Thales und die Deutsche Bahn haben das Stellwerk St. Goar in

Transcrição

Thales und die Deutsche Bahn haben das Stellwerk St. Goar in
TRACS
>>
Transportation Systems for Main Line Rail
Dezember 2011
Havariebeseitigung – Thales und die Deutsche Bahn haben das
Stellwerk St. Goar in Rekordzeit wieder aufgebaut
In nur vier Monaten hat Thales in St. Goar ein neues Elektronisches Stellwerk errichtet und damit
hinsichtlich der Realisierungszeit das wahrscheinlich schnellste Stellwerk der DB Netz AG.
Der Ort St. Goar befindet sich auf der
linken Rheinseite zwischen Bingen
und Koblenz. Er ist Teil des UNESCO
Weltkulturerbes Oberes Mittelrheintal
einschließlich der berühmten Loreley.
Doch für den Bahnverkehr endete die
Idylle diesen Sommer: Am 23.06.
2011 ereignete sich ein folgenschwerer Brand in der Innenanlage des
Stellwerks St. Goar. Die Auswirkungen
waren über Monate gravierend für
den Bahnbetrieb der linksrheinischen
und somit auch der rechtsrheinischen
Strecke. Die Ursache der Havarie im
Stellwerk war ein Fremdspannungseinfall, der durch die Ableitung der Überspannung der Oberleitungsanlage
über die Kabelanlage bis in die Innenanlage begründet war. Das Stellwerk
wurde dadurch in Brand gesetzt und
weitgehend zerstört.
Durch das beherzte und korrekte
Handeln des diensthabenden Fahrdienstleiters konnte der Brand in kürzester Zeit durch die Feuerwehr gelöscht werden. Glücklicherweise kam
bei dem Unglück niemand zu Schaden.
Zur Ermittlung der Ursache und um
Fremdeinwirkungen auszuschließen,
wurde die Anlage für einige Zeit durch
die Brandschutzexperten gesperrt
und untersucht. Die erste Zugangsmöglichkeit erfolgte am 04.07.2011.
Die Begehung konnte nur mit Schutz-
anzügen und Atemschutzmasken erfolgen. Dabei wurde festgestellt, dass
die Anlagenteile im Wesentlichen zerstört oder kontaminiert waren (schädliche Rückstände durch Brandrückstände der Kabel und von Kunststoff).
Die anschließenden Gutachten der
Experten aller Fachbereiche ergaben,
dass das Stellwerk in der bisherigen
Form nicht mehr instand gesetzt werden kann und einer Erneuerung bedarf. Neben den Beschädigungen im
Relaisraum und an der Technik der
anderen Gewerke blieb auch der
Stelltisch von den Überspannungseinflüssen nicht verschont: Er brannte
völlig aus. Daher bestand die Aufgabe
darin, die Technik der Innenanlage und
die Räumlichkeiten in St. Goar komplett neu herzurichten. Alle zerstörten und kontaminierten Anlagenteile
wurden rückgebaut und fachgerecht
entsorgt.
Die Außenanlage der Signaltechnik
(Signale und Weichenantriebe) konnte
zu einem großen Teil wieder verwendet werden. Zerstört wurden allerdings u.a. die komplette Außenverkabelung, die Weichenheizung, Teile der
beiden Bahnübergänge, einige Mastschalter und weitere Anlagenteile.
In Summe war der Schaden enorm
und der Betriebsablauf der stark befahrenen linksrheinischen Verkehrs-
www.thalesgroup.com/germany
Bahnhof St. Goar
achse war damit empfindlich gestört.
Als Notmaßnahme wurden sämtliche
Weichen nach Stilllegungsart 1 in
Geradeausfahrt verschlossen. Durch
das abgebrannte Stellwerk und die
fehlenden Blockstellen „entstand“
somit ein Streckenblockabschnitt von
17 km zwischen Werlau und Oberwesel. Es konnte nur noch auf Befehl
gefahren werden und es war allen
Beteiligten klar, dass hier eine
schnelle Lösung gefunden werden
musste.
Nach erfolgter konzeptioneller Entscheidung der DB Netz AG wurde
Thales Deutschland am 29.07.2011
mit einem Letter of Intent für die
Umsetzung der gesamten Maßnahme,
einschließlich aller Gewerke, beauftragt. In letztendlich nur vier Monaten
sollte „ungeplant“ ein neues Elektronisches Stellwerk (ESTW) mit allen
notwendigen Gewerken neu errichtet
werden.
Vor allem die sehr kurzen Laufzeiten
machten das Projekt zu einem extrem
... Fortsetzung auf Seite 2
TRACS
Transportation Systems for Main Line Rail
... Fortsetzung von Seite 1
herausfordernden und kühnen Vorhaben. Aber es gab letztendlich keine
Alternative. Die Inbetriebnahme musste
Anfang Dezember 2011 erfolgen, da
die Inbetriebnahme des ESTW Rechter Rhein, Baustufe 2d, mit dem Neubau des ESTW-A Assmannshausen
für den 03.12.2011 geplant und
hierfür eine Vollsperrung notwendig
war. Voraussetzung für diese Inbetriebnahme war, dass der Umleitungsverkehr linksrheinisch mit einer
intakten Signalisierung zur Verfügung
stand, um den Mehrverkehr zu bewältigen. Die Dringlichkeit zur Erneuerung
des Stellwerks war demzufolge hoch
priorisiert und fand auch in einem
eigens für das Projekt ins Leben gerufenen Lenkungskreis seinen Ausdruck.
Der alte Stelltisch war komplett ausgebrannt
Die Herkulesaufgabe für Thales bestand nun darin, in kürzester Zeit eine
nicht mehr verwendungsfähige Innenanlage durch moderne Technik auszutauschen, die defekte Kabelanlage zu
erneuern, die defekten Gleiskreise
durch moderne Achszähltechnologie
zu ersetzen, die Blockschnittstellen
nach Boppard und Oberwesel herzustellen sowie die Erneuerung aller
anderen Gewerke ebenfalls zu koordinieren.
Dabei stellte sich schnell heraus,
dass eine „einfache“ Erneuerung oft
nicht möglich war: Vieles musste
umgeplant und den neuen Vorschriften
und Gegebenheiten angepasst werden. Es waren praktisch alle Leistungsphasen (1–9 gemäß HOAI) zu
erbringen.
Die Umsetzung des Projekts im
Detail
Von 1986/87 bis zur Havarie steuerte ein Modulares Compaktstellwerk
Lorenz 84 (MC L84) den Stellbereich
von Werlau und St. Goar an. Das
Relaisstellwerk und der Bedienraum
waren und sind nun wieder in einem
denkmalgeschützten Gebäude untergebracht.
2
Das zerstörte MC L84 Stellwerk
(Innenanlage) sollte durch ein modernes ESTW L90 von Thales ersetzt
werden. Das technische Konzept sah
vor, die Innenanlage zu erneuern und
die intakte Außenanlage (Signale,
Vorsignale und Weichenantriebe) im
Wesentlichen beizubehalten, was
nachhaltig ist und der Idee der Teilerneuerung der DB Netz AG im
Rahmen von NeuPro entspricht.
Ein weiterer Vorteil dieses Vorgehens
ist, dass durch Beibehaltung des
H/V-Signalsystems eine komplette
Neuplanung nebst Planfeststellungsverfahren nicht erforderlich war und
im Wesentlichen der Bestandsschutz
für die Außenanlage erhalten blieb.
Das ESTW St. Goar wurde neu projektiert und montiert und die Innenanlage wurde komplett neu errichtet.
Die Weichenantriebe wurden werkseitig überprüft und die Signaleinsätze der bestehenden Signale ausgetauscht. Da die 50-Hz-Gleisstromkreise
zerstört waren, wurde außerdem
neue Achszähltechnik eingebaut, die
dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Auch wurden neue Blockanpassungen zu den Nachbarblockeinrichtungen gebaut.
Die Bedienung des Stellwerks erfolgt
aus dem neu hergerichteten Bedienraum. Hier wurde ein moderner Fahrdienstleiter-Arbeitsplatz mit neuer
Telekommunikationsanlage und allem
erforderlichen Equipment aufgebaut.
Zu einem späteren Zeitpunkt ist es
vorgesehen, dass das ESTW St. Goar
als ESTW-A abgerüstet und an das
ESTW-Z Bingen angeschlossen wird.
Das Projekt in Zahlen:
> Neubau des ESTW
> Verlegung von 60 km neuem Kabel
> Rückbau und fachgerechte Entsorgung der kompletten alten
Kabelanlage
> begleitender Tiefbau
> Erneuerung der Fernmeldeanlage
Der neu hergerichtete Bedienraum
Der erste Zug Nr. 25307 befährt den
ESTW-Bereich um 5:07 Uhr
> Erneuerung von zwei Bahnübergängen
> komplett neue Errichtung der
50-Hz-Anlage
> Erneuerung des EVU-Anschlusses
> Erneuerung der Weichenheizung
> Neuerrichtung des Netzersatzes
> neue Herrichtung der Räumlichkeiten (Fahrdienstleiter- und
Technikräume)
> Schulung der Fahrdienstleiter und
des Instandhaltungspersonals
sowie zahlreiche weitere Maßnahmen.
Die oben beschriebene erfolgreiche
Umsetzung des Projekts konnte
aufgrund der 4-monatigen Projektlaufzeit nur durch Sondermaßnahmen
umgesetzt werden. Das heißt, dass
Regeln wie die BAUSTE, Vorlaufzeiten
für Anmeldungen von BETREN etc. in
Abstimmung mit den zuständigen
Stellen wie Eisenbahn-Bundesamt,
Baubetriebskoordination, Inbetriebnahmeverantwortlichen und weiteren
teilweise – besonders hinsichtlich der
terminlichen Fristen – außer Kraft
gesetzt wurden. Es war eine Havariebeseitigung nach ganz besonderen
Regeln.
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass
das gesamte Projekt unter dem rollenden Rad umgesetzt wurde. Es gab
zwar einige Sperrpausen, vieles
wurde aber in den kurzen Zugpausen
realisiert.
Nur durch die enge Zusammenarbeit
und Abstimmungen aller Beteiligten
konnte dieser außergewöhnliche
Ablauf des Projekts bis zur erfolgreichen Inbetriebnahme gewährleistet
werden. Allen Beteiligten gebührt für
diese außergewöhnliche Leistung
herzlicher Dank!
Man kann sicher sagen, dass das
ESTW St. Goar bezüglich der Realisierungszeit eines der schnellsten ESTW
– wenn nicht sogar das schnellste
überhaupt – bei der DB Netz AG ist.
Thales hat Stellwerk St. Goar in Rekordzeit wieder aufgebaut
>
> Grußwort der DB Netz AG
Mainz, den 02.12.2011
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit einem äußerst anspruchsvollen Realisierungszeitraum von nur vier
Monaten konnte das ESTW St. Goar heute pünktlich um 5.00 Uhr in Betrieb
gehen. Durch das hohe Verkehrsaufkommen auf der linken Rheinstrecke
musste die Streckenkapazität sehr schnell wiederhergestellt werden. Der
Zeitdruck wurde zusätzlich verstärkt durch die geplante Inbetriebnahme des
Stellwerks Rechter Rhein Baustufe 2d am 05.12.2011, da bereits an diesem
Wochenende vom 03. bis zum 05.12.2011 die Verkehre linksrheinisch umgeleitet werden müssen.
Durch die hohe Kompetenz und die hervorragende Zusammenarbeit aller
Beteiligten konnte das ESTW in St. Goar in Rekordzeit erstellt werden. Mit der
heutigen Inbetriebnahme der ersten Baustufe kann das vollständige
Betriebsprogramm wie vor dem Stellwerksbrand gefahren werden.
Für die unermüdliche Einsatzbereitschaft und das außerordentliche Engagement
aller Beteiligten möchten wir uns sehr herzlich bedanken. Sie haben gezeigt,
dass Sie auch unter enormem Zeitdruck konstruktiv und zielorientiert hohe
Qualität erzeugen können.
Auf diese Leistung können Sie sehr stolz sein.
Dr. Mustapha Ezzaki
DB Netz AG
Leiter Produktionsdurchführung Mainz
Unser Dank gilt den beteiligten Kollegen der DB Netz AG, der DB ProjektBau
GmbH, der DB Energie GmbH, der DB Kommunikationstechnik GmbH, dem
Eisenbahn-Bundesamt und allen hier agierenden Unternehmen, insbesondere
der Firma Thales für die konstruktive und reibungslose Zusammenarbeit.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Mustapha Ezzaki
DB Netz AG
Leiter Produktionsdurchführung Mainz
3
TRACS
Transportation Systems for Main Line Rail
> Projektpartner
>
> BAUHERR/PROJEKTLEITUNG/
BAUÜBERWACHUNG
DB Netz AG
Regionalbereich Mitte
Pfarrer-Parabo-Platz 4
60326 Frankfurt am Main
> TEILPROJEKTLEITUNG/
BVB/ABNAHME
> AUFTRAGSVERGABE
DB ProjektBau GmbH
Regionalbereich Mitte
Hahnstraße 49
60528 Frankfurt am Main
Deutsche Bahn AG
Beschaffung Infrastruktur
Region Südwest
Einkauf Leit- und Sicherungstechnik,
Elektrotechnik, Telekom. (TEI-SW-L)
Mainzer Landstraße 205
60327 Frankfurt am Main
> GESAMTPROJEKTLEITUNG
Blick von St. Goar auf den Rhein
Thales Transportation Systems GmbH
Lorenzstraße 10
70435 Stuttgart
Auch der historische und denkmalgeschütze Bahnhof fügt sich gut ein
Kundenmagazin der
Thales Transportation Systems GmbH
50. Sonderausgabe
Herausgeber:
Thales Transportation Systems GmbH,
Lorenzstraße 10, 70435 Stuttgart
Redaktion: Eva Pfauntsch,
Thales Transportation Systems GmbH
Text und Fotos:
Thales Transportation Systems GmbH,
Deutsche Bahn AG
Layout & Produktion:
Elanders Germany GmbH, Waiblingen
Kontakt:
Telefon: 0711/869- 448 83
E-Mail: [email protected]
All rights reserved, © Thales 2011
4