Saalblatt als PDF

Transcrição

Saalblatt als PDF
Daniel G.
Andújar
Konfliktzonen
17.09.2015 - 15.11.2015
hek.ch
Daniel G. Andújar
Konfliktzonen
de
Die Ausstellung im HeK versammelt
Werke Andújars, die sich mit
Konflikten beschäftigen – verstanden
als Konfliktsituationen, in denen
die Interessen oder Vorstellungen
von Personen, gesellschaftlichen
Gruppen oder staatlichen Organisationen auseinandergehen.
Zentral ist für Andújar in diesem
Zusammenhang die Reflexion
zwischen Realität und ihrer
Repräsentation sowie Simulation in
digitalen Welten. Die Verwendung
eines Druckes des englischen Malers
William Hogarth (1697-1764) nimmt in
diesem Kontext eine Schlüsselrolle
ein: Die Kopie von William Hogarths
Kupferstich The Battle
of the Pictures (Edition
von 1822) ursprünglich
als Kampf gegen die kommerzielle
Verflachung der Kunst verstanden,
wird hier zu einem Sinnbild für
Andújars Auseinandersetzung mit
der Fülle der Bilder unserer Zeit –
Bilder, die aus strategischen Gründen
um unsere Aufmerksamkeit buhlen
und oftmals ihre wahren Zwecke
verschleiern.
1
Bild: Screenshot, Daniel G. Andújar Games Real, 2014
Daniel G.
Andújar
Konfliktzonen
16
15
6
14
17
9
5
18
2
4
3
3
12
13
2
7
10
11
1
8
Dass Daniel G. Andújar oftmals nicht nur als Künstler, sondern
auch als Aktivist wahrgenommen wird, liegt an seiner Fokussierung auf aktuelle politische und gesellschaftliche Fragestellungen in allen seinen Werken, die immer wieder aufs Neue die
Beziehung und komplexen Verhältnisse zwischen Realität und
ihrer Repräsentation in digitalen Welten reflektieren. Den Ausgangspunkt seiner Kunst bilden Archive verschiedener vorgefundener Dokumente und Dateien, die er für seine Videoarbeiten, Netzprojekte sowie Arrangements von Objekten, Prints und
Fotografien verwendet. Einzelne Arbeiten aus diesen Archiven
werden durch den Kontext zu seinen anderen Werken in einen
grösseren Sinnzusammenhang gestellt und lassen dadurch
neue Zugänge zu den behandelten Themen zu.
Die Thematisierung von Machtstrukturen in gesellschaftlichen
Systemen sowie die Nutzung von Technologien als staatliche
Kontrollinstrumente bilden eine Schlüsselrolle seines künstlerischen Schaffens. Ironisch und kritisch nutzt er mediale Repräsentationsstrategien und hinterfragt damit die Informations- und
Kommunikationstechnologien auf ihre demokratischen und
egalitären Versprechen hin. Immer wieder lotet er diese auf ihre
subversiven Aneignungstaktiken und zivilen Ungehorsam hin
aus. Konfliktzonen/Zones of Conflict versammelt Werke aus
den Jahren 1998 bis 2015, die sich mit Konflikten, Protestbewegungen und geopolitischen Krisen auseinandersetzen.
Das HeK (Haus der elektronischen Künste Basel) wird unterstützt von:
Mehrere der in der Ausstellung
gezeigten Werke thematisieren
sich widersetzende Handlungen
gegen bestehende gesellschaftliche
Ordnungen oder gesetzliche
Normen, die auch als Selbstermächtigungsstrategien gelesen
werden können. So stellt Andújar
das historische Plakat
Beat the Whites with the
Red Wedge (1919) des
russischen Künstlers El Lissitzky aus
dem Jahr 1919 den Komponenten
einer Plastikpistole in seiner
Arbeit Liberator (2014)
gegenüber, die mittels 3D
Drucker und basierend
auf Bauplänen aus dem Internet,
hergestellt wurden. Während es sich
bei El Lissitzky um einen Aufruf zu
den Waffen und eine Unterstützung
der roten Revolutionäre gegenüber
den zaristischen (weissen) Armeen
handelt, geht es in Liberator
um eine Schusswaffe, die ohne
Spezialkenntnisse hergestellt
werden kann und die zu den nicht
registrierten amerikanischen „ghost
guns“ zählt. Zwei Bestrebungen
zu einer Unterwanderung des
herrschenden Systems werden
einander gegenübergestellt und
werfen gleichzeitig Fragen nach
der Gefahr von solchen Selbstermächtigungsstrategien auf. Auch
in Arquitecturas (2014)
werden unterschiedliche
Systeme einander
gegenübergestellt. Die Zeichnungen
zeigen biologische Strukturen,
Topfpflanzen aus der Vogelperspektive, die in architektonischen
Rastern karto-graphiert werden.
Die Ausstellung wird unterstützt von:
4
Selbstermächtigung ist auch in
Anarchists and Hackers
(2000) ein zugrunde
liegendes Thema. Als
wandfüllende Anleitungen kann
man hier „Rezepte“ des Buches
„The Anarchist Cookbook“ lesen,
welches der US-amerikanische
High-School-Absolvent William
Powell 1971 als Protest gegen den
Vietnamkrieg verfasste. Diese
einstigen Zeichen einer subversiven
Gegenkultur, kombiniert mit einer
Sammlung Andújars von weiteren
Hacking-Anleitungen, zeigen auf der
einen Seite das kreative Potenzial der
Hackingkultur, werfen zum anderen
aber auch Fragen nach Sicherheit
und Verletzlichkeit unserer digitalen
Gesellschaft auf.
Auch die Arbeit Armed
Citizen (1998-2006)
verdeutlicht diese
Ambivalenz. Der Titel verweist
auf eine Webseite, über die Handfeuerwaffen im Internet erworben
werden können – wie eine Million
anderer Konsumgüter im Netz. Die
Abbildungen von über 17 Waffen in
der Videoprojektion geben keine
Auskunft über die Art der Waffen,
ihren Preis oder wo sie gekauft
werden können. Vielmehr werden sie
von Andújar als Objekte der Begierde
präsentiert, die in einer digital
vernetzten Welt jedem zugänglich
sind. Es wird hier deutlich, dass diese
Freiheit des „Open Source“ und die
damit ermöglichte Anonymität die
Gefahr von Gewalt mit sich bringen
kann.
Capital. The Commodity.
The Drug (2015) beschäftigt
sich mit einem ähnlichen
Thema: Die Arbeit ist das Ergebnis
von intensiven Aufenthalten des
Künstlers im sogenannten Darknet,
den Tiefen des unzensierten und
anonymen Internets. Andújar
5
6
7
verschaffte sich Zutritt zu den
Netzwerken, in denen mit illegalen
Waren gehandelt wird. Ein virtueller
Raum wird aufgezeigt, der sich
jenseits des gesetzlich Erlaubten
entwickelt hat und damit eine
Parallelwelt schafft, in denen andere
Machtverteilungen gelten.
Während bei diesen Arbeiten, die
angesprochenen legalen Grauzonen
und illegalen Bereiche erst durch
Medientechnologien ermöglicht
werden und vor allem auch marktwirtschaftlichen Motivationen
entspringen, thematisiert Andújar
in weiteren Arbeiten zivilen Ungehorsam, der sich im analogen
Raum entwickelt. Mit
Barricadas (2014) zeigt
Andújar zum einen die
historische Perspektive dieser
Protestbewegungen auf: Die 14
Kupferstiche zeigen bürgerliche
Aufstände aus dem 19. Jahrhundert
und machen uns im Kontext der
Ausstellung auch auf die historische
mediale Repräsentation von
Aufständen und ihren Akteuren
aufmerksam. Demgegenüber stellt
Andújar verschiedene Arbeiten, die
auf dokumentarischem Material
fussen und in denen Menschen
gezeigt werden, die sich für eine
Änderung der gesellschaftlichen
oder politischen Verhältnisse
einsetzen. Im Video
Ocupación (2010) etwa
sieht man ein nicht weiter
definiertes Dach, auf dem eine
Piratenflagge gehisst wird. Ein Bild,
das für den Betrachter ohne weitere
Hintergrundinformationen bereits
von hoher Symbolkraft ist und mit
verschiedensten historischen und
aktuellen Konflikten verbunden
werden kann.
In Games Real (2014)geht
es ebenfalls um das Bild von
Widerständlern. Das Video
zeigt, wie aus Schnappschüssen
von Demonstranten mithilfe von
Gesichtserkennungssoftware
Charaktere bis ins Detail nachgebildet werden können. Dass
diese prototypischen Gesichter
von Protestierenden dann zu Teilen
von Gameszenarios werden und für
die bösen Charaktere ver- wendet
werden, verdeutlicht das der Arbeit
gegenüber gestellte Video
Games Killer (2014).
Beide Arbeiten sind
Teile der Werkgruppe Infiltrators,
die sich mit der Machtverteilung
zwischen Vertretern der staatlichen
Macht und Gegnern des Systems
auseinandersetzt. Teil
von Infiltrators (2014)
sind auch wandfüllende
Skizzen dieser „Infiltrierenden“ – also
verdeckten Polizeiermittlern, die sich
unter die Protestierenden mischen.
Auch hier geht es um die Bedeutung
von Abbildungen im Kontext von
Machtstrategien: In Spanien ist das
Fotografieren und damit Abbilden
von Polizeiagenten untersagt, das
Ablichten von Demonstranten
allerdings nicht. Einerseits, weil die
Polizisten nicht als solche erkannt
werden wollen, andererseits aber
auch, weil sie nicht wollen, dass ihr
analysiertes Bild des Demonstranten
erkannt wird: Ein Klischee-Bild von
einem im schwarzem „Hoodie“ und
Stiefeln gekleideten, männlichen
Protestanten. Diese Kleidung
wird in den Skizzen derjenigen
des uniformierten Polizisten
gegenübergestellt und zeigt damit
zwei symbolische Bilder der Pole des
Machtkonfliktes auf der Strasse.
Auch in Erik, the
Ventriloquist (Anti-anti
riot kit) (2012) deutet
Andújar subtil auf die Bedeutung von
Beobachtern und Beobachtenden
hin. Die Kampfausrüstung eines
Polizisten trägt den Aufkleber „Watch
the Watchers“ und thematisiert
damit indirekt die Wichtigkeit von
Bildern für die Aufrechterhaltung des
politischen Systems.
8
9
10
11
12
13
Das Zusammenspiel von Realität und
ihrer Abbildung im Zusammenhang
mit Konflikten spielt auch in den
Werken rund um den Begriff des
Krieges eine entscheidende Rolle. In
den Prints The War (2008)
werden Screenshots
von Videospielen und
Werbeanzeigen realen Szenen
des Krieges gegenübergestellt,
die einerseits die Ähnlichkeit von
virtueller Welt des Krieges aufzeigen,
aber vor allem die Bildsprache
des Krieges thematisieren. Ob
aus der Game-Welt, den Medien
oder aus der Realität, alle zeigen
sie die Faszination für Bilder von
Konflikten auf und verdeutlichen
14
damit ihr bedeutendes Potenzial,
das für Machtstrategien genutzt
werden kann. Das Video
The War, Honor (2006)
zeigt Kriegsszenarien in
Videospielen aus verschiedenen
politischen Systemen, in denen die
„Bösen“ je nach Herkunft des Spiels
die politische Seite wechseln. In
The War, No War (2004)
wiederum untersucht
Andújar die Bilder und
Abbildungen der Kriegsgegner.
Die Arbeit vereint verschiedene
vorgefundene Fotografien von
Demonstrationen gegen den
Irak-Krieg, die sich zwar gegen
den Krieg richten, aber dabei auch
ein Einmischen in einen anderen
Konflikt verhindern wollen. Auch
diese Bilder sind keine neutralen
Dokumentationen von Protesten,
sondern wurden bereits benutzt,
um Interessen zu vertreten und um
den Standpunkt im Irak-Konflikt zu
stärken.
Welche Bedeutung Bilder bzw. ihre
Zensur für die politische Macht
bedeuten, zeigt auch die Arbeit
Declassified Transcripts
of Benghazi, 11th 2012
(2014), in denen Andújar
die ehemals klassifizierten, d.h.
geheimen, Dokumente zu den
Unruhen in Benghazi in Libyen 2012
ausstellt, die die amerikanische
Regierung nach politischem Druck
öffentlich zugänglich machte. Damit
zeigt Andújar auch die Fragilität
unserer Demokratien auf, in denen
eine ernsthafte Auseinandersetzung
mit Politik durch machtpolitische
und marktstrategische Interessen
erschwert wird.
In der kritisch-ironischen
Arbeit Leaders (2014) greift
Andújar auf Plakate zurück,
auf denen bekannte politische
Persönlichkeiten für Produkte
und bürgerrechtliche Initiativen
werben. Ihr Gesicht ist zur Marke
geworden mit der man spielen kann,
die einen schmunzeln lässt und die
für Marketingbotschaften genutzt
wird – sei es für einen guten Zweck
oder einfach für den Verkauf eines
Produktes. So wird deutlich, dass in
dem Masse wie einzelne Politiker als
Prominente in den Fokus geraten,
sich im Gegenzug die inhaltliche
Auseinandersetzung mit Politik
und ihren Prinzipien zunehmend
reduziert.
Die im HeK unter dem Titel
Konfliktzonen versammelten
Arbeiten Andújars erzählen
von Konflikten, von komplexen
Machtinteressen jenseits eindeutiger
Zuschreibungen, in denen Bilder
und Medientechnologien genutzt
werden, um diese zu steuern
und Vormachtstellungen weiter
auszubauen. In seinen Arbeiten
umkreist Andújar Themen
um Begriffe wie Kapitalismus,
Kommunismus, Aktivismus, Macht
oder Netzwerk. Statt leichte
Verurteilungen zuzulassen öffnet er
die Diskussion um deren komplexe
Bedeutungen.
15
16
17
18
Daniel G. Andújar (* 1966 in
Almoradi, Spanien) lebt und arbeitet
in Barcelona. Andújar begann
seine künstlerischen Aktivitäten
in den späten 1980er Jahren.
Er arbeitete in dieser Zeit vor
allem mit Video und begann früh,
sich mit den Möglichkeiten des
Internets auseinanderzusetzen.
1996 gründete er das fiktive
Unternehmen Technologies To The
People. In diesem Zusammenhang
initiierte er auch verschiedene
kollektive Projekte im Internet, wie
beispielsweise e-barcelona.org,
e-valencia.org, eseoul.org, e-sevilla.
org, e-stuttgart.org, postcapital.org,
e-madrid.org etc. 2004 arbeitete
er an seinem Langzeitkunstprojekt
Postcapital.Archive. 1989-2001, das
in unterschiedlichen Konstellationen
und Formaten in zahlreichen
Ausstellungen gezeigt wurde und
das auf einem digitalen Archiv mit
über 250.000 Dateien basiert.
2009 wurde er eingeladen, den
katalanischen Pavillon auf der 53.
Biennale in Venedig zu bespielen.
Andújar arbeitet als Kurator,
konzipiert und leitet Workshops,
schreibt Artikel, beteiligt sich an
Protestaktionen und berät Museen
und unterschiedliche Initiativen.
Seine Werke wurden in zahlreichen
Ausstellungen weltweit gezeigt.
Das spanische Nationalmuseum
Reina Sofia in Madrid richtete ihm
von Januar bis April 2015 eine
umfassende Einzelausstellung aus.