Skript zur Vorlesung - Lehrstuhl für Steuerrecht

Transcrição

Skript zur Vorlesung - Lehrstuhl für Steuerrecht
Allgemeines Steuerrecht
Wintersemester 2013/2014
Prof. Dr. Roman Seer
Lehrstuhl für Steuerrecht
Ruhr-Universität Bochum
Rechtfertigung von Steuern
• Assekuranztheorie (Thomas Hobbes, 1651):
Die Steuer ist eine „Prämie“ für den Schutz von Freiheit und
Eigentum durch den Staat
• Opfertheorie (Jean Jaques Rousseau, 1755):
Das Lebensnotwendige muss steuerfrei bleiben. Dagegen
kann der Luxus hoch und das Überflüssige sogar ganz
wegbesteuert werden.
• Theorie des Steuerstaats (Lorenz von Stein, 1885):
Der Einzelne gibt mit der Steuer nur einen Teil des wirtschaftlichen Ergebnisses zurück, das er mit Unterstützung
der im Staat verfassten Gemeinschaft erzielt hat.
2
Bundesrepublik Deutschland als Steuerstaat
• Staat deckt seinen Finanzbedarf im Wesentlichen aus Steuern
(Prämisse der Finanzverfassung des Grundgesetzes).
• Staat beteiligt sich in Gestalt der Steuer am Ertrag
der produzierenden Wirtschaft
(Steuerstaat als „Parasit“ der Privatwirtschaft).
• Steuerstaat entspricht der Trennung zwischen Staat und Gesellschaft
(Staat und Wirtschaft).
• Steuer ist eine Art „Prämie“ des Besteuerten an den Staat,
um in dem vom Staat gewährleisteten Rahmen frei wirtschaften
zu können (Steuerstaat als Garant der Wirtschafts- und Berufsfreiheit).
3
Bundesrepublik Deutschland als Steuerstaat
• Sozialstaat bedingt Steuerstaat.
• Alternativen zum Steuerstaat:
• Eigenwirtschaft des Staates (insb. Planwirtschaft)
• gebührenfinanzierter Dienstleistungsstaat
4
Steuermaximen (Adam Smith)
(T/L, § 7 Rz. 1-18)
• Gleichheit der Besteuerung
Die Bürger sollen Steuern nach ihren Fähigkeiten zahlen,
d.h. ihr Beitrag soll sich nach dem Einkommen richten,
das sie unter dem Schutz des Staates erzielen.
• Bestimmtheit der Besteuerung
Zahlungstermin, Zahlungsart und Zahlungsbetrag sollen
jedermann klar und deutlich sein.
Steuermaximen (Adam Smith)
(T/L, § 7 Rz. 1-18)
• Bequemlichkeit der Besteuerung
Die Steuer soll zu der Zeit und in der Weise erhoben werden,
die dem Bürger am bequemsten ist.
• Wohlfeilheit der Besteuerung
Die Kosten der Steuererhebung sollen möglichst gering sein.
Steuermaximen (Adam Smith)
(T/L, § 7 Rz. 1-18)
Grundanforderungen ökonomischer und rechtsstaatlicher
Rationalität von Steuern
materiell
• Ergiebigkeit
• Gerechtigkeit
• Entscheidungsneutralität
formell
• Unmerklichkeit
• Praktikabilität
Teilhabe des Steuerstaates am privaten
Wirtschaften
(T/L, § 7 Rz. 19-43)
Steuern (§ 3 I AO)
Steuern auf das
Einkommen und Vermögen
Markteinkommen
Vermögenstransfer
Steuern auf die Verwendung von
Einkommen und Vermögen
Vermögen
USt
ESt
KSt
GewSt
ErbSt
SchenkSt
GrSt
VSt
bes. Verkehrsteuern
bes. Verbrauch- und
Aufwandsteuern
Teilhabe des Steuerstaates am privaten
Wirtschaften
(T/L, § 7 Rz. 19-43)
Teilhabe des Staates
am erwirtschafteten
Vermögenszuwachs
am Vermögensbestand
USt
GrSt
ESt
am Konsum
bes. Verkehrsteuern
KSt
GewSt
ErbSt
SchenkSt
VSt
bes. Verbrauch- und
Aufwandsteuern
Steueraufkommen (in Milliarden €)
Steuerart
Lohnsteuer
Kapitalertragsteuer &
Zinsabschlag/
2011: Abgeltungsteuer
veranlagte ESt
Soli.-Zuschlag
Körperschaftsteuer
USt
Einfuhr-USt
EnergieSt
StromSt
TabakSt
Alkohol-/KaffeeSt
LotterieSt
VersSt
1990
92,6
5,5
2000
135,7
20,8
2006
122,6
19,5
2011
139,7
8,0
2012
149,1
8,2
18,7
17
43,3
35,8
18,7
9,4
4,5
1
2,3
12,2
11,8
23,6
107,1
33,7
37,8
3,4
11,5
4,6
1,8
7,2
17,6
11,3
22,9
111,3
35,4
38,9
6,3
14,4
4,3
1,8
8,8
32,0
12,8
15,6
139,0
51,0
40,0
7,2
14,4
3,5
1,4
10,8
37,3
13,6
16,9
142,4
52,2
39,3
6,9
14,1
4,3
1,4
11,1
10
Steueraufkommen
Steuerart
1990
2000
2006
2011
2012
19,8
27
38,4
40,4
42,3
GrSt
4,5
8,8
10,4
11,7
12,0
GrESt
2,1
5,2
6,1
6,4
7,4
Kfz-Steuer
4,3
7
8,9
8,4
8,4
VSt
3,2
0,4
-
-
-
ErbSt
1,5
3
3,8
4,2
4,3
Zölle/sonst.
5,7
4,7
5,7
4,6
4,5
289,9
467,3
488,4
573,4
600,0
GewSt
Gesamt
11
Rechtsordnung
Öffentliches Recht
Privatrecht
Wirtschaftlicher
Sachverhalt
• Einkommen
• Umsatz
• Vermögen
Verwaltungsrecht
Eingriffsverwaltung
Leistungsverwaltung
Steuerrecht
Transferrecht
Einwirkung
Einordnung des Allgemeinen Steuerrechts
(T/L, § 1 Rz. 49-77)
Grundgesetz
Gesetz über die
Finanzverwaltung
(Behördenorganisation)
Europäisches
Gemeinschaftsrecht
Allgemeines
Steuerschuldrecht
(Allgemeines Recht der
Steuerschuldverhältnisse)
Abgabenordnung
Finanzgerichtsordnung
(gerichtlicher
Rechtsschutz)
Einordnung des Besonderen Steuerrechts
(T/L, § 1 Rz. 78-100)
Grundgesetz
Steuern auf das Einkommen
und Vermögen:
EStG, Kirchensteuergesetze,
KStG, GewStG,
sowie bewertungsgesetzabhängige Steuerarten:
ErbStG, GrStG (VStG)
Europäisches
Gemeinschaftsrecht
Steuern auf die
Verwendung
von Einkommen und
Vermögen:
UStG, Verkehr-/
Verbrauchsteuergesetze
14
Einordnung des Besonderen Steuerrechts
(T/L, § 1 Rz. 78-100)
Sondergebiete des Steuerrechts
Steuersubventionsrecht
Gemeinnützigkeitsund
Spendenrecht:
§§ 51-68 AO,
Fördergesetze
(Beachte: Ehrenamtsstärungsgesetz
vom 28.3.13, BGBl. I 2013, 556)
Bilanz- und
UnternehmensSteuerrecht
Internationales
Steuerrecht:
AStG, DBA
(Besonderes
Steuerschuldrecht
der Unternehmen)
UmwStG
15
Normenhierarchie (T/L, § 5 Rz.1-40)
Gemeinschaftsrecht
• primäres (EUV)
• sekundäres (EU-VO,
EU-Richtlinie)
Verfassung
= Grundgesetz
Einfaches
Parlamentsgesetz
Allgemeine
Steuergesetze
(z.B. AO, BewG)
Einzelsteuergesetze
(z.B. EStG, UStG)
Normenhierarchie
Steuergesetze im formellen Sinn
(= Parlamentsgesetze)
RVo = Art. 80 GG, z.B.
EStDV, UStDV, KStDV
Autonome Satzungen
z.B. GewSt/GrdSt-Hebesatz,
HundeSt, VergnügungsSt
Steuergesetze im materiellen Sinn (§ 4 AO)
17
Normenhierarchie
Keine Gesetze i.S.d. § 4 AO sind
 Verwaltungsvorschriften
(Steuerrichtlinien, Erlasse,
Verfügungen, BMF-Schreiben)
 Rechtsprechung
Grundsatz: Keine Bindung der Gerichte
Verwaltungsvorschriften
der Finanzverwaltung
(T/L, § 5 Rz. 28 ff., 21 Rz. 35 ff.)
Richtlinien
= Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung mit Zustimmung des
Bundesrates (Art. 108 VII GG)
Erlasse
= Verwaltungsvorschriften des Bundesministers der Finanzen oder der
Finanzminister der Länder gegenüber ihren jeweils nachgeordneten Behörden
Schreiben
= Verwaltungsvorschriften des Bundesministers der Finanzen im Bereich der
Auftragsverwaltung seitens der Länder (Art. 108 III GG)
Verfügung
= Verwaltungsvorschriften der Oberfinanzdirektion an die nachgeordneten
Behörden (Finanzämter, Hauptzollämter) des jeweiligen OFD-Bezirks
19
Vereinheitlichung des Gesetzesvollzuges
durch Verwaltungsvorschriften
• ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften
• norminterpretierende Verwaltungsvorschriften
• normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften
20
Öffentliche Abgaben (allgemein)
• Geldleistung
• von
einem öffentlich-rechtlichen
Gemeinwesen auferlegt
• zur
Finanzierung öffentlicher Aufgaben
Öffentlichen Abgaben (T/L, § 2 Rz. 9-31)
Steuern
• ohne konkrete
Gegenleistung
(voraussetzungslos)
Vorzugslasten
(Gebühren u. Beiträge)
• Entgelte für eine
Leistung der Verwaltung
(Verwaltungspreis)
• Äquivalenzprinzip
Öffentlichen Abgaben (Abgrenzung II)
Sozialversicherungsbeiträge
• konkrete
Gegenleistung
• aber: Solidarprinzip =
einkommensabhängige Bemessung
(Parafisci)
Sonderabgaben
• Keine konkrete Gegenleistung
• aber: gruppennützige
Verwendung
► Voraussetzungen:
► Homogenität der Gruppe
►Gruppenverantwortung für die
zu finanzierende Aufgabe
►jährliche Überprüfung
(Problem der Budgetflucht)
Steuerbegriff (§ 3 I AO)
• Geldleistung
• von öffentlich-rechtlichem Gemeinwesen auferlegt
• zur Erzielung von Einnahmen (Fiskalzweck muss
mindestens Sekundärzweck sein, § 3 I 2 AO)
• zur Deckung des allgemeinen staatlichen
Finanzbedarfs (= allgemeiner Haushalt)
 allen auferlegt, bei denen der Tatbestand erfüllt ist,
an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft
(= Art. 3 I, 20 III GG, §§ 38, 85 AO)
Gesetzmäßigkeit der Besteuerung
(Art. 20 III GG), s. T/L § 3 Rz. 230 ff.
Vorrang des
Gesetzes
Abweichungs- Anwendungsverbot
gebot
Vorbehalt des
Gesetzes
Eingriff in den
Schutzbereich von
Grundrechten
bei normativen
Fundamentalentscheidungen
• Wesentlichkeitstheorie
• Demokratieprinzip
Gesetzmäßigkeit der Besteuerung,
(Art. 20 III GG), s. T/L, § 3 Rz. 230 ff.
Einfachgesetzliche Verortung:
§ 3 AO: Steuerbegriff
§ 38 AO: Entstehung des Anspruchs
aus dem Steuerschuldverhältnis
§ 85 AO: Gesetzmäßige Festsetzung
und Erhebung der Steuer
26
Gleichmäßigkeit der Besteuerung
(Art. 3 GG), s. T/L § 3 Rz. 110 ff.
Rechtsanwendung
Rechtssetzung
(„Gleichheit vor dem
Gesetz“, Art. 3 I GG)
(Art. 1 III, 3 I GG)
verpflichtet
• Exekutive
• Judikative
Legislative
Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung
Größere Rechtfertigungsdichte,
wenn sich die Ungleichbehandlung nachteilig auf
grundrechtlich geschützte Freiheiten auswirkt:
um so stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung
grundrechtlicher Freiheiten (z.B. Art. 6 I GG) auswirkt, desto
strengere Prüfung (Bsp.: BVerfG v. 6.3.2002, BVerfGE 105, 73 ff.;
BVerfG v. 21.6.2006, BVerfGE 116, 164 ff.; BVerfG v. 21.7.2010,
BVerfGE 126, 400 ff.)
Aktuelle Rechtsprechung des BVerfG zur Anwendung des
Ehegattensplittings auch für eingetragene Lebenspartner: Beschluss vom
07.05.2013, Az.: 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07
28
Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung
Sog. neue Formel =
Verhältnismäßigkeitsprüfung:
Am Zweck der Maßnahme ist das Ausmaß der
unterschiedlichen Behandlung der Vergleichsgruppen zu
messen
Personenbezogene Ungleichbehandlung erfordert
größere Rechtfertigungsdichte als
sachverhaltensbezogene Ungleichbehandlung:
großzügigere Prüfung, wenn sich der Betroffene auf die Regelung
einstellen und nachteiligen Auswirkungen durch eigenes Verhalten
begegnen kann (s. BVerfG v. 6.3.2002, BVerfGE 105, 73, 110 ff. –
Rentenbesteuerung; BVerfG v. 21.7.2010, BVerfGE 126, 400 ff. –
eingetr. Lebenspartner, ErbSt-Tarif)
29
Gebot der Systemkonsequenz u. Folgerichtigkeit – Art. 3 I GG
BVerfG: Freiheit des Gesetzgebers bei der Auswahl der
Steuerquelle
Nach Regelung des Ausgangstatbestandes: Folgerichtige
Umsetzung der getroffenen Belastungsentscheidung i.S.d.
Belastungsgleichheit
Konsequente Fortführung des Belastungsgrundes in der
Bemessungsgrundlage des Einzelsteuergesetzes
Gebot der realitätsgerechten, folgerichtigen Umsetzung des
Belastungsgrundes in der Bemessungsgrundlage des
Einzelsteuergesetzes : BVerfGE 93, 121 (EW, VSt); 93, 165; 117, 1
(ErbSt); 99, 88 (Verlustverrechnung); 105, 73 (Spekulationsgewinne);
122, 210 (Pendlerpauschale); 126, 268 (Arbeitszimmer)
Gleichmäßigkeit der Besteuerung
(Art. 3 GG), s. T/L § 3 Rz. 110 ff.
Gleichheit der
normativen
Steuerpflicht
Gleichheit bei deren
Durchsetzung
BVerfGE 84, 239; 110, 94:
Strukturelles Vollzugsdefizit wirkt auf die Norm zurück
Legislative
• Deklarationsprinzip bedingt Verifikationsprinzip
• Ausgestaltung im Sinne der Folgerichtigkeit
Industrieansiedlungsvereinbarung (Fall 1):
Ein Automobilunternehmen will in den neuen Bundesländern
eine Fabrikationsstätte errichten. Es trifft dazu mit der in
einem struktur-schwachen Gebiet belegenen Gemeinde B
eine sog. Industrieansiedlungsvereinbarung. Darin verspricht die Gemeinde B dem Unternehmen, geeignete
Grundstücke zu erschließen, die bauplanungsrechtlichen
Voraussetzungen zu schaffen und für die ersten fünf Jahre
auf die Festsetzung von Grund- und Gewerbesteuer zu
verzichten. Als Gegenleistung sagt das Unternehmen zu,
eine Produktionsstätte mit 500 Arbeitsplätzen aufzubauen.
Literaturhinweis
BVerwGE 8, 329; 48, 166; BFH BStBl. II 1970, 696
32
Kinderlasten (Fall 2):
Die X-Partei möchte den Abzug eines Kinderfreibetrages
vom Einkommen bei der Einkommensteuer abschaffen. Zur
Begründung führt sie an, dass aufgrund des progressiven
Tarifs gutverdienende Eltern privilegiert würden.
Ist die Argumentation verfassungsrechtlich haltbar?
Literatur
BVerfGE 61, 319 ff.; 66, 214 ff.; 82, 60 ff.; 99, 216 ff., 112, 268 ff.
J. Lang, StuW 1990, 331; Seer/Wendt, NJW 2000, 1904.
33
Vorsorgeaufwendungen (Fall 3):
Der sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer N zahlt die
Höchstbeträge
an
Beiträgen
in
die
gesetzliche
Sozialversicherung, weil er die sozialversicherungsrechtliche Beitragsbemessungsgrenze überschreitet. Nach
§10 Abs.1 Nr. 2, 3 EStG sind aber nur ein Teilbetrag seines
Arbeitnehmer-Anteils als Sonderausgaben bei der
Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer abzugsfähig. Ist dies verfassungsrechtlich haltbar?
Literatur
BVerfG v. 13.2.2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125; Grün, DStR 2009, 1457;
Risthaus, DStZ 2009, 669.
BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73; BFH v. 1.2.2006 – X B
166/05, BStBl. II 2006, 420; Wesselbaum-Neugebauer, FR 2007, 683.
34
Spendenabzug (Fall 4):
A und B spenden an das Deutsche Rote Kreuz jeweils 1.000
€ zur Unterstützung der Elbeflutopfer. Beide machen die
Spende als Sonderausgaben nach § 10b EStG geltend. A
(zu versteuerndes Einkommen = 20.000 €) erhält dadurch
eine Steuerersparnis von ca. 300 €, B (zu versteuerndes
Einkommen = 200.000 €) eine Steuerersparnis von ca. 500
€.
A fragt, warum seine Spende dem Staat 200 € „weniger wert
sein darf?“
Literatur
R.Seer, DStJG Bd. 26 (2003), 11, 40 ff.; S.Geserich, DStJG Bd. 26 (2003), 245 ff.
35
Fahrten zwischen Wohnung u.
Arbeitsstätte (Fall 5):
A ist Arbeitnehmer. Er fährt von seinem 30 km entfernten
Wohnort arbeitstäglich mit der Deutschen Bahn AG zu
den Betrieb des Arbeitgebers. Nach § 9 Abs. 2 EStG
2007 waren erst ab dem 21. Entfernungskilometer seine
Aufwendungen mit einer Pauschale von 0,30 € „wie
Werbungskosten“ abzugsfähig.
Verstieß diese Regelung gegen Art. 3 I GG?
Literatur
BVerfGE 122, 210; Drenseck/Bergkemper, DB-Beilage 3/2009; Tipke, JZ
2009, 533; Drüen, JZ 2010, 91; Morgenthaler/Frizen, JZ 2010, 287
36
Schutz der Freiheitsgrundrechte
(T/L, § 3 Rz. 180 ff.)
Allgemeine Handlungsfreiheit
(Art. 2 I GG)
vermögensrechtliche
Ausprägungen
Eigentümerfreiheit
(Art. 14 I GG)
Berufsfreiheit
(Art. 12 I GG)
37
Schutz Ehe und Familie
(T/L, § 3 Rz. 162-170)
Schutz von Ehe und Familie
(Art. 6 I GG)
Abwehrrecht
Leistungsrecht
Diskriminierungsverbot
Fördergebot
Institutsgarantie
BVerfG (2 BvR 909/06): Art. 6 I GG gebietet nicht die zwingende (steuerliche) Besserstellung der Ehe im
Vergleich zu anderen Lebensführungsmodellen.
38
Übermaßverbot (I)
Übermaßverbot = Schranken-Schranke für
Eingriffe in Freiheitsgrundrechte/
Rechtsstaatsprinzip
(T/L, § 3 Rz. 180-193, § 21 Rz. 8, 193 f.)
Merkmale:
1. Geeignetheit
= Verbot solcher Maßnahmen, die im Hinblick auf das verfolgte Ziel überhaupt
keine Wirkungen entfalten oder dessen Erreichen sogar erschweren
entscheidend: Ex-ante-Sicht des Gesetzgebers/der Verwaltung
39
Übermaßverbot (II)
2. Erforderlichkeit (Grundsatz des mildesten Mittels)
= Das verfolgte Ziel kann nicht auch durch ein anderes, gleich wirksames
Mittel erreicht werden, welches das betroffene Grundrecht nicht oder
weniger schwer einschränkt
3. Proportionalität (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn)
- althergebrachtes Bild: "nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen";
- heute: Abwägungsprinzip zwischen Individualinteresse und
öffentlichem Interesse
Beachte:
Gesetzgeber/Verwaltung genießt Einschätzungsprärogative, deshalb reduziert
sich die Ex-post-Kontrolle auf eine Evidenzkontrolle
40
Schutz des Existenzmininums – BVerfGE 87, 153,
169 ff. – absoluter Mindestschutz
Prinzip freiheitsschonender Besteuerung
1. Dem der Einkommensteuer unterworfenen Steuerpflichtigen muss nach
Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel
verbleiben, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und unter Berücksichtigung von Art. 6 I GG - desjenigen seiner Familie bedarf
(Existenzminimum).
2. Der Steuergesetzgeber muss dem Einkommensbezieher von seinen
Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur
Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln
zur Verfügung stellt (Gebot der Abstimmung mit der Sozialhilfe).
41
Sog. Halbteilungsgrundsatz in BVerfGE 93, 121,
135 ff., 93, 165, 172 ff. – EW-Beschlüsse (I)
1. Die Gesamtbelastung durch eine Besteuerung des Vermögenserwerbs, des Vermögensbestandes und der Vermögensverwendung ist vom Gesetzgeber so aufeinander abzustimmen, dass
dem Steuerpflichtigen die Privatnützigkeit des Erworbenen und
die Verfügungsbefugnis über geschaffene vermögenswerte Rechtspositionen jedenfalls im Kern erhalten bleiben.
2. Eine Vermögensteuer darf nur so bemessen werden, dass sie den
Vermögensstamm (Substanz) unberührt lässt und aus den
üblicherweise zu erwartenden, möglichen Erträgen (den sog.
Sollerträgen) bezahlt werden kann.
42
Sog. Halbteilungsgrundsatz in BVerfGE 93, 121,
135 ff., 93, 165, 172 ff. – EW-Beschlüsse (II)
3. Ungeachtet des Bestandsschutzes nimmt auch der Vermögensertrag
am Schutz der vermögenswerten Rechtspositionen als Grundlage
individueller Freiheit teil. Die steuerliche Gesamtbelastung des
Sollertrages muss bei typisierender Betrachtung von Einnahmen,
abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe
einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand
verbleiben (sog. Halbteilungsgrundsatz).
Einen besonderen Schutz genießt das sog. persönliche und
familiäre Gebrauchsvermögen, das der persönlichen Lebensführung
des Steuerpflichtigen und seiner Familie dient. Die wirtschaftliche
Grundlage persönlicher Lebensführung hat der Gesetzgeber gegen eine
Vermögensbesteuerung abzuschirmen (Gebrauchsvermögen als
„Vermögensexistenzminimum“).
43
4.
BVerfG v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE
115, 97 ff. (I)
1. Den Ausführungen im Beschluss vom 22. 6. 1995 lässt sich keine Belastungsobergrenze entnehmen, die unabhängig von der dort allein streitgegenständlichen
Steuerart - der Vermögensteuer - Geltung beanspruchen könnte und auf andere
Steuerarten - wie die Einkommen- und Gewerbesteuer - übertragbar wäre.
2.
Der Eigentumsgarantie kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu,
dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich
zu sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu
ermöglichen. Der Schutz betrifft grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die
dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass
dieser die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung
zu seinem privaten Nutzen ausüben darf (vgl. BVerfGE 112, 93, 107, m. w. N.).
Damit schützt die Eigentumsgarantie nicht nur dingliche oder sonstige gegenüber
jedermann wirkende Rechtspositionen, sondern auch schuldrechtliche Ansprüche
(vgl. BVerfGE 83, 201, 208, m. w. N.). Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht,
die geschützten vermögenswerten Rechte innezuhaben, zu nutzen, zu verwalten
44
und über sie zu verfügen.
BVerfG v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE
115, 97 ff. (II)
3.
Die steuerlichen Schrankenbestimmungen des Eigentums unterliegen wie andere
Schrankenziehungen den allgemeinen Eingriffsbegrenzungen. Besondere
Bedeutung kommt dabei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu mit seinen
Anforderungen an ein hinreichendes Maß an Rationalität (Eignung und Erforderlichkeit der Beeinträchtigung) und an Abgewogenheit beim Ausgleich zwischen den
beteiligten individuellen Belangen und denen der Allgemeinheit. Bei der Eigentumsgarantie ist diese Abwägung neben dem Gewährleistungsgehalt des
Art. 14 Abs. 1 GG wesentlich auch durch die Leitlinien des Art. 14 Abs. 2 GG
geprägt. Danach ist zwar die grundsätzliche Privatnützigkeit der vermögenswerten
Rechte (individuelle Belange) geschützt. Ebenso aber gilt: Eigentum verpflichtet.
Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Für Steuereingriffe
in vermögenswerte Rechtspositionen folgt daraus, dass der Nutzen einer vermögenswerten Rechtsposition einerseits für die steuerliche Gemeinlast zugänglich
ist. Andererseits muss dem Berechtigten ein privater Nutzen bleiben (vgl. BVerfG
v. 22.6.1995, BVerfGE 93, 121, 138, DStR 1995, 1345).
45
Recht auf informationelle
Selbstbestimmung
Allgemeines Persönlichkeitsrecht
(Art. 1 i.V.m. Art. 2 I GG)
Schutz der informationellen Selbstbestimmung
(BVerfGE 65, 1 ff.; 113, 29, 45 f.; 115, 166, 188; 118, 168, 184 f.)
Schutz des Steuergeheimnisses (§ 30 AO)
dazu BVerfGE 67, 100 (142 ff.), T/L, § 21 Rz. 28 f.
46
Durchbrechungen des
Steuergeheimnisses
Schutzbereich (§ 30 II AO) =
Verhältnisse eines anderen, fremde Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse
Eingriff: Offenbaren oder Verwerten durch Amtsträger (§ 7 AO)
Offenbarungsbefugnis = Rechtfertigungskatalog des § 30 IV AO:
Nr. 1: Offenbarung dient Durchführung eines steuerlichen Verfahrens
Nr. 2: Offenbarung durch Spezialgesetz zugelassen
Nr. 3: Offenbarung mit Zustimmung des Betroffenen
Nr. 4: Offenbarung zur Durchführung eines Strafverfahrens
Nr. 5: Offenbarung wegen zwingenden öffentlichen Interesses
47
Betriebsprüfungsfall:
Ein Unternehmer hat seine Ehefrau im Unternehmen angestellt und setzt
deren Gehalt als Betriebsausgabe ab. Darf der Betriebsprüfer bei der
Außenprüfung den Pförtner fragen, ob die Ehefrau tatsächlich in dem
Unternehmen gearbeitet hat?
48
Vertrauensschutz – Allgemeine Merkmale (I)
Vertrauensschutz = freiheitlicher Dispositionsschutz
Rechtsstaatsprinzip (Schranken-Schranke)
(T/L, § 3 Rz. 260-282, § 21 Rz. 12-27)
Voraussetzungen:
1. Vertrauenstatbestand
= gesetzgeberischer Akt/Vorverhalten der Verwaltung
2. Vertrauensbildung seitens des Stpfl.
49
Vertrauensschutz – Allgemeine Merkmale (II)
3. Vertrauensbetätigung (Disposition) seitens des Stpfl.
4. Kausalitätserfordernis
=
aufgrund des Vertrauenstatbestandes muss der Stpfl. vertraut
und konkrete Dispositionen getroffen haben
50
Echte Rückwirkung (1. Senat)/Rückbewirkung
von Rechtsfolgen (2. Senat BVerfG)
Gesetzesbeschluss
Vergangenheit
abgeschlossenen
Sachverhalt
Gegenwart
Gesetzliche Neuregelung
greift ein in
51
Unechte Rückwirkung (1. Senat)/ tatbestandliche
Rückanknüpfung (2. Senat)
Gesetzesbeschluss
Gegenwart
Zukunft
gegenwärtige, noch nicht
abgeschlossene Sachverhalte
Gesetzliche
Neuregelung
wirkt auf Rechtsbeziehungen in der
Zukunft
52
Unechte Rückwirkung (1. Senat)/ tatbestandliche
Rückanknüpfung (2. Senat)
Gesetzesbeschluss
Vergangenheit
tatbestandsausfüllende
Tatsachen
macht Eintritt ihrer Rechtsfolgen
von Gegebenheiten aus der Zeit
vor ihrer Verkündung abhängig
Gegenwart
Rechtsfolge
Gesetzliche
Neuregelung
53
Steuerrechtsspezifische Abgrenzung anhand der sog.
Veranlagungszeitraumrechtsprechung in BVerfGE
127, 1 ff.; 31 ff.; 61 ff.; BStBl. II 2012, 932 (I.)
1.
Eine "echte" Rückwirkung, also eine Rückbewirkung von belastenden
Rechtsfolgen auf Tatbestände, die bereits vor dem Zeitpunkt der
Normverkündung abgeschlossen sind, ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig.
2.
Nicht grundsätzlich unzulässig ist hingegen eine "unechte" Rückwirkung,
in deren Rahmen die Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung
eintreten, jedoch tatbestandlich von einem bereits ins Werk gesetzten
Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung" )
3.
Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit (Dispositionsinteresse) hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende
Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen
verfassungsrechtlichen Schutz.
54
Steuerrechtsspezifische Abgrenzung anhand der sog.
Veranlagungszeitraumrechtsprechung in BVerfGE
127, 1 ff.; 31 ff.; 61 ff.; BStBl. II 2012, 932 (II.)
4.
Um mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes (Dispositionsinteresse)
vereinbar zu sein, muss die unechte Rückwirkung zur Förderung des
Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich sein; zudem müssen bei einer
Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens
und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung
rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben.
5.
Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung nur vor,
wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich
abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass
die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden
Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung
zuzuordnen ist (vgl § 38 AO iVm § 36 Abs 1 EStG). An dieser sog.
Veranlagungszeitraum-Rspr wird auch angesichts der im Schrifttum
geäußerten Kritik, die nicht auf die Entstehung der Steuerschuld, sondern
auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der steuerlichen
55
Einzelnorm abstellen möchte, festgehalten.
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
(§ 37 I AO), T/L, § 6
1. Steueranspruch
= Hauptanspruch, der das Steuerschuldverhältnis begründet
2. Haftungsanspruch (§§ 69 ff. AO)
= Steuersicherungsanspruch
3. Steuervergütungsanspruch
= zur Beseitigung einer bestimmten Belastung: bei Überwälzung
(Bsp.: USt), bei Mehrfachbesteuerung (z.B. KSt).
4. Erstattungsanspruch (§ 37 II AO)
= Anspruch auf Rückgewähr wegen rechtsgrundloser Leistung
5. Anspruch auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 IV AO)
56
Steuervergütungsanspruch
(T/L, § 6 Rz. 85 ff.)
Steueranspruch
Finanzamt
Steuervergütungsanspruch
Steuerschuldner
Überwälzung mit
Steuervergütung
Überwälzung ohne
Steuervergütung
Steuervergütungsgläubiger
Steuerträger
57
Steuervergütungsanspruch
(Bsp.: Vorsteuer nach § 15 UStG)
FA
FA
38
-19
19
19
F
FA
100
+ 19
G
57
-38
19
200
+ 38
E
300
V
+ 57
58
Haftungsansprüche (T/L, § 6 Rz. 62 ff.)
1.
Haftungstatbestand
z.B. §§ 34, 69 AO für „Pflichtverletzungen“
oder §§ 73 ff. AO wegen des Auseinanderfallens von Haftungsubstanz und
Steuerschuld
aber auch zivilrechtliche Haftungstatbestände (z.B. § 128 HGB).
2.
Haftungsumfang
z.B. §§ 34, 69 AO  persönlich unbeschränkt, aber Schadensersatz
z.B. §§ 74, 75 AO  gegenständliche Haftung
z.B. § 42d EStG  unbeschränkt persönlich auf den vollen
Entrichtungsbetrag
3.
Akzessorietät der Haftung
4.
Drittwirkung im Verhältnis zum Hauptschuldner (§ 166 AO)
(s. hierzu vertiefend: Krumm, StuW 2012, 329)
Durchsetzung der Haftung durch Haftungsbescheid  § 191 AO
59
Steuerliche Nebenleistungen
(§ 3 IV AO, s. T/L, § 6 Rz. 4)
1. Verspätungszuschlag (§ 152 AO, dazu T/L, § 21 Rz. 188 ff.)
=
kann bei Nichtabgabe oder verspäteter Abgabe der Steuererklärung
festgesetzt werden
2. Verzögerungsgeld (§146 IIb AO), Zuschlag n. § 162 IV AO
=
„Strafzuschläge“ bei unerlaubter Verlagerung elektronischer Buchführung
ins Ausland bzw. Nichtvorlage oder Unverwertbarkeit vorgelegter
Verrechungspreisdokumentationen i.S.d. § 90 III AO (zur Frage der Vereinbarkeit mit Unionsrecht siehe BFH v. 10.4.2013, I R 45/11)
3. Zinsen, §§ 233 bis 237 AO (dazu T/L, § 21 Rz. 347 ff.)
= Verzinsung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bei
gesetzlicher Anordnung (ESt, KSt, VSt, USt, GewSt); keine Verzinsung
der steuerlichen Nebenleistungen – z.B. Aussetzungs- oder
Hinterziehungszinsen (0,5 % pro Monat)
60
Steuerliche Nebenleistungen (§ 3 IV AO)
4. Säumniszuschlag, § 240 AO (dazu T/L, § 21 Rz. 363 ff.)
= Druckmittel ohne Strafcharakter zur Durchsetzung fälliger Steuern,
um den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung anzuhalten
(entstehen ohne Festsetzung und betragen 1 % pro Monat)
5. Zwangsgeld, § 329 AO (dazu T/L, § 21 Rz. 377)
= kann bei Nichtbefolgung einer Anordnung der Finanzbehörde
festgesetzt werden
6. Kosten, §§ 89 III-VII, 178, 178a und 337 bis 345 AO
=
Gebühren für kostenpflichtige Amtshandlungen; Vollstreckungskosten
61
Beteiligte im Steuerschuldverhältnis
(s. T/L, § 6 Rz. 5-10)
Haftungsanspruch
Haftungsschuldner
Akzessorietät
Steueranspruch
Finanzbehörde
Steuerschuldner
Erstattungsanspruch
Überwälzung
Steuervergütungsanspruch
Steuervergütungsgläubiger
Steuerträger
62
Entstehung der Steuer (§ 38 AO),
T/L, § 6 Rz. 11; 20 ff.
• ESt:
§ 36 I EStG
§ 37 I 2 EStG (Vorauszahlung)
§ 38 II 2 EStG (LoSt)
§ 44 I 2 EStG (KapESt)
• KSt:
§ 30 KStG
• ErbSt:
§ 9 I ErbStG
• GewSt:
§ 18 GewStG
§ 21 GewStG (Vorauszahlung)
• USt:
§ 13 I UStG
63
Festsetzung der Steuer
(T/L, § 21 Rz. 114-120)
§ 155 I 1 AO:
"Die Steuern werden, soweit nichts anderes
vorgeschrieben ist, von den Finanzbehörden
durch Steuerbescheid festgesetzt."
64
Fälligkeit der Steuer
(§ 220 AO, T/L, § 21 Rz. 311-318)
Zwei Grundtypen der Fälligkeit
Fälligkeit als
Folge der Festsetzung
(z.B. §§ 36 IV, 37 I 1 EStG, 31
KStG, 20 II GewStG)
Sog. Selbstberechnungssteuern:
Fälligkeit mit Abgabe der
Steuererklärung ohne Mitwirkung
des Finanzamts (z.B. §§ 18 I UStG,
41a I EStG [LoSt], 44 I [KapESt]).
65
Verhältnis Steueranspruchs - Zinsanspruch
T/L, § 21 Rz. 347-365
Entstehung
Festsetzung
Fälligkeit
Erfüllung
Karenzzeit
sog. Vollverzinsung
(§ 233a AO)
0,5% p.m.
Säumniszuschlag
(§ 240 AO)
1% p.m.
oder
oder
Literaturhinweis zur
Vollverzinsung:
Seer/Klemke: „Neuordnung der
Verzinsung von Ansprüchen
aus dem Steuerschuldverhältnis“,
ifst-Schrift 490, 2013.
(§ 235 III, IV AO)
Hinterziehungszins
0,5% p.m.
(§ 234 AO)
Stundungszins
0,5% p.m.
oder
(§ 237 AO)
Aussetzungszins
0,5% p.m.
66
Beteiligte im Steuerabzugsverfahren
(Lohnsteuer-Dreiecksverhältnis)
Finanzbehörde
Lohnsteuerabzugsverhältnis
Haftungsanspruch
Lohn- bzw.
Einkommensteuer
Steuerschuldner
= Arbeitnehmer
Zivilrechtliches
Arbeitsverhältnis
Steuerentrichtungspflichtiger
= Arbeitgeber
67
Fall 1:
Ein Student arbeitet in den Sommersemester-Ferien als Star-DJ auf
großen "Techno-Parties". Der Hauptsponsor, ein Zigarettenproduzent,
zahlt ihm hierfür 15.000 €. Der DJ meldet dem Finanzamt nichts.
Ist eine Steuerschuld trotzdem entstanden?
68
Fall 2:
Nachtschwester D ist in einer Privatklinik beschäftigt. Die Nachtzuschläge werden in ihrer Gehaltsabrechnung als steuerfreie Zuschläge
behandelt, obwohl § 3b EStG nur eine partielle Steuerbefreiung vorsieht.
Folge: Es wird zu wenig Lohnsteuer abgeführt.
Wen kann das Finanzamt für die noch ausstehende LSt-Schuld in
Anspruch nehmen?
69
Fall 3:
Fußballspieler K spielt bei FC Kicker e.V. in der Oberliga. Gegenüber dem
FC hat K sich vertraglich verpflichtet, an allen Trainingseinheiten und
Pflichtspielen teilzunehmen. Als Gegenleistung erhält K ein Jahresgehalt
von 40.000 € zzgl. Erfolgsprämien. Die Brauerei B zahlt an K zusätzlich
monatlich 2.000 €, damit er beim FC Kicker spielt. Der Vorstand des FC
weiß davon nichts. Sind die Leistungen steuerpflichtig? Wer hat sie zu
versteuern und gegen wen kann das Finanzamt vorgehen?
Literaturhinweis
BFH BStBl. II 1999, 323 (zu Trinkgeldern); BFH BStBl. II 2002, 169;
BFH/NV 2000, 996.
70
Fall 4:
Mietshausbesitzerin A ist mit Sänger S verheiratet. S hat Einkünfte aus
selbständiger Arbeit in Höhe von 400.000 €, A hat Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung in Höhe von 125.000 €. A und S haben
Zusammenveranlagung gem. § 26 EStG gewählt. Den Eheleuten wird
ein Steuerbescheid über 260.000 € zugestellt. S nimmt sein Geld und
setzt sich in die Karibik ab.
Muss A die gesamte Steuerschuld begleichen?
71
Erlöschen des Steueranspruchs
(§ 47 AO, T/L, § 21 Rz. 319-345)
durch
Erfüllung
Zahlung
(§ 224 AO)
Aufrechnung
(§ 226 AO)
trotz
Nichterfüllung
Erlass
(§§ 163, 227)
Verjährung
(§§ 169 ff.,
228 ff. AO)
72
Aufrechnung
(§ 226 AO i.V. mit §§ 387 ff. BGB)
Voraussetzungen:
 Gegenseitigkeit (Schuldner = Gläubiger), dazu § 226 IV AO
 Gleichartigkeit (Geldleistung)
 Erfüllbarkeit der Hauptforderung
 Fälligkeit der Gegenforderung
 Zusätzliche Voraussetzung gemäß § 226 III AO:
Gegenforderung des Steuerpflichtigen
muss unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein
73
Erlass aus Billigkeitsgründen
(§§ 163, 227 AO, T/L, § 21 Rz. 294 f., 329-342)
Grundgedanke
= Gerechtigkeit im Einzelfall,
keine allgemeine Gesetzeskorrektur
• Billigkeit mildert das für den Durchschnittsfall
gedachte starre Recht im atypischen Einzelfall
• §§ 163, 227 AO gestatten nur einen gesetzesverstehenden Dispens, der im atypischen Einzelfall
von einem ungewollten Überhang gesetzlich
schematisierender Belastung befreit.
74
Erlass aus Billigkeitsgründen
(§§ 163, 227 AO, T/L, § 21 Rz. 294 f., 329-342)
Struktur der Vorschriften
= sog. Koppelungsvorschrift:
(GmSOGB, BStBl. II 1972, S.603, 605 ff.)
unbestimmter Rechtsbegriff (Tatbestandsseite)
+
Ermessensermächtigung (Rechtsfolgenseite)
=
einheitliche Ermessensvorschrift
75
Erlass aus Billigkeitsgründen
(§§ 163, 227 AO, T/L, § 21 Rz. 294 f., 329-342)
Billigkeitsgründe
1. Sachliche Unbilligkeit
Zweckverfehlung =
Aussage des Gesetzes geht in einem atypischen Einzelfall über den
Gesetzeszweck hinaus (außerhalb der teleologischen Reduktion)
Grundrechtsverletzung
(z.B. Übermaßbesteuerung in einem atypischen Einzelfall)
Vertrauensschutz
durch sog. Übergangs- bzw. Anpassungsregeln
nach einer Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderung
76
Erlass aus Billigkeitsgründen
(§§ 163, 227 AO, T/L, § 21 Rz. 294 f., 329-342)
2. Persönliche Unbilligkeit
Erlassbedürftigkeit =
Ernsthafte Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Stpfl.
und seiner Familie
Erlasswürdigkeit =
mangelnde Leistungsfähigkeit nicht schuldhaft selbst herbeigeführt und kein eindeutiger Verstoß gegen die Interessen der
Allgemeinheit
77
Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO)
(T/L, § 21 Rz. 296-300)
Beginn:
31.12. Entstehungsjahr (§ 170 I AO)
Anlaufhemmung:
31.12. Erklärungsjahr (§ 170 II 1 Nr. 1 AO)
spätestens
31.12. Entstehungsjahr + 3 (§ 170 II 1 Nr. 1 AO)
Ende:
„regulär“, § 169 II AO
1 Jahr für besondere Verbrauchsteuern
4 Jahre bei anderen Steuern
5 / 10 Jahre bei leichtfertiger Steuerverkürzung bzw.
Steuerhinterziehung
Umfangreicher Katalog von Ablaufhemmungen (§ 171 AO); letzte
78
Ergänzung durch Abs. 15 i.Z.d. EU-AHRLUmsG ( BGBl. I 2013, 1809)
Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO)
(T/L, § 21 Rz. 343-345)
Beginn:
31.12. Fälligkeitsjahr (§ 229 I AO)
Dauer: 5 Jahre (§ 228 S. 2 AO)
Hemmung (§230 AO)
Ende:
Unterbrechung (§231 AO)
„regulär“ (§ 228 S. 2 AO)
Fristablauf nach Unterbrechungen (§ 231 II-IV AO)
79
Fall 1:
U hat fällige Umsatzsteuerschulden in Höhe von 50.000 €.
Ihm und seiner Ehefrau F, die beide nach § 26 EStG
zusammenveranlagt werden, stehen nach Abgabe der
Einkommensteuererklärung für das Jahr 01 eine EStErstattung i.H.v. insgesamt 15.000 € zu. Das Finanzamt
rechnet gegen diesen Betrag die USt-Forderung auf.
Ist der Erstattungsanspruch damit erloschen?
Literaturhinweise:
BFH v. 15.11.2005 – VII R 16/05, BStBl. II 2006, 453; BFH v. 30.9.2008 –
VII R 18/08, BStBl. II 2009, 38; BFH v. 22.3.2011 – VII R 42/10, BStBl. II
2011, 607; BMF v. 30.1.2012, BStBl. I 2012, 149 (s.a. Anwendungserlass
zu § 37 AO, Tz.2.2., BStBl. I 2012, 147, 148).
80
Fall 2:
A betrieb in Bochum von 2002 bis zum Jahr 2007 eine Trinkhalle. Da die
Umsätze kontinuierlich zurückgegangen sind, ist er in wirtschaftliche
Schwierigkeiten geraten. An Steuerrückständen (ESt, USt) sind
insgesamt 30.000 € zzgl. 10.000 € Säumniszuschläge aufgelaufen.
Obwohl A regelmäßig Ratenzahlungen geleistet hat, sind die
Steuerschulden angewachsen. In 2008 und 2009 hatte A die Erteilung
einer Taxikonzession beantragt. Sie wurde ihm von der örtlichen
Genehmigungsbehörde mit dem Hinweis auf seine hohen
Steuerschulden versagt. A beantragt nun den Erlass seiner
Steuerschulden.
Literaturhinweis
BFH v. 27.9.2001 – X R 134/98, BStBl. II 2002, 176; s. aber auch BFH v.
26.10.2011 – VII R 50/10, BFH/NV 2012, 552; außerdem Farr, BB 2002,
1989 ff.; T/L, § 21 Rz. 329 ff.
81
Fall 3:
Gewerbetreibender G hat für das Jahr 2000 seine EStErklärung Anfang 2002 eingereicht. Im November 2006
begann bei G eine Außenprüfung, die sich auch auf die ESt
2000 bezog. Im Januar 2008 fand in den Betriebsräumen des
G eine Schlussbesprechung statt, an der G, dessen
Steuerberater und der Betriebsprüfer teilgenommen haben.
Bis heute ist noch kein ESt-Änderungsbescheid ergangen.
Ist der ESt-Anspruch 2000 erloschen?
82
Fall 4:
Dem G ist der ESt-Bescheid für das Jahr 2000 am 30.6.2002
bekanntgegeben worden. Da G nicht zahlte, hat das
Finanzamt bis zum Ende 2003 versucht, Vermögensgegenstände des G zu pfänden zu verwerten. Da die
Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos blieben, hat die
Finanzbehörde die ESt-Schuld am 2.1.2006 niedergeschlagen
(§ 261 AO). Danach ist bis heute nichts geschehen.
Ist der ESt-Anspruch 2000 erloschen?
83
Zuständigkeit der Finanzbehörden
(T/L, § 21 Rz. 38-45)
Sachliche
Zuständigkeit
Örtliche
Zuständigkeit
(§ 16 AO, FVG)
(§§ 17-29 AO)
Fragestellung:
Welchen sachlichen
Aufgabenkreis hat
die Behörde?
Fragestellung:
Welche von mehreren
sachlich zuständigen
Behörden eines
Verwaltungsgebiets ist
räumlich zuständig?
z.B. Wohnsitzfinanzamt,
Belegenheitsfinanzamt
84
Sachliche Zuständigkeit
(§ 16 AO, FVG)
Funktionelle/Instanzielle Zuständigkeit
= Funktionszuweisung
verschiedener Behörden
in derselben Sache
Verbandsmäßige
Zuständigkeit
= Funktionsbeschränkung
auf die Angelegenheiten
des Verbandes
Zur Behördenhierarchie in der
Finanzverwaltung s. Schaubild
zu Art. 108 GG in T/L, § 2 Rz. 81
85
Stationen des Besteuerungsverfahrens
(T/L § 21 Rz. 150 f.)
Festsetzungsverfahren
(§§ 155 ff. AO)
Erhebungsverfahren
(§§ 218 ff. AO)
Ermittlungsverfahren
(§§ 85 ff., 134 ff.,
149 ff. AO)
Vollstreckungsverfahren
(§§ 249 ff. AO)
86
Ermittlungsverfahren/Steuerfestsetzung
(T/L § 21 Rz. 150 f.)
Ermittlungsverfahren
(§§ 85 ff., 134 ff., 149 ff. AO)
Abgabe der
Steuererklärung
Prüfung durch den
zuständigen
Sachbearbeiter der
Veranlagungsstelle
Klärung von
Zweifelsfragen durch
Auskunftsersuchen
und das
Beweisverfahren
87
Stationen des Besteuerungsverfahrens
(T/L § 21 Rz. 150 f.)
Festsetzungsverfahren
(§§ 155 ff. AO)
Elektronische
Erfassung der
Daten (anders:
ELSTER)
Übermittlung der
Daten an das
Landesrechenzentrum
Bescheidversand
durch das
Landesrechenzentrum
88
Stationen des Besteuerungsverfahrens
(T/L § 21 Rz. 150 f.)
Erhebungsverfahren
(§§ 218 ff. AO)
Überwachung
fälliger
Zahlungen
Erhebung von
steuerlichen
Nebenleistungen
Stundung und
Erlass als
Billigkeitsmaßnahmen
89
Stationen des Besteuerungsverfahrens
(T/L § 21 Rz. 150 f.)
Vollstreckungsverfahren
(§§ 249 ff. AO)
Ausstellen von
Mahnungen
Prüfung und
Durchführung von
Vollstreckungsmaßnahmen (z.B.
Pfändungsverfügung)
Billigkeitsmaßnahme des
Vollstreckungsaufschubs
(§ 258 AO)
90
Sachverhaltsaufklärung im Ermittlungsverfahren
(T/L, § 21 Rz. 170-203)
Untersuchungsmaxime
Kooperationsmaxime
(§ 88 AO)
(§§ 90 ff. AO)
Kooperationsmaxime bei der Sachverhaltsaufklärung:
• Finbeh. und Stpfl. bilden eine Verantwortungsgemeinschaft, bei der
die Letztverantwortung bei der Verwaltung verbleibt
• Untersuchungsmaxime wird flankiert durch umfangreiche
Mitwirkungspflichten, denen spiegelbildlich Mitwirkungsrechte,
Rechte auf Informationsteilhabe gegenüberstehen
91
Mitwirkungspflichten (§§ 90 ff. AO)
- s. T/L, § 21 Rz. 172 ff.
Generalklausel
(§ 90 I AO)
Spezielle Mitwirkungspflichten
(§§ 93 ff. AO)
Eingriffsnormen
(Gesetzesvorbehalt)
Beweisnormen
92
Mitwirkungspflichten (§§ 93 ff. AO)
Auskünfte Beteiligter
und Dritter
§ 93 AO (beachte:
§ 393 I 2 AO)
Urkundenvorlage
§ 97 AO
(Beachte: Wegfall der bish.
Subsidiaritätsklausel in § 97
II durch AHiRLUG,BGBl. I
2013, 1809)
Einnahme des
Augenscheins,
§ 98 AO
Hinzuziehen von
Sachverständigen,
§ 96 AO
Auskunftsverweigerungsrecht für Dritte:
 Angehörige, § 101 AO
 Bestimmte Berufsgruppen, § 102 AO
 Bei Gefahr der Selbstbelastung, § 103 AO
93
Mitwirkungspflichten (Forts.)
Steuererklärungspflichten
§§ 149 ff. AO
Buchführungspflichten
§§ 140 ff. AO
Außenprüfungspflichten
§§ 193 ff. AO
94
Mitwirkungspflicht der Kreditinstitute

§ 154 AO („ausgelagerte Steuerüberwachung“)
„Gebot der formalen Kontenwahrheit“;
Verstoß gegen § 154 I: Kontensperre kraft Gesetzes, § 154 III

§§ 93 VII, 93b I, II AO (Kontenabruf)

§ 45e EStG (Informationsaustausch über die Grenze)
95
Mitwirkung von Banken
(T/L, § 21, Rz. 198-200)
- Kein Bankgeheimnis:
§§ 101-106 AO sind abschließend (vgl. auch § 105 I AO).
Ein Bankgeheimnis wäre seit Inkrafttreten der EU-AmtshilfeRL
(2011/16/EU) i.R. des internationalen Informationsaustausches
überdies irrelevant  § 4 V EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG)
- Kein Auskunftsverweigerungsrecht der Angestellten
der Kreditinstitute
96
Mitwirkung von Banken
(T/L, § 21, Rz. 198-200)
Aber: Rücksichtnahmegebot, § 30a AO
=
Verpflichtung der Finanzämter, auf das Vertrauensverhältnis zwischen
Kreditinstitut und Kunden besonders Rücksicht zu nehmen
Konzeptioneller
Widerspruch
Mitwirkungspflicht der Kreditinstitute
97
Amtshilfe
(T/L § 21 Rz. 260 – 266)
International
Art. 26, 27
DBA bzw.
spezielle bil.
Abkommen
(sog. TIEA)
§ 117 AO
National: Art. 35 I GG,
§§ 111 ff. AO
EU-Amtshilfe-RL v.
15.02.2011 (umgesetzt
durch EUAHiG v.
26.6.2013); EUBeitreibungsrichtlinie
2010/24/EU v. 16.3.2010,
umgesetzt durch
BeitrRlUmsG v. 7.12.2011
EU-MwStZusammenarbeitsVO Nr.
904/2010 v.
7.10.2010
98
EU-Amtshilfe-Richtlinie (2011/16/EU)
•
•
•
Beschränkung hoheitlicher Ermittlungsmaßnahmen auf das eigene Land
Schwierigkeiten, steuerlich relevante
grenzüberschreitende Sachverhalte zu
überprüfen und zu erfassen
Folgerungen für nationale Fisci +
Binnenmarkt
 Steuermindereinnahmen
 Verzerrung des Kapitalmarkts und der
Wettbewerbsbedingungen
EU-Amtshilfe-Richtlinie (2011/16/EU)
Einführung
Umsetzung
Durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung
steuerlicher Vorschriften vom 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809
Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.02.2011 über die Zusammenarbeit
der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der
Richtlinie 77/799/EWG (Amtshilferichtlinie) wird in deutsches Recht
umgesetzt
 Überholte EG-Amtshilfegesetz tritt damit außer Kraft
Zielsetzung
Wirkung
Stärkung eines effizienten zwischenstaatlichen Informationsaustausches,
bedingt durch die fortschreitende Internationalisierung zur Sicherung einer
ordnungsgemäßen Steuerfestsetzung bei grenzüberschreitenden
Sachverhalten
Anknüpfend an bereits bestehende – durch das EGAHiG – eingeführte
Informationsaustauschmöglichkeiten werden diese durch das EUAHiG
effektuiert.
Auskunftsarten
auf Ersuchen
Ersuchungs-/
Anrufungsauskunft
§§ 4, 5 EUAHiG
ohne Ersuchen
einzelfallbezogen
Spontanauskunft
§§ 8, 9 EUAHiG
gruppenbezogen
automatische
Auskunft
§ 7 EUAHiG
Steuerverwaltungsakt
(T/L, § 21 Rz. 50-82)
Funktionen:
1. Materielle Bestandskraft
= VA darf nur aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift
aufgehoben oder geändert werden
2. Vollziehung
= VA bildet die Grundlage zwangsweiser Durchsetzung des
Rechts
3. Rechtsschutzbestimmung
= VA wird nur dann formell bestandskräftig (unanfechtbar),
wenn der durch den VA Beschwerte nicht fristgemäß den
zulässigen Rechtsbehelf (Einspruch, Anfechtungsklage)
102
einlegt oder mit diesem erfolglos bleibt.
Steuerverwaltungsakt
(T/L, § 21 Rz. 50-82)
Begriffsmerkmale (§ 118 S. 1 AO):
Begriffsmerkmal
Ausgrenzung
Behördliche Maßnahme
Hoheitlich
(einseitig-verfügend)
zur Regelung
Handlung einer Privatperson
Handlung durch
öffentlich-rechtlichen Vertrag
schlichthoheitliche Handlung
(z.B. Rechtsauskunft, Realakt)
Rechtsnorm (Verordnung, Satzung)
allgemeine Verwaltungsvorschrift
fiskalische Handlung der Behörde
(z.B. Kauf von Büromaterial)
behördeninterne Weisung
eines Einzelfalles
auf dem Gebiet des
öffentlichen Rechts
mit unmittelbarer
Rechtswirkung nach außen
103
Entstehung und Wirksamkeit
eines Steuerverwaltungsakts
Entstehungsprozess:
Bedeutung für:
1. Willensbildung des Amtsträgers
2. Willensäußerung des Amtsträgers
(noch behördenintern) Abzeichnen des Schriftstücks und Weitergabe in den Geschäftsgang (sog. "Abwerfen"); dies erfolgt regelmäßig durch Freigabe im Computersystem
3. Absenden des VA z.B. durch Aufgabe
zur Post (selten), i.d.R. findet der Versandt
durch das Rechenzentrum statt
4. Bekanntgabe des VA
§§ 131 II Nr.3, 173 I AO
§§ 122 II Nrn.1 u. 2,
169 I 3 Nr.1 AO
§§ 124 I, 355 I 1 AO
104
Entstehung und Wirksamkeit
eines Steuerverwaltungsakts
Wirksamwerden des Steuerverwaltungsakt
mit der Bekanntgabe (Erklärungstheorie)
Inhaltsadressat
Bekanntgabeadressat
Postalischer
Empfänger
(§ 122 I 1 AO)
(§ 34 AO)
(§ 122 I 3, 123 AO)
105
Fall 1:
Postbote P wirft den an A adressierten Steuerbescheid versehentlich in den
Briefkasten des B. Zehn Tage später händigt B den Brief dem A aus.
Ist der Bescheid dem A wirksam bekannt gegeben worden? Wann wird er
bestandskräftig?
Literaturhinweis
BFH BStBl. II 1989, 346.
106
Fall 2:
Die Eheleute A/B haben für den Veranlagungszeitraum 2008 in einer
gemeinsamen Steuererklärung die ESt-Zusammenveranlagung gewählt.
Mitte des Jahres 2009 ist A aus der ehelichen Wohnung gezogen.
Gleichwohl sendet das FA den zusammengefassten ESt-Bescheid 2008
gegen Ende des Jahres 2009 an die bisherige gemeinsame Anschrift.
Ist der ESt-Bescheid an A und B wirksam bekannt gegeben worden?
107
Fall 3:
E ist am 1.2.2009 verstorben. Am 1.5.2009 versendet das Finanzamt
einen an E gerichteten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007
an die beiden Erben A und B.
Ist der Steuerbescheid wirksam?
108
Fall 4:
Der zuständige Sachbearbeiter (S) des FA erkennt nach Eingabe der
Daten in den PC, dass ihm bei der Veranlagung ein Fehler unterlaufen
ist. Gleichwohl versendet das Rechenzentrum der Landesfinanzverwaltung den maschinellen Einkommensteuerbescheid. S zeichnet
den Steuererklärungsvordruck nicht ab und vermerkt in der Akte, dass
die Versendung des Bescheides seinem Willen nicht entspricht.
Literaturhinweis
BFH v. 24.11.1988 – V R 123/83, BStBl. II 1989, 344; BFH v. 12.8.1996
– VI R 18/94, BStBl. II 1996, 627; BFH v. 23.8.2000 – X R 27/98, BStBl.
II 2001, 662; BFH v. 28.5.2009 – III R 84/06, BStBl. II 2009, 949; FG
München v. 30.4.2012 – 7 K 3542/09, EFG 2012, 1711; T/L, § 21 Rz. 73
ff.
109
Steuerbescheid: materielle Bestandskraft
(T/L, § 21 Rz. 80-89, 280-293)
Endgültiger
Bescheid
Vorläufiger
Bescheid
Vorbehalt der
Nachprüfung
(§ 165 AO)
(§ 164 I AO)
Eingeschränkte
Korrektur
§§ 172 ff. AO
Erweiterte
Korrektur
(§ 165 II AO)
Unbeschränkte
Korrektur
(§ 164 II AO)
Innerhalb
Festsetzungsfrist
§§ 169 ff. AO
Ablaufhemmung
der Festsetzungsfrist
§ 171 VIII AO
Wegfall des Vorbehalts
(§ 164 IV AO): mit Ablauf
der regulären
Festsetzungsfrist110
Steueranmeldung (USt-, LSt-, KapESt-)
Doppelfunktion
Steuererklärung
§ 150 I 3 AO i.V. m.
§§ 18 I, III UStG, 41a
EStG, 45a EStG
„Steuerfestsetzung
gegen sich selbst“
(Selbstberechnungssteuer), §§ 167, 168 AO
Fiktion eines Steuerbescheides unter
dem Vorbehalt der Nachprüfung
(§ 168 AO)
111
Vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 AO)
- s. T/L, § 21 Rz. 290 ff.
 punktuelle Vorläufigkeit ► Grund u. Umfang der Vorläufigkeit sind
anzugeben (§ 165 I 3 AO)
 Fehlen diese Angaben, ist die unselbständige Nebenbestimmung
nichtig
 § 165 I 1 AO: Ungewissheit über Tatsachen oder Rechtsverhältnisse
 § 165 I 2 Nr. 1 AO: Ungewissheit über die Wirksamkeit von DBA
 § 165 I 2 Nr. 2 AO: BVerfG hat Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes
mit dem GG festgestellt
 § 165 I 2 Nr. 3 AO: Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem GG,
EGV sind Gegenstand eines Verfahrens vor dem BVerfG, EuGH, BFH
 § 165 I 2 Nr. 4 AO: Verfahren vor dem BFH
112
Fall 1 zur Bestandskraft von Steuerverwaltungsakten:
Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer gegenüber B für 08 mit Bescheid vom
10.12.09 auf 20.000 € unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ohne Nähere
Begründung fest. Im Januar 11 wird der Gewerbebetrieb des B für die Jahre 06-08
hinsichtlich der ESt und GewSt geprüft. Danach erlässt das FA mit Bescheid v. 5.6.11
einen geänderten ESt-Bescheid für 08 über 25.000 €, ohne den Vorbehalt der
Nachprüfung ausdrücklich aufzuheben. B ficht den Steuerbescheid nicht an. Im
Dezember 11 erkennt der Sachbearbeiter einen materiellen Fehler. Er ändert
daraufhin den Steuerbescheid erneut und setzt die ESt materiell zutreffend mit
Bescheid vom 15.12.11 auf 28.000 € fest. B erhebt dagegen Einspruch, der am
16.1.12 beim Finanzamt eingeht.
Ist der geänderte Steuerbescheid vom 15.12.11 aufzuheben?
Literaturhinweis
BFH v. 29.4.1987 – I R 118/83, BStBl. II 1988, 168; BFH v. 14.9.1993 – VIII R 9/93,
BStBl. II 1995, 2; BFH v. 18.8.2009 – X R 8/09, BFH/NV 2010, 161; zur Abgrenzung
BFH v. 2.12.1999 – V R 19/99, BStBl. II 2000, 284; T/L, § 21 Rz. 288.
113
Fall 2 zur Bestandskraft von Steuerverwaltungsakten:
M und F sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen
veranlagt (§§ 26 I 1, 26b EStG). In den gemeinsamen Steuererklärung für
die Jahre 06-08 hat F Verluste aus dem Betrieb einer Galerie i.H.v. 20.000 €
(06), 10.000 € (07), 15.000 € (08) erklärt. Das FA hat die Verluste zunächst
anerkannt und die gegen M und F ergangenen ESt-Bescheide insoweit
nach § 165 AO für „vorläufig“ erklärt. Nachdem auch in den Jahren 09 und
10 Verluste in dieser Größenordnung aufgelaufen sind, erkennt das FA die
Verluste wegen „Liebhaberei“ nicht mehr an und ändert in 11
dementsprechend die ESt-Bescheide 06-08.
Literaturhinweis
BFH v. 22.12.1987 – IV B 174/76, BStBl. II 1988, 234; BFH v. 25.10.1989 –
X R 109/87, BStBl. II 1990, 278; BFH v. 23.5.2007 – X R 33/04, BStBl. II
2007, 874; BFH v. 4.9.2008 – IV R 1/07, BStBl. II 2009, 335.
114
E-Government (TL, § 21 Rz. 7)
Literatur: Seer, StuW 2003, 40 ff.; Seer, DStJG Bd. 31 (2008), 8 ff
Elektronischer Informationsaustausch innerhalb der
Verwaltung und zwischen Verwaltung und Bürger
Interne Vernetzung
zwischen den FinBeh.
(Datenaustausch,
Kontrollmitteilungen)
Externe Vernetzung
 ELSTER, § 150 VI AO
 Elektronischer VA, § 87a III AO
 ELSTAM, 39 EStG
Voraussetzungen
 eTin, § 41b EStG,
bundeseinheitl. StNr., §§139a-d AO
115
ELSTER – ELektronische STeuerERklärung
116
Grundlagen- und Folgebescheide
T/L, § 21 Rz. 83-89, 150, 436
Grundlagenbescheid
= besondere Rechtsform des VA
(§§ 171 X, 175 I 1 Nr.1, 182 I, 351 II AO)
für ein
gestuftes Besteuerungsverfahren
z.B.: § 60a AO; § 180 AO; § 184 AO
Merke: Präklusionswirkung des Grundlagenbescheids für den
Folgebescheid
117
Grundlagen- und Folgebescheide
T/L, § 21 Rz. 83-89, 150, 436
Einheitliche und gesonderte
Gewinnfeststellung
(§ 180 I Nr. 2a AO: z.B. PersGes)
Grundlagenbescheid
§ 182 I AO
Folgebescheid
Einkommensteuerbescheid
(§ 155 I 1 AO: z.B. des PersGes'ers)
Grundlagenbescheid
§ 182 I AO
Folgebescheid
Bescheid über Solidaritätszuschlag
(§ 155 I 1 AO: z.B. des PersGes'ers)
118
Duales Korrektursystem bei
Steuerverwaltungsakten (T/L, § 21 Rz. 381- 465)
Steuerbescheide/
gleichgestellte Bescheide
§ 172 I Nr. 2d AO
i.V.m.
§§ 173 - 177,
164 II, 165 II AO
Änderung
Aufhebung
Andere Bescheide
§§ 129, 132 AO
§§ 130, 131 AO
Berichtigung/
Korrektur während
Rechtsbehelfsverfahren
Rücknahme
Widerruf
119
Duales Korrektursystem bei
Steuerverwaltungsakten (T/L, § 21 Rz. 381- 465)
Steuerbescheide u. diesen gleichgestellte Bescheide:
• Steuerbescheid (§ 155 I AO)
• Steuervergütungsbescheid (§ 155 IV AO)
• Steueranmeldung (§ 168 AO)
• Feststellungsbescheid (§ 181 I 1 AO)
• Steuermess-, Steuerzerlegungs- u. Zuteilungsbescheid
(§§ 184 I 3, 185, 190 S. 2 AO)
• Zinsbescheid (§ 239 I 1 AO)
• Kostenbescheid (§178 IV 1 AO)
120
Duales Korrektursystem bei
Steuerverwaltungsakten (T/L, § 21 Rz. 381- 465)
Andere Bescheide, dazu gehören z.B.:
• Ab- bzw. Anrechnungsverfügung zu Steuerbescheiden
• Abrechnungsbescheid (§ 218 II AO)
• Haftungs- u. Duldungsbescheid (§ 191 I AO)
• Stundung (§ 222 AO)
• Erlass (§ 163, 227 AO)
• Aussetzung der Vollziehung (§ 361 II AO)
121
Korrektur von Steuerbescheiden nach §§ 172 ff. AO
(T/L, § 21 Rz. 394-453)
§ 172 I 1 Nr. 2a AO:
§ 172 I 1 Nr. 2d AO:
auf Antrag des Stpfl.
(innerhalb der
Einspruchsfrist zu stellen,
wenn zu seinen Gunsten)
in sonstigen gesetzlichen
Fällen:
122
Korrektur von Steuerbescheiden nach §§ 172 ff. AO
(T/L, § 21 Rz. 394-453)
§ 172 I 1 Nr. 2d AO: in sonstigen gesetzlichen Fällen:
• § 173 I AO:
Korrektur wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder
Beweismittel
• § 174 AO:
Korrektur wegen widerstreitenden Steuerfestsetzungen
• § 175 I 1 Nr. 1 AO:
Korrektur des Folgebescheids bei Änderung des Grundlagenbescheids
• § 175 I 1 Nr. 2 AO:
Korrektur wegen nachträglich eingetretenen Ereignisses mit steuerlicher
Wirkung für die Vergangenheit
• § 175 a AO:
Korrektur zur Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung
123
Die einzelnen Korrekturvorschriften
Korrektur wegen neuer Tatsachen, § 173 AO (T/L § 21 Rz. 404 – 419)
• rechtserhebliche Tatsachen oder Beweismittel
• werden nachträglich bekannt
• bei Änderung zu Gunsten: kein grobes Verschulden am nachträglichen bekannt
werden
• bei Änderung zu Lasten: keine Verletzung der Ermittlungspflicht
• keine Änderungssperre gem. § 173 II AO
Korrektur wegen widerstreitender Tatsachen, § 174 AO (T/L § 21 Rz. 420 – 435)
• positiver Widerstreit (Abs. 1 und 2)
• negativer Widerstreit (Abs. 3)
• Folgekorrektur (Abs. 4)
 Ein Steuerbescheid kann bei Doppelberücksichtigung eines Sachverhalts auch dann nach Maßgabe von
§ 174 Abs. 1 AO geändert werden, wenn der widerstreitende Steuerbescheid von einer Behörde eines EUMitgliedstaats stammt (BFH v. 09.05.2012 – I R 73/10 – BStBl II 2013, 566)
124
Die einzelnen Korrekturvorschriften
Korrektur bei Änderung eines Grundlagenbescheids, § 175 I Nr. 1 AO
(T/L § 21 Rz. 436)
Korrektur wegen rückwirkenden Ereignisses, § 175 I Nr. 2 AO
(T/L § 21 Rz. 437 – 446)
• Ereignis
• Mit Wirkung für die Vergangenheit:
→ lex generalis zu § 17 UStG oder § 16 GrEStG
Beispiele: Zivilrechtliche Rückwirkung; Gerichtsentscheidungen mit rückwirkender
Bindung, auflösende Bedingung, nachträgliche Änderung von Einmaltatbeständen
Korrektur bei Verständigungsvereinbarung, § 175a AO
(Rüsken in: Klein, AO, § 175a)
• Verständigungsvereinbarung/ Schiedsspruch
• basierend auf (v.a.) DBA
125
Vertrauensschutz nach § 176 AO
(T/L § 21 Rz. 449 – 453)
Einschränkung einer zu Lasten des Stpfl. erfolgende Korrektur:
• Nichtigkeitsfeststellung eines Gesetzes durch das
Bundesverfassungsgericht
• Vorwurf der Verfassungswidrigkeit durch oberstes Bundesgericht
• Rechtsprechungsänderungen durch oberste Bundesgerichte dürfen sich
nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirken
• Bestand von allgemeinen Verwaltungsvorschriften
126
Korrektur von Steuerbescheiden nach §§ 172 ff. AO
(T/L, § 21 Rz. 394-453)
Zu unterscheiden = § 177 AO:
unselbständiger Saldierungstatbestand
(Saldierung mit gegenläufigen
Fehlern)
127
Die einzelnen Korrekturvorschriften
Fehlersaldierung, § 177 AO (T/L § 21 Rz. 447 – 448)
• Bei punktueller Korrektur gem. §§ 172 – 175 AO können gegenläufige
materielle Fehler für die keine eigenen Korrekturvorschriften eingreifen,
korrigiert werden, soweit die Änderung reicht.
Beispiel:
Bisheriger Steuerfestsetzung
Änderung gem. § 173 I Nr. 1 AO
Materieller Fehler
Steuerfestsetzung nach Änderung
a)
10.000
+ 2.000
- 1.000
11.000
b)
10.000
+ 2.000
- 3.000
Änderung
unterbleibt
128
Die einzelnen Korrekturvorschriften
Berichtigung gem. § 129 AO (T/L § 21 Rz. 389 – 392)
• Versehen (Schreib- Rechenfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeit)
→ die Möglichkeit eines Rechts- oder Tatsachenirrtums muss ausgeschlossen
sein; Fehler muss evident sein)
• Bei Erlass des Verwaltungsakts
• Ermessen
Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (§ 130 AO)
(T/L § 21 Rz. 457 – 460)
• belastende Verwaltungsakte: Ermessensentscheidung, ob ganz oder teilweise,
ex nunc oder ex tunc -> keine Aushöhlung von Rechtsbehelfsfristen
• begünstigende Verwaltungsakte: Abwägung zwischen materieller Richtigkeit
und Vertrauensschutz – 4 enumerierte Rücknahmefälle
129
Die einzelnen Korrekturvorschriften
Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte (§ 131 AO) (T/L § 21 Rz. 461 – 465)
→ nur ex nunc möglich
• belastende Verwaltungsakte: es darf kein rechtswidriger Zustand geschaffen
werden
• begünstigende Verwaltungsakte: erhebliche Berührung des
Vertrauenstatbestandes – 3 enumerierte Widerrufsfälle
130
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(1):
A ist seit Jahren Eigentümer eines Mehrfamilienhauses. In seiner
Einkommensteuererklärung für 08 (Anlage V + V) hat er versehentlich die
Spalte "Schuldzinsen" nicht ausgefüllt. Das Finanzamt hat die Einkünfte
aus der Vermietung des Hauses daraufhin wie von A erklärt übernommen
und dementsprechend den ESt-Bescheid 08 am 10.9.09 erlassen. Anfang
Januar 10 bemerkt A, dass die Schuldzinsen als Werbungskosten nicht
berücksichtigt worden sind und beantragt die Änderung des
Steuerbescheides.
131
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(2):
Professor W hat im Jahr 10 für seine Habilitationsschrift einen mit 10.000 €
dotierten Geldpreis erhalten. In einer Anlage zur Einkommensteuererklärung 10 führt er aus: "Geldpreis über 10.000 €; einmaliger Zufluss, der
keiner Steuerpflicht unterfällt". Das Finanzamt veranlagt daraufhin die ESt
10 endgültig, ohne den Geldpreis zu erfassen. Nachdem ein Schreiben des
Bundesministers der Finanzen zur Besteuerung von Geldpreisen ergangen
ist, kommen dem Sachbearbeiter Zweifel an der Behandlung des
Steuerfalls. Er möchte den ESt-Bescheid 10 ändern und die 10.000 € als
Einkünfte aus selbständiger Arbeit ansetzen.
132
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(3):
Beim Textilhändler A wird für die Jahre 08-10 eine Außenprüfung
durchgeführt. Im Anschluss daran kommt das FA aufgrund einer
Schätzung (§ 162 AO) der Besteuerungsgrundlagen im Wege einer sog.
Geldverkehrsrechnung zu ungeklärten Fehlbeträgen von ca. 40.000 €. Die
ESt-Bescheide 08-10 werden entsprechend geändert. A ficht die
Bescheide an und erreicht für den VZ 09, dass im finanzgerichtlichen
Verfahren eine andere, für ihn in 09 günstigere Schätzungsmethode (ein
sog. interner Betriebsvergleich) angewendet wird. Die ESt 09 wird vom
FG entsprechend niedriger festgesetzt. Da ein interner Betriebsvergleich
in den VZ 08, 10 zu einer höheren Steuer führen würde, hat A insoweit
seine Einsprüche zurückgenommen. Das FA möchte für die VZ 08, 10
gleichwohl Änderungsbescheide erlasse.
Literaturhinweis
BFH v. 26.2.2002 – X R 59/98, BStBl. II 2002, 450; BFH v. 14.3.2012 – XI R 2/10,
133
BStBl. II 2012, 653.
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(4):
Unternehmer U hatte per 30.6.08 sein Einzelunternehmen veräußert. Der
steuerliche Veräußerungsgewinn i.S.d. § 16 I Nr. 1 EStG betrug 500.000
€. Auf dieser Basis setzte das Finanzamt gegen U die Einkommensteuer
08 bestandskräftig fest. Käufer K hatte den vertraglich geschuldeten
Kaufpreis allerdings nicht sofort in voller Höhe bezahlt, so dass noch ein
Restkaufpreis i.H.v. 200.000 € offenblieb. Im Jahr 10 gerät der wenig
geschäftstüchtige K in die Insolvenz, so dass die Restforderung
uneinbringlich wird. Welche steuerlichen Rechtsfolgen ergeben sich für
U?
Literaturhinweis
BFH v. 19.7.1993 – GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897 ff.; BFH v. 22.7.2008 – IX R
79/06, BStBl. II 2009, 227; BFH v. 20.7.2010 – IX R 45/09, BStBl. II 2010, 969;
BFH v. 23.5.2012 – IX R 32/11, BStBl. II 2012, 675.
134
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(5):
A hat seine Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 08
im April 09 eingereicht. Im Oktober 2009 reicht er eine Bescheinigung
über auf die Einkommenssteuer gemäß § 36 II 2 Nr. 2 EStG anrechenbare
Kapitalertragsteuer i.H.v. 400 € nach, die er ursprünglich versehentlich
nicht mit eingereicht hatte.
Kann A die Berücksichtigung der anrechenbaren Kapitalertragssteuer
verlangen?
135
Steueraufsicht
= jede Beaufsichtigung des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zur
Erfüllung des Auftrags des § 85 AO
Allgemeine:
Außenprüfung (T/L § 21 Rz. 225 - 252)
 Umfassende und intensive Prüfung und Ermittlung aller steuerlichen
Verhältnisse im Anschluss an die Steuerfestsetzung
Besondere:
• Zollamtliche Überwachung, §§ 209 ff. AO (T/L § 21 Rz. 258)
• Umsatzsteuernachschau, § 27b UStG (T/L, § 21 Rz. 259)
• Lohnsteuernachschau, § 42g EStG (eingef. durch EU-AmtshilfRLUmsG v. 29.6.13)
 Gegenwartsbezogene, laufende Überwachung des
Steuerpflichtigen; Steueraufsicht als dauernder Zustand
136
Steueraufsicht
Steuerfahndung (§ 208 AO)
(T/L, § 21 Rz. 253-257)
Doppelfunktion
Verfolgung von
Steuerstraftaten/
-ordnungswidrigkeiten
(§ 208 I Nr.1 AO)
Ermittlung des steuerrelevanten
Sachverhalts:
• § 208 I Nr.2 AO: Zusammenhang
mit Steuerverfehlung
• § 208 I Nr.3 AO: unbekannte
Steuerfälle
137
Außenprüfung
I.
Prüfungsanordnung = Verwaltungsakt (§ 196 AO)
•
Gewerbetreibende, Freiberufler, Land- und Forstwirte, § 193 I AO
 Betriebsprüfung
•
Stpfl. i.S.d. § 147a AO (hohe Überschuss Einkünfte)
•
Steuerentrichtungspflichtige, § 193 II Nr. 1 AO
(z.B. Arbeitgeber, Banken wegen des Steuerabzugs)
•
Sonstige, § 193 II Nr. 2, 3 AO
 Ermessen (eingeschränkt durch BpO v. 15.3.2000, BStBl.2000,
368)
138
Außenprüfung
II. Ablauf
• Ausweispflicht (§ 198 AO)
• Prüfungsbeginn wird aktenkundig gemacht
(Folgen: §§ 171 IV, 371 II Nr. 1a AO)
• Betretens- und Besichtigungsrecht, § 200 III 2, 3 AO
• Lfd. Unterrichtung des Steuerpflichtigen über
Prüfungsfeststellungen (§ 199 II AO)
• Schlussbesprechung mit Möglichkeit zur tatsächlichen
Verständigung (§ 201 AO)
• Prüfungsbericht (§ 202 AO)
139
Rspr. zur sog. tatsächliche Verständigung
(T/L, § 21 Rz. 20-24)
über den Sachverhalt
• Sachverhalt nicht, nur
erschwert oder nur unter
erheblichem, unangemessenen Aufwand ermittelbar
über das Recht
• grundsätzlich unzulässig
• aber über Schätzung (§ 162
AO) und Bewertungen
zulässig
• keine offensichtlich
unzutreffende Besteuerung
Verständigung betrifft regelmäßig bereits verwirklichte
Zeiträume (retrospektive Wirkung)
140
Bindungswirkung der tatsächlichen
Verständigung
Treu und Glauben
• so die Rspr., die aber
letztlich Vertragsregeln
anwendet
• BFH BStBl. II 1991, 43; 1996,
625; 2004, 975, 979
• BMF v. 30.7.2008, BStBl. I
2008, 831
öffentlich-rechtlicher
Vertrag
• so die h.L.
• § 78 Nr. 3 AO ermöglicht die
Handlungsform
• §§ 201, 361a AO –
Erörterungstermine sind auf
verbindliche Einigung
angelegt
141
Verbindliche Auskunft nach § 89 II-VII AO i.V.m.
StAuskV (T/L, § 21 Rz. 16-19)
= einseitige Selbstbindung der FinBeh.
Selbstbindung ohne Fremdbindung
Zweck = Dispositionsschutz (Steuerplanungssicherheit)
Voraussetzungen:
- besonderes Zusageinteresse
- Unsicherheit über die rechtliche Beurteilung eines in
der Zukunft geplanten Sachverhalts
- kein Austesten eines „Steuersparmodells“
142
Verbindliche Auskunft (§ 89 II-VII AO)
Bindungswirkung
• aus sich selbst heraus (analog VA)
• Bindungswirkung ex nunc
Gebührenpflicht des Zusageantrags
• Anknüpfung an Gerichtsgebühren
• keine Erfolgsabhängigkeit
143
Fall 1:
H ist selbständiger Handelsvertreter und führt von dem Telefonanschluss in
seiner Privatwohnung gelegentlich Verkaufsgespräche. In seiner ESt-Erklärung
01 setzt er 50% der Telefonkosten als Betriebsausgaben an. Nach Rücksprache
mit H setzt das Finanzamt die ESt nach den erklärten Besteuerungsgrundlagen
endgültig fest. In der ESt-Erklärung 02 setzt H wiederum 50% der Telefonkosten
als Betriebsausgaben mit dem Vermerk an: "wie Vorjahr". Der Sachbearbeiter
hält nunmehr den Prozentsatz für zu hoch und schätzt ihn auf max. 30%.
Dementsprechend setzt er die ESt fest. H legt fristgerecht Einspruch ein und
verlangt einen Ansatz von 50% mit dem Argument, das Finanzamt sei durch die
frühere Verfahrensweise, auf die er vertraut habe, gebunden.
Literaturhinweis
BFH v. 14.2.2006 – III B 145/05, BFH/NV 2006, 1058 f.; BFH v. 7.10.2010 – V R
17/09, BFH/NV 2011, 865.
144
Fall 2:
Sachbearbeiter S des FA möchte überprüfen, ob das von dem Lehrer L
im Zusammenhang mit dem Werbungskostenabzug geltend gemachte
häusliche Arbeitszimmer tatsächlich besteht. Ohne vorherige
Anmeldung verlangt S von L den Zugang in dessen Wohnhaus, um
das Arbeitszimmer zu besichtigen. L verweigert ihm den Zutritt. S
versagt daraufhin den Werbungskostenabzug. Zu Recht?
Literaturhinweis
FG Düsseldorf v. 14.10.1992 – 5 K 144/90, EFG 1993, 64; FG
Niedersachsen v. 9.3.1993 – VII 314/90, EFG 1994, 182; Anders,
DStR 2012, 1779.
145
Fall 3:
Im Rahmen einer Außenprüfung entdeckt der Prüfer bei dem
Malermeister M für das Jahr 08 einen ungeklärten Vermögenszuwachs
von 25.000 € auf einem Girokonto des M. Der vorliegende EStBescheid 08 ist endgültig ergangen. Malermeister M behauptet, er
habe das Geld im Casino Hohensyburg gewonnen. Das FA sieht darin
eine bloße Schutzbehauptung, erhöht den Gewinn um 25.000 € und
berichtigt den ESt-Bescheid.
146
Fall 4:
Nach einer Außenprüfung einigen sich im Rahmen der
Schlussbesprechung der Steuerpflichtige und der Außenprüfer
dahingehend, dass ein an die 18jährige Tochter verschenkter FirmenPKW (VW-Golf, 2 Jahre alt, 60.000 km) als Privatentnahme mit 6.000 €
bewertet wird. Der für die Festsetzung der ESt zuständige
Sachgebietsleiter Schlaumeier fragt, ob er an die Vereinbarung
gebunden ist?
Literaturhinweis:
T/L, § 21 Rz.20 ff.; BMF v. 30.7.2008, BStBl. I 2008, 831.
147
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
im Steuerrecht (T/L, § 5 Rz. 70-145)
 eine sich am wirtschaftlichen Normzweck orientierende
teleologische Interpretation des Steuergesetzes
Grundgedanke:
"Für die Beurteilung abgabenrechtlicher Fragen ist in wirtschaftlicher
Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die
äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend" (US-Regel:
"substance over form")
148
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
im Steuerrecht (T/L, § 5 Rz. 70-145)
Gesetzliche Ausprägungen:
• Zurechnung von Wirtschaftsgütern (§ 39 II AO)
Grundsatz:
§ 39 I AO: Zurechnung zum Eigentümer, d.h. grds. Zurechnung nach dem
Zivilrecht
Ausnahme:
§ 39 II AO: Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft
über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im
Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das
Wirtschaftsgut ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut
zuzurechnen.
Beispiel:
Sicherungseigentum
149
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
im Steuerrecht (T/L, § 5 Rz. 70-145)
Gesetzliche Ausprägungen:
• Gesetz- oder sittenwidriges Handeln (§ 40 AO)
wird durch das Steuerrecht erfasst!
Gedanke:
Durch die Anknüpfung an das wirtschaftliche "Ist" auch in Fällen
gesetz- oder sittenwidriger Handlungsweise soll erreicht werden, dass
illegales Verhalten nicht ggü. legalem Verhalten steuerlich begünstigt
wird.
150
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
im Steuerrecht (T/L, § 5 Rz. 70-145)
Gesetzliche Ausprägungen
• Unwirksame Rechtsgeschäfte (§ 41 AO)
Gedanke:
• § 41 I 1 AO will den durch das unwirksame Rechtsgeschäft
geschaffenen wirtschaftlichen Vorgang/Zustand erfassen.
• Da Scheingeschäfte keinen wirtschaftlichen Effekt auslösen,
bleiben sie steuerrechtlich unerheblich (§ 41 II AO).
151
Fälle zur Rechtsanwendung im Steuerrecht (1):
Eltern E übertragen auf ihren Sohn A ein Mietwohngrundstück unter
Vorbehalt eines lebenslänglichen Nießbrauchs.
Abwandlung:
Gleichzeitig vereinbart E mit A ein schuldrechtliches Veräußerungsverbot,
das durch eine Rückauflassungsvormerkung gesichert wird.
Wem ist das Grundstück zuzurechnen? Wem die Mieteinkünfte?
Literaturhinweis
BFH v. 26.11.1998 – IV R 39/98, BStBl. II 1999, 263 ff.; BFH v. 20.12.2005
– X B 128/05, BFH/NV 2006, 704; BFH v. 28.3.2007 – IX R 37/05, BFH/NV
2007, 1891.
152
Fälle zur Rechtsanwendung im Steuerrecht (2):
Dealer D arbeitete als Rauschgifthändler. Er hatte aus dem Kokainverkauf
Einnahmen i.H.v. 400.000 €. D musste 65.000 € für den Kokaineinkauf
aufwenden. Seine Transportkosten beliefen sich auf 30.000 €.
Welche steuerlichen Folgen ergeben sich?
153
Fälle zur Rechtsanwendung im Steuerrecht (3):
Ein 6-jähriges Kind kauft ein Buch. Die Eltern genehmigen den Kauf nicht.
Das Kind behält das Buch dennoch.
Muss der Händler den Kaufpreis als Betriebseinnahme buchen?
154
Fälle zur Rechtsanwendung im Steuerrecht (4):
Der hochverschuldete S arbeitet als "Geschäftsführer" bei einer GmbH.
Die GmbH schließt deshalb mit der Ehefrau des S einen Arbeitsvertrag
und überweist die Vergütungen auf ein Konto der E. Wer hat die
Vergütungen zu versteuern?
155
Steuerumgehung (§ 42 AO)
(T/L, § 5, Rz. 116 – 134)
Missbräuchliche Anwendung von Gestaltungsmöglichkeiten des
Rechts durch Wahl einer den wirtschaftlichen Vorgängen unangemessenen rechtlichen Gestaltung zum Zwecke der Steuervermeidung
Grundsatz
Der Stpfl. kann sein wirtschaftliches Verhalten im Rahmen der Rechtsordnung frei
wählen und gestalten. Das Steuerrecht schränkt die wirtschaftliche Freiheit nicht
ein, sondern respektiert sie und knüpft an sie an. Die bloße Steuervermeidung
bleibt daher folgenlos.
Ausnahme
Durch den Missbrauch qualifizierte Steuervermeidung:
Missbräuchliche Tatbestandsvermeidung (Steuertatbestände) oder Tatbestandserschleichung (Steuerbefreiungen, -entlastungen).
156
Steuerumgehung (§ 42 AO)
(T/L, § 5, Rz. 116 – 134)
Tatbestandsvoraussetzungen:
1. Gestaltungsmöglichkeit des Rechts
= Rechtsgeschäfte, geschäftsähnliche Handlungen, Rechtshandlungen
(Realakte)
2. Umgehung eines Steuergesetzes
= Stpfl. nutzt die Diskrepanz zwischen Wortlaut und Zweck einer Norm zu
seinen Gunsten aus
= Der wirtschaftliche Sachverhalt, der in seiner üblichen rechtlichen Form
die Besteuerung auslöst, bleibt unverändert. Es wird nur die rechtliche
Form so verändert, dass die steuerliche Anknüpfung nicht mehr gelingt.
157
Steuerumgehung (§ 42 AO)
(T/L, § 5, Rz. 116 – 134)
3. Missbräuchliche Umgehung eines Steuergesetzes
= Die rechtliche Gestaltung ist unangemessen, d.h. verständige Parteien
wären in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts nicht so verfahren.
Indiz: wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die der
Steuerminderung dienende Gestaltung fehlen.
4. Umgehungsabsicht
= Die wirtschaftlich sinnlose Gestaltungsmöglichkeit des Rechts wird eingesetzt,
um den steuerlichen Belastungstatbestand zu umgehen.
158
Fälle zur Steuerumgehung (1):
Eltern E kaufen in der Universitätsstadt T eine Eigentumswohnung und
vermieten sie an ihren Sohn S, der in T studiert. Die Miete zahlt S aus dem
von E erhaltenen monatlichen Unterhalt. Können die E einen Verlust aus
der Vermietung der ETW bei ihrer ESt-Erklärung geltend machen?
Abwandlung
S empfängt keine laufenden Unterhaltszahlungen mehr, weil er von den
Eltern Kapitalvermögen geschenkt erhalten hat. Von den daraus fließenden
Zinsen kann er seinen Unterhalt einschließlich der Miete bestreiten.
Literaturhinweis
BFH v. 19.10.1999 – IX R 30/98, BStBl. II 2000, 223; Pezzer, StuW 1994,
31 ff.; ders., Steuerberater-Jahrbuch 2000/2001, 61, T/L § 5 Rz. 116 ff.
159
Fälle zur Steuerumgehung (2):
Die inländische GmbH G gründet die liechtensteinische Tochtergesellschaft
L, die in die ausländischen Leistungsbeziehungen als Vertragspartner
eingeschaltet wird. Die bei L eingehenden Zahlungen werden an die
Muttergesellschaft weitergeleitet. Außer einem liechtensteinischen Vorstand
(Rechtsanwalt R, der auch für andere Gesellschaften tätig ist) sind bei L
keinerlei Angestellte beschäftigt.
Literaturhinweis
BFH v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235; BFH v. 19.1.2000 – I R
94/97, BStBl. I 2001, 222; BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14;
T/L, § 5 Rz. 116 ff.
160
Fälle zur Steuerumgehung (3):
Schwiegervater möchte seiner Lieblings-Schwiegertochter 200.000 €
schenken. Um der Schenkungsteuer zu entgehen, schenkt er die
200.000 € seinem Sohn S unter der Auflage, den Betrag seiner Ehefrau
weiterzuschenken.
Gestaltungsmissbrauch?
Literaturhinweis:
BFH v. 30.11.2011, DStR 2012, 1652; BFH v. 18.7.2013, DB 2013, 2251
= DStR 2013, 2103; T/L, § 5 Rz.121
161