Die Frau als Schriftstellerin- Eine Annäherung an Hélène Cixous
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Die Frau als Schriftstellerin- Eine Annäherung an Hélène Cixous
Die Frau als Schriftstellerin- Eine Annäherung an Hélène Cixous Nastasja Stupnicki Universidad de Viena, Austria „Schreiben ist für mich der Atem. Das Atmen, eine ebenso dringende Notwendigkeit wie das Bedürfnis aufzustehen, zu berühren, zu essen, zu umarmen und auszuscheiden. Wenn ich nicht schreibe, ist es, als wäre ich tot“.1 Hélène Cixous` Biographie ist für das Verständnis ihrer Arbeit wesentlich, da sie Auslöser und kreativer Motor ihres Schreibens darstellt. So rekurriert sie in ihrem Schreiben immer wieder auf ihre eigenen lebensweltlichen Erfahrungen und thematisiert diese. Gleichzeitig sieht sie ihre Texte als Teile ihres Lebens. “[...] to me my texts are elements of a whole which interweaves my own story, are the seasons, days in the Great Year of my life”.2 Obwohl in einigen europäischen Ländern hauptsächlich als Philosophin und Literaturwissenschaftlerin bekannt, hat sie auch ein erhebliches literarisches Werk geschaffen, das allerdings im deutschsprachigen Raum weniger bekannt ist. Bis zum heutigen Tag des Jahres 2010 ist sie Professorin für Literatur an der Faculté des Lettres, Sorbonne, Paris, die für sie im Oktober 2010 eine Homage veranstaltete. Hélène Cixous, Die unendliche Zirkulation des Begehrens, Merve Verlag Berlin, 1977, p. 8. 2 Susan Sellers Hrsg., The Hélène Cixous Reader, Routledge London, 1994, p. XV. 1 323 Während ihrer universitären Laufbahn wurde sie unter anderem auch von der Universität von Alberta und der Queen´s University in Kanada, sowie der Universität von York in England mit Ehrentiteln ausgezeichnet. 2009 überreichte man ihr darüberhinaus den Ehrendoktortitel für Literatur des University College London und 2010 des University College Dublin. Hélène Cixous wird am 5. Juni 1937 in Oran, Algerien geboren. Sie ist die Tochter von Eva Klein Cixous, einer Hebamme, und Georges Cixous eines Arztes. Während der ersten Jahre ihrer Kindheit durchleben sie und ihre Eltern, als jüdische Familie, politische und historisch einschneidende Jahre, die sie von Oran nach Algier führen. Als Kind darf sie ausschließlich am Unterricht für jüdische Kinder teilnehmen und ist immer wieder Opfer von Diskriminierung wegen ihrer jüdischen Herkunft. Antisemitismus ist Hélène Cixous`Kindheit ein stetiger Begleiter. Georges Cixous, wuchs in sehr armen Verhältnissen auf und war der erste seiner Familie, der eine höhere Ausbildung erhalten konnte. Bildung wurde in der Familie Cixous somit groß geschrieben. Während der dreißiger Jahre fühlt er sich Frankreich politisch und kulturell näher, war er doch auch offiziell ein französischer Staatsbürger, nachdem seine Familie, sephardische Juden, von Marokko nach Algerien ausgewandert waren. 324 Eva Klein Cixous fand ihren Weg nach Algerien, als sie sich gezwungen sah, Deutschland nach Hitlers Machtübernahme zu verlassen. Viele Familienmitglieder Hélène Cixous` wurden während des zweiten Weltkriegs in Vernichtungslagern ermordet. Hélène Cixous sieht sich selbst als glückliche Überlebende, obgleich sie das Leben im Exil als ein zweischneidiges Schwert, als ein doppeltes Exil empfindet. Denn als schreibende Frau betritt sie männlich dominiertes Territorium, das Land des Schreibens, ebenfalls Exil für sie, die sich auf realem Boden immer als Nationalitätenlose empfindet. Hélène Cixous beherrscht mehrere Sprachen, wie Deutsch, das sie von ihrer Mutter und Großmutter lernt, während sie Arabisch und Hebräisch hauptsächlich mit dem Vater spricht. Während ihrer schulischen und universitären Laufbahn beschäftigt sie sich hauptsächlich mit Französisch und Englisch. Sie selbst sieht nur Vorteile in dieser polyglotten Erziehung und sieht in ihr auch einen Motor ihrer kreativen Arbeit. Der Tod ihres Vaters, er stirbt am 12. Februar 1948 an Tuberkulose, ist für sie ein einschneidendes Erlebnis, das als initiatives Moment ihres Schreibens gesehen wird. Der Tod und das Schreiben bedingen sich ihrer Meinung nach gegenseitig, so ist sie überzeugt: „I wouldn´t have written... I wouldn´t have had death, if my father had lived. I have written this several times: he 325 gave me death. To start with [writing]“.3 Darüberhinaus ist die belastete Beziehung zu ihrem abwesenden, toten Vater eine Thematik, die sie immer wieder zum Schreiben veranlaßt. Dem Antisemitismus, dem sie bereits in Kindertagen ausgesetzt ist, kann sie auch während ihrer Schulzeit im Lycée in Algier nicht entkommen. Doch ist sie der Auffassung, dass selbst diese Marginalisierung am Ende nicht zu ihrem Schaden waren, selbst wenn sie unter ihrem Außenseiterstatus litt. Erst nach ihrer Ankunft in Frankreich ist sie nicht mehr mit Antisemitismus konfrontiert und ihre jüdische Identität und ihre Auseinandersetzung damit gelangen ins Hintertreffen. Auch in Zukunft sollte ihre jüdische Herkunft sie nicht mehr maßgeblich beeinflussen. Jedoch aber die Tatsache, dass sie ein Frau ist. Hélène Cixous`universitäre Karriere verläuft äußerst rasant, denn sie erhält als jüngste Studentin Frankreichs den Titel agrégée und bereits mit 31 Jahren, ebenfalls einzigartig in Frankreich, den Titel docteur-és-lettres. Während ihrer Ausbildung bringt sie eine Tochter (1959) und einen Sohn (1961) zur Welt. In der Zeit von 1965- 1967 arbeitet und lehrt sie als maitre assistante an der Faculté des Lettres, Sorbonne, Paris, an der sie auch ihre Dissertation über das Werk von James Joyce verfaßt. Hélène Cixous, Three steps on the ladder of writing, Columbia University Press, New York, 1993, p. 12. 3 326 Ihre Karriere schreitet unaufhörlich voran als sie von 1967- 1968 maitre de conférence an der Universität von Nanterre wird. Diese Universität gilt als Brennpunkt der radikalen linken StudentInnenbewegung, die im Mai 1968 maßgeblich für Reformen eingetreten war. Im Zuge dieser Reformbewegung wird Hélène Cixous vom französischen Bildungsministerium zur chargée de mission ernannt um in Vicennes eine experimentelle Universität von Paris VIII zu etablieren. Zu dieser Zeit lehrt Hélène Cixous englische Literatur an der Paris VIII und am Collège International de Philosophie. Außerdem gründet sie ein kritisch-theoretisches Magazin mit dem Titel Poétique: Revue de Théorie et Analyse Littéraire gemeinsam mit Gérard Genette und Tzvetan Todorov. 1974 gründet sie weiters ein Centre de recherches en études féminines, dem sie selbst als Direktorin vorsteht und das den Grundstein für zukünftige wissenschaftliche Untersuchungen auf diesem neu abgesteckten Gebiet legt. Zeitgleich zu ihrer außergewöhnlichen universitären Karriere mit dem Schwerpunkt der Literaturwissenschaft und der Frauenforschung vollzieht sie außerdem eine beeindruckende schriftstellerische Laufbahn, die sie mit 27 Jahren mit einer Kurzgeschichtensammlung mit dem Titel Le Prénom de Dieu einleitet. Die darauffolgende Novelle Dedans wird mit dem Prix Médicis 1969 dotiert. Von diesen Anfängen an hat ihre kreative schriftstellerische Ader sie zur Produktion einer Reihe von Werken, 327 darunter auch Theaterstücke, wie ihr bekanntestes mit dem Titel Portrait of Dora, veranlaßt. “People either know or don´t know that I have four or five forms of written expression: poetic fiction, chamber theater or theater on a world scale, criticism, essays- without counting the notebooks I write only to myself and which no one will ever read, where I exercise a different style.”4 1.1 Hélène Cixous: ihre Texte, ihr Umfeld „No one fragment carries the totality of the message, but each text (which is in itself a whole) has a particular urgency, an individual force, a necessity, and yet each text also has a force which comes to it from all the other texts.”5 In den 1970er Jahren steht für Hélène Cixous` literarisches und philosophisches Schaffen vorallem die Auseinander-setzung mit den Beziehungen zwischen dem Schreiben und der Sexualität im Vordergrund. Eine ihrer Thesen ist, dass Kommunikation in der Gesellschaft direkt mit Sexualität verbunden ist. Um diese Thematik zu ergründen bedient sie sich vor einem philosophischen Hintergrund, u.a. Jacques Derrida und Heidegger, auch der Psychoa-nalyse Sigmund Freuds und Jacques Lacans, die sie kritisch betrachtet. In diesem Zusammenhang bedient sie sich immer wieder der griechischen Mythologie, die sie exemplarisch präsentiert und hinterfragt. 4 5 Susan Sellers Hrsg., The Hélène Cixous Reader, Routledge London, 1994, p. XV. Ibidem, p. XVI. 328 Neben Luce Irigaray und Julia Kristeva gilt sie als die Mutter der postststrukturalisischen feministischen Theorie. Hélène Cixous selbst hat sich nie ausdrücklich zu einer bestimmten politischen, feministischen Strömungen bekannt. Jedoch kann ihre berühmtester und gleichzeitiger meist kritisierter Essay Das Lachen der Medusa durchaus als ein politisches Manifest im Tonfall des Feminismus eingeordnet werden. Dies wiederum ist ein Indiz dafür, dass dieser Text auch immer wieder in thematischen Zusammenhang mit der Disskusion über die Beziehungen zwischen Gender und dem Schreiben gebracht wird. Hélène Cixous selbst betont in diesem Essay, sowie in ihrem Essay Sorties, das grenzüberschreitende Potential des Schreibens, sowie die Beziehung zwischen Sexualität und Textualität. Dieser Text gilt darüberhinaus als Basis für die darauffolgenden Diskussionen über das weibliche Schreiben, seine Möglichkeit, seine Paramter und seine Praxis. Die Herausforderung an der Auseinandersetzung mit dem umfassenden Werk Hélène Cixous`, wie bereits erwähnt, vereint sie sowohl Schriftstellerin, Literaturt-heoretikern und Philosophin in einer Person, ist, es als ein Ganzes zu betrachten. Cixous` writing as a whole raises questions about the relations between politics and writing, the dimensions and implications of sexual difference, the possible interactions between philosophy and literature, and the tenability of an identity based on ethical, textual, and 329 political difference from dominant social relations. It cannot be reduced to one ´position´, or summed up by reference to one or two of her texts. Instead, it is important to examine the development of her critical and political ideas, as well as her writing practice, paying attention both to what is developed and what is discareded, in order to assess the significance and viability of her project as a whole.6 Da Hélène Cixous hauptsächlich in Paris lebt und wirkt, kommt sie auch mit Michel Foucault, Gilles Deleuze und Jacques Derrida in Kontakt. Letzterer soll ihr ein lebenslanger Freund werden, der ihr Leben und Schreiben beeinflußt und der Meinung ist, dass seine Freundin über ein außergewöhnliches Talent für Sprache verfügt. So lobt er: „Hélène has a genius for making language speak down to the most familiar idiom, the place where it seems to be crawling with secrets which give way to thought”.7 Dieses Talent und ihre intensive Auseinandersetzung mit Heinrich von Kleist, Rainer Maria Rilke, Friedrich Hölderlin und William Shakespeare tragen zu ihrem einzigartigen Schreibstil bei, wobei Hélène Cixous` größtes Idol die brasilianische Schriftstellerin Clarice Lispector ist, die für sie die Verkörperung des Feldes darstellt, das sie selbst erforscht, nämlich des weiblichen Schreibens. 6 7 Morag Shiach, Helene Cixous- A Politics of Writing, Routledge, London, 1991, p. 2. Susan Sellers Hrsg., The Hélène Cixous Reader, Routledge London, 1994, p. VIII. 330 Einen großen Teil ihrer kritischen Arbeiten hat Hélène Cixous dieser Schriftstellerin gewidmet. Wobei hierbei ihr Interesse an einem alternativen literarischen Kanon sichtbar wird, wenn sie sich nicht nur mit Clarice Lispectors, sondern auch Kleists und Hoffmanns Texten beschäftigt und zu ihrer Erforschung der Subjektivität im Bezug auf Sexualität führen. Diese Herangehensweise ist typisch für Hélène Cixous, die literarische Texte als Brücke zu ihrer Entwicklung einer ethischen, poltischen und textuellen Ökonomie sieht, die sie als weibliche Ökonomie identifiziert. Wie bereits erwähnt sind ihre literarischen Texte, die als Teil eines vollständigen Ganzen, sogar zu einem tieferen Verständnis, insbesondere Begriffen wie der weiblichen Stimme, dem „voler“, das zugleich für fliegen und entwenden bzw. stehlen steht, beitragen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Übersetzer immer wieder betonen, dass es äußerst schwierig bis unmöglich sei, Hélène Cixous Texte in ihrer vollen Tiefe, die durch sprachlichen Rythmus und stilistische Eigenheiten wie Echos und Wortspiele, zum besseren Verständnis meist in Klammern in der Originalsprache Französisch beigestellt, in einer anderen Sprache wiederzugeben. Diese Schwierigkeiten beziehen sich allerdings nicht nur auf ihr literarisches Werk, sondern auch auf ihre theoretischen Schriften, die in ihrer sprachlichen Kraft gleichermaßen Ausdruck Hélène Cixous` Praxis des weiblichen Schreibens sind. 331 1.2 Hélène Cixous` „The laugh of the Medusa” Héléne Cixous stellt in ihrer Philosophie die Frau ins Zentrum ihrer Verantwortlichkeit. Sie sieht die Frau als ein Wesen der Fülle mit kreativen und produktiven Fähigkeiten, die jedoch verschüttet sind und ihr von der patriarchalen Gesellschaft abgesprochen wurden und bis heute werden. In ihrer Auseinandersetzung mit der Marginalisierung der Frau, verortet sie deren Wurzeln in der Psychoanalyse Freuds und Lacans. Beide definieren die Frau als mangelhaftes Wesen, als Abwesenheit des Phallus, als außerhalb des Symbolischen womit sie außerhalb der Sprache plaziert und damit stigmatisiert wird. „Großpapa Lacan nimmt die Formel „Was will sie?“ wieder auf, wenn er sagt: „Über ihren Genuß vermag die Frau nichts zu sagen“. Das ist ja sehr interessant! Da kommt alles vor: Eine Frau vermag nicht, hat keine Macht; vom „sagen“ sprechen wir gar nicht erst: das ist es nämlich, dessen sie auf immer beraubt ist. Kein Sagen über den Genuß, kein Wollen: Macht, Wollen, Sagen, Genießen, all das gibt es nicht für die Frau. [...], ihr wißt, das es bei Freud/ Lacan heißt, die Frau sei „ausgeschlossen aus dem Symbolischen“, das heißt aus der Sprache, dort, wo sie Gesetz ist, ausgeschlossen aus dem möglichen Bezug zur Kultur und zur Ordnung der Kultur“.8 Hélène Cixous, Die unendliche Zirkulation des Begehrens, Merve Verlag GmbH, Berlin 1977, p. 24 8 332 Die Frau wird reduziert auf ihren Körper, zum Objekt der Befriedigung des männlichen Begehrens, das keine Macht hat, keine Sprache. Die Frau hat damit keine Möglichkeit von ihrem Ort aus zu sprechen. Die Frau ist zum Schweigen verdammt. Hélène Cixous beschreibt die Frau somit als Gefangene im männlichen Blick, durch den sie, ungeachtet ihrer Leistungen, in eine horizontale Position verfrachtet wird. Die Frau hat somit keine Möglichkeit dem Mann auf Augenhöhe zu begegnen. Er betrachtet sie, er sieht ihren Körper und vermag nicht mehr zu sehen. Sie dient zur Affirmation seines Begehrens. Doch nicht nur in der Psychoanalyse ist die Frau ihrer Subjektivität beraubt. Hélène Cixous baut in ihrem Essay Sorties auf die binären Oppositionen, die Jacques Derrida als ordnend für die patriarchale Gesellschaft identifiziert hat und die es zu dekonstruieren gilt, auf. Denn der Mann wird assoziert mit dem Begriff der Kultur, dem Gral der Sprache, während die Frau als die undurchs-chaubare, gebärende, passive Natur ihm unterworfen ist. Ein Machtverhältnis wird zwischen beiden zementiert. Die Frau ist dem Mann unterlegen in diesem System. Und nein, daran gibt es nichts Romantisches- der Mann ist Genie, die Frau zur ewigen schweigenden Muse verklärt. Nun wie kann die Frau sich selbst bestimmen ohne in dieser Negativität gefangen zu bleiben? 333 Denn Schweigen ist keine Option für Hélène Cixous. Schweigen kann leer sein oder beredt. Ein machtvolles Schweigen kann es nur geben, wenn die Frau sich zuvor mit der Sprache auseinandergesetz hat. Im leeren Schweigen findet keine Kommunikation statt. Deshalb fordert Hélène Cixous von den Frauen aus dem leeren Schweigen auszubrechen um sich selbst und ihre Körper trotz der Herrschaft des männlichen Blicks in die Kultur einzuschreiben. In ihrem bekanntesten und umstrittensten Essay The Laugh of the Medusa gibt Cixous nun nicht nur eine Lösung vor, sondern sie beweist auch auf eindrucksvolle Weise durch ihre weibliche Schreibpraxis, dass es möglich ist sich als Frau aus der Negativität zu befreien, den Körper zurückzugewinnen und Selbstzensur zu überwinden durch das Schreiben. Hélène Cixous wählt die mythologosche Figur der Medusa bewußt als Schirmherrin weiblichen Schreibens aus. Denn Medusa gilt als Bewahrerin und Beschützerin in der griechischen Mythologie. Sie ist eine der 3 Gorgonen, Tochter von Phorkys und Keto. Medusa war ursprünglich eine schöne Frau, die in eine monströse Gestalt verwandelt wurde, als sie es wagte mit Poseidon in Athenes Tempel zu schlafen. Nach ihrer Verwandlung würde jeder, der sie direkt anblickt zu Stein werden. Doch Perseus konnte sie überlisten, schnitt ihr den Kopf ab und aus ihrem Körper stiegen Pegasus und Chrysaor. 334 Eine mögliche Interpretation der Medusa ist, dass ihre wahre Macht in ihrem Haupt lag, das 2 Kreaturen gebiert. Sigmund Freuds „Das Medusenhaupt“ (1940), das posthum veröffentlicht wurde, präsentiert Medusa als das Bild der Kastration, das einhergeht mit der Entdeckung der Sexualität der Mutter durch das Kind, welches die mütterliche Sexualität jedoch negiert. Für Hélène Cixous repräsentiert Medusa die Angst der Kultur vor der Macht und der Sexualität der Frau und ihre tiefe Verbundenheit mit dem Tod. In ihrem Essay „Das Lachen der Medusa“ konstruiert Hélène Cixous nun eine alternative Praxis des Schreibens. Sie schreibt: “What I say has at least two sides and two aims: to break up, to destroy; and to foresee the unforeseeable, to project”.9 Das erste Element um dieses Ziel zu erreichen, ist die Ablehnung der Freudianischen und Lacanianischen Modelle, die ihrer Meinung nach Frauen zur Negativität verdammen. Denn der Phallus ist präsentiert als das Organisationszentrum von Begehren und sexueller Identität. Einfach gesagt: alles dreht sich um den Phallus. "Women must write through their bodies, [...]“,10 doch zuerst müssen sie ihre Körper zurückgewinnen, nachdem sie zensuriert wurden und so Atem und Rede Hilary Robinson, Hrsg. Feminism-art-theory, The Laugh of the Medusa, Blackwell, Oxford, 2001, p. 627. 10 Ibidem, p. 633. 9 335 verloren und in ein konstantes Gefühl der Schuld gezwungen wurden. Hélène Cixous fordert darüberhinaus eine bleibende Bisexualität, die die sexuelle Differenz nicht verneint, sondern eine simultane Präsenz des Weiblichen und Männlichen in jedem Individuum meint. Dies und die Idee, dass Schreiben eine disruptive Kraft hat, vereint Cixous nun zu einer Form des Schreibens, die solch eine Art der Bisexualität verkörpert und in den Interessen der Frau arbeitet. Hier ist klar ersichtlich, dass Cixous keineswegs das Männliche verdammt, vielmehr umarmt sie die Differenz. In „Das Lachen der Medusa“ versucht Cixous nun zu erforschen, was weibliches Schreiben zu tun vermag, ein Schreiben, das nur durch das Körperliche möglich ist. Jedoch ist zu betonen, dass sie keinesfalls das Körperliche mit der Natur gleichsetzt. Stattdessen definiert sie das Körperliche als etwas Kulturelles, verwoben in Repräsentation und in Sprache. Cixous definiert die Beziehung der Frau zu ihrem Körper als von der Kultur eingeschrieben. Trotzdem spekuliert sie auf der Basis der Differenz, dass Frauen durch ihre Kapazität des Gebärens eine spezifische Beziehung zu ihren Körpern haben. Nichts desto trotz gesteht sie auch männlichen Schriftstellern die Fähigkeit zu einem weiblichen Schreiben zu. 336 Weiters ist Cixous deutlich, wenn sie schreibt: ”It´s impossible to define a feminine practice of writing, and this is an impossibility that will remain, for this practice can never be theorized, enclosed, coded- which doesn´t mean that it doesn´t exist. But it will always surpass the discourse that regulates the phallocentric system”.11 Die Frau als ein Allgemeines gibt es ihrer Meinung nach nicht. Auch wenn Cixous keine Codierung des weiblichen Schreibens zuläßt, beschreibt sie eine Charakteristik des weiblichen Schreibens, nämlich seine Nähe zur Stimme. Auch hier versucht sie die binäre Opposition von Rede und Schrift zu überkommen. Sie schreibt: “In women´s speech, as in their writing, that element which never stops resonation, which […] retains the power of moving us- that element is the SONG: first music from the first voice of love which is alive in every woman.”12 Cixous favorisiert die Rede wegen ihrer Verwandschaft zu diesem Lied, dass im Unterbewußten entspringt. Dieses Lied beinhaltet auch die noch nicht entdeckten Begehren der Frau, die auch Ursprung ihrer Kreativität sind. Für Cixous müssen Frauen lernen zu reden, sich auszudrücken, sich die Sprache zu Nutze machen, selbst wenn, egal was sie zu leisten vermögen, durch 11 12 Ibídem, p. 632. Ibídem, p. 631. 337 ihre Körper zuerst als Frauen wahrgenommen werden und dann erst als Rednerinnen. Nur durch das Reden und das Schreiben, kann sich die Frau aus ihrer Marginalisierung befreien, den männlichen Blick überwinden und sich neue Räume schaffen. Durch das Schreiben kann sie sich in die Kultur bleibend einschreiben. Sie stellt sich die Frage warum so wenige Frauen schreiben oder nur heimlich schreiben. Viele Frauen halten Schreiben für eine Sache von großen Männern, die etwas zu sagen haben, oder empfinden ihre eigenen Texte als trivial. Sie haben Angst, genieren sich vor ihrer eigenen Kraft oder ihrer vermeintlichen Verrücktheit. Cixous fragt und fordert gleichermaßen: And why don´t you write? Write! Writing is for you, you are for you; your body is yours, take it. […] Write, let no one hold you back, let nothing stop you: not man; not the […] capitalist machinery, in which publishing houses are the crafty, obsequious layers of imperatives handed down by economy that works against us […]. Smug-faced readers, managing editors, and big bosses don´t like the true texts of women- female sexed texts. That kind scares them. I write woman: woman must write woman. And man, man. […] it is up to him to say where his masculinity and femininity are at [...]13 13 Ibídem, p. 628. 338 Viele lateinamerikanische Schriftstellerinnen wie Luisa Valenzuela, Clarice Lispector, Giaconda Belli gehen diesen Weg des weiblichen Schreibens. Sie schreiben sich selbst und ihre Körper um sich von der Herrschaft des Phallus zu befreien. Sie schweigen nicht, hören nicht auf in sich und ihren Körpern den Ursprung ihrer Kreativität zu suchen, zu finden und sich in die Kultur einzuschreiben. We the precocious, we the repressed of culture, our lovely mouths gagged with pollen, our wind knocked out of us, we the labyrinths, the ladders, the trampled spaces, the bevies – we are black and we are beautiful. We´re stormy and that which is ours breaks loose from us without fearing any debilitation. Our glances, our smiles, are spent; laughs exude from all our mouths; our blood flows and we extend ourselves without reaching an end; we never hold back our thoughts, our signs, our writing; and we are not afraid of lacking.14 1.3 Kritik an “The laugh of the Medusa” Anu Aneja gibt in ihrem Essay The Medusa´s slip eine umfassende Übersicht über die kritische Auseinandersetzung mit Hélène Cixous` écriture féminine. Sie ordnet die verschiedenen KritikerInnen nicht nur einzelnen Gruppen zu, sondern wiegt deren Einwände gleichzeitig gegeneinander, immer mit Rückbezug auf Hélène Cixous` Werk, auf. So ergreift sie nicht Partei, sondern ermöglicht einen Einblick in die kritische Auseinander-setzung mit Cixous` écriture féminine. 14 Ibídem p. 629. 339 Toril Moi, Gayatri Spivak und Ann Rosalind Jones sind jene Kritikerinnen, die vor allem essentialistische Tendenzen in Cixous´ écriture féminine beklagen. Beverly Brown, Parveen Adams und Domna Stanton wehren sich vor allem gegen die zentrale Metapher des weiblichen Körpers und den für sie daraus folgenden Biologismus. Morag Shiach, Naomi Schor, Barbara Freeman und Christiane Makward sind als VerfechterInnen der Cixous´schen Philosophie zu lesen. So verteidigt Barbara Freeman Cixous gegen den Vorwurf des Essentialimus indem sie das Mißverständnis ausräumt, der weibliche Körper wäre Urheber des weiblichen Schreibens. Stattdessen wird der Körper als in die Kultur eingeschrieben verstanden und nicht als vor dem Text gelegen, sondern als textuell verwoben. Weiters wird Hélène Cixous vorgeworfen, sie würde die soziale und politische Realität ignorieren. Besonders Gayatri Spivak findet eine Vernachlässigung der sozioökonomischen Faktoren, welche die vielfältigen Unterschiede zwischen Frauen makieren, vor. Sie kritisiert die Essenzialisierung des weiblichen Körpers mit Hilfe der Methoden der europäischen Psychoanalyse und die damit einhergehende Homogenisierung von Frauen durch diese Essenz. Toril Moi unterstreicht, dass Hélène Cixous oftmals ihre eigene Trennung von weiblich- männlich, die als zwei Oppositionen zu lesen sind, nicht aber direkt der 340 Frau oder dem Mann zugeschrieben sind, in ihren Essays nicht durchzuhalten vermag. Weiters wird Hélène Cixous` écriture feminine unterstellt nicht konsistent zu sein, da sich ihre Essays einer kritischen Analyse entziehen. Stattdessen schlage ich vor, dass genau dies auch Ziel Hélène Cixous ist, einen alternativen Diskurs zu fördern und nicht einem (phallo)zentristischen System gleich zu denken, lesen und zu schreiben. Darüberhinaus ist Anu Aneja der Meinung, dass gerade diese Art des Schreibens und Denkens eine Strategie das Weibliche als eine weibliche, libidinöse Ökonomie zu revalorisieren, wobei diese durchaus sowohl in Texten von Frauen, wie von Männern, auffindbar ist. Außerdem ist es für Hélène Cixous von außergewöhnlicher Bedeutung Frauen einen Weg aufzuzeigen, wie sie sich in die Kultur buchstäblich einschreiben können. Sich von kultureller Unterdrückung zu befreien, das Schweigen durchbrechen zu können und sich in die Kultur einschreiben zu können, sind für Hélène Cixous erklärte Ziele, die Frauen durch das weibliche Schreiben erreichen können. Schlußendlich zeugt die sehr vielfältige kritische Auseinandersetzung mit Hélène Cixous`Werk auch von ihrer Bedeutung für den Feminismus und die feministische Literaturkritik. Am Ende kann niemand 341 ihr absprechen, dass sie sich als Frau und als weibliche Schriftstellerin in die Kultur eingeschrieben hat. Literatur: Cahill, Ann J., Hrsg., French Feminists- Critical Evaluations in Cultural Theory, Volume II, Routledge, London and N.Y., 2008. Cixous, Hélène, Die unendliche Zirkulation des Begehrens, Merve Verlag GmbH, Berlin, 1977. Cixous, Hélène, “The laugh of the Medusa”, in Robinson, Hilary, Hrsg.: Feminism-art-theory, Oxford, 2001, pp.627- 635. Ives, Kelly, Cixous, Irigaray, Kristeva- The Jouissance of French Feminism, Crecsent Moon Publishing, Kidderminster, U.K., 1996. Kettler Penrod, Lynn, Hélène Cixous, Twayn Publishers NY, 1996. Sellers, Susan, Hrsg., The Hélène Cixous Reader, Routledge, London, 1994 Shiach, Morag, Hélène Cixous- A politics of writing, Routledge, London and NY, 1991. 342