélène Cixous` wurden
während des zweiten Weltkriegs in Vernichtungslagern
ermordet. Hélène Cixous sieht sich selbst als glückliche
Überlebende, obgleich sie das Leben im Exil als ein
zweischneidiges Schwert, als ein doppeltes Exil empfindet.
Denn als schreibende Frau betritt sie männlich dominiertes
Territorium, das Land des Schreibens, ebenfalls Exil für
sie, die sich auf realem Boden immer als Nationalitätenlose empfindet.
Hélène Cixous beherrscht mehrere Sprachen, wie
Deutsch, das sie von ihrer Mutter und Großmutter lernt,
während sie Arabisch und Hebräisch hauptsächlich
mit dem Vater spricht. Während ihrer schulischen und
universitären Laufbahn beschäftigt sie sich hauptsächlich
mit Französisch und Englisch. Sie selbst sieht nur
Vorteile in dieser polyglotten Erziehung und sieht in
ihr auch einen Motor ihrer kreativen Arbeit.
Der Tod ihres Vaters, er stirbt am 12. Februar 1948
an Tuberkulose, ist für sie ein einschneidendes Erlebnis,
das als initiatives Moment ihres Schreibens gesehen
wird. Der Tod und das Schreiben bedingen sich ihrer
Meinung nach gegenseitig, so ist sie überzeugt: „I
wouldn´t have written... I wouldn´t have had death, if
my father had lived. I have written this several times: he
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gave me death. To start with [writing]“.3 Darüberhinaus
ist die belastete Beziehung zu ihrem abwesenden, toten
Vater eine Thematik, die sie immer wieder zum Schreiben
veranlaßt.
Dem Antisemitismus, dem sie bereits in Kindertagen
ausgesetzt ist, kann sie auch während ihrer Schulzeit
im Lycée in Algier nicht entkommen. Doch ist sie der
Auffassung, dass selbst diese Marginalisierung am
Ende nicht zu ihrem Schaden waren, selbst wenn sie
unter ihrem Außenseiterstatus litt.
Erst nach ihrer Ankunft in Frankreich ist sie nicht
mehr mit Antisemitismus konfrontiert und ihre jüdische
Identität und ihre Auseinandersetzung damit gelangen
ins Hintertreffen. Auch in Zukunft sollte ihre jüdische
Herkunft sie nicht mehr maßgeblich beeinflussen.
Jedoch aber die Tatsache, dass sie ein Frau ist.
Hélène Cixous`universitäre Karriere verläuft äußerst
rasant, denn sie erhält als jüngste Studentin Frankreichs
den Titel agrégée und bereits mit 31 Jahren, ebenfalls
einzigartig in Frankreich, den Titel docteur-és-lettres.
Während ihrer Ausbildung bringt sie eine Tochter (1959)
und einen Sohn (1961) zur Welt. In der Zeit von 1965- 1967
arbeitet und lehrt sie als maitre assistante an der
Faculté des Lettres, Sorbonne, Paris, an der sie auch ihre
Dissertation über das Werk von James Joyce verfaßt.
Hélène Cixous, Three steps on the ladder of writing, Columbia University
Press, New York, 1993, p. 12.
3
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Ihre Karriere schreitet unaufhörlich voran als sie von
1967- 1968 maitre de conférence an der Universität von
Nanterre wird. Diese Universität gilt als Brennpunkt
der radikalen linken StudentInnenbewegung, die im
Mai 1968 maßgeblich für Reformen eingetreten war. Im
Zuge dieser Reformbewegung wird Hélène Cixous
vom französischen Bildungsministerium zur chargée
de mission ernannt um in Vicennes eine experimentelle
Universität von Paris VIII zu etablieren.
Zu dieser Zeit lehrt Hélène Cixous englische Literatur
an der Paris VIII und am Collège International de Philosophie. Außerdem gründet sie ein kritisch-theoretisches
Magazin mit dem Titel Poétique: Revue de Théorie et Analyse
Littéraire gemeinsam mit Gérard Genette und Tzvetan
Todorov. 1974 gründet sie weiters ein Centre de recherches
en études féminines, dem sie selbst als Direktorin vorsteht
und das den Grundstein für zukünftige wissenschaftliche
Untersuchungen auf diesem neu abgesteckten Gebiet legt.
Zeitgleich zu ihrer außergewöhnlichen universitären
Karriere mit dem Schwerpunkt der Literaturwissenschaft
und der Frauenforschung vollzieht sie außerdem eine
beeindruckende schriftstellerische Laufbahn, die sie mit 27
Jahren mit einer Kurzgeschichtensammlung mit dem
Titel Le Prénom de Dieu einleitet. Die darauffolgende
Novelle Dedans wird mit dem Prix Médicis 1969 dotiert.
Von diesen Anfängen an hat ihre kreative schriftstellerische
Ader sie zur Produktion einer Reihe von Werken,
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darunter auch Theaterstücke, wie ihr bekanntestes mit
dem Titel Portrait of Dora, veranlaßt. “People either know
or don´t know that I have four or five forms of written
expression: poetic fiction, chamber theater or theater
on a world scale, criticism, essays- without counting
the notebooks I write only to myself and which no one
will ever read, where I exercise a different style.”4
1.1 Hélène Cixous: ihre Texte, ihr Umfeld
„No one fragment carries the totality of the message,
but each text (which is in itself a whole) has a particular
urgency, an individual force, a necessity, and yet each text
also has a force which comes to it from all the other texts.”5
In den 1970er Jahren steht für Hélène Cixous` literarisches und philosophisches Schaffen vorallem die
Auseinander-setzung mit den Beziehungen zwischen
dem Schreiben und der Sexualität im Vordergrund. Eine
ihrer Thesen ist, dass Kommunikation in der Gesellschaft
direkt mit Sexualität verbunden ist. Um diese Thematik zu
ergründen bedient sie sich vor einem philosophischen
Hintergrund, u.a. Jacques Derrida und Heidegger, auch
der Psychoa-nalyse Sigmund Freuds und Jacques Lacans,
die sie kritisch betrachtet. In diesem Zusammenhang
bedient sie sich immer wieder der griechischen Mythologie, die sie exemplarisch präsentiert und hinterfragt.
4
5
Susan Sellers Hrsg., The Hélène Cixous Reader, Routledge London, 1994, p. XV.
Ibidem, p. XVI.
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Neben Luce Irigaray und Julia Kristeva gilt sie als
die Mutter der postststrukturalisischen feministischen
Theorie.
Hélène Cixous selbst hat sich nie ausdrücklich zu
einer bestimmten politischen, feministischen Strömungen
bekannt. Jedoch kann ihre berühmtester und gleichzeitiger
meist kritisierter Essay Das Lachen der Medusa durchaus
als ein politisches Manifest im Tonfall des Feminismus
eingeordnet werden. Dies wiederum ist ein Indiz dafür,
dass dieser Text auch immer wieder in thematischen
Zusammenhang mit der Disskusion über die Beziehungen
zwischen Gender und dem Schreiben gebracht wird.
Hélène Cixous selbst betont in diesem Essay, sowie in
ihrem Essay Sorties, das grenzüberschreitende Potential
des Schreibens, sowie die Beziehung zwischen Sexualität und
Textualität. Dieser Text gilt darüberhinaus als Basis für
die darauffolgenden Diskussionen über das weibliche
Schreiben, seine Möglichkeit, seine Paramter und seine Praxis.
Die Herausforderung an der Auseinandersetzung
mit dem umfassenden Werk Hélène Cixous`, wie
bereits erwähnt, vereint sie sowohl Schriftstellerin,
Literaturt-heoretikern und Philosophin in einer Person,
ist, es als ein Ganzes zu betrachten.
Cixous` writing as a whole raises questions about the
relations between politics and writing, the dimensions
and implications of sexual difference, the possible
interactions between philosophy and literature, and the
tenability of an identity based on ethical, textual, and
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political difference from dominant social relations. It
cannot be reduced to one ´position´, or summed up by
reference to one or two of her texts. Instead, it is important
to examine the development of her critical and political
ideas, as well as her writing practice, paying attention
both to what is developed and what is discareded, in
order to assess the significance and viability of her project
as a whole.6
Da Hélène Cixous hauptsächlich in Paris lebt und
wirkt, kommt sie auch mit Michel Foucault, Gilles Deleuze
und Jacques Derrida in Kontakt. Letzterer soll ihr ein
lebenslanger Freund werden, der ihr Leben und Schreiben
beeinflußt und der Meinung ist, dass seine Freundin
über ein außergewöhnliches Talent für Sprache verfügt.
So lobt er: „Hélène has a genius for making language
speak down to the most familiar idiom, the place where it
seems to be crawling with secrets which give way to
thought”.7
Dieses Talent und ihre intensive Auseinandersetzung
mit Heinrich von Kleist, Rainer Maria Rilke, Friedrich
Hölderlin und William Shakespeare tragen zu ihrem
einzigartigen Schreibstil bei, wobei Hélène Cixous` größtes
Idol die brasilianische Schriftstellerin Clarice Lispector
ist, die für sie die Verkörperung des Feldes darstellt, das
sie selbst erforscht, nämlich des weiblichen Schreibens.
6
7
Morag Shiach, Helene Cixous- A Politics of Writing, Routledge, London, 1991, p. 2.
Susan Sellers Hrsg., The Hélène Cixous Reader, Routledge London, 1994, p. VIII.
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Einen großen Teil ihrer kritischen Arbeiten hat
Hélène Cixous dieser Schriftstellerin gewidmet. Wobei
hierbei ihr Interesse an einem alternativen literarischen
Kanon sichtbar wird, wenn sie sich nicht nur mit
Clarice Lispectors, sondern auch Kleists und Hoffmanns
Texten beschäftigt und zu ihrer Erforschung der
Subjektivität im Bezug auf Sexualität führen. Diese
Herangehensweise ist typisch für Hélène Cixous, die
literarische Texte als Brücke zu ihrer Entwicklung einer
ethischen, poltischen und textuellen Ökonomie sieht,
die sie als weibliche Ökonomie identifiziert.
Wie bereits erwähnt sind ihre literarischen Texte,
die als Teil eines vollständigen Ganzen, sogar zu einem
tieferen Verständnis, insbesondere Begriffen wie der
weiblichen Stimme, dem „voler“, das zugleich für fliegen
und entwenden bzw. stehlen steht, beitragen.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass Übersetzer immer
wieder betonen, dass es äußerst schwierig bis unmöglich
sei, Hélène Cixous Texte in ihrer vollen Tiefe, die durch
sprachlichen Rythmus und stilistische Eigenheiten wie
Echos und Wortspiele, zum besseren Verständnis meist in
Klammern in der Originalsprache Französisch beigestellt,
in einer anderen Sprache wiederzugeben. Diese Schwierigkeiten beziehen sich allerdings nicht nur auf ihr literarisches Werk, sondern auch auf ihre theoretischen Schriften,
die in ihrer sprachlichen Kraft gleichermaßen Ausdruck
Hélène Cixous` Praxis des weiblichen Schreibens sind.
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1.2 Hélène Cixous` „The laugh of the Medusa”
Héléne Cixous stellt in ihrer Philosophie die Frau ins
Zentrum ihrer Verantwortlichkeit. Sie sieht die Frau als
ein Wesen der Fülle mit kreativen und produktiven
Fähigkeiten, die jedoch verschüttet sind und ihr von
der patriarchalen Gesellschaft abgesprochen wurden
und bis heute werden.
In ihrer Auseinandersetzung mit der Marginalisierung
der Frau, verortet sie deren Wurzeln in der Psychoanalyse
Freuds und Lacans. Beide definieren die Frau als
mangelhaftes Wesen, als Abwesenheit des Phallus, als
außerhalb des Symbolischen womit sie außerhalb der
Sprache plaziert und damit stigmatisiert wird.
„Großpapa Lacan nimmt die Formel „Was will sie?“
wieder auf, wenn er sagt: „Über ihren Genuß vermag
die Frau nichts zu sagen“. Das ist ja sehr interessant! Da
kommt alles vor: Eine Frau vermag nicht, hat keine Macht;
vom „sagen“ sprechen wir gar nicht erst: das ist es nämlich,
dessen sie auf immer beraubt ist. Kein Sagen über den
Genuß, kein Wollen: Macht, Wollen, Sagen, Genießen,
all das gibt es nicht für die Frau. [...], ihr wißt, das es bei
Freud/ Lacan heißt, die Frau sei „ausgeschlossen aus
dem Symbolischen“, das heißt aus der Sprache, dort, wo
sie Gesetz ist, ausgeschlossen aus dem möglichen Bezug
zur Kultur und zur Ordnung der Kultur“.8
Hélène Cixous, Die unendliche Zirkulation des Begehrens, Merve
Verlag GmbH, Berlin 1977, p. 24
8
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Die Frau wird reduziert auf ihren Körper, zum
Objekt der Befriedigung des männlichen Begehrens,
das keine Macht hat, keine Sprache. Die Frau hat damit
keine Möglichkeit von ihrem Ort aus zu sprechen. Die
Frau ist zum Schweigen verdammt.
Hélène Cixous beschreibt die Frau somit als Gefangene
im männlichen Blick, durch den sie, ungeachtet ihrer
Leistungen, in eine horizontale Position verfrachtet wird.
Die Frau hat somit keine Möglichkeit dem Mann auf
Augenhöhe zu begegnen. Er betrachtet sie, er sieht ihren
Körper und vermag nicht mehr zu sehen. Sie dient zur
Affirmation seines Begehrens.
Doch nicht nur in der Psychoanalyse ist die Frau
ihrer Subjektivität beraubt. Hélène Cixous baut in ihrem
Essay Sorties auf die binären Oppositionen, die Jacques
Derrida als ordnend für die patriarchale Gesellschaft
identifiziert hat und die es zu dekonstruieren gilt, auf.
Denn der Mann wird assoziert mit dem Begriff der
Kultur, dem Gral der Sprache, während die Frau als
die undurchs-chaubare, gebärende, passive Natur ihm
unterworfen ist. Ein Machtverhältnis wird zwischen
beiden zementiert. Die Frau ist dem Mann unterlegen
in diesem System.
Und nein, daran gibt es nichts Romantisches- der
Mann ist Genie, die Frau zur ewigen schweigenden
Muse verklärt.
Nun wie kann die Frau sich selbst bestimmen ohne
in dieser Negativität gefangen zu bleiben?
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Denn Schweigen ist keine Option für Hélène Cixous.
Schweigen kann leer sein oder beredt. Ein machtvolles
Schweigen kann es nur geben, wenn die Frau sich zuvor
mit der Sprache auseinandergesetz hat. Im leeren
Schweigen findet keine Kommunikation statt. Deshalb
fordert Hélène Cixous von den Frauen aus dem leeren
Schweigen auszubrechen um sich selbst und ihre Körper
trotz der Herrschaft des männlichen Blicks in die Kultur
einzuschreiben.
In ihrem bekanntesten und umstrittensten Essay
The Laugh of the Medusa gibt Cixous nun nicht nur eine
Lösung vor, sondern sie beweist auch auf eindrucksvolle
Weise durch ihre weibliche Schreibpraxis, dass es möglich
ist sich als Frau aus der Negativität zu befreien, den Körper
zurückzugewinnen und Selbstzensur zu überwinden
durch das Schreiben.
Hélène Cixous wählt die mythologosche Figur der
Medusa bewußt als Schirmherrin weiblichen Schreibens aus.
Denn Medusa gilt als Bewahrerin und Beschützerin
in der griechischen Mythologie. Sie ist eine der 3 Gorgonen,
Tochter von Phorkys und Keto. Medusa war ursprünglich
eine schöne Frau, die in eine monströse Gestalt verwandelt
wurde, als sie es wagte mit Poseidon in Athenes Tempel
zu schlafen. Nach ihrer Verwandlung würde jeder, der
sie direkt anblickt zu Stein werden. Doch Perseus
konnte sie überlisten, schnitt ihr den Kopf ab und aus
ihrem Körper stiegen Pegasus und Chrysaor.
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Eine mögliche Interpretation der Medusa ist, dass
ihre wahre Macht in ihrem Haupt lag, das 2 Kreaturen
gebiert.
Sigmund Freuds „Das Medusenhaupt“ (1940), das
posthum veröffentlicht wurde, präsentiert Medusa als
das Bild der Kastration, das einhergeht mit der
Entdeckung der Sexualität der Mutter durch das Kind,
welches die mütterliche Sexualität jedoch negiert.
Für Hélène Cixous repräsentiert Medusa die Angst
der Kultur vor der Macht und der Sexualität der Frau
und ihre tiefe Verbundenheit mit dem Tod.
In ihrem Essay „Das Lachen der Medusa“ konstruiert
Hélène Cixous nun eine alternative Praxis des Schreibens. Sie schreibt: “What I say has at least two sides and
two aims: to break up, to destroy; and to foresee the
unforeseeable, to project”.9
Das erste Element um dieses Ziel zu erreichen, ist
die Ablehnung der Freudianischen und Lacanianischen
Modelle, die ihrer Meinung nach Frauen zur Negativität
verdammen. Denn der Phallus ist präsentiert als das
Organisationszentrum von Begehren und sexueller Identität.
Einfach gesagt: alles dreht sich um den Phallus.
"Women must write through their bodies, [...]“,10
doch zuerst müssen sie ihre Körper zurückgewinnen,
nachdem sie zensuriert wurden und so Atem und Rede
Hilary Robinson, Hrsg. Feminism-art-theory, The Laugh of the Medusa,
Blackwell, Oxford, 2001, p. 627.
10 Ibidem, p. 633.
9
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verloren und in ein konstantes Gefühl der Schuld
gezwungen wurden.
Hélène Cixous fordert darüberhinaus eine bleibende
Bisexualität, die die sexuelle Differenz nicht verneint,
sondern eine simultane Präsenz des Weiblichen und
Männlichen in jedem Individuum meint.
Dies und die Idee, dass Schreiben eine disruptive
Kraft hat, vereint Cixous nun zu einer Form des Schreibens, die solch eine Art der Bisexualität verkörpert und
in den Interessen der Frau arbeitet.
Hier ist klar ersichtlich, dass Cixous keineswegs
das Männliche verdammt, vielmehr umarmt sie die
Differenz.
In „Das Lachen der Medusa“ versucht Cixous nun
zu erforschen, was weibliches Schreiben zu tun vermag,
ein Schreiben, das nur durch das Körperliche möglich
ist. Jedoch ist zu betonen, dass sie keinesfalls das
Körperliche mit der Natur gleichsetzt. Stattdessen
definiert sie das Körperliche als etwas Kulturelles,
verwoben in Repräsentation und in Sprache. Cixous
definiert die Beziehung der Frau zu ihrem Körper als
von der Kultur eingeschrieben.
Trotzdem spekuliert sie auf der Basis der Differenz,
dass Frauen durch ihre Kapazität des Gebärens eine
spezifische Beziehung zu ihren Körpern haben. Nichts
desto trotz gesteht sie auch männlichen Schriftstellern
die Fähigkeit zu einem weiblichen Schreiben zu.
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Weiters ist Cixous deutlich, wenn sie schreibt: ”It´s
impossible to define a feminine practice of writing, and
this is an impossibility that will remain, for this practice
can never be theorized, enclosed, coded- which doesn´t
mean that it doesn´t exist. But it will always surpass the
discourse that regulates the phallocentric system”.11
Die Frau als ein Allgemeines gibt es ihrer Meinung
nach nicht.
Auch wenn Cixous keine Codierung des weiblichen
Schreibens zuläßt, beschreibt sie eine Charakteristik
des weiblichen Schreibens, nämlich seine Nähe zur
Stimme. Auch hier versucht sie die binäre Opposition
von Rede und Schrift zu überkommen.
Sie schreibt: “In women´s speech, as in their writing,
that element which never stops resonation, which […]
retains the power of moving us- that element is the
SONG: first music from the first voice of love which is
alive in every woman.”12
Cixous favorisiert die Rede wegen ihrer Verwandschaft
zu diesem Lied, dass im Unterbewußten entspringt.
Dieses Lied beinhaltet auch die noch nicht entdeckten
Begehren der Frau, die auch Ursprung ihrer Kreativität sind.
Für Cixous müssen Frauen lernen zu reden, sich
auszudrücken, sich die Sprache zu Nutze machen,
selbst wenn, egal was sie zu leisten vermögen, durch
11
12
Ibídem, p. 632.
Ibídem, p. 631.
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ihre Körper zuerst als Frauen wahrgenommen werden
und dann erst als Rednerinnen.
Nur durch das Reden und das Schreiben, kann sich
die Frau aus ihrer Marginalisierung befreien, den
männlichen Blick überwinden und sich neue Räume
schaffen. Durch das Schreiben kann sie sich in die
Kultur bleibend einschreiben.
Sie stellt sich die Frage warum so wenige Frauen
schreiben oder nur heimlich schreiben. Viele Frauen
halten Schreiben für eine Sache von großen Männern,
die etwas zu sagen haben, oder empfinden ihre eigenen
Texte als trivial. Sie haben Angst, genieren sich vor ihrer
eigenen Kraft oder ihrer vermeintlichen Verrücktheit.
Cixous fragt und fordert gleichermaßen:
And why don´t you write? Write! Writing is for you,
you are for you; your body is yours, take it. […] Write,
let no one hold you back, let nothing stop you: not man;
not the […] capitalist machinery, in which publishing
houses are the crafty, obsequious layers of imperatives
handed down by economy that works against us […].
Smug-faced readers, managing editors, and big bosses
don´t like the true texts of women- female sexed texts.
That kind scares them. I write woman: woman must
write woman. And man, man. […] it is up to him to say
where his masculinity and femininity are at [...]13
13
Ibídem, p. 628.
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Viele lateinamerikanische Schriftstellerinnen wie Luisa
Valenzuela, Clarice Lispector, Giaconda Belli gehen diesen
Weg des weiblichen Schreibens. Sie schreiben sich selbst
und ihre Körper um sich von der Herrschaft des Phallus
zu befreien. Sie schweigen nicht, hören nicht auf in sich
und ihren Körpern den Ursprung ihrer Kreativität zu
suchen, zu finden und sich in die Kultur einzuschreiben.
We the precocious, we the repressed of culture, our lovely
mouths gagged with pollen, our wind knocked out of us,
we the labyrinths, the ladders, the trampled spaces, the bevies
– we are black and we are beautiful. We´re stormy and that
which is ours breaks loose from us without fearing any debilitation. Our glances, our smiles, are spent; laughs exude from
all our mouths; our blood flows and we extend ourselves
without reaching an end; we never hold back our thoughts,
our signs, our writing; and we are not afraid of lacking.14
1.3 Kritik an “The laugh of the Medusa”
Anu Aneja gibt in ihrem Essay The Medusa´s slip eine
umfassende Übersicht über die kritische Auseinandersetzung mit Hélène Cixous` écriture féminine. Sie
ordnet die verschiedenen KritikerInnen nicht nur
einzelnen Gruppen zu, sondern wiegt deren Einwände
gleichzeitig gegeneinander, immer mit Rückbezug auf
Hélène Cixous` Werk, auf. So ergreift sie nicht Partei,
sondern ermöglicht einen Einblick in die kritische
Auseinander-setzung mit Cixous` écriture féminine.
14
Ibídem p. 629.
339
Toril Moi, Gayatri Spivak und Ann Rosalind Jones
sind jene Kritikerinnen, die vor allem essentialistische
Tendenzen in Cixous´ écriture féminine beklagen. Beverly
Brown, Parveen Adams und Domna Stanton wehren
sich vor allem gegen die zentrale Metapher des weiblichen
Körpers und den für sie daraus folgenden Biologismus.
Morag Shiach, Naomi Schor, Barbara Freeman und
Christiane Makward sind als VerfechterInnen der
Cixous´schen Philosophie zu lesen. So verteidigt Barbara
Freeman Cixous gegen den Vorwurf des Essentialimus
indem sie das Mißverständnis ausräumt, der weibliche
Körper wäre Urheber des weiblichen Schreibens. Stattdessen wird der Körper als in die Kultur eingeschrieben
verstanden und nicht als vor dem Text gelegen, sondern
als textuell verwoben.
Weiters wird Hélène Cixous vorgeworfen, sie würde
die soziale und politische Realität ignorieren. Besonders
Gayatri Spivak findet eine Vernachlässigung der sozioökonomischen Faktoren, welche die vielfältigen Unterschiede zwischen Frauen makieren, vor. Sie kritisiert die
Essenzialisierung des weiblichen Körpers mit Hilfe der
Methoden der europäischen Psychoanalyse und die damit
einhergehende Homogenisierung von Frauen durch
diese Essenz.
Toril Moi unterstreicht, dass Hélène Cixous oftmals
ihre eigene Trennung von weiblich- männlich, die als
zwei Oppositionen zu lesen sind, nicht aber direkt der
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Frau oder dem Mann zugeschrieben sind, in ihren
Essays nicht durchzuhalten vermag.
Weiters wird Hélène Cixous` écriture feminine
unterstellt nicht konsistent zu sein, da sich ihre Essays
einer kritischen Analyse entziehen. Stattdessen schlage
ich vor, dass genau dies auch Ziel Hélène Cixous ist,
einen alternativen Diskurs zu fördern und nicht einem
(phallo)zentristischen System gleich zu denken, lesen
und zu schreiben.
Darüberhinaus ist Anu Aneja der Meinung, dass
gerade diese Art des Schreibens und Denkens eine
Strategie das Weibliche als eine weibliche, libidinöse
Ökonomie zu revalorisieren, wobei diese durchaus sowohl
in Texten von Frauen, wie von Männern, auffindbar ist.
Außerdem ist es für Hélène Cixous von außergewöhnlicher Bedeutung Frauen einen Weg aufzuzeigen,
wie sie sich in die Kultur buchstäblich einschreiben
können. Sich von kultureller Unterdrückung zu befreien,
das Schweigen durchbrechen zu können und sich in
die Kultur einschreiben zu können, sind für Hélène
Cixous erklärte Ziele, die Frauen durch das weibliche
Schreiben erreichen können.
Schlußendlich zeugt die sehr vielfältige kritische
Auseinandersetzung mit Hélène Cixous`Werk auch
von ihrer Bedeutung für den Feminismus und die
feministische Literaturkritik. Am Ende kann niemand
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ihr absprechen, dass sie sich als Frau und als weibliche
Schriftstellerin in die Kultur eingeschrieben hat.
Literatur:
Cahill, Ann J., Hrsg., French Feminists- Critical Evaluations in
Cultural Theory, Volume II, Routledge, London and N.Y., 2008.
Cixous, Hélène, Die unendliche Zirkulation des Begehrens,
Merve Verlag GmbH, Berlin, 1977.
Cixous, Hélène, “The laugh of the Medusa”, in Robinson,
Hilary, Hrsg.: Feminism-art-theory, Oxford, 2001, pp.627- 635.
Ives, Kelly, Cixous, Irigaray, Kristeva- The Jouissance of
French Feminism, Crecsent Moon Publishing, Kidderminster,
U.K., 1996.
Kettler Penrod, Lynn, Hélène Cixous, Twayn Publishers NY,
1996.
Sellers, Susan, Hrsg., The Hélène Cixous Reader, Routledge,
London, 1994
Shiach, Morag, Hélène Cixous- A politics of writing, Routledge,
London and NY, 1991.
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