Eine Filmlesung von Thomas Binotto

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Eine Filmlesung von Thomas Binotto
Vom Buchstaben Bildersturm
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Hinweise zu den Unterlagen • Die folgenden Arbeitsunterlagen beziehen sich exemplarisch auf jene Filme, die auch in meinen Filmlesungen zum Thema «Literaturverfilmung» im Zentrum stehen. Dabei gilt es zu beachten, dass sich das Programm für die Mittelstufe in der Filmauswahl von jenem für die Oberstufe unterscheidet. Diese Unterscheidung wird in den Unterlagen nicht kenntlich gemacht, der Entscheid darüber, auf welcher Stufe sie eingesetzt werden, bleibt der jeweiligen Lehrperson überlassen. • Die Arbeitsblätter sind so gestaltet, dass sie sich ohne weiteres für andere Bücher & Filme adaptieren lassen. Sie gewähren für den Einsatz im Unterricht damit grösstmögliche Flexibilität. Den Arbeitsauftrag für «Harry Potter» könnte man beispielsweise problemlos auch auf eine Szene aus «Percy Jackson» anwenden. • Verfilmungen werden im Normalfall nach Lektüre und Behandlung der Vorlage gezeigt. Es kann sich jedoch lohnen, die Unterlagen auch während der Lektüre einzusetzen, wenn beispielsweise die entsprechende Szene im Buch auftaucht. • Diese Arbeitsblätter gehen jeweils von der Vorlage aus und fordern die Lehrer/Schüler heraus, sich an eine Verfilmung «heranzutasten». Selbstverständlich ist auch der umgekehrte Weg möglich. Man könnte also beispielsweise die Szene aus «Mein Name ist Eugen» zeigen, bevor man den Text dazu liest und sich dann an eine Verschriftlichung zu machen. Dieses Vorgehen bietet sich vor allem dann an, wenn die Verfilmung sehr bekannt ist, bekannter noch als die Vorlage. • Beim Arbeitsblatt «Vom Text zur Verdichtung» stehen drei Ausschnitte aus der «Herr der Ringe» zur Auswahl. • Zum Textausschnitt aus «Pünktchen und Anton» ist kein Arbeitsblatt vorgesehen. Ein Vergleich der Textvorlage mit den beiden Verfilmungen, die beide stark von der Vorlage abweichen, könnte jedoch dazu anregen, zu diskutieren, von welcher Fassung sich die Schüler besonders angesprochen respektive abgestossen fühlen. Die Meinungen werden erfahrungsgemäss auseinander gehen, so dass ein angeregtes Gespräch entstehen kann. • Die Filmausschnitte können aus urheberrechtlichen Gründen nicht auf DVD abgegeben werden. Um das schnelle Auffinden auf der Kauf-­‐ oder Leih-­‐DVD zu erleichtern, ist am Ende der Textausschnitte jeweils das entsprechende DVD-­‐Kapitel angegeben. THOMAS BINOTTO, NOVEMBER 2011 © Thomas Binotto – www.filmleser.ch
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17.11.11
Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Harrys Ankunft in der Winkelgasse
Vampire? Hexen? Harry war leicht schwindelig. Unterdessen zählte Hagrid die Backsteine an der Mauer über dem Mülleimer ab. »Drei nach oben ... zwei zur Seite ... «, murmelte er. »Gut, einen Schritt zurück, Harry.« Mit der Spitze des Schirms klopfte er dreimal gegen die Mauer. Der Stein, auf den er geklopft hatte, erzitterte, wackelte und in der Mitte erschien ein kleiner Spalt. -­‐ Der wurde immer breiter und eine Sekunde später standen sie vor einem Torbogen, der selbst für Hagrid groß genug war. Er führte hinaus auf eine gepflasterte Gasse, die sich in einer engen Biegung verlor. »Willkommen in der Winkelgasse«, sagte Hagrid. Harrys verblüffter Blick ließ ihn verschmitzt lächeln. Sie traten durch den Torbogen. Harry blickte rasch über die Schulter und konnte gerade noch sehen, wie sich die Steinmauer wieder schloss. Die Sonne erleuchtete einen Stapel Kessel vor der Tür eines Ladens. Kessel -­‐ Alle Größen -­‐ Kupfer, Messing, Zinn, Silber -­‐ Selbst umrührend -­‐ Faltbar, hieß es auf einem Schild über ihren Köpfen. »Jaow, du brauchst einen«, sagte Hagrid, »aber erst müssen wir dein Geld holen.« Harry wünschte sich mindestens vier Augenpaare mehr. Er drehte den Kopf in alle Himmelsrichtungen, während sie die Straße entlanggingen, und versuchte, alles auf einmal zu sehen: die Läden, die Auslagen vor den Türen, die Menschen, die hier einkauften. Vor einer Apotheke stand eine rundliche Frau, und als sie vorbeigingen, sagte sie kopfschüttelnd: »Drachenleber, siebzehn Sickel die Unze, die müssen verrückt sein ... « Gedämpftes Eulengeschrei drang aus einem dunklen Laden. Auf einem Schild über dem Eingang stand: Eeylops Eulenkaufhaus -­‐ Waldkäuze, Zwergohreulen, Steinkäuze, Schleiereulen, Schneeeulen. Einige Jungen in Harrys Alter drückten ihre Nasen gegen ein Schaufenster mit Besen. »Schau mal«, hörte Harry einen von ihnen sagen, »der neue Nimbus Zweitausend, der schnellste überhaupt«. Manche Läden verkauften nur Umhänge, andere Teleskope und merkwürdige silberne Instrumente, die Harry noch nie gesehen hatte. Es gab Schaufenster, die voll gestopft waren mit Fässern voller Fledermausmilzen und Aalaugen, wacklig gestapelten Zauberspruchfibeln, Pergamentrollen, Zaubertrankflaschen, Mondgloben ...
«Harry Potter und der Stein der Weisen»
USA 2001
Regie: Chris Columbus
DVD-Kapitel 5
Ausschnitt aus »Harry Potter und der Stein der Weisen« von Joanne K. Rowling erschienen bei Carlsen
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Der Filmleser
Vom Buchstabe zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Vom Text zum Film – Verbildlichung «Harry Potter und der Stein des Waisen» Vorlage: J.K. Rowling – Regie: Chris Columbus Lies den ausgeteilten Textausschnitt genau durch und mach dir dein eigenes Bild. Skizze Stichworte Architektur ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... Menschen .................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................. Details .................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................. Blickwinkel .................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................. Farben .................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................. Licht .................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................. © Thomas Binotto – www.filmleser.ch
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12.11.11
Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Wrigley und Eugen testen das Faltboot
Ich war längstens eingeschlafen, als ich durch eine gewisse Unruhe im Logis geweckt wurde: Der Vater redete draussen aufgeregt, kam in mein Zimmer, untersuchte den Zentralheizungskörper, hiess mich aufstehen, denn irgendwo seien die Heizungsrohre gebrochen, und das heisse viele hundert Franken Schaden. Jetzt helfe nur schnelles und besonnenes Handeln. Mit Schraubenschlüsseln bewaffnet eilte er durchs ganze Haus, zuerst, um alle Heizkörper zu öffnen. Das sei das einzig Richtige. Tante Melanie kam verhühnert in tausend Jäckchen und mit der Kassette unter dem Arm zum Vorschein, als brenne es, und auch bei Wrigleys unten wurde es laut. Der Vater hatte unterdessen im Keller das ganze Leitungssystem entleert, und in unserer Wohnung erkannte ich sogleich warum: Während nämlich die ganze Familie geschlafen hatte, fing es an durch die Decke auf Vaters Bett herunterzutropfen, aber nicht Quellwasser, sondern eine braune Brühe. Der Vater, so sagte er später, habe zuerst die längste Zeit vom Schwimmklub geträumt, in dem er seinerzeit Sekretär War: Er spielte in seinem Bett ungefähr eine halbe Stunde Wasserball und war der Star seiner Mannschaft, bis er erwachte und sich selbst und das ganze Bett durchnässt fand. Herausspringen und geistesgegenwärtig wissen, wo es fehlt, war eins. Drum machte er sich drunten mit dem Entleeren zu schaffen, und als er fertig war, kam er herauf und hielt uns stolz einen Vortrag: Mit dem Schraubenschlüssel in der Hand und im Pijama dozierte er uns, dass ein solcher Leitungsbruch ein ganzes Haus schädigen könne, wenn man nicht ruhig, schnell und zielbewusst wie er, sogleich das Richtige unternehme. Bis jetzt sei der Schaden minim. Darum sollten wir uns merken: Erste Bewegung: Heizkörper auf. Zweite Bewegung: Leitungen entleeren. Dann könne nichts mehr passieren, und am andern Tage lasse sich das schadhafte Rohr ohne weiteres ersetzen. Wir andern mussten das Gesagte dreimal repetieren, und wir wären uns vorgekommen, wie an einer Feuerwehrübung, hätte nicht in mir eine leise Ahnung gefressen. Der Vater führte uns hierauf ins elterliche Schlafzimmer, wo die Mutter die Betten beiseitegeschoben und Fegkessel unterstellt hatte. Wir sollten uns jetzt achten, so sagte er stolz, wie innerhalb von ein paar Minuten das Wasser aufhöre. -­‐ Aber wie wir uns auch achteten, und wie wir auch warteten: Es tropfte immer stärker, immer eiliger, bis es von der Decke herab floss, bis die Kessel immer schneller gewechselt werden mussten und des Vaters siegessicherer Blick unruhig wurde. «Ja, was ist denn das?» fragte er in sich hinein und kratzte sich im Bart. Zu meinem Schrecken holte er eine Kerze und stieg in den Estrich hinauf. Wie er wieder herunterkam, das will ich nicht beschreiben. Natürlich: Wir waren wieder einmal an allem schuld. -­‐ Aber dass die Erwachsenen das Faltboot jahrelang unkontrolliert oben gelassen hatten, bis es schauerliche Lecke zeigte, und dass sie im Grunde genommen an allem selber schuld waren, das gaben sie heute wie gewöhnlich nicht zu.
«Mein Name ist Eugen»
Schweiz 2005
Regie: Michael Steiner
DVD-Kapitel 3
Ausschnitt aus »Mein Name ist Eugen« von Klaus Schädelin erschienen bei TVZ
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Vom Text zum Film – Bewegung
«Mein Name ist Eugen»
Vorlage: Klaus Schädelin – Regie: Michael Steiner
Beantworte die folgenden Fragen mit Stichworten:
Wie wird aus dieser Episode eine Action-Szene? ..............................................................................
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Wie wählst und veränderst du den Bildausschnitt...........................................................................
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Wo positionierst du die Kamera? ..............................................................................................................
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Welche Bewegungen sind wichtig? ..........................................................................................................
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Welche Personen tauchen wann auf? ......................................................................................................
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Wie viel Dialog braucht diese Szene? ......................................................................................................
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Welche Musik/Geräusche braucht die Szene? .....................................................................
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Setze den ausgeteilten Textausschnitt nun in ein einfaches Storyboard mit
maximal 10 Bildern um.
© Thomas Binotto – www.filmleser.ch
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15.11.11
Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Matthäi schwört bei seiner Seligkeit
»Im Moosbach« lag in einer kleinen moorartigen Niederung bei Mägendorf. Matthäi hatte den Dienstwagen im Dorfe verlassen und ging zu Fuß. Er wollte Zeit gewinnen. Schon von weitem sah er das Haus. Er blieb stehen und wandte sich um. Er hatte Schritte gehört. Der kleine Bub und das Mädchen waren wieder da, mit gerötetem Gesicht. Sie mußten Abkürzungen benützt haben, anders war ihre erneute Gegenwart nicht zu erklären. Matthäi ging weiter. Das Haus war niedrig, weiße Mauern mit dunklen Balken, darüber ein Schindeldach. Hinter dem Haus Obstbäume und im Garten schwarze Erde. Vor dem Hause hackte ein Mann Holz. Er blickte auf und bemerkte den herankommenden Kommissär. »Was wünschen Sie?« sagte der Mann. Matthäi zögerte, war ratlos, stellte sich dann vor und fragte, nur um Zeit zu gewinnen: »Herr Moser?« »Der bin ich, was wollen Sie?« sagte der Mann noch einmal. Er kam näher und blieb vor Matthäi stehen, das Beil in der Hand. Er mußte etwa vierzig sein. Er war hager, sein Antlitz zerfurcht, und die grauen Augen betrachteten den Kommissär forschend. In der Türe erschien eine Frau, auch sie in einem roten Rock. Matthäi überlegte, was er sagen sollte. Er hatte sich dies seit langem überlegt, aber er wußte es immer noch nicht. Da kam ihm Moser zu Hilfe. Er hatte den Korb in Matthäis Hand erblickt. »Ist Gritli etwas geschehen?« fragte er und sah aufs neue Matthäi forschend an. »Haben Sie Ihr Gritli irgend wohin geschickt?« fragte der Kommissär. »Zu ihrer Großmutter in Fehren«, antwortete der Bauer. Matthäi überlegte. Fehren war das Nachbardorf. »Ging Gritli diesen Weg öfters?« fragte er. »Jeden Mittwoch-­‐und Samstagnachmittag«, sagte der Bauer und fragte dann in einer plötzlichen, jähen Angst: »Warum wollen Sie das wissen? Weshalb bringen Sie den Korb zurück?« Matthäi stellte den Korb auf den Baumstumpf, auf dem Moser Holz gehackt hatte. »Das Gritli ist im Walde bei Mägendorf tot aufgefunden worden«, sagte er. Maser rührte sich nicht. Auch die Frau nicht, die immer noch in der Türe stand in ihrem roten Rock. Matthäi sah, wie dem Manne auf einmal Schweiß über das weiße Gesicht floß, Schweiß in Bächen. Er hätte gern weggeblickt, aber er war gebannt von diesem Gesicht, von diesem Schweiß, und so standen sie da und starrten einander an. »Das Gritli ist ermordet worden«, hörte sich Matthäi sagen, mit einer Stimme, die ohne Mitgefühl zu sein schien, was ihn ärgerte. »Das ist doch nicht möglich«, flüsterte Moser, »es kann doch keine solchen Teufel geben«, und dabei zitterte die Faust mit dem Beil. »Es gibt solche Teufel, Herr Moser«, sagte Matthäi. Der Mann starrte ihn an. »Ich will zu meinem Kinde«, sagte er fast unhörbar. Der Kommissär schüttelte den Kopf. »Das würde ich nicht, Herr Maser. Ich weiß, es ist grausam, was ich jetzt sage, aber es ist besser, wenn Sie nicht zu Ihrem Gritli gehen.« Maser trat ganz nahe zum Kommissär, so nahe, daß sich die beiden Männer Auge in Auge gegenüberstanden. »Warum ist es besser?« schrie er. Der Kommissär schwieg. Nach einen Augenblick lang wog Maser das Beil in der Hand, als wollte er zuschlagen, doch dann wandte er sich um und ging zu der Frau, die immer noch in der Türe stand. Noch immer ohne Bewegung, noch immer stumm. Matthäi wartete. Es entging ihm nichts, und er wußte auf einmal, daß er diese Szene nie mehr vergessen würde. Maser umklammerte seine Frau. Er Ausschnitt aus »Das Versprechen« | Friedrich Dürrenmatt | Diogenes Verlag
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Matthäi schwört bei seiner Seligkeit
wurde plötzlich von einem unhörbaren Schluchzen geschüttelt. Er barg sein Gesicht an ihrer Schulter, während sie ins Leere starrte. »Morgen abend dürfen Sie Ihr Gritli sehen«, versprach der Kommissär hilflos. »Das Kind wird dann aussehen, als ob es schliefe.« Da begann plötzlich die Frau zu sprechen. »Wer ist der Mörder?« fragte sie mit einer Stimme, die so ruhig und sachlich war, daß Matthäi erschrak. »Das werde ich schon herausfinden, Frau Maser.« Die Frau schaute ihn nun an, drohend, gebietend. »Versprechen Sie das?« »Ich verspreche es, Frau Maser«, sagte der Kommissär, auf einmal nur vom Wunsche bestimmt, den Ort zu verlassen. »Bei Ihrer Seligkeit?« Der Kommissär stutzte. »Bei meiner Seligkeit«, sagte er endlich. Was wollte er anderes. »Dann gehen Sie«, befahl die Frau. »Sie haben bei Ihrer Seligkeit geschworen.« Matthäi wollte noch etwas Tröstliches sagen und wußte nichts Tröstliches. »Es tut mir leid«, sagte er leise und wandte sich um. Er ging langsam den Weg zurück, den er gekommen war. Vor ihm lag Mägendorf mit dem Wald dahinter. Darüber der Himmel nun ohne Wolken. Er erblickte die beiden Kinder wieder, die am Straßenrand kauerten, an denen er müde vorüberschritt und die ihm trippelnd folgten. Dann hörte er plötzlich vom Hause her, hinter sich, einen Schrei wie von einem Tier. Er beschleunigte seinen Schritt und wußte nicht, ob es der Mann oder die Frau war, das so weinte.« «Es geschah am hellichten Tag»
Schweiz 1958
Regie: Ladislao Vajda
DVD-Kapitel 4
Wichtiger Hinweis:
«Es geschah am hellichten Tag» wurde nach einem
Originaldrehbuch von Friedrich Dürrenmatt gedreht.
Erst danach hat Dürrenmatt seine Erzählung «Das
Versprechen» geschrieben, weil er darin Akzente
setzen wollte, die ihm von der Filmproduktion nicht
gestattet wurden. Sean Penns «The Pledge» ist kein
Remake des Films von 1958 sondern eine Adaption der
Erzählung von Friedrich Dürrenmatt.
«The Pledge»
USA
Regie: Sean Penn
DVD-Kapitel 3
Ausschnitt aus »Das Versprechen« | Friedrich Dürrenmatt | Diogenes Verlag
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Vom Text zum Film – Dialog
«Das Versprechen» – «Es geschah am hellichten Tag» / «The Pledge»
Vorlage: Friedrich Dürrenmatt – Regie: Ladislao Vajda / Sean Penn
Markiere im ausgeteilten Textabschnitt…
…jene Stellen gelb, die du für den Filmdialog übernimmst.
…jene Stellen grün, die du in Filmbilder übersetzt.
…jene Stellen rot, wo du zusätzliche Informationen (Text oder Bild) einfügen willst.
Stichworte zur Schauspielerführung:
Charakter
Kommissar........................................................................................................................................
Vater......................................................................................................................................................
Mutter ..................................................................................................................................................
Motivation
Kommissar........................................................................................................................................
Vater......................................................................................................................................................
Mutter ..................................................................................................................................................
Gefühle
Kommissar........................................................................................................................................
Vater......................................................................................................................................................
Mutter ..................................................................................................................................................
Sprache
Kommissar........................................................................................................................................
Vater......................................................................................................................................................
Mutter ..................................................................................................................................................
Reaktion
Kommissar........................................................................................................................................
Vater......................................................................................................................................................
Mutter ..................................................................................................................................................
Bewegung
Kommissar........................................................................................................................................
Vater......................................................................................................................................................
Mutter ..................................................................................................................................................
Thomas Binotto – www.filmleser.ch
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15.11.11
Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Bilbo verabschiedet sich vom Auenland
Und Bilbo Beutlin? Schon während er seine Rede hielt, hatte er mit dem goldenen Ring in seiner Tasche gespielt, dem Zauberring, dessen Geheimnis er so viele Jahre gewahrt hatte. Als er vom Stuhl stieg, schob er ihn sich auf den Finger und wurde von keinem Hobbit in Hobbingen je wieder gesehen. Rasch ging er zu seiner Höhle. Dort blieb er einen Moment stehen und horchte lächelnd auf das Getöse aus dem Zelt und den Festtrubel von den anderen Teilen der Wiese. Dann ging er hinein. Er legte den Festtagsanzug ab, faltete die bestickte Seidenweste zusammen, wickelte sie in Seidenpapier und steckte sie weg. Schnell streifte er ein paar alte, geflickte Sachen über und schnallte einen abgewetzten Ledergürtel um. Daran hängte er ein kurzes Schwert in einer Scheide aus verwittertem schwarzem Leder. Aus einer verschlossenen Schublade, die nach Mottenkugeln roch, holte er einen alten Kapuzenmantel hervor. Er hatte ihn verwahrt wie eine Kostbarkeit, doch hatte er so viele Flicken und Flecken, dass die ursprüngliche Farbe kaum mehr zu erraten war; vielleicht war er einmal dunkelgrün gewesen. Obendrein war er ihm etwas zu groß. Dann ging er in sein Studierzimmer und nahm aus einer großen eisernen Truhe ein in Lappen gewickeltes Bündel und ein in Leder gebundenes Buch, außerdem einen großen, festen Briefumschlag. Buch und Bündel stopfte er zuoberst in einen bereitstehenden schweren Rucksack, der schon fast voll war. In den Umschlag steckte er seinen goldenen Ring mitsamt dem Kettchen; dann verschloss er ihn und schrieb Frodos Namen drauf. Zuerst legte er ihn auf den Kaminsims, aber plötzlich nahm er ihn wieder weg und steckte ihn sich in die Tasche. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Gandalf kam rasch herein. »Hallo!« sagte Bilbo. »Ich fragte mich schon, ob du noch mal hereinschaust.« »Ich bin froh, dich sichtbar vorzufinden«, antwortete der Zauberer und setzte sich auf einen Stuhl. »Ich wollte dich unbedingt noch mal erwischen und ein paar letzte Worte loswerden. Ich nehme an, du findest, dass alles bestens und nach Plan verlaufen ist?« »Ja, finde ich«, sagte Bilbo. »Nur dieser Blitz kam unvorhergesehen; er hat sogar mich erschreckt, umso mehr die anderen. Eine kleine Zugabe von dir, nehm ich an?« »Allerdings. Du hast klugerweise diesen Ring all die Jahre über geheim gehalten, und ich fand es nötig, deinen Gästen etwas zu bieten, das dein plötzliches Verschwinden scheinbar erklären könnte.« »Und das mir den Spaß verdirbt!« sagte Bilbo und lachte. »Musst du dich denn in alles einmischen? Aber wahrscheinlich weißt du es wieder mal am besten.« »Freilich – alles, was ich weiß, weiß ich am besten. Aber in dieser Sache bin ich mir nicht so sicher. Sie wäre nun abgeschlossen. Deinen Spaß hast du gehabt, die meisten deiner Verwandten schockiert oder beleidigt und dem ganzen Auenland Gesprächsstoff für neun bis neunundneunzig Tage gegeben. Hast du noch mehr dergleichen vor?« »In der Tat! Mir ist nach einem Urlaub zumute, einem sehr langen Urlaub, wie ich dir schon sagte. Wahrscheinlich wird es ein Dauerurlaub: Ich glaube nicht, dass ich wiederkomme. Jedenfalls habe ich nicht die Absicht, und ich habe alle Vorkeh·rungen getroffen. Ich bin alt, Gandalf. Man sieht es mir nicht an, aber im Innersten spüre ich's nun. Noch gut erhalten, von wegen!« schnob er. »Nun, ich komme mir dünn vor, sozusagen gestreckt, versteh mich recht, wie zu dünn aufs Brot gestrichene Butter. Das kann doch nicht in Ordnung sein. Ich brauche eine Veränderung, irgend so etwas.« Gandalf musterte ihn eindringlich. »Nein, das kann wohl nicht in Ordnung sein«, sagte er nachdenklich. »Nein, letzten Endes, glaube ich, ist dein Plan wahrscheinlich der beste.« »Jedenfalls, ich bin fest entschlossen. Ich will wieder Berge sehn, Gandalf, Berge, und dann einen Ort finden, wo ich meine Ruhe habe. Wo man mich in Frieden lässt, wo diese Horde von neugierigen Verwandten mir nicht zusetzt, wo nicht dauernd irgendein lästiger Besuch vor der Tür steht. Vielleicht finde ich sogar einen Ort, wo ich mein Buch zu Ende schreiben kann. Ich habe mir schon einen hübschen Schluss ausgedacht: Und er lebte glücklich und zufrieden bis ans Ende seiner Tage.« Gandalf lachte. »Das wünsche ich ihm. Aber niemand wird das Buch Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Bilbo verabschiedet sich vom Auenland
lesen, egal wie es endet.« »Ach, vielleicht doch der eine oder andere, in späteren Jahren. Frodo hat schon einiges gelesen, so weit, wie ich gekommen bin. Du wirst doch ein Auge auf Frodo haben, ja?« »Sogar zwei Augen, sooft ich sie entbehren kann.« »Er würde mich selbstverständlich begleiten, wenn ich ihn darum bäte. Er hat es mir sogar schon angeboten, kurz vor dem Fest. Aber eigentlich mächte er nicht fort, noch nicht. Ich will, bevor ich sterbe, das wilde Land noch einmal sehn und das Gebirge; er aber hängt noch zu sehr am Auenland mit seinen Wiesen und Wäldern und den kleinen Flüssen. Hier müsste es ihm gut gehen. Natürlich hinterlasse ich ihm alles bis auf ein paar Kleinigkeiten. Ich hoffe, er wird glücklich, wenn er sich erst mal daran gewähnt hat, auf eigenen Füßen zu stehn. Es wurde Zeit, dass er sein eigener Herr wird .« »Alles?« sagte Gandalf. »Auch den Ring? Darin hattest du eingewilligt, erinnere dich!« »Na, hm, ja, ich denke schon«, stammelte Bilbo. »Wo ist er? « »In einem Umschlag, wenn du's unbedingt wissen musst«, sagte Bilbo gereizt. »Da auf dem Kaminsims. Ach nein! Ich hab ihn ja noch in der Tasche! « Er zögerte. »Ist das nicht sonderbar?« sagte er leise zu sich selbst. »Aber warum denn auch nicht? Warum kann er nicht dort bleiben?« Gandalf musterte ihn wieder, diesmal sehr scharf und mit einem Funkeln in den Augen. »Ich an deiner Stelle würde ihn hier lassen, Bilbo« sagte er ruhig. »Willst du's nicht?« »Na ja – und nein. Jetzt, wo es soweit ist, habe ich gar keine Lust, mich von ihm zu trennen, wenn ich das sagen darf. Und ich sehe nicht ein, warum ich es sollte. Warum verlangst du das von mir?« fragte er, und seine Stimme veränderte sich merkwürdig. Sie klang scharf vor Ärger und Argwohn. »Immer löcherst du mich wegen des Rings! Wegen der anderen Dinge, die ich von meiner Fahrt mitgebracht habe, hast du mir nie so zugesetzt.« »Nein, aber ich musste dich löchern«, sagte Gandalf. »Ich wollte die Wahrheit wissen. Es war wichtig. Zauberringe sind – nun, eben Zauberringe; sie sind selten und sonderbar. Ich war sozusagen von Berufs wegen an deinem Ring interessiert und bin es noch. Ich will wissen, wo er sich befindet, wenn du wieder auf Wanderschaft gehst. Und ich denke auch, du hast ihn lange genug gehabt. Du wirst ihn nicht mehr brauchen, Bilbo, wenn ich mich nicht sehr irre.« Bilbo lief rot an, und ein zorniges Glitzern trat in seine Augen. Sein freundliches Gesicht schien zu versteinern. »Warum nicht?« rief er. »Und was geht es überhaupt dich an; warum musst du unbedingt wissen, was ich mit meinen Sachen mache? Er gehört mir. Ich hab ihn gefunden. Er ist zu mir gekommen!« »Ja, ja«, sagte Gandalf. »Kein Grund, gleich böse zu werden!« »Und wenn ich böse werde, bist du schuld!« sagte Bilbo. »Mir gehört er, sag' ich dir. Er ist meiner. Mein Schatz. Ja, mein Schatz.« Die Miene des Zauberers blieb ernst und gefasst, und nur ein Flackern in der Tiefe seiner Augen verriet, dass er besorgt und sogar erschrocken war. »So hat ihn doch schon mal jemand genannt«, sagte er, »aber das warst nicht du. « »Aber jetzt sag' ich's. Und warum nicht? Auch wenn Gollum mal dasselbe gesagt hat. Jetzt gehört er nicht ihm, sondern mir. Und ich behalte ihn, sag' ich!« Gandalf stand auf. Er schlug einen scharfen Ton an. »Du bist ein Narr, wenn du das tust, Bilbo«, sagte er. »Mit jedem Wort, das du sagst, machst du das deutlicher. Er hat dich schon viel zu fest in seiner Gewalt. Lass ihn los! Und dann kannst du selbst losgehen und bist von ihm frei.« »Ich tu', was mir beliebt, und gehe, wenn es mir passt«, beharrte Bilbo. »Komm', komm', mein lieber Hobbit!« sagte Gandalf. »Dein ganzes langes Leben lang waren wir Freunde, und du bist mir etwas schuldig. Also tu', was du versprochen hast: gib den Ring auf!« »Aber wenn du den Ring für dich haben willst, dann sag's doch! « rief Bilbo. »Aber du kriegst ihn nicht. Ich sage dir, ich gebe meinen Schatz nicht her.« Seine Hand zuckte zum Heft seines kleinen Schwerts hin. Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Bilbo verabschiedet sich vom Auenland
Gandalfs Augen blitzten. »Jetzt werde ich gleich böse«, sagte er, »wenn du das noch mal sagst. Dann lernst du Gandalf den Grauen einmal anders kennen.« Er trat dem Hobbit einen Schritt näher und schien dabei bedrohlich in die Höhe zu wachsen. Sein Schatten erfüllte das ganze kleine Zimmer. Schwer atmend wich Bilbo zurück bis zur Wand, mit der Hand an der Tasche zerrend. Einen Moment lang standen sie sich gegenüber, und die Luft im Zimmer schien zu knistern. Gandalf hielt den Blick auf den Hobbit geheftet. Langsam entkrampften sich Bilbos Hände, und er fing an zu zittern. »Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, Gandalf«, sagte er. »So bist du noch nie gewesen. Was soll das alles? Er gehört mir doch, oder nicht? Ich habe ihn gefunden, und Gollum hätte mich getötet, wenn ich ihn nicht behalten hätte. Ich bin kein Dieb, wie er gesagt hat.« »Ich habe nie gesagt, dass du einer bist«, antwortete Gandalf. »Und auch ich bin keiner. Ich will ihn dir nicht rauben, ich will dir helfen. Wenn du mir doch nur vertrauen würdest, wie früher!« Er wandte sich ab, und der Schatten verschwand. Gandalf schien wieder zu schrumpfen: ein grauer alter Mann, gebeugt und sorgenbeladen. Bilbo strich sich mit der Hand über die Augen. »Tut mir leid«, sagte er. »Aber mir war so komisch. Und dabei wäre es doch eine gewisse Erleichterung, ihn nicht mehr herumschleppen zu müssen. In letzter Zeit hat er in meinem Kopf immer mehr Platz eingenommen. Manchmal kam es mir vor, als würde er mich ansehen wie ein Auge. Und, verstehst du, ich habe ständig den Wunsch, ihn auf den Finger zu stecken und zu verschwinden; oder ich mache mir Sorgen, ob er in Sicherheit ist, und hole ihn hervor, um mich zu vergewissern. Ich habe versucht, ihn wegzuschließen, merkte aber, ich hatte keine Ruhe, wenn er nicht in meiner Tasche war. Warum, weiß ich nicht. Und mir scheint, ich kann mich nicht entscheiden.« »Dann überlass mir das«, sagte Gandalf. »Ich bin entschieden. Geh fort und lass den Ring hier! Du darfst ihn nicht länger besitzen. Gib ihn Frodo, und um Frodo werde ich mich kümmern.« Bilbo stand einen Moment steif und unschlüssig da. Er seufzte. »Na schön«, sagte er, und es kostete ihn Überwindung. »Ich tu's.« Dann zuckte er die Achseln und lächelte, aber ein bisschen kläglich. »Schließlich ging es doch bei diesem ganzen Fest nur darum: haufenweise Geburtstagsgeschenke herzugeben, in der Hoffnung, dass es dadurch leichter würde, ihn auch herzugeben. Es ist zwar am Ende dadurch nicht leichter geworden, aber es wäre doch schade, wenn all die Vorbereitungen vergeblich gewesen sein sollten. Damit wäre der Spaß erst recht verdorben.« »In der Tat, es würde der Sache den einzigen Sinn nehmen, den ich je darin sehen konnte«, sagte Gandalf. »Also gut«, sagte Bilbo, »Frodo bekommt ihn mit allem übrigen.« Er holte tief Luft. »Und nun muss ich wirklich aufbrechen, sonst erwischt mich noch jemand anders. Ich habe schon auf Wiedersehn gesagt, und einen zweiten Abschied könnte ich nicht ertragen.« Er hob den Rucksack auf und ging zur Tür. »Du hast den Ring immer noch in der Tasche «, sagte der Zauberer. »Ach ja, stimmt!« rief Bilbo. »Und mein Testament und all die anderen Urkunden auch. Am besten, du nimmst es und übergibst es in meinem Namen. So ist es am sichersten.« »Nein, gib den Ring nicht mir!« sagte Gandalf. »Leg ihn auf den Kaminsims. Da liegt er sicher genug, bis Frodo kommt. Ich werde auf ihn warten.« Bilbo nahm den Umschlag aus der Tasche, aber gerade, als er ihn an die Uhr lehnen wollte, zuckte seine Hand zurück, und das Päckchen fiel zu Boden. Bevor er es aufheben konnte, hatte der Zauberer sich schon gebückt, es genommen und an seinen Platz gelegt. Das Gesicht des Hobbits wurde wieder starr vor Zorn, aber gleich darauf lockerte es sich in einem erleichterten Auflachen. »Also, das wär's«, sagte er. »Ich geh' los.« Sie traten hinaus auf die Diele. Bilbo nahm sich seinen Lieblingsstock aus dem Schirmständer; dann pfiff er. Drei Zwerge kamen aus drei verschiedenen Zimmern, in denen sie zu tun gehabt hatten. Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Der Filmleser
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Literaturverfilmungen im Unterricht
Bilbo verabschiedet sich vom Auenland
»Alles fertig?« fragte Bilbo. »Alles eingepackt und mit Schildchen dran?« »Alles«, antworteten sie. »Na, dann los!« Er trat aus der Tür. Es war eine schöne Nacht, und der schwarze Himmel war mit Sternen gesprenkelt. Er blickte hoch und prüfte schnuppernd die Luft. »Was bin ich froh! Was bin ich froh, wieder loszugehn, mit Zwergen unterwegs zu sein! Das hat mir gefehlt, seit Jahren schon! Auf Wiedersehn!« sagte er und blickte noch mal zu seiner Höhle zurück, mit einer Verbeugung vor der Tür. »Auf Wiedersehn, Gandalf!« »Auf Wiedersehn, Bilbo, einstweilen! Gib auf dich Acht! Alt genug bist du, und gescheit genug vielleicht auch.« »Auf mich Acht geben? Ich denk' nicht dran. Mach dir keine Sorgen um mich! Ich bin so glücklich wie nur je zuvor, und das will etwas heißen. Aber nun ist es Zeit. Nun endlich zieht es mich fort«, fügte er hinzu, und dann, mit leiser Stimme, sang er im Dunkeln vor sich hin: Die Straße gleitet fort und fort, Weg von der Tür, wo sie begann, Weit über Land, von Ort zu Ort, lch folge ihr, so gut ich kann. Ihr lauf ich raschen Fußes nach Bis sie sich groß und breit verflicht Mit Weg und Wagnis tausendfach. Und wohin dann? lch weiß es nicht. Er hielt einen Augenblick inne. Dann, ohne ein weiteres Wort, wandte er sich weg von den Lichtern und dem Stimmengewirr auf dem Festplatz und in den Zelten, ging von seinen drei Begleitern gefolgt durch den Garten und schritt den langen, abschüssigen Pfad hinab. Unten sprang er an einer niedrigen Stelle über die Hecke, schlug den Weg über die Wiesen ein und verschwand in der Nacht wie ein raschelnder Windhauch im Grase. «Der Herr der Ringe – Die Gefährten»
USA 2001
Regie: Peter Jackson
DVD-Kapitel 5 (Kinofassung, 2-Disc-Edition)
Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Faramir wird geopfert
Der nächste Tag brachte einen Morgen mit braunem Abenddämmerlicht, und die Menschen, die dank Faramirs Rückkehr vorübergehend Mut gefasst hatten, verloren ihn wieder. Die geflügelten Schatten wurden an diesem Tag nicht gesehen, doch dann und wann kam von hoch oben über der Stadt ein schwacher Schrei, und viele, die ihn hörten, empfanden nur noch einen flüchtigen Schauder, während manche weniger Beherzte bebten und klagten. Und schon war Faramir wieder fort. »Sie gönnen ihm keine Ruhe«, murrten manche. »Der Herr verlangt zu viel von seinem Sohn. Jetzt muss er für zwei herhalten, für sich und für den Bruder, der nicht wiederkehrt.« Und immer schauten Leute nach Norden aus und fragten sich: »Wo bleiben nur die Reiter von Rohan?« Tatsächlich hatte Faramir die Stadt nicht aus eigenem Ermessen verlassen. Aber der Statthalter beherrschte die Ratsversammlung, und an diesem Tag war er nicht dazu aufgelegt, sich anderen zu beugen. Früh am Morgen war der Rat einberufen worden. Alle Hauptleute waren der Ansicht, dass ihre Streitkräfte angesichts der Gefahr von Süden zu schwach seien, um von sich aus einen Angriff zu unternehmen, es sei denn, die Reiter von Rohan kämen vielleicht noch. Einstweilen könnten sie nur die Mauern bemannt halten und abwarten. »Aber«, sagte Denethor, »wir sollten die äußeren Verteidigungsanlagen nicht leichtfertig preisgeben, die Rammas, die mit so viel Mühe erbaut wurde. Und den Flussübergang muss der Feind teuer erkaufen. In ausreichender Stärke für einen Angriff auf die Stadt übersetzen kann er nicht nördlich von Cair Andros, wegen der Sümpfe, und auch nicht im Süden, nach Lebennin hin, weil die Breite des Flusses dort viele Boote erfordern würde. Den Hauptstoß wird er in Osgiliath führen, wie beim letzten Mal, als Boromir ihm den Übergang verwehrte.« »Das war nur eine Probe«, sagte Faramir. »Heute können wir vielleicht dem Feind beim Übergang das Zehnfache unserer eigenen Verluste abfordern und dennoch den Handel bereuen. Denn er kann es sich eher erlauben, ein ganzes Heer zu verlieren, als wir eine Kompanie. Und für unsere Leute auf so weit vorgeschobenem Posten würde der Rückzug gefahrlich, wenn der Feind den Übergang einmal erzwungen hätte.« »Und Cair Andros?« sagte der Fürst von Dol Arnroth. »Die Insel muss auch gehalten werden, wenn wir Osgiliath verteidigen wollen. Vergessen wir nicht die Gefahr von der linken Seite! Die Rohirrim werden vielleicht kommen, vielleicht nicht. Aber Faramir hat uns von großen Streitkräften berichtet, die durchs Schwarze Tor gezogen sind. Nicht nur ein Heer könnte von dort vorstoßen, und nicht nur gegen einen der Übergänge.« »Vieles muss gewagt werden im Krieg«, sagte Denethor. »Cair Andros ist bemannt, und mehr Leute kann ich nicht so weit fortschicken. Aber ich werde den Fluss und den Pelennor nicht kampflos preisgeben – nicht, wenn hier noch ein Feldhauptmann ist, der den Mut hat, den Willen seines Herrn auszuführen.« Da schwiegen sie alle. Schließlich sagte Faramir: »Ich sträube mich nicht gegen deinen Willen, Vater. Da du Boromirs beraubt bist, werde ich gehen und an seiner Stelle tun, was ich kann – wenn du es befiehlst.« »Ich befehle es«, sagte Denethor. »Dann lebe wohl!« sagte Faramir. »Aber sollte ich zurückkehren, denke besser von mir!« »Das hängt von der Art deiner Rückkehr ab«, sagte Denethor. Zuletzt, ehe Faramir nach Osten ritt, sprach Gandalf mit ihm. »Wirf nicht leichtfertig oder erbittert dein Leben weg!« sagte er. »Du wirst hier noch gebraucht, für anderes als den Krieg. Dein Vater liebt dich, Faramir, und wird sich zuletzt noch daran erinnern. Lebe wohl!« So war nun der Herr Faramir wieder fort, mit einem Trupp von Männern, die ihm freiwillig folgten oder die anderswo abkömmlich waren. Von den Mauern spähten manche durch das Halbdunkel zu der Trümmerstadt hin und hätten gern gewusst, was dort geschah, denn sehen konnte man nichts. Und wie schon seit langem schauten andere gen Norden und rechneten die Wegstunden aus, die Theoden von Rohan zurücklegen müsste. »Ob er kommen wird? Ob er sich unseres alten Bündnisses erinnert?« sagten sie. Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Faramir wird geopfert
»Ja, er wird kommen«, sagte Gandalf, »und wenn es zu spät sein sollte. Aber bedenkt: Frühestens vor zwei Tagen kann ihn der rote Pfeil erreicht haben, und von Edoras bis hierher ist es ein schönes Stück Weges!« Es wurde wieder Nacht, ehe Nachrichten kamen. Von den Flussübergängen kam in Eile einer geritten und meldete, ein Heer aus Minas Morgul rücke heran und nähere sich schon Osgiliath. Regimenter aus dem Süden seien hinzugestoßen, große, greueltätige Haradrim. »Und wir haben erfahren«, sagte der Bote, »dass der schwarze Feldherr wieder den Oberbefehl hat, und die Furcht geht ihm über den Fluss voraus.« Mit diesen nichts Gutes verheißenden Worten ging Pippins dritter Tag in Minas Tirith zu Ende. Wenige fanden Ruhe, denn nun war nicht mehr viel Hoffnung, und selbst Faramir würde die Übergänge nicht lange halten können. Am nächsten Tag drückte die Dunkelheit, obwohl sie nicht weiter zunahm, den Menschen immer schwerer aufs Gemüt, und das Grauen packte sie mächtig. Die schlechten Nachrichten ließen nicht lange auf sich warten. Der Feind hatte den Übergang über den Anduin erkämpft. Faramir zog sich zur Mauer um den Pelennor zurück und sammelte seine Männer in den Wehrtürmen am Dammweg; aber er hatte eine zehnfache Übermacht gegen sich. »Wenn es ihm überhaupt gelingt, sich über den Pelennor zurückzuretten, dann werden ihm die Feinde dicht auf den Fersen sein«, sagte der Meldereiter. »Sie haben den Übergang teuer erkaufen müssen, aber nicht so teuer, wie wir gehofft hatten. Sie hatten alles gut vorbereitet. Jetzt wissen wir, dass sie seit langem in OstOsgiliath eine große Anzahl flöße und Boote gebaut haben. Sie kamen herüber wie Heuschreckenschwärme. Aber vor allem mit dem schwarzen Feldherrn werden wir nicht fertig. Kaum einer hält auch nur dem Gerücht stand, er nahe. Seine eigenen Leute zittern vor ihm und würden sich selbst umbringen, wenn er's befähle.« »Dann werde ich dort dringender gebraucht als hier«, sagte Gandalf. Er ritt gleich los, und bald verschwand er als ein silbriger Punkt in der Ferne. Und die ganze Nacht stand Pippin allein und schlaflos auf der Mauer und schaute nach Osten. Die Morgenglocken, ein Hohn in dem trüben Dunkel, waren kaum verklungen, als er im Osten Feuer aufblitzen sah, an Stellen, wo sich die Mauer um den Pelennor befinden musste. Die Wachtposten schrien laut, und alle Männer in der Stadt traten unter Waffen an. Immer noch sah man hier und da einen roten Blitz, und langsam drang dumpfes Krachen und Poltern durch die dicke Luft. »Sie haben die Mauer eingenommen!« riefen die Leute. »Sie sprengen Breschen hinein. Sie kommen.« »Wo ist Faramir?« rief Beregond bestürzt. »Sagt bloß nicht, er ist gefallen! « Die ersten Nachrichten brachte Gandalf. Mit einer Handvoll Reiter kam er um die Mitte des Vormittags, als Geleitschutz für eine Wagenkolonne. Sie brachte die Verwundeten, alle, die man aus den Trümmern der Wehrtürme hatte bergen können. Sofort ging er zu Denethor. Der Statthalter saß nun in einer Kammer hoch über dem Saal des Weißen Turms, Pippin zur Seite, und bohrte seine düsteren Blicke durch die trüben Fenster nach Norden, Süden und Osten, als könne er die Schatten des Verhängnisses, die ihn einkreisten, durchdringen. Nach Norden blickte er zumeist, und manchmal hielt er ganz still und horchte, als ob eine alte Geheimkunst seinen Ohren den Donner der Hufe auf den fernen Ebenen vernehmlich machte. »Ist Faramir gekommen?« fragte er. »Nein«, sagte Gandalf. »Er war noch am Leben, als ich ihn verließ. Aber er ist entschlossen, bei der Nachhut zu bleiben, damit der Rückzug über den Pelennor nicht in kopflose Flucht übergeht. Vielleicht kann er seine Mannen lange genug beisammenhalten, aber ich bezweifle es. Der Feind, dem er gegenübersteht, ist zu groß für ihn. Denn einer ist gekommen, den ich hier zu treffen befürchtete.« »Doch nicht der dunkle Herrscher?« rief Pippin, der vor Schreck vergaß, was sich hier für ihn gehörte. Denethor lachte bitterlich. »Nein, der noch nicht, Herr Peregrin! Der kommt erst, wenn alles entschieden ist, um seinen Triumph über mich Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Faramir wird geopfert
auszukosten. Für sich kämpfen lässt er andere. So machen's alle Großen, wenn sie gescheit sind, Herr Halbling. Warum säße ich sonst hier in meinem Turm und grüble, beobachte, warte ab und lasse sogar meine Söhne sich aufreiben? Denn eigentlich kann ich noch die Klinge führen.« Er stand auf und schlug sein langes schwarzes Gewand auseinander, und siehe da, er trug darunter ein Kettenhemd und am Gürtel ein langes Schwert mit großem Heft und in einer schwarzsilbernen Scheide. »So geh' und steh' ich«, sagte er, »und seit vielen Jahren schlaf' ich auch so, damit der Körper mit zunehmendem Alter nicht schlaff und feig wird.« »Doch der furchtbarste von allen Feldherrn des Herrschers von Baraddur hat sich nun schon Eurer Außenmauern bemächtigt«, sagte Gandalf. »König von Angmar war er einst, ein Hexenmeister, Ringgeist, Oberster der Nazggul, ein Speer des Schreckens in Saurons Hand, ein Schatten der Verzweiflung.« »Dann hattest du ja einen ebenbürtigen Gegner, Mithrandir«, sagte Denethor. »Meinerseits weiß ich längst, wer als oberster Feldherr die Heere des Dunklen Turms befehligt. Ist das alles, was du mir sagen wolltest, und bist du deshalb zurückgekommen? Oder kann es sein, dass er dir über war?« Pippin bebte, weil er befürchtete, Gandalf könnte sich zu einem Wutanfall hinreißen lassen, aber seine Sorge war unnötig. »Das könnte sein«, antwortete Gandalf ruhig, »aber zur Kraftprobe zwischen uns ist es noch nicht gekommen. Un d wenn die alten Sprüche stimmen, dann wird er nicht von eines Mannes Hand fal len, und welches Schicksal ihn erwartet, ist den Weisen verborgen. Doch wie dem auch sei, der Feldherr der Verzweiflung drängt sich noch nicht nach vorn. Sondern ganz nach der Klugheitsregel der Großen, wie Ihr sie eben genannt habt, befehligt er von hinten heraus und treibt seine Knechte rasend vor sich her. Doch nein, gekommen bin ich, um die Verwundeten zu schützen, die noch geheilt werden können. Die Rammas ist weit und breit durchbrochen, und bald wird das Morgul·Heer an vielen Stellen eindringen. Und ich bin vor allem gekommen, um Euch dies zu sagen. Bald werden wir eine Schlacht auf den Feldern haben. Ein Ausfall muss vorbereitet werden. Schickt die Berittenen aus! Auf sie können wir für kurze Zeit etwas Hoffnung setzen, denn in dieser einen Hinsicht ist der Feind schlecht gerüstet: Er hat wenig Reiter.« »Und wir haben auch nicht viele. Jetzt käme Rohan im rechten Augenblick«, sagte Denethor. »Vorher werden wir wohl noch andere Ankömmlinge sehen«, sagte Gandalf. »Flüchtlinge aus Cair Andros sind eingetroffen. Die Insel ist gefallen. Ein zweites Heer ist vom Schwarzen Tor gekommen und setzt im Nordosten über den Fluss.« »Manche haben dich schon bezichtigt, Mithrandir, ein schadenfroher Überbringer schlechter Nachrichten zu sein«, sagte Denethor, »doch was du sagst, ist mir nicht neu; ich weiß es seit gestern Abend. Und auch an den Ausfall hatte ich schon gedacht. Gehn wir hinunter!« Die Zeit verging. Schließlich sahen die Zuschauer auf den Mauern den Rückzug der Kompanien von den Außenbefestigungen. Zuerst kamen kleine Gruppen erschöpfter und oft auch verwundeter Männer in aufgelöster Ordnung, manche aus Leibeskräften rennend, als würden sie verfolgt. Weiter ostwärts in einiger Entfernung flackerten Feuer; und nun schienen sie hier und da über die Ebene zu kriechen. Häuser und Scheunen brannten. Dann sah man von vielen Stellen kleine rote Flammenbäche ausgehen , die sich eilig durch die Dunkelheit schlängelten und alle auf die breite Straße zustrebten, die vom Stadttor nach Osgiliath führte. »Der Feind «, murmelten die Beobachter. »Der Damm ist gefallen. Und da kommen sie jetzt durch die Breschen geströmt. Anscheinend haben sie Fackeln. Wo sind nur die Unsrigen?« Der Stunde nach rückte nun der Abend heran, und das Licht war so schwach, dass selbst die Weitsichtigen auf der Zitadelle kaum mehr etwas auf den Feldern deutlich erkennen konnten, abgesehen von den sich stetig vermehrenden Bränden und den Flammenreihen, die immer länger wurden und immer schneller näher kamen. Endlich, weniger als eine Meile vor der Stadt, kam ein leidlich geordneter Menschenhaufen in Sicht, der noch geschlossen marschierte, nicht rannte. Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Der Filmleser
Vom Buchstaben zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Faramir wird geopfert
Die Beobachter hielten den Atem an. »Das muss Faramir sein«, sagten sie. »Er kann Mensch und Tier bemeistern. Er wird es schaffen.« Nun war die Schar keine vierhundert Schritt mehr entfernt. Aus dem Dunkel dahinter galoppierte ein kleiner Reitertrupp heran, alles, was von der Nachhut noch übrig war. Noch einmal machten sie kehrt und stellten sich den nahenden Flammenreihen entgegen. Dann plötzlich gab es ein wildes Geschrei und Getöse. Feindliche Reiter preschten heran. Die Flammenreihen wurden zu Sturzbächen, eine Rotte fackelschwingender Orks nach der andern und wilde Südländer unter roten Fahnen stürmten vor, aus rauen Kehlen brüllend, und überholten den Rückzug. Und mit einem durch Mark und Bein dringenden Schrei stürzten aus dem dunklen Himmel die geflügelten Schatten, die Nazgul, zum Todesstoß herab. Aus dem Rückzug wurde Flucht. Schon lösten die Reihen der Menschen sich auf, einzelne rannten kopflos hierhin und dorthin, warfen die Waffen weg, brüllten auf vor Angst, stürzten zu Boden. Und dann erschallte eine Trompete von der Zitadelle, und endlich gab Denethor den Ausfall frei. Im Schatten des geöffneten Tors und draußen am Fuß der hohen Mauern hatten sie auf sein Signal gewartet: alle Berittenen, die noch in der Stadt waren. Nun trabten sie an, formierten sich, gingen in Galopp über und stürmten mit einem lauten Schlachtrufvorwärts. Und von den Mauern kam ein Ruf zur Antwort. Zuvorderst ins Feld ritten die Schwanenritter von Dol Amroth mit ihrem Fürsten und seinem blauen Banner an der Spitze. »Amroth für Gondor!« riefen sie. »Amroth zu Faramir!« Wie Blitz und Donner prallten sie auf die Feinde zu beiden Seiten der Rückzugsschar; aber ein Reiter, schnell, wie der Wind durchs Gras streicht, war ihnen allen voraus: Schattenfell trug ihn, und er schimmerte wieder in unverhülltem Glanz, und von seiner erhobenen Hand ging ein Lichtstrahl aus. Kreischend flatterten die Nazgül davon, denn der Feldherr war noch nicht gekommen, der es mit dem weißen Feuer dieses Feindes aufnehmen konnte. Die Morgulscharen, die sichere Beute schon vor Augen und nun unversehens von der vollen Wucht der Attacke getroffen, lösten sich auf und zerstoben wie Funken in einem Sturm. Jubelnd machten die Männer von den Wehrtürmen kehrt und metzelten ihre Verfolger nieder. Jäger wurden zu Gejagten. Der Rückzug wurde zum Gegenstoß. Das Schlachtfeld war übersät mit erschlagenen Orks und Menschen; und von den weggeworfenen Fackeln, die in wirbelnden Oualmschwaden ausbrannten, stieg ein beißender Gestank auf. Die Reiterei setzte nach. Aber Denethor ließ sie nicht weit vorstoßen. Obwohl der Feind zum Halten gebracht und für den Augenblick sogar zurückgeschlagen war, strömten doch neue Streitkräfte in großer Zahl von Osten heran. Wieder erschallte die Trompete, diesmal mit dem Rückzugssignal. Die Reiterei von Gondor hielt. Von ihr abgeschirmt, konnten die Außenkompanien sich neu formieren. Nun kamen sie in Reih und Glied zum Tor marschiert. Erhobenen Hauptes traten sie ein, und die Leute in der Stadt betrachteten sie voll Stolz und begrüßten sie mit Hochrufen; und doch wurde ihnen bang ums Herz. Denn die Kompanien waren entsetzlich zusammengeschmolzen. Ein Drittel seiner Mannen hatte Faramir verloren. Und wo war Faramir selbst? Er kam als Letzter von allen. Seine Mannen schritten durchs Tor. Die Berittenen kehrten zurück, mit dem Banner von Amroth und dem Fürsten als Nachhut. Und in den Armen hielt der Fürst vor sich auf dem Pferd seinen Vetter Faramir, Denethors Sohn, so wie man ihn auf dem Schlachtfeld gefunden hatte. »Faramir! Faramir! «riefen die Menschen und weinten auf offener Straße. Er aber gab keine Antwort, und so trug man ihn die gewundene Gasse hinauf zur Zitadelle und zu seinem Vater.
«Der Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs»
USA 2003
Regie: Peter Jackson
DVD-Kapitel 20 (Kinofassung, 2-Disc-Edition)
Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Gandalf trifft Saruman
»Bist du also gekommen, Gandalf!« sagte er mit ernster Miene, aber in seinen Augen schien mir ein kaltes weißes Licht zu flackern, wie von unterdrücktem Gelächter. »Ja, da bin ich«, sagte ich. »Ich bin gekommen, um deine Hilfe zu erbitten, Saruman der Weiße. «Und dass ich ihn mit diesem Titel anredete, schien ihn zu ärgern. »Ach was, Gandalf der Graue!«spöttelte er. »So, so, um Hilfe bittest du? Das hat man doch noch nie gehört, dass Gandalf der Graue um Hilfe bittet, wo er doch selber so ein weiser Kopf ist, durch alle Lande streunt und sich in alles einmischt, ob es ihn angeht oder nicht! « Ich sah ihn an und wusste nicht, was ich davon halten sollte. »Wenn ich mich nicht täusche«, sagte ich, »sind jetzt Dinge im Gange, in die wir alle uns mit vereinten Kräften werden einmischen müssen.« »Mag wohl sein«, sagte er, »doch der Gedanke kommt dir ein wenig spät. Wie lange schon, möchte ich wissen, hast du mir, dem Obersten des Rates, eine Angelegenheit von größter Bedeutung verheimlicht? Und was führt dich jetzt her, von deinem Schlupfwinkel im Auenland? « »Die Neun treten wieder in Erscheinung«, sagte ich. »Sie haben den Strom überschritten – so sagte mir Radagast.« »Ja, Radagast der Braune!« sagte Saruman lachend und ließ nun seinem Hohn freien Lauf. »Radagast der Vogelbändiger! Radagast der Einfaltspinsel! Radagast der Narr! Immerhin reichte sein Verstand eben noch aus für die Rolle, die ich ihm zuteilte. Denn nun bist du gekommen, und das war der einzige Zweck meiner Botschaft. Und hier bleibst du nun, Gandalf der Graue, und gönnst dir etwas Ruhe nach all deinen Reisen. Denn ich bin Saruman der Weise, Saruman der Ringschmied, Saruman der Bunte.« Ich sah, dass seine Gewänder, die mir zuerst weiß erschienen waren, nun in allen Farben schillerten; und wenn er sich bewegte, wechselte die Tönung, bis das Auge nicht mehr wusste, was es sah. »Weiß gefiel mir besser«, sagte ich. »Ach was, weiß! Damit fängt man nur an. Das weiße Tuch kann man färben. Die weiße Seite wird beschrieben und das weiße Licht gebrochen. « »Worauf es dann nicht mehr weiß ist«, sagte ich. »Und wer ein Ding zerbricht, um herauszufinden, was es ist, hat den Pfad der Weisheit verlassen.« »Komm mir nicht mit solchen Sprüchen! Erzähle das den Schäfchen, die du deine Freunde nennst! Ich habe dich nicht kommen lassen, um von dir belehrt zu werden, sondern um dich vor eine Wahl zu stellen.« Dann baute er sich vor mir auf und fing an zu deklamieren, als hielte er eine einstudierte Rede. »Die Ältesten Tage kehren nicht wieder. Die Mittleren Tage vergehen. Es beginnen die jüngeren Tage. Die Zeit der Eiben ist vorüber, aber unsere Zeit bricht an: in der Welt der Menschen, die wir regieren müssen. Aber dazu brauchen wir Macht, Macht, um alle Dinge nach unserem Willen zu ordnen, zu jenem höchsten Zweck, den nur die Weisen zu sehen vermögen. Und versteh mich recht, Gandalf, mein alter Freund und Gehilfe«, sagte er, nun näher heranrückend und mit einschmeichelnder Stimme, »ich sagte wir, weil wir zu zweit sein können, wenn du dich mir anschließt. Jetzt ersteht eine neue Macht. Gegen sie werden die alten Bündnisse und Grundsätze uns gar nichts mehr nützen. Von den Eiben und den aussterbenden Nümenorern ist nichts mehr zu erhoffen. Du hast die Wahl, aber für dich, für uns, gibt es eigentlich nur eine Entscheidung: Wir können uns mit dieser Macht verbünden. Es wäre klug, Gandalf. Dort ist Hoffnung, ihr Sieg steht bevor, und ihre Mitstreiter werden reich belohnt werden. Wenn die Macht wächst, werden ihre bewährten Freunde mit ihr wachsen; und die Weisen, solche wie du und ich, könnten mit etwas Geduld schließlich zu ihren Lenkern und Leitern werden. Wir können abwarten, wir können unsere Gedanken für uns behalten; und im aufrichtigen Bedauern der einen oder anderen Untat, die nebenher geschehen mag, werden wir doch unser höchstes und letztes Ziel nicht aus dem Auge verlieren: Wissen, Herrschaft, Ordnung -­‐all das, wonach wir bislang vergeblich gestrebt haben, eher behindert als unterstützt durch schwache oder faule Freunde. In unseren Zielen müsste und würde sich nichts wirklich ändern, nur in unseren Mitteln .« »Saruman«, sagte ich, »solche Reden hab ich schon öfter gehört, aber nur von Mordars Sendboten, zur Täuschung der Unwissenden. Hast du mich Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Gandalf trifft Saruman
von so weit herkommen lassen, nur um mein Ohr zu ermüden?« Er sah mich schräg an und überlegte einen Moment. »Nun, ich sehe, dass diese kluge Entscheidung dir nicht behagt«, sagte er. »Noch nicht? Nicht, solange noch eine bessere Möglichkeit offen steht? « Er trat dicht heran und legte seine lange Hand auf meinen Arm. »Und warum nicht, Gandalf? « flüsterte er. »Warum nicht? Der Herrscherring? Könnten wir über den verfügen, fiele die Macht an uns. Das ist der wahre Grund, warum ich dich gerufen habe. Denn viele halten in meinem Dienst die Augen offen, und darum glaube ich, dass du weißt, wo sich dieses kostbare Ding jetzt befindet. Ist dem nicht so? Oder warum sonst fragen die Neun nach dem Auenland, und was hast du dort zu schaffen?«Als er das sagte, leuchtete ihm plötzlich die nackte, nicht mehr zu verhehlende Gier aus den Augen. »Saruman«, sagte ich und trat ein paar Schritte von ihm weg, »wie du wohl weißt, lässt sich der Ring nicht auf zwei Hände zugleich stecken, also spar dir dein Wir! Von mir bekommst du weder den Ring noch irgendeine Auskunft über ihn, seit ich nun weiß, was du im Sinn hast. Du warst der Oberste des Rates, aber jetzt hast du dich selbst entlarvt. Und die Wahl, vor die du mich stellst, scheint zu erfordern, dass ich mich entweder Sauron unterwerfe oder dir. Dazu sag' ich: keinem! Hast du noch andere Kandidaten zu empfehlen?« Nun wurde er kalt und drohend. »Gut«, sagte er. »Ich habe nicht erwartet, dass du mehr Verstand beweisen würdest, nicht mal zu deinem eigenen Vorteil; doch ich wollte dir die Chance lassen, mir freiwillig entgegenzukommen, und dir damit viel Kummer und Schmerz ersparen. Die dritte Möglichkeit für dich ist, hier zu bleiben bis zum Ende.« »Bis zu welchem Ende?« »Bis du mir sagst, wo der Eine zu finden ist. An Mitteln, dich zu überzeugen, soll es mir nicht fehlen. Oder bis er trotz deiner Weigerung gefunden wird und der Gebieter Zeit hat, sich mit leichteren Aufgaben zu befassen: zum Beispiel sich eine angemessene Belohnung für die Widersetzlichkeit und Unverschämtheit Gandalfs des Grauen auszudenken.« »Die Aufgabe könnte sich als gar nicht so leicht erweisen«, sagte ich. Er lachte mich aus, denn meine Worte waren leeres Gerede, und er wusste es. Sie ergriffen mich und brachten mich hoch auf die Zinne des Turms, dorthin, wo Saruman die Sterne zu betrachten pflegte. Der einzige Weg hinab ist eine schmale Treppe mit Tausenden von Stufen, und der Talgrund scheint sehr weit weg zu sein. Ich schaute hinab und sah das Tal, das früher einmal grün und freundlich war, nun voller Gruben und Schmiedewerkstätten. Wölfe und Orks waren darin untergebracht, denn Saruman stellte auf eigene Rechnung eine große Streitmacht auf, bis jetzt noch als Saurons Rivale und nicht in seinen Diensten. Über all diesen Anlagen hing dunkler Qualm, der auch die Seiten des Orthanc einhüllte. Ich stand allein auf einer Insel in den Wolken, ohne eine Möglichkeit zu fliehen; und es wurden bitte· re Tage. Die Kälte ging mir durch und durch, und ich hatte nicht mal viel Platz zum Aufundabgehen, als ich drüber nachgrübelte, was die Reiter im Norden anstellen könnten. Dass die Neun tatsächlich wieder auftraten, dessen war ich sicher, ganz unabhängig von Sarumans Reden, die ja auch Lügen sein konnten. Lange bevor ich Isengard erreichte, hatte ich unterwegs schon Nachrichten bekommen, die nicht falsch sein konnten. Ich bangte um meine Freunde im Auenland, hatte aber noch immer etwas Hoffnung. Ich hoffte, dass Frodo sofort aufgebrochen war, wie ich es ihm in meinem Brief dringend geraten hatte, und dass er Bruchtal erreicht hatte, ehe die Verfolger auf seiner Spur waren. Aber sowohl meine Sorge wie meine Hoffnung haben sich als unbegründet erwiesen. Denn meine Hoffnung gründete sich auf einen dicken Gastwirt in Bree und meine Sorge auf Saurons Schläue. Aber ein dicker Mensch, der Bier ausschenkt, muss eben viele Gäste bedienen; und Saurons Macht ist noch immer geringer, als die Furcht sie erscheinen lässt. Doch so wie ich da im Ring von Isengard saß, allein und gefangen, fiel es mir nicht leicht zu glauben, dass diese Jäger, vor denen sonst alles flieht oder in den Staub sinkt, im fernen Auenländchen scheitern sollten.« »Ich habe dich gesehen!« rief Frodo. »Du bist auf und ab gegangen. Der Mond schien dir aufs Haar.« Gandalf schwieg erstaunt und sah ihn an. »Es war nur ein Traum«, sagte Ausschnitt aus »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien erschienen bei Klett-Cotta
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Gandalf trifft Saruman
Frodo, »aber eben fiel er mir wieder ein. Ich hatte ihn ganz vergessen. Den hatte ich vor einiger Zeit, ich glaube, bald nach dem Weggang aus dem Auenland .« »Das war dann zu spät«, sagte Gandalf, »wie du sehen wirst. Ich war in einer üblen Lage. Und wer mich kennt, weiß, dass ich selten so in Not gewesen bin und mich mit solchen Rückschlägen nur schwer abfinden kann. Gandalf der Graue wie eine Fliege einer tückischen Spinne ins Netz gegangen! Aber auch die feinst gesponnenen Netze haben manchmal einen schwachen Faden. Zuerst befürchtete ich, was Saruman wohl beabsichtigte, Radagast sei mit ihm im Einvernehmen. Doch hatte ich bei der Begegnung mit ihm kein Anzeichen von Verstellung in seiner Stimme oder in seinen Augen bemerkt. Sonst wäre ich niemals nach Isengard geritten, oder ich hätte mehr Vorsicht walten lassen. Das hatte sich auch Saruman gedacht, und darum hatte er den Boten über seine Absichten getäuscht. Es wäre ohnehin aussichtslos gewesen, den ehrlichen Radagast für eine solche Verräterei gewinnen zu wollen. Er überbrachte mir die Botschaft in gutem Glauben und weckte darum in mir keinen Argwohn. Und daran wurde Sarumans Plan zuschanden. Denn Radagast sah keinen Grund, nicht zu tun, worum ich ihn gebeten hatte; und er ritt zum Düsterwald hin, wo er seit alten Zeiten viele Freunde hatte. Die Adler aus dem Gebirge flogen weit übers Land und sahen so manches: die Ansammlungen der Wölfe, die Aufmärsche der Orks und die neun Reiter, die kreuz und quer durch die Lande streiften; und sie erfuhren auch von Gollums Flucht. Und mit all diesen Meldungen schickten sie einen Boten zu mir. So kam es, dass in einer Mondnacht, als der Sommer zu Ende ging, Gwaihir der Windfürst, der schnellste der großen Adler, unverhofft über dem Orthanc erschien; und er fand mich auf der Zinne stehend. Ich sprach mit ihm, und er trug mich davon, ehe Saruman etwas merkte. Ich war schon weit fort, als die Wölfe und Orks aus dem Tor gehetzt kamen, um mich zu verfolgen. «Der Herr der Ringe – Die Gefährten»
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Regie: Peter Jackson
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Vom Buchstabe zum Bildersturm
Literaturverfilmungen im Unterricht
Vom Text zum Film – Verdichtung «Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs» Vorlage: J.R.R. Tolkien – Regie: Peter Jackson Lies den ausgeteilten Textabschnitt genau durch und überlege dir, welche filmischen Mittel hier nützlich sein könnten, um die Filmszene besonders eindrücklich und aussagekräftig zu gestalten. Verwende dazu nicht den Dialog und auch nicht die Musik, sondern ausschliesslich die Mittel der Bildgestaltung. Bildausschnitte .................................................................................................................................................................................. ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... Kamerafahrten .................................................................................................................................................................................. ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... Licht & Farbe .................................................................................................................................................................................. ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... Schnitt .................................................................................................................................................................................. ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... Spezialeffekte .................................................................................................................................................................................. ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................................................... © Thomas Binotto
www.filmleser.ch
11.11.11

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