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REISE
Ausgabe 11 / 31. Mai 2013
Gesundheit und mehr...
N USA
Im Ostfriesennerz durch Seattle
D
Planschpartie. Wenn ein Stufensprung klappt, wird geklatscht.
ie Spitze der Space Needle fädelt Wolkenfetzen
auf. Flink stichelt sich
Seattles Wahrzeichenturm eine
ordentliche Decke zusammen,
dicht und grau. Es regnet. Na
endlich. Sonst kriegte man ja
auch einen ganz falschen Eindruck von der Rain City, hier
oben an der US-amerikanischen Westküste, am windigen
Ufer des launigen Pazifiks.
Skipper Lou Scannon – was
übersetzt „lose Kanone“ heißt
– nimmt jetzt Kurs auf Lake
Union. Das ist der innerstädtische Gletschersee zwischen
Puget Sound und Lake Washington. Und es ist hoffentlich
kein Witz, dass die Duck seetüchtig ist. Bevor sie sich die
Bootsrampe in den See hinabstürzt, tauscht Lou den Radhelm noch fix gegen eine Art
Matrosenhütchen. Sein Amphibien-Fahrzeug schwimmt wirklich. Der Regen malt hübsche
Ringmuster aufs Wasser. Von
einem Hausboot winkt ein alter
Mann mit Kapuze.
Wenn eifrige Lokalpatrioten
auch gern und oft beteuern,
dass es drüben in Cleveland
öfter tröpfelt und in Miami viel
mehr schüttet, wuchern Moose
und Immergrün in Seattle wohl
nicht ohne Grund. Fast ein Meter Niederschlag fällt hier pro
Jahr. Ohne Wasser wäre Seattle
nicht, was es ist. Wer schlau
ist, packt sogar für einen Besuch im Hochsommer den Ostfriesennerz ein.
Kapitän Lou Scannon knöpft
seinen gerade zu. Inzwischen
ist der feine Niesel einem richten Platzregen gewichen. Aber
für einen waschechten Seattleite gibt es kein schlechtes
Wetter, sondern nur falsche
Kleidung. Nass macht Spaß.
Um Lous Hals baumelt eine
quietschgelbe EntenschnabelPlastiktröte. Auf dem Kopf trägt
er einen Fahrradhelm. Sein
rollendes Tour-Mobil hat sechs
Räder, Kulleraugen-Scheinwerfer und eine Schiffschnauze. So
eine umgebaute Duck-Ente, die
beim US-Militär noch DUKW
hieß, ist vielleicht das beste
Vehikel um Seattles Seele zu
erkunden.
Erste Station ist der Pioneer
Platz. Prunkstück ist der Smith
Tower aus hellem Granit und
Terrakottakacheln. 1914 gebaut, war er mit 159 Metern
damals das vierthöchste Gebäude der Welt. Heute ist er
neben dem Columbia Center
mit knapp 286 Metern, der
auch die wie ein Ufo auf Stelzen aussehende Space Needle
(184 Meter) aussticht, eher ein
Wie ein umgedrehtes Ufo auf Stelzen: Die Space Needle ist das Wahrzeichen von Seattle.
Knirps. Wer mit Liftboy in Livree den Messingaufzug zum
Balkon in die 35. Etage nach
oben fährt, sieht bei schönem
Wetter trotzdem die schneeweißen Spitzen der KaskadenBergkette mit dem Mount Rainier am Horizont. Heute nicht.
Dicke Tropfen trommeln aufs
Duck-Dach. Es geht am Seattle
Art Museum vorbei, wo das
bekannteste Kunstobjekt 15
Meter hoch vor dem Eingang
aufragt:
Der
„Hammering
Man“, Mitglied einer kinetischen
Skulpturenserie
als
Hommage an die Arbeiterbewegung von US-Bildhauer Jonathan Borofsky.
„Starbucks auf Steuerbord!“,
ruft Lou plötzlich und reißt den
rechten Arm hoch. „Grande!“,
johlt seine Mannschaft, wie vor
Tourbeginn bei jeder FilialSichtung abgemacht. Seattle ist
immerhin Heimatstadt der
Kaffeekette. Tausende von Läden gibt es weltweit, 80 sollen
es in Seattle sein. Hier meint
„Grande“ übrigens die mittlere
Bechergröße. Klein heißt „tall“
(groß). Bei Dauerregen wie
heute empfiehlt sich wohl
„Venti“, die Dreiviertelliter-Version. Mit einem Heißgetränk
im Trockenen den Regen gemütlich abzuwarten, musste in
diesen Breiten eine lukrative
Geschäftsidee sein.
Die Duck rumpelt über das
Kopfsteinpflaster vom Pike Place Market, dem 1907 gegründeten Markt der Stadt. Hier
gibt es gratis Plastiktüten – extralang, aber schmal – für nasse Schirme im Foyer und ansonsten allerlei Obst- und
500 von diesen schicken,
schwimmenden
Wohnungen
gibt es in Seattle. Auf dem
spitzgiebeligen grauen dort
drüben, mit Veranda, dunkelgrünen Markisen und Blumenampeln wurde der Film
„Schlaflos in Seattle“ mit Tom
Hanks gedreht. Für 2,5 Millionen Dollar (rund 1,92 Millionen
Euro) soll es neulich verkauft
worden sein.
Feinkosthändler inklusive fotogener Fischverkäufer, die ihre
glitschige Ware zum Kollegen
an der Waagschale werfen.
Was angeblich schneller geht,
aber nicht immer funktioniert.
In seinen elf Jahren als Fish
Thrower versenkte Chris Bell –
tätowiert und in orangen Gummihosen – auch schon mal einen im Kinderwagen.
Das könnte Bill Gates aus der
Portokasse
bezahlen.
Der
zweitreichste Mann der Welt
ist in Seattle geboren und aufgewachsen. Wer weiß, ob er
sich woanders bei Dauersonne
auch tagelang mit HighschoolKumpel Paul Allen hinter Computern verkrochen und später
Microsoft gegründet hätte.
Lebendige
Meeresbewohner
wie Haie, Seeotter und Tintenfische sind im Seattle Aquarium am Hafenpier 59 zu bestaunen
oder
an
der
Kanalschleuse Ballard Locks,
wo tierliebe Ingenieure den
Wanderlachsen eine Fischtreppe gebaut haben. Hinter dicken
Glasfenstern kämpfen glubschäugige Fische gegen die grüntrübe Strömung. Dagegen ist
Ironman-Wettschwimmen eine
Käpt’n Lou kramt nach dem
Fahrradhelm. Mit Vollgas und
einem Ruck die Bootsrampe
hinauf hat die Straße seine
Duck samt Insassen wieder
und rollt zurück Richtung Space Needle. Hier gibt es zum
Abschied einen feuchten Händedruck und einen Freud’schen
Versprecher: „Das Wetter, äh,
das Wasser war doch gar nicht
so schlecht.“
Heike Schmidt
Spaßvogel am Steuer: Skipper Lou Scannon steuert die Seattle liegt auf einem schmalen Landstreifen zwischen Was wäre besser für eine Tour durch die Rain City geDuck-Ente.
Fotos: dpa der Puget Sound Meeresbucht und dem Lake Washington. eignet als ein Amphibienfahrzeug wie die Duck-Ente.