HÖRSTURZTHERAPIE
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HÖRSTURZTHERAPIE
3. Session 1. Vortrag HÖRSTURZTHERAPIE Definition und Ätiologie des Hörsturzes Mögliche molekulare Ursachen des Hörsturzes Therapievorschläge Erkrankungsprognose Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Franz HNO-Facharzt Annagasse 5/3, 1010 Wien Tel. +43 1/5126020, Fax: +43 1/5126020-20 E-Mail: [email protected] Hörsturztherapie Peter Franz, Wien Hörsturz - Definition • Der Hörsturz ist eine ohne erkennbare Ursache plötzlich auftretende, in der Regel einseitige Innenohrschwerhörigkeit von unterschiedlichem Schweregrad bis hin zur Ertaubung. Schwindel und/oder Ohrgeräusche sind zusätzlich möglich. Normales Hörvermögen Hörsturz > > > > > >> > > Hörsturz - Definition • Der so genannte Hörsturz (idiopathischer Hörsturz = Ursache ist unbekannt) muss von einer akuten symptomatischen Schwerhörigkeit abgegrenzt werden (d.h. es darf kein Zusammenhang oder eine Verbindung mit anderen Erkrankungen bestehen). Normales Hörvermögen Hörsturz > > > > > >> > > Hörsturz - Definition • Der Hörsturz ist - auch in prognostischer Hinsicht - kein Notfall, der sofort therapiert werden muss. • Es handelt sich bei diesem Krankheitsbild vielmehr um einen Eilfall, wobei hinsichtlich der Diagnostik und des Behandlungsbeginns sowie der Art der Therapie das Ausmaß des Hörverlustes, Begleitsymptome, etwaige Vorschäden und der subjektive Leidensdruck individuell berücksichtigt werden müssen. Hörsturz - Definition • Diese Störung kann sich als geringe Hörminderung zeigen oder bis zur völligen Gehörlosigkeit reichen. • Offizielle Statistiken belegen, dass in Deutschland insgesamt 200.000 Personen pro Jahr von einem Hörsturz betroffen sind. • Dabei haben 75% der Betroffenen bereits das 40. Lebensjahr überschritten. • In 85% der Fälle treten zusammen mit dem plötzlichen Hörverlust ein Tinnitus und in 30% der Fälle ein vestibulärer Schwindel auf. Hörsturz - Definition • Die Angaben zur Spontanheilung des akuten Hörverlusts – sowohl bei Vollremission als auch bei Teilremission – variieren sehr stark, sodass grob ein mittlerer Wert von 50% angenommen werden kann. • Direkte Studien, bei denen keine Therapie oder Placebotherapie durchgeführt wurde, gibt es nur wenige. eine • Über eine hohe Spontanremissionsrate wurde erstmals im deutschen Raum von Weinaug 1984 berichtet, wobei ein Wert von 68% angegeben wurde. Ähnliche Aussagen wurden von Probst 1992 getroffen. Hörsturz - Definition • Bei einem geringfügigen Hörverlust kann, soweit der Patient damit einverstanden ist, daher abgewartet werden, ob sich eine Spontanremission einstellt. • Hierbei ist die Prognose für eine Erholung für den Tieftonbereich günstiger als für den Hochtonbereich. • Stellt sich nach wenigen Tagen keine Besserung ein, sollte mit einer Therapie begonnen werden. Hörsturz - Ätiologie • Sowohl über die molekularen Ursachen, die zur Entstehung des Hörsturzes führen, als auch über seine hohe Spontanerholung, gibt es zzt. keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse. • Möglicherweise bieten hier die Befunde, die in Zusammenhang mit einem geräuschinduzierten, temporären Hörverlust gemacht werden, Hinweise auf grundlegende Mechanismen der vorübergehenden Hörminderung. Innenohr Funktionsstörungen Äußere Haarzellen = Verstärker Stria vascularis = Energielieferant Innere Haarzellen = Mikrophon Vorübergehende Funktionsstörungen beim Hörsturz und seine Spontanremission Innerhalb des Zellverbands kann es zu einer mechanischen Schädigung der Haarzellbündel oder zur Funktionsstörung in den „gap junctions“, den Blutgefäßen und den Synapsen kommen. 1) Gap-Junction-Systeme • In der Cochlea können 2 Gap-Junction-Systeme unterschieden werden, das epitheliale und das mesenchymale. Das epitheliale System befindet sich im Corti-Organ. • Das mesenchymale System ist in der Lateralwand lokalisiert und verbindet die strialen Basal- und Intermediärzellen sowie die Fibrozyten des Ligamentum spirale untereinander. • Die inneren und äußeren Haarzellen im Corti-Organ sowie die Marginalzellen in der Stria vascularis sind nicht an diese Systeme angeschlossen. 1) Gap-Junction-Systeme • Es wurde nachgewiesen, dass z.B. eine Erhöhung der Stickoxyd (NO)-Konzentration zu einer sehr raschen Abkoppelung der „gap junctions“ in den epithelialen Zellen führt. • Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass ein reduzierter Ionenfluss und damit verbunden eine reduzierte Rückführung der Kaliumionen durch das Gap-Junction-System resultiert und so zu einer Hörminderung bzw. zu einem totalen Hörverlust führen kann. 1) Gap-Junction-Systeme • Da die beiden konstitutiv expremierten NOS-Isoformen durch Kalzium/Calmodulin reguliert werden, könnte in diesem Zusammenhang die Erhöhung der zellulären Kalziumkonzentrationen zu einer lokal gesteigerten NO-Produktion beitragen und damit die Abkopplung der „gap junctions“ fördern. • Eine Ursache für die Spontanheilung beim Hörsturz könnte in einer Wiederherstellung des funktionierenden Gap-Junction-Systems, d. h. der Aufhebung der Abkopplung, zu sehen sein. 2) Blutgefäße 2) Blutgefäße 2) Blutgefäße • Im Bereich der Mikrozirkulation innerhalb der Cochlea werden die Druckverhältnisse lokal von der NO-Bildung in den Endothelzellen und den Perizyten beeinflusst. • Die NO-produzierende eNOSIsoform wurde u. a. im Endothel der strialen Kapillaren und in den Blutgefäßen des Ligamentum spirale nachgewiesen. • Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand wird vermutet, dass auch Perizyten am Prozess der lokalen Regulation der Mikrozirkulation beteiligt sind. 2) Blutgefäße • Sie besitzen eine eigene Kontraktilität und sind in der Lage, große Mengen NO zu produzieren. • Die wechselnde, lokale NOKonzentration könnte den akuten Hörverlust und die Spontanremission erklären. 2) Blutgefäße • Eine Möglichkeit des Hörsturzes und seiner Spontanremission könnte in der begrenzten Verfügbarkeit von Tetrahydrobiopterin (BH4) begründet sein. • BH4 ist ein Cofaktor, der von allen NOS-Isoformen zur Aktivierung genutzt wird. • Unter physiologischen Bedingungen ist die Verfügbarkeit von BH4 gewährleistet und die eNOS funktionell gekoppelt. 2) Blutgefäße • Vitamin C fördert die Umwandlung von BH3 in BH4, von Quinonoid-BH2 in BH4 und fängt freie Radikale in der Zelle ab. • Diese Aufgabe erfüllt auch Glutathion und fördert die Umwandlung von Dehydroascorbinsäure zu Vitamin C. • Die reduzierte BH4Konzentration könnte somit eine der molekularen Ursachen des Hörsturzes sein. 2) Blutgefäße • Die Spontanremission nach einem Hörsturz ließe sich durch die Wiederherstellung des ursprünglichen BH4-BH2Verhältnisses erklären. • An der Regeneration ist hauptsächlich die DHFR beteiligt. 2) Blutgefäße • Bei einer Reduktion der BH2Konzentration würden die Bindungsstellen an der eNOS wieder für BH4 freigegeben werden und die NOProduktion gewährleisten. • Die zytoprotektive NOFreisetzung würde die vaskuläre Versorgung der Cochlea ermöglichen, und das Gehör würde sich normalisieren. 3) Synapsen • Des Weiteren können Veränderungen des Hörvermögens durch temporäre Funktionsstörungen in der Signalübertragung an den Synapsen auftreten. • Im Zusammenhang mit einem geräuschinduzierten Hörverlust wird eine gesteigerte Glutamatfreisetzung im Bereich der Synapsen mit einer daraus resultierenden Exzitotoxizität diskutiert. 3) Synapsen • Bei einer nicht zu starken Schädigung der postsynaptischen Strukturen, nämlich der afferenten Dendriten vom Typ I, kann es zeitnah (bis zu ca. 5 Tagen) durch die Induzierung von Reparaturmechanismen wieder zur Herstellung funktionsfähiger Synapsen kommen. • Bei einem Hörsturz könnten diese zeitlich begrenzten, morphologischen Schädigungen die Ursache für eine temporäre Hörminderung sein. 3) Synapsen - Bedeutung des Stickoxyds (NO) NO-Synthase (+) NO NO-Synthase Freie Radikale (bei verstärkter Glutamatfreisetzung) Freie Radikale Freie Radikale sind Moleküle, die ein oder mehrere ungepaarte (freie) Elektronen besitzen und dadurch instabile, kurzlebige und hochreaktive Moleküle darstellen. Im engeren Sinn versteht man darunter reaktive Formen des Sauerstoffs (ROS). Sie sind bestrebt ihren instabilen Zustand auszugleichen, indem sie anderen Molekülen Elektronen entreißen. Schädigung der Zellmembran Abwehr- und Reparaturmechanismen ROS (reaktive Sauerstoffspezies): Hydroxylradikal (HO*) Wasserstoffperoxid (H2O2) Peroxynitrit (ONOO*) Antioxidantien: Antioxidative Enzyme Glutathione Vitamin C + E Vorübergehende Funktionsstörungen beim Hörsturz und seine Spontanremission • Auf Zellniveau verändern extrazelluläre Faktoren, wie freie Radikale und Hormone, die Zellphysiologie. Intrazellulären Einfluss haben Glutathion und Vitamine. Zelleigene Protektionssysteme • Weitere Ursachen für den temporären Hörverlust scheinen im vorübergehenden Ungleichgewicht zwischen der Zunahme freier Radikale und der Reduktion von Glutathion zu bestehen. • Natürlicherseits reicht die zytoprotektive Glutathionkonzentration in der Zelle aus, um überschüssige Radikale zu eliminieren. • Unter pathologischen Bedingungen verringert sich jedoch die Glutathionkonzentration. Zelleigene Protektionssysteme • Im Rahmen der Spontanremission beim Hörsturz sind möglicherweise auch die zellulären Vitamin-CSpeicher beteiligt. Durch seine molekularen Fähigkeiten wirkt Vitamin C als Radikalfänger. • Zusätzlich bewirkt Vitamin C die Hemmung der iNOS und fördert die Regeneration von BH4. • Dadurch wird die eNOS von der ROS-Bildung entkoppelt und deren enzymatische Aktivität primär zur NO-Bildung genutzt. Hörminderung durch veränderte Hormonkonzentrationen • Hormonelle Veränderungen in Zusammenhang mit dem Hörvermögen wurden v. a. bei Vorgängen der Stressbewältigung diskutiert. Mineralkortikoide und Glukokortikoide • Eine Ursache des Hörsturzes und seine Spontanremission könnte in einem zeitlich begrenzten, hormonellen Ungleichgewicht von Mineralkortikoiden begründet sein. • Rezeptoren für Mineralkortikoide ließen sich entsprechend in verschiedenen Regionen der Cochlea nachweisen. Mineralkortikoide und Glukokortikoide • In experimentellen Ansätzen wurde gezeigt, dass der Serumaldosteronspiegel in direktem Zusammenhang mit der Na+-K+-ATPase-Aktivität im Innenohr steht. • Auch die Expression der Na+K+-ATPase wird durch Aldosteron reguliert. • Diese ATPase ist verantwortlich für die hohe K+- und niedrige Na+-Konzentration in der Endolymphe. Mineralkortikoide und Glukokortikoide • Die experimentellen Befunde deuten darauf hin, dass die Na+-K+-ATPase-spezifischen enzymatischen Aktivitäten in der Lateralwand durch Hormone kontrolliert werden können. • Glukokortikoide dürften im Ligamentum spirale eine größere Rolle spielen könnten als Mineralkortikoide. Mineralkortikoide und Glukokortikoide • Temporäre Schwankungen im Aldosteronspiegel könnten sich auf die Ionentransportverhältnisse in der Stria vascularis auswirken, zur Absenkung des endokochleären Potenzials führen und dadurch einen Hörsturz auslösen. Mineralkortikoide und Glukokortikoide • Da die Rezeptoren der Mineralkortikoide nicht nur durch diese selbst, sondern auch durch Glukokortikoide reguliert werden, besteht die therapeutische Möglichkeit einer funktionellen Wiederherstellung der strialen Funktionen durch eine kompensierende Erhöhung der Kortisolkonzentration. • Glukokortikoide reduzieren die Expression vieler Zytokine und von iNOS. Apoptoseinhibitor Survivin • Neuere Arbeiten zeigen, dass Survivin auch in nichtmalignen Geweben exprimiert wird und über seine zytoprotektive Wirkung zur Bewältigung unterschiedlicher Stresssituationen beiträgt. • Survivin wurde in der humanen Kochlea nachgewiesen. Apoptoseinhibitor Survivin • Nach Induktion eines temporären otologischen Traumas durch Beschallung oder Gabe ototoxischer Substanzen sowie der damit verbundenen Verschlechterung der Hörschwelle reagieren Zellen in der Cochlea mit einer Steigerung der Survivinexpression. • Steroide scheinen in der Lage zu sein, eine verstärkte Survivinexpression zu vermitteln. Hörsturz - Dringlichkeit der Behandlung • Der Hörsturz ist - auch in prognostischer Hinsicht - kein Notfall, der sofort therapiert werden muss. • Hinsichtlich der Diagnostik und des Behandlungsbeginns sowie der Art der Therapie müssen das Ausmaß des Hörverlustes, Begleitsymptome, etwaige Vorschäden und der subjektive Leidensdruck individuell berücksichtigt werden. Hörsturz - Primäre Beschwerden • • • • • • Akuter subjektiver Hörverlust (wird allerdings je nach Ausmaß und betroffenem Frequenzbereich nicht in allen Fällen bemerkt) Tinnitus Druckgefühl im Ohr Schwindel Hyper-/Diplo-/Dysakusis Pelziges Gefühl um die Ohrmuschel (periaurale Dysästhesie) Hörsturz - Sekundäre Symptome • • • • Angststörung Inadäquate Krankheitsbewältigung Weitere psychosomatische Beeinträchtigungen Einschränkung der Lebensqualität Hörsturz - Diagnostik (notwendig) • • • • • HNO-Status Ohrmikroskopie Hörprüfung (Stimmgabel, Tonaudiogramm) Tympanometrie Vestibularisprüfung Hörsturz - Diagnostik (im Einzelfall nützlich) • • • • • • • • • • • • • • • • • OAE BERA Sprachaudiogramm Stapediusreflexmessung Funktionelle Untersuchung der HWS Blutdruckmessung Labor: CRP, Präcalcitonin, kleines Blutbild, Differenzialblutbild, Kreatinin, Serologie: Borrelien, Lues, Herpes-Virus Typ 1, Varicella-Zoster-Virus,, CMV MRT: Ausschluß eines Kleinhirnbrückenwinkeltumors (Gehörschutz empfohlen) CT: Schädel, Felsenbein, HWS Glyceroltest nach Klockhoff: Ausschluß eines Hydrops Elektrokochleographie*:kochleärer Schaden, Ausschluß eines Hydrops CERA: Ausschluß einer psychogenen Taubheit Elektronystagmographie oder Video-Okulographie Duplexsonographie Tympanoskopie (Diagnostischer Eingriff der im Einzelfall beim Verdacht bei Perilymphfistel indiziert sein kann) Interdisziplinäre Untersuchungen (z.B. Neurologie, Innere Medizin, Orthopädie) Hörsturz - Differentialdiagnose • • • • • • • • • • • • • • • Virale Infektion (z.B. Adenoviren, Zoster, Mumps) Encephalitis disseminata (multiple Sklerose) Autoimmunvasculitis Toxische Einflüsse (z.B. Arzneimittel, Drogen, Gewerbegifte) Dialysepflichtige Niereninsuffizienz Tumoren (z.B. Vestibularisschwannom, Hirnstamm- und Felsenbeingeschwülste) Perilymphfistel Traumata (Baro-, Schall- und Schädeltrauma) Labyrinthitis (z.B. bei Mittelohrentzündung, Borreliose, Lues) Liquorverlust-Syndrom, (z.B. nach Liquorpunktion) Meningitis Genetisch bedingte Syndrome Hämatologische Erkrankungen Herz-Kreislauferkrankungen, (Blutdruckregulationsstörung) Psychogene Hörstörungen Hörsturz - Ätiologie / Pathogenese • Ätiologie und Pathogenese des Hörsturzes sind weitgehend unbekannt. • Vaskuläre und rheologische Störungen, Infektionen, und zelluläre Regulationsstörungen werden als Pathomechanismen diskutiert. Hörsturz - Klassifikation • • • • • Der Hörsturz tritt hinsichtlich Frequenzbereich und Schweregrad in unterschiedlichen Formen auf. Es lassen sich folgende Formen der cochleären Schwerhörigkeit (= Innenohrschwerhörigkeit [IOS]) unterscheiden: Hochton-IOS Tiefton-IOS Mittelton-IOS Pantonale IOS Taubheit oder an Taubheit grenzende IOS Hörsturz - Klassifikation Hochton-Hörverlust • Wahrscheinliche Pathogenese ist eine Insuffizienz der äußeren (IOS bis ca. 50 dB Hörverlust) und/oder der inneren Haarzellen (IOS ab ca. 60 dB Hörverlust). Normales Hörvermögen Hörsturz Hörsturz - Klassifikation Tiefton-Hörverlust • Die Hörminderung im tiefen Frequenzbereich kann fluktuierend sein und ist wahrscheinlich auf einen endolymphatischen Hydrops zurückzuführen. Normales Hörvermögen Hörsturz Hörsturz - Klassifikation Mittelfrequenz-Hörverlust • Pathogenetische Grundlagen der seltenen wannenförmigen Senkenbildung der Tonschwelle im mittleren Frequenzbereich sind kaum untersucht. Als Ursachen werden beispielsweise lokale Durchblutungsstörungen mit hypoxischen Schäden des CortiOrgans diskutiert. Normales Hörvermögen Hörsturz Hörsturz - Klassifikation Pantonaler Hörverlust • Als pathogenetisches Substrat kommt vor allem eine Funktionsbeeinträchtigung der Stria vascularis in Frage, z.B. Durchblutungsstörungen. Normales Hörvermögen Hörsturz Hörsturz - Klassifikation Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit • Verantwortlich hierfür kann ein vaskulärer Verschluss sein. Normales Hörvermögen Hörsturz Hörsturz - Therapie (allgemeine Prinzipien) ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ Beeinflussung der Blutgefäße (z.B. Blutverdünnung) Reduktion der Zellschwellung und Apoptoseinhibition (Cortison) Ionenkanal-Beeinflussung (z.B. Calciumantagonisten) Reduktion der Innenohrflüssigkeiten (Entwässerung) Radikalfänger (z.B. Vitamin C) Hemmung der Blutplättchenfunktion (z.B. Aspirin) Hyperbarer Sauerstoff (HBO-Therapie) Hörsturz - Therapie • Der Hörsturz verursacht eine wesentliche Einschränkung der Lebensqualität. • Dies rechtfertigt grundsätzlich einen Behandlungsversuch. • Da die Ursache des Hörsturzes nicht bekannt ist, kann keine kausale Therapie angegeben werden. Hörsturz - Therapie • Dennoch haben empirische Therapieverfahren in der klinischen Praxis einen positiven Einfluss auf die Erholung des Gehörs erkennen lassen. • Einige aktuelle Studien (Phase II) sind methodisch anspruchsvoller und ergeben Hinweise auf die Wirksamkeit verschiedener Therapieverfahren. Inzidenz des Hörsturzes und Studienlage erfordern weitere aussagekräftige klinische Prüfungen (Phase III). Hörsturz - Therapie • Es gibt nur ca. 10 kontrollierte Studien, in denen keine Therapie oder eine Placebo-Therapie gegen ein Verum prospektiv, randomisiert und doppelblind geprüft wurde (hohe "Evidenz"). • Bei den übrigen Spontan-Heilungs-Studien handelt es sich um nichtkontrollierte Studien oder retrospektive Karteikarten-Auswertungen mit geringer "Evidenz„. • In ca. 30 kontrollierten Studien wurden zwei unterschiedliche Monooder Kombinationstherapien prospektiv, randomisiert, aber nur zum Teil auch doppelblind geprüft. Hörsturz - Therapie • Dagegen wurden die meisten Studien nicht-kontrolliert (d.h. es wurde nur eine Therapiemodalität getestet) oder retrospektiv (d.h. Karteikarten-Auswertungen) durchgeführt. • Auch der Begriff der Spontanheilung wird hinsichtlich einer Volloder Teil-Remission unterschiedlich verstanden. • Aus diesen Gründen sind die nachstehend beschriebenen TherapieOptionen als Behandlungsvorschläge zu verstehen. Hörsturz - Therapie • Nicht jeder Hörsturz bedarf einer Behandlung. • Es kann bei informierten Patienten und geringfügigen Hörverlusten ohne Beeinträchtigung des sozialen Gehörs zunächst einige Tage lang im Einvernehmen mit dem Patienten eine Spontanremission abgewartet werden. • Bei ausgeprägtem Hörverlust, vorgeschädigten Ohren sowie bei zusätzlichen vestibulären Beschwerden und/oder Ohrgeräuschen wird eine abwartende Haltung nicht empfohlen. • Der Patient sollte über verschiedene Behandlungsmaßnahmen aufgeklärt werden, die auch die "offlabel"- Behandlung beinhalten kann. Hörsturz - Therapiestudien Mattox and Simmons 1977, 89 Patienten, prospektiv • 65% der Patienten zeigen eine nahezu vollständige Erholung unabhängig von der angewandten Therapie (Steroide, gefäßerweiternde Mittel, gefäßerweiternde Mittel + Steroide). • Keine Therapieform war der Placebo-Gruppe überlegen. • Die Hörleistung normalisiert sich bei der Mehrheit der Patienten innerhalb von 14 Tagen nach dem Auftreten des Hörsturzes. • Keine Korrelation mit Alter, Bluthochdruck, Diabetes oder chronischen Krankheiten. Hörsturz - Therapiestudien Russolo 1988, prospektiv (Carbogen - 28 Patienten, Heparin/Dextran - 28 Patienten) • In der Placebo-Gruppe zeigten 65% eine fast vollständige Erholung. In der Verum-Gruppe zeigten 68% der CarbogenPatienten und 62% der Heparin/Dextran-Patienten eine fast vollständige Erholung. • Patienten mit einer anfänglichen Hörschwelle besser als 70dB (3 Frequenzen) zeigten in 86% eine gute oder vollständige Genesung. Patienten mit einer anfänglichen Hörschwelle schlechter als 70dB (3 Frequenzen) zeigten nur in 35% eine gute oder vollständige Genesung. Hörsturz - Therapiestudien Russolo 1988, prospektiv (Carbogen - 28 Patienten, Heparin/Dextran - 28 Patienten) • 75% der Patienten zeigten bei Behandlungsbeginn innerhalb der ersten 3 Tage eine vollständige Rückbildung der Hörleistung. • Dies wird darauf zurückgeführt, dass die anfängliche Hörschwelle bei den meisten Vertretern dieser Gruppe besser als 70dB war. Hörsturz - Therapiestudien Sano 1998, 443 Patienten, retrospektiv (1972-1992), Therapie: Steroide, gefäßerweiternde Mittel, hyperbarer O2 • Bei einer anfänglichen Hörschwelle kleiner als 70dB ist die Hörverbesserung auf eine Spontanheilung zurückzuführen. • Patienten mit einer anfänglichen Hörschwelle schlechter als 70dB zeigen nur eine geringe Spontanheilungstendenz. • Patienten mit einer anfänglichen Hörschwelle zwischen 70 bis 90dB sind optimale Kandidaten um den Erfolg einer Hörsturztherapie zu evaluieren. Hörsturz - Therapiestudien Morgenstern 1983, 362 Patienten, retrospektiv (1966 bis 1981) • Die untersuchten Therapieformen (gefäßerweiternde Mittel, Blutvolumenerhöher und Steroide) unterscheiden sich in ihrer Heilungsquote statistisch nicht. • Alle Therapieerfolge sind in erster Linie auf eine spontane Besserung der Hörvermögens zurückzuführen. • Der so genannte günstige Effekt einer frühzeitigen Therapie beim akuten Hörverlust ist durch Selektion von Spontanheilungen bedingt. • Ein Hörsturz mit begleitenden objektiven Symptomen ist prognostisch ungünstiger. Gleichgewichts- Hörsturz - Therapiestudien Wilson 1980, 119 Patienten, prospektive Doppelblindstudie (nach 10 Tagen nachuntersucht) • • • • Steroid-Gruppe: 78% Erholungsrate Placebo-Gruppe: 38% Erholungsrate Steroide wirkt bei einem Hörverlust von 70 bis 90 dB Patienten mit einem Tonaudiogramm schlechter wie 90dB sprachen nicht auf Steroide an > > > > > >> > > Hörsturz - Therapieempfehlungen Leitlinien der Dt. Ges. f. Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopfund Hals-Chirurgie • 1. Rheologische Therapie (u.a. Hämodilution, Volumeneffekt, Verbesserung der Fluidität, Senkung der Plasmaviskosität/Fibrinogen) • 2. Glukokortikoide Ad 1: Rheologika • Berücksichtigt man nur die kontrollierten, prospektiv und randomisiert durchgeführten Studien mit mindestens 50 rheologisch behandelten Patienten, also jene mit einer relativ hohen Evidenz, kommt man auf eine Remissionsrate von 55-79% mit einem Hörgewinn von 10-14 dB im Hochtonbereich und 18-25 dB im Mittelund/ oder Tieftonbereich. Ad 2: Glukokortikoide • Berücksichtigt man nur die kontrollierten, prospektiv und randomisiert durchgeführten Studien mit mindestens 50 Glukokortikoid-behandelten Patienten, also jene mit einer relativ hohen Evidenz, findet sich eine Remissionsrate von 59-87% mit einem Hörgewinn von 12-19 dB im Hochtonbereich und 20-34 dB im Mittel- und/oder Tieftonbereich. • Die zusätzliche Behandlung mit rheologisch wirksamen Medikamenten ergab weder größere Hörgewinne noch höhere Remissionsraten. Ad 2: Glukokortikoide • Deshalb wird empfohlen, als alternative initiale Therapie des Hörsturzes Glukokortikoide einzusetzen. • Die Glukokortikoid-Therapie soll 3 Tage mit jeweils mindestens 250 mg Prednisolon oder einem anderen synthetischen Glukokortikoid mit äquivalenter Dosierung durchgeführt werden. • Bei einem Ansprechen der Hörstörung auf diese Maßnahme wird die Therapie mit absteigender Dosierung fortgesetzt. Ad 2: Glukokortikoide • Randomisierte Studien, die die Wirksamkeit von Glukokortikosteroiden beim Hörsturz gegen Placebo oder Nulltherapie vergleichen, kommen allerdings zu uneinheitlichen Resultaten. • Als Ergebnis einer systematischen Übersicht (Metaanalyse) der Cochrane- Collaboration wird der Stellenwert der systemischen Glukokortikosteroidtherapie in der Behandlung des Hörsturzes deshalb als noch unklar eingeschätzt [Wei et.al, 2006]. • Diese Aussage wird auch durch eine weitere Metaanalyse unterstützt [Conlin et al., 2007]. Derzeit existiert keine valide randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie die eine effektive Behandlung des Hörsturzes beschreibt. Systemisch verabreichte Steroide können nicht als der „golden standard“ in der Therapie des Hörsturzes angesehen werden. Eine Metaanalyse der Resultate aller randomisierter Hörsturz-Studien (Medline 1966-2006) zeigte keine Überlegenheit der Steroide (auch bei gleichzeitiger antiviraler Therapie) gegenüber einer Behandlung mit einem Placebo. Ad 2: Glukokortikoide • Eine neue, bislang nur in wenigen qualitativ hochwertigen Studien evaluierte Therapie ist die lokale (intratympanale) Anwendung von Glukokortikosteroiden. • Grundsätzlich erscheint die intratympanale Applikation von Glukokortikosteroiden (Dexamethasonphosphat oder Methylprednisolonacetat) bei Patienten nach erfolgloser systemischer Therapie als Reservetherapie möglich. • Trotz der derzeit noch nicht eindeutigen Datenlage kann dieser Therapieversuch zumindest bei hochgradigem Hörverlust in Betracht gezogen werden. Hörsturztherapie - ambulant/stationär • Eine Hörsturztherapie wird in Abhängigkeit vom Einzelfall ambulant oder stationär durchgeführt. > > > > > >> > > Hörsturztherapie - ambulant • In vielen Fällen kann der Hörsturz ambulant behandelt werden. Eine ambulante Therapie ist auch dann angezeigt, wenn der Patient dies wünscht und die organisatorischen Voraussetzungen dazu (z.B. Infusion auch am Wochenende) gegeben sind. Hörsturztherapie - stationär • Akuter ein- oder beidseitiger kommunikativ stark beeinträchtigender oder vollständiger Hörverlust • Hörsturz mit Progredienz oder unzureichendem Erfolg unter ambulanter Therapie, wenn stationär andere Therapieoptionen möglich sind • Akuter Hörverlust mit höhergradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit des anderen Ohres • Hörsturz mit objektivierbarer Gleichgewichts-Begleitsymptomatik • Komorbidität, eingeschränkt auf schwere z.B. internistische Begleiterkrankungen im Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselbereich oder neurologische Erkrankungen • Besonderes berufliches Betroffensein (z.B. Musiker) Hörsturz - Initialtherapie • Die Deutsche HNO-Gesellschaft empfiehlt, als initiale Therapie des Hörsturzes Glukokortikoide einzusetzen. • Glukokortikoide für 2 bis 3 Tage (250-500 mg Solu-Dacortin i.v.). Anschließend, wenn noch keine vollständige Restitutio, Prednisolon in absteigender Dosierung (beginnend mit 120 mg/die/p.o. für 3 Tage, dann in 3-Tages-Rhythmus die Dosis um jeweils 10 mg reduzieren). Hörsturz – Tympanotomie Indikationen • Ausgeprägter Hörverlust (z.B. > 70dB im Sprachbereich) oder Taubheit • Keine Besserung auf Kortisontherapie nach ca. 1 Woche • Verdacht auf Vorliegen einer Ruptur der runden Fenstermembran Verschluss beider Mittelohrfenster mit zusätzlicher intratympanaler Kortisonapplikation Hörsturz - intratympanale Steroidapplikation • Intra/transtympanale Steroidtherapie Hyaluronsäure) beim „Versagen“ Steroidbehandlung? (Dexamethason und der systemischen • Unterschiedliche Applikationsarten: Mittelohrpunktion, Paukenröhrchen, MicroWick, Mikrokatheter, Hörsturz - Zeitlicher Verlauf • 93% der Hörsturzpatienten zeigen eine Hörverbesserung innerhalb von 14 Tagen nach Behandlungsbeginn (Moon et al., 2009). • 80,4% der Patienten zeigen eine komplette Erholung innerhalb eines Monats und 92,2% der Patienten zeigen eine komplette Erholung innerhalb zwei Monaten (Moon et al., 2009). Das Hörvermögen sollte daher bis zu 2 Monate nach Behandlungsbeginn kontrolliert werden. Hörsturz - Prognose • Günstigste Prognose - auch bezüglich Schwindel und Tinnitus - ist bei isolierter Schwerhörigkeit im Tiefton- oder Mittelfrequenzbereich bzw. bei leichtgradigen Hörverlusten zu erwarten. • Mit zunehmendem Hörverlust verschlechtert sich die Prognose. • Ungünstigste Prognose bei primär an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit oder Taubheit. • Ungünstige Prognose auch bei zusätzlichen objektivierbaren Gleichgewichtsstörungen. Hörsturz - Therapiekonzepte • Es gibt kein einheitliches Therapiekonzept; unterschiedliche therapeutische Prinzipien werden polypragmatisch miteinander verknüpft. • Bei vielen Patienten scheint die Behandlung nicht effektiv zu sein. • Im Einzelfall lehrt uns die Klinik jedoch, dass anfänglich gleich bleibende Hörverluste nach Therapiebeginn schnelle Besserung zeigen können.