Vom Medium zum Exponat - Leuphana Universität Lüneburg
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Vom Medium zum Exponat - Leuphana Universität Lüneburg
Vom Medium zum Exponat – Strategien zur musealen Inszenierung der Computergeschichte Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades des Magister Artium der Philologie Vorgelegt am Institut für Medienwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum im August 2005 bei Prof. Dr. Claus Pias (1. Prüfer) und Prof. Dr. Peter-Michael Spangenberg (2. Prüfer) von Jan Müggenburg Klosterstr. 31 13581 Berlin [email protected] 1 „Jeder brandneue Rechner lässt ein Leichenfeld zurück – ausgestorbene Computer, Speichermedien, Anwendungen, Dateien.“ Stewart Brand (2000, 90) „Ein wahrhaft schlechtes Gewissen treibt die Gattung in dem Moment zur Wiederbelebung ihrer gesamten Vergangenheit, in dem sie den Faden ihrer Erinnerung verliert. Alle Überreste, alle Spuren, die insgeheim begraben wurden und die eben deshalb Bestandteil unseres symbolischen Kapitals waren, werden exhumiert und zu neuem Leben erweckt. […] Aus Begrabenem machen wir etwas Sichtbares.“ Jean Baudrillard (1994, 115) 2 Inhalt 0 Der Club der stummen Kisten .........................................................................3 1 Technik sammeln − Technik ausstellen..........................................................8 1.1 Historische Vorläufer der technischen Sammlung und Ausstellung ....................................... 9 1.2 Fortschrittsfeste und Maschinenschau − Die großen Weltausstellungen...............................14 1.3 Volksbildung in den Ruhmeshallen der Technik − Die nationalen Technikmuseen ...........19 2 Computer sammeln − Computer ausstellen .................................................. 25 2.1 Eine Frage der Perspektive − Die erste Ausstellung zur Computergeschichte .....................26 2.2 Zwischen Firmengeschichte und Spaßpädagogik − Das erste Computermuseum .................29 2.3 Durch die nationale Brille − Computergeschichte im Technikmuseum ................................35 2.4 Von kleinen, großen und ‚niedlichen‛ Computermuseen ......................................................42 3 Der Computer als Medium und seine Geschichte(n) .................................... 48 3.1 Der Computer als Rechenmaschine ....................................................................................49 3.2 Digitalisierung − Der Computer als Multimedium............................................................53 3.3 Virtualität − Der Computer als Simulationsmedium........................................................58 3.4 Interaktivität − Der Computer als Kommunikationsmedium ............................................65 4 Der Computer als Exponat ............................................................................ 71 4.1 Vom Werkzeug zum alten Objekt − Der alte Computer..................................................72 4.2 Aura und Inszenierung im Widerstreit − Der erfahrbare Computer ..................................80 4.3 Transparenz und Opazität − Das Medium als Exponat .................................................87 5 Strategien zur musealen Inszenierung der Computergeschichte.................. 93 5.1 Die Geschichte des Rechners − „Informatik“ im Deutschen Museum ................................94 5.2 Rechenmaschine vs. Mikrochip − „Rechnen einst und heute“ im Arithmeum.....................99 5.3 Die Kulturgeschichte des Computers − Das Heinz Nixdorf MuseumsForum ..................103 6 Schlussbetrachtung .......................................................................................110 7 Literaturverzeichnis ......................................................................................114 8 Abbildungsverzeichnis................................................................................. 122 9 Anhang ......................................................................................................... 125 9.1 Expertengespräch mit Dr. Hartmut Petzold (Deutsches Museum)...................................125 9.2 Expertengespräch mit Hadwig Dorsch (Deutsches Technikmuseum) ................................131 9.3 Expertengespräch mit Michael Mikolajczak (HNF) ......................................................134 9.4 Expertengespräch mit Andreas Lange (Computerspielemuseum) ......................................140 3 0 Der Club der stummen Kisten In den letzten Jahren hat die Geschichte des modernen Computers ein großes öffentliches Interesse erfahren. Nachdem sich die digitale Rechenmaschine in den neunziger Jahren endgültig als „Allzweckgerät“ und populäres Kulturgut durchgesetzt hat (Mikolajczak, 2003, 146-149) und zum selbstverständlichen Begleiter im medialen Alltag geworden ist, richtet sich der Blick nun zurück auf die historischen Ursprünge des Computers und die Spuren seiner Entwicklungsgeschichte. So macht die allgemeine Anerkennung der „überragenden Gegenwartsbedeutung der Informationstechnik“ (HNF, 2000, 3) den Computer und seine Geschichte zu einem attraktiven Ausstellungsthema für Technikmuseen. Vor allem die rasante, scheinbar zielgerichtete Entwicklung, im Laufe welcher der Computer immer schneller, immer kleiner und immer vielseitiger wurde, prädestiniert die digitale Maschine für die dramaturgische Inszenierung im Rahmen einer musealen Ausstellung1. Aber nicht nur die nationalen Technikmuseen haben ihre Aufmerksamkeit auf den ‚Siegeszug‛ des Computers gerichtet. In den letzten Jahren ist eine Reihe von kleinen und großen Museen entstanden, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise mit der Geschichte der universellen Maschine auseinander setzen. Dabei reicht die Bandbreite der Einrichtungen allein im deutschen Raum von ‚ausgewachsenen‛ Computermuseen, wie dem Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF) in Paderborn, das im nächsten Jahr seinen zehnten Geburtstag feiern wird, bis hin zu kleinen ‚Wunderkammern‛, wie dem Arithmeum in Bonn oder dem Computerspielemuseum in Berlin. Doch der Computer ist nicht nur eines der populärsten und erfolgreichsten technischen Ausstellungsobjekte, er stellt Ausstellungsmacher und Kuratoren auch vor zunehmend größere Probleme. Der moderne Personal Computer ist die ‚ultimative‛ Black Box. Die Hardware des Computers arbeitet im Verborgenen und bleibt für die große Mehrheit der Benutzer unverständlich. Sein technisches Innenleben muss den Anwender nicht interessieren, wenn er mit ihm arbeitet, kommuniziert oder spielt. Der Benutzer verbleibt an der Oberfläche und setzt sich scheinbar nur mit der Software auseinander. Diese vermeintliche „Immaterialität gerade des Materiellsten“ (Kittler, 1998, 124) macht den Computer 1 Ein für die museale Ausstellung dankbares Beschreibungsmodell der sich beschleunigenden Entwicklungsgeschichte des modernen Computers ist beispielsweise das viel zitierte Moor’sche Gesetz. Gordon Moore, Mitbegründer der Firma Intel, hat in einem Artikel der Zeitschrift „Electronics Magazine“ im Jahr 1965 vorhergesagt, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem Computerchip alle 12 – später korrigierte Moore seine Vorhersage auf 24 – Monate verdoppeln werde (Moore 1965). Die Prognose von Moore hat sich in den letzten vier Jahrzehnten weitgehend bewahrheitet, ist jedoch als Selffulfilling Prophecy auch zur eigenen Messlatte der Computerindustrie geworden. 4 zu einem anspruchsvollen Ausstellungsobjekt. Durch die bloße Ausstellung der ‚alten‛ Hardware in der Vitrine erschließen sich dem Ausstellungsbesucher beispielsweise noch lange nicht die emergenten Eigenschaften des Computers, die bei seiner ursprünglichen Anwendung in Erscheinung traten. Der Computer wird so zur bloßen Ikone im musealen Tempel und es droht ein „Club der stummen Kisten“ (Borchers, 1998)2. Ähnlich problematisch wie das Computerexponat als solches, stellt sich die Inszenierung der Geschichte des modernen Computers dar. Gerade aufgrund der schnellen Entwicklungsdynamik des modernen Computers kann eine Ausstellung seiner Geschichte immer nur eine ‚Momentaufnahme‛ sein, welche bereits vom Eröffnungstag an Gefahr läuft nicht mehr aktuell zu sein3. Schon heute hat der Ausstellungsbesucher große Schwierigkeiten mit den riesigen historischen Großrechenanlagen in der Ausstellung den Laptop zu assoziieren, der bei ihm zu Hause auf dem Schreibtisch steht. Dies liegt auch an der Dispersität der ‚universellen Maschine‛, welche seit ihrer Erfindung zu verschiedenen Zwecken und in verschiedenen „diskursiven Praktiken“ (Foucault, 1981, 6174) eingesetzt wurde und durch technologische Weiterentwicklungen und „Neudefinitionen“ (Ceruzzi, 1998, 14) immer neuen Transformationen bzw. „Umwidmungen“ (Schröter, 2004, 16) unterlag. Der letzte entscheidende „Perspektivenwechsel in der Computerinterpretation“ (Krämer, 1998, 10) ereignete sich Anfang der neunziger Jahre: Vor allem der Weg des Computers von der (mechanischen und digitalen) Rechenmaschine zum massenhaft genutzten Kommunikations- und Bildmedium mit seinen zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten stellt Ausstellungsdesigner und Kuratoren vor zunehmende Probleme. Während sich die Geschichte der digitalen Rechenmaschine als eine Geschichte des Rechnens erzählen lässt und die üblichen technischen Beschreibungsmodelle der Beschleunigung, Miniaturisierung und Optimierung greifen können, stellt sich die Narration einer Mediengeschichte des Computers bedeutend schwieriger dar. So ist zu bezweifeln, ob sich die Entwicklungsgeschichte des Computers angesichts der „Kaskade von Umwidmungen und Umdeutungen“ (Levy, 1995, 41) und seiner universellen Ausrichtung überhaupt in einer homogenen, teleologisch ausgerichteten Fortschrittsgeschichte erzählen und damit ausstellen lässt. „Computer haben keine Spezifik außer eben der, unspezifiziert zu sein“ formuliert Jens Schröter (Schröter 2004a,) und folgert daraus eine Vielzahl von Ursprungsgeschichten, sowohl technischer als auch Der Technik-Journalist Detlev Borchers (1998) hat das HNF im Februar 1998 in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung als „Club der stummen Kisten“ bezeichnet. Da heute fast alle Computermuseen viel Mühe aufwenden um die Computer ‚at work‛ zu zeigen, würde Borchers seine Kritik heute in dieser Form nach eigener Auskunft nicht mehr aufrechterhalten (in einer E-Mail an den Autor vom 29.05.05). 3 Dieses Problem der Aktualität, veranlasste zum Beispiel das Heinz Nixdorf MuseumsForum vier Jahre nach seiner Eröffnung im Jahr 2000 zu einem grundlegenden update der Ausstellung, aus Gründen der „Aktualisierung und Zukunftsorientierung“ (HNF, Museumsführer-update, 2000). 2 5 soziokultureller Art und nicht eine einzige und eindeutige Entwicklungsgeschichte des Computers. Fragestellung und Ziele der Arbeit Die vorliegende Magisterarbeit versucht den Weg des Computers vom Medium zum Exponat zu verfolgen. Im Mittelpunkt stehen zwei zentrale Fragestellungen. Die erste befasst sich mit dem Computer als Ausstellungsobjekt und beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Computer im Bezug auf seinen ursprünglichen Anwendungszusammenhang anschaulich und authentisch ausstellen lässt. Können die emergenten Eigenschaften des Computer-als-Medium, die er durch den Prozess der Musealisierung notwendigerweise verliert, an einem Computer-als-Exponat ausgestellt werden? Die zweite Frage beschäftigt sich mit der Darstellung der Geschichte des Computers im Rahmen musealer Ausstellungen. Welche Strategien wählen Technik- und Computermuseen, um die Geschichte des Computers zu inszenieren? Der Begriff der Inszenierung4 weist dabei darauf hin, dass die Darstellung eines historischen Sachverhaltes im Museum immer in einem bestimmten Bedeutungszusammenhang präsentiert wird. Museale Inszenierung heißt immer auch gleichzeitig „visualisierendes Deuten und Interpretieren“ (Schober 1994, 9). Historische Zusammenhänge werden mit Hilfe von Exponaten in Szene (um)gesetzt und zur Schau gestellt. Aus diesem Grund drängt sich die Frage nach den Strategien hinter der Ausstellungsgestaltung auf. Was sind die Intentionen der Ausstellungsmacher und mit welchen historischen Beschreibungsmodellen arbeiten sie? Gliederung und Methodik In einem ersten Schritt soll ein Überblick über die historischen Ursprünge der technischen Sammlung und Ausstellung dazu dienen, eine Antwort auf die allgemein gehaltene Frage zu geben „Warum sammeln Menschen technische Objekte und stellen sie einer breiten Öffentlichkeit aus?“. Ein Blick auf einzelne historische Beispiele der technischen Ausstellung zeigt, dass das öffentliche Ausstellen von Technik seit jeher ein Mittel ist, um die eigene private, nationale oder industrielle Stärke darzustellen und zu manifestieren. 4 Der Begriff der Inszenierung ist dem Theater entliehen und bedeutet, abgeleitet vom lateinischen ‚scena‛, soviel wie „Auf-die-Bühne-Gebrachtes“ (Schober, 1994, 9). Bezogen auf den Bedeutungsraum einer Ausstellung meint ‚Inszenierung‛ zunächst das programmatische Zusammenstellen von Objekten, also das bewusste in Szene setzen von Exponaten. An späterer Stelle dieser Arbeit (Kapitel 4.2) wird der Begriff der Inszenierung auch auf die Präsentation einzelner Exponate angewendet. 6 Das zweite Kapitel konzentriert sich auf die noch recht junge Vergangenheit von Ausstellungen zur Computergeschichte und soll als Einführung in die komplexe Thematik des Computers als Exponat dienen. Die wichtigsten ‚Impulsgeber‛ und Interessengruppen, die an der Gründungsgeschichte von Computermuseen mitgewirkt haben, werden herausgearbeitet. Es zeigt sich außerdem, dass mit den Ausstellungskonzeptionen mehr oder weniger erfolgreich versucht wird, verschiedenen Zielsetzungen zugleich gerecht zu werden: zwischen Historisierung mit objektivem Anspruch und gezielter Interessenvertretung, zwischen Volksbildung und Volksbelustigung, zwischen Fortschrittsglauben und ‚Entmystifizierung‛. Der dritte Teil befasst sich mit dem Computer als Medium. Nach einem kurzen Blick auf die Vorgeschichte des Computers als Rechenmaschine werden die drei zentralen Kategorien des modernen Computers besprochen, die in den neunziger Jahren zu seiner Interpretation als Medium geführt haben. Es zeigt sich dabei, dass sich die Entwicklung des Computers von der Rechenmaschine zum Universalmedium nicht als eine lineare und kohärente Geschichte erzählen lässt, sondern sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher technikhistorischer und konzeptioneller Impulse zusammensetzt. Im vierten Kapitel beschäftigt sich die Arbeit mit dem Computer als Exponat unter Berücksichtigung seiner Eigenschaften als Medium. Die Untersuchung konzentriert sich an dieser Stelle auf einzelne Computerexponate und blendet den Bedeutungsraum Ausstellung zunächst aus. Dazu werden einige Grundbegriffe des aktuellen museologischen Diskurses eingeführt und durch die Überlegungen von Jean Baudrillard (1991, 93-109) zum „Alten Objekt“ ergänzt. Besonderes Augenmerk gilt der Art und Weise, wie die Computerexponate auf ihren ursprünglichen Gebrauchszusammenhang verweisen und einen Eindruck ihrer historischen Anwendung vermitteln. Kapitel Fünf schließlich beschäftigt sich mit dem Computer als Exponat im Bedeutungsraum der Ausstellung und stellt drei unterschiedliche museale Inszenierungsstrategien der Computergeschichte vor. Die deskriptiven und analytisch vorgehenden Untersuchungen gehen zurück auf Ausstellungsbesuche des Autors und im Vorfeld der Arbeit geführte Expertengespräche mit Kuratoren und Museumsdirektoren (siehe Anhang, Kapitel Neun). Die Magisterarbeit ist gemäß der Neuen Rechtschreibung verfasst. Zitate und Belege erfolgen nach dem Standard der American Psychological Association (APA-Style) in der Version der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (1997). Schlüsselbegriffe und Eigennamen von Einrichtungen, sowie Titel von Publikationen bzw. Ausstellungen wer- 7 den bei ihrer ersten Nennung durch eine kursive Textformatierung kenntlich gemacht, längere Zitate werden vom Fließtext abgesetzt. Wenn möglich, werden die Lebensdaten genannter Personen angefügt, um dem Leser eine historische Einordnung zu erleichtern. Fußnoten werden verwendet, um ergänzende Erklärungen zum Text zu liefern, relevante Internetadressen zu nennen oder auf weiterführende Literatur hinzuweisen, deren nähere Besprechung der begrenzte Umfang der Arbeit nicht zulässt. Die eingefügten Abbildungen zeigen in der Regel Objekte, die im Text näher beschrieben bzw. analysiert werden und dienen darüber hinaus der Illustration bzw. Visualisierung der inhaltlichen Ausführungen. Zur Entstehung dieser Arbeit haben neben zahlreichen Ausstellungsbesuchen des Autors ausgiebige ‚Expertengespräche‛ mit Kuratoren und Ausstellungsgestaltern der besprochenen Institutionen beigetragen. Ein herzlicher Dank geht daher an Dr. Frank Dittmann und Michael Mikolajczak (beide HNF), Dr. Hartmut Petzold (Deutsches Museum München), Hadwig Dorsch (Deutsches Technikmuseum Berlin) sowie an Andreas Lange (Computerspielemuseum Berlin). Einige der geführten Gespräche befinden sich in transkribierter Form im Anhang dieser Arbeit. Ich danke außerdem Prof. Claus Pias für die Betreuung der Arbeit, sowie Heidi Ortmann (Berlin) und meinen Eltern Ute und Klaus Müggenburg (Velbert-Langenberg) für viel Unterstützung und Geduld. 8 1 Technik sammeln − Technik ausstellen Auf den ersten Blick sind das Sammeln und das Ausstellen von technischen Gegenständen nicht notwendigerweise miteinander verbunden. Viele Sammler tragen, angetrieben von Nostalgie und Sammelleidenschaft, auf Trödelmärkten und Tauschbörsen, alte Schreibmaschinen, Radios oder sonstige technische Geräte zusammen. Solche privaten Sammlungen werden meist nie öffentlich ausgestellt, sondern sind vor allem für die Personen interessant und bedeutsam, die sie mühsam zusammengetragen haben. Auf der anderen Seite gibt es viele Beispiele der technischen Ausstellung, bei denen es abwegig erscheint von einer Sammlung zu sprechen − etwa Fachausstellungen der Industrie oder moderne Science Centers mit extra für diesen Zweck zusammengestellten bzw. angefertigten Exponaten. Dennoch trägt jede Sammlung, auch wenn sie vielleicht nur guten Freunden und Bekannten innerhalb der eigenen vier Wände gezeigt wird, die Möglichkeit der Ausstellung in sich und anders herum gilt: für jede Ausstellung muss zunächst eine Gruppe von Objekten ausgewählt werden, an der sich das Ausstellungsthema bzw. der intendierte Sachverhalt zeigen lässt. Sammlung und Ausstellung „konkreter Gegenstände“ (Waidacher, 2005, 17) sind auch die zentralen Aufgaben des zeitgenössischen Museums. Durch die Sammlung, Konservierung und Erforschung ‚authentischer’ Objekte und die Präsentation der Gegenstände als Exponate durch das Medium Ausstellung, befasst sich das Museum als kulturelle Einrichtung mit dem „Bewahren und Vermitteln von Erinnerung“ und wendet sich an ein öffentliches Publikum mit dem Ziel ein „verstehendes Erleben“ bestimmter Sachverhalte zu ermöglichen (Waidacher, 2005, 17). Im Sammeln und Ausstellen, so Alexander Klein (2004, 10), „manifestiert sich das Verhältnis des Museums zur Wirklichkeit“. Das folgende Kapitel bietet einen Überblick über die Geschichte der technischen Sammlung und Ausstellung. Von den Anfängen in der Antike soll ein Bogen geschlagen werden über die neuzeitlichen Kunst- und Wunderkammern, der Herausbildung des modernen Museums im siècle des lumières und den großen Technologiefesten der Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, bis zu den ersten nationalen Wissenschafts- und Technikmuseen. Es zeigt sich, dass das öffentliche Sammeln und Ausstellen von Gegenständen immer schon ein Mittel war um die eigene private, nationale oder industrielle Stärke darzustellen und zu manifestieren. 9 1.1 Historische Vorläufer der technischen Sammlung und Ausstellung Bevor man einen Blick auf die Geschichte der technischen Sammlung und Ausstellung wirft, stellt sich zunächst eine einfache Frage: Warum sammeln Menschen Gegenstände und stellen sie aus? Der Museums-Historiker Krzysztof Pomian versteht unter einer Sammlung zunächst „jede Zusammenstellung natürlicher oder künstlicher Gegenstände, die zeitweise oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten werden, und zwar an einem abgeschlossenen, eigens zu diesem Zweck eingerichteten Ort, an dem die Gegenstände ausgestellt werden und angesehen werden können“ (Pomian, 1993, 16). Weiterhin sind die ausgewählten Gegenstände der Sammlung im Gegensatz zu den Gegenständen des Alltags mit einer bestimmten Bedeutung versehen und verweisen auf einen abstrakten Sinnbezug. Sie repräsentieren „das Unsichtbare“ (Pomian, 1993, 50) und haben unabhängig von ihrer Nützlichkeit einen Tauschwert, der auf ihrer Bedeutung gründet5. Gesammelte Gegenstände, die aus ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang herausgenommen werden, ermöglichen dem Betrachter folglich den Zugriff auf einen sonst unerreichbaren Sachverhalt, etwa ein Ereignis in der Vergangenheit, welches durch den Gegenstand repräsentiert wird. Entsprechend verfolgt Pomian die Geschichte der menschlichen Sammlungen bis zu den antiken Grabkammern und Opferstätten zurück, wo Gegenstände erstmals ihrer Nützlichkeit beraubt und an einem bestimmten Ort ausgestellt wurden, um einem einzigen Zweck zu dienen: angeschaut zu werden (Pomian, 1993, 20-25). Während jedoch diese ersten Sammlungen von sakralen Gegenständen nur für die Augen der Götter bestimmt waren und somit eher eine magische als eine repräsentative Funktion erfüllten6, waren es die Machthaber im römischen Reich, welche bei ihren Raub- und Eroberungszügen in großen Mengen erbeuteten Gegen-stände in ihren Residenzen sammelten und diese bei Festen und Zeremonien erstmals einem großen Publikum zur Schau stellten (Pomian, 1993, 26). Bemerkenswert an der römischen Sammelleidenschaft ist dabei nicht nur die „souveräne Verachtung für die Nützlichkeit der von ihnen gesammelten Gegenstände“ (Pomian, 1993, 28), sondern vor allem die Tatsache, dass das Zusammentragen einer prunkvollen Sammlung eine symbolische Demonstration der eigenen Stärke darstellte und dem Sammler Ruhm und Ansehen verschaffte. Auch die fürstlichen Schatzkammern Pomian führt zur Unterscheidung von „nützlichen Dingen“ und „Gegenständen ohne Nützlichkeit“ den Begriff der Semiophoren ein (Pomian, 1993, 46-54). 6 Siehe Klein (2004, 127): „Das Zeigen der ‚Exponate‛ des Grabes war nicht ein Zeigen für jemanden, sondern ein Sich-Zeigen, ein magisches Offenlegen des Wesentlichen der Gegenstände […] Das Pharaonengrab war ein Gehäuse von gesammelt ausgestellten, oder ausgestellt gesammelten, aber publikumslosen Gegenständen“. 5 10 im Mittelalter hatten zunächst die Funktion das Ansehen ihres Besitzers zu erhöhen und zu ausgewählten Anlässen mit ihrem zumeist kostbaren Inventar aus sakralen wie profanen Gegenständen zu prahlen (Pomian, 1993, 28). Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts, im Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit, entstand ein neuartiges Interesse an den materiellen Zeugnissen der Natur und der Menschheit. Ein starkes Bestreben die eigene Welt zu entdecken und zu verstehen bildete sich heraus und führte dazu, dass neue Kategorien von Gegen-ständen in den europäischen Sammlungen in Erscheinung traten. In ganz Europa begann sich eine „Mode des Sammelns“ (Pomian, 1993, 57) auszubreiten. Überreste der Antike, welche bis auf einzelne Ausnahmen „jahrhundertelang den Charakter von Unrat hatten“ (Pomian, 1993, 56), wurden nunmehr als erhaltenswerte Forschungsgegenstände betrachtet und genauso gesammelt wie die immer größeren Mengen an kuriosen und exotischen Gegenständen aus fremden Ländern, welche Gelehrte und Fürsten von ihren zahlreichen Reisen und Expeditionen mitbrachten. Diese Objektgruppe der „Raritäten“ (Pomian, 1993, 58) befriedigte vor allem die zunehmende Lust am Ungewöhnlichen und Erstaunlichen und ermöglichte dem Betrachter eine Auseinandersetzung mit den fremden Zivilisationen und Ländern. Auch Gemälde und andere Kunstwerke hatten für die neuzeitlichen Fürsten und Gelehrten einen zunehmenden Stellenwert, weil es den Künstlern möglich war in ihren Arbeiten die Schönheit der Natur abzubilden und festzuhalten. Schnell entwickelte sich an den Höfen ein reges Mäzenatentum, da man sich verpflichtet sah „Geschmack zu haben […] und sich mit Kunstwerken zu umgeben“ (Pomian, 1993, 58), um die eigene Überlegenheit zur Schau zu stellen. Auf diese Art und Weise entstanden in der frühen Neuzeit in den Fürstenhäusern, Universitäten und Akademien die ersten großen wissenschaftlichen Sammlungen, die dem Wunsch folgten, die eigene und die fremden Welten möglichst umfassend zu repräsentieren. Das Bedürfnis „den Makrokosmos in den Mikrokosmos zu projizieren“ (Pomian, 1994, 113) und einen enzyklopädischen Blick über die Welt zu erlangen, zeigt sich wohl am deutlichsten in den fürstlichen Kunst- und Wunderkammern, welche sich von den mittelalterlichen Schatzkammern vor allem dadurch unterschieden, dass sie ihre Gegenstände streng ordneten und klassifizierten, um einen möglichst universellen Blick auf die Welt zu bieten7. 7 Der niederländische Arzt Samuel von Quiccheberg beispielsweise legte 1565 im Auftrag Herzog Albrechts V. die Ordnungsprinzipen der Kunst- und Wunderkammern dar und unterschied fünf Objektgruppen: Zeugnisse der (Heils)geschichte (Altertümer), kunsthandwerkliche Gegenstände, Gegenstände aus dem Reich der Natur, Gemälde und Tafelbilder, sowie die Gruppe der „artes mechanicae“, bei denen es sich um musikalische, mathematische und astronomische Instrumente handelte. Siehe dazu Bredekamp (1993, 33). 11 Der erwachende Geist der Aufklärung und Naturforschung führte schließlich dazu, das wissenschaftliche Bestreben die Welt zu verstehen, mit traditionellen Formen der Ausstellung bzw. Zurschaustellung für einen bestimmten Personenkreis zu verbinden. Zwar hielten manche der Fürsten und Gelehrten ihre Sammlungen weiter unter Verschluss und zeigten sie nur ausgewählten Besuchern8, andere Sammler dieser Zeit erkannten jedoch schnell den gesellschaftlichen Wert ihrer Kabinette und öffneten sie für die interessierte Öffentlichkeit, in der Hoffnung ihr allgemeines Ansehen und politisches Prestige zu erhöhen (MacGregor, 1994, 66). Beliebte Gäste der Kunst- und Wunderkammern waren Würdenträger und andere Machthaber, die zu ihrer Unterhaltung herumgeführt wurden, aber auch Künstler und Akademiker, die den wissenschaftlichen Wert der Sammlungen zu schätzen wussten (MacGregor, 1994, 66). Im Laufe des 17. Jahrhunderts entstanden schließlich immer mehr Kunst- und Wunderkammern im akademischen bzw. wissenschaftlichen Umfeld9. Im Zuge dieser neuzeitlichen Neuausrichtung des Sammlungswesens lassen sich erstmals auch zahlreiche technische Exponate in den Sammlungen wieder finden. Mathematische und wissenschaftliche Geräte fanden ihren Weg in die Kunst- und Wunderkammern, genauso wie immer komplizierter werdende Maschinen und selbstbewegte Automatenfiguren, die wohl zu den beliebtesten Exponaten gehörten10 (Bredekamp, 1993, 73). Der Grund für die zunehmende Hinwendung zur Technik lag vor allem in der Überzeugung der im 17. Jahrhundert herrschenden „mechanistischen Philosophie“ (Bredekamp, 1993, 41), dass es die Aufgabe des Menschen sei, als Ebenbild Gottes „diesem als Mechaniker nachzueifern und Gegen-stände zu schaffen, die mit denen der Natur wetteifern könnten“ (Bredekamp, 1993, 41). So wurden zum Beispiel in der Kursächsischen Kunstkammer in Dresden neben einer großen Menge handwerklicher Geräte auch „eine Vielzahl wissenschaftlicher, astronomischer und mathematischer Instrumente, sowie Globen, Uhrwerke und Stundengläser“ ausgestellt (MacGregor, 1994, 74). Die Hinwendung zu den Naturwissenschaften führte in manchen Fällen dazu, dass die Kunst- und Wunderkammern nicht nur Aufbewahrungs- und Ausstellungsraum wissenschaftlicher Instrumente waren, sondern Orte die zur „Vermittlung eines naturwissenschaftlichen Systems eingesetzt wurden“ (Vieregg, 1994, 27). So entwickelte sich etwa die Kunstkammer des hessischen Das Inventar des in diesem Zusammenhang oft genannten studiolo von Francesco I. zum Beispiel, war vollständig in Wandschränken verstaut und nicht für die Augen anderer bestimmt. MacGregor stellt fest: „Alles war diskret, geheim und gehörte dem Gründer persönlich“ (MacGregor, 1994, 65). 9 Beispiele dafür sind unter anderem die Kunstkammern der Londoner Royal Society (1662) und der Académie Royale des Sciences in Paris (1666), siehe dazu Bredekamp (1993, 54). 10 Zur modernen Faszination und der „immensen Anziehungskraft“ von Puppen und Automaten, in denen der Mensch „im Akt der Objektivierung ein Selbstbild entstehen lässt“, siehe die Ausführungen von Müller-Tamm und Sykora (1999, 65-93). 8 12 Landgrafen in Kassel im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer regelrechten „Gelehrtenstube“ (Vieregg, 1994, 26), in der sich Wissenschaftler in besonderem Maße der Astronomie widmeten. „Rechenhilfswerke, Planetenuhren und Globen“ (Vieregg, 1994, 27) wurden hier nicht nur gesammelt und ausgestellt, sondern konnten in einem engen Bezug zur Praxis ausprobiert werden: „Besucher und Öffentlichkeit hatten also von Anfang an einen wichtigen Stellenwert: eine im besten Sinne pädagogische Dimension“ (Vieregg, 1994, 28). Dieses Bestreben in den Kunst- und Wunderkammern nicht nur die gesamte Welt ‚nachzubilden‛, sondern diese im Rahmen der Ausstellung auch zu erklären und so zur Etablierung der neuen Wissenschaftsordnung beizutragen, wird besonders deutlich in den Plänen des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716). Der deutsche Gelehrte wollte ein Wissenschaftstheater gründen, in dem die Präsentation wissenschaftlicher Gegenstände zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden sollte (Bredekamp, 2000, 12-19). Die Idee zu seinem Theatrum naturae et artis, welche er Zeit seines Lebens verfolgte, kam Leibniz in Paris, als er der Vorführung einer Maschine beiwohnte, die sich scheinbar selbstständig auf der Seine vorwärts bewegen konnte. Beeindruckt von diesem Ereignis träumte er von einem Ort, an welchem „Personen von Verstand zusammenkommen sollten, um beachtenswerte Dinge und vor allem Maschinen öffentlich in einer Ausstellung zu zeigen“ (Bredekamp, 2000, 14). Das Bemerkenswerte an Leibniz’ Vision ist vor allem die Erkenntnis, dass ein solches Wissenschaftstheater die Objekte in einem Gesamtarrangement aus wissenschaftlichem Anspruch und leichter Unterhaltung präsentieren müsse: Mathematiker, Ingenieure und Architekten sollten die Maschinen dem interessierten Besucher erläutern, „während die Musiker und Poeten sowie Gaukler und Scharlatane, die Leibniz zufolge von ‚großem ingenio‛ sein konnten, begleitende Darbietungen geboten hätten“ (Bredekamp, 2000, 14). Obgleich Leibniz’ Pläne niemals in die Tat umgesetzt wurden, zeigt sich in seinem Wissenschaftstheater somit erstmals eines der wesentlichen Merkmale der technischen Ausstellung: die Verknüpfung von Bildung und Unterhaltung11. Aufklärung und rationalistische Denkmodelle sorgten im 18. Jahrhundert allmählich für eine weitere Neuordnung der Sammlungen. Es ist die Zeit, in der sich die moderne Museumsidee herausbildet und Museen als Orte eines allgemein verfügbaren Wissens entstehen. So wurde 1661 in Basel die Sammlung Amerbach als erstes öffentlich zugängliches 11 Zum unterhaltenden Charakter von Leibniz’ Wissenschaftstheater bemerkt Bredekamp (2000, 14): „Die Ausstellung zeigt schon durch diesen Kreis der zu engagierenden Mitarbeiter, dass sie die Exponate nicht nur betreuen und sichern, sondern auch inszenieren soll: eher ein frühes »Centre Pompidou« als eine biedere Maschinenschau“. 13 Museum gegründet, gefolgt von dem Ashmolean Museum in Oxford 20 Jahre später (Pomian, 1994, 118). In London eröffnete 1757 schließlich das British Museum, hervorgegangen aus dem Ankauf der privaten Sammlung von Sir Hans Sloane durch das britische Parlament (Pomian, 1994, 118). Einen zusätzlichen Schub bekam die Phase der Museumsgründungen vor allem im Zuge der Französischen Revolution, welche das Museum endgültig zu einer Einrichtung der bürgerlichen Öffentlichkeit und der Volksbildung werden ließ (Ulbricht, 1994, 268). So wurde der im Jahre 1793 eröffnete Louvre schnell zu einem gesellschaftli-chen Wallfahrtsort. Auch die Gründung des Conservatoire National des Arts et des Métiers, dem wohl ersten Wissenschafts- und Technikmuseum der Museumsgeschichte durch den Abt Henri Grégoire findet in Paris im Jahre 1794 im Lichte der Revolution statt12. In Deutschland zog man Anfang des 19. Jahrhunderts nach und gründete 1830 das konzeptionell von Wilhelm von Humboldt geprägte Alte Museum in Berlin (Hochreiter, 1994, 9-10). Es war das erste deutsche Museum mit uneingeschränkter Zugänglichkeit und vollzog damit den „Schritt zur bürgerlichen Öffentlichkeit“ (Hochreiter, 1994, 10) im deutschen Museumswesen. Der universelle Anspruch der Kunst- und Wunderkammern, die gesamte Welt im Kleinen darzustellen, wich in dieser Phase einer zunehmenden Spezialisierung der Sammlungen und es begann sich eine „museale Gattungsgliederung“ herauszubilden (Korff, 2002a, 6-7). Für die Sammlung technischer Objekte bedeutete dies, dass man begann Maschinen und mathematische Instrumente getrennt von anderen Exponaten systematisch zu sammeln. Diese Spezialisierung der Sammlungen verstärkte sich weiter durch die Herausbildung der wissenschaftlichen Fachdisziplinen im frühen 19. Jahrhundert (Korff, 2002a, 7). Ein weiterer entscheidender Wandel vollzog sich in der Wahrnehmung der ausgestellten Gegenstände. Sie sollten dem Betrachter nicht mehr das Ferne und Fremde näher bringen, sondern vor allem die „zeitliche Logik der Dinge“ und ihren kausalen Zusammenhang vergegenwärtigen (Korff, 2002a, 8). Die chronologische Aneinanderreihung der ausgewählten Objekte wurde zur vorherrschenden Inszenierungsstrategie und sollte vor allem die geschichtliche Entwicklung der Menschheit offenbaren. Diese Auffassung zeigte sich zum Beispiel in der chronologischen Anordnung der Exponate nach Schulen und Stilrichtungen im Louvre, die dem „Prinzip des historischen Fortschritts“ (Korff, 2002a, 9) entsprachen. 12 Zur Geschichte dieses Museums, siehe den Ausstellungsführer „Bienvenue au musée des arts et métiers“ (2005). 14 1.2 Fortschrittsfeste und Maschinenschau − Die großen Weltausstellungen Im 19. Jahrhundert wurde museales Sammeln endgültig zu einem „Totalphänomen, das alle Bereiche der Gesellschaft erfasste“ (Klein, 2004, 140). Zahlreiche Museen wurden gegründet und Nationalparks und zoologische Gärten avancierten zu Besuchermagneten13. Neben der Aufgabe die Zusammenhänge der Welt darzustellen und begreifbar zu machen, hatten nun vor allem die Aspekte der Erinnerung und der Orientierung eine zentrale Bedeutung bei der Sammlung der Gegenstände. Während außerhalb der Museumsmauern die industrielle Revolution den technischen und gesellschaftlichen Fortschritt vorantrieb und der Alltag des Einzelnen durch Urbanisierung und Industrialisierung immer unüberschaubarer wurde, versuchte man in den Museen durch die Erhaltung von alten und einzigartigen Objekten einen Kontrapunkt zu den gesellschaftlichen Umwälzungen der Moderne zu setzen. Der haltlose moderne Mensch sollte im Museum einen Ort der Orientierung vorfinden und ein „objektiver vogelperspektivischer Überblick der Vielfalt des Gegenständlichen“ (Klein, 2004, 141) sollte ihm die Illusion vermitteln an der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung partizipieren zu können. „Das Museum hörte nun endgültig auf, in erster Linie ein Ort des Neuen, gerade erst Entdeckten zu sein. Es mutierte zu einem Ort der Gegenstände, die zwar alt und überholt waren, aber angesichts des drohenden Totalverlustes der alten Lebenswelt gleichwohl als Gegengewichte taugten zur neuen, mental noch nicht verkrafteten Welt der Eisenbahn, der Stahlbauten, der Telegrafie und der Großstädte“ (Klein, 2004, 140). Auf dem Gebiet des Ausstellungswesens jedoch bekamen die nationalen Museen Mitte des 19. Jahrhunderts starke Konkurrenz von den großen Weltausstellungen, die aus der Tradition der Gewerbe- und Industrieausstellungen hervorgegangen waren14 und sich auf gänzlich andere Art und Weise mit dem Erscheinungsbild der Moderne auseinander setzten. Auf den internationalen „Weltjahrmärkten“ (Wörner, 1999, 1) feierte sich das Jahrhundert selbst und man versuchte auf engstem Raum den gesamten kulturhistorischen Fortschritt der Menschheit einer breiten Öffentlichkeit vor- und auszustellen. Unter dem Motto „Einheit der Menschheit“ versammelte so die erste große Weltausstellung, die Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations, 1851 in London gut 17 000 Aussteller aus 25 Ländern und 15 englischen Kolonien unter dem gläsernen Dach des berühmten Kristallpalastes und dehnte den musealen Blick endgültig auf den gesamten Globus aus (Kretschmer, 1999, 32). Die internationale Ausstellung, die Wirtschaft, WissenSo wurde 1872 in Wyoming der erste Nationalpark der Welt gegründet. Die ersten zoologischen Gärten in London, Antwerpen und Berlin folgten, siehe Baratay (2000, 92). 14 Schon vor der ersten Weltrausstellung in London im Jahr 1851 hatten allein in Paris elf große nationale Industrieausstellungen stattgefunden, bei denen die Idee entstand, industrielle Gewerbeausstellungen mit umfangreichen Festivitäten zu verbinden (Beckmann, 1991). 13 15 schaft, Technik und Kunst an einem Ort vereinte, brachte den vorherrschenden Fortschrittsglauben im 19. Jahrhundert erstmals deutlich zum Ausdruck und wurde zum schillernden Symbol der weltweiten industriellen Expansion. Wie bei den folgenden Ausstellungen, legte man in London besonderen Wert darauf, die Exponate dieser „Bestandsaufnahme[n] der industriellen Revolutionen“ (Kretschmer, 1999, 44) möglichst umfassend und nach rationalen Kriterien geordnet auszustellen. Dieses Bestreben nach Universalität und Transparenz der Inszenierung spiegelte sich besonders in der Architektur des Ausstellungspalastes der „Exposition Universelle de Paris“ im Jahr 1867 wider (Wörner, 1999, 23-24). Der Architekt und Generalkommissar der Ausstellung Frédéric Le Play schuf mit seinem 494 Meter langen Gebäude eine materielle Verkörperung des Klassifikationssystems der ausgestellten Gegenstände (Wörner, 1999, 23-24). Umgeben von sieben Galerien in der Form konzentrischer ‚Ringe‛ befand sich im Zentrum des ovalen Baus der „Jardin Central“ mit einer Ausstellung zur Geschichte der Arbeit (Wörner, 1999, 23). Sechzehn, vom Zentrum ausgehende Gänge unterteilten das Gebäude außerdem in unterschiedliche Ausstellungsbereiche, die den jeweiligen Ländern zugeordnet waren. Ging man nun von innen nach außen durchwanderte man die Sektionen „Kunst, Kunstgewerbe, Möbel und Haushaltswaren, Textilien und Rohstoffe sowie Maschinenwesen“ (Wörner, 1999, 23) und konnte sich einen Überblick über die Bandbreite der ausgestellten Exponate einer Nation machen. Folgte man hingegen den kreisförmigen Galerien, so ließen sich in den verschiedenen Objektklassen die Exponate der teilnehmenden Nationen untereinander vergleichen. Abbildung 1: Ausstellungsgebäude der Weltausstellung 1867 in Paris 16 Die beliebten Fortschrittsfeste entwickelten sich schnell zu Orten der nationalen Selbstdarstellung und Identitätsstiftung. Man versuchte sich durch eine möglichst spektakuläre Inszenierung der eigenen Produkte von den Präsentationen der anderen Teilnehmer abzuheben und begriff die Weltausstellungen als „Medium staatlicher Prestigepolitik“ (Wörner, 1999, 4). Konsequenterweise endete eine solche „Olympiade der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ (Kretschmer, 1999, 47) regelmäßig mit einer viel beachteten Medaillenvergabe für die fortschrittlichsten Produkte und technischen Verfahren (Kretschmer, 1999, 48). Man veranstaltete einen publikumswirksamen Wettbewerb um Führungspositionen und Marktanteile, was Walter Benjamin zu seiner viel zitierten Kritik an den „Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware“ (Benjamin, 1983, 50) veranlasste. Besonders der Ausstellung und Inszenierung neuester technischer Errungenschaften wie Eisenbahnen, landwirtschaftliche Werkzeuge und Maschinen aller Art und Ausführung, kam auf den Weltausstellungen mit ihren Millionen von Besuchern eine gewichtige Rolle zu. Zu einer Zeit, da es noch keine speziellen Technikmuseen oder technische Universitäten gab, führten die Ausstellungen einer großen Öffentlichkeit das Gesamtbild des technisch-industriellen Fortschritts vor Augen und sorgten mit geradezu „theatralischen Schaustellungen“ (Hochreiter, 1994, 132) für die Popularisierung von Technik und Industrie. So sollte bereits 1851 eine riesige Maschinenhalle innerhalb des Kristallpalastes die Überlegenheit der britischen Industrie demonstrieren (Kretschmer, 1999, 36). Auf der zweiten großen Weltausstellung im Jahr 1855 in Paris erbaute man der Industrie mit ihren riesigen Exponaten sogar ein eigenständiges Ausstellungsgebäude. In der Galerie des Machines konnten die Ausstellungsbesucher die ausgestellten Dampfmaschinen dabei erstmals voll funktionsfähig und in Bewegung bestaunen15 (Kretschmer, 1999, 65). Immer wieder wurden die Weltausstellungen in den folgenden Jahrzehnten als Foren genutzt, um den Besuchern auf spektakuläre Art und Weise die neuesten Sensationen der technischen Entwicklung zu präsentieren und den Glauben an einen stetigen, linearen Aufstieg der Zivilisation zu untermauern. So wurde etwa auf der ersten amerikanischen Weltausstellung 1876 in Philadelphia mit dem berühmten Wortwechsel zwischen Alexander Bell und seinem Assistenten der begeisterten Menge die Erfindung des Telefons vorgestellt: „Mr. Watson, come here. I want to see you!“ – „Mr. Bell, do you un15 Bereits 1851 hatte man in London kleinere Werkzeugmaschinen ‚laufend‛ ausgestellt, was dazu führte, dass die Inszenierung der Maschinen eher Spektakel als informative Präsentation waren. Charles Babbage, renommierter Mathematiker und interessierter Beobachter der Weltausstellung, kritisierte, man ließe die Maschinen „mit voller Kraft laufen. Aufgrund dessen war es sogar für den Berufsmechaniker nicht leicht, die Konstruktion neuer Maschinen zu verstehen: hinter dem durch ihre rasante Bewegung aufgewirbelten Staub war deren Aufbau nur schwer zu erkennen und der Lärm machte es den wenigen, die die Maschinen verstanden, fast unmöglich, ihre Erkenntnisse an die vielen weiterzugeben, die so gern informiert worden wären“ (Babbage 1854, zitiert nach Hyman, 1987, 336). 17 derstand what I say?“ (Kretschmer, 1999, 105). Auch mechanische Rechenmaschinen, Vorläufer des modernen Computers, wurden im Rahmen der Weltausstellungen vorgeführt. So stellte der Computerpionier Charles Babbage (1791-1871) auf der Ausstellung 1862 in London endlich einen funktionsfähigen Teil seiner nie ganz fertig gestellten Difference Engine No. 1 aus16, den er bereits im Jahre 1833 konstruiert hatte (Swade, 1991, xii). Auf der Weltausstellung 1889 in Paris bekam der Franzose Léon Bollée (1870-1913) gar die goldene EhrenAbbildung 2: Léon Bollée auf der Weltausstellung 1889 in Paris Medaille für die mechanische Rechenmaschine Machine à Multiplier (Eames & Eames, 1973). Die Inszenierungen der neuen Technologien auf den großen Weltausstellungen richteten sich an eine Öffentlichkeit, die sich zunehmend für Technik zu interessieren begann und boten somit „Anschauungsunterricht aus erster Hand“ (Kretschmer, 1999, 77). Während sich die großen Weltausstellungen des 19. Jh. allerdings darauf beschränkten den rasanten technischen Fortschritt zu begleiten und zu dokumentieren, begnügte man sich im frühen 20. Jahrhundert nicht mehr mit einer bloßen Bestandsaufnahme, sondern richtete den Blick zunehmend in die Zukunft (Kretschmer, 1999, 205). So stand beispielsweise die „New York World’s Fair“ im Jahr 1939 ganz im Zeichen der spektakulären Inszenierungen großer Konzerne, deren Ziel es war, die Besucher von den zukünftigen Segnungen der technischen Neuheiten zu überzeugen. „Allerorten auf dem weitläufigen Gelände wurde Technik zelebriert und wurden ihre schier unbegrenzten Möglichkeiten gefeiert. Superhighways, Massenmotorisierung, Raketenflugzeuge und Roboter ließen die Vision einer Welt entstehen, in der Technik der bestimmende und allheilbringende Faktor sein würde […] Diese Weltausstellung war die 16 Charles Babbage wurde bereits 1851 für die Leitung der Industriekommission der ersten Weltausstellung in London vorgeschlagen, konnte sich aber gegen Widerstände aus Regierungskreisen nicht durchsetzen. Diese Vorbehalte mögen auch der Grund gewesen sein, warum Babbage seine bereits 1833 (in Teilen) konstruierte Differenzmaschine, immerhin „das großartigste Erzeugnis der Feinwerktechnik“ dieser Zeit, nicht schon 1851 präsentieren konnte (Hyman, 1995, 318-337). Auf der Ausstellung 1862 wollte Babbage dann eigentlich eine kleine betriebsfähige Analytische Maschine präsentieren, was ihm aber nicht rechtzeitig gelang. Stattdessen wurde die bei der Ausstellung 1851 unberücksichtigt gebliebene Differenzmaschine nun ausgestellt (Hyman, 1995, 368). In Anbetracht der unspektakulären Präsentation der Rechenmaschine, welche in seinen Augen nicht dem großen öffentlichen Interesse an seiner Erfindung gerecht wurde, soll Babbage verärgert über das Exponat geurteilt haben: „English Engine Poked Into a Hole“ (Swade, 1991, xii). 18 Show der Konzerne und der Showdown des weltweiten Kapitalismus. Die Zukunft war ihre Zukunft“ (Kretschmer, 1999, 208). Den beliebtesten Publikumsmagneten der fast 45 Millionen Besucher präsentierte General Motors mit dem „Futurama“, in welchem der Großkonzern seine Vision von der Welt der Zukunft inszenierte (Kretschmer, 1999, 213). Die Besucher nahmen Platz auf einer Art Förderband, welches sie über das Modell einer futuristischen Miniaturlandschaft hinweg bewegte. Unter dem Titel „Highways und Horizonte“ (Kretschmer, 1999, 213) erlebten die Besucher einen Flug von Küste zu Küste über das Amerika des Jahres 1960 hinweg. Beeindruckt von stromlinienförmigen Wolkenkratzern, vierspurigen Schnellstraßen und unterirdischen Flughäfen bekamen die Besucher am Ende der Show einen Button mit der Aufschrift: „I have seen the future“ in die Hand gedrückt (Kretschmer, 1999, 213). Beim Verlassen des Pavillons betrat man schließlich eine exakte Nachbildung des Platzes, den man soeben noch in der Show als Ort der Zukunft erlebt hatte. Im Inneren des Pavillons der Westinghouse Company präsentierte man den Besuchern ein weiteres Highlight der Weltausstellung. Mit dem über zwei Meter großen Roboter „Electro“, der gemeinsam mit seinem Roboterhund „Sparko“ auftrat und sprechen, singen, sowie mit den Fingern rechnen konnte (Kretschmer, 1999, 210), führte man die neuzeitliche Auseinandersetzung mit Automaten und Androiden fort17. Auch wenn die Tradition der großen Weltausstellungen bis in die heutige Zeit fortgesetzt wird, konnten die Ausstellungen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. nicht mehr an den Glanz früherer Veranstaltungen anschließen. Dies lag vor allem an einem Bruch in der allgemeinen Wahrnehmung des technischen Abbildung 3: Roboter "Electro"auf der Weltausstellung 1939 in NewYork Fortschritts, der nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs weitaus negativer bewertet und zunehmend als Bedrohung empfunden wurde (Kretschmer, 1999, 217). Auch wenn 17 Dass die Inszenierung des technischen Fortschritts mit Hilfe von Robotern und „intelligenten“ Maschinen bis in die heutige Zeit nichts von ihrer Popularität verloren hat, zeigt ein Blick auf die Expo 2005 in Aichi, auf der das Gastgeberland „mit einer wahren Armee von über hundert Robotern antreten und sich der Welt als innovative Hightechschmiede in Erinnerung rufen“ will (DER SPIEGEL 6/2005). 19 die großen Konzerne weiter versuchten die Weltausstellungen zu nutzen, um für neue Technologien zu werben, etwa für die „glänzenden Zukunftsperspektiven der Atomenergie“ (Kretschmer, 1999, 223) auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel, sah man sich nun mehr einem dauerhaften Legitimationsdruck ausgesetzt und musste technikkritischen Tönen gezielt entgegentreten. 1.3 Volksbildung in den Ruhmeshallen der Technik − Die nationalen Technikmuseen Die nationalen Museen reagierten auf die große Konkurrenz durch die Weltausstellungen mit einer zunehmenden Ausdifferenzierung des Museumswesens und zahlreichen Neugründungen. Wesentlicher Ansporn war dabei der Wunsch, die temporär auf den Ausstellungen gezeigten Zeugnisse der menschlichen Kultur auch dauerhaft zugänglich zu machen (Wörner, 1999, 237). Angesichts des großen Erfolges der von technischen Exponaten dominierten Welt- und Fachausstel-lungen, formierten sich vor allem die naturwissenschaftlich-technischen Museen endgültig zu einer eigenen Museumsgattung. So wurde etwa unter dem Einfluss der ersten Weltausstellung 1851 in London das industriell ausgerichtete South Kensington Museum18 gegründet, das über seinen dezidierten Bildungsauftrag zur „Integration von Arbeitern und Kleinbürgern in den englischen Staat“ (Hochreiter, 1994, 131) beitragen sollte und neben dem 50 Jahre zuvor gegründeten Conservatoire National des Arts et des Métiers in Paris schnell zum bedeutendsten Technikmuseum der damaligen Zeit aufstieg. In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurden schließlich „in nahezu allen entwickelten Industrieländern“ (Klein, 2004, 147) Technikmuseen gegründet: das Deutsche Museum in München (1903), das Technische Museum in Wien (1912) und die Technikmuseen in New York (1930) und Chicago (1936) sind nur einige Beispiele für diesen Museumsboom (Klein, 2004, 147). Die neuen technischen Museen orientierten sich an der Fortschrittseuphorie und Technikbegeisterung der Weltausstellungen, bemühten sich jedoch neben der Inszenierung neuester Technologien vor allem um eine historische Einordnung der Exponate in ihre Ursprungs- und Entwicklungsgeschichte. Dabei stützte sich die Arbeit der Museen auf den volkspädagogischen Grundgedanken, dass das gesammelte Fachwissen über den technischen Forschritt breiten Bevölkerungskreisen zur Verfügung stehen müsse (Ulbricht, 1994, 266). Beispielhaft für die neuartige Museumsdidaktik der Volksbildung im naturwissenschaftlich-technischen Museum ist die Gründungphase des Deutschen Museums in München, 18 Heute London Science Museum 20 nach eigener Darstellung heute „unstrittig das größte und bedeutendste Wissenschaftsund Technikmuseum der Welt“ und „Lieblingsmuseum der Deutschen“ (Felhammer, 2003a, 7). Der Bauingenieur Oskar von Miller (1855-1934), berühmter „Gründungsvater“ (Hochreiter, 1994, 126) des Museums, hatte seine ersten Erfahrungen mit dem zeitgenössischen Ausstellungswesen in den Jahren 1881 und 1891 bei der Organisation der elektrotechnischen Ausstellungen in München und Frankfurt gemacht und beschäftigte sich in der Folge erstmals mit der Idee einer Museumsgründung (Füßl, 2003, 63). Miller wollte durch die Gründung eines nationalen technischen Museums die Bedeutung der Naturwissenschaft und der Technik für die Kulturgeschichte der Menschheit dokumentieren und zu einer gesellschaftlichen Anerkennung der Leistung von einheimischen Wissenschaftlern und Ingenieuren beitragen (Füßl, 2003, 59-60). Das neue Museum sollte „eine Ruhmeshalle für die Männer werden, deren Forschung und Arbeiten wir in erster Linie den hohen Stand der heutigen Kultur verdanken“ so der Ingenieur Miller im Jahr 1903 (zitiert nach Hochreiter, 1994, 141). Doch die Gründung des „Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“ am 28. Juni 1903 kann nicht allein auf das Wirken von Oskar von Miller zurückgeführt werden, sondern entsprach vor allem „den Interessen lokaler, regionaler und nationaler Eliten“ (Hochreiter, 1994, 134). Hinter die Museumsgründung stellte sich vor allem der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), welcher die Arbeit seiner Mitglieder endlich mit dem Beitrag der traditionellen Bildungselite gleichgestellt sehen wollte (Hochreiter, 1994, 135). Während die Bedeutung der Technik im 19. Jahrhundert stetig zugenommen hatte, kämpften Ingenieure und Techniker im Kaiserreich nach wie vor um Anerkennung19 und erhofften sich von der geplanten Museumsgründung eine Würdigung ihrer Leistungen um den technischen Fortschritt. Außer auf die Unterstützung des VDI konnte sich Oskar von Miller auf einen Kreis bedeutender Fürsprecher aus Industriellen und Wissenschaftlern verlassen, die der Ingenieur im Vorfeld der Gründungsversammlung für sich eingenommen hatte20. Fürsprecher hatte der Museumsgründer außerdem in der bayerischen Regierung, die sich von der Museumsgründung einen bedeutenden Prestigegewinn für Bayern und die Stadt München versprachen (Füßl, 2003, 63). Da die technische Ausbildung im Allgemeinen als minderwertig gegenüber den klassischhumanistischen Fächern galt, mussten Ingenieure und Techniker um die Gleichstellung ihrer Qualifikation lange kämpfen. Erst 1899 wurde ihnen das Promotionsrecht eingeräumt und damit der Weg zu höheren Beamtenpositionen ermöglicht (Hochreiter, 1994, 136-137). 20 Vor allem die Vertreter der Industrie hatten großes Interesse an einer musealen Würdigung ihres Beitrages zum allgemeinen technischen Fortschritt. So entsandte sowohl der „Centralverband deutscher Industrieller“ als auch die Firma Siemens einen Vertreter in den Vorstandsrat des Museums (Hochreiter, 1994, 141). 19 21 Schwieriger gestaltete sich hingegen das Unterfangen, das neue Museum als gesamtdeutsches Projekt zu realisieren und sich die finanzielle wie inhaltliche Unterstützung der Reichsregierung zu sichern. Wie die Satzung betonte, sollte es sich beim Deutschen Museum um „eine deutsche Nationalanstalt“ handeln, „bestimmt, dem gesamten deutschen Volk zu Ehr’ und Vorbild zu dienen“ (Füßl, 2003, 81). Die geschickte Knüpfung entscheidender Kontakte zur Reichsleitung durch Oskar von Miller auf der einen und die Aufgeschlossenheit des Kaisers der Technik gegenüber auf der anderen Seite (Hochreiter, 1994, 151-154) führte schließlich dazu, dass Kaiser Wilhelm persönlich am 12. November 1906 die erste provisorische Ausstellung im Alten Nationalmuseum eröffnete und einen Tag später den Grundstein für das neue Museumsgebäude auf der Kohleinsel (heute: Museumsinsel) legte (Füßl, 2003, 64). Entgegen der anfänglichen Zweifel versprach sich die Reichsleitung nun von dem neuen Museum die „Förderung der deutschen Naturwissenschaften und Technik“ (Hochreiter, 1994, 151), sowie eine „machtvolle Demonstration der Einheit deutscher Bundesstaaten“ (Hochreiter, 1994, 153), um die weltpolitische Rolle Deutschlands zu unterstreichen. Aber auch an einer breiten „Popularisierung von natur- und ingenieurwissenschaftlichen Erkenntnissen“ (Hochreiter, 1994, 154) war man in Berlin interessiert, um die Weltmachtstellung des Kaiserreichs auch auf diesem Gebiet zu sichern. Obwohl bereits die provisorische Ausstellung äußerst erfolgreich war21 verzögerte sich der Bau des eigentlichen Museumsgebäudes durch den Weltkrieg und die anschließende schlechte wirtschaftliche Lage (Füßl, 2003, 66). Erst am 7. Mai 1925 konnte das neue Gebäude im Rahmen eines umfangreichen Wissenschaftsfestes und einem Festzug durch die Münchener Innenstadt offiziell eröffnet werden (Füßl, 2003, 67). Die Geschäftsführung und damit auch die inhaltliche Leitung des Museums hatte der Vorstand inne, der sich in den ersten Jahren aus Oskar von Miller, dem Mathematiker und Rektor der TH München Walther von Dyck (1856-1934) und dem Industriellen Carl von Linde (1842-1934) zusammensetzte (Füßl, 72). Zweck und Aufgabe des neuen Museums sah man laut Satzung vor allem darin, „die historische Entwicklung der naturwissenschaftlichen Forschung, der Technik und der Industrie in ihrer Wechselwirkung darzustellen und ihre wichtigsten Stufen insbesondere durch hervorragende und typische Meisterwerke zu veranschaulichen“ (Füßl, 2003, 81). In der Inszenierung der gesammelten Objekte als Meisterwerke zeigte sich unterdessen der Wille, die Verdienste von Industriellen, Ingenieuren und Wissenschaftlern als wichtigen Teil der Kulturgeschichte des Menschen zu würdigen. Die Botschaft lautete: 21 Schon im ersten Ausstellungsjahr 1907 kamen 211.000 Besucher (Füßl, 2003, 64). 22 „Nicht nur Künstler schufen Meisterwerke, sondern auch Techniker; nicht nur Philosophen hatten geniale Einfälle, sondern auch Erfinder; nicht nur die mittelalterliche Gesellschaft hinterließ Reliquien, sondern auch die zeitgenössische Technik“ (Hochreiter, 1994, 155). Die ideologische Ausrichtung der Museumsarbeit orientierte sich dabei bewusst an dem zeitgenössischen Kulturverständnis und lehnte sich damit an die Präsentation der populären Kunstmuseen an (Hochreiter, 1994, 172). Man versuchte die technischen Errungenschaften in den traditionellen Bildungskanon zu integrieren und ließ Technikgeschichte als „Tat der großen Männer“ (Hochreiter, 1994, 161) erscheinen. Die Darstellung der ‚Wechselwirkungen‛ zwischen Forschung, Technik und Industrie sollte durch die Gestaltung historischer Entwicklungsreihen erreicht werden, in denen besonders bedeutsame Exponate in chronologischer Abfolge aneinandergereiht wurden (Hochreiter, 1994, 160). Um ein lückenloses Bild der Stufen des technischen Fortschritts präsentieren zu können wurden hier auch erstmalig Replikate und Rekonstruktionen historischer Objekte eingesetzt (Hochreiter, 1994, 161). Dem logischen bzw. chronologischen Aufbau der Entwicklungsreihen wurde somit mehr Bedeutung beigemessen als dem Status der Objekte. Entsprechend begriff Oskar von Miller das Museum vor allem als Lehrbuch und sah in den Exponaten zunächst „bloße Illustrationen zu den Texttafeln“ (Hochreiter, 1994, 161). Der weiterhin allgemein herrschende Fortschrittsoptimismus sorgte außerdem dafür, dass die historischen Entwicklungsreihen bis zum „allerneuesten Produkt“ (Hochreiter, 1994, 160) der Gegenwart fortgesetzt wurden und dem Besucher den fortwährenden, linearen Aufstieg vom ‚Einfachen‛ zum ‚Kompliziertesten‛ suggerierte. Die Konzentration auf die Einzelpersönlichkeiten und die ehrfürchtige Inszenierung ihrer technischen Meisterwerke hatten erheblichen Einfluss auf die didaktische Ausrichtung des Museums und führten zu einer „technikimmanenten Darstellungsweise“ (Hochreiter, 1994, 161). Volksbildung im Technikmuseum bedeutete die bloße Erklärung der Funktionsweise der ausgestellten Objekte und ihrer Bedeutung in der Technikgeschichte; eine kontextuelle Einbettung der Technik in den wirtschaftliche, sozialen oder kulturellen Zusammenhang fand nicht statt. Prominentester Kritiker der einseitigen Inszenierungsstrategie Millers war der Charlottenburger Professor Alois Riedler (18501936), der als Delegierter des Reichskanzlers dem Vorstandsrat des Museums angehörte (Hochreiter, 1994, 163) und seine Zweifel folgendermaßen ausdrückte: „Ihre Systematik berücksichtigt überwiegend nur die zufälligen Gestaltungen der Technik auf ihrem Entwicklungswege. […] Auf solchem Wege lassen sich daher wohl die Äußerlichkeiten der Technik für Laien und Fachleute anschaulich darstellen, der innere Wert 23 des Dargestellten wird aber naturgemäß sehr gering sein. Nun sind aber Maschinen und Apparate, Brücken und Instrumente und alles, was sie innerhalb Ihrer Systematik darstellen können, immer nur Hilfsmittel der Technik. Der innere Wert der Entwicklung kommt nicht oder nicht genügend zur Darstellung, weil die Darstellung der Wirkungen der Technik vollständig oder im Wesentlichen fehlt. Auf die Wirkungen im weitesten Sinne, nicht bloß im engen technischen Sinne, kommt es aber vor allem an. […] Außerdem ist in rein technischer Hinsicht maßgebend, dass Erfindungen selten aus reiner Geistestätigkeit entspringen, sondern meist aus tatsächlichen Bedürfnissen, auf Grund deren der Fortschritt meistens mehr gefunden als erfunden wird. […] Ein technisches Museum muss Sammelpunkt für die Darstellung einer wirklichen Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Menschengemeinschaft sein; dann muss es aber eine eindringliche und einigermaßen genügende Darstellung der Kulturzustände geben, die durch die Technik herbeigeführt wurden“ (Riedler 1905, zitiert nach Hochreiter, 1994, 163). Wie im Laufe dieser Arbeit noch zu zeigen sein wird22, nehmen zeitgenössische Ausstellungen zur Geschichte des Computers immer wieder Bezug auf die Vorgeschichte der klassischen Rechenhilfsmittel, Rechenstäbe und mechanischen Rechenmaschinen. Die Geschichte des Computers wird im umfassenderen Kontext der Geschichte des menschlichen bzw. automatisierten Rechnens erzählt. Entsprechend lassen sich bereits unter den verschiedenen Themengebieten der neu gegründeten nationalen Technikmuseen Ausstellungsbereiche finden, die man aus heutiger Sicht als „Vorläuferausstellungen der Computerausstellungen“ (Hashagen, 2005, 4) interpretieren kann. So gab es bereits im Jahr 1926 im Technikmuseum in London eine Ausstellung mit dem Titel „Calculating Machines and Instruments“, die sich mit Themenbereichen wie „Calculating Machines“ und „Difference and Analytical Engines“ unter anderem mit dem britischen Erfinder Charles Babbage beschäftigte (Hashagen, 2005, 5). Im Conservatoire des Arts et des Métiers in Paris folgte man 1942 mit einer ähnlichen Ausstellung unter dem Titel „Instruments et machines à calculer“ (Hashagen, 2005, 5). Vor den beiden europäischen Konkurrenten hatte sich jedoch das Deutsche Museum bereits bei der Eröffnung des Neubaus und eigentlichen Museumsgebäudes im Jahr 1925 dem Thema ‚Rechnen und Rechner‛ in seiner Mathematikausstellung gewidmet. Der Mathematiker und Rektor der TH München Walter von Dyck, der gemeinsam mit Oskar von Miller und Carl Linde den Vorstand des Museums bildete, hatte sich schon früh bemüht „der Mathematik eine Rolle im Deutschen Museum zu verschaffen“ (Hashagen, 2005, 5), da sie seiner Meinung nach einen entscheidenden Teil der modernen Wissenschaften und Technik darstellte. Von Dyck war sich allerdings stets bewusst, dass die Ausstellung einer naturwissenschaftlichen Disziplin im Museum aufgrund ihrer Abstraktheit und Komplexität nur unzulänglich ausfallen kann. Entsprechend antwortete er 22 Siehe dazu auch Kapitel 3.1 dieser Arbeit. 24 anlässlich der Eröffnung des neuen Museumsgebäudes auf die Kritik seiner Fachkollegen: „Wesen, Inhalt und Ziele der mathematischen Forschung in ihrer Gesamtheit vor Augen zu führen, kann nicht Aufgabe eines Museums sein; aber die Richtungen, nach welchen das sinnliche Objekt in der Mathematik Selbstzweck ist oder als Mittel zum Zweck dient, können aufgewiesen werden. Damit ist, wenn auch nur ein kleiner Teil der Mathematik, so doch ein großer Kreis von mathematischen Fragestellungen bezeichnet, welche seit alten Zeiten den Geist des Menschen angezogen haben und die er mit Phantasie und Scharfsinn zu lösen sich bemühte“ (von Dyck 1925, zitiert nach Petzold, 2003, 208). Die Ausstellung war unterteilt in die vier Themengebiete „Elementare und höhere Geometrie“, „Anwendung der Geometrie in der Analysis“, „Angewandte Mathematik“ und „Mechanisierung des Zeichnens und Rechnens“ (Hashagen, 2005, 5). Zentrale Exponate waren „mathematische Objekte“, die mechanische Rechenmaschinen, Rechenstäbe, Planimeter und harmonische Analysatoren umfassten (Hashagen, 2005, 5). Ein großer Teil der mathematischen Objekte aus der Ausstellung von 1925 wurde 1988 in die Ausstellung „Informatik“ integriert und dient nun zur Präsentation der Vorgeschichte des Computers23. Zum Bereich der Automaten und Automatiken, der ebenfalls in der heutigen Informatik-Ausstellung als eine Entwicklungslinie zum modernen Computer zur Geltung kommt, wurde in der Mathematik-Ausstellung von 1925 noch keine Verbindung hergestellt. So wurde der berühmte Trompeter-Automat von Friedrich Kaufmann, heute ein zentrales Exponat der Informatik-Ausstellung (Bauer, 2004, 148), 1925 in der Abteilung Musikinstrumente gezeigt (Hashagen, 2005, 5). Abbildung 4: Ausstellung "Mathematik" im Deutschen Museum (1925) 23 Siehe Kapitel 2.3 dieser Arbeit. 25 2 Computer sammeln − Computer ausstellen „Regardless of what the coming decades bring, however, I believe that the story of computing from the end of World War II to the mid-1990s will come to be seen as beginning one of the great transformations of American life, and I also believe that now is a good time to start telling that story“ (Ceruzzi, 1998, x). Die technischen Transformationen und Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden gemeinhin als Schritte auf dem Weg von der Industriegesellschaft zur „Informationsgesellschaft“ (Flusser, 1997, 143) interpretiert. Im Zentrum dieses technologischen und gesellschaftlichen Wandels steht die Entwicklungsgeschichte des modernen Computers. Kein anderer Gegenstand verkörpert den Aufstieg der Informationstechnologie in den letzten Jahrzehnten so sehr wie die ‚universelle Maschine‛, die im medialen Alltag selbstverständlich und allgegenwärtig geworden ist. Die „überragende Gegenwartsbedeutung der Informationstechnik“ (HNF, 2000, 3) macht den Computer dabei zu einem attraktiven Ausstellungsobjekt für Firmen- und Technikmuseen. Die Geschichte der digitalen Maschine will erzählt werden. Das folgende Kapitel wirft einen Blick auf die Geschichte des Computers als Ausstellungsobjekt und nennt die wichtigsten Ausstellungen zur Geschichte des modernen Computers im angloamerikanischen und europäischen Raum24. Dabei treten zwei Gruppen als Initiatoren von Computerausstellungen bzw. Computermuseen besonders in Erscheinung. Während Unternehmen und einzelne Personen aus der Computerindustrie von jeher ein großes Interesse an der Darstellung und Würdigung ihrer Beiträge zur Geschichte des Computers im Rahmen öffentlicher Ausstellungen haben, versuchen die Technikmuseen ihrer traditionell fortschrittsbegleitenden Funktion nachzukommen und die nationale Entwicklungsgeschichte des Computers einem breiten Publikum zu ‚erklären‛. Neben diesen zwei wesentlichen Interessengruppen kommen auch immer wieder Initiativen zu Ausstellungsgestaltungen aus dem Umfeld der Universitäten und technischen Fachhochschulen, die zum Teil sogar eigene Sammlungen und Ausstellungen betreiben. Nicht zuletzt gehen viele wichtige Impulse auf engagierte Privatsammler zurück, aus deren Sammelleidenschaft und ehrenamtlicher Initiative zahlreiche kleine Computerausstellungen und -museen entstanden sind. 24 Die Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit Ausstellungen zur Geschichte des Computers in naturwissenschaftlich-technischen Museen bzw. eigenen (historischen) Computer- und Firmenmuseen, mit Ausstellungen also, die auf ‚musealen Sammlungen‛ beruhen. Unberücksichtigt bleiben daher sowohl andere nicht-museale Ausstellungstypen (z.B. Fachmessen, Großausstellungen oder Science Centres) als auch museale Ausstellungstypen, die zwar Computerexponate zeigen, aber nicht explizit die Geschichte des Computers zum Thema haben (z.B. Kommunikationsmuseen, Designmuseen, Medienkunstzentren, etc.). Zur Abgrenzung musealer und nicht-musealer Präsentationen („Schaustellungen“) siehe Waidacher (2005, 121-122). 26 Es fällt auf, dass bei der musealen Darstellung von Computergeschichte zwei Richtungen vorherrschen. Zum einen versuchen die Firmen-, Technik- und Universitätsmuseen die Entwicklungsgeschichte des Computers zu ‚erzählen‛ und dramaturgisch aufzubreiten. Andererseits haben sie das Bestreben die komplexe digitale Technologie historisch zu ‚erklären‛ und den Computer zu ‚entmystifizieren‛. Der folgende Überblick zeigt, dass beide Richtungen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr nebeneinander in den Ausstellungskonzeptionen der Museen auftreten können. 2.1 Eine Frage der Perspektive − Die erste Ausstellung zur Computergeschichte Die erste große Ausstellung zur Computergeschichte geht auf die Initiative eines der größten und kommerziell erfolgreichsten Unternehmen der Computergeschichte zurück. Bei Industrial Business Machines (IBM), Anfang der 70er Jahre der größte Computerhersteller der Welt, hatte man früh erkannt, dass sich durch die Inszenierung der Computergeschichte im Rahmen einer Ausstellung, die eigenen Anteile an dieser ‚Erfolgsgeschichte‛ einem breiten Publikum darstellen ließen und man somit Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung des Unternehmens nehmen konnte. Man beauftragte das renommierte Designbüro der Brüder Charles (1907-1978) und Ray Eames (1912-1988) mit der Gestaltung der Ausstellung und entschied sich für das eigene IBM Exhibit Centre in New York als Ausstellungsort. Als „A Computer Perspective“ im Jahr 1971 eröffnete, konnten die Ausstellungsbesucher erstmals eine umfangreiche Inszenierung der Geschichte des modernen Computers bestaunen25. Die Gebrüder Eames sahen den Computer als Resultat eines komplexen Netzwerkes von innovativen Kräften auf der einen und sozialen wie technischen Zwängen auf der anderen Seite. Die immer neuen Versuche, die Probleme aus „Wirtschaft und Industrie, Wissenschaft und Technik, Erziehung, Psychologe und Politik“ (Eames & Eames, 1973, 6) zu lösen, führten demnach schließlich als eine „natürliche Folge“ menschlicher Lebensbewältigung zu der Erfindung des Computers. „By 1950 the computer had appeared in essentially its present form. But even those closest to it were unprepared for what would follow. The computer’s spectacular growth – in numbers, in capability, in application – came as one of the great surprises of modern times. What may not be surprising, but can be heartening, is that the computer appears to be the result of many people trying to solve many problems in many fields − as 25 Siehe den begleitenden Ausstellungskatalog von Charles und Ray Eames (1973) mit einer Einführung des Wissenschaftshistorikers Bernard Cohen: „A Computer Perspective. By the office of Charles & Ray Eames“. 27 a natural consequence of getting on with the business of life in general” (Eames & Eames, 1973, 161). Dieser Konzeption folgend wurden auf der zentralen Installation der Ausstellung, einer über zwei Meter hohen „History Wall“, die komplexen Ursprünge des Computers dargestellt, unterteilt in sechs Abschnitte, von denen jeder eine Dekade zwischen 1890 und 1950 behandelte. In eine dreidimensionale Gitterkonstruktion wurden für jeden Abschnitt Dokumente, Fotografien und originale Exponate integriert. Der Ausstellungsbesucher, der sich entlang der Wand chronologisch durch die Computergeschichte bewegte, hatte durch die dreidimensionale Konstruktion den Eindruck, dass die Exponate aus dem Hintergrund der Installation im Vorbeigehen erschienen und wieder verschwanden und somit den Lauf der Zeit simulierten (Eames & Eames, 1973, 7). Abbildung 5: „History Wall“, zu sehen auf der IBM-Ausstellung „A Computer Perspective“ (1971) Zur Orientierung in der komplexen Anordnung von Objekten, Texttafeln und Fotografien wurde eine Reihe didaktischer Hilfsmittel eingesetzt: „a series of guides and a system of color coding showed the main lines of development which only patient study and research may unravel from historical events“ (Eames & Eames, 1973, 7). Als „zwingenden Anfangspunkt“ ihrer Genealogie des Computers wählten die Ausstellungsdesigner die Volkszählung 1890 in den Vereinigten Staaten, da hier erstmals das elektro-mechanische Lochkartensystem von Herman Hollerith (1860-1929) zum Einsatz kam und die „information-handling revolution“ einleitete (Eames & Eames, 1973, 8). Da Hollerith später die Tabulating Machine Company gründete, eine der Organisationen aus denen sich IBM entwickelte, fallen hier der Anfang der Computergeschichte und der Beginn der IBM Firmengeschichte wohl nicht zufällig zusammen (Hashagen, 2005, 6). 28 Die Chronologie der Ausstellung endete im Jahre 1950, da hier aus Sicht der Ausstellungsdesigner die „computer revolution“ mit der „ersten Generation moderner Computer“ (Eames & Eames, 1973, 8) vollständig eingeleitet war. Der entscheidende Innovationsschritt zur Erfindung des modernen Computers gelang demnach John von Neumann (1903-1957) in seinem Bericht zum EDVAC, in welchem er die später nach ihm benannte Rechnerarchitektur aus Steuerung, Rechenwerk, Speicher sowie Ein- und Ausgabe beschrieb26. Das zugrunde liegende historische Konzept der Ausstellung berücksichtigt nicht nur die reine Technikgeschichte des digitalen Rechners, sondern beschäftigt sich vor allem mit den Menschen, die durch ihre persönlichen Leistungen und Visionen die Entwicklung des Computers vorangetrieben haben: „We are reminded that the computer is the product of men’s minds and hands, and that the manifest complexities of its influence upon our lives reflect the incredible variety and complexity of sources from which it has sprung“ (Eames & Eames, 1973, 6). Drei zentrale Innovationsfelder wurden in diesem Spannungsfeld zwischen technischer und soziokultureller Entwicklungsgeschichte in den Vordergrund gerückt: Die Entwicklungsstränge „logical automata“, „statistical machines“, und „calculators“ (Eames & Eames, 1973, 7) veranschaulichten die elementaren Konzepte Selbstregulierung, Informationsverarbeitung und Recheninstrumente, die in der Erfindung des Computers aufgehen. Erstmalig wurde auch die Geschichte der Automaten und Automatiken als Teil der Vorgeschichte des Computers aufgefasst (Hashagen, 2005, 6). Die überaus erfolgreiche Ausstellung „A Computer Perspective“ gilt als „Meilenstein der Ausstellungsgeschichte der Computerausstellungen“ (Hashagen, 2005, 6) und erscheint aus heutiger Sicht wie eine Art vorläufige Zwischenbilanz. Akzeptiert man eine teleologische Auffassung der Technikgeschichte des Computer, wie die Brüder Eames sie mit ihrer Ausstellung suggerieren, so ließe sich der Entwicklungsschritt zum digitalen Rechner im Jahre 1950 aus unserer heutigen ‚Perspektive‛ wohl eher als ein Etappenziel unter vielen bezeichnen, auf dem Weg zu der Technologie, die uns heute im medialen Alltag begleitet. Es war daher eine Stärke von „A computer Perspective“, den Besucher bereits durch den Titel der Ausstellung darauf hinzuweisen, dass die Inszenierung der 26 Mit dem EDVAC entwarf John von Neumann eine Weiterentwicklung des berühmten ENIAC, dem ersten programmierbaren Rechner mit Vakuumröhren. Im Unterschied zum ENIAC war es beim EDVAC erstmals möglich ein Programm anhand vorgestanzter Lochkarten direkt in den Computer einlesen zu lassen und somit immer wieder zu verändern. Diese Anpassungsfähigkeit macht den Computer erst zur „universellen Maschine“. Die „von Neumann-Architek-tur“ beschreibt den Aufbau von fast allen heute genutzten Computern (Wurster, 2002, 20-23), siehe auch Kapitel 3 dieser Arbeit. 29 Brüder Eames nur eine Perspektive zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die Geschichte des Computers darstellte. Und in der Tat ereigneten sich gerade Anfang der siebziger Jahre mit der Erfindung der Mikrochiptechnologie27, der Einführung neuer InterfaceTechnologien28 und ersten Heim-Computern29 weitere ‚Revolutionen‛ der Computertechnologie, welche die gesellschaftliche Perspektive auf den Computer entscheidend verändern sollten. Ein großer Erfolg war die Ausstellung vor allem für den Auftraggeber IBM. Das große Interesse auf einem Gebiet der Computertechnologie als ‚Erster‛ oder ‚Vorreiter‛ dazustehen, machte die chronologische bzw. genealogische Darstellung der Computergeschichte für das Unternehmen höchst attraktiv. Neben dem Imagegewinn und der Steigerung der Anerkennung, hat das Interesse ‚Erster‛ zu sein dabei vor allem wirtschaftsrechtliche Gründe, wie der amerikanische Historiker und Kurator Steven Lubar anführt: „The patent system is, after all, based on history – or rather chronology – and the computer industry has seen several major patent fights. ‘History‛ is of great importance when patents covering products with multimillion-dollar sales are at stake“ (Lubar 1986, 98-99). IBM ließ weitere Ausstellungen zur Computergeschichte folgen und gründete später sogar ein eigenes Firmenmuseum (Lubar, 1986, 98). 2.2 Zwischen Firmengeschichte und Spaßpädagogik − Das erste Computermuseum Es überrascht kaum, dass die Geschichte des weltweit ersten Computermuseums ebenfalls im Hause eines der bedeutendsten Unternehmen der Computergeschichte beginnt. Im Jahre 1973 rettete Kenneth H. Olsen (*1926), Gründer und Präsident der Digital Equipment Corporation (DEC)30, gemeinsam mit Bob Everett (*1921) den berühmten Whirlwind-Computer vor der Verschrottung. Olsen hatte Anfang der 50er Jahre noch Der Firma Intel gelingt es 1971 mit dem 4004 den ersten Mirkoprozessor der Welt zu bauen (Ceruzzi, 1998, 220). 28 1973 ist der Alto der erste Computer, der durchgängig Grafik für die Kommunikation mit seinem Anwender einsetzt. Außerdem verfügte das Alto-System über einen hochformatigen Grafikbildschirm als Repräsentation eines Papierblatts, und eine Erfindung von Douglas Engelbert aus dem Jahr 1968: die Maus (Ceruzzi, 1998, 260-263). 29 Der zunächst als Bausatz angebotene Altair 8800 wird in den USA 1974 zu einem kommerziellen Erfolg als der erste Computer, der so klein und billig ist, dass man ihn sich als Privatperson zulegen kann (Ceruzzi, 1998, 232). 27 30 Digital Equipment Corporation wurde 1957 von Ken Olsen gegründet und brachte 1965 mit dem PDP-8 den ersten Minicomputer mit integrierten Schaltkreisen auf den Markt. Das innovative Arbeitsumfeld und die engen Verbindungen mit den Forschungseinrichtungen des MIT machten DEC vorübergehend zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für IBM (Ceruzzi, 1998, 127-141). 30 selbst an der Umrüstung des Whirlwind von Speicherröhren auf die zuverlässigere Kernspeichertechnologie mitgewirkt und arbeitete, wie auch die meisten späteren Angestellten von DEC, als Student für das Lincoln Laboratory am MIT (Ceruzzi, 1998, 127). Nach der Rettung des Whirlwind dachte Olsen erstmalig über einen Ort nach, an welchem man solche Schätze der Computergeschichte dauerhaft konservieren und ausstellen könnte (Bell, 1982). Nach dieser Initialzündung erwarb Olsen den TX-0, Vorgänger des PDP-1, und konnte seine zunächst kleine Sammlung durch einige Spenden aus der Industrie um weitere ‚Klassiker‛ erweitern, die ohne seine Engagement wohl auf dem Müll gelandet wären (Bell, 1982). Zur gleichen Zeit dachte Gordon Bell, Mitarbeiter bei DEC, ebenfalls über die Gründung eines Computermuseums nach. Bell beschäftigte sich intensiv mit der Entwicklungsgeschichte des Computers und hatte von zahlreichen Reisen viele ausrangierte Computerteile und alte Rechenmaschinen mitgebracht, die er zunächst in seinem Büro ansammelte (Bell, 1982). Nach einigen Jahren waren die Sammlungen von Bell und Olsen soweit angewachsen, dass man sich bei DEC zum 25. Geburtstag des Unternehmens dazu entschloss, ein gerade erworbenes Gebäude für ein Firmenmuseum zur Verfügung zu stellen. Am 23. September 1979 feierten Ken Olsen und Gordon Bell die Eröffnung des ersten Computermuseums der Welt, dem Digital Computer Museum in Marlboro (Massachusetts) (Bell, 1982). Unter den ersten Exponaten des Museums fand sich auch der Whirlwind wieder, dem der Besucher als erstes Exponat der Ausstellung begegnete. Wie Steven Lubar später bemerkte, ließ das Digital Computer Museum, welches noch immer ausschließlich von der DEC finanziert wurde, zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran, dass es sich bei dem Whirlwind um den „wichtigsten der frühen modernen Computer handelte“ (Lubar, 1986, 100). Gwen Bell, die erste Direktorin des Museums, nannte als die zentralen Aufgaben des Museums die Konservierung historisch bedeutsamer Objekte der Computergeschichte und die Ausstellung dieser Exponate für die interessierte Fachöffentlichkeit: „The major purpose of the Museum is the historical preservation of the evolution of computers […] Revealing the intrinsic beauty and functionality of the exhibited machines is our challenge and goal. The main audience for the historic and archival collections are computer scientists, programmers, history buffs, and those with a curiosity about computer evolution” (Bell, 1982). 31 Nachdem das Firmenmuseum 1982 in ein öffentliches Computermuseum umgewandelt wurde, entschied man sich für den Umzug in ein renoviertes Hafengebäude in Boston31, in welchem sich bereits das Boston Science Museum für Kinder befand. Rund 5500 qm2 Fläche auf zwei Stockwerken standen zur Verfügung, als das Boston Computer Museum (BCM) 1983 eröffnete. Den Anfang der Ausstellung bildete wiederum der Whirlwind, nun aber gemeinsam ausgestellt mit seinem Nachfolgemodell IBM AN/FSQ-7 und dem UNIVAC1 von Remington Rand − ein Zeichen dafür, dass sich das Museum langsam von dem Einfluss der DEC löste (Lubar, 1986, 101). Ohne den Stellenwert dieser historischen Großrechner in der Computergeschichte durch Texttafeln näher zu erläutern, setzte man im BCM diesmal auf die Gegenüberstellung von alter und neuer Computertechnologie. So stellte man zum Beispiel dem Whirlwind einen zeitgenössischen Personalcomputer gegenüber, der dieselben Rechenoperationen wie der historische Großrechner in einem Bruchteil der Zeit durchführen konnte (Bell, 1984/85). Neben dieser auch für spätere Computermuseen charakteristischen Inszenierungsstrategie32, griff man allerdings auch im BCM wieder auf die obligatorische chronologische Zeittafel zur Darstellung der Computergeschichte zurück und präsentierte die Entwicklung des Computers von 1950 bis 1969 (Bell, 1984/85). Beginnend mit der Erfindung des Transistors und abschließend mit den ersten integrierten Schaltkreisen, sollte ähnlich wie bei „A Computer Perspective“ beim Besucher der Eindruck eines Gangs durch die Geschichte evoziert werden: „The timeline is meant to be evocative of a walk through history. We hope that it will also bring to light many hitherto buried artefacts for preservation as part of the history of information processing“ (Bell, 1984/85). Steven Lubar bemängelte in seiner Ausstellungsrezension aus dem Jahr 1986 an dieser chronologischen Präsentation der Computergeschichte, dass das BCM nur die technischen Fakten zeige und die soziokulturellen Faktoren vernachlässige: „The history of computers presented at the Computer Museum is, for the most part, a history of machines, not a history of people“ (Lubar, 1986, 102-103). Während das Boston Computer Museum und sein Vorgänger sich in den ersten Jahren vor allem auf die Aufgaben der Konservierung und historischen Aufbereitung der Sammlung konzentrierten, nahm man in den folgenden Jahren auch das für TechnikmuFür die Geschichte des inzwischen geschlossenen Boston Computer Museum siehe die Selbstdarstellung des daraus hervorgegangenen Computer History Museum in Mountain View, Kalifornien: http://www.computerhistory.org/about/press_relations/background/ (26.03.2005). 32 Mit dem ENIAC-Exponat wird in Kapitel 4.2 dieser Arbeit ein weiteres Beispiel für die Gegenüberstellung von Großrechner und Mikrocomputer besprochen. 31 32 seen charakteristische Element der Volksbildung in die Ausstellungsgestaltung auf und versuchte dem Besucher die Funktionsweise des modernen Computers zu erklären. In der Anfangsphase des BCM diente hierzu zunächst eine Rekonstruktion des SAGE Computer Rooms33, anhand dessen für gewöhnlich die üblichen Komponenten moderner Computer von Mitarbeitern des Museums erklärt wurden (Lubar, 1986, 101). Abbildung 6: Der SAGE Computer Room im Boston Computer Museum (1986) Verantwortlich für diese, in den folgenden Jahren stark zunehmende, didaktische Ausrichtung des Boston Computer Museum war vor allem Oliver Strimpel, der 1984 vom Science Museum London als Kurator zum BCM wechselte und 1990 den Posten des Museumsdirektors übernahm. Strimpel verhalf dem Computermuseum Anfang der Neunziger Jahre zu einem internationalen Bekanntheitsgrad, als er mit der Installation eines riesigen Walk-Through-Computers für viel Aufmerksamkeit sorgte (DER SPIEGEL, 24/1990, 226-228). Finanziert durch die Computerindustrie, war die Konstruktion des 492 qm großen und 1,2 Millionen Dollar teuren „Riesencomputers“ Strimpels fragwürdiger Versuch das Problem der hohen Komplexität des modernen Computers und die damit verbundene Unverständlichkeit der technischen Prozesse für den ‚normalen‛ Besucher durch schiere Größe zu umgehen. Er wollte einen Rechner schaffen „der groß genug ist, dass sich Laien davor nicht mehr so klein vorkommen“ und dem Besucher vermitteln „dass eben kein Geist in solchen Kisten sitzt“ (DER SPIEGEL, 24/1990, 227). Hatte sich der Besucher über die „acht Meter lange Tastatur“, vorbei an „1,20 Meter hohen Speicherchips und einem besenkammergroßen Speicherplattenlaufwerk“ 33 Im Rahmen des amerikanischen SAGE-Projektes (Semi Automatic Ground Environment) wurden in den fünfziger Jahren 22 Computer über Telefonleitungen an tausende Radaranlagen angeschlossen, um deren Signale zu analysieren und Abwehrwaffen gegen Eindringlinge zu lenken (Darius, 2001, 686). 33 vorgearbeitet erwartete ihn im Mittelpunkt der Installation der „Makrochip“, an welchem die Besucher die Funktionsweisen moderner Mikroprozessoren auf einem eingelassenen Bildschirm verfolgen konnten34 (DER SPIEGEL, 24/1990, 227). Aber auch der altgediente Whirlwind kam zu neuen Ehren, als man versuchte den erfolgreichen museumspädagogischen Ansatz in eine historische Inszenierung der Computergeschichte einzubinden. Im Juni 1991 eröffnete das BCM die Dauerausstellung „People and Computers: Milestones of a Revolution“, die anhand von neun „Meilensteinen“ die Entwicklungsgeschichte des Computers von den frühen Lochkartensystemen im Jahre 1930 bis zu den modernen Mikrocomputern der 90er Jahre Abbildung 7: Oliver Strimpel auf der Tastatur des Walk-Through Computers präsentierte (Abbate, 1993, 665). Jeder der neun historischen Computer wurde dabei in einer Re- konstruktion seines ursprünglichen Anwendungsumfeldes ausgestellt, welche man durch einen „Zeittunnel“ (Abbate, 1993, 665) betreten konnte, der den Besucher durch zeitgenössische Musik und Fotografien auf den historischen Hintergrund des jeweiligen Exponates einstimmte. Ergänzt wurden die eigentlichen Ausstellungsobjekte zudem durch Videoeinspielungen und Texttafeln, welche die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Computer darstellten (Abbate, 1993, 666). Der Whirlwind wurde auf diese Weise unter dem Titel „Nachwirkungen des Krieges“ (Abbate, 1993, 667) als militärische Rechenmaschine problematisiert. Von einer lebensgroßen Offiziers-Puppe „bedient“, ließ die Rekonstruktion des Whirlwind-Control-Room den Museumsbesucher am eigenen Leib die Hitze einer „echten Vakuumröhre“ spüren (Abbate, 1993, 667). In einem kleinen Computerspiel konnte man außerdem versuchen mit und ohne Unterstützung des 34 Als bekanntes ‚Markenzeichen‛ des Boston Computer Museum wurde der Walk-Through-Computer im Jahr 1995 überarbeitet. Entgegen dem Willen von Oliver Strimpel änderte sich dabei auch die didaktische Ausrichtung des Exponates. Stand bei der Original-Version noch das Verständnis der technischen Informationsprozesse innerhalb der Rechenmaschine im Vordergrund, konzentrierte man sich nun auf die Funktionalität des modernen Computers. Dazu Oliver Strimpel: „What seemed important to them when we went to our second version, was explaining the functionalities – what a disk drive does, what a CD-ROM player does, not how the chip worked. The revised exhibit does not attempt to give explanations at different levels” (Turkle, 1997). Von kritischen Reaktionen auf die pädagogische Wirkung des Exponates berichtet unterdessen Sherry Turkle. Demnach berichtete der Lehrer einer Schulklasse: „With the walk-through computer, you get a keyboard big enough to sit on. For these kids, it’s just part of taking for granted that you can make a computer bigger and bigger but that doesn’t mean you can see it better“ (Turkle, 1997). 34 Whirlwind auf ein feindliches Objekt zu zielen und so die militärische Notwendigkeit des Großrechners begreifen (Abbate, 1993, 667). Abbildung 8: Nachbau des Whirlwind-Control-Room mit Operator-Puppe (1993) Einen erneuten, groß angelegten Versuch den „Computer zu entmystifizieren“ und für ein breites Publikum „das Unsichtbare sichtbar zu machen“ unternahm Oliver Strimpel im Jahr 1994 mit der Ausstellung „The Networked Planet“ (DER SPIEGEL, 45/1994, 224-225). Abermals von großen Unternehmen der Computerbranche wie Apple und Hewlett-Packard finanziert, wollte der Museumsdirektor den globalen Datentransfer im Internet erfahrbar machen und schleuste den Museumsbesucher durch eine Art Datengeisterbahn: „Wir deklarieren den Besucher zum Datenpaket, damit er ein Gefühl für den Informationstransport im Netz bekommt“, brachte der Ausstellungsleiter David Greschler das Konzept auf den Punkt (zitiert nach DER SPIEGEL, 45/1994, 225). Man erkannte schließlich am Boston Computer Museum, dass die Bewältigung beider Aufgabenfelder ‚Sammeln‛ und ‚Ausstellen‛ in einem Hause durch den steigenden Aufwand und die wachsende Sammlung langfristig nicht zu leisten war und gründete im Jahr 1996 das Computer Museum History Center im Silicon Valley in Kalifornien. Das neue Institut sollte die archivarischen Aufgaben des Museums übernehmen, während man in Boston weiterhin Teile der Sammlung ausstellen wollte. Als jedoch wenige Jahre später Museumsdirektor Oliver Strimpel von seinem Posten zurück trat, verlor das Boston Computer Museum seine Eigenständigkeit und wurde 1999 an das Boston Museum of Science angegliedert, welches noch heute einige der Exponate aus der Zeit des BCM 35 ausstellt35. Die andere Hälfte der Sammlung hingegen ging an das Computer Museum History Center, welches später seinen Namen in Computer History Museum änderte und im Jahr 2002 ein neues Gebäude in Mountain View in Kalifornien bezog. Während das Computer History Museum sich zurzeit hauptsächlich seinen konservatorischen Aufgaben widmet, bietet es neben Vorlesungen und Workshops zur Computergeschichte auch Führungen durch das riesige Depot an, welches über 4000 Objekte umfasst36. Die Eröffnung einer öffentlich zugänglichen Dauerausstellung ist für das Jahr 2005 geplant. 2.3 Durch die nationale Brille − Computergeschichte im Technikmuseum Mit der weltweit zunehmenden Verbreitung und Popularisierung der Computertechnologie Ende der 80er Jahre stieg auch die Zahl der Ausstellungen zur Computergeschichte, die sich bis heute großer Beliebtheit erfreuen. Gingen die ersten Bemühungen einer musealen Präsentation des Computers zunächst, wie bereits dargestellt, auf Initiativen der Computerindustrie zurück, die ihre Produkte durch Einordnung in eine historische Fortschrittslinie öffentlich präsentieren wollten, waren es nun vor allem die nationalen Technikmuseen, die sich in umfangreichen Ausstellungen dem ‚Siegeszug‛ des Computers widmeten. Dass diese Ausstellungen in der Regel der traditionell nationalstaatlichen Perspektive der Museen unterlagen, zeigt ein Blick auf eine der umfangreichsten Ausstellungen zur Geschichte der Informations- und Kommunikationstechnologie in den USA, die 1990 bezeichnenderweise am National Museum of American History37 (NMAH) in Washington eröffnet wurde. Auf einer Fläche von 1300 qm2 präsentiert „Information Age: People, Information and Technology“ an über 900 Exponaten die „technische Evolution der elektronischen Informationstechnologie“38 von der Erfindung der Telegrafie in den 30er Jahren des 19. So zum Beispiel den Virtual FishTank, an welchem Besucher ihre eigene Fischart virtuell züchten und betreuen können, um gleichzeitig den Umgang mit innovativen grafischen Oberflächen und EchtzeitAnimationen zu erlernen. Für eine Selbstdarstellung des Museum of Science (Mos) siehe: http://www.mos.org (14.04.05). 36 Seine zentrale Aufgabe beschreibt das Computer History Museum wie folgt: „To preserve and present for posterity the artifacts and stories of the Information Age“. Für eine Selbstdarstellung des Museums siehe: http://computerhistory.org (14.04.05). 37 1964 als Museum of History and Technology und Teil der Smithonian Institution gegründet, wurde es 1980 in National Museum of American History umbenannt. Das Museum sieht seine Aufgabe seitdem darin „to inspire a broader understanding of our nation and its many people“. Populäre ständige Ausstellungen widmen sich einschlägigen Themengebieten wie: “The Price of Freedom: Americans at War”, “The American Presidency: A Glorious Burden” oder “First Ladies: Political Role and Public Image”. Zur Selbstdarstellung des NMAH siehe: http://americanhistory.si.edu/about/ (16.04.05). 38 Für eine Eigendarstellung der Ausstellung siehe: http://americanhistory.si.edu/exhibitions/exhibition.cfm?key=38&exkey=56 (16.04.05). 35 36 Jahrhunderts über Telefon, Radio und Fernsehen bis zur modernen Datenverarbeitung durch den digitalen Computer. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht dabei die Frage, wie sich die amerikanische Gesellschaft durch den Aufstieg des Informationszeitalters verändert hat und welchen Einfluss soziale Faktoren wie „Wirtschaft, Politik, Kriegsführung und Anwenderverhalten“ auf die Transformationen innerhalb der Informationstechnologie gehabt haben. Auch wenn „Information Age“ sich nicht ausschließlich auf die Geschichte des Computers konzentriert und gesellschaftliche Entwicklungen hervorhebt, kommt der „Verbindung zwischen Computertechnologie und Kommunikation“ eine gewichtige Rolle zu, wie der Wissenschaftsjournalist Edward Tenner in seiner Ausstellungsrezension ausführt (Tenner, 1992, 780-787). Dies liegt nicht zuletzt an der Präsentation historisch bedeutender Exponate wie dem Harvard Mark I und dem ENIAC (Tenner, 1992, 783). Bei der Eröffnung der Ausstellung beeindruckte das NMAH außerdem selbst durch den umfangreichen Einsatz moderner audiovisueller Computertechnologie, um die historischen Exponate zu inszenieren: „Information Age is, among other things, technology about technology, just as there are films about films and television about television […] Within the lifetime of many visitors, the entire computer power of the United States was less than that of the electronics assembled here“ (Tenner, 1992, 780). Die bis zum heutigen Tag unveränderte Ausstellung in Washington ist in drei chronologische Abschnitte unterteilt. Der erste beschäftigt sich mit dem Zeitraum 1832 bis 1939 und den technischen Entwicklungsfeldern „Kommunikation“ (Telegraphie, Telefon) und “mechanische Datenverarbeitung“ (Tenner, 1992, 781). Als Wende- und Kristallisationspunkt zwischen dem „Protoinformationszeitalter des 19. Jahrhunderts und dem wahren Informationszeitalter der Nachkriegszeit“ (Tenner, 1992, 782) stellt sich der zweite Abschnitt World War II dar. Der abschließende Teil der Ausstellung führt den Museumsbesucher durch ein System von Gängen und Tunneln vorbei an der Entwicklungsgeschichte der digitalen Datenverarbeitung seit 1945 und beschäftigt sich vor allem mit der „Evolution des Computers“39 (Tenner, 1992, 783). Anspielend auf die negativen Begleiterscheinungen des ‚Informationszeitalters‛, macht sich das Museum dabei mit zunehmender Entwicklungsstufe der Computertechnologie das Phänomen der Reizüberflutung als Gestaltungselement bewusst zu Eigen: „Perhaps inevitably, the closer the exhibition comes to the present, the more there is to explain and the less space there is to discuss it […] Even the crowded succession of dis- 39 Gezeigt werden unter anderem historische Computer der fünfziger und sechziger Jahre, so z.B. John von Neumanns IAS, der ILLIAC und der IBM 650 (Tenner, 1992, 783). 37 plays in the second part does provoke some thought about information overload“ (Tenner, 1992, 784). Um dem Ausstellungsbesucher diese Ambivalenz der ‚Segnungen‛ des Informationszeitalters zu verdeutlichen, erhält dieser zu Beginn einen kleinen Museumsführer mit aufgedrucktem Barcode, den er an fünf Stationen im Laufe der Ausstellung einscannen kann, um auf diese Weise „Informationen in das Computernetzwerk der Ausstellung einzugeben“ (Tenner, 1992, 780). Die Tatsache, das der ‚gläserne Museumsbesucher‛ beim Verlassen der Ausstellung später als Souvenir einen Ausdruck seines Wegs durch das Informationszeitalters bekommt (Tenner, 1992, 780), weckt Erinnerungen an das Futurama der Weltausstellung 1939 in New York, ganz nach dem Motto ‚I have seen the Information Age!‛40. Auch in Europa41 entstanden zu Beginn der neunziger Jahre an den großen nationalen Technikmuseen umfassende Ausstellungen zur Geschichte des Computers, die ebenso wie in den USA durch eine eher einseitig nationale Perspektive auffielen. So eröffnete das Conservatoire National des Arts et des Métiers (CNAM) im Musée National des Techniques in Paris im Jahr 1990 eine Sonderausstellung mit dem Titel „De la machine à calculer de Pascal à l’ordinateur. 350 ans d’informatique“42. 350 Jahre nach der Erfindung der Rechenmaschine Pascaline durch Blaise Pascal (1623-1662), inszenierte das Museum dieses Ereignis als Anfangspunkt der Geschichte des Computers und der Informatik. Abbildung 9: Ausstellungsplakat "350 ans d'informatique" (1990) Ulf Hashagen (2005, 12) weist zu Recht daraufhin, dass bereits „die Rückprojektion der Entstehung Allerdings war dieser Überraschungseffekt am Ende der Ausstellung offensichtlich weniger überzeugend als der von 1939. So bilanziert Edward Tenner am Ende seiner Ausstellungsrezension: „The barcoded, punchcard-sized guide may have delight many visitors. After entering my number twice, though, I began to feel that information was processing me. I resented it, mumbled something to myself about not having to punch in, and stopped interacting. I also began to wish that some of the money spent on electronics had been used instead for a better, conventional printed guide” (Tenner, 1992, 785). 41 Auch wenn der Fokus dieses Überblicks auf den angloamerikanischen und europäischen Raum begrenzt bleiben soll, so bestätigt auch ein Blick ‚über den Tellerrand‛ die nationale Perspektive der Technikmuseen auf die Computergeschichte: So legt etwa das National Science Museum Tokyo besonderen Wert auf den japanischen Anteil an der Geschichte des digitalen Rechnens durch die hervorgehobene Rolle des Röhrencomputers FUJIC, dem „first electronic computer to be operated in Japan“. (http://shinkan.kahaku.go.jp/floor/2f_en.jsp, 10.04.2005). 42 Siehe auch den Ausstellungskatalog „De la machine à calculer de Pascal à l’ordinateur“ (Marguin & Jacomy, 1990). 40 38 der Wissenschaft Informatik auf die Erfindung der mechanischen Rechenmaschine ein historiographisch zweifelhaftes Unterfangen [ist]“ und die Stilisierung des französischen Mathematikers und Philosophen Pascal „zum einzigen Erfinder der mechanischen Rechenmaschine“ die Ausstellung nicht unbedingt glaubwürdiger erscheinen lässt. Nach einer längeren Renovierungsphase feierte das CNAM im März 2000 die Wiedereröffnung des Museums unter dem Namen Musée des arts et métiers43, indem es keine eigene Computer-Ausstellung mehr gibt. Wichtige Exponate aus der Vorgeschichte des Computers wie die mechanischen Rechenmaschinen von Blaise Pascal und Léon Bollée werden nun im Rahmen der Ausstellungsabteilungen „Mécanique“ und „Instrument Scientifique“ ausgestellt. Vereinzelte Exponate aus der Geschichte des modernen Computers, wie die Cray-2 oder der C64, sind in das Themengebiet „Communication“ integriert. Das Science Museum London44 beschäftigte sich ein Jahr später mit der eigenen nationale Rolle in der Erfindungsgeschichte des Computers, als man dem Briten Charles Babbage (1791-1871) anlässlich seines 200. Geburtstags mit einer eigenen umfangreichen Ausstellung gedachte45. Allerdings inszenierte man Babbage am Londoner Technikmuseum nicht als Erfinder oder ‚Vorvater‛ des Computers und ging somit mit der Erfindungsgeschichte des Computers weitaus „korrekter“ (Hashagen, 2005, 13) um als am französischen Museum: „There is no unbroken line of development between Babbages’s work in the nineteenth century and the modern computer. His Analytical Engine was a developmental cul-desac. His efforts represented an isolated episode, a startling and magnificent one, but an episode nonetheless” (Swade, 1991, ix). Es ging den Ausstellungsmachern eher darum, die Geschichte der von Babbage nie vollendeten mechanischen Rechenmaschinen Difference Engine und Analytical Engine zu erforschen und im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Fragen, welchen Einfluss seine innovativen Entwürfe zur Automatisierung von Rechenoperationen auf die Geschichte des modernen Computers nahmen und warum die visionären Pläne von Babbage niemals realisiert werden konnten, standen dabei im Mittelpunkt. Zur Geschichte des Museums siehe den Ausstellungsführer „Bienvenue au musée des arts et métiers“ (2005), außerdem: http://www.arts-et-metiers.net (17.04.05). 44 Zur Selbstdarstellung des Science Museum London siehe: http://www.sciencemuseum.org.uk (17.04.05). 45 siehe den Katalog der Ausstellung „Charles Babbage and his Calculating Machine“ (Swade, 1991) außerdem: http://www.sciencemuseum.org.uk/on-line/babbage/index.asp (17.04.05). 43 39 Abbildung 10: Nachbau der Difference Engine No. 2 im Science Museum London Um zu zeigen, dass Babbage vor allem an den unzulänglichen mechanischen Fertigungsmethoden seiner Zeit scheiterte, wurde anlässlich der Ausstellung die Difference Engine No. 2 nach den Entwürfen des Erfinders in einem viel beachteten Projekt detailgetreu von den Ingenieuren Reg Crick und Barrie Holloway rekonstruiert (Swade, 1991, 22-24). Die Difference Engine No. 2 war das zentrale Exponat der Ausstellung im Jahr 1991 und gleichzeitig die erste, jemals komplett fertig gestellte Rechenmaschine von Charles Babbage (Swade, 1991, 24). 10 Jahre nach seiner Konstruktion wurde dieses „Denkmal an seinen Erfinder“ (Swade, 1991, 28) durch den Nachbau der dazugehörigen Druckvorrichtung komplettiert. Die Rechenmaschine ist heute Teil der Ausstellung „Computing and Mathematics“ am Science Museum, in der in einer „historischen Galerie“ die Entwicklungsgeschichte des modernen Computers und der Mathematik präsentiert werden46. In Deutschland besann man sich an den zwei großen Technikmuseen ebenfalls auf die historische Bedeutung eines nationalen Helden der Computergeschichte: dem Ingenieur und Computerpionier Konrad Zuse (1910-1995). Im Jahr 1988 eröffnete das Deutsche Museum die Ausstellung „Informatik und Automatik“, unter deren 700 Exponaten der Computergeschichte sich auch die berühmte Z4, sowie ein Nachbau der Z3 von Konrad Zuse befinden47. Die Idee zu einer Informatikausstellung ging zunächst auf das langjährige Bestreben des deutschen Informatikers Prof. Dr. Friedrich Bauer von der TU Mün- 46 47 Siehe den aktuellen Ausstellungsführer „Science Museum Guide“ (2005). Für eine Selbstdarstellung der Ausstellung siehe den Ausstellungskatalog „Informatik. Führer durch die Ausstellung“ (Bauer 2004), sowie: http://www.deutsches-museum.de/austell/dauer/inform/infor.htm (18.04.05). 40 chen zurück48. Bauer hatte sich durch seine Mitarbeit an der Programmiersprache ALGOL49 weltweit einen Namen gemacht und bemühte sich schon früh die Informatik in Deutschland in den Rang einer wissenschaftlichen Disziplin zu erheben. Diese Motivation veranlasste Bauer sich am Deutschen Museum für die Gestaltung einer Informatikausstellung einzusetzen, die dem Besucher „Ursprünge und Geschichte dieses noch immer jungen technischen Wissenschaftsgebiets näher bringen [möchte], sie will den schwer durchschaubaren ‚Computer‛ begreifbar vertraut und durchsichtig machen“ (Bauer, 2004a, 10). Die stark mathematisch ausgerichtete Ausstellung sieht damit ihre Aufgaben ganz im Sinne der Tradition des Deutschen Museums, aktuelle Technologie aus historischen Vorläufern herzuleiten und zu erklären. Die Ausstellung geht dabei sehr weit in die Vergangenheit zurück und zeigt die Geschichte des analogen und digitalen Rechnens von den ersten antiken mathematischen Werkzeugen an bis zu dem ersten Supercomputer und Hochleistungsrechner CRAY-150. Ein zentraler Punkt innerhalb der Chronologie der Ausstellung bildet dabei „Zuses schöpferische Ingenieurarbeit“ (Bauer, 2004a, 12). Sein eigener Nachbau der Z3 wird als „erster funktionsfähiger programmgesteuerter Rechenautomat“ (Bauer, 2004a, 164) präsentiert und fungiert in der Dramaturgie der Ausstellung als Wendepunkt zwischen der Ära des mechanischen und des elektronischen Rechnens. Während das Deutsches Museum durch die Aufnahme der Z3 und Z4 in die Sammlung einen bedeutenden Beitrag zur Wahrnehmung von Konrad Zuse als „großen Pionier“ (Bauer, 2004a, 12) der Computergeschichte beitrug, war es ebenso der clevere Ingenieur selbst, der schon zu Lebzeiten an der historischen Wahrnehmung seiner Person arbeitete: „Konrad Zuse war die letzten 15 bis 20 Jahre seines Lebens bemüht, sich selbst zu inszenieren und seinen Anspruch auf Priorität des ersten Computers herauszustellen“, berichtet der Konservator der Informatik-Ausstellung Dr. Hartmut Petzold (Petzold, 2005). Auch das zweite große deutsche Technikmuseum, das Deutsche Technikmuseum Berlin (DTM)51, präsentierte bei seiner Eröffnung 1983 unter dem Titel „Rechen- und Automationstechnik“ eine Ausstellung zur Geschichte des Computers. Ein Jahr vor der Ausstellung in München zeigte das DTM Ausstellungsobjekte der Computergeschichte, wie Der Titel der Ausstellung wurde später in „Informatik“ geändert. Zur Geschichte der Ausstellung siehe auch das mit dem Konservator der Ausstellung Dr. Hartmut Petzold am 31.03.05 geführte Gespräch im Anhang dieser Arbeit (9.1). 49 Das ALGOL-Projekt (Algorithmic Language) war der frühe Versuch eine allgemeine und einheitliche Programmiersprache zu etablieren (1958-1962). Dazu: „Die ALGOL-Verschwörung“ (Bauer 2004b). 50 Eine ausführliche Beschreibung und Analyse der Informatik-Ausstellung am Deutschen Museum erfolgt in Kapitel 5.1 dieser Arbeit. 51 Zur Geschichte der Ausstellung siehe auch das mit der Kuratorin Hadwig Dorsch, am 09.05.2005 geführte Gespräch im Anhang dieser Arbeit (9.2), sowie: http://www.dtmb.de/Das_Museum/index.html (20.04.05). 48 41 mechanische Rechenmaschinen, Lochkartensysteme und die ersten elektronischen Computer in chronologischer Reihenfolge (Dorsch, 2005). Ähnlich der Ausstellung in München, stand in Berlin ebenfalls die Arbeit von Konrad Zuse im Mittelpunkt. 1986 entschloss sich der Ingenieur für das Berliner Museum seine erste Rechenmaschine Z1 nachzubauen, die er 1936 in jungen Jahren im Wohnzimmer seiner Eltern aus Baukastenteilen konstruiert hatte und die in den Kriegsjahren zusammen mit der Z3 zerstört wurde (Dorsch, 2005). Mit dem Nachbau wollte Zuse in Berlin beweisen, dass die rein mechanisch arbeitende Rechnerarchitektur der Z1 tatsächlich funktionierte52. Doch so wie die erste Version der Z1 nie problemlos lief, arbeitete auch ihre Rekonstruktion, die seit 1989 im DTM zu sehen ist, nie ganz fehlerfrei. Nachdem die Dauerausstellung „Rechen- und Automationstechnik“ Ende der neunziger Jahre aufgrund eines Wechsels der Museumsleitung abgebaut wurde (Dorsch, 2005), eröffnete das Museum im November 2004 die neue Ausstellung „Konrad Zuse – Die ersten Computer der Welt“ (Dorsch, 2004), welche sich gänzlich dem Lebenswerk von Konrad Zuse widmet. In enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen Konrad Zuses konzipierte die Kuratorin Hadwig Dorsch die Ausstellung, welche sich dem deutschen Computerpionier „als Erfinder“, „als Unternehmer“ und „als Künstler“ nähert (Dorsch, 2004). Abbildung 11: Konrad Zuse an der rekonstruierten Z1 im Deutschen Technikmuseum Berlin 52 Zuse über den Nachbau der Z1: „Das Relais ist ja an sich sehr schön, es schaltet sich wunderbar. […] Man kann mit der Relaistechnik die Formeln des Aussagenkalküls, in denen man einen bestimmten Ansatz macht, direkt in eine Verdrahtung umsetzen. […] Ich hatte erst versucht, dasselbe rein mechanisch zu lösen, auch schon mit der Schaltalegbra. Dieses Modell steht im Museum für Verkehr und Technik in Berlin. Damals hat es nicht gut funktioniert und auch der Nachbau ist insofern sehr getreu, auch er arbeitet nicht gut. Aber sie können da durchaus erkennen, dass das grundsätzlich auch mit mechanischen Mitteln möglich ist, und dass eigentlich dahinter eine gewisse logische Verknüpfung steht, die man auf verschiedene Weise, heute sagen wir ‚in Hardware‛ umsetzen kann“ (Zuse, 2004, 36). 42 2.4 Von kleinen, großen und ‚niedlichen‛ Computermuseen Das Beispiel der Informatik-Ausstellung im Deutschen Museum hat bereits gezeigt, dass im deutschen Raum wichtige Impulse zur Gestaltung von Computerausstellungen aus dem akademischen Umfeld der Fachhochschulen und Universitäten kommen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass Hochschulen neben Behörden und Ämtern die ersten Einrichtungen waren, die in Kontakt mit der elektronischen Computertechnologie kamen und heute oft reichhaltige Fundgruben für historische Rechenanlagen darstellen, zum anderen haben Informatiker und Elektrotechniker, neben ihrer Begeisterung für die Computertechnologie, ein genuines Interesse an der Würdigung ihres Fachbereiches. So unterhalten heute manche Hochschulen sogar eigene Universitätsmuseen mit zum Teil beachtenswerten Sammlungen zur Geschichte des Computers. Diese kleinen, meist ehrenamtlich geführten, Computermuseen zeigen hauptsächlich Computer-Exponate, die im eigenen Institut zum Einsatz kamen und bieten auf Wunsch Führungen und Vorträge an. So beherbergt zum Beispiel das Computermuseum der Fachhochschule Kiel zahlreiche historische Objekte „aus der Frühzeit der Datenverarbeitung“, sowie „Meilensteine der Rechnerentwicklung“ und „insbesondere Geräte des deutschen Computerpioniers Konrad Zuse“53. Hervorzuheben sind außerdem das Computermuseum der RWTH Aachen, die EDV-Sammlung der Volkshochschule Düsseldorf54, die Informatik Sammlung der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg55 und die Rechentechnische Sammlung der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald56. Alle dieser Universitätsmuseen zeichnen sich ähnlich wie die Informatik-Ausstellung des Deutschen Museums durch eine technik-immanente Ausstellungsgestaltung aus, die die Geschichte des Computers als Geschichte des Rechnens erzählt und auf die übliche Präsentation der Objekte in chronologisch-kausalen Entwicklungsreihen zurückgreift. Einen neuartigen Zugang auf die Geschichte des Computers versucht die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit dem Arithmeum57. Das am 8. September 1999 eröffnete Museum geht auf das langjährige Bestreben des Mathematikers Prof. Bernhard Korte zurück, Direktor des Forschungsinstitutes für diskrete Mathematik. Das Arithmeum wurde in den Neubau des Forschungsinstitutes integriert, der mit Ausgleichsmitteln des Bundes finanziert wurde. Die umfangreiche Sammlung mechanischer Rechenmaschi- http://www.computermuseum.fh-kiel.de/index.php (25.04.05). http://www.duesseldorf.de/vhs/museum/index.shtml (25.04.05). 55 http://www.iser.uni-erlangen.de/(25.04.05). 56 http://www.uni-greifswald.de/~wwwmathe/RTS/default.htm(25.04.05). 57 http://www.arithmeum.uni-bonn.de/(25.04.05). 53 54 43 nen, die Bernhard Korte seit den 70er Jahren angelegt hat, bildet die Basis der Dauerausstellung „Rechnen einst und heute“ (Wagner, 1999b, 5). Die duale Ausstellungskonzeption mit den zwei Themenbereichen „Rechnen einst“ und „Rechnen heute“ stellt das historische Rechnen mit den mechanischen Maschinen der Funktionsweise von Mikroprozessoren gegenüber und versucht auf diese Weise die komplexen Strukturen moderner Logikchips (ein zentrales Arbeitsgebiet des Institutes) begreifbar zu machen (Wagner, 1999b, 5). Die Ausstellung zur Geschichte des Rechnens58 wird jedoch nur als ein Teil eines „Gesamterlebnisses“ für den Besucher des Arithmeums verstanden, zu dem auch „der ästhetische Genuss von Architektur, Ausstellungsdesign und die Vermittlung von Kunst“57 gehört. Um diese „Symbiose von Wissenschaft, Technik und Kunst“ zu erreichen, versucht die Museumsleitung mit Ausstellungen konkreter und konstruktivistischer Kunst, sowie mit klassischen Konzertveranstaltungen einen „Kontrapunkt zu den technischen Exponaten“ zu setzen, um einen „lebendigen Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst zu initiieren“ (Prinz, 1999, 11). Obwohl die nationalen Technikmuseen und universitären Sammlungen in Deutschland die museale Präsentation der Computergeschichte jahrzehntelang dominiert haben, steht das bedeutendste deutsche Computermuseum in der Tradition der Firmenmuseen. Das Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF)59 in Paderborn, nach eigenen Angaben das „größte Museum der Rechen-, Schreib-, Büro- und Computertechnik der Welt“ (Thürmer, 1996, 108), hat seinen Ursprung in der Nixdorf Computer AG und geht direkt auf eine Initiative des 1986 verstorbenen Firmengründers Heinz Nixdorf und der von ihm gegründeten Stiftung Westfalen zurück (Thürmer, 1996, 10). Mit Beginn der Planungsphase 1990 stellten die verantwortlichen Architekten und Ausstellungsdesigner Ludwig Thürmer und Gerhard Diel (1996, 14) „die Kommunikation über Fragen der historischen und gesellschaftlichen Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien“ in den Mittelpunkt ihrer Konzeption. Ziel des HNF ist es entsprechend, mit seiner Dauerausstellung und zahlreichen Veranstaltungen „die Orientierung und Bildung des Menschen in der modernen Informationsgesellschaft zu fördern“60 und die „Herausforderungen unseres Informationszeitalters“ zu thematisieren. Mit diesem umfassenden Ansatz versucht sich das HNF klar von den eher technik-immanenten Ausstellungen der deutschen Technik- und Universitätsmuseen abzuheben und erinnert in seiner Ausrichtung eher an die amerikanischen Vorbilder in Boston und Washington. Eine Ausführlicher Beschreibung und Analyse der ständigen Ausstellung im Arithmeum findet in Kapitel 5.2 dieser Arbeit statt. 59 http://www.hnf.de (28.04.05). 60 http://www.hnf.de/museum/index.html (28.04.05). 58 44 Das 100 Millionen DM teure Computermuseum (DER SPIEGEL, 44/1996, 225) wurde im Oktober 1996 in dem aufwendig sanierten Gebäude der ehemaligen Verwaltungszentrale der Nixdorf Computer AG in Anwesenheit von Bundeskanzler Helmut Kohl eröffnet und präsentiert auf einer Fläche von über 6000 qm etwa 2000 Ausstellungsobjekte aus der 5000 Objekte umfassenden Sammlung des Museums, die ursprünglich von Nixdorf selbst angelegt wurde. Zentrale Exponate sind ein original Arithmométre von Thomas de Colmar (1785-1870), die Z23 von Zuse, der Apple I und eine besondere Leihgabe des NMAH in Washington: drei Teile des ersten elektronischen Röhrencomputers ENIAC, welche im HNF im Rahmen einer ENIAC-Rauminstallation präsentiert werden. Das Bestreben des HNF, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, spiegelt sich vor allem in der Konzeption der Dauerausstellung wider, deren ehrgeiziges Ziel es ist „einen Eindruck der historischen Entwicklung der Informationstechnik über fünftausend Jahre bis zu ihrer überragenden Gegenwarts- und auch Zukunftsbedeutung zu vermitteln“ (Thürmer, 1997, 32). Der Erfindungs- und Anwendungsgeschichte des Computers kommt im HNF eine zentrale Bedeutung zu: „Technikgeschichte ist keine Aneinanderreihung toter Maschinen und gesichtsloser Erfindungen. Diese Maschinen werden von Menschen entworfen. Einige wollen damit Probleme lösen, andere Geld verdienen, viele sind einfach begeisterte Bastler“ (Thürmer, 1996, 28). Dieser Zielsetzung folgend wird auf zwei Etagen die Geschichte des Computers als umfassende Kulturgeschichte des Menschen von den ersten antiken Schrift- und Zahlensystemen bis in die heutige Zeit erzählt. Obwohl man dabei im HNF die „nahe liegende inhaltliche Beschränkung auf die Firma Nixdorf fallengelassen [hat]“ (Thürmer, 1996, 26) und sich um eine umfassende Perspektive auf die Computergeschichte bemüht, erinnern die Aufnahme Nixdorfs in die „Galerie der Pioniere“61 und Themengebiete wie „Nixdorf – Wegbereiter der dezentralen Datenverarbeitung“ oder „Paderborn – ein Zentrum der Informationstechnologie“ an die industriellen Wurzeln des Computermuseums62. Bereits bei der Eröffnung des HNF gab es bezüglich dieser Auslegung der Computergeschichte kritische Reaktionen. So schrieb DIE ZEIT im November 1996 zur inhaltlichen Gestaltung der Ausstellung: „Die Zeitspirale der Pioniere endet bei Heinz Nixdorf (1925-1986). Warum auch nicht? Seine Stiftung Westfalen hat schließlich die hundert Millionen Mark spendiert, die der Aufbau des HNF bislang kostete, und sie wird acht Millionen jährlich in den laufenden Betrieb stecken“ (DIE ZEIT, 1. November 1996). 62 Zur Frage ob es sich beim HNF um ein Firmenmuseum handelt und zur allgemeinen Gestaltung der Ausstellung, siehe auch das mit dem Kurator Michael Mikolajczak am 24.05.2005 geführte Gespräch im Anhang dieser Arbeit (9.3). Eine ausführliche Beschreibung und Analyse der Dauerausstellung im HNF erfolgt in Kapitel 5.3 dieser Arbeit. 61 45 Da man im HNF ein „zeitlich offenes Ausstellungskonzept“ (Thürmer, 1996, 34) verfolgt und einen starken Gegenwarts- und Zukunftsbezug für sich beansprucht, erfolgte im Jahr 2004 ein Update der Ausstellung, welches den neuesten Entwicklungen in der Informationstechnik Rechnung tragen sollte (Mikolajczak, 2005). Besonderen Wert wurde bei der Aktualisierung der Ausstellung auf Themengebiete gelegt, „bei denen sich große Entwicklungsdynamik, Anschaulichkeit und interaktiver Zugang“ (HNF 2004, 5) verbinden lassen: „Spielerisch und interaktiv sind die neuen Abteilungen gestaltet. Ein Roboter begrüßt die Besucher, Fußball spielende Maschinen zeigen ihr Können, alte und neue Computerspiele können getestet werden“ (HNF 2004, 3). Neben den Ausstellungen zur Computergeschichte in den großen Technik- und Computermuseen ist in den letzten 20 Jahren eine Reihe von kleinen Computermuseen entstanden, die größtenteils auf das Engagement von Privatsammlern zurückgehen und ihren Charme vor allem einem großen Maß an Improvisation und Eigenarbeit verdanken. Doch auch die ‚kleinen‛ Computermuseen entstehen zumeist in der Nähe der Computerindustrie oder im Umfeld der Universitäten. Beispielhaft für solche Initiativen sind das Haus zur Geschichte der IBM Datenverarbeitung in Sindelfingen, das Technikum 2963 in Frankfurt a.M., das Computer Culture Museum64 in Hildesheim und das Konrad-Zuse Museum65 in Hoyerswerda. Besonders viel Beachtung in der Öffentlichkeit fand bei seiner Eröffnung im Februar 1997 das Computerspielemuseum in Berlin, das sich im Gegensatz zu den bestehenden Computermuseen auf einen besonderen Aspekt der Computergeschichte konzentrierte: die Nutzung des Computers als Spielmaschine. „Ein niedliches Museum“ (ZEIT, 6/1996, 82), das von sich behaupten konnte auf lediglich 130 Quadratmetern „die welterste ständige Ausstellung nur für Computer- und Videospiele“66 zu zeigen. Die ungewöhnliche Geschichte des „etwas anderen Museums“ beginnt innerhalb des Fördervereins für Jugend und Sozialarbeit e.V. (FJS), der sich bereits seit 1993 durch eine ComputerspielBeratung für Eltern und Lehrer mit dem Thema Computer- und Videospiele auseinandersetzte (Lange, 2005). Gemeinsam mit dem Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland (VUD), ein Interessenverband der Computerspiel-Industrie, bemühte sich der FJS außerdem zwei Jahre später das Prüfsiegel Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) in http://www.technikum29.de/de/ (8.05.05). http://homepages.compuserve.de/rspezial/ (8.05.05). 65 http://www.konrad-zuse-computermuseum.de/ (8.05.05). 66 http://www.computerspielemuseum.de (8.05.05). 63 64 46 Deutschland durchzusetzen67 (Lange, 2005). Um den pädagogischen Faden der Computerspieleberatung neben der Mitarbeit bei der USK nicht zu vernachlässigen entstand beim FJS 1996 die Idee zu einer Museumsgründung. Nach dem Umzug der USK in größere Räumlichkeiten begann der ehemalige USK-Gutachter Andreas Lange mit kleinem Budget eine Sammlung aufzubauen und eine Ausstellung in den alten Räumen der Selbstkontrolle vorzubereiten (Lange, 2005). Ausgangspunkt für die Gestaltung der Ausstellung war dabei die Überzeugung, das Computerspiele ebenso Kulturgüter sind wie Bücher und Filme (Lange, 1996) und ihre Geschichte einen wesentlichen Anteil am technischen Fortschritt hat: „Schon immer sind Computerspiele als Versuch zu verstehen, kreativ (spielerisch) mit den Mitteln des technischen Fortschritts umzugehen. Menschliche Bedürfnisse wie gesellschaftliche Realitäten fließen in ihre Gestaltung sowie in ihre Rezeption ein, so dass ihre Geschichte auch einen Teil unserer Geschichte beinhaltet“ (Lange, 1996, 1). Der Museumsdirektor und seine Mitarbeiter wollten das Computerspiel als „interaktives Erzählmedium“ ernst nehmen und die Geschichte dieses „digitalen Kulturgutes“ in ihrer Ausstellung präsentieren (Lange, 2005). Zu einem Zeitpunkt, in der die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Computerspiel ausschließlich auf den Gegensatz ‚Gefährlich oder ungefährlich‛ verkürzt wurde, war es außerdem ein entscheidendes Anliegen des Computerspielemuseums sich „ohne pädagogische Zwanghaftigkeit“ (Lange, 1996, 2) mit dem Computerspiel zu beschäftigen. Als das Computerspielemuseum am 1. Februar 1997 schließlich seine Ausstellung mit dem Titel „30 Years of Digital Gaming“ öffnete, konnten die Besucher in „zwei Zimmern in einer liebevoll umfunktionierten Wohnung“ (ZEIT 6/1996, 82) die Geschichte des Computerspiels „von PONG bis zur Playstation“ (Lange, 2005) erleben. Abbildung 12: Flyer (1997) 67 Die überschaubare Größe des Museums und das intime Umfeld ermöglichten es dabei, die Computerspiele an den Dem VUD ging es vor allem darum den Jugendschutz bei Computerspielen aktiv anzugehen und einer gesetzlichen Regelung zuvorzukommen, auf die man keinen Einfluss gehabt hätte. Trotz der Zusammenarbeit des FJS und der VUD im Rahmen der USK, gab es keinen Einfluss des VUD bei der Gestaltung des Museums (Lange 2005). 47 original Spielkonsolen und Computern aus- und bereitzustellen und dem Besucher den direkten Umgang mit den Exponaten zu ermöglichen68. Das „Anfass- und Mitmachmuseum“ (Lange, 1996) erlebte bis zur Schließung69 seiner ständigen Ausstellung im Jahr 2000 eine hohe mediale Resonanz und hatte offensichtlich mit der Thematisierung der Computerspiele als „spannendste Kulturgüter unserer Zeit“ (Lange, 1996) den Nerv der Zeit getroffen. Zurzeit finanziert das Computerspielemuseum seine Arbeit mit verschiedenen Ausstellungsprojekten auf Fachmessen wie der CeBit oder der GAMES CONVENTION, verfolgt als langfristiges Ziel jedoch weiterhin die Wiedereröffnung seiner Dauerausstellung70. Abbildung 13: (Ein-)Blick in das Computerspielemuseum in Berlin (1997) Zur Gestaltung der Ausstellung und zu der Frage, wie sich das Medium Computerspiel ausstellen lässt, siehe auch das mit Andreas Lange am 05.04.2005 geführte Gespräch im Anhang dieser Arbeit (9.4). 69 Die Schließung der Dauerausstellung erfolgte, weil die Räumlichkeiten zunehmend unzureichend für die wachsende Sammlung des Museums wurden und man sich gegenüber der Stadt eine bessere Position in den Gesprächen für eine öffentliche Förderung versprach (Lange, 2005). Die Sammlung des Computerspielemuseums ist zurzeit nur als „virtueller Rundgang“ zu erleben: www.computerspielemuseum.de (10.05.05). 70 Im Jahr 2002 realisierte das Computerspielemuseum in Zusammenarbeit mit dem VUD die Ausstellung „History of Games“ auf der Computerspielemesse GAMES CONVENTION, siehe hierzu den Ausstellungskatalog „Spielmaschinen“ (Lange, 2002). In den folgenden Jahren verfolgte man gemeinsam mit dem VUD die Neueröffnung einer ständigen Ausstellung. Das GAMESHOUSE-Projekt konnte jedoch aufgrund der Auflösung des VUD im Jahr 2004 bislang nicht realisiert werden. Zum GAMESHOUSE siehe auch den gemeinsamen Ausstellungs-Entwurf des Computerspielemuseums mit der Universität der Künste (Berlin): „Medium Computerspiel: Ausstellungsszenarien“ (Diel, 2004). 68 48 3 Der Computer als Medium und seine Geschichte(n) „Creative, interactive communication requires a plastic or moldable medium that can be modeled, a dynamic medium in which premises will flow into consequences, and above all a common medium that can be contributed to and experimented with by all. Such a medium is at hand – the programmed digital computer” (Licklider, 1968). Unter dem Begriff Computer versteht man heute im Allgemeinen jenes dynamische und formbare Medium, welches der Wissenschaftler Joseph C. R. Licklider (1968) bereits in den sechziger Jahren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) angekündigt hat und heute bei den meisten Menschen ganz selbstverständlich auf dem Schreibtisch zu finden ist. Der „umfassende Personal Computer“ (Seel, 1998, 257) den man dabei vor Augen hat, ist ausgestattet mit Bildschirm, Tastatur, Maus, Drucker und anderen Peripheriegeräten. Angeschlossen an das Internet, kann man mit ihm je nach Wunsch Texte schreiben oder Bilder bearbeiten, E-Mails verschicken oder ‚im Netz surfen‛, mit Bekannten telefonieren oder ‚chatten‛, fernsehen oder Filme herunterladen und nicht zuletzt seine Zeit mit Computerspielen verbringen. Aber was genau bedeutet es, wenn man von der technischen Maschine Computer ‚als Medium‛ spricht? Das folgende Kapitel wirft einen Blick auf die Entwicklungsgeschichte des modernen Computers und beschreibt in einem kurzen Abriss seinen Weg ‚von der Rechenmaschine zum Medium‛. Es zeigt sich dabei, dass dieser Weg weder geradlinig noch im Sinne einer teleologischen Ausrichtung stetig ‚bergan‛ verläuft. Die Geschichte des Computers als Medium setzt sich vielmehr zusammen aus vielen verschiedenen Geschichten technischer wie konzeptioneller Entwicklungen − mit vielen Weggabelungen, Umwegen, aber auch Irrwegen. Die Kapitel 3.2 bis 3.4 befassen sich mit den drei entscheidenden Kategorien71 die den modernen Computer als Medium auszeichnen und werfen insbesondere einen Blick auf die konzeptionellen Ursprünge seiner medialen Anwendungsbereiche. Für die Fragestellung dieser Arbeit ergibt sich dabei eine entscheidende Erkenntnis: Der Computer als inklusives, immersives und kommunikatives Medium ist im Unterschied zu seiner ursprünglichen Funktion als Rechenautomat nur noch im Prozess seiner Anwendung begreifbar und beschreibbar. 71 Die Arbeit folgt dabei der Aufteilung von Sybille Krämer (1998, 9-15), die den allgemeinen Mediendiskurs „zwecks Übersichtlichkeit“ in die zentralen Bereiche „literarische Medien“, „technische Medien“ und „Massenmedien“ unterteilt und als ihre computer-spezifischen Begriffe „Digitalisierung“, „Virtualisierung“ und „Interaktivität“ nennt. 49 3.1 Der Computer als Rechenmaschine „Nachdem ich nun an der Universität mehrere Fakultäten durchprobiert hatte, sagte mein Vater, jetzt müsse ich fertig studieren. Ich war also gezwungen, mein Bauingenieurstudium abzuschließen und musste feststellen, dass der Bauingenieur sehr viel zu rechnen hat, und das hat mir gar nicht geschmeckt. […] Da blieb mir weiter nichts übrig, als dieses Rechenproblem zu lösen“ (Zuse, 2004, 32). Die wenigsten Computernutzer gebrauchen den Computer heute noch entsprechend seiner ursprünglichen Wortbedeutung72, nämlich zum Rechnen. Dabei beginnt die Geschichte des modernen Computers mit dem Bedürfnis Maschinen zu konstruieren, die dem Menschen die mühsame und komplizierte Rechenarbeit abnehmen. Der Computer ist zunächst Rechner. So lassen sich die ersten Bezugspunkte einer Vorgeschichte des modernen Computers bei den Konstrukteuren mechanischer Rechenmaschinen festmachen73, unter denen Wilhelm Schickard (1592-1635), Blaise Pascal (1623-1662) und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1718) die prominentesten Rollen einnehmen (Goldstine, 1993, 3-9). Vor allem der deutsche Universalgelehrte Leibniz hatte schlagkräftige Argumente für eine Mechanisierung der langwierigen Kopfarbeit: „Es ist eines ausgezeichneten Menschen unwürdig, gleich Sklaven seine Zeit mit Berechnungen zu verbringen“ (zitiert nach Naumann, 2001, 48). Den Traum von einer Maschinisierung des Rechnens verfolgte auch der Engländer Charles Babbage (1791-1871) im 19. Jahrhundert. Der Bau seiner Difference Engine in den Jahren 1822 - 1834 sollte der Anfertigung von mathematischen Tabellen dienen, wobei er seine Konstruktion in der Öffentlichkeit vor allem zur Anfertigung von Navigationstafeln ins Gespräch brachte (Hymann, 1987, 79). Ähnlich wie Leibniz versprach sich der Engländer von der Automatisierung der komplizierten Rechenarbeit eine Erleichterung für den Menschen, aber auch die Beseitigung menschlicher Ungenauigkeiten74. Den gleiDas lateinische Wort ‚computare‛, von dem sich das englische Wort ‚Computer‛ ableitet, hat die Bedeutung „zusammenrechnen, berechnen“ (Pfeifer et al., 1993, 196). 73 Natürlich lässt sich der Beginn der Geschichte des Computers noch weiter in die Vergangenheit verlegen. So beginnen nicht wenige Geschichten des Computers bei der Einführung erster Zahlen- und Zählsysteme in den frühen Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens und erzählen somit die Geschichte des Computers als allgemeine Kulturgeschichte des Menschen überhaupt (siehe zum Beispiel Matis (2002) & Naumann (2001)). Als archaische Vorläufer des Computers werden in diesen Erzählungen bereits einfache mathematische Werkzeuge und Hilfsmittel benannt, wie Knotenschnüre, Abakus und andere Rechenbretter, Rechenschieber und -stäbe (Napier’sche Stäbchen), sowie geometrische Instrumente wie Planimeter und Winkelmesser. 74 Charles Babbage über die Idee zum Bau der Differenzmaschine: „Die erste Idee der Möglichkeit, Tabellen maschinell auszurechnen, kam mir, soweit ich mich erinnere, im Jahr 1820 oder 1821. Sie verdankte sich folgender Situation: Die Astronomische Gesellschaft hatte für die Ausarbeitung bestimmter Tabellen eine Kommission ernannt, die aus Sir. J. Herschel und mir bestand. Wir hatten uns auf die passenden Formeln geeinigt und sie zwei im Rechnen geübten Leuten übergeben, um die Berechnungen durchführen zu lassen. Wir trafen uns eines Abends, um die errechneten Tabellen zu vergleichen, und da wir viele Unstimmigkeiten fanden, äußerte ich gegenüber meinem Freund, dass ich wünschte, es gäbe ein dampfgetriebenes Rechnen, worauf er mir beipflichtete und meinte, so etwas liege durchaus im 72 50 chen Motiven folgte der deutsche Ingenieur Konrad Zuse (1910-1995) Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts als auch er die Idee zur Konstruktion eines Rechenautomaten verfolgte. Zuse, der mit seiner Z3 „den ersten elektronischen, programmierbaren Rechner der Welt“ (Matis, 2002, 181) baute, widmete sich der Automatisierung von Rechenarbeit, weil ihn die bei seiner Arbeit als Bauingenieur anfallenden langwierigen statistischen Rechenarbeiten „gar nicht geschmeckt haben“ (Zuse, 2004, 32). Auch die ersten elektronischen Großrechenanlagen in den USA zwischen 1940 und 1950, die erstmals den Namen „Computer“ trugen75, wurden zunächst als spezialisierte Rechenmaschinen konzipiert. So sollte die erste programmgesteuerte Großrechenanlage Automatic Sequence Controlled Calculator (ASCC), auch bekannt als Harvard Mark 1, von Howard H. Aiken (1900-1973) und seinen Mitarbeitern zur Berechnung mathematischer Aufgabenstellungen in den Aufgabebereichen „Physik, Ingenieurwissenschaften und Technik“ (Naumann, 2001, 147) zum Einsatz kommen. Der an der Moore School of Electrical Engineering der University of Pennsylvania 1946 fertig gestellte Electronic Numerical Integrator and Computer (ENIAC) hingegen wurde von John W. Mauchly (1907-1980) und John Presper Eckert (1919-1995) für militärische Zwecke konstruiert und sollte komplexe ballistische Berechnungen im Auftrag des Ballistic Research Laboratory des U.S. Army Ordnance Department durchführen (Goldstine, 1993, 121-236). Bereits während der Arbeit am ENIAC planten seine Konstrukteure eine folgenreiche Weiterentwicklung, welche den Schritt von der spezialisierten Rechenmaschine zum „universalen Computer“ bedeutete (Ceruzzi, 1998, 20-21). Während der ENIAC noch mit einer festen Programmverdrahtung arbeitete, die bei seiner Programmierung ein mühsames Umstecken von Kabeln und Bedienen von Schaltern zur Folge hatte, entschied man sich bei der Konzeption des Nachfolgemodells Electronic Discrete Variable Computer (EDVAC) dafür, Programme und Daten an einem gemeinsamen Ort zu speichern. Dieses Konzept der Speicherprogrammierbarkeit, dass der ebenfalls am EDVAC-Projekt beteiligte Mathematiker John von Neumann (1903-1957) 1945 in sei- Bereich des Möglichen“ (zitiert nach Hymann, 1987, 80). Seine Bedeutung für die Geschichte des modernen Computers verdankt Babbage jedoch vor allem seinen theoretischen und praktischen Arbeiten zu seinem zweiten (ebenfalls unvollendeten) großen Projekt, der Analytical Engine, deren mechanische Architektur im Wesentlichen dem Aufbau heutiger moderner Universalrechner entspricht (Hyman, 1987, 250). 75 Seinen Ursprung hat der Begriff „Computer“ im 17. und 18. Jahrhundert in England. Dort bezeichnete man als „Computer“ zunächst Mathematiker, die umfangreiche Rechnungen ausführten, etwa für die Anfertigung von Kalendern, Logarithmen und ballistischen, nautischen und astronomischen Rechentafeln (Matis, 2002, 24). 51 nem Artikel „First Draft of a Report on the EDVAC“ zusammengefasst hat, bestimmt noch heute den logischen Aufbau der meisten Computer76. Neue Nutzergruppen für das digitale Rechnen erschloss der ebenfalls von Mauchly und Eckert im Jahr 1949 konstruierte Universal Automatic Computer (UNIVAC), der erste kommerziell erfolgreiche und in Serie produzierte programmgespeicherte Computer, der nicht nur in Regierungsstellen, Universitäten und beim Militär zum Einsatz kam, sondern auch erstmalig von großen Unternehmen für allgemeine Anwendungen in der Wirtschaft eingesetzt wurde (Ceruzzi, 1998, 30-34). Bis hinein in die sechziger Jahre dominierten solche Großrechenanlagen, auch Mainframes genannt, das Bild des Computers und blieben in ihrer Anwendung vor allem Rechenautomaten mit immer höherer Rechenleistung. Dabei war maschinelle Rechenarbeit immer noch eine kostspielige Angelegenheit, die einigen wenigen zur Verfügung stand, aber für die allermeisten außerhalb ihres Erfahrungshorizontes blieb. Industrial Business Machines (IBM), die Mitte der fünfziger Jahre mit ihrem Röhrenrechner IBM 701 in das Geschäft mit den digitalen Rechnern einstiegen, verkauften ihre wertvollen Maschinen oft erst gar nicht, sondern vermieteten sie für rund 16.000 Dollar im Monat an interessierte Unternehmen (Matis, 2002, 240). Der Branchenriese führte diese Politik auch bei dem nachfolgenden IBM 650, sowie dem ersten kommerziell erfolgreichen Transistorrechner IBM System/360 fort und konnte seinen Marktanteil in den sechziger Jahren auf marktbeherrschende 70 Prozent steigern (Matis, 2002, 256-260). Erst Mitte der sechziger Jahre gab es durch die zunehmende Verwendung der Transistortechnik (später erste integrierte Schaltkreise) bei der Herstellung kommerzieller Computersysteme eine ‚preisgünstige‛ Alternative zu den teuren Großrechenanlagen. So entwickelte die Digital Equipment Corporation ab 1959 die ersten Minicomputer, welche ihren Namen der Beschränkung auf Minimalausstattung verdankten, und bot die Geräte ihrer PDP-Modellreihe77 etwa zehnmal günstiger an als die Mainframes von IBM (Naumann, 2001, 190). Wenn auch wesentlich größer und teurer als heutige Computer, konnten die Minicomputer auch von kleineren Unternehmen, Schulen oder Universitäten dezentral eingesetzt werden und ermöglichten neuen Benutzergruppen den Zugang zur digitalen Rechentechnologie mit „gänzlich neuen Anwendungsgebieten“ (Ceruzzi, 1998, Man spricht heute von der „von Neumann-Architektur“ bei modernen Computern, womit die grundsätzliche Aufteilung in Speicher, Rechenwerk und Steuerwerk, sowie das Konzept der Speicherprogrammierbarkeit gemeint sind, die bis heute weitestgehend Bestand haben (Ceruzzi, 1998, 23). Siehe in diesem Zusammenhang auch: Ceruzzi (2000) „Nothing New Since von Neumann“: A Historian Looks at Computer Architecture. 77 Vor allem mit dem 1965 eingeführten PDP-8, der unter 18.000 Dollar angeboten wurde und von dem etwa 50.000 Exemplare verkauft wurden, erschloss DEC der Computertechnologie neue Märkte und Anwendungsbereiche (Ceruzzi 1998, 129-135). 76 52 124). Die Mini-Computer der PDP Reihe können folglich als „logische und ökonomische Zwischenglieder vom Mainframe zum Personal Computer“ (Coy, 1994, 28) bezeichnet werden. Die siebziger Jahre stellen einen Umbruch in der technischen Entwicklung des Computers dar. Die Einführung integrierter Schaltkreise, die folgende Erfindung des Mikroprozessors und enorme Fortschritte in der Speichertechnologie hatten eine Miniaturisierung der Computertechnologie und den Preisverfall der Computerkomponenten zur Folge. Zunächst spiegelte sich dieser technische Umbruch in der breiten Einführung elektronischer Taschenrechner wider, die in den siebziger Jahren endgültig die mechanischen Rechenmaschinen ablösten und sich wenige Jahre nach ihrer Markteinführung in einem dramatischen Preisverfall zu billigen „Wegwerf-Artikeln“ entwickelten (Ceruzzi, 1998, 213-214). Elektronisch-digitales Rechnen war plötzlich ein dezentrales, kostengünstiges Massenphänomen. In der Computerentwicklung war vor allem die Erfindung der ersten Mikroprozessoren bei Intel in den Jahren 1971-74 ein entscheidender Wendepunkt und ebnete den Weg für den „Siegeszug des Personalcomputers“, der sich mit dem Altair 8800 im Jahr 1975 ankündigte (Matis, 2002, 261). Trotz der technischen Revolution der siebziger Jahre in der Computerentwicklung und der scheinbar chronologisch-kausalen Abfolge von Großrechnern zum Personalcomputer, gibt es jedoch keinen spezifischen Wendepunkt, an dem die digitale Maschine aufhört Rechner zu sein und sich als umfassendes Medium weiterentwickelt. Noch heute werden Großrechenanlagen für bestimmte Rechen-Aufgaben im wissenschaftlichen wie wirtschaftlichen Sektor verwendet und die Entwicklungslinie der Rechenmaschinen findet ihre Fortsetzung in zeitgenössischen Hochleistungs- oder Supercomputern78. Der Personalcomputer, der sich als einfach zu bedienendes Multimedium für jedermann bis Anfang der neunziger Jahre endgültig auch in den Privathaushalten etabliert hat, steht also nicht in direkter historischer Abfolge der digitalen Rechenmaschine, auch wenn die breite Diffusion der Computertechnologie in die Gesellschaft ohne die technische ‚Vorarbeit‛ der Mainframe-Entwicklung nicht denkbar gewesen wäre. Viel eher lässt sich mit Michael Friedewald (1999, 15-34) feststellen, dass sich beide „Stränge der Computerentwicklung“ (Friedewald, 1999, 16) seit den Anfängen des elektronisch78 Die Bezeichnung „Supercomputer“ geht zurück auf die Maschinen von Seymour R. Cray (1925-1996), der mit seiner Firma Cray Inc. die Vektorrechner Cray-1, Cray-2 und Cray-3 vertrieb und als „Pionier des Supercomputings“ gilt (Matis, 2002, 295-298). Der Wettbewerb um die schnellsten Rechenmaschinen hält seither unvermindert an: Seit 1993 veröffentlichen Prof. Dr. Hans Meuer (Rechenzentrum, Universität Mannheim) und Jack Dongarra (University of Tennessee, Kentucky) halbjährlich die viel beachtete TOP500 der „leistungsfähigsten Rechnersysteme“ (http://www.top500.org). Die im Juni 2005 auf der Intenational Supercomputer Conference in Heidelberg veröffentlichte 25. Liste wird zurzeit angeführt vom BlueGene/L von IBM. Supercomputer werden vor allem in Klimaforschung und medizinischer Forschung eingesetzt, wo komplexe Vorhersagemodelle durchgerechnet werden, wie zum Beispiel der Earth Simulator von NEC. 53 entwicklung“ (Friedewald, 1999, 16) seit den Anfängen des elektronisch-digitalen Rechnens in den vierziger Jahren parallel zueinander entwickelt haben, wobei es immer wieder Berührungspunkte und Überschneidungen gab. Der PC, der heute aus dem medialen Alltag nicht mehr wegzudenken ist, hat demnach zwar seine technischen Wurzeln in der Entwicklungsgeschichte der Rechenmaschine, darüber hinaus aber seinen konzeptionellen Ursprung in einer Vielzahl interdisziplinärer Entwicklungen, welche alle die „Idee der persönlichen Informationsverarbeitungsmaschine“ (Friedewald, 1999, 17) teilen. Um die Frage zu beantworten, was es heißt den Computer als Medium zu interpretieren und wo die Ursprünge der ‚Informationsverarbeitungsmaschine‛ liegen, ist es daher notwendig von einer historisch-chronologischen Erzählung abzusehen und sich den entscheidenden Kategorien zuzuwenden, in denen der Computer als Medium aufgeht. 3.2 Digitalisierung − Der Computer als Multimedium „It is possible to invent a single machine which can be used to compute any computable sequence“ (Turing, 2004, 68). Durch seine Fähigkeit die ‚alten‛ Medien der Sprache und Schrift, der Klänge und Bilder in sich aufzunehmen, zeichnet sich der moderne Computer als universales oder „inklusives Medium“ (Seel, 1998, 258) aus. Der Computer ist „digitale[r] Integrator aller vorherigen Medien und wird in alle Medien integriert“ (Coy, 1994, 30). Der Computer übernimmt zunehmend die Funktionen anderer Geräte wie Schreibmaschine, Fernseher, Videorecorder, Stereoanlage und ist so in den letzten Jahren zum vielseitig anwendbaren „Leitmedium der Gegenwart“ (Bolz, 1994, 16) geworden. Die Integration der hergebrachten audio-visuellen Medien, die den Computer zum Klang- bzw. Bildmedium macht, lässt sich dabei grundsätzlich auf die digitale Architektur des modernen Computers zurückführen. Der binäre Code, mit dem der Computer rechnet, erlaubt es die technischen Einzelmedien zu digitalisieren und im Computer als Multimedium zusammenzuführen. Wie Norbert Bolz (1994, 10) feststellt, hat diese „Medienkoppelung“ im Medienverbund des Computers dabei zur Folge, dass der eigentliche „Inhalt“ des Universalmediums Computer „immer ein anderes Medium“ ist. Am Anfang des Universalcomputers steht dabei ein einfacher, abstrakter Entwurf: die Turingmaschine (Kittler, 2004, 192-193). Während bereits Leibniz (Werber, 2004, 81-89), Babbage und Zuse die Vorteile des Dualsystems erkannt und bei der Konstruktion ihrer binären Rechenmaschinen umgesetzt haben, war es der britische Mathematiker Alan Turing (1912-1954), der mit dem konzeptionellen Entwurf einer abstrakten „universal computing machine“ (Turing, 2004, 68) erstmals die prinzipielle digitale Berechenbarkeit 54 aller mathematisch beschreibbaren Probleme nachwies und damit eine „Mechanisierung der Mathematik“ (Bolz, 1994, 11) vollzog. In seinem Artikel „On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem“ (Turing, 2004, 58-90) hatte der Mathematiker bereits 1936 die Grundzüge des modernen Universalcomputers beschrieben (Copeland, 2004, 6). Turings theoretischer Entwurf, dem der amerikanische Mathematiker Alonzo Church (1903-1995) den bis heute geläufigen Namen Turingmaschine gab, beschrieb eine binäre programmgespeicherte universale Maschine, die in der Lage war, jede erdenkliche andere Turing-Maschine zu simulieren bzw. zu implementieren. Von Neumann, Mauchly und Eckert griffen auf die theoretische Vorarbeit von Turing zurück, als sie 1952 die universale Turing-Maschine in Form des EDVAC realisierten (Copeland, 2004, 21-27) und damit, so von Neumann selbst, „very nearly an ‚allpurpose machine‛“ schufen (Ceruzzi, 1998, 25). Bevor sich aber aus Turings Universalmaschine das heute allgegenwärtige Universalmedium entwickeln konnte, musste man sich zuvor von der Festlegung des Computers auf seine Funktion als arithmetische Maschine lösen79 und andere Anwendungsmöglichkeiten erschließen. Aufgrund ihres logischen Aufbaues als universale Maschine haben Computer, so Jens Schröter (2004b, 361), „keine Spezifik außer eben der, unspezifiziert zu sein“ und eben deshalb ist die Geschichte des Computers ein „Prozess der Ausdifferenzierung“ in verschiedenen diskursiven Praktiken, in denen sich der Computer als Medium herausgebildet hat. Der amerikanische Ingenieur Vannevar E. Bush (1890-1974) war einer der Ersten, der sich mit möglichen Anwendungsbereichen der neuen Technologie auseinandersetzte. In seinem viel zitierten Aufsatz „As we may think“ aus dem Jahr 1945 beschrieb Bush (1945) eine fiktive Maschine, der er den Namen Memex gab und die ein analog arbeitendes Gerät zur Informationsverarbeitung darstellte, „das einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung des menschlichen Geistes leisten könne“ (Friedewald, 1999, 51). Der Memex war ein „Supersekretär“ (Friedewald, 1999, 60) für den individuellen Gebrauch und sollte Wissenschaftlern dabei helfen die wachsende und unüberschaubare wissenschaftliche Literatur zu bewältigen. Wissenschaftliche Daten konnte der Memex fotografieren und auf Mikrofilm speichern, während der Benutzer durch die „assoziative Speicherung“ seine Dokumente immer wieder finden konnte (Friedewald, 1999, 63). Vannevar Bush stellte den abstrakten Entwürfen der Mathematiker Turing und von Neumann den Entwurf einer anwendungsorientierten persönlichen Maschine entgegen 79 Dazu Friedrich Kittler (2004, 201): „Ohne Bilder wären Computer ein Spielzeug von Mathematikern geblieben, eine Maschine auf Buchpapier, ganz wie Alan Turing 1946 über ihre Prinzipschaltung in Worten und mathematischen Zeichen geschrieben hat.“ 55 und brachte damit eine „originär ingenieurmäßige Methodik“ in die Computerentwicklung ein (Friedewald, 1999, 71). Der erste Großcomputer, dessen Anwendungen tatsächlich über die der zeitgenössischen Rechenanlagen hinausgingen, entstand ebenfalls in den USA. Zwischen 1944 und 1951 wurde der unter der Leitung von Jay W. Forrester (*1918) und Robert Everett (*1921) am MIT entwickelte Whirlwind ausdrücklich nicht zur Weiterentwicklung der Rechentechnik entworfen, sondern hatte „die Realisierung bestimmter Anwendungen mit Hilfe des Computers“ (Friedewald, 1999, 85) zum Ziel. Ursprünglich zur Steuerung eines Flugsimulators konstruiert und für zahlreiche weitere Anwendungen vorgeschlagen80, wurde der Whirlwind (bzw. sein Nachfolgemodell AN/FSQ7) schließlich in das ab 1950 aufgebaute strategische Luftüberwachungssystem SAGE integriert (Friedewald, 1999, 89). Ein Entwicklungsschritt, der den Beginn einer Diffusion der Computertechnologie bedeutete, die in Form der heutigen Allgegenwart des Computers in Technik und Alltag Realität geworden ist. Es ging bei der Konstruktion des Whirlwind nicht mehr nur um die Frage, wie man die bekannten Anwendungen des Computers als Rechenmaschine weiterentwickeln und beschleunigen konnte, sondern darum, „bislang unmögliche Anwendungen zu ermöglichen“ (Friedewald, 1999, 90). Eine Schlüsselfigur in der konzeptionellen Weiterentwicklung des Computers der sechziger Jahre war der Mathematiker und Psychologe Joseph C. R. Licklider. In seinem 1960 erschienenen Aufsatz „Man-Computer Symbiosis“ (Licklider, 1999, 59-71) beschrieb der Amerikaner seine Vision eines Computerwerkzeugs für allgemeine geistige Arbeit. Entscheidend war dabei für Licklider nicht die Frage, wie der Computer dem Menschen Rechenarbeit abnehmen könne, sondern auf welche Art und Weise Computer und Mensch sich ergänzen und zusammenarbeiten können. So setzte Licklider sich als Direktor des Information Processing Techniques Office (ITPO) der Advanced Research Projects Agency (ARPA)81 für die Entwicklung von Time-Sharing-Systemen ein, welche die gleichzeitige Nutzung einer Rechenanlage von mehreren Benutzern erlaubten (Friedewald, 1999, 123-129). Forrester, Everett und ihre Mitarbeiter legten 1948 einen Bericht für künftige Nutzungs- und Finanzierungsmöglichkeiten des Whirlwind vor, in welchem sie den Computer für den Einsatz in Flugraumüberwachungssystemen, Feuerleitsystemen und Simulatoren bis zu logistischen Planungssystemen vorschlugen (Friedewald, 1999, 89). 81 Das U.S. Verteidigungsministerium gründete die ARPA (später DARPA) 1958 als zivile und vom Militär weitestgehend unabhängige Einrichtung, um die wissenschaftliche wie technologische Vormachtstellung der USA in der Nachkriegszeit zu sichern. Vor allem das von Licklider gegründete ITPO sollte in den nächsten Jahren maßgeblich zur Entwicklung und Etablierung der neuen Computertechnologie beitragen (R. Hauben, 2001, 47-49). 80 56 Joseph Licklider war es auch, der sich dafür einsetzte, dass die ARPA die Arbeit eines weiteren Pioniers der interaktiven Computertechnologie förderte: Im Jahr 1968 stellte der Ingenieur Douglas C. Engelbart (*1925) seinem staunenden Publikum ein Computersystem vor, das die meisten Eigenschaften heutiger Computer bereits umfasste (Friedewald, 1999, 214-218). Mit seinem Online-System (NLS) ließen sich Dokumente, die sowohl Texte als auch Grafiken enthielten, erstellen, bearbeiten und sogar über ein Computernetzwerk versenden (Friedewald, 1999, 139). Weiterhin verfügte Engelbarts Computersystem über mehrere, parallel anwendbare Ein- und Ausgabemöglichkeiten, wie eine Einhandtastatur, einen Bildschirm und eine Maus82. Seiner Zeit weit voraus, stieß das NLS bei den Computerherstellern allerdings nicht auf allzu großes Interesse, erst einige Jahre später begann man sich wieder für Engelbarts innovative Lösungen zu interessieren. Die Grundlagen für die heutige Form der Computernutzung wurden endgültig in den siebziger Jahren in einem Forschungsinstitut für Computerwissenschaften und Halbleitertechnik der amerikanischen Firma Xerox Corporation in Paalo Alto, einem kleinen Ort am Rande des Silicon Valley, geschaffen. Im Paalo Alto Research Center (PARC) versammelte der Branchenführer bei Fotokopierern die renommiertesten Köpfe der Computerbranche, um die Möglichkeiten der interaktiven Computertechnologie weiterzuentwickeln und der Firma mit innovativen Produkten den Einstieg in den Computermarkt zu ermöglichen (Friedewald, 1999, 237-245). Die Vorgabe für das Forschungsinstitut war es, das „Büro der Zukunft“ (Friedewald, 1999, 260) zu entwickeln, in das der Computer ebenso selbstverständlich integriert werden sollte wie Bleistift und Papier. Das neue Computersystem sollte ein persönliches Werkzeug für den Benutzer sein und als universell einsetzbares Medium sowohl Texte und Grafiken als auch Musik bearbeiten können. Die Idee des ‚Multimedia-Computers‛ war geboren. Ehemalige Mitarbeiter aus der Gruppe um Douglas Engelbart, die der Leiter des Computer Science Laboratory (CSL) Robert Taylor zu PARC lotste, brachten dabei wesentlichen Erfindungen Engelbarts in die Entwicklungsarbeit in Paalo Alto ein (Friedewald, 1999, 242). Nach einer langen Planungs- und Experimentierphase konnte man 1973 am PARC schließlich den ersten Mikrocomputer mit dem Namen Alto vorstellen. Der für seine Zeit überaus fortschrittliche Computer verfügte über einen Grafikbildschirm, eine Maus, sowie eine Schreibmaschinentastatur und konnte außerdem über ein Ethernet-Netzwerk an einen Laserdru82 In zahlreichen Versuchen mit unerfahrenen Computernutzern hatte sich die Maus zuvor gegen andere ebenso innovative Eingabetechnologien durchgesetzt. Engelbart experimentierte unter anderem mit einem Lichtgriffel, einem Datenhandschuh und einem mit dem Knie steuerbaren Eingabegerät, das er „Bug“ nannte (Friedewald, 1999, 176-185). 57 cker angeschlossen werden. Besonderen Wert legte man bei der Konstruktion des Alto auf seine einfache Anwendbarkeit. Eine grafische, objektorientierte Benutzeroberfläche, welche die heute gängigen Betriebsysteme bereits vorwegnahm, spiegelte diesen Ansatz wider (Friedewald, 1999, 311-335). Trotz der innovativen Entwicklungen am PARC, konnte der eher zögerlich agierende Konzern sich nicht mit dem Alto durchsetzen, lieferte für die weitere Entwicklung des Computers zum Universalmedium jedoch entscheidende Impulse (Matis, 2002, 269-271). Wie Wolfgang Coy (1994, 31) festhält, lässt sich der „Beginn der eigentlichen Geschichte des Mediums Computer“ schließlich mit der Präsentation des Apple Macintosh im Jahr 1984 datieren. Die beiden Gründer von Apple Computers Inc., Steve Jobs (*1955) und Stephen G. Wozniak (*1950), hatten bereits Ende der siebziger Jahre mit dem Apple II einen kommerziellen Überraschungserfolg gelandet (Ceruzzi, 1998, 264-265) und wollten nun mit dessen Nachfolger ihre Vorstellung eines „Traumcomputers“ verwirklichen (Friedewald, 1999, 379). Dabei orientierte man sich bei Apple vor allem an der innovativen Forschungsarbeit am PARC, die Steve Jobs und Jef Raskin (*1943), Manager für Anwendungsprogramme bei Apple, bei einem Besuch in Paalo Alto kennen gelernt hatten (Friedewald, 1999, 379). Der Macintosh, den man 1984 im Zuge einer groß angelegten Werbekampagne auf den Markt brachte, übernahm die innovativen Systemkomponenten des Alto83 und konnte in seinem ‚schicken‛ Gehäuse zu einem Preis von etwa 2500 US-Dollar angeboten werden (Friedewald, 1999, 400). Über die grafische Benutzeroberfläche des Macintosh und dem separat erhältlichen Programm PageMaker84, konnte der ‚Mac-User‛ umfangreiche Dokumente mit Texten und Grafiken erstellen. Der Macintosh als erstes, tatsächlich universal anwendbareres und kommerziell erfolgreiches Multimedium wurde folglich schnell zum Lieblingswerkzeug von Grafikern, Musikern und Schriftstellern (Friedewald, 1999, 405). Dabei markiert der Macintosh auch in einer anderen Hinsicht einen Wendepunkt in der Computernutzung: Erstmals trat in der Wahrnehmung des Benutzers die technische Maschine hinter ihre Anwendung als Medium zurück, der Computer wurde zur Black Box. Sherry Turkle berichtet (1998, 49): Man hatte bei Apple bereits ein Jahr zuvor versucht die innovativen Konzepte des Alto in einem kommerziellen Desktop-Computer zu vereinen. Der Apple LISA („Local Integrated Software Achitecture“) blieb aber aufgrund des hohen Preises von rund 10000 US-Dollar ein kommerzieller Misserfolg (Ceruzzi, 1998, 273-274). 84 Für den Macintosh war PageMaker das, was man gemeinhin eine Killerapplikation nennt, also eine Software, die der eigentliche Grund ist, warum sich ein Käufer für den jeweiligen Computer entscheidet. VisiCalc für den Apple II und Lotus 1-2-3 für den IBM PC waren ebenfalls solche Killerapplikationen und trugen maßgeblich zum Erfolg der genannten Geräte bei (Friedewald, 1999, 405). 83 58 „Er verkörperte eine ganz andere Art des Verstehens. Anders als die Personalcomputer vor ihm ermunterte der ‚Mac‛ die User auf der Oberflächenebene der visuellen Repräsentation zu verbleiben, die nichts von seinen inneren Mechanismen preisgab. Der Reiz des Macintosh lag darin, dass seine ansprechenden Simulationen und Piktogramme dem Anwender halfen, mühelos Zugang zu Programmen und Daten zu erhalten. Ihm wurde eine glänzende Oberfläche präsentiert, über die er gleiten und auf der er spielen konnte. Aber es gab keine Stelle, an der er zum Tauchen eingeladen wurde. […] Mit dem Macintosh begannen Personalcomputer die traditionelle Erwartung der Moderne zu konterkarieren, man brauche bei einem technischen Gerät nur die Haube abzunehmen, und schon liege dessen Inneres nackt vor dem Auge des Betrachters. Die Besonderheit des Macintosh bestand genau darin, dass er derartigen Phantasien keinen Vorschub leistete; vielmehr machte er den Computerbildschirm zu einer Welt für sich“. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass es sich bei dem modernen Computer um einen Medienverbund handelt, der die traditionellen Einzelmedien durch das Verfahren der Digitalisierung integriert und über eine Benutzeroberfläche organisiert. Wie sich zeigen wird, macht diese Eigenschaft das Universalmedium Computer zu einem problematischen Ausstellungsobjekt. Durch die bloße Ausstellung des Computers lassen sich nicht automatisch die in ihm integrierten Einzelmedien zeigen und umgekehrt führt eine Präsentation der Einzelmedien in ihrer Anwendung nicht automatisch zu einem ganzheitlichen Erfassen des Medienverbundes Computer. Die Tatsache, dass der moderne Computer sein technisches Innenleben zunehmend hinter seiner ‚Oberfläche‛ versteckt85 und sich seine Anwendung von ihrem technischen ‚a priori‛ entfremdet, führt außerdem dazu, dass eine bloße Ausstellung der Hardware nicht ausreicht, um das Gesamtbild des Computers zu erfassen. 3.3 Virtualität − Der Computer als Simulationsmedium „We live in a physical world whose properties we have come to know well through long familiarity. We sense an involvement with this physical world which gives us the ability to predict its properties well. […] A display connected to a digital computer gives us a chance to gain familiarity with concepts not realizable in the physical world. It is a looking glass into mathematical wonderland” (Sutherland, 1965). Aber nicht nur die Pluralität seiner medialen Anwendung macht den Computer zu einem problematischen Ausstellungsobjekt. Über sein Fähigkeit hinaus die hergebrachten Einzelmedien zu digitalisieren (Neucodierung) und in seinen Verbund aufzunehmen, kann der Computer auch neue, virtuelle Inhalte erzeugen bzw. simulieren (Generierung) (Korn, 2005, 82). Während numerische bzw. dynamische Simulationen86 dazu dienen, Wie Friedrich Kittler (1993, 229) mit Nachdruck feststellt, steht der Computer damit ganz in der Tradition anderer technischer Medien: „Moderne Medientechnologien sind, schon seit Film und Grammophon, grundsätzlich darauf angelegt, die Sinneswahrnehmungen zu unterlaufen. Wir können schlichtweg nicht mehr wissen, was unser Schreiben tut, und beim Programmieren am allerwenigsten.“ 86 Der Begriff „simulieren“ hat seinen Ursprung im lat. „simulare“ mit der Bedeutung „ähnlich machen, nachahmen, zum Schein äußern“ und ist seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Wissen85 59 den Computer autark komplexe Phänomene der Wirklichkeit berechnen zu lassen und Aus- bzw. Vorhersagen über den untersuchten Sachverhalt zu erlangen (Schröter, 2004, 160), ist für eine Untersuchung der medialen Eigenschaften des Computers vor allem die interaktive87 oder „kybernetische Simulation“ (Weibel, 1993, 21) von Interesse, in denen der Benutzer seine Umgebung beeinflussen und ‚eintauchen‛ kann. Wie Sybille Krämer (1998, 13) feststellt, beruhen solche interaktiven Simulationen „auf der Technik der ‚Immersion‛, durch die wir Bilder nicht nur anschauen, sondern in den Bildraum auch eintreten und auf die Bildumgebung ohne (wahrnehmbare) Zeitverzögerung einwirken können“. Die wichtigsten Anwendungen interaktiver Computersimulationen sind Computerspiele und die, vor allem in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in den Medienwissenschaften viel besprochenen Virtuellen Realitäten (VR)88. Das entscheidende Merkmal interaktiver Simulationen ist dabei, dass die vom Computer generierten Inhalte immer auf ihren Spieler bzw. Benutzer ausgerichtet sind und die menschlichen Beobachter bzw. Akteure immer als „notwendige Bestandteile des kybernetischen Systems“ (Weibel, 1993, 21) in die Simulation eingeschlossen sind: Der Eintritt des Anwenders in die virtuellen Bildraum lässt eine isolierte Betrachtung der Hardware nicht zu: das Simulationsmedium erschließt sich nur in seiner Anwendung. Diese ‚intrinsische‛ Anordnung der Immersionsmedien führt zu einer prinzipiellen Untrennbarkeit von Beobachter und Beobachteten, von Spieler und Spiel, von Mensch und Maschine. Es gibt keine computergenerierte Umgebung ohne Beobachter, kein Computerspiel ohne Spieler oder um es mit den Worten von Peter Weibel (1993, 36) zu sagen: „Im Umgang mit den elektronischen Medien, mit den Tönen und Bildern, welche aus der Eigenwelt der Apparate aufsteigen, wird klar, dass wir nicht einfach externe Benutzer und Beobachter sind, sondern dass wir es mit einer neuen Stufe der MenschMaschine-Symbiose zu tun haben, bei der die Schnittstelle eine zentrale Rolle spielt“. Auch die interaktive Computersimulation hat neben ihren technischen Ursprüngen eine vielfältige Ideengeschichte von geistigen Konzepten und Visionen und lässt sich folglich nur schwer als einheitliche Entwicklungsgeschichte beschreiben. So kann man, wie Jens Schröter (2004a, 156) feststellt, die Vorgeschichte der computergestützten interaktiven schaftssprache gebräuchlich für „technische Vorgänge oder Naturprozesse wirklichkeitsgetreu (im Modell) nachbilden“ (Pfeifer et al., 1993, 1293). 87 „Interaktiv“ bezeichnet hier die Mensch-Maschine-Kommunikation und nicht die computergestützte Mensch-Mensch-Interaktion, die im anschließenden Kapitel (3.4) besprochen wird. 88 Zum Beispiel von Rheingold (1992), Weibel (1993), Halbach (1994). Der Begriff „Virtuelle Realität“ (VR) wird oft ungenau und für verschiedene Phänomene verwendet. Im Folgenden sind mit VR computergestützte Display-, Interaktions- und Simulationstechnologien gemeint, die virtuelle Umgebungen erzeugen, welche auf das betrachtende Subjekt immersiv wirken (vgl. Schröter, 2004, 152-156). 60 Simulation bis in die Anfänge der zivilen und militärischen Luftfahrt zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. Im Jahr 1931 wurde von Edwin Link (1904-1981) der erste einsatzfähige Flugsimulator vorgestellt, der eine ‚echte‛ Flugsituation mit Hilfe einer mechanisch-pneumatischen Anordnung audio-visuell simulieren konnte. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Link-Trainer von der U.S. Air Force den Kriegsanforderungen angepasst und als Celestial Navigator zu militärischen Trainingszwecken eingesetzt (Halbach, 1994, 233). Etwa zur gleichen Zeit und ebenfalls von der Air Force gefördert, experimentierte Fred Waller (1896-1954) mit Filmprojektoren und verschiedenartigen Leinwänden, um das visuelle Erlebnis der Kinematographie durch eine ‚RundumProjektion‛ dem natürlichen Sichtfeld des Menschen anzugleichen (Halbach, 1994, 233). Wallers Cinerama-Verfahren wurde in spätere Modelle des Link-Trainers eingebaut. Wie bereits in Kapitel 3.1 dargelegt, fallen in die Zeit des Zweiten Weltkriegs auch die entscheidenden Schritte zur Entwicklung der Computertechnologie, die zur Berechnung von Flugbahnen und Geschossen notwendig wurden (ENIAC). Es war nur eine Frage der Zeit, bis man die neue digitale Rechentechnologie auch bei der Konstruktion der immer anspruchsvoller werdenden Flugsimulatoren einsetzte. Um eine realistische Reaktion des Simulators auf die Eingaben des Testpiloten in Echzeit zu erhalten, war die Berechnung komplexer Differentialgleichungen notwendig und die neue Technologie versprach eine maschinelle Lösung (Schröter, 2004, 159). So wurde der am MIT ab 1944 konstruierte und bereits erwähnte Whirlwind-Computer von Jay Forrester ursprünglich als universaler Flugsimulator konzipiert, wenn auch bekanntlich nie als solcher eingesetzt (Pias, 2002, 69-70). Vor dem Hintergrund der technischen Realisierbarkeit computergestützter, interaktiver Simulationen bildete sich in der Nachkriegszeit schließlich die Vision gänzlich digital generierter und immersiv wahrnehmbarer künstlicher (Um-)Welten89, für die man heute den Begriff Virtuelle Realität90 verwendet. Ein erstes, ausgereiftes Konzept der VR stellte zum Beispiel Oswald Wieners (*1935) Entwurf des Bio-Adapters in den Jahren 1965/66 dar. Wiener (1993, 114-126) beschrieb mit seiner Immersionsmaschine eine interaktive Technologie, die sich um den biologischen Körper des Benutzers legt und das Ziel hat, die ‚wirkliche‛ Welt zu ersetzen. Erstmals wird folglich über die Verwendung von Computersimulationen nachgedacht, die nicht das Ziel verfolgen einen realen Prozess mögSchröter (2004, 168-80) verweist in diesem Zusammenhang auf zahlreiche utopische Entwürfe und „fiktionale Überzeichnungen“ der Science-Fiction Literatur in den sechziger Jahren, etwa auf den Roman „Simulacron-3“ von Daniel Francis Galouye (1964) und Texte von Stanislaw Lem („Terminus“, „Die Jagd“ u.a.). 90 Als Schöpfer des Begriffs „Virtuelle Realität“ wird gemeinhin Jaron Lanier genannt, der mit seiner Firma VPL (Virtual Programming Language) die ersten kommerziell erhältlichen VR-Systeme vertrieb (Schröter, 2004, 216). 89 61 lichst wirklichkeitsgetreu nachzubilden (wie im Falle der Flugsimulatoren), sondern fiktionale, aber ‚realistisch‛ wirkende Welten neu zu erschaffen. Zur technischen Realisierung dieser geistigen Konzepte haben in den sechziger Jahren vor allem die beiden ‚VR-Pioniere‛ Morton Heilig (1926-1997) und Ivan Sutherland (*1938) einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet. Dem Filmemacher und Erfinder Heilig ging es dabei weniger um die Potenziale der aufstrebenden Computertechnologie, als um die Entwicklung eines „Cinema of the Future“, das alle Sinne des Betrachters ansprechen sollte (Schröter, 2004, 180-187). Sein 1962 vorgestellter SensoramaSimulator simulierte die dreidimensionale Illusion einer Motorradfahrt durch New York, die neben dem Einsatz von Stereoton auch die haptischen (Vibration) und olfaktorischen (Gerüche) Sinnesorgane des Rezipienten ansprach (Weibel, 1993, 23). Während jedoch der Betrachter in Heiligs Maschine nicht in den Ablauf der Simulation eingreifen konnte und eher passiver Zuschauer eines, zugegebenermaßen außergewöhnlichen, Kinoerlebnisses war, versuchte der Amerikaner Sutherland auf der Suche nach dem „ultimativen Display“, den projizierten Bildausschnitt an die natürliche bewegungsabhängige Wahrnehmung des Menschen anzupassen (Schröter, 2004a, 193). Dies gelang Sutherland 1968 mit der Konstruktion eines Helmes mit integriertem Display, dessen stereo-optische Bilder sich perspektivisch an die Kopfbewegungen des Rezipienten anpassen konnten. Für Weibel (1993, 25) bedeutet diese Erfindung des Head-MountedDisplay (HMD) „den eigentlichen Beginn der virtuellen Welten“. Erst in den achtziger Jahren konnten die frühen Ideen und Arbeiten zur Generierung Virtueller Realitäten aus den sechziger Jahren weiterentwickelt und zumindest ansatzweise realisiert werden. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung wurde 1988 am Ames Research Center der NASA mit dem VIEW-System (Interactive Virtual Environment Workstation) vollzogen, welches „alle Aspekte der Vorläufer, von der Flugsimulation bis zu Sutherland“ aufnahm (Weibel, 1993, 26). Außerdem griff die NASA auf neuere Entwicklungen in der Mensch-Maschine-Kommunikation wie Datenhandschuh (DataGlove) und Ganzkörperanzug (DataSuit) zurück, die eine direktere Interaktion des Anwenders mit seiner virtuellen Umwelt ermöglichen (Schröter, 2004a, 206-209). Obwohl sich die VR-Technologie durch ein großes medienutopisches Potenzial auszeichnet und vor allem in den neunziger Jahren sowohl im wissenschaftlichen, also auch im populär-kulturellen Bereich für viel Begeisterung gesorgt hat91, konnte sich VR im engeren Sinne, also als interaktive HMD-Technologie, bislang kaum als mediale An91 Beispielsweise in Filmen wie „Strange Days“ (1995), „Truman Show“ (1998), „The Matrix“(1999), „eXistenz“ (1999). Schröter (2004, 221-234) diskutiert außerdem das Holodeck in der Fernsehserie „Star Trek – The Next Generation“ (1987-1994). 62 wendung der Computertechnologie durchsetzen. Außerhalb des militärischen Sektors, wo sie weiterhin als Trainingstechnologie eingesetzt wird, und einigen wenigen, spezifischen Applikationen im Bereich der Wissenschaften, lässt sich VR heute nur gelegentlich als Umsetzungen von Medienkünstlern oder als besondere Attraktion in Freizeitparks wieder finden. Ganz anders verhält es sich bei der kommerziell wohl erfolgreichsten Anwendung der interaktiven Computersimulation, den Computerspielen. Computerspiele zeichnen sich laut Britta Neitzel (2004, 493) zunächst dadurch aus, dass das digitale Rechnen mit einer spielerischen Anwendung verknüpft wird. Entscheidendes Element des Medium Computerspiel ist dabei die bereits erwähnte und für interaktive Simulationen charakteristische „ständige Rückkoppelung zwischen den Eingaben der Benutzer und der Ausgabe auf dem Monitor/Display“ (Neitzel, 2004, 507). Auch in der Entwicklungsgeschichte der Computerspiele wurde dabei oft versucht, den Immersionsgrad der Simulation durch neue Displaytechnologien oder das Ansprechen zusätzlicher Sinnesorgane des Spielers zu erhöhen92. Im Gegensatz zur VR, stellt für ein Computerspiel jedoch „die eigentliche Handlung“ (Mertens & Meißner, 2002, 57) bzw. die Aufgabenstellung den entscheidenden Immersionsfaktor dar, der dem Spieler erlaubt in die Simulation einzutauchen. Trotzdem ist die Geschichte der Computerspiele zunächst eng verbunden mit der technischen Entwicklung des Computermonitors und seinen Vorläufern. So stellt Claus Pias (2002, 70) fest, dass bereits die technische Anordnung des Whirlwind, der im Rahmen des SAGE-Radarüberwachungssystems erstmalig die digitale Computersimulation mit der Ansteuerung eines Displays verband, einige Computerspielelemente vorwegnahm. Auf der angeschlossenen Kathodenstrahlröhre wurden feindliche Flugobjekte als Bildschirmpunkte visualisiert, welche der Operator mit einer Lightgun auswählen und markieren konnte. Erstmals, so Pias (2002, 71), wurde damit ein „Kommunikationsmodell in der Beziehung von Computer und Benutzer“ (Pias, 2002, 71) eingeführt und ermöglichte eine Interaktion von Mensch und Maschine in Echtzeit. Der erste, der mit der neuartigen Computertechnologie dann tatsächlich spielte (oder vielmehr spielen ließ), war in den späten fünfziger Jahren der Amerikaner William Higinbotham (1910-1994). Der Ingenieur am Brookhaven National Laboratory suchte nach einer geeigneten Attraktion für den ‚Tag der offenen Tür‛ seines Institutes und präsen92 Man denke zum Beispiel an Nintendos kuriosen Virtual Boy aus dem Jahr 1995, eine stereoskopische Ausgabe des Erfolgsmodells Game Boy. Als multisensorische Elemente im Bereich der Computerspiele konnten sich aber bislang nur diverse Forcefeedback- und Vibrationseffekte bei Controllern oder anderen Eingabegeräten durchsetzen. 63 tierte den begeisterten Besuchern auf einem kleinen Oszilloskop, das an einen analogen Computer angeschlossen war, ein simples Rückschlagspiel mit dem Namen Tennis for Two (Mertens & Meißner, 2002, 20-22). Es waren jedoch wieder einmal die kreativen Köpfe am MIT, die das erste vollständige Computerspiel programmierten und erstmalig auch einer (zumindest etwas) breiteren Nutzergruppe verfügbar machten. Um die interaktiven Fähigkeiten des mit einem Vektorbildschirm ausgestatteten PDP-1 von DEC zu demonstrieren, programmierten Steve Russell und seine Mitarbeiter im Winter 1961/62 das Computerspiel Spacewar, in dem zwei Spieler vor einem einfach darstellbaren und trotzdem wirkungsvollen Sternenhintergrund mit zwei Raumschiffen, grafisch dargestellt als Dreieck und eine Art Nadel, gegeneinander antreten konnten (Mertens & Meißner, 2002, 23-27). Spacewar behielt den Status eines studentischen Projektes, wurde jedoch von DEC begeistert aufgenommen und fortan als „Diagnoseprogramm“ mit dem PDP-1 ausgeliefert (Pias, 2002, 84). Dies führte zu einer Verbreitung des Spiels bei wissenschaftlichen Institutionen, die sich den kostspieligen PDP-1 anschaffen konnten. Eine weitere Bildschirmtechnologie für Computerspielanwendungen erschloss Ralph Baer (*1922), als er 1966 mit dem Odyssey Home Entertainment System die erste Videospielkonsole konstruierte, die man an den heimischen Fernseher anschließen konnte (Mertens & Meißner, 2002, 31-39). Das ab 1972 von der Firma Magnavox vertriebene Gerät beinhaltete elf Spiele, die sich allesamt aus der bereits von Tennis for Two bekannten minimalistischen Schwarzweißgrafik mit Punkten und Geraden zusammensetzten. Zu jedem Spiel gab es jedoch eine bunte Klebefolie, die man auf dem Fernseher anbringen konnte, um den schwarzen Bildschirm in eine Rennstrecke, ein Footballfeld oder einen anderen ‚Hintergrund‛ zu verwandeln. Trotzdem wurde die Odyssey kein großer kommerzieller Erfolg und stieß bei der in Sachen Computernutzung noch weitestgehend unerfahrenen Kundschaft eher auf Ablehnung. Für die endgültige Popularisierung und kommerziell erfolgreiche Vermarktung von Computerspielen steht der Name Nolan Bushnell (*1943). Inspiriert vom rechtlich ungeschützten Spacewar konstruierte der Gründer der Firma Atari im Jahr 1970 zunächst die erfolglose, weil für die computer-unerfahrene Zielgruppe zu komplizierte ArcadeVariante Computer Space für Spielhallen. Zwei Jahre später war es dann schließlich wieder eine Variante des Tennis for Two - Prinzips, mit der Bushnell der endgültige kommerzielle Durchbruch gelang (Mertens & Meißner, 2002, 48-54). Der legendäre Spielautomat PONG gilt als „Initialzündung der Videospiele-Industrie“ (Lange, 2002, 15) und erreichte nach seinem Siegeszug durch die Spielhallen schließlich auch in Form zahlreicher Heimvarianten die Privathaushalte. 64 Ende der siebziger Jahre waren es die Spiele Breakout (1976) und Space Invaders (1978), die den bis dahin so simplen Computerspielen mehr inhaltliche Tiefe, eine Hintergrundgeschichte und nicht zuletzt die nötige Langzeitmotivation durch die Einführung eines Level- (Breakout) und Highscore-Systems (Space Invaders) beifügten (Mertens & Meißner, 2002, 54-63). Vor allem das überaus erfolgreiche Space Invaders sorgte für einen neuen Schub der Branche und war maßgeblich verantwortlich für den kommerziellen Erfolg des Heimvideospielsystems VCS 2600 von Atari, von dem bis zum Jahr 1991 fast 25 Millionen Stück hergestellt wurden (Lange, 2002, 22). In den achtziger Jahre wurde das Computerspiel dann endgültig ein „interaktives Erzählmedium“ (Lange, 2005), nicht zuletzt durch den Auftritt der ersten VideospieleStars Pacman (1980) und Nintendos Erfolgsgaranten Mario (1981). Computerspiele entwickelten sich zu literarischen Medien und begannen Geschichten zu erzählen, mit der entscheidenden Besonderheit, dass der Spieler den Ablauf der Geschichte beeinflussen konnte (Mertens & Meißner, 2002, 74-87). Nach einer kurzzeitigen Krise der amerikanischen Videospiel-Industrie in den Jahren 1983/84 (Lange, 2002, 4) erfolgte in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts die endgültige Etablierung des Computerspiels als populäres Medium. Während Nintendo an die Tradition der Spielkonsolen anschloss und mit dem Nintendo Entertainment System (NES) 1985 eines der erfolgreichsten Videospielsysteme aller Zeiten auf den Markt brachte (Lange, 2002, 45), sorgten vor allem die ersten preisgünstigen Personal Homecomputer wie der C64 für die breite Diffusion der Computerspiele in die Privathaushalte. Es folgte der Aufstieg einer Unterhaltungsindustrie, in der mit Computerspielen heute weltweit mehr Umsatz gemacht wird als mit Kinofilmen93, was Florian Rötzer (2003, 9) zu der Aussage bewegt, bei Computerspielen handle es sich um „die eigentliche Kunstform des digitalen Zeitalters“. Für den weiteren Verlauf der Arbeit bleibt festzuhalten, dass sich der Computer in seiner Anwendung als interaktives Simulationsmedium nicht ohne das Subjekt erfassen lässt, von dem es benutzt wird. Genauer: Der moderne Computer als interaktives Simulationsmedium erschließt sich nur im Prozess seiner Anwendung. In der intrinsischen Anordnung der Mensch-Maschine-Symbiose lässt sich nicht das eine losgelöst von dem anderen betrachten. Die Folgen, die dieser symbiotische Charakter der Computeranwendung für den Computer als Exponat hat, werden in Kapitel Vier dieser Arbeit ersichtlich. 93 Mit Computer- und Videospielen werden weltweit rund 18,8 Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt. Marktforscher prognostizieren einen weiteren Anstieg und einen Umsatz von 27,1 Mrd. Euro im Jahr 2008. (Quelle: Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland ev., www.vud.de, Zugriff 4.06.05). 65 3.4 Interaktivität − Der Computer als Kommunikationsmedium “In a few years, men will be able to communicate more effectively through a machine than face to face” (Licklider & Taylor, 1968, 31). Obwohl die uneingeschränkte Berechen- und Integrierbarkeit von mathematisch formulierbaren Inhalten durch die universelle Turingmaschine und das Potenzial virtuelle, interaktiv steuerbare Inhalte zu generieren, die zentralen technischen Kategorien des modernen Computers sind, ist es vor allem die Anwendung als Kommunikationstechnologie, welche den Computer in den letzten Jahren zum Leitmedium der Gegenwart gemacht hat. Neben die beschriebene Mensch-Maschine-Interaktion tritt die ab 1960 vorangetriebene Vernetzung der Computer als Maschine-Maschine-Kommunikation, eine Verbindung, die schließlich zur computervermittelten Mensch-Mensch-Interaktion führen sollte. ‚Interaktivität‛ meint also in diesem Zusammenhang die direkte computervermittelte Kommunikation zwischen Menschen (E-Mail, Chat etc.), aber auch die Teilnahme an dem neuen Informationsraum des World Wide Web. Durch seinen Anschluss an das globale Netzwerk wird der Computer zum „Teil eines neuen Mediums“ (Coy, 1994, 32). Die erste Vernetzung digitaler Rechenmaschinen erfolgte Ende der fünfziger Jahre als direkte Reaktion der USA auf den ‚Sputnik-Schock‛. Im Rahmen des amerikanischen SAGE-Projektes wurden landesweit 22 Computer des Typen AN/FSQ7 und hunderte Radarstationen über Telefonleitungen verbunden, um die Vereinigten Staaten frühzeitig über Angriffe durch Langstreckenwaffen zu informieren und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten zu können (Darius, 2001, 686). Der von IBM hergestellte AN/FSQ7, auch bekannt als Whirlwind II, war eine Weiterentwicklung des in die Jahre gekommenen Whirlwind I und hatte die Aufgabe, die umfangreichen Datenmengen aus den angeschlossenen Radarstationen zu empfangen, auszuwerten und für seinen operator grafisch aufzubereiten. Obwohl SAGE ein frühes „Beispiel für ein distributed network“ (Darius, 2001, 686) und Vorbild für spätere Datennetze darstellte, war das System aufgrund seiner langen Reaktionszeiten und seiner zentralistischen Kommandostruktur strategisch ineffektiv und zu störungsanfällig (Friedewald, 1999, 95), was zu anhaltenden Diskussionen über die Informations- und Kommandostrukturen der USA im Kalten Krieg führen sollte (Schröter, 2004, 41-46). Ein Ingenieur, der sich in dieser Sicherheitsdebatte besonders hervortat, war Paul Baran (*1926). Im Auftrag der vom Militär finanzierten RAND Corporation beschäftigte sich Baran mit der Frage, wie Amerikas Kommunikations- und Verteidigungsstrukturen auch im Falle eines thermo-nuklearen Erstschlages weiterarbeiten könnten (Hunter, 2001, 93- 66 94). In seinem 1964 veröffentlichten Aufsatz „On Distributed Communications“ fasste Baran (1964) seine Überlegungen zusammen und plädierte für ein „distributed network“, in dem alle Knotenpunkte („nodes“) die gleiche Bedeutung haben und welches dadurch die Anfälligkeiten und Probleme eines zentralistischen, sternenförmig angelegten Kommunikationssystems umgehen könne. Außerdem kam Baran im Verlauf seiner Arbeiten auf den Gedanken, die im Netzwerk zu transportierenden Daten in „standardized-format packets“ (Baran, 1964) aufzuteilen und mit einer gemeinsamen Zieladresse versehen über verschiedene Routen zu verschicken (Abbate, 1999, 20-21). Die Aufteilung von Daten in gleichgroße ‚Pakete‛ erlaubt eine einfachere Auslegung der Knotenpunkte des Netzwerkes, ermöglicht eine Rekonstruktion der Daten, wenn einzelne Pakete nicht ihr Ziel erreichen und erschwert überdies unerlaubtes Abfangen von sensiblen Inhalten. Der Engländer Donald Davies (*1924) entwickelte ein paar Jahre später (aber unabhängig von Baran) im Auftrag des Ministry of Technology ein ähnliches Konzept für verteilte Computer-Netzwerke und prägte den Begriff des packet switching (Abbate, 1999, 22-35). Auch wenn Barans Überlegungen seinerzeit in den zuständigen Regierungsstellen mit großer Skepsis aufgenommen wurde und keine weitere Berücksichtigung fand, sollte sein Konzept, sowie die Überlegungen von Donald Davis, Ende der sechziger Jahre am ITPO der ARPA wieder aufgegriffen werden. Dort wurde unter der Leitung von Joseph Licklider jedoch zunächst ein ganz anderes Leitbild der vernetzten Computernutzung verfolgt. In den Anfängen der Computertechnologie dominierten, wie in Kapitel 3.1 dargestellt, zunächst Großrechenanlagen mit hoher Rechenleistung die Computernutzung. Die verfügbaren Ressourcen der Mainframes überstiegen dabei die Anforderung einer einzelnen Anwendung bei weitem und waren prinzipiell (aufgrund ihrer sequenziellen von Neumann-Architektur) in der Lage hunderte von Anwendungen hintereinander zu bedienen (Coy, 1994, 27). Die Einrichtung von Computer-Netzwerken bedeutete also zunächst die Verteilung der zentralen Rechenleistung eines Großcomputers auf verschiedene angeschlossene Arbeitsplätze. Dieses Prinzip des Time-Sharing bestimmte die zeitgenössische Vorstellung von Computer-Netzwerken und wurde in Form des IBM System/360 „zu einer Art Standard in der Großrechnerwelt“ (Coy, 1994, 27). Es handelte sich folglich um einen entscheidenden konzeptionellen Richtungswechsel, als Lawrence Roberts (*1937), Projektleiter am ITPO, im Oktober 1967 auf einem Symposium in Gatlingburg/Tennessee und wenige Tage später einem Computer Network Meeting im Pentagon, seine Pläne zum ARPANET vorstellte, dem Vorläufer des heuti- 67 gen Internet (Schröter, 2004a, 44-45). Inspiriert von den Arbeiten Paul Barans und Donald Davies’, präsentierte Roberts das ARPANET als verteiltes Netzwerk mit packet switching und wich damit vom zentralistisch ausgerichteten Time-Sharing-Prinzip ab. Vor dem Hintergrund des entstehenden ARPANET beschrieben Licklider und sein Nachfolger am ITPO, Robert Taylor (1968), ein Jahr später in ihrem Aufsatz „The Computer as a Communication Device“, wie ein solches verteiltes Netzwerk dazu benutzt werden kann, um menschliche Kommunikation jeglicher Art94 über Computer zu erleichtern und zeichneten sogar die Zukunftsvision von „On-line interactive communities“ (Licklider & Taylor, 1968, 37-38), in denen sich Menschen aufgrund ihrer gemeinsamen Interessen unabhängig von ihrem Wohnort austauschen können95. Es dauerte allerdings ein weiteres Jahr bis es der ARPA tatsächlich gelang vier Rechenanlagen (der Universitäten in Los Angeles, Santa Barbara und Utah, sowie dem Stanford Research Institute) zu einem ersten Kernnetzwerk zusammenzuschließen. Die Plattformunabhängigkeit des Netzes – es handelte sich um vier unterschiedliche Computermodelle (u.a. IBM 360/75 und PDP-10) – erreichte man dabei durch die Verwendung so genannter Interface Message Processor (IMPs), die zwischen die Hostcomputer und das Netz geschaltet wurden (Schröter, 2004a, 50). Nachdem das ARPANET in den folgenden Jahre weiter ausgebaut und ein eigenes Netzwerkprotokoll (NCP) entwickelt wurde, konnte Robert Kahn (*1938) das Netzwerk schließlich auf der International Computer Communication Conference (ICCC) im Jahr 1972 einer begeisterten Öffentlichkeit vorstellen (Leiner et al., 2000, 3). Im gleichen Jahr entwickelte Ray Tomlinson ein Programm für die Arbeitsgruppe Network Working Group, mit dem sich die notwendigen Koordinierungsaufgaben bei der Entwicklung des ARPANET durch das Versenden elektronischer Briefe besser bewältigen lassen sollten – E-Mail sollte die ‚Killerapplikation‛ werden, die in den folgenden Jahren einen entscheidenden Beitrag zur raschen Akzeptanz und Nutzung des Netzes vor allem im wissenschaftlichen Bereich leistete (Leiner et al., 2000, 3). Während sich so das ARPANET in den nächsten drei Jahren von einem experimentellen zu einem operationalen Netzwerk entwickelte und immer weitere Großcomputer hinzu kamen, stellte sich bald die Frage, wer für das staatlich entwickelte Computernetzwerk in Zukunft zuständig sein sollte. Nachdem man zunächst erwogen hatte, die Es lässt sich also beobachten, wie sich am ITPO die Realisierung von effizienten Computernetzwerken von einer militärischen Sicherheits-Frage zu einem allgemeinen Ansatz entwickelt hat. Dass das Internet in seiner heutigen Form nicht ausschließlich militärische Ursprünge hat, sondern sich vielmehr durch Ausdifferenzierungen in militärischen und zivilen Bereichen beschreiben lässt, folgert daher auch Jens Schröter (2004b, 370). 95 Eine frühe Vorwegnahme der „Virtuellen Gemeinschaften“ im Internet, mit denen sich unter anderen Howard Rheingold (1994) in den neunziger Jahren intensiv auseinandergesetzt hat. 94 68 Administration des ARPANET einem kommerziellen Unternehmen wie AT&T zu übertragen, übernahm im Jahr 1975 die Defense Communication Agency (DCA) die Kontrolle über das Netz (M. Hauben, 2001, 51). Die Militärs versuchten in der Folge das Netz zu homogenisieren und für ihre internen Zwecke nutzbar zu machen96, was sich vor allem 1980 in der Festlegung des ARPANET auf das Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP) äußerte (Leiner et al, 2000, 8). Aufgrund der steigenden Nutzung des Netzes organisierte die DCA jedoch 1983 die Spaltung des ARPANET in ein rein militärisch nutzbares MILNET und das so genannte Experimental ARPANET, welches auch weiterhin eine uneingeschränkte, experimentelle Nutzung des Netzwerks gewährleisten sollte (Schröter, 2004a, 60). Von der Möglichkeit an dem entstehenden Kommunikationsmedium teilzuhaben und sein kommunikatives Potenzial zu nutzen, wurde zur dieser Zeit vor allem an den Universitäten und Forschungsinstituten reger Gebrauch gemacht. Hatten sich erste computergestützte Konferenzsysteme (z.B. EMISARI oder EIES) bereits in den siebziger Jahren entwickelt, entstanden so Anfang der achtziger Jahre die ersten Multi User Domains (MUD) und Diskussionsforen (z.B. Usenet), für die sich neben den akademischen Forschungsgemeinschaften auch zunehmend private Anwender zu interessieren begannen (Rheingold, 1994, 142-165). Währenddessen entwickelten sich parallel zum ARPANET in den siebziger und achtziger Jahren weltweit zahlreiche weitere wissenschaftliche, amtliche und private Netzwerke, die schließlich auch das Standardprotokoll TCP/IP einführten. Diese Anpassung sowie die Einbindung der vor allem im universitären Bereich sehr beliebten lokalen Netzwerke (LANs), war eine Grundvoraussetzung für die Verbindung der separaten Netze zu einem umfassenden, globalen (noch nicht so genannten) Internet in den achtziger Jahren. Ab 1986 wurde das ARPANET schließlich nach und nach von der zivilen Einrichtung National Science Foundation (NSF) übernommen und als NSFNET weitergeführt (Abbate 2000, 181-220). Als am 28. Februar 1990 das ARPANET auch offiziell aufgelöst wurde, beschloss man die vorhandene technische Infrastruktur des NSFNET zu privatisieren und dem Internet (Backbones) als Gerüst zur Verfügung zu stellen. Nun war zumindest prinzipiell eine allgemeine und vor allem kommerzielle Nutzung des Internet möglich. Bevor sich aber das Internet zum viel genutzten ‚neuen Medium‛ entwickeln konnte, war eine Anpassung der Netzwerktechnologie an die Rezeptionsgewohn- 96 Dies geschah nicht zuletzt, um sich in Anbetracht der sich anbahnenden ‚PC-Revolution‛ vor Attacken und unerlaubten Zugriffen auf das ARPANET durch private Anwender (‚Phone Phreaks’) zu schützen (Schröter, 2004b, 366). 69 heiten des ‚normalen‛ Personal Computer-Users notwendig – es bedurfte einer anwenderfreundlichen und intuitiven ‚Benutzeroberfläche‛ für das Internet. Dies geschah durch eine Erfindung des britischen Software-Ingenieurs Tim Berners-Lee (*1955) im Jahr 1989 am European Laboratory for Particle Physics (CERN) in Genf. BernersLee entwickelte eine Anwendung, die heute fälschlicherweise oft als Synonym für das Internet gebraucht wird: das World Wide Web (WWW). Der studierte Physiker orientierte sich dabei an den Überlegungen von Vannevar Bush zum Memex sowie den Ausführungen des Amerikaners Theodor Nelson (*1937), der bereits in den sechziger Jahren den Begriff des Hypertext97 geprägt hatte (Berners-Lee, 1996). Ursprünglich entwickelt, um die weltweite Kommunikation innerhalb des CERN zu verbessern, beruhte BernersLee’s Erfindung auf der Einführung von drei Standards: Das Hypertext Transfer Protocol (HTTP) garantierte ein gemeinsames Kommunikations-Protokoll zwischen den verschiedenen Netzwerken, während Hypertext Markup Language (HTML) die einheitliche Codierung und Einbindung multimedialer Inhalte ermöglichte. Die Adressvergabe gemäß des Uniform Resource Locator (URL) erlaubte es Websites durch hypertext-links miteinander zu verbinden. Nachdem das WWW im Jahr 1993 durch die Direktion des CERN freigegeben wurde (ohne Lizenzgebühren zu erheben!), entstanden rasch kostenlose ‚Browser‛ wie Mosaic und Netscape Navigator, welche den Umgang mit den Datennetzen vereinfachten (Kammer, 2001, 546). Die Einführung des WWW bedeutete einen entscheidenden Entwicklungsschub für das Internet und die Diffusion der Netzwerktechnologie in den öffentlichen Raum. Unter der Schlagzeile „A Free and Simple Computer Link“ erschien im Dezember 1993 ein ausführlicher Artikel in der New York Times über das WWW als „Schatzkarte des Informationszeitalters“ (Markoff, 1993) und rückte damit das Internet als neues Informations- und Kommunikationsmedium erstmals in den Fokus der allgemeinen amerikanischen Öffentlichkeit. Ab 1994 begann sich das Internet explosionsartig und mehr oder weniger wildwüchsig auszubreiten98. Die Öffnung des Netzes für die allgemeine Öffentlichkeit hatte eine Ausweitung der Angebote und eine starke Kommerzialisierung zur Anschließend an Vannevar Bush, hat sich Nelson mit einer assoziativen, non-sequenziellen Organisation von Informationen befasst, durch die eine bessere Verfügbarkeit von Wissen erreicht werden sollte. In Anlehnung an die Funktionsweise des menschlichen Gehirns sollte eine assoziative Verknüpfung von Daten als Gegenentwurf zu den herkömmlichen linearen Texten die Bewältigung eines ständig anwachsenden Archivs ermöglichen. Nelson verband seine Idee des „Hypertext“ explizit mit der Nutzung der digitalen Computertechnologie, was sein Konzept zu einem „Vorläufer heutiger Software zur hypertextuellen Vernetzung von Dokumenten“ macht (Schröter, 2004a, 34-39). Der Begriff „Hypertext“ wurde vor allem bekannt durch einige Hypertext-Programme für den Apple II in den achtziger Jahren (z.B. Hypercard, 1986). 98 Im Jahr 2000 lag die Zahl der Menschen mit Zugang zum Internet weltweit zwischen 360 und 380 Millionen und es wurden in diesem Jahr etwa 10 Milliarden E-Mails verschickt, der Suchdienst google erfasste über 500 Mio. Websites (Balnaves, J. Donald & S. H. Donald, 2001, 84-91). 97 70 Folge. Zunächst auf Texte und einfache Grafiken beschränkt, vollzog sich im Laufe der neunziger Jahre eine „Multimediatisierung“ des Netzes (Kammer, 2001, 547), woran vor allem steigende Übertragungskapazitäten und neue Datenkompressionsverfahren einen großen Anteil hatten. Es bleibt festzuhalten, dass durch die Einrichtung des globalen Computernetzwerkes mit dem Internet ein neues, globales Medium entstanden ist. Computernetzwerke lassen, wenn man den einschlägig bekannten Metaphern wie Datenautobahn, Global Village oder Cyberspace99 Glauben schenken mag, einen „global organisierten Raum entstehen, welcher grenzenlos, permanent veränderbar und nicht mehr örtlich fixiert ist“ (Löw, 2001,103). Die Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit dem Netz (oder doch den Netzen?), sowie nicht selten widersprüchlichen Beschreibungen der ‚Netzwelt‛ führt Manfred Fassler (2001, 21) dabei auf den dynamischen Charakter der Computernetzwerke zurück: „Netze sind unüberschaubare Prozesse, die sich selbst zu organisieren scheinen, die eine Lebendigkeit entwickeln, die die menschliche Selbstorganisation als Gesellschaft zu überspringen scheinen oder ihr zumindest neue Serien von Emergenzen (überraschende Erkenntnismuster) auferlegen“. Computer ermöglichen den Zugang zu dem neuen Medium Internet und bilden gleichzeitig dessen Infrastruktur. Sie sind nicht nur Teil des Ganzen, sondern eben auch Voraussetzung, bzw. technisches a priori der medialen Netzkonstellation. Dass sich dieser komplexe Zusammenhang nur schwer in einer Ausstellung bzw. an einem Exponat ‚zeigen‛ lässt, sei bereits an dieser Stelle vorweggenommen. 99 Eine Diskussion dieser und anderer Metaphern für den neuen Datenraum liefert Achim Bühl (2000, 137). 71 4 Der Computer als Exponat „Lokomotiven und Eisenbahnwagen, die in einem Eisenbahnmuseum stehen, transportieren keine Reisenden und Güter mehr. Die in einem Armeemuseum deponierten Schwerter, Kanonen und Gewehre dienen nicht mehr zum Töten. Utensilien, Werkzeuge und Kostüme, die Teile eines ethnographischen Museums oder einer Sammlung sind, haben keinen Anteil mehr an Alltag und Arbeit der Bevölkerung in Stadt und Land […]“ (Pomian, 1993, 14). ‚… und mit den Computern, die in einem Computermuseum stehen, werden keine Dokumente verfasst, keine Bilder bearbeitet oder Spiele gespielt und keine E-mails verschickt‛. So oder ähnlich kann man die Überlegungen von Krysztof Pomian weiterführen, wenn man sich mit dem Computer als Ausstellungsobjekt beschäftigt. Die historischen Objekte einer technischen Sammlung sind zunächst Gegenstände ohne Funktion, die aus ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang entnommen wurden und eine neue Rolle als Exponat100 zugewiesen bekommen. Als „Vehikel, die das Einst ins Jetzt tragen“ (Klein, 2004, 42) sollen sie dennoch in der Ausstellung ‚authentisch‛ auf ihre vergangene Anwendung und Funktionalität verweisen. Auf diese Weise verschaffen diese „Zeugen der Vergangenheit“ (Korff, 2002c, 168) dem Ausstellungsbesucher einen Zugang zur kulturellen Herkunft seiner Gesellschaft und lassen das Museum als „Bewahrer des kollektiven Gedächtnisses einer Gemeinschaft“ auftreten (Waidacher, 2005, 27). Während jedoch Funktionalität und Gebrauchszusammenhang der angesprochenen Lokomotive eng an deren gegenständlich materielle Oberfläche geknüpft und daher durch das Exponat im Eisenbahnmuseum nachvollziehbar bzw. ‚transparent‛ sind, bleibt der Personalcomputer in der Vitrine auffällig blass und nichts sagend. Dies liegt vor allem daran, dass sich der Computer als Medium, wie in Kapitel 3 dargestellt, mehr als jeder andere moderne technische Gegenstand, erst in seiner Anwendung durch den Benutzer, also im Prozess der Mensch-Maschine-Interaktion (Multimedium, Simulationsmedium) bzw. Mensch-Mensch-Interak-tion (Kommunikationsmedium) erschließen lässt. Das folgende Kapitel untersucht drei unterschiedliche Ansätze, den Computer im Rahmen einer Ausstellung als Exponat zu präsentieren. Es zeigt sich, dass mit zunehmender Komplexität des ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs der Objekte, die Möglichkeit einer authentischen Präsentation am Exponat abnimmt. 100 Eine sprachlich präzisere Bezeichnung für museale Ausstellungsobjekte ist der Begriff ‚Exposita‛, abgeleitet vom lat. expositum (= ausgestellt, zur Schau gestellt) siehe Waidacher, (2005, 319). Aus Gründen der Leserlichkeit wird im Folgenden jedoch der gebräuchlichere Neologismus ‚Exponat‛ verwendet. 72 4.1 Vom Werkzeug zum alten Objekt − Der alte Computer Historische Ausstellungen zeigen im Allgemeinen zwei verschiedene Arten von Exponaten: einerseits speziell für diesen Zweck angefertigte Objekte (wie z.B. Schautafeln, Modelle, Druckknopfexperimente etc.), andererseits historische Objekte, die der ‚wirklichen Welt‛ außerhalb der Ausstellung entstammen und aufgrund ihrer Geschichtlichkeit als bedeutsam angesehen werden. Für Letztere hat der französische Philosoph Jean Baudrillard (1991, 95-109) den Begriff der „Alten Objekte“ gewählt. „Alte Objekte“ definieren sich für Baudrillard ganz über ihr Verhältnis zur Vergangenheit: Aus „Nostalgie für den Ursprung“ und „Versessenheit auf das Authentische“ wird ihnen ein besonderer Ausdruck beigemessen: „Im alten Objekt erkennen wir somit den Mythos vom Ursprung“ (Baudrillard, 1991, 98). Eingangs seines Buches „Expositum. Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit“ untersucht Alexander Klein (2004, 22-49) die Entstehung musealer Gegenstände und verfolgt ihren Weg „vom Zeug zum Alten Objekt“. Unter ‚Zeug‛ fasst Klein (2004, 22-23) dabei die Dinge des Alltags zusammen, mit denen wir selbstverständlich umgehen, ohne dass sie sich in unsere bewusste Wahrnehmung drängen bzw. wir auf sie aufmerksam werden101: „Der Umgang mit Zeug erscheint selbstverständlich; man hinterfragt es nicht. […] Entscheidend für den Zeugcharakter ist das völlige Aufgehen des Zeugs in einer Handlung, und nicht seine Form oder sein Ursprung.“ Der Computer ist eine gutes Beispiel dafür, wie (Werk-)Zeug in einer bestimmten Handlung aufgeht: Verfasst man mit dem PC einen Text, so gehen Tastatur, Monitor und Rechner in der Schreibarbeit auf und entschwinden unserer aktuellen Wahrnehmung: „Zeug“, so Klein (2004, 23), „zeigt sich nicht“. Im ‚Zeug‛ ist jedoch immer die Möglichkeit angelegt ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit zu gelangen und „zum unterschiedenen Etwas, das heißt zum materiellen Gegenstand zu erwachen“ (Klein, 2004, 24). Dieser Prozess der „Vergegenständlichung“ kann auf zwei Arten geschehen: Zum einen können Gegenstände entstehen, wenn ‚Zeug‛ plötzlich auffällig wird und die Aufmerksamkeit des Benutzers auf sich zieht. So ist zum Beispiel die Tastatur des PCs ‚auf einmal da‛ (d.h. hat unsere Aufmerksamkeit) wenn sie nicht korrekt funktioniert, vom Tisch fällt oder ein ähnlich unvorhergesehener Zwischenfall eintritt. Die zweite Form der Vergegenständlichung bedarf der aktiven Bedeu101 Klein entleiht den Begriff des ‚Zeugs‛ bei Heidegger, der darunter die Gegenstände („das Seiende“) versteht, die in der Lebenswelt ‚zuhanden‛ sind, also für eine Verwendung zur Verfügung stehen und in einer vorwissenschaftlichen Erfahrung erlebt werden (siehe Figal, 1992). 73 tungszuschreibung durch das reflektierende Subjekt, welches aus der Menge des Zeugs einen Gegenstand auswählt und ihm eine „situationsunabhängige Bedeutung“ (Klein, 2004, 25) zuschreibt. Dies ist zum Beispiel der Fall wenn profane Dinge aus dem Urlaub mitgebracht und als ‚Andenken‛ umgedeutet werden. Vergegenständlichung als eine solche subjektive Bedeutungszuschreibung ist dabei immer abhängig vom betrachtenden Individuum. „Den ‚objektiven‛ Gegenstand gibt es nicht“, hält Klein (2004, 26) folgerichtig fest. Die ‚Alten Objekte‛ Baudrillards sind eine besondere Gruppe von Gegenständen, insofern sie durch eine besondere Form der Vergegenständlichung entstehen: der Musealisierung. ‚Alte Objekte‛ entstehen demnach, wenn die Fähigkeit bestimmter Dinge entdeckt wird, „Zeugnis über eine passierte Bewandnisganzheit abzulegen“ (Klein, 2004, 33). An die Stelle des ursprünglichen Funktionswertes wird dann ein Erinnerungswert gesetzt: „So wird der alte Kochtopf, der jahrzehntelang zum gebrauchten Küchengerät gehörte und in dieser Verwendung nicht weiter aufgefallen ist, eines Tages, der zahlreichen, mit ihm verknüpften Erinnerungen wegen, auf den Wandschrank an einen gut sichtbaren Platz gestellt und fortan nicht mehr für seinen ursprünglichen Zweck verwendet“ (Klein, 2004, 34). Wie das Beispiel zeigt, kann Musealisierung überall und in den verschiedensten kulturellen Formen auftreten. Musealisierung ist, so Klein, „eine anthropologisch universale Form der Vergegenständlichung, die aus einem Gebrauchten ein dauerhaft Gezeigtes macht“ (Klein, 2004, 34). Die Motivation, die der Musealisierung zu Grunde liegt, besteht dabei darin „Andenken zu schaffen“ und „Vertrautes zu bewahren“102: „Dinge werden dem Verschleiß entzogen, aufgehoben und vor Veränderung geschützt, damit sie die Erinnerung an bestimmte Ereignisse oder Zustände, mit denen sie verknüpft waren, wach halten oder heraufbeschwören können“ (Klein, 2004, 36). ‚Alte Objekte‛ zeichnen sich folglich durch ein doppelwertiges Verhältnis zum Faktor ‚Zeit‛ aus. Einerseits befinden sich ‚Alte Objekte‛ in der Zeit des Betrachters (bzw. des Ausstellungsbesuchers), andererseits verweisen sie auf die Zeit in der Vergangenheit, aus der sie selbst entstammen. Aufgrund dieser „strukturellen Ambivalenz“ können ‚Alte Objekte‛ „das Einst mit dem Jetzt verbinden“ (Klein, 2004, 37) und eine Brücke aus der Gegenwart in die Vergangenheit darstellen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das ‚Alte Objekt‛ als „durch die Zeit hindurch ein und derselbe Gegenstand identifizier102 In dieser Erinnerungs- und Orientierungsfunktion der Musealisierung sehen viele Museumstheoretiker den Grund für den anhaltenden ‚Museumsboom‛ und halten Musealisierung für eine Reaktion auf die wachsende ‚Zivilisationsdynamik‛. So schreibt etwa Hermann Lübbe (1996, 24): „Vielmehr ist, genau umgekehrt, die aufdringliche Gegenwart der Vergangenheit eine objektive Konsequenz der historisch beispiellosen Dynamik zivilisatorischer Evolution und damit der Kraft dieser Zivilisation, Neues hervorzubringen und eben damit Altes zum Relikt zu machen“. 74 bar geblieben ist“103 (Klein, 2004, 37). Denn ‚Alte Objekte‛ verweisen nicht nur im Rahmen der Ausstellung auf ihren historischen Kontext, sondern sie sind selbst historische „Spur“ und materieller „Rest“ des Geschehenen. Wie alle Gegenstände sind sie subjektives Konstrukt und materieller Bedeutungsträger zugleich104 (Klein, 2004, 59-62). Verfolgt man den Weg vom ‚Zeug‛ zum ‚Alten Objekt‛ durch die Zeit, so lassen sich mehrere Stufen des Musealisierungsprozesses ausmachen: Zunächst befindet sich ‚Zeug‛ wie dargestellt in seinem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang und geht in seiner Nutzung bzw. Anwendung auf. Irgendwann jedoch erreicht es einen Zustand der „Entbehrlichkeit“ (Klein, 2004, 45) und wird aus seinem Gebrauchszusammenhang herausgenommen. Eine solche „Beseitigung“ (Klein, 2004, 43) kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel wenn ein altes Auto nach vielen Reparaturen endgültig ‚den Geist aufgibt‛ und verschrottet wird (Dysfunktionalität) oder ein fünf Jahre alter PC als technisch überholt empfunden und durch ein neueres Modell ersetzt wird (Rückständigkeit). Der letzte Abschnitt des Weges zum ‚Alten Objekt‛ kann nun sehr unterschiedlich verlaufen: Während manches ausrangierte ‚Zeug‛ sofort als historisch bedeutungsvoll erkannt und an museale Sammlungen weitergegeben wird, entschwinden die meisten Dinge aus dem „biographisch und gesellschaftlich Relevanten“ (Klein, 2004, 43), einfacher formuliert: sie werden zu Abfall105. Dinge, die auf diese Weise in Vergessenheit geraten, können jederzeit wieder entdeckt und als ‚Alte Objekte‛ neu gedeutet werden: Dabei wird die Bedeutung ihres ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs rekonstruiert und mit dem entdeckten Gegenstand in Verbindung gebracht. In beiden Fällen, der direkten Musealisierung oder über den Umweg des Abfalls, kann eine solche Rekonstruktion Dass auch diese Identität des ,Alten Objektes‛ letztlich eine Konstruktion des Betrachters ist, wird deutlich, wenn man an historische Großrechenanlagen wie ENIAC oder Whirlwind denkt, bei denen fortwährend Teile repariert, erneuert und zugefügt wurden. Die Identität des Gegenstandes setzt also „lediglich eine minimale Kontinuität der materiellen Gegenstandsdimension voraus, die sich an der stofflichen Beschaffenheit, aber auch an der äußeren Form erweisen kann“ (Klein, 2004, 38). 104 Klein hält aus diesem Grund die Anwendung der Semiotik auf die Ausstellungstheorie für überaus problematisch: „Von einer Dichotomie von Signifiant und Signifié kann allerdings nicht die Rede sein. Dies hieße, die dritte wesentliche Eigenschaft des Gegenstandes zu unterschlagen, seine Materialität oder Dinghaftigkeit. […] Materialität ist im klassischen Strukturalismus des Saussures, der für die gesamte Linguistik prägend gewesen ist, nicht vorgesehen – ein Umstand, der die Verwendbarkeit dieser Denkschule für die Museologie, die eine Wissenschaft der materiellen Kultur ist, stark einschränkt“ (Klein, 2004, 32). 105 Die Zwischenstation des Abfalls wird häufig fälschlicherweise als notwendige Voraussetzung der Musealisierung begriffen. Diese Überzeugung geht zurück auf eine Arbeit von Michael Thompson (1979). In „Rubbish Theory“ beschreibt Thompson, wie Gegenstände „fast gesetzesmäßig“ (Ernst, 1992, 1) in den Status des Mülls übergehen ehe sie wieder entdeckt und dauerhaft mit gesellschaftlicher Bedeutung aufgeladen werden. Nur Kunstwerke, so Thompson, können den Status des Abfalls auslassen und „direkt von der Produktion in die Kategorie des Dauerhaften gelangen“ (Ernst, 1992, 1). Ein Gegenbeispiel für Thompsons Müll-Theorie wird mit der Z4 im Laufe dieses Kapitels noch besprochen. Eine kritische Auseinandersetzung mit Thompson liefert Wolfgang Ernst (1992). 103 75 immer nur als Annäherung möglich sein. Ähnlich wie bei einem ausgestopften Tierpräparat, kann ‚Rekonstruktion‛ nie gleichbedeutend sein mit ‚Wiederholung‛, denn: „der Nachvollzug ist nicht mehr im passierten Leben möglich, das Ding in seinem ursprünglichen Weltzusammenhang gibt es nicht mehr“ (Klein, 2004, 44). Man kann zusammenfassend sagen, dass bei der Bedeutungszuschreibung von ‚Alten Objekten‛ die Geschichte der jeweiligen Gegenstände ein entscheidendes Kriterium darstellt. Dabei lassen sich grundsätzlich zwei Exponattypen unterscheiden: ‚Unikate‛ sind „einzigartige“ Gegenstände, die aufgrund ihrer individuellen Objektgeschichte in die museale Sammlung als Zeitzeugen aufgenommen werden (Klein, 2004, 76-77). ‚Serienstücke‛ hingegen werden aufgrund ihrer allgemeinen Objektgeschichte für bedeutsam gehalten und fungieren als Stellvertreter einer ganzen Objektreihe. Allerdings sind die Grenzen zwischen individueller und allgemeiner Objektgeschichte zuweilen unscharf und können sich überlagern. So kann auch ein Serienstück, von dem in seinem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang zahlreiche Exemplare existierten (etwa ein antikes Tongefäß) heute einzigartig sein, weil es als Einziges seiner Art erhalten geblieben ist. In diesem Fall verweist das Alte Objekt sowohl auf die allgemeine Objektgeschichte seiner Serie (oder Produktreihe), als auch auf sich selbst und seinen eigenen individuellen Weg bis in die museale Ausstellung (Klein, 2004, 77). ‚Alte Objekte‛ haben einen wesentlichen Anteil daran, wenn Museumsbesucher eine Ausstellung für glaubwürdig und überzeugend halten. Zu den wichtigsten Eigenschaften von Exponaten gehören dabei die unterscheidbaren, wenngleich verwandten Kategorien ‚Originalität‛ und ‚Authentizität‛ (Klein, 2004, 78): ‚Original‛ nennt man Exponate, wenn sie verglichen mit der Vorstellung die von einem bestimmten Gegenstand besteht, identisch bzw. ursprünglich erscheinen (Klein, 2004, 78). Originalität ist eine „dem Objekt selbst innewohnende Eigenschaft“ und daher „intrinsisch“ (Waidacher, 2005, 27). Im Kontext der Ausstellung haben Originale die zentrale Aufgabe als verlässlicher „Zeuge“ aufzutreten und sind „nach wie vor das wichtigste Kapital des historischen Museums“ (Klein, 2004, 84). ‚Alte Objekte‛ sind immer original, insofern sie als ‚Spur‛ und ‚Rest‛ immer identischer bzw. ursprünglicher Teil des historischen Zusammenhangs sind, auf den sie in der Ausstellung verweisen. Authentische Exponate hingegen sind Objekte, die „richtig und stimmig“ auf den intendierten Sachverhalt verweisen (Klein, 2004, 79). Authentizität ist daher eine ‚extrinsische‛ Eigenschaft des Exponates, insofern das „Verhältnis des Objektes zum Tatbestand“ von außen beurteilt und nachgewiesen werden muss (Waidacher, 2005, 27). Bei authentischen Exponaten muss es sich außerdem nicht notwendigerweise um ‚Alte Ob- 76 jekte‛ handeln. So kann das kleine Modell einer historischen Großrechenanlage ebenso authentisch in seiner Darstellung sein, wie eine Fotografie oder das ‚Alte Objekt‛ selbst. Allerdings zeichnen sich ‚Alte Objekte‛ durch ein besonderes „Authentizitätsvermögen“ aus, da sie als überlieferter Teil ihres historischen Gebrauchszusammenhangs immer stimmig darauf verweisen und aufgrund ihrer ambivalenten Zeige-Struktur eine besondere Geschichtserfahrung ermöglichen. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist das Problem der Authentizität ein entscheidendes, denn nur wenn Computerexponate ‚stimmig und richtig‛ auf ihren ursprünglichen Gebrauch verweisen, lässt sich ein glaubwürdiger Eindruck ihrer Anwendung und Nutzung erlangen. Bei der folgenden Untersuchung einzelner Computerexponate wird deutlich, dass ‚alte Computer‛ mehr oder weniger authentisch auf den Ausstellungsbesucher wirken können. Die Frage der Authentizität, also des stimmigen Verhältnisses zwischen Präsentation und Ursprung, ist immer auch eine Frage der Präsentationsform. Ein gutes Beispiel für die Bedeutung ‚Alter Objekte‛ in der technischen Ausstellung stellt das Exponat „Relais-Rechner Z4 von Konrad Zuse“ in der Informatik-Ausstellung des Deutschen Museums in München dar. Die in den vierziger Jahren von Konrad Zuse in Heimarbeit konstruierte Rechenmaschine ist die einzige seiner frühen Maschinen, die bis heute erhalten geblieben ist (Abb. 14). Während seine ersten selbstgebauten Rechenmaschinen (Z1 und Z3) in den letzten Kriegstagen zerstört wurden, gelang es dem Ingenieur die Z4 nach Süddeutschland zu transportieren und in einem kleinen Ort im Allgäu wiederaufzubauen. Im Jahr 1949 wurde der Relaisrechner dort bei einer provisorischen Vorführung von Professor Eduard Stiefel von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich entdeckt. Die ETH erwarb die Z4 und setzte sie in den folgenden Jahren (1950-55) an ihrem neu geschaffenen Institut für angewandte Mathematik ein (Speiser, 2004, 171-193). Für einige Jahre handelte es sich bei der Z4 um die einzige, im Routinebetrieb eingesetzte, programmgesteuerte Rechenmaschine in Europa. Nach einem dreijährigen Zwischenspiel in Weil bei Basel (1955-1958) wurde die Maschine 1959 von der ZUSE KG zurückgekauft und ein Jahr später von Zuse persönlich dem Deutschen Museum angeboten. Die Verantwortlichen am Deutschen Museum erkannten die historische Bedeutung der altgedienten Z4 und nahmen sie in die Sammlung auf – ein ungewöhnlich weitsichtiger Schritt, wenn man bedenkt, dass Zuse zu diesem Zeitpunkt, im Vergleich mit den Amerikanern, als Computerpionier kaum wahrgenommen wurde (Petzold, 2005). Der schlechte Zustand und eine immer wieder aufgeschobene Überholung der Rechenmaschine führten jedoch dazu, dass die Z4 erst zur 77 Eröffnung der Informatik-Ausstellung im Jahr 1988 im Deutschen Museum der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte106. Abbildung 14: Exponat „Relais-Rechner Z4 von Konrad Zuse“ im Deutschen Museum (2005) Die Z4 wird im Rahmen der Ausstellung in ihrem Zustand von 1950 ausgestellt. Das Schaltpult, die Schreibmaschine und der mechanische Speicher (im Vordergrund von rechts nach links, Abb. 14) stehen wie in der ursprünglichen Anordnung vor den Relaisschränken. Glasplatten, die zum Schutz auf die sensiblen Bedienteile montiert wurden, verhindern jedoch ein Berühren der Maschine bzw. das Betätigen von Schaltern und Knöpfen. Auf einer Schautafel auf der gegenüberliegenden Wand wird in kurzer Form auf die Entstehungs- und Anwendungsgeschichte der Rechenmaschine hingewiesen. Eine Plakette weist die Z4 als „Meisterwerk“ aus107. Neben der Z4 steht ein von Zuse Anfang der sechziger Jahre angefertigter Nachbau der im Krieg zerstörten Z3. Beide Exponate stellen räumlich, wie inhaltlich den Mittelpunkt der Informatik-Ausstellung dar und repräsentieren den Übergang von den mechanischen Rechenmaschinen zum modernen Computer. Das Beispiel der Z4 zeigt, wie ein Gegenstand nach seiner ‚Ausmusterung‛ sofort als bedeutender Zeitzeuge erkannt und als ‚Altes Objekt‛ im Sinne Baudrillards in die museale Sammlung aufgenommen wird. Die individuelle Objektgeschichte des Unikates steht dabei deutlich im Vordergrund der Präsentation. Einen authentischen Eindruck seines ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs vermittelt das Exponat dem AusstelZur Objektgeschichte der Z4 und ihrem Weg ins Deutsche Museum siehe Petzold (1985, 329-346) sowie: http://www.deutsches-museum.de/ausstell/meister/zuse.htm (10.07.05). 107 Insgesamt 36 Exponate des Deutschen Museums sind als “Meisterwerke” ausgezeichnet und ermöglichen einen ‚Schnellrundgang‛ durch das große Museum. 106 78 lungsbesucher durch seine ‚stimmige‛ räumliche Anordnung und die Möglichkeit der ‚Begehbarkeit‛, wie ein Vergleich des Exponates mit einer Fotografie der Rechenmaschine aus dem Jahr 1950 belegt (Abb. 15). Eingeschränkt wird der Nachvollzug der historischen Anwendung durch die ‚Barriere aus Glas‛ und den Umstand, dass die Z4 nicht lauffähig gezeigt werden kann108. Abbildung 15: Z4 vor der Auslieferung an die ETH in der Zuse KG in Neukirchen (1950) Ein anderes ‚altes‛ Computer-Exponat der Informatik-Ausstellung steht in unmittelbarer Nähe zu Zuses Rechenmaschine. Mit dem UNIVAC I (‚Universal Automatic Computer‛) begann Anfang der fünfziger Jahre der serienmäßige Bau von Universalrechnern109. Die Firma Remington Rand hatte die von John P. Eckert und John W. Mauchly 1946 gegründete Firma Northrop Aircraft Co übernommen und in den folgenden Jahren insgesamt 49 UNIVAC-Rechenanlagen weltweit kommerziell vertrieben. Das in München ausgestellte Exemplar wurde zwischen 1956 und 1963 beim Batelle-Institut in Frankfurt eingesetzt, das erste UNIVAC-Rechenzentrum in Europa (Petzold, 1985, 429). Auf Betreiben von Friedrich Bauer wurde die Anlage dem Museum Mitte der sechziger Jahre von Remington Rand vermittelt und gehört zu den wenigen UNIVAC-Rechenanlagen, die nicht verschrottet wurden110. Die Z4 wurde an der ETH sowohl intern zur Berechnung mathematischer Probleme am Institut eingesetzt, als auch für praktische Probleme, wie etwa der Berechnung der Schwingungen einer Lokomotive oder der auftretenden Spannungen in einer Talsperre. Dass der Betrieb der Maschine ein spektakuläres Erlebnis gewesen sein muss, lässt sich erahnen, wenn Zuse selbst bemerkt, dass „das Klappern der Relaisschaltungen der Z4 das einzig Interessante an Zürichs Nachtleben gewesen sei“ (Speiser, 2004, 184185). 109 Siehe Kapitel 3.1 dieser Arbeit. 110 Dazu Hartmut Petzold: „Nach unserem Wissen ist es das einzige Exemplar, das es heute überhaupt noch gibt. Die Größe des UNIVAC spricht ja schon dafür, dass man so ein Gerät wegwirft und in den 108 79 Abbildung 16: Exponat „UNIVAC I von Remington Rand“ im Deutschen Museum (2005) In der Ausstellung ist nur die Zentraleinheit des UNIVAC I aus dem Frankfurter Insti- tut zu sehen (Abb. 16). Die ursprünglich dazugehörigen Magnetbankschränke, sowie Bedienkonsole und Drucker (Abb. 17) werden nicht gezeigt. Die durch Glasscheiben ersetzten ‚Außenwände‛ der Rechenanlage und die für den UNIVAC charakteristische Tür ermöglichen einen Blick auf die Vakuumröhren bzw. in das Innere des Computers. Auf einer Schautafel neben dem Exponat kann sich der Ausstellungsbesucher über die allgemeine Bedeutung des UNIVAC für die Geschichte des modernen Computers sowie über die individuelle Geschichte der ausgestellten Anlage informieren. Ein Hinweis auf den hohen Kaufpreis des Universalrechners von einer Millionen Dollar verdeutlicht dem Ausstellungsbesucher außerdem die Exklusivität digitaler Rechenarbeit in den frühen fünfziger Jahren. Das Exponat verweist sowohl auf die allgemeine Objektgeschichte des UNIVAC und seine Bedeutung als erste in Serie hergestellte Großrechenanlage, als auch auf die individuelle Geschichte des ‚vor der Verschrottung bewahrten‛ Großcomputers. Authentisch wirkt das ‚Alte Objekt‛ vor allem aufgrund seiner Größe und des Anblicks von über 5.000 Vakuumröhren und 18.000 Dioden. Wie der Vergleich des Exponates mit einer Fotografie der UNIVAC aus dem Jahr 1952 zeigt (Abb. 17), lässt sich aufgrund der Abwesenheit der Zusatzgeräte der ursprüngliche Gebrauchszusammenhang der Maschine für den Betrachter jedoch nur schwer nachvollziehen. USA war das nun mal die Zeit, in der man solche Großrechner schnell verschrottet hat. An Museen dachte da lange niemand“ (Petzold, 2005). 80 Abbildung 17: Ursprüngliche Bedienung der Konsole eines UNIVAC 1 (1952) 4.2 Aura und Inszenierung im Widerstreit − Der erfahrbare Computer Wie in Kapitel 4.1 dargestellt, können aus der Vergangenheit überlieferte Gegen-stände allein aufgrund ihres historischen Zeugnischarakters einen authentischen Eindruck ihres ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs vermitteln. ‚Alte Objekte‛ zeichnen sich so durch eine gewisse „Präsenz“ aus und erregen dadurch „Aufmerksamkeit“ (Klein, 2004, 111). Walter Benjamin hat in seinem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ aus dem Jahr 1935 für diese Präsenz historischer Gegenstände111 den Begriff der „Aura“ geprägt (Benjamin, 1999, 22). Auratische Gegenstände sind für Benjamin „einzigartige“ Dinge, die sich durch ihr „Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition“ auszeichnen (Benjamin, 1999, 23). Nur an geschichtlichen Gegenständen, die sich im „Hier und Jetzt“ (z.B. der Ausstellung) und an keinem anderen Ort befinden, kann Geschichte nachvollzogen werden. Dabei beschreibt Benjamin die Erfahrung der Aura eines geschichtlichen Gegenstandes als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“ (Benjamin, 1999, 22) und formuliert damit die bereits erwähnte innere Ambivalenz tradierter Gegenstände: So authentisch der historische Gebrauchszusammenhang des historischen Gegenstandes am Exponat auch nachvollziehbar sein mag, so bleibt das Vergangene doch immer unerreichbar fern. Die Erfahrung eines geschichtlichen Gegenstandes äußert sich daher in dem dialektischen Ver111 Entgegen mancher Ästhetik-Theorien umfasst der Aura-Begriff nicht nur Kunstwerke, sondern wird von Benjamin allgemein für „geschichtliche Gegenstände“ empfohlen. „Aura“ lässt sich somit durchaus in die Nähe des hier verwendeten Begriffs der „Authentizität“ für ‚Alte Objekte‛ rücken, insofern Benjamin die Historizität auratischer Gegenstände hervorhebt. Zum Begriff der ‚Aura‛ und seiner Anwendbarkeit auf die Museumstheorie siehe auch: Gottfried Korff (2002b, 121-122). 81 hältnis „von sinnlicher Nähe und historischer Fremdheit“ (Schober, 1994, 81). Es gilt indessen anzumerken, dass auch der Begriff der Aura keine intrinsische Eigenschaft der geschichtlichen Gegenstände bezeichnet und die Aura nicht an den Objekten ‚anhaftet‛, wie die Metapher vielleicht suggerieren mag. Viel eher bezeichnet die Benjaminsche ‚Aura‛ „ein produktives Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, in dem Erinnerungen des kollektiven wie auch des individuellen ‚unbewussten‛ Gedächtnisses auftauchen“ (Schober, 1994, 74). Die Aura geschichtlicher Gegenstände ist ein wichtiger Schlüssel für die Präsentation von Geschichte im Museum und ihre Erfahrbarkeit durch den Ausstellungsbesucher. Jedoch verlassen sich Ausstellungsmacher und Kuratoren nie völlig auf das ‚Authentizitätsvermögen‛ ‚alter Objekte‛. Im Bedeutungsraum einer Ausstellung werden Gegenstände immer auch bewusst in Szene gesetzt bzw. ‚auf die Bühne gestellt’. Neben das materielle Objekt und seine Aura tritt also immer die Inszenierung des Gegenstandes durch den Ausstellungsmacher. Im weitesten Sinne des Begriffs kann insofern jede museale Präsentation als Inszenierung und jedes Exponat als inszeniertes Objekt bezeichnet werden, „da das Platzieren eines Objekts zur Präsentation immer schon dessen ‚InSzene-Setzen‛ bedeutet“ (Scholze, 2004, 149). Bereits das Auswählen eines Standpunktes und das Positionieren z.B. in einer Vitrine stellt gemäß dieser Definition eine einfache Form der Inszenierung dar. Man kann Inszenierung dabei mit Schober (1994, 10-11) als „Rahmungsarbeit“ verstehen: Die überlieferten geschichtlichen Gegenstände werden durch ein „Arrangement von Hilfsmitteln“ umgeben. Solche Hilfsmittel oder „Werkzeugobjekte“ umfassen alle (Präsentations-)Materialien einer Ausstellung, bei denen es sich nicht um geschichtliche Gegenstände handelt, also so unterschiedliche Dinge wie „Vitrinen, Sockel, Schrifttafeln, Beleuchtungskörper, Stellwände, Textfahnen, Tücher, Bühnen“ und ähnliches (Schober, 1994, 12). Eine Inszenierung ist, allgemein gesprochen, „das absichtsvolle Arrangement von Original, Medien und anderen Ausstellungsmitteln“ (Paatsch, 1990, 8). Die Motivation zur Inszenierung von Objekten entspringt dabei einem bestimmten „Vermittlungs- bzw. Bildungsanspruch“ (Scholze, 2004, 150). Inszenierungen sind daher immer intentional oder „programmatisch“ (Schober, 1994, 15): Geschichtliche Objekte werden mit Werkzeugobjekten kombiniert und kontextualisiert, also in einem bestimmten inhaltlichen Zusammenhang dargestellt. Der Bedeutungsspielraum des geschichtlichen Gegenstandes wird durch diese Rahmung eingeschränkt bzw. bis zu einem gewissen Grad festgelegt (Scholze, 2004, 192). 82 Eine besondere Form ‚Alte Objekte‛ zu inszenieren stellen „szenische Arrangements“ (Scholze, 2004, 201) dar. Durch das räumliche Zusammenstellen von geschichtlichen Gegenständen und Werkzeugobjekten wird dabei versucht in bildhaft arrangierten Szenen konkrete historische (oder aktuelle) Orte und Zusammenhänge nachzubilden: „Durch Erfahren und Erleben szenisch gestalteter Ausstellungsräume sollen Kontexte und Situationen kommuniziert werden. Die sinnliche Wahrnehmung soll den Rezipienten zur Auseinandersetzung mit dem Gezeigten anregen“ (Scholze, 2004, 150). Statt Vitrinen, Sockel und Objektbeschriftungen werden in szenischen Arrangements gestalterische Mittel wie „architektonische […] Einbauten, Figurinen, Dioramen und Modelle“ eingesetzt (Scholze, 2004, 194). Die „Möglichkeit der Begehbarkeit, des SichHineinstellens und Bewegens in diesen Räumen“ ist ein charakteristisches, wenn auch nicht zwingendes Merkmal für diese Präsentationsform (Scholze, 2004, 192). Szenische Präsentationen können in historischen Ausstellungen eingesetzt werden um dem Besucher einen (besseren) Eindruck des ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs von geschichtlichen Objekten zu vermitteln. Grundsätzlich gilt aber auch für szenische Arrangements die banale Erkenntnis, dass alle Versuche eine vergangene Realität herzustellen „immer artifizielle Realisierungen“ bleiben (Scholze, 2004, 197). Um sich daher gar nicht erst dem Verdacht eines vorgeblichen Realismus auszusetzen, arbeiten solche Inszenierungen oft mit dem Mittel der Verfremdung oder „ironischen Brechung“ (Schober, 1994, 87). So wird nicht selten auf den konstruierten Charakter der Geschichtspräsentation explizit hingewiesen, indem „Effekte wie Überraschung, Verblüffung, Faszination und die Enttäuschung von Erwartungen und Konventionen“ eingesetzt werden112 (Scholze, 2004, 200). In jeder Inszenierung treten die Aura des ‚Altes Objekts‛ und die Erläuterung durch die eingesetzten Werkzeugobjekte in ein Spannungsverhältnis. Der unmittelbar sinnlich erfahrbaren Aura des geschichtlichen Gegenstandes steht seine Auslegung und Interpretation gegenüber − Objekt und Information befinden sich im „Widerstreit“ (Korff, 2002b, 114). Während mit Hilfe der Präsentationsmittel bestimmte (historische) Sachverhalte thematisiert und „Zusammenhänge, Fragen und Thesen“ vermittelt (Schober, 1994, 87) werden, setzt man die ‚Alten Objekte‛ ein, um die Inszenierung zu „charakterisieren, legitimieren und nicht zuletzt [zu] authentisieren113“ (Scholze, 2004, 194). Für In Anlehnung an Walter Benjamin spricht Gottfried Korff (2002b, 121-122) von einem „Wahrnehmungsschock“ der durch die museale Inszenierung hervorgerufen werden soll. „Faszination und Interesse“, so Korff, können auf diese Weise verbunden werden und eine „Idee der Wahrheit“ am Exponat aufblitzen lassen. 113 Baudrillard (1992, 100) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Beseelung“ funktionaler Umgebungen durch ‚Alte Objekte‛: „Wie eine Kirche auch dann erst wirklich geweiht ist, wenn man in ihre 112 83 den Ausstellungsbesucher stellt sich eine Inszenierung aufgrund dieser Ambivalenz daher immer als ein „Changieren zwischen einem Gesamteindruck und Einzelimpressionen“ dar (Scholze, 2004, 201). Abbildung 18: Exponat „ENIAC - Der erste Röhrenrechner im Maßstab 1:1“ im HNF (2005) Das Spannungsverhältnis zwischen der Aura des Originals und der intentionalen Inszenierung des Ausstellungsmachers zeigt sich deutlich am Beispiel des Exponates „ENIAC“ im Heinz Nixdorf MuseumsForum. Als der Electronic Numerical Integrator and Computer (ENIAC) am 16. Februar 1946 an der Moore School of Electrical Engineering der Universität von Pennsylvania in Betrieb genommen wurde, handelte es sich um die erste programmgesteuerte elektronische Rechenanlage und einen der ersten Computer überhaupt. Seine Ausstattung mit den neuartigen Vakuumröhren brachte ihm einen entscheidenden Geschwindigkeitsvorteil gegenüber den existierenden Rechenanlagen. Ein Jahr nach ihrer Vorstellung an der Moore School wurde der ENIAC 1947 auf das militärische Testgelände in Aberdeen im Bundesstaat Maryland gebracht, wo der Computer in den folgenden acht Jahren in Betrieb war. Trotz einiger Versuche den Großcomputer zu modernisieren, wurde die Anlage schließlich aufgrund der vergleichsweise hohen Betriebskosten und mangelnden Wettbewerbsfähigkeit am 2. Oktober 1955 stillgelegt114 (Weik, 1961). Unmittelbar nachdem die Rechenanlage abgeschaltet wurde, schlug der Mathematiker John von Neumann vor, Teile des ENIAC für die Nachwelt aufzubewahren und den Museen der Smithonian Institution in Washington zukommen zu lassen Fundamente einige Gebeine oder Reliquien einmauert, so kann sich der Architekt ebenfalls nie ganz heimisch fühlen […], bis er nicht im Inneren seiner neuen Mauern die kaum spürbare, doch verklärende Anwesenheit eines Gesteins weiß, das von alten, vergangenen Geschlechtern herrührt.“ 114 Martin H. Weik (1961), Mitarbeiter bei den Ballistic Research Laboratories in Aberdeen, berichtet von einem traurigen, aber ‚würdevollen‛ Ende der Anlage: „Thus ended the life of the once glorious pioneer in the field of digital computing […] It’s death was a natural one - it had served its purpose“. 84 (Weik, 1961). Ein Akkumulator des Röhrenrechners ist nach wie vor im dortigen National Museum of American History (NMAH) zu sehen115. Weitere Einzelteile der historischen Anlage sind im Gebäude der Moore School for Electronics in Philadelphia ausgestellt. Im Jahr 1996 wurden die „letzten noch verfügbaren Teile“ dem neu eröffneten Heinz Nixdorf Museumsforum in Paderborn vermittelt (HNF, 2000, 55). Abbildung 19: Skizze des ENIAC-Exponates aus der Planungsphase des HNF Die Inszenierung der Originalteile des ENIAC im HNF versucht dem Ausstellungsbesucher in erster Linie einen räumlichen Eindruck des Röhrenrechners zu vermitteln. Durch eine Einfassung der Installation auf dem Boden und an der Decke mit den Schriftzügen „Electronic Numerical Integrator and Computer – ENIAC“ und „ENIAC 1:1“ wird die Installation vom übrigen Ausstellungsraum abgegrenzt. Transparente Seitenelemente mit lebensgroßen Fotografien von J. Presper Eckert und J. W. Mauchly, mutmaßlich beschäftigt mit der Wartung von Vakuumröhren, verstärken den szenischen Eindruck des Exponates. An drei Stellen der Installation stehen Vitrinen mit den Originalteilen des ENIAC116 „am entsprechenden Platz“ (HNF, 2000, 55), welche „diese Simulation im Raum realistisch“ machen sollen (Thürmer & Diel, 1996, 64). An zentraler Stelle des Exponates befindet sich außerdem eine PC-Workstation mit einer Multimedia-Applikation, in der J. Presper Eckert persönlich den logischen Aufbau und die Geschichte des ENIAC erläutert. Die eigentliche ‚Botschaft‛ des Exponates erschließt sich dem Ausstellungsbesuchers erst beim Verlassen der Installation: Eine Schautafel 115 116 Zur Computerausstellung am NMAH in Washington siehe auch Kapitel 2.3 dieser Arbeit. Es handelt sich bei den drei Teilen um „Power Supply Panel“, „Highspeed Function Table“ und „Printer Panel“ der Originalanlage (Thürmer & Diel, 1996, 64). 85 informiert über das „ENIAC-On-A-Chip“-Projekt117 an der Pennsylvania University, in dem Studenten „den vollständigen funktionalen Aufbau des ENIAC auf einem Mikroelektronik-Chip realisiert haben“ (HNF, 200, 55). Der neben dem Projektbericht angebrachte Mikrochip soll auf diese Weise einen Vergleich der Leistungsfähigkeit des ENIAC mit der heutigen Technologie ermöglichen und die räumlichen Unterschiede zwischen Großrechner und Mikrocomputer verdeutlichen. Das ENIAC-Exponat zeigt beispielhaft, wie im Rahmen einer historischen Ausstellung versucht wird, geschichtliche Gegenstände ‚in Szene zu setzen‛ und durch inszenatorische Gestaltungsmittel einen Bezug zu ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang herzustellen. Obwohl das Exponat szenische Elemente wie die lebensgroßen Fotografien auf den Seitenteilen der Installation verwendet, wird jedoch gar nicht erst versucht, eine naturalistische Nachbildung der Vergangenheit zu präsentieren. Durch die offene und ‚moderne‛ Architektur der Installation wird explizit auf die Ausstellungssituation hingewiesen. Die eingefügten Originalteile des ENIAC dienen dazu, das Exponat zu authentisieren bzw. zu ‚auratisieren‛ − durch sie wird der ‚Inhalt‛ des Exponates legitimiert bzw. ‚beseelt‛. Durch den Bedeutungsrahmen der Inszenierung können die ‚Alten Objekte‛ jedoch ihre Aura nicht völlig entfalten und werden in den Hintergrund gedrängt. Nur schwer lässt sich an den isolierten ‚Reliquien‛ des ENIAC ihre ursprüngliche Funktion in der Gesamtanlage nachvollziehen. Abbildung 20: Exponat “Siemens 2002 Rechenanlage“ im Deutschen Museum (2005) Ein weiteres Beispiel der Inszenierung eines alten Computers liefert das Exponat „SIEMENS 2002 Rechenanlage“ im Deutschen Museum. Die SIEMENS 2002 war die 117 Für eine ausführlichere Beschreibung des zum 50. Geburtstag des ENIAC durchgeführten Projektes siehe: http://www.ee.upenn.edu/~jan/eniacproj.html 86 erste in Serie produzierte Rechenanlage des deutschen Elektronik-Unternehmens, das sich in den frühen fünfziger Jahren zu einem Einstieg in die neue Computerbranche entschieden hatte (Petzold, 1985, 450-452). Die Anlage war als Universalrechner sowohl für den wissenschaftlichen als auch für den kommerziellen Bereich konzipiert. Die ersten Anlagen wurden im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebaut und im Jahr 1959 ausgeliefert. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen war einer der ersten Kunden. Bis ins Jahr 1966 ist der Großrechner gefertigt und verkauft worden, noch im Jahr 1971 waren 39 Anlagen in Betrieb. Die ausgestellte Anlage wurde um 1960 gebaut und dem Deutschen Museum durch die SIEMENS AG in München vermittelt (Bauer, 2004a, 185). Das Exponat zeigt die Rechenanlage in ihrer ursprünglichen Anordnung, die Peripheriegeräte wie das Steuerpult, Lochkartengeräte und Schnelldrucker stehen im Vordergrund, während Rechen- und Kommandowerk sowie die Magnetkernspeicher an der Wand im Hintergrund aufgereiht stehen. Das Steuerpult und der Drucker werden von zwei farblosen und in weiße Kittel gekleideten Figuren ‚bedient‛, die an Schaufensterpuppen erinnern. Während die eine Figur auf einem Bürostuhl vor dem Steuerpult sitzt, auf dem diverse Skizzen und Dokumente verteilt liegen, ‚wartet‛ die zweite Figur scheinbar auf den Ausdruck des mit Endlospapier ausgestatten Schnelldruckers. Trotz der szenischen Inszenierung kann der Ausstellungsbesucher die Rechenanlage nicht betreten. Das Exponat ist durch große Glasscheiben vom übrigen Ausstellungsraum abgegrenzt und ‚degradiert‛ den Besucher zum ausgeschlossenen Betrachter. Im Gegensatz zum ENIAC-Exponat steht bei der Präsentation der SIEMENS 2002 das ‚Alte Objekt‛ deutlich im Vordergrund. Durch das Hinzufügen von ‚Werkzeugobjekten‛ wird versucht das ‚Authentizitätsvermögen‛ der alten Rechenanlage zu unterstützen. Die intendierte ‚Belebung‛ des Exponates durch den Einsatz szenischer Gestaltungsmittel wirkt jedoch eher irritierend auf den Ausstellungsbesucher. Der statische Charakter der neutralen Figuren vermag es nicht, die Szene im Sinne von Prozesshaftigkeit oder Mobilität zu ‚aktivieren‛, um einen ‚besseren‛ Nachvollzug des ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs zu ermöglichen. Dies liegt auch daran, dass der Besucher an einem Betreten und Berühren der Anlage gehindert wird und den Figuren bei der ‚Anwendung’ des Computers von außen durch die ‚Schaufenster‛ zusehen muss. 87 4.3 Transparenz und Opazität − Das Medium als Exponat Seit Mitte der achtziger Jahre hat sich, so stellt Sherry Turkle (1998, 41-75) in ihrem Buch „Leben im Netz“ fest, ein entscheidender Wandel in der allgemeinen Wahrnehmung des Computers vollzogen. Mit der Ausdifferenzierung zum Medium ist die digitale Maschine für den ‚normalen‛ Anwender demnach zunehmend „undurchsichtiger“ geworden und entzieht sich einer eindeutigen Bedeutungszuschreibung. Dabei wäre es noch bis in die siebziger Jahre, so Turkle (1998, 24), „praktisch undenkbar gewesen, den Computer mit den Ideen der Instabilität von Bedeutungen und der Unerkennbarkeit von Wahrheiten in Verbindung zu bringen“. Computer besaßen eine „eindeutige geistige Identität“ und waren auf ihre Funktion als Rechenmaschine festgelegt. Diese funktionelle Eindeutigkeit hatte zur Folge, dass Computer sich „offen und ‚transparent’“ darstellten, „mithin als Maschinen, die sich zumindest potenziell auf ihre zugrunde liegenden Mechanismen zurückführen ließen“ (Turkle, 1998, 32-33). Computer waren für eine bestimmte Anwendung ausgelegt, die an einem bestimmten ‚Ort‛ innerhalb der Maschine stattfand. Ganz gleich wie kompliziert die digitalen Maschinen aufgebaut waren, suggerierte das Bild der ‚transparenten‛ Rechenmaschine, dass die internen Prozesse „mechanisch erklärbar“ und damit zumindest theoretisch nachvollziehbar waren (Turkle, 1998, 25). „Es waren Systeme, die die Anwender dazu ermunterten, sich einzubilden, sie könnten das ‚Getriebe‛ verstehen, auch wenn nur wenige überhaupt den Versuch unternahmen, bis zu dieser Ebene des Verstehens vorzudringen“ (Turkle, 1998, 33). Auch die ersten Personalcomputer der siebziger Jahre und der IBM PC der frühen achtziger Jahre lassen sich zu den ‚transparenten‛ Computern zählen (Turkle, 1998, 33). Obwohl die Computernutzer hier bereits durch „zwischengeschaltete Softwareebenen von der nackten Maschine“ getrennt waren, wurden sie dennoch stets darin bestärkt, „sich ihr Verständnis der Technologie als wahre Erkenntnis über das vorzustellen, was hinter der Bildschirmfläche lag“ (Turkle, 1998, 33). Erst mit der Einführung der grafischen Benutzeroberfläche, die mit dem 1984 auf den Markt gebrachten Macintosh erstmals einer großen Anwendergruppe zur Verfügung stand, veränderte sich das allgemeine Bild des Computers. Der Macintosh konfrontierte den Benutzer mit „Simulationen […], die keinerlei Aufschluss über die zugrunde liegende Struktur lieferten“ (Turkle, 1998, 33). Seit dem Macintosh schieben sich grafische Benutzeroberfläche und andere immersive Schnittstellen zwischen den Anwender und die rechnende Maschine. Als Konsequenz machen diese „emergenten Simulationen“ 88 den Computer ‚opak‛, „dass heißt zu komplex, als dass man [ihn] vollständig analysieren könnte“ (Turkle, 1998, 28). Die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Computer findet auf einer immateriellen Zwischenebene118 statt und muss sich nicht mehr mit der Ebene der Rechenoperationen befassen, auch wenn diese elementaren, materiellen Vorgänge nach wie vor ‚irgendwo‛ in der Maschine stattfinden119. Die Opazität des modernen Computers hat zur Folge, dass die Grenzen zwischen Maschine, Schnittstellen und Anwender unscharf werden. Es stellt sich folglich die Frage nach dem eigentlichen Ort des Computers bzw. seiner medialen Anwendung: „Je enger die Menschen mit der Technologie und über die Technologie miteinander verflochten werden, umso fragwürdiger werden alte Unterscheidungen zwischen dem, was spezifisch menschlich ist, und dem, das als spezifisch technisch galt. Spielt sich unser Leben am oder im Bildschirm ab. […] Die herkömmliche Trennung zwischen Mensch und Maschine lässt sich immer schwerer beibehalten“ (Turkle, 1998, 30). Diese ‚Ortlosigkeit‛ des Computers als Medium hat Folgen für seine Exponierung im Kontext der historischen Ausstellung. Die Untrennbarkeit von Hardware, Software und „Wetware“ (Lovink, 1994, 227) in der medialen Anwendung führt dazu, dass es kein eindeutiges, materielles Bezugsobjekt gibt, welches in der Ausstellung als isoliertes ‚Altes Objekt‛ auf den ursprünglichen Gebrauchszusammenhang verweisen kann. Wie in Kapitel Drei dieser Arbeit dargelegt, erschließt sich der moderne (Personal-)Computer als Multimedium, Simulationsmedium und Kommunikationsmedium nur im Prozess seiner Anwendung. Da aber ein authentisches Erleben der historischen Software auf der originalen Hardware nur in den seltensten Fällen im Rahmen einer Computerausstellung ermöglicht werden kann120, sind Ausstellungsmacher und Kuratoren gezwungen das „Problem der stummen Kisten“ (Mikolajczak, 2005) zu umgehen. Bei den bislang in diesem Kapitel besprochenen Computerexponaten handelt es sich um ‚transparente‛ Rechenmaschinen. Aufgrund der funktionellen Eindeutigkeit in ihrem Gebrauchszusammenhang können Exponate wie die Z4 authentisch auf ihre VerganDazu Georg Tholen (2002, 36): „Das Interface ist definitionsgemäß ein sich dazwischenschiebender, imaginärer Schirm, der an sich selbst keine substantielle oder stumme Materialität besitzt“. 119 Friedrich Kittler (1993, 225-242) hat vielfach auf diese prinzipielle “Unabdingbarkeit und folglich auch die Vorgängikeit von Hardware“ hingewiesen. So stellt der Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker fest: „Kein einziges Anwenderprogramm, ja nicht einmal das zugrunde liegende Mikroprozessorsystem könnte jemals starten, wenn ein paar elementare Funktionen, die aus Sicherheitsgründen in Silizium gebrannt sind, also Teil der unlöschbaren Hardware bilden, nicht über Münchhausens Fähigkeit verfügten, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Jede materielle Transformation von Entropie in Information, von einer Million schlummernder Transistorzellen in elektrische Spannungsdifferenzen setzt notwendig ein materielles Ereignis namens Reset voraus“ (Kittler, 1993, 231). 120 Michael Mikolajczak, Kurator im Heinz Nixdorf MuseumsForum, beschreibt das Dilemma so: „Der Konflikt in dem wir stecken ist folgender: Lassen wir die originalen Computer laufen und riskieren Beschädigungen, ermöglichen aber dem Besucher einen originalgetreuen Umgang mit den Ausstellungsobjekten? Oder ist es nicht wichtiger das Exponat langfristig zu bewahren, auch wenn man es dann als ‚stummes Objekt‛ ausstellen muss?“ (Mikolajczak, 2005). 118 89 genheit verweisen. Im Folgenden werden zwei Exponate vorgestellt, die versuchen den ‚opaken‛ Computer bzw. seine (historische) mediale Anwendung zu zeigen. Abbildung 21: Exponat "Personal Computer − Die Ahnengalerie" im HNF (2005) Das Exponat „Personal Computer – Die Ahnengalerie“ im HNF präsentiert in einem gläsernen ‚Schauregal‛ die „wegweisenden“ Objekte aus der Geschichte des Personalcomputers (HNF, 2004, 142). In separaten ‚Regalfächern‛ auf drei verschiedenen Ebenen positioniert, werden die Computer mit Tastatur und dazugehörigem Bildschirm ausgestellt. Zu sehen sind unter anderem die ersten Homecomputer von Commodore und Sinclair, die Apple-Computer LISA und Macintosh sowie die ersten PCs von IBM. Kleine Texttafeln vor den Objekten informieren den Ausstellungsbesucher über Namen, Hersteller und Erscheinungsjahr und liefern eine kurze historische Einordnung des jeweiligen Computers. Die Objekte sind nicht streng chronologisch arrangiert, sondern durch größere Texttafeln auf den vier Zwischenwänden in die thematischen Gruppen „Verkaufsschlager PC − Eine Branche entsteht“, „Apple − Kult aber nicht kompatibel“, „IBM − Big Blue setzt den PC-Standard“ und „Der PC wird mobil“ aufgeteilt. An beiden Enden des ‚Schauregals‛ läuft auf Videobildschirmen ein kurzer Film über die amerikanische „PC-Revolution“ und ihre Protagonisten. Den Hintergrund des Exponates bilden schwarze Stellwände auf denen leuchtend grüne Befehlszeilen an die textgesteuerten Benutzeroberflächen der ersten PCs erinnern. Vor der PC-Ahnengalerie sind drei moderne Workstations montiert, an denen der Ausstellungsbesucher einige Anwendungen ausprobieren kann, die auf den ausgestellten PCs ursprünglich gelaufen sind. So lassen sich zum Beispiel vor dem Bereich „Apple – Kult aber nicht kompatibel“ Emulationen der Tabellenkalkulation VisiCalc sowie den Spielen Zaxxon und Track and Field starten, die ursprünglich für den Apple II programmiert wurden. Auf zwei weiteren 90 Workstations kann der Besucher „überholte Softwareversionen“ (HNF, 2004, 3) wie Windows 3.1 oder Windows 95 sowie die in den achtziger Jahren für den C64 adaptierten Spiele Mario und Donkey Kong testen. Abbildung 22: Original C64 mit C64-Software-Emulation (2005) Das komplexe Objektarrangement der PC-Ahnengalerie offenbart die Schwierigkeiten im musealen Umgang mit dem ‚opaken‛ Personalcomputer und seiner Anwendung als Medium. Das Exponat ergänzt die geschichtlichen Ausstellungsobjekte durch Emulationen der ‚alten‛ Software und versucht so dem Ausstellungsbesucher einen authentischeren Nachvollzug der ursprünglichen Anwendung der Computer zu ermöglichen. Allerdings stellt sich ein solcher Nachvollzug nur schwer ein. Während die Emulationen aufgrund der Auswahl der gezeigten Programme und der ‚fremden‛ PC-Plattform auf der sie implementiert sind, die ursprüngliche Anwendung nur unzureichend simulieren können, treten die ‚eigentlichen‛ Ausstellungsobjekte in den Hintergrund und werden zu bloßen Ikonen mit illustrativem Charakter. Eine ähnliche Präsentationsstrategie wie bei der „PC-Ahnengalerie“ haben die Ausstellungsgestalter des HNF für den Bereich „Geschichte der Videospiele – Neue Spielewelten“ gewählt. Das Exponat besteht aus einer dreieckigen Konstruktion aus Stellwänden, die mit diversen Figuren aus der Videospielgeschichte bedruckt sind. In die Konstruktion wurde ein dreieckiger Glasschaukasten eingefügt, den der Ausstellungsbesucher von zwei Seiten betrachten kann. In der Vitrine befindet sich eine Auswahl von historischen Videospielkonsolen, die chronologisch auf vier Ebenen angeordnet sind. Auf den unteren zwei Ebenen sind die ersten Geräte aus den siebziger Jahren wie das Magnavox Odyssey (1972) von Ralph Baer und Ataris erstes PONG-Heimgerät (1975) positioniert. Das 91 NES und der Gameboy von Nintendo aus den achtziger Jahren finden sich neben anderen Objekten im oberen Teil der Vitrine. Abbildung 23: Exponat "Geschichte der Videospiele" im HNF (2005) Die Ausstellungsobjekte werden mit den jeweils dazugehörigen Controllern gezeigt, Texttafeln informieren über Namen, Hersteller und Erscheinungsjahr der Geräte. Vor der Rückseite der Vitrinenkonstruktion wurde eine PC-Workstation mit einer Version des Computerspiels PONG installiert. Durch einen gelben ‚Rahmen‛ mit der Aufschrift „PONG“, der dem PONG-Automaten von Atari aus dem Jahr 1973 nachempfunden wurde (Abb. 24), wird versucht, dem ‚Spielgefühl‛ des Originals näher zu kommen. Wie im Fall der „PC-Ahnengalerie“ werden originale Hardware und Software getrennt voneinander gezeigt. Das Computerspiel PONG ist dabei ein gutes Beispiel für ein ‚immaterielles‛ (digitales) Exponat ohne direktes materielles Bezugsobjekt. Das simple Rückschlagspiel wurde, wie in Kapitel 3.3 beschrieben, seit seiner Erfindung durch William Higinbotham für unterschiedliche Hardware-Plattformen und unter verschiedenen Namen umgesetzt − für Münzautomaten, Heimkonsolen und Homecomputer. Dennoch orientiert sich die Emulation äußerlich an dem Spielautomat PONG und versucht dem Ausstellungsbesucher das historische ‚Spielhallen-Gefühl‛ zu vermitteln. Dies gelingt allerdings nur bedingt, fehlt dem Exponat doch die (haptische wie optische) Erfahrung des ‚alten‛ Spielautomaten. 92 Abbildung 24: Exponat "PONG" im HNF (2005) Abbildung 25: Ataris originaler Münzautomat „PONG“ (1973) 93 5 Strategien zur musealen Inszenierung der Computergeschichte In Kapitel Vier wurde der ‚alte‛ und ausrangierte Computer hinsichtlich seiner Funktion untersucht, als materieller Zeitzeuge authentisch auf seine historische Anwendung zu verweisen. Der Fokus war dabei zunächst auf das einzelne Exponat gerichtet bzw. auf die Art und Weise wie geschichtliche Gegenstände im musealen Kontext präsentiert werden. Im „Bedeutungsraum“ (Klein, 2004, 103) der Ausstellung können Exponate jedoch nicht ausschließlich als isolierte Objekte betrachtet werden. Im Kontext der musealen Präsentation werden die Exponate zu einem neuen Gesamtbild zusammengefügt und gemäß einer bestimmten Ausstellungsintention in einen thematischen Zusammenhang eingebunden − sie werden in Szene gesetzt121: „Zu einer Inszenierung arrangiert, vermitteln Exponate neue Bedeutungen, die dem Einzelexponat allein nicht entnommen werden können“ (Klein, 2004, 105). Unterdessen lässt sich mit Scholze (2004, 271) feststellen, dass Ausstellungen im Allgemeinen immer eine gewisse „Kommunikationsabsicht“ unterstellt werden kann. Museale Inszenierungen richten sich an eine große Öffentlichkeit und vermitteln einer bestimmten ‚Strategie‛ folgend unterschiedliche Vorstellungen, Überzeugungen und Erkenntnisse der Ausstellungsmacher. Ausstellungen zeigen historische Gegenstände und erzählen dramaturgisch aufbereite Geschichten aus der ‚Realität‛ außerhalb des Museumsgebäudes − sie sind immer „Präsentation und Interpretation“ zugleich (Waidacher, 2005, 121). Ein Blick auf die historischen Ursprünge des Computers in Kapitel Drei hat gezeigt, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Zugänge zur Geschichte der universellen Maschine existieren. Ausstellungskonzeptionen, die sich zum Ziel setzen, Computergeschichte im musealen Rahmen zu erzählen, können einen solch kaleidoskopischen Zugang jedoch kaum leisten und wählen zumeist eine spezifische Perspektive auf die Computergeschichte. Im Folgenden werden drei solcher Inszenierungsstrategien vorgestellt. Auf unterschiedliche Art und Weise versuchen sie den vielseitigen und komplexen Weg der universellen Maschine aufzuarbeiten. 121 Wurde der Begriff ‚Inszenierung‛ in Kapitel Vier im Bezug auf einzelne Exponate verwendet, meint Inszenierung hier das intentionale Zusammenstellen von Exponaten im Bedeutungsraum der musealen Ausstellung im Allgemeinen, siehe Klein (2004, 104): „Fügen sich Exponate zu einem neuen Bild zusammen, das mehr ist als die Summe seiner Teile, so handelt es sich um eine Inszenierung“. 94 5.1 Die Geschichte des Rechners − „Informatik“ im Deutschen Museum „Die Ausstellung Informatik will den Besuchern Ursprünge und Geschichte dieses noch immer jungen technischen Wissenschaftsgebietes näher bringen; sie will den schwer durchschaubaren ‚computer‛ begreifbar, vertraut und durchsichtig machen. Es soll die Geschichte und Vorgeschichte dieses Werkzeugs dargestellt werden“ (Bauer, 2004, 10). Die Ausstellungsabteilung „Informatik“ im Deutschen Museum wurde in ihrer heutigen Form im Jahr 1988 eröffnet. Maßgeblich verantwortlich für die Gestaltung der Ausstellung war der deutsche Informatiker Dr. Friedrich Bauer von der TU München, dessen Anliegen es war die junge Wissenschaft Informatik sowie die Entwicklungsgeschichte des Computers den Besuchern des Deutschen Museums näher zu bringen122. Die Ausstellung soll dem Besucher die Geschichte des Werkzeugs ‚Computer‛ vermitteln und erzählt die Geschichte des analogen, digitalen und automatisierten Rechnens bzw. Rechners. Unter den über 700 Ausstellungsobjekten nehmen neben zahlreichen mathematischen Instrumenten und mechanischen Rechenmaschinen vor allem die elektronischen Großrechenanlagen aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren eine prominente Rolle in der Ausstellungsgestaltung ein. Zu den bedeutendsten Exponaten der Sammlung gehören neben den Großrechnern UNIVAC und PERM vor allem Zuses Relaisrechner Z3 und Z4. Die Ausstellungsgestaltung folgt einem linearen Aufbau in sieben thematischen Abschnitten, welche den Besucher von den Anfängen des instrumentellen Rechnens in der Antike bis zu den Hochleistungsrechnern und Personalcomputern der frühen achtziger Jahre führen. Von den sieben Ausstellungsbereichen befassen sich die Themengebiete „Mathematische Instrumente“, „Analogrechengeräte“, „Tafeln und digitale Rechengeräte“, „Codierung“ und „Programmsteuerung“ mit der Vorgeschichte des Computers, während die Bereiche „Universalrechner“ und „Speicher und periphere Geräte“ den Zeitraum von der Erfindung des speicherprogrammierten universellen Computers in den vierziger Jahren bis heute (bzw. dem Zeitpunkt der Ausstellungsgestaltung) behandeln. Den Leitfaden in der ersten Ausstellungshälfte bildet eine inhaltliche Dreiteilung in die Entwicklungslinien „Digitalprinzip“, „Analogprinzip“ und „Automatik“, die zu Beginn der Ausstellung auf drei großen Texttafeln erläutert werden. Durch eine farbliche Kennzeichnung dieser drei Kategorien (blau, rot und beige) werden die Ausstellungsobjekte und die durch die Ausstellung führenden Texttafeln jeweils einem der drei Prinzipien zugeordnet. 122 Zur Entstehungsgeschichte der Informatikausstellung im Deutschen Museum siehe auch Kapitel 2.3 dieser Arbeit. 95 Abbildung 26: Vitrine mit historischen Rechenschiebern Der in der Farbe Rot gestaltete Bereich „Analogprinzip“ beginnt mit den Anfängen des instrumentellen Rechnens und präsentiert eine Vielzahl mathematischer Instrumente wie Zeichengeräte (Lineale, Zirkel und Ellipsenzeichner), Messgeräte (Maßstäbe, Winkelmesser und Astrolabien) und eine umfangreiche Sammlung von Proportionalzirkeln und Rechenschiebern. Die mathematischen Instrumente stammen größtenteils noch aus der Gründungsphase des Deutschen Museums und wurden ursprünglich in der Ausstellung „Mathemati“ gezeigt, bevor sie 1988 in der Informatikausstellung als Vorläufer des modernen Computers neu interpretiert wurden. Neben den historischen Objekten und ausführlichen Texttafeln finden sich im Bereich „Analogprinzip“ auch einige interaktive Demonstrationsmodelle, an denen der Besucher zum Beispiel die Funktionsweise mechanischer Zeicheninstrumente nachvollziehen kann. Im Anschluss an die mathematischen Instrumente widmet sich der ‚rote‛ Ausstellungsbereich dem Thema „Analogrechengeräte“, zu dem vor allem diverse Planimeter und mechanische Integrieranlagen präsentiert werden. Die analoge Entwicklungslinie endet mit den elektronischen Analogrechnern, die noch bis in die fünfziger Jahre zum Einsatz kamen wie zum Beispiel dem Telefunken RA 463/2. Die ‚digitale Entwicklungslinie‛ ist durch die Farbe Blau gekennzeichnet und befasst sich mit den Themenbereichen „Tafeln und digitale Rechengeräte“ und „Codierung“. Mit Texttafeln und Nachbildungen antiker Zählhilfen wie dem römischen Abakus und den Rechenstäbchen von John Napier aus dem 17. Jahrhundert wird der Ausstellungsbesucher zunächst in die Tradition des digitalen Rechnens mit Ziffern und Zahlen eingeführt. Anschließend wird die Ära der mechanischen Addier- und Multipliziermaschinen behandelt. Nachbauten der berühmten Maschinen von Wilhelm Schickard, Blaise Pascal 96 und Gottfried Wilhelm Leibniz werden ebenso gezeigt, wie einige originale Exemplare des in ‚Serie‛ hergestellten Arithmomètre von Charles Xavier Thomas aus dem 19. Jahrhundert. Interaktive Demonstrationsmodelle erklären relevante technische Sachverhalte wie das „Staffelwalzenprinzip“ oder das mechanische Problem des Zehnerübertrags. Unter den zahlreichen mechanischen Rechenwerkzeugen nimmt vor allem die um 1735 fertig gestellte Rechenmaschine von Antonius Braun (1684-1746) und Philippe Vayringe (1684-1746) einen prominenten Platz ein (Abb. 26). Im Anschluss befasst sich der Themenbereich „Codierung“ mit dem Einsatz der digitalen Technik in mechanischen Chiffriermaschinen, eine frühe Form von maschineller Zeichenverarbeitung. Gezeigt wird unter anderem die berühmte Rotor-Chiffriermaschine ENIGMA, die im II. Weltkrieg bei der Wehrmacht zum Einsatz kam. Die blaue Entwicklungslinie endet mit mechanischen Vierspeziesmaschinen, die zum Teil noch bis in die sechziger Jahre als Rechenwerkzeuge in Gebrauch waren. Abbildung 27: Vitrine mit mechanischen Rechenmaschinen Durch beigefarbene Texttafeln ist die Entwicklungslinie „Automatik“ gekennzeichnet, die vor allem unter dem Aspekt der „Programmsteuerung“ thematisiert wird. Zunächst werden in diesem Bereich historische Automaten gezeigt, bei denen Programmspeicherung und Ablaufsteuerung in Form von Walzen, Scheiben oder Trommeln mechanisch realisiert wurden. Im Mittelpunkt stehen hier vor allem die Automatenfigur eines predigenden Mönchs aus dem 16. Jahrhundert sowie der „Mechanische Trompeter“ von Friedrich Kaufmann aus dem Jahr 1810. Im Anschluss wird die automatische Ablaufsteuerung durch Lochkarten behandelt. Gezeigt wird eine original Zähluhr, wie sie die bei den Zähl- und Sortiermaschinen von Herman Hollerith (1860-1929) zum Einsatz 97 kamen, sowie diverse historische Tabellier- und Buchungsmaschinen. Das Ende der Entwicklungslinie „Automatik“ bilden die Relaisrechner Z3 und Z4 des deutschen Ingenieurs Konrad Zuse. Bei der Z3 – das Original wurde 1943 bei einem Luftangriff zerstört – handelt es sich um einen Nachbau den Zuse persönlich im Jahr 1962 angefertigt hat, um zu zeigen, dass er bereits in den vierziger Jahren die technischen Prinzipien der „Gleichpunktrechnung“ und „freien Programmierbarkeit“ in seinen selbstgebauten Maschinen umgesetzt hat. Die Z3 wird als „erster funktionsfähiger programmgesteuerter Rechenautomat“ präsentiert und dient noch heute bei Führungen dazu, den Ausstellungsbesuchern Zuses elektromechanische Relaisschaltungen zu demonstrieren. Bei der Z4, die in unmittelbarer Nähe der Z3 positioniert ist, handelt es sich um die einzige von Zuses frühen Rechenmaschinen, die bis heute erhalten geblieben ist. Abbildung 28: Zuses mechanische Relaisschaltung wird anhand der Z3 demonstriert Zuses Rechenmaschinen bilden räumlich wie inhaltlich den Mittelpunkt der Ausstellung und repräsentieren das Ende der Vorgeschichte des Computers. Die drei farblich gekennzeichneten Entwicklungslinien laufen an dieser Stelle zusammen, der didaktische Leitfaden der Ausstellung wird in der zweiten Hälfte der Ausstellung durch eine graue Farbgestaltung weitergeführt. Zunächst werden auf Texttafeln die Arbeiten von Alan Turing und der Gruppe um John Presper Eckert, John Mauchly und John von Neumann behandelt, die in den vierziger Jahren den entscheidenden Schritt zur universellen Maschine vollzogen haben. Mit dem UNIVAC von Remington Rand und der PERM werden im Anschluss zwei der ersten in Deutschland installierten Universalrechner mit Röhrentechnik ausgestellt. Mit der Präsentation einiger Mainframe-Großrechner wie der SIEMENS 2002, dem Magnettrommelrechner IBM 650 und der Z22 der Zuse KG wird schließlich der Beginn der Computerindustrie thematisiert. Die stetige Leistungssteige- 98 rung der Großrechenanlagen wird an Exponaten wie der Rechenanlage IBM/360-20 gezeigt und hat ihren Höhepunkt in der Präsentation des Supercomputers CRAY-1 aus dem Jahr 1983. Die Mitte der achtziger Jahre bereits absehbare Revolution der Computernutzung durch den ‚Siegeszug‛ des Personalcomputers wird in der Ausstellung kaum thematisiert. In einer Vitrine am Ende der Ausstellung finden sich allerdings einige Taschen- und Tischrechner der Firma Hewlett-Packard aus den siebziger Jahren sowie der Homecomputer PET 2001 (1978) und der IBM PC (1981) an denen anschaulich die „Miniaturisierung des Rechners“ gezeigt wird. Abbildung 29: Hochgeschwindigkeits-Rechenanlage Cray-1 Neben dem Themengebiet „Universalrechner“ befindet sich der Ausstellungsbereich „Speicher und periphere Geräte“. Durch die Zusammen- und Gegenüberstellung von Ausstellungsobjekten in mehreren Vitrinen wird hier vor allem die technische Weiterentwicklung der Computerkomponenten beschrieben. Gezeigt werden verschiedene Generationen von Speichermedien, Druckern, Bildschirmtechnologien und Tastaturen. Bei der Ausstellungskonzeption der Informatikausstellung im Deutschen Museum stehen die historischen Objekte eindeutig im Vordergrund. Die ‚alten‛ Computer werden nicht als bloße Illustration eingesetzt, sondern in ihrer Ambivalenz als Bedeutungsträger und authentische Zeitzeugen ernst genommen. Inszenatorische Hilfsmittel werden nur selten eingesetzt und lassen, wie im Fall der SIEMENS 2002, dem eigentlichen Ausstellungsobjekt genug Raum. Zuweilen stehen die vielen umfangreichen und zum Teil sehr anspruchsvollen Beschreibungen und Erläuterungen sowie die stark didaktische Ausrichtung der Ausstellung einer unbefangenen Erfahrung der Ausstellungsobjekte jedoch 99 im Weg123. Auffallend an der Ausstellungsstrategie im Deutschen Museum sind vor allem die mathematische Ausrichtung und die exklusive Perspektive auf den Computer als Rechenmaschine. Andere Entwicklungslinien aus der Geschichte des Computers finden keine Berücksichtigung. Dies lässt sich zum einen auf die an der Gestaltung der Ausstellung beteiligten Personen und ihren Hintergrund zurückführen, aber vor allem auf die vorherrschende Wahrnehmung des Computers als Rechenmaschine zum Zeitpunkt der Ausstellungsgestaltung. 5.2 Rechenmaschine vs. Mikrochip − „Rechnen einst und heute“ im Arithmeum „Das Ziel von „rechnen heute“ ist es, dem Laien trotz der Komplexität eines modernen Mikroprozessors, der aus 25 Millionen Transistoren und 300 Metern Verdrahtung auf einem Daumennagel besteht, klarzumachen, dass es sich hier um ganz elementare, triviale Strukturen handelt, denen nichts Mystisches, nichts Geheimnisvolles und auch nichts, was auch nur den Anspruch von Intelligenz haben könnte, anhaftet“ (Prof. Bernard Korte, zitiert nach Wagner 1999b, 5). Die ständige Ausstellung „Rechnen einst und heute“ im Arithmeum in Bonn wurde im Jahr 1999 eröffnet und von Prof. Bernhard Korte, Direktor des Forschungsinstitutes für diskrete Mathematik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität, und seinen Mitarbeitern gestaltet. Durch die Gegenüberstellung historischer Formen des maschinellen Rechnens und der heutigen Funktionsweise von Mikroprozessoren soll dem Ausstellungsbesucher die Tradition einer über dreihundertjährigen Technik- und Wissenschaftsentwicklung vermittelt werden, an deren Ende das hochkomplexe Rechnen im Mikrokosmos der Computerchips steht. Den Hauptbestandteil der ausgestellten Objekte bildet die Sammlung originaler und rekonstruierter mechanischer Rechenmaschinen, die Bernhard Korte seit Mitte der siebziger Jahre zusammengetragen hat. Sie gehört mit mittlerweile über 1200 Exemplaren zu den weltweit umfangreichsten Sammlungen ihrer Art. Zu den bedeutendsten Exponaten der Ausstellung gehören so unterschiedliche Objekte wie eine aus dem Jahr 1822 stammende Rechenmaschine von Johan Christoph Schuster (1759 - 1823), die originalgetreue Rekonstruktion einer Hollerith-Maschine und ein über 200 kg schwerer Siliziumeinkristall mit 300 mm Durchmesser, wie er zur Herstellung von Computerchips verwendet wird. Einen großen Anteil an dem „Gesamterlebnis“ des Arithmeum haben Außen- und Innenarchitektur des Ende der neunziger 123 Ein Umstand den Dr. Friedrich Bauer (2004a, 11) bei der Gestaltung der Ausstellung bewusst in Kauf genommen hat: „Um allerdings manche Texttafeln vollständig (auch das Kleingedruckte) zu verstehen und die Hintergründe und Zusammenhänge zu erkennen, sind einige Kenntnisse aus der Mathematik notwendig. Diese gelegentlichen Schwierigkeiten im Textverständnis mancher Besucher müssen in Kauf genommen werden, da Mathematik der Informatik wie jeder Ingenieurwissenschaft als Arbeitsmittel dient.“ 100 Jahre gebauten Gebäudes, welches neben der Dauerausstellung auch das Forschungsinstitut für diskrete Mathematik beherbergt. Konstruktivistische und konkrete Kunstwerke an den Wänden der Ausstellungsräume sowie einige Sitzgruppen mit „Stuhlklassikern“ ergänzen das funktionalistische Ausstellungsdesign. Die Ausstellung ist grundsätzlich in die zwei Themengebiete „Rechnen einst“ und „Rechnen heute“ unterteilt, wobei die historische Vorgeschichte des digitalen Rechnens den weitaus größeren Raum einnimmt. Die Ausstellung beginnt im dritten Obergeschoss des Gebäudes und führt den Ausstellungsbesucher zunächst über drei Etagen durch die Geschichte des instrumentellen Rechnens. Der chronologische Aufbau wird anschließend in Erd- und Untergeschoss des Gebäudes durch eine offenere Gestaltung der Ausstellungsräume abgelöst, in denen sich der Besucher frei bewegen kann. Viele der präsentierten Objekte werden ohne Vitrinen auf Tischen oder in offenen ‚Regalen‛ gezeigt. Manche der Exponate, unter ihnen auch einige Originalobjekte, dürfen vom Ausstellungsbesucher berührt und gegebenenfalls sogar bedient werden. In einigen Fällen sind Texttafeln und Objektbeschriftungen neben den Objekten platziert und dienen als didaktischer Leitfaden. Zur Vertiefung der zum Teil komplexen Sachverhalte liegen zudem überall in der Ausstellung ausführliche Informationsblätter in roten „Buchständern“ bereit. Nachdem der Ausstellungsbesucher mit dem Aufzug in das dritte Obergeschoss des Gebäudes gefahren ist, beginnt die Ausstellung mit dem Thema „Zahlen und Ziffern − Frühzeit des Rechnens“. Gezeigt werden historische Rechenhilfsmittel aus verschieden Kulturen wie Abakus, Knotenschnüre und Rechentische. Eine Etage tiefer werden unter dem Titel „Rechnen im 17. Jh.“ die ersten Versuche einer Mechanisierung des Rechnens thematisiert. An einem Nachbau der historischen Rechenmaschine des Mathematikers Wilhelm Schickard kann der Ausstellungsbesucher die Grundprinzipien mechanischer Addiermaschinen ‚am Objekt‛ erfahren. Im ersten Obergeschoss werden an verschiedenen Demonstrationsmodellen das „Staffelwalzenprinzip“ und „Sprossenradprinzip“ gezeigt, die im 18. Jahrhundert zur Konstruktion mechanischer Rechenmaschinen eingesetzt wurden. Ausgestellt wird außerdem der Nachbau einer Rechenmaschine, die im Jahr 1774 von Philip Matthäus Hahn (1739-1790) konstruiert wurde. 101 Abbildung 30: Rekonstruktion der Rechenmaschine von Wilhelm Schickard im 3. OG. Auf der großen Ausstellungsfläche im Erdgeschoss wird schließlich eine Vielzahl industrieller Rechenmaschinen aus dem 19. und 20. Jahrhundert ausgestellt. Rekonstruktionen der Multiplikationsmaschine von Léon Bollée und dem Thomas-„Arithmomètre“ sind ebenso vertreten wie die späteren, in Serie produzierten Tischrechenmaschinen der Hersteller Original-Odhner, Brunsviga, Burroughs oder Mercedes-Euklid. Einige der Originale können vom Ausstellungsbesucher berührt und ausprobiert werden, eine ausführliche Anleitung neben den Exponaten erklärt das Rechnen mit den mechanischen Werkzeugen. Der Ausstellungsbereich „Rechnen einst“ endet mit den ersten elektrischen Tischrechenmaschinen, die noch etwa bis in die sechziger Jahre in Gebrauch waren, gezeigt werden unter anderem Maschinen der Firma Busicom. Im anschließenden Ausstellungsbereich „Rechnen heute“ werden nur wenige Ausstellungsobjekte gezeigt. Die Präsentation einiger Siliziumeinkristalle, Siliziumscheiben (so genannte „Wafer“) und Computerchips soll die Miniaturisierung des maschinellen Rechnens Ende des 20. Jahrhunderts verdeutlichen. Des Weiteren kann der Besucher an zwei „Multimediatischen“ verschiedene Anwendungen und Kurzfilme über die Fertigung von Computerchips aufrufen. Im Zentrum des Ausstellungsbereiches steht eine Versuchsanwendung mit einem vom Ausstellungsbesucher steuerbaren Polarisationsmikroskop und zwei Computerbildschirmen. Hier werden dem Besucher Aufbau und Funktionsweise „höchstintegrierter Logikchips“ erläutert und durch den Eintritt in den Mikrokosmos sichtbar gemacht. Konstruktivistische Kunstwerke an den Wänden lassen außerdem Assoziationen und Vergleiche zwischen Chipdesign und der Ästhetik der künstlerischen Arbeiten zu. 102 Abbildung 31: Ausstellungsraum im Erdgeschoss des Arithmeum Im Untergeschoss des Gebäudes befinden sich das begehbare Depot des Museums sowie der Ausstellungsbereich „Väter des Computers“. Gezeigt werden hier Rekonstruktionen von Geräten die eine Schnittstelle zwischen mechanischer Rechenmaschine und der Entwicklungslinie des universellen Computers darstellen. So kann der Besucher zum Beispiel den detailgetreuen Nachbau einer Hollerith-Maschine oder das rekonstruierte Rechenwerk der Difference Engine von Charles Babbage betrachten. Im Depot befindet sich ein weiterer Teil der umfangreichen Sammlung des Museums an mechanischen Rechenmaschinen. Wie bei der Informatikausstellung im Deutschen Museum, steht auch in der Ausstellung „Rechen einst und heute“ des Arithmeum die Objektsammlung im Vordergrund der Konzeption. Besonders hervorzuheben ist die ‚offene‛ Präsentation originaler wie rekonstruierter Rechenmaschinen, die dem Ausstellungsbesucher einen unmittelbaren Zugang zu den historischen Objekten ermöglichen. Der transparente Museumsbau und das minimalistische Ausstellungsdesign bilden einen kontrastreichen Hintergrund zu den Exponaten und verschaffen dem Besucher dadurch eine ungewohnte Perspektive auf die Rechenmaschinen. Allerdings führt diese ‚neutrale‛ Präsentation ohne inszenatorische Hilfsmittel zu einer vollständigen Ausblendung der ursprünglichen Gebrauchszusammenhänge der ausgestellten Maschinen. Eine Auseinandersetzung mit ihrer Anwendungsgeschichte findet nicht statt. Auch der moderne Computer wird ausschließlich in seiner Funktion als Rechenmaschine dargestellt. Der ‚Sprung‛ vom mechanischen Rechnen zu den ‚äquivalenten‛ Rechenprozessen im Mikrokosmos der Computerchips umgeht die gesamte Entwicklungsgeschichte des Computers. Allerdings ermöglicht gerade diese Auslassung den direkten Vergleich der historischen Rechenmaschinen mit den 103 elementaren Strukturen heutiger Mikrotechnologie und führt dem Ausstellungsbesucher die enorme Entwicklungsdynamik der Computergeschichte vor Augen. Abbildung 32: Versuchsanordnung mit Polarisationsmikroskop 5.3 Die Kulturgeschichte des Computers − Das Heinz Nixdorf MuseumsForum „Ziel der Ausstellungspräsentation ist es, einen Eindruck der historischen Entwicklung der Informationstechnik über fünftausend Jahre bis zu ihrer überragenden Gegenwartsund auch Zukunftsbedeutung zu vermitteln“ (Thürmer, 1996, 32). Die ständige Ausstellung im Heinz Nixdorf MuseumsForum wurde im Oktober 1996 im ehemaligen Gebäude der Hauptverwaltung der Nixdorf AG eröffnet124. Verantwortlich für Architektur und Ausstellungsdesign des neuen Computermuseums waren Prof. Ludwig Thürmer und Prof. Gerhard Diel, zwei renommierte Ausstellungsgestalter und Lehrbeauftragte an der Hochschule der Künste in Berlin. Auf einer Fläche von 6000 qm versucht die Ausstellung dem Besucher einen umfassenden Überblick über 5000 Jahre Informationstechnik zu verschaffen und erzählt die Geschichte des Computers als „Mittel der Wissensvermittlung und Unterhaltung“. Unter den 2000 Ausstellungsobjekten befinden sich zahlreiche rekonstruierte und originale Objekte der Rechen-, Schreib- und Bürotechnik, sowie der frühen wie jüngeren Computergeschichte. Im Jahr 2004 erfolgte eine Neu- bzw. Umgestaltung der Ausstellung, um den neuesten Entwicklungen in der Informations- bzw. Computertechnologie Rechnung zu tragen. 124 Zur Entstehungsgeschichte des HNF siehe auch Kapitel 2.4 dieser Arbeit. 104 Die Ausstellungskonzeption teilt die Geschichte des Computers auf zwei Etagen in die Zeit vor und nach der Erfindung der universellen Maschine ein. Im ersten Obergeschoss wird die Vorgeschichte des Computers in chronologischer Abfolge von den ersten antiken Schrift- und Zahlensystemen, über mechanische Rechen- und Schreibmaschinen, bis zur „Geburt des Computers“ präsentiert. Der Ausstellungsabschnitt im zweiten Obergeschoss beschäftigt sich mit der „Entwicklung, Verbreitung und Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung“ und erzählt die letzten 50 Jahre der kommerziellen und kulturellen Durchsetzung des Computers. Außerdem wird ein Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen in der Computertechnologie gegeben. Bei der Ausstellungsgestaltung wurde besonderer Wert darauf gelegt, die behandelten Sachverhalte dem Besucher auf vielfältige Art und Weise zu vermitteln. Zwar stehen die historischen Objekte und ihre Beschriftungen im Vordergrund der Präsentation, zahlreiche Bild- und Texttafeln, Audio- und Videoinstallationen sowie einige interaktive Computerstationen ergänzen jedoch das museale Angebot. Zu dem Bedeutungsraum der Ausstellung trägt außerdem das historische Gebäude, selbst ein Teil internationaler Computergeschichte, einen wichtigen Anteil bei. Die Ausstellung beginnt im ersten Obergeschoss mit dem Thema „Von der Keilschrift zum Computer“ und führt den Ausstellungsbesucher in einem chronologischen Ablauf „im Uhrzeigersinn“ durch die „Zivilisationsgeschichte der Menschheit“. Den roten Faden bilden dabei die Kulturtechniken „Rechnen, Schreiben, Zeichnen, Steuern“ und ihre Automatisierung bzw. Maschinisierung (Thürmer, 1996, 33). Im Zentrum der Ausstellungsetage befindet sich der Rundgang „Galerie der Pioniere“, in dem Leben und Werk elf bedeutender Personen, von Schickard bis Nixdorf, der Computergeschichte aus vier Jahrhunderten vorgestellt werden. Bemüht, eine vereinfachende Biografisierung der komplexen Entwicklungslinien zu vermeiden, wird versucht, den gesamten Lebenslauf sowie die „äußeren Lebensumstände“ der Pioniere zu berücksichtigen (HNF, 2000, 59). Zu diesem Zweck werden in den einzelnen Bereichen neben einigen Ausstellungsobjekten auch Hörspiele, ‚Großbücher‛, Fotografien und historische Dokumente eingesetzt. Der konzentrische Aufbau setzt sich um den zentralen Rundgang herum fort, indem die Galerie von Exponaten umgeben ist, die aus der Zeit des jeweiligen Pioniers stammen. In den Ecken der Ausstellungsetage, bzw. im äußersten ‚Ring‛, sollen darüber hinaus sechs szenische Inszenierungen historischer Büroräume einen Überblick über den kulturgeschichtlichen Wandel in der Informationsverarbeitung ermöglichen. Somit hat der Ausstellungsbesucher zwei Möglichkeiten sich im Informationsraum der Ausstellung zu bewegen. Radial, von innen nach außen, erhält er einen biografischen, technischen und 105 schließlich kulturgeschichtlichen Zugang zu der entsprechenden Epoche. Folgt der Besucher dem Kreisbogen, so bewegt er sich durch die Zeit und kann die kausalchronologische inszenierte Abfolge der technischen Entwicklung nachvollziehen. Abbildung 33: Grundriss 1. Obergeschoss "Von der Keilschrift zum Computer" Nach einer ausführlichen Einführung in die Kulturgeschichte des Schreiben und Rechnens widmet sich der mittlere Rundgang der Mechanisierung der Informationstechnik und zeigt eine umfangreiche Sammlung früher mechanischer Rechen- und Schreibmaschinen sowie eine Auswahl historischer Registrierkassen. Die Entwicklungslinie wird fortgesetzt mit der Geschichte der Telegrafie und des Telefons. Eine Einführung in die Lochkartenverarbeitung um die Jahrhundertwende illustriert die Frühzeit der Datenverarbeitung. Die Ausstellung im ersten Obergeschoss endet mit dem in Kapitel Vier besprochenen ENIAC-Exponat und thematisiert die historisch nachfolgende Erfindung der universellen Maschine als Kulminationspunkt der informationstechnischen Entwicklungsgeschichte. Im Eingangsbereich der zweiten Ausstellungsetage wird die Galerie der Pioniere aus dem ersten Stockwerk in einer Multimedia-Installation fortgesetzt. Die „Wall of Fame“ ermöglicht über einen Touchscreen-Monitor den Zugriff auf 152 bedeutende Personen der Computergeschichte und ihre Biografien. Um dem Besucher einen möglichst aktuellen Blick auf die Computergeschichte und ihre herausragenden Persönlichkeiten zu ges- 106 tatten, wird die „Wall of Fame“ regelmäßig mit „neuen Pionieren und ergänzenden Informationen“ aktualisiert (HNF, 2004, 9). Abbildung 34: Der Eingangsbereich der Ausstellung im 1. OG.: "Zahlen, Zeichen und Signale" Der ‚innere Bereich‛ der zweiten Ausstellungsetage ist der Firmengeschichte der Nixdorf Computer AG vorbehalten. Unter dem Titel „Nixdorf – Wegbereiter der dezentralen Datenverarbeitung“ wird dem Ausstellungsbesucher die Erfolgsgeschichte des Paderborner Unternehmens durch Zeitzeugenberichte, Multimediaanwendungen und Videodokumentationen vermittelt. Kernstück ist die Präsentation der umfangreichen Produktgeschichte der Firma. Der äußere Rundgang nimmt den chronologischen Leitfaden aus dem ersten Stockwerk mit der Entwicklung der Computerindustrie in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren wieder auf. Unter dem Thema „Computer nur für Spezialisten“ wird zunächst die Geschichte der ZUSE KG mit Texttafeln, Fotografien und den Objekten Z11 und Z23 dargestellt. Eine aufwendig gestaltete Schauwand thematisiert den Einfluss des Militärs und der Raumfahrt auf die Computerentwicklung in den USA. Gezeigt wird der Bordcomputer der unbemannten Gemini-II-Mission − „der Computer, der im Weltraum war“. Die Exklusivität digitaler Datenverarbeitung bis weit in die siebziger Jahre wird anschließend am Beispiel der „Datenverarbeitungsorganisation des steuerberatenden Berufes“ (DATEV) in Nürnberg angesprochen, die im Jahr 1969 ihr Rechenzentrum einweihte. Der anschließende Ausstellungsbereich widmet sich dem „Computer in Wirtschaft und Beruf“ und behandelt die Jahre 1970-1980. Mit der ESER 1055, einer Rechenanlage die zu Beginn der achtziger Jahre in den Staaten des Ostblocks eingeführt wurde, wird hier 107 ein „fast vollständiges“ Rechenzentrum gezeigt und gleichzeitig die Entwicklung der Computer in der DDR angesprochen. Auf ausführlichen Texttafeln wird anschließend die Entstehung einer unabhängigen Softwareindustrie in den siebziger Jahren dargestellt, die mit zahlreichen Unternehmensgründungen verbunden war. In der Folge wird dem Besucher die Diffusion der Computertechnologie in den beruflichen Alltag durch die Präsentation mehrerer Speicherschreibmaschinen (z. B. der Firma Wang Laboratories) und den erfolgreichen Minicomputern der Firma DEC verdeutlicht. Der kommerzielle Siegeszug der Mikroelektronik und die Entwicklung des elektronischen Rechners zur „Massenware“ werden in Form einer großen ‚Taschenrechnerwand‛ dargestellt. Abbildung 35: Die ‚Taschenrechnerwand‛ im HNF (2005) Die historische Entwicklungslinie wird weitergeführt mit dem Themenbereich „Computer für alle!“ und der so genannten ‚PC-Revolution‛. Dabei wird die Dynamik der Jahre 1980-1990 durch verschiedene Präsentationsformen und Exponattypen eingefangen. Zunächst wird auf Texttafeln die Erfindung des Mikrochips Anfang der siebziger Jahre und seine Bedeutung für den technologischen Fortschritt dargelegt. Außerdem wird der Erfolgsgeschichte der amerikanischen Computerindustrie und dem Mythos Silicon Valley auf den Grund gegangen. Im Anschluss werden dem Besucher die ersten Mikrocomputer, unter ihnen der berühmte Altair 8800, in Einzelvitrinen und an prominenter Stelle gezeigt. Die folgende ‚PC-Ahnengalerie‛ wurde eingehend in Kapitel Vier besprochen. Neben der bloßen Präsentation der Ausstellungsobjekte werden auch Aspekte der Anwendungsgeschichte der frühen Personalcomputer thematisiert. Die Hacker-Kultur der achtziger Jahre und ihre Bedeutung für die Computerentwicklung werden ebenso beleuchtet wie der Einsatz der digitalen Maschine als Musikcomputer oder als Videospiel. 108 Abbildung 36: Die ersten Mikrocomputer Der abschließende Ausstellungsbereich rückt von einer chronologischen Inszenierungsstrategie ab. „Global Digital 1990-20XX“ will die aktuelle Dynamik der globalen Datenund Kommunikationswelt für den Ausstellungsbesucher nachvollziehbar machen. So wird auf einer großen ‚Internetwand‛ dem Besucher Geschichte, Struktur und Dynamik des ‚globalen Netzes‛ vermittelt. Der Bereich „Presse, Funk und Fernsehen“ vervollständigt das Bild der Informationsgesellschaft. An einer ‚digitalen Werkbank‛ mit 17 PCArbeitsplätzen können darüber hinaus Computeranwendungen aus der ‚Mediathek‛ des HNF ausprobiert werden. Im Anschluss können die Besucher, mit Datenhelm und 3-DMouse ausgerüstet, im ‚Softwaretheater‛ verschiedene VR-Anwendungen erleben. Vor allem der Bereich „Global Digital“ ist im Zuge der Ausstellungsaktualisierung im Jahr 2004 grundlegend umgestaltet worden. Die neuen Bereiche umfassen Themen wie „Künstliche Intelligenz und Robotik“, „Mobile Kommunikation“ oder „Interfaces – Kommunikation mit der Maschine“ und setzen vor allem auf interaktive Präsentationsformen bei denen der Besucher die neuen Einsatzbereiche der Computertechnologie kennen lernen kann. So kann man sich mit dem Avatar Max unterhalten, den Turing Test versuchen oder mit Robotern interagieren. Ständig wechselnde Ausstellungen im „Showroom“ ermöglichen außerdem einen Blick auf die „Technik von morgen“. 109 Abbildung 37: Robotik und KI: Aibo Roboterhunde von Sony Die Ausstellungskonzeption der ständigen Ausstellung im HNF bemüht sich um einen breiten Zugang zur Geschichte des Computers. Bewusst hat man bei ihrer Gestaltung auf eine bloße „Aneinanderreihung toter Maschinen und gesichtsloser Erfindungen“ (Thürmer, 1996, 28) verzichtet. Durch den Einsatz aufwendiger Schau- und Texttafeln, Multimedia-Installationen, Emulationen und anderer inszenatorischer Hilfsmittel wurde versucht, den Blick auf die Geschichte der universellen Maschine nicht auf eine Perspektive zu verengen. Die Thematisierung komplexer Sachverhalte der Software- und Anwendungsgeschichte mit diesen Mitteln muss dabei allerdings oft ohne Objekte auskommen und führt an manchen Stellen zu einer den Besucher überfordernden Informationsdichte. 110 6 Schlussbetrachtung „Alle Museen, nur nicht die Kunstmuseen, sind Friedhöfe der Dinge: Was dort gesammelt wird, ist seiner Lebensfunktion beraubt, also tot“ (Groys, 1997, 9). Der Versuch, einen Überblick über die komplexe Thematik der musealen Präsentation des Computers und seiner Technikgeschichte zu erlangen, wurde im Rahmen dieser Arbeit von der dualen Fragestellung geleitet, auf welche Weise sich der Computer als Medium bzw. die Computergeschichte als Mediengeschichte im musealen Bedeutungsraum in Szene setzen lässt. Die museale Präsentation technischer Artefakte ist an erster Stelle, mit Blick auf die historischen Ursprünge der technischen Sammlung und Ausstellung, immer vor dem Hintergrund der Interessen der Ausstellungsgestalter zu verstehen. So wird das Sammeln und Zeigen von Relikten menschlicher Kulturgeschichte dazu genutzt, bestimmte gesellschaftliche Wertesysteme zu etablieren, Wissenschaftsordnungen zu vermitteln oder den Glauben an einen stetigen technischen Fortschritt, im Sinne einer teleologischen Geschichtsschreibung, zu untermauern. Computermuseen bzw. Ausstellungen zur Geschichte der universellen Maschine reihen sich nahtlos in diese Tradition der kulturund technikhistorischen (Selbst-) Darstellung ein. Das Sammeln und Zeigen alter Computer ist demnach immer verbunden mit einer Vergegenwärtigung des zurückgelegten Weges, einer Bestandsaufnahme der Gegenwart mit dem ‚neuesten Stand der Technik‛ und einem Blick in die ‚heilbringende‛ digitalisierte Zukunft. Der Vergleich der aktuell verfügbaren Computertechnologie mit der historischen, überwundenen Rechnergeneration ermöglicht zudem, auch als Selbstlegitimierung der Museen in der Gesellschaft, eine Verinnerlichung der eigenen Fortschrittlichkeit und Leistungsfähigkeit. In der Tradition der technischen Ausstellung lässt sich eine gewisse Kontinuität der didaktischen Mittel beobachten, die sich auch in den besprochenen Inszenierungsbeispielen anschaulich darstellen. Ein Konglomerat aus Bildung, Unterhaltung, Spektakel und ‚Lust am Skurrilen‛ bestimmt seit jeher die museale Auseinandersetzung mit der Technikgeschichte. Roboter begrüßen den Ausstellungsbesucher heute wie vor fünfzig Jahren und auch die Auseinandersetzung mit der ‚Technik der Zukunft‛ bedient Ängste und Hoffnungen der Menschen früher wie heute. Die Konstanten der Darstellung reichen sogar noch weiter zurück, vergleicht man den konzeptionellen und inszenatorischen Aufbau des HNF, der sich nahezu spiegelbildlich mit der Weltausstellung im Jahr 1867 in Paris deckt. 111 In Kapitel Zwei wurde in einem kursorischen Überblick die Geschichte des Computers als Ausstellungsobjekt aufgearbeitet. Die Darstellung der verschiedenen Interessengruppen und Impulsgeber hat gezeigt, dass sehr unterschiedliche museale Bezugsrahmen existieren, in denen der Computer als Ausstellungsobjekt gezeigt, erklärt und inszeniert wird. Die Beweggründe und Zielsetzungen bei der Gestaltung einer historischen Computerausstellung können dabei sehr konkret sein, wie im Falle der um ihre Selbstdarstellung bemühten Firmenmuseen. Sie können aber auch einer langen Tradition mit gewachsener gesellschaftlicher Funktion entspringen, wie im institutionellen Rahmen der nationalen Technikmuseen. Der Blick auf die verschiedenen, kleinen wie großen Computerausstellungen hat außerdem gezeigt, dass der Computer zwar aus vielfältigen Gründen ein für Kuratoren und Ausstellungsmacher höchst attraktives Ausstellungsobjekt darstellt, sich jedoch aufgrund seiner Vieldeutigkeit und Komplexität einer einfachen didaktischen Aufbereitung entzieht. Lässt sich der Computer nun unter dem Polarisationsmikroskop des Arithmeum finden oder liegt er doch irgendwo in der Gigantomanie des begehbaren Riesencomputers von Oliver Strimpel verborgen? Die Frage ist auch nach ausführlicher Betrachtung des Computers und seiner Geschichte(n) nicht eindeutig zu beantworten. Es gibt nicht die eine Entwicklungsgeschichte des modernen Computers, die sich ausgehend von dem zeitgenössischen Universalmedium zurückverfolgen ließe. Vielmehr lässt sich die universelle Maschine nur vor den komplexen Wechselwirkungen zwischen ihrer Ideengeschichten auf der einen und der Anwendungsgeschichten auf der anderen Seite verstehen. Eine solch kaleidoskopische und umfassende Darstellung der Mediengeschichte des Computers ist jedoch, wie die Untersuchung der einzelnen Inszenierungsstrategien verdeutlicht hat, im musealen Bedeutungsraum der historischen Ausstellung kaum erreichbar. Aufgrund der zunehmenden Ausdifferenzierung der universellen Maschine als allgegenwärtige mediale Kulturtechnologie wird eine eindeutige Festlegung des Computers, wie sie beispielsweise im Deutschen Museum in den achtziger Jahren noch vorgenommen wurde, zunehmend schwieriger. Eine vollständige, enzyklopädische Darstellung der Mediengeschichte des Computers in der historischen Ausstellung wird, das lässt sich hier feststellen, auch zukünftig nicht zu erreichen sein. Doch der Weg von der eindeutigen Rechenmaschine zum universalen Medium bereitet den zuständigen Ausstellungsmachern noch weitere Schwierigkeiten. In Kapitel Vier wurden mehrere Computerexponate hinsichtlich ihrer Funktion untersucht, authentisch auf ihren ursprünglichen Gebrauchszusammenhang zu verweisen. Solange Anwendung 112 und materielles Objekt funktionell eindeutig miteinander identifizierbar sind, kann das ‚alte Objekt‛ als materieller Zeitzeuge eine Brücke zu seiner Vergangenheit darstellen. Der Computer als Multimedium, Simulationsmedium und Kommunikationsmedium lässt sich jedoch im Gegensatz zur ‚transparenten‛ Rechenmaschine nicht eindeutig auf seine bloße materielle Hardware zurückführen. Der moderne Computer ist heute und in Zukunft nur noch im Prozess seiner interaktiven Anwendung begreifbar und darstellbar. Der unmittelbare Nachvollzug der historischen Anwendung auf der originalen Hardware ist aber nur in den seltensten Fällen im musealen Rahmen realisierbar. Die Voraussetzungen dafür können nur in sehr kleinen Museen, wie zum Beispiel dem Computerspielemuseum, tatsächlich geschaffen werden. Hohe Besucherzahlen in Verbindung mit der Empfindlichkeit der alten Geräte stehen dieser Idealsituation in den großen Museen im Weg. Es bleibt also die eingangs gestellte Frage zu beantworten, ob ein Computermuseum zwangsläufig ein ‚Club der stummen Kisten‛ bleiben muss. Handelt es sich bei ihnen, um das Zitat von Boris Groys (1997, 9) aufzugreifen, tatsächlich um die „Friedhöfe“ der Computer, welche die alten Geräte ‚post mortem‛ sammeln und ohne ihre „Lebensfunktion“ zur Schau stellen? Oder kann es gelingen die alten Geräte in ihrer letzten Ruhestätte zumindest für die Dauer eines Ausstellungsbesuchers wieder zum Leben zu erwecken? Auch die Antwort auf diese Frage kann nicht eindeutig ausfallen. Zum einen weil gerade die ‚stumme‛ und ‚nackte‛ Präsentation der ‚alten Objekte‛ einen authentischen Eindruck ihres vergangenen Lebens als funktionelles Objekt ermöglicht. Zum anderen weil der Nachvollzug historischer Zusammenhänge am Objekt, im Sinne einer Wiederbelebung der ‚toten Materie‛, im musealen Bedeutungsraum ohnehin niemals vollständig geschehen kann. Gerade die Isolation der Objekte in der fremden Umgebung der Ausstellungssituation ermöglicht einen neuen Zugang zu den Dingen. Die eigentliche Frage lautet folglich nicht, wie sich die materiellen Überreste des Computers als Medium wieder beleben lassen, sondern ob die Materialität der Hardware überhaupt eindeutig auf die Anwendung des Computers als Medium verweisen kann und viel mehr noch, wie sich digitale Artefakte trotz ihrer prozessualen Immaterialität auch in Zukunft in einer historischen Ausstellung präsentieren lassen. +++ 113 Abbildung 38: Eintrittskarte des HNF – Reise in die Vergangenheit und Zukunft des Computers 114 7 Literaturverzeichnis Abbate, Janet (1993). Exhibit Reviews: People and Computers at the Computer Museum. In Technology and Culture, Vol. 34 Nr.3, S. 665-668. Chicago: University Press. Abbate, Janet (1999). Inventing the Internet. Cambridge, Mass.: MIT Press. Balnaves, Mark, Donald, James, Donald, Stephanie H. (2001). Der Fischer Atlas Medien. Frankfurt a.M.: Fischer. Baran, Paul (1964). On distributed Communications: I. Introduction to Distributed Communications Network. 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Vergnügung und Belehrung.Volkskultur auf den Weltausstellungen 1851-1900. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. (S. 24+25). Abb. 2: Eames, Charles & Eames, Ray (1973). A Computer Perspective. By the Office of Charles & Ray Eames. Cambridge, Mass.: MIT Press. (S. 35). 123 Abb. 3: Eames, Charles & Eames, Ray (1973). A Computer Perspective. By the Office of Charles & Ray Eames. Cambridge, Mass.: MIT Press. (S. 105). Abb. 4: Petzold, Hartmut (2003). Informatik. In W. P. Felhammer (Hrsg.), Deutsches Museum. Geniale Erfindungen und Meisterwerke aus Naturwissenschaft und Technik (S. 204-211). München, Berlin, London, New York: Prestel. (S. 207) Abb. 5: Eames, Charles & Eames, Ray (1973). A Computer Perspective. By the Office of Charles & Ray Eames. Cambridge, Mass.: MIT Press. (S. 10-11). Abb. 6: Lubar, Steven (1986). Exhibit Reviews: The Computer Museum, Boston, Massachusetts. Technology and Culture, Vol. 27 Nr.1, S. 96-105. Chicago: University Press Abb. 7: DER SPIEGEL (24/1990). Spaziergang im Rechner (S. 226). Abb. 8: Abbate, Janet (1993). Exhibit Reviews: People and Computers at the Computer Museum. Technology and Culture, Vol. 34 Nr.3, S. 665-668. Chicago: University Press. (S. 667). Abb. 9: http://www.arts-et-metiers.net/images/image_p/548.jpg (8.06.2005). Abb. 10: Swade, Doron (1991). Charles Babbage and his Calculating Engines. London: Science Museum. (S. 22) Abb. 11: Naumann, Friedrich (2001). Vom Abakus zum Internet. Die Geschichte der Informatik. Darmstadt: Primus (S. 137). Abb. 12: http://www.computerspielemuseum.de/images/nav/b_lupe1.gif (8.06.2005). Abb. 13: http://www.computerspielemuseum.de/images/nav/b_lupe1.gif (8.06.2005).w Abb. 14: Foto, J. Müggenburg (Deutsches Museum, 31.03.2005). Abb. 15: Speiser, Ambros P. (2004). Konrad Zuses Z4 und die ERMETH: Ein weltweiter Architektur-Vergleich. In H. D. Hellige (Hrsg.), Geschichten der Informatik. Visionen, Paradigmen, Leitmotive (S. 171-193). Berlin; Heidelberg: Springer (S.175). Abb. 16: Foto, J. Müggenburg (Deutsches Museum, 31.03.2005). Abb. 17: Wurster, Christian (2002). Der Computer. Eine illustrierte Geschichte. Köln: Taschen (S. 46). Abb. 18: Foto, J. Müggenburg (Hein Nixdorf MuseumsForum, 07.01.2005). Abb. 19: Thürmer, Ludwig & Diehl, Gerhard (1996). Die Entstehung des Heinz Nixdorf MuseumsForum. Architektur und Design an der Schnittstelle von Mensch und Technik (S.64). Berlin: Coordination Ausstellung. Abb. 20: Bauer, Friedrich L. (2004a). Informatik. Führer durch die Ausstellung. München: Deutsches Museum (S. 172). Abb. 21-24: Foto, J. Müggenburg (Hein Nixdorf MuseumsForum, 07.01.2005). 124 Abb. 25: http://www.brightsight.com/Arcade/Videotopia/default.asp (30.07.05) Abb. 26-29: Foto, J. Müggenburg (Deutsches Museum, 31.03.2005). Abb. 30-32: Foto, J. Müggenburg (Arithmeum, 2.02.2005). Abb. 33: Thürmer, Ludwig & Diehl, Gerhard (1996). Die Entstehung des Heinz Nixdorf MuseumsForum. Architektur und Design an der Schnittstelle von Mensch und Technik (S. 38). Berlin: Coordination Ausstellung. Abb. 34-37: Foto, J. Müggenburg (Hein Nixdorf MuseumsForum, 07.01.2005). Abb. 38: Eintrittskarte des Heinz Nixdorf Museumsforum (2005). 125 9 Anhang 9.1 Expertengespräch mit Dr. Hartmut Petzold (Deutsches Museum) Gespräch mit: Funktion: Einrichtung: Ausstellung: Dr. Hartmut Petzold am 31.03.2005 Konservator (Informatik und Automatik) Deutsches Museum, München „Informatik“ JM: Herr Dr. Petzold, sie sind Konservator der Informatikausstellung des Deutschen Museums und haben die Ausstellung seit ihrer Eröffnung im Jahr 1988 begleitet. Wie entstand damals die Idee, der Informatik eine Ausstellung am Deutschen Museum zu widmen? HP: Die Informatikausstellung im Deutschen Museum geht im Wesentlichen auf das Bestreben von Professor Dr. Friedrich Bauer von der TU München zurück, ein Informatiker der ersten Stunde. Bauer spielte übrigens schon lange vor 1988 mit dem Gedanken eine Ausstellung zur Informatik am Museum einzurichten. Der wichtigste Impuls war dabei wohl der zweite Weltkongress der IFIP125, der im Jahr 1962 in München stattfand. Friedrich Bauer hatte damals bereits an der Entwicklung der Programmiersprache ALGOL126 entscheidend mitgewirkt und nachdem er 1962 nach München an die TU berufen wurde, arbeitete er entschlossen an der Etablierung der Informatik in Deutschland. Man wollte damals die Informatik in den Rang einer wissenschaftlichen Disziplin erheben und München spielte dabei weltweit eine bedeutende Rolle, nicht zuletzt durch die Gründung des deutschlandweit ersten Studiengangs für Informatik an der TU im Jahre 1967. Dieser Prozess war der entscheidende Antrieb für Bauer sich innerhalb des Deutschen Museums für die Gründung einer Informatikausstellung einzusetzen. Doch es dauerte bis zum Jahr 1988 bis die Ausstellung unter dem damaligen Titel „Informatik und Automatik“ schließlich eröffnet wurde. JM: Bei dem Besuch der Ausstellung fällt einem sofort die mathematische Ausrichtung der Ausstellungskonzeption auf. Wie kam es zu dieser exklusiven Perspektive auf den Computer als Rechner? HP: Nun, es gab damals eine Phase der Selbstfindung und die mathematische Ausrichtung der Ausstellung war nicht unumstritten. Ein starker Impuls kam damals vom Leiter des Deutschen Museums Otto Mayr, der unbedingt sein Fachgebiet „Regelungstechnik“ in die Ausstellung aufnehmen wollte. Das scheiterte letztlich daran, dass die entscheidenden Leute nicht mitgespielt haben. Letztendlich hat sich Bauers Linie durchgesetzt, also die stringente Entwicklungslinie von der Mathematik zum Computer, bzw. zum Computer als Rechner. Das ist der rote Faden den man in der Ausstellung verfolgen kann und der sich in die verschiedenen Technologien verzweigt. Das hat natürlich viel mit Bauers persönlichem Werdegang zu tun. Er ist Mathematiker gewesen und hat ganz persönlich diesen Übergang von der Mathematik in die Informatik nicht nur miterlebt, sondern sogar selbst vorangetrieben. Was übrigens immer bedeutet hat, dass er die Ingenieure aus der Elektrotechnik etwas nach hinten gedrängt hat. Man könnte nun an dieser Linie kritisieren, dass andere Entwicklungslinien der Computertechnologie nicht berücksichtigt wurden, aber ich halte diese Ausrichtung grundsätzlich für richtig. Ich habe selbst historisch an der Entwicklungslinie vom Rechnen zum Computer gearbeitet 125 126 International Federation of Information Processing Zur Entwicklung von ALGOL (Algorithmic Language) siehe: Bauer, Friedrich Die ALGOLVerschwörung (Bauer 2004b) 126 und würde diesen Ursprung des Computers in der Mathematik vor allem mit der Kontinuität der Personen belegen, die in der Geschichte des Computers eine bedeutende Rolle gespielt haben. Die kamen eben aus der Mathematik – und das gilt für Deutschland ebenso wie für die USA und England. JM: Die Ausstellung ist thematisch in die drei Aspekte „Analogprinzip“, „Digitalprinzip“ und „Automatik“ geteilt und zur Orientierung des Besuchers entsprechend farblich gestaltet. Wie entstand diese inhaltliche Dreiteilung? HP: Das ergibt sich einfach von den Objekten her, wenn man sie klassifiziert und einteilt. Wir haben hier ein ungeheures Spektrum an Objekten und an diesen drei Grundprinzipien lassen sich die Objekte gut erklären. Gerade das Analogprinzip wird ja auch im Moment wieder aktuell. JM: Das Deutsche Museum sieht seit jeher eine seiner zentralen Aufgaben in der Volksbildung und hat den Anspruch die ausgestellte Technik auch zu erklären. Wie bewerten sie den Versuch in der Informatikausstellung die komplexe Technik des Computers auszustellen? HP: Über die Frage, was es heißt den Computer zu verstehen, haben wir hier viel nachgedacht. „Der Computer“ ist doch ein sehr umfassender Begriff. Heute verstehen die Leute meistens ihren PC oder Laptop darunter. Deswegen haben gerade jüngere Leute oft viele Schwierigkeiten mit diesen großen Kisten den Computer zu assoziieren. Was das Verständnis des Computers angeht, so ist in der Ausstellung daher leider wenig gelungen. Es ist für viele sehr mühsam sich durch die vielen Texte und Erklärungen durchzuarbeiten. Der Computer ist nun mal eine komplizierte Sache und das was gelingt, erreicht man fast ausschließlich in Führungen. Aber andererseits muss man auch sagen, die Erwartung die viele haben, man könne einfach durch die Ausstellung schlendern und der Computer fliege einem zu, ist einfach zu hoch. Ich habe es oft selbst erlebt, man erklärt dem Besucher irgendeine Kleinigkeit und anschließend sagt dieser erfreut: „Jetzt habe ich den Computer verstanden!“. Da bin ich dann natürlich nicht der Spielverderber und kläre ihn auf, wie komplex der Computer eigentlich ist und wie wenig er verstanden hat. Man kann sich in diesem Zusammenhang übrigens darüber streiten, wie viel das Verständnis von einfachen Rechenoperationen mit dem Verständnis der Computertechnologie zu tun hat. Rechnen sie mal am Computer drei Zahlen zusammen ohne eine Software wie den Windows Taschenrechner zu gebrauchen. Natürlich wird da irgendwo im Computer gerechnet, aber bei Millionen von Rechenoperationen pro Sekunde steigt das Vorstellungsvermögen einfach aus. Aber trotzdem: die Besucher sehen diese alten Großrechner heute so gerne wie vor zwanzig Jahren, und wahrscheinlich werden sie das auch in zwanzig Jahren noch tun. JM: Denken sie nicht, dass die Ausstellungsgestaltung angesichts der Konzentration auf den Computer als Rechner die Perspektive auf die vielseitige Anwendungs- und Softwaregeschichte etwas vernachlässigt? HP: Nun diese Kritik ist nicht neu. Man hat Bauer schon immer dahingehend kritisiert, dass die Themen »Software« und »Programmierung« viel zu kurz kämen. Und das gerade, obwohl Bauer ja ein Vorreiter in der Softwareentwicklung war. Das Problem lag aber schlicht und einfach darin, dass man nicht wusste wie man »Programmieren« ausstellen soll. Man muss außerdem sehen, dass 1988, als die Ausstellung eröffnet wurde, vom Internet noch nicht die Rede war. Und der PC war erstens noch etwas ganz Besonderes und zweitens noch lange nicht das, was er heute darstellt. Was Bauer damals deutlich machen wollte war die technische Entwicklung des Computers, welche vor 127 allem durch die Mikroelektronik vorangetrieben wurde, durch die Steigerung der Speicher- und der Prozessortechnologie. Wir arbeiten allerdings seit einer ganzen Reihe von Jahren an der Frage, wie man die Software im Museum ausstellen kann. JM: Sicherlich interessiert sich der Besucher neben den historischen Aspekten auch dafür, wie die Technologie funktioniert, der er im Alltag begegnet. Kann eine Ausstellung zur Computertechnologie dieses Bedürfnis nach Aktualität überhaupt erfüllen? HP: Diese Aufgabe besteht natürlich. Das Deutsche Museum hat eigentlich den Anspruch die aktuelle Technik aus der historischen herzuleiten und darüber verständlich zu machen. Nur was ist aktuell? Gerade in der Computerbranche kommt ja alle Jahre etwas Neues hinzu. Wir hatten im letzten Jahr eine große Diskussion, bei der es um die Aufgaben des Museums ging und da sagte jemand: „Eigentlich würde ich mir gerne das Handy in der Informatikausstellung erklären lassen!“. Aber das ist nun wirklich zu überspitzt, das können wir einfach auch nicht leisten. Wir sind da nicht sehr beweglich. Unsere Ausstellungen sind normalerweise auf eine Dauer von zwanzig Jahren angelegt. Wir haben über fünfzig Ausstellungen im Deutschen Museum und können uns nicht nur auf den Computer konzentrieren wie spezielle Computermuseen es vielleicht können. JM: Hat man jemals darüber nachgedacht auch aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Computer zu thematisieren? HP: Auch das ist ein bekanntes und oft genanntes Problem dieser Ausstellung. Als ich 1988 am Deutschen Museum anfing und die Ausstellung gerade eröffnet wurde, überlegte man, ob nicht das Volkszählungs-Debakel, das ein paar Jahr zuvor stattgefunden hatte, in die Ausstellung aufgenommen werden müsste. Bauer wollte das damals nicht, auch wenn in den ersten Jahren der Ausstellung sicherlich der ein oder andere diese Problematik vermisst hat. Wenn allerdings heute ein Besucher mit der Volkszählung von 1987 konfrontiert würde, würde er sich wohl an den Kopf greifen angesichts dieses Ereignisses aus der Steinzeit. Nein, ich denke, das Deutsche Museum muss sich auf seine Spezifika besinnen und nicht allem hinterherlaufen. Diese Spezifika sind vor allem die Objektsammlung, wir haben hier die originale Hardware und wenn man diese sehen will, davon Bilder oder Filmaufnahmen machen will, dann muss man ins Deutsche Museum gehen. Das ist nicht so selbstverständlich. JM: Am Anfang jeder Ausstellung steht eine Sammlung solcher Objekte. Welche Sammlung stand am Anfang der Informatikausstellung und wie kamen im Laufe der Jahre bedeutende Objekte hinzu? HP: Ein großer Teil unserer Sammlung stammt noch aus den Gründerjahren des Deutschen Museums um die Jahrhundertwende. Die vielen mathematischen Instrumente wie Rechenschieber und mechanische Rechenmaschinen wurden aus der alten MathematikAusstellung des Deutschen Museums übernommen, die man quasi in die Informatikausstellung integriert hat. Es war vor allem Friedrich Bauer, der bis zur Eröffnung der Ausstellung viele Objekte für das Museum akquirierte. So wurde die UNIVAC beispielsweise bereits in den sechziger Jahren dem Deutschen Museum von Bauer vermittelt. Nach unserem Wissen ist es das einzige Exemplar, das es heute überhaupt noch gibt. Die Größe der UNIVAC spricht ja schon dafür, dass man so ein Gerät wegwirft und in den USA war das nun mal die Zeit, in der man solche Großrechner schnell verschrottet hat. An Museen dachte da lange niemand. Man muss sagen, auch in diesem Fall war das Deutsche Museum früh dran. Bemerkenswert ist auch das Engagement von Professor Sauer, ein international renommierter Mathematiker der TU, der maßgeblich an der Entwicklung der Rechenanlage PERM mitgewirkt hat. Die PERM war ein Projekt der 128 deutschen Forschungsgesellschaft und wurde 1955 für das Rechenzentrum der TU fertig gestellt. Man kannte damals die digitale Technologie in Deutschland noch nicht. Generationen von Wissenschaftlern und Studenten haben an der PERM den Umgang mit der digitalen elektronischen Computertechnologie bis in die siebziger Jahre an der TU gelernt. Anschließend kam die PERM ins Deutsche Museum und ist nun aufgrund ihrer Geschichte eines der bedeutendsten Exponate der Ausstellung. JM: Einen zentralen Platz in der Ausstellung nimmt auch die Z4 von Konrad Zuse ein. Wie fand diese berühmte Maschine ihren Weg ins Deutsche Museum? HP: Die Z4 kam schon sehr früh ins Museum, nämlich bereits im Jahre 1960. Die Maschine hatte zuvor fünf Jahre an der TU in Zürich gestanden und danach zwei Jahre in Saarlouis. 1960 fragte Konrad Zuse per Brief am Deutschen Museum an, ob man Interesse an seiner Z4 hatte. Man hat dann, wie bei allen anstehenden Neuerwerbungen, unter den Professoren abgestimmt und war einhelliger Meinung, man solle diese Maschine in die Sammlung aufnehmen. Das war damals nicht unbedingt selbstverständlich, weil die Z4 doch eine etwas vorsintflutliche Angelegenheit darstellte. Es gab am Museum enge Verbindungen nach Zürich und man wusste daher, dass die Z4 historisch eine bedeutende Rolle spielte. Die Maschine hängt auch irgendwie in der eigenen Vorgeschichte des Museums drin, da sie damals von München aus sehr stark vertreten wurde. Aber trotzdem war es eine ungewöhnliche Entscheidung. Zuse war damals relativ unbekannt und wurde im Vergleich mit den Amerikanern auch in Deutschland eigentlich kaum wahrgenommen. JM: Denken sie, dass das Deutsche Museum mit der Aufnahme der Z4 in seine Sammlung auch zur Wahrnehmung von Konrad Zuse als Erfinder des Computers beigetragen hat? HP: Das hat in München damals sicherlich eine Rolle gespielt. Vor allem, weil Zuse eben in den USA lange schlicht und einfach ignoriert wurde. Obwohl man ihn dort gut kannte und eigentlich um seine Bedeutung in der Computergeschichte wusste. Aber es waren eben die Amerikaner, die die Geschichtsschreibung des Computers in den sechziger bzw. siebziger Jahren begonnen haben. Es gab damals zahlreiche Patentprozesse, bei denen es ganz wesentlich um Prioritäten ging, also um die Frage: „Wer war der erste?“. Da spielte Zuse eigentlich keine große Rolle und hatte erst später einen eigenen Patentprozess. Er hatte seine Idee vom Computer zwar bereits in den dreißiger Jahren angemeldet, wurde aber damals nicht gut beraten und hat diesen Weg nicht sehr konsequent verfolgt. Erst als es dann nach dem zweiten Weltkrieg aktuell wurde, haben sich andere Firmen eingeschaltet und Zuse’s Patent wurde 1968 in letzter Instanz vom deutschen Patentgericht abgelehnt. Da hat man natürlich auch gefragt: „Wer war eigentlich vor Konrad Zuse?“ und „Was sind seine Ansprüche wirklich wert?“. In diesem Zusammenhang ist eine Aufnahme in die Sammlung des Deutschen Museums natürlich schon interessant. Die Feststellung „Das steht im Deutschen Museum“ ist in Deutschland nach wie vor eine bedeutende Aussage. JM: Direkt neben der Z4 steht in der Ausstellung eine Rekonstruktion der Z3, welche ja als der weltweit erste funktionsfähige programmgesteuerte Computer gilt. Obwohl es sich dabei „nur“ um einen Nachbau der Maschine handelt, scheint diesem Exponat in der Ausstellung eine große Bedeutung beigemessen zu werden. HP: Nun, das ist eine ganz besondere Geschichte. Diese Z3 wurde von Zuse selbst nachgebaut und wir haben hier selbst viel darüber diskutiert, was dieses Ding eigentlich ist. Bezüglich der original Z3, an der sich der Anspruch von Zuse festmacht, den ersten 129 Rechner zum Laufen gebracht zu haben, gibt es nur einen Tagebucheintrag vom Oktober 1941. Zuse hat an diesem Tag die Z3 in seiner Wohnung vor ein paar Wissenschaftlern vorgeführt. Die Maschine ist danach im Krieg zusammen mit dem Haus völlig zerstört worden. Im Zusammenhang mit dem IFIP-Kongress 1962 in München, wollte Zuse demonstrieren, dass er gewisse Ansprüche auf Prioritäten in der Geschichte des Computers hat. Die Z4 lief zu diesem Zeitpunkt nicht mehr und als sie ins Museum kam, war sie ziemlich wüst zugerichtet. Zuse verkündete damals, er werde nun eine Maschine bauen, die all die Dinge zeigt, die er schon ganz früh entwickelt hat. Erstens die Programmierung, das konsequente duale System, die Gleitpunktrechnung und natürlich die Relaisschaltungen. Das hat er dann in Form dieser Rekonstruktion realisiert. Diese Maschine ist also nicht für das Deutsche Museum gebaut worden, sondern schlicht und einfach für Werbezwecke. Zuse hat sie hier und da vorgeführt. Sie kam dann 1968 im Rahmen der neuen Ausstellung zur Nachrichtentechnik ins Deutsche Museum, weil sie eben lief. Zuse wollte damals, dass die Maschine im Deutschen Museum steht und vorgeführt wird. Was sie aber nun wirklich darstellt, ist schwer zu sagen. In jedem Fall wurde die Z3 schon zigmal für Bücher und Prospekte fotografiert, wobei in den Bildunterschriften im Allgemeinen weggelassen wird, dass es sich nicht um das Original handelt. JM: Zuse hat ja auch für die Ausstellung im Deutschen Technik Museum Berlin seine Z1 nachgebaut und betreut. Wie bewerten sie dieses Bestreben von Konrad Zuse seine alten Rechner nachzubauen und sie möglichst vielen Leuten zu präsentieren? HP: Konrad Zuse war einfach die letzten 15 bis 20 Jahre seines Lebens bemüht, sich selbst zu inszenieren und seinen Anspruch auf die Priorität des ersten Computers herauszustellen. Da haben andere auch mitgewirkt und ein jeder hat sich gefreut, wenn der Zuse irgendwo auftrat. Zuse reiste von einem Vortrag zum nächsten, er wurde herumgereicht, ließ sich das aber auch nicht nehmen. Er bekam immer großen Beifall, auch von den jungen Leuten. So war er eben! JM: Neben den historischen Objekten und den Rekonstruktionen sieht man auch einige wenige interaktive Exponate in der Ausstellung. Welche Bedeutung haben solche Demonstrationsmodelle für die Informatikausstellung? HP: Eine relativ geringe Bedeutung. Wir haben einige Demonstrationsmodelle im Bereich der mathematischen Instrumente und der mechanischen Rechenmaschinen. Aber was soll man demonstrieren, wenn es in die Bereiche der Mikroelektronik geht? Viele wissen gar nicht was ein Algorithmus überhaupt ist. Da stößt das Museum dann an seine Grenzen. Man kann natürlich versuchen solche komplizierten Sachverhalte des Computers zu trivialisieren und zu veranschaulichen, aber das ist nicht unsere Absicht. JM: Das Deutsche Museum ist nach wie vor sehr populär und verzeichnet hohe Besucherzahlen. Welche Besucher entscheiden sich bei einem Besuch des Museums für die Informatik-Ausstellung und welche Rolle spielt dabei das Vorwissen der Besucher bzw. das Motiv der Nostalgie? HP: Natürlich kommen immer wieder Menschen, die noch selbst an den historischen Großrechnern gearbeitet haben. Solche Besucher geben dann oft Insidergeschichten zum Besten und man hört immer wieder neue Details. Anders verhält es sich bei einer anderen großen Besuchergruppe, den Schulklassen. Wir haben vielfältige Programme mit Schulen, zum Beispiel Schülerführungen und Fortbildungsprogramme. Leider bleibt es da aber oft bei der 0815-Führung, mit der jeder sehr zufrieden ist. Die Schüler können mit den historischen Rechenanlagen nur wenig anfangen und es kommt oft das Argument: „Das kennt ja keiner mehr, darum sollte man es auch nicht ausstellen!“ Die 130 Leute wollen das sehen, was sie kennen. Ich bin da aber anderer Meinung. Man sollte gerade das ausstellen, was man woanders nicht mehr sehen kann! Man muss aber in der Lage sein von heutigen Fragestellungen auf historische Dinge und Verfahren einen Zugang zu finden. Das wird deutlich, wenn man die analogen Instrumente in der Ausstellung betrachtet, die man früher benötigte um am Schreibtisch auf Papier zu konstruieren und zu zeichnen. Heute macht man das fast ausschließlich am Bildschirm. Vor zehn Jahren war dieser Unterschied noch nicht so deutlich und ich habe oft die Frage gehört, was diese mathematischen Instrumente eigentlich in der Ausstellung sollen, da sie nichts mit dem Computer zu tun hätten. Heute höre ich solche Einwände nicht mehr und man hält diesen Aspekt für höchst interessant. JM: Es gibt heute neben dem Museumsbesuch viele andere Möglichkeiten für den Einzelnen, sich der Computergeschichte zu nähern. Zum Beispiel existieren seit einiger Zeit virtuelle Computermuseen im Internet, die gänzlich ohne reale Objekte auskommen. Sehen sie gerade in der Präsentation historischer Objekte die einzigartige Leistung des Deutschen Museums? HP: Ich sehe das so: Wir haben eine Sammlung von Objekten und wir sollten möglichst viele davon zeigen. Es gab in den letzten Jahren eine Debatte über das Für und Wider von Objekten, die ich allerdings für absurd halte. Wenn man sich auf die Rolle des Deutschen Museums besinnt, sollte man auf die Objekte kommen. Das öffentliche Interesse ist ja da. Die Leute kommen und zahlen in die Kasse, obwohl sie sich die Objekte auch zu Hause im Internet ansehen könnten. Für mich ist eine Ausstellung ein Medium, man kann ins Museum gehen oder man kann den Fernseher anmachen. Von den anderen Medien unterscheidet sich die Ausstellung darin, dass wir die Objekte materiell ausstellen. Es ist dabei wichtig, dass man die Objekte so ausstellt, dass jeder Besucher die Freiheit hat seine individuellen Assoziationen mit dem Objekt zur Geltung zu bringen. Eine weitere Sache, die ganz entscheidend ist, ist das Wissen über diese Objekte. Diese historischen Objekte hier zu sammeln ist eine Sache, die andere ist zu wissen was es überhaupt ist! Jedes Objekt ist absolut konkret und ist in einem ganz bestimmten Zusammenhang entstanden. Selbst bei serien- und massenproduzierten Geräten gibt es Varianten oder genau das eine Exemplar, mit dem eine bestimmte Person verbunden ist. Solche Sachen muss man einfach wissen und deshalb denke ich, dass das konservatorische Know-how entscheidend ist. Wenn heute Journalisten zu uns kommen, glauben sie meist alles was man ihnen erzählt, da sie selbst nicht die Möglichkeit haben einen bestimmten Sachverhalt nachzuprüfen. Ich denke manchmal bei meinen Erklärungen, wenn ich jetzt die grünen Männchen einführe, dann merkt das hier keiner. JM: Verstehen sie sich also in ihrer Funktion als Konservator der Informatik-Ausstellung auch als Akteur innerhalb der Geschichtsschreibung des Computers? HP: Ich bin an der Historisierung des Computers aktiv beteiligt und habe schon den Anspruch, dass das, was da verkündet wird, auch dem Stand der Forschung entspricht. Außerdem verstehen wir uns als ein wissenschaftliches Museum und unterscheiden uns darin nach wie vor von anderen Technikmuseen. Wir haben ein eigenes Forschungsinstitut und obwohl heute viele Leute das alte Zeug, das bei uns steht, für bloße Dekoration halten, so wie die Lichter auf dem Christbaum, liegt genau da unsere bleibende Aufgabe. Objekte sind das, was uns auszeichnet. Außerdem haben wir Kontakte mit den anderen großen Technikmuseen in London, Washington und Paris und es stellt für uns kein Problem dar, mit den prominentesten Institutionen und Personen in Kontakt zu treten. Diesen internationalen Ruf hat das Deutsche Museum noch heute. JM: Herr Dr. Petzold, ich danke Ihnen für das Gespräch! 131 9.2 Expertengespräch mit Hadwig Dorsch (Deutsches Technikmuseum) Gespräch mit: Funktion: Einrichtung: Ausstellung: Hadwig Dorsch am 09.05.2005 Kuratorin (Rechen- und Automationstechnik) Deutsches Technikmuseum, Berlin „Zuse – Die ersten Computer der Welt“ JM: Frau Dorsch, das Deutsche Technik Museum Berlin ist in seiner heutigen Form im Jahr 1983 eröffnet worden. Schon kurz nach der Eröffnung gab es eine erste Ausstellung zur Geschichte des Computers. Wie war diese Ausstellung aufgebaut? HD: Seit 1983 leite ich am Deutschen Technikmuseum die Abteilung Rechen- und Automationstechnik. Bei unserer ersten Computer-Ausstellung „Vom Zählstein zum Computer“, die 1984 eröffnet wurde, handelte es sich noch um die klassische Konzeption mit chronologischem Aufbau. Die Ausstellungsgestaltung folgte der Entwicklungsgeschichte des Computers vom Zählstein über die Lochkartensysteme, bis hin zu den ersten Computern von Konrad Zuse. Kurze Zeit danach wurde dann hier der Nachbau der Z1 von Konrad Zuse eingeweiht, die er selbst für unser Museum rekonstruiert hat und in die Ausstellung aufgenommen wurde. Später hatten wir dann eine zweite Ausstellung zur Computergeschichte mit dem Titel „Die Geschichte des Rechnens“. Das Konzept dieser Ausstellung war schon weitaus tiefgehender als bei der ersten Ausstellung. Es ging um die Tatsache, dass Rechnen heute allgegenwärtig ist und von den Menschen verinnerlicht ist. Die zentralen Fragen der Ausstellung waren „Wo liegen die Anfänge des Rechnens?“, „Wie entstand die moderne Mathematik?“ und „Wann begann der Mensch das Rechnen (bzw. das Denken) auszulagern und technisch zu automatisieren?“. An einem Exponat haben wir zum Beispiel gezeigt, inwieweit sich menschliche Sinneswahrnehmungen digitalisieren lassen. Wir bekamen dann eine neue Museumsleitung, die die inhaltlichen Prioritäten des Technikmuseum anders auslegte und die Ausstellung abbauen ließ. Obwohl die Leitung seitdem wieder gewechselt hat, macht uns dieser Abbau der ständigen Ausstellung immer noch schwer zu schaffen. Wir haben heute weniger Geld zur Verfügung als damals, arbeiten aber daran die Ausstellung wieder aufzubauen. JM: Zurzeit zeigen sie die Ausstellung „Konrad Zuse – Die ersten Computer der Welt“. Wie kam es dazu, dem Lebenswerk von Zuse eine eigene Ausstellung zu widmen? HD: Nun, seitdem ich hier am Museum bin, beschäftige ich mich mit Konrad Zuse und habe ihn auch noch persönlich kennen gelernt. Die enge Verbindung zwischen Zuse und dem Deutschen Technikmuseum lässt sich einfach erklären: Konrad Zuse ist in Berlin geboren und seine erste große Erfindung, die Z1, hat er hier im Hause seiner Eltern entwickelt und gebaut, nur ein paar Straßen vom heutigen Technikmuseum entfernt. Wenn man also in Berlin eine Computerausstellung macht, kommt man an Zuse nicht vorbei. Die Ausstellung wurde dann auch relativ kontinuierlich bis zu ihrer Eröffnung im letzten Jahr zusammengestellt. Zentrales Exponat der Ausstellung ist der bereits erwähnte Nachbau der Z1, die Konrad Zuse 1986 hier rekonstruiert hat. JM: Wie bewerten Sie die Tatsache, dass Konrad Zuse gegen Ende seines Lebens bemüht war seine frühen Rechenmaschinen nachzubauen? Würden sie sagen, dass Zuse auch bewusst an seiner öffentlichen Wahrnehmung als Computerpionier gearbeitet hat? HD: Zunächst einmal hat Konrad Zuse nach der Pleite seiner Firma viel Zeit gehabt. Hinzu kommt, dass Zuse ein vielseitig engagierter Mensch war. Obwohl die originale Z1 132 ja in den Kriegsjahren zerstört worden war, hatte Zuse den mechanischen Aufbau seiner ersten Erfindung Zeit seines Lebens im Kopf. Sein größter Wunsch war es, die Z1 hier im Museum nachzubauen und zu zeigen, dass sie funktioniert. Leider hat auch der Nachbau hier im Museum nie fehlerfrei funktioniert. Zuse ist bis zum seinem Tod oft nach Berlin gekommen und hat solange an der Maschine gebastelt, bis sie wieder lief. Allein am Programm und durch das Betätigen der Kurbel konnte Zuse sagen, in welchem Block, bei welchem Stift der Fehler lag. Zuse war aus meiner Sicht in erster Linie Philosoph und Mechaniker mit einem außergewöhnlichen dreidimensionalen Vorstellungsvermögen. Er konnte sich den Aufbau der Z1 räumlich vorstellen und hat die Maschine mit allen Sinnen erfasst. Als Erfinder des Computers ist Zuse mittlerweile weitestgehend anerkannt, vor allem wenn man die Definition von John von Neumann als Maßstab nimmt. Zuses Maschinen hatten diese Rechnerarchitektur, bestehend aus Steuerung, binärem Rechenwerk, Speicher sowie Ein- und Ausgabe. Außerdem waren sie im Gegensatz zu den meisten der frühen amerikanischen Rechner frei programmierbar. Trotzdem sehe ich diese Debatte eher locker. Entscheidend ist, dass Zuse ein großer Philosoph und Träumer war. Sein Buch „Der rechnende Raum“ war für 1940 visionär und nimmt Ideen vorweg, die heute fünfzig Jahre später, hochaktuell sind. Dafür war Zuse ein schlechter Kaufmann und hatte nicht das wirtschaftliche Kalkül eines Steve Jobs oder Bill Gates. JM: Es fällt auf, dass sich die Ausstellung bemüht einen breiten Zugang zu dem Lebenswerk von Zuse zu bieten. Zuse wird als Erfinder, Unternehmer, Philosoph und sogar als Maler thematisiert. HD: Das ist richtig. Die Ausstellung versucht mehrere Zugänge zu schaffen, um alle Besucher zu erreichen. Die Männer interessieren sich meist für die technische Seite und beschäftigen sich gerne mit Demonstrationsmodellen. Den Rest der Familien, muss man aber auch interessieren. Eine rein technische Aneinanderreihung empfinden die meisten Frauen zum Beispiel als eher langweilig. Die Ausstellung bemüht sich daher um eine breite Herangehensweise an den Menschen Zuse. Die Besucher interessiert es, wer der Mensch hinter den Erfindungen war. Vor allem die Frage „Wer wird ein Erfinder?“ finde ich dabei entscheidend. Was sind das für Menschen, die auf viele andere Sachen verzichten, nur weil sie eine bestimmte Idee im Kopf haben, die sie durchsetzen wollen? Der Zugang über den Menschen Zuse zeigt zudem, dass Mathematik, räumliches Vorstellungsvermögen, Philosophie und Kunst etwas miteinander zu tun haben. Die Analogie mit Zuses Bildern finde ich allerdings noch nicht sehr gelungen und ich will das in Zukunft noch stärker herausarbeiten. Seine Bilder haben ähnliche Strukturen wie die Anordnung der mechanischen Schaltungen in der Z1 und wenn man sich heute einen Mikrochip anschaut, ist das im Prinzip nur eine Miniaturisierung des Ganzen. JM: Eine traditionelle Aufgabe der Technikmuseen ist es, naturwissenschaftliches Wissen zu vermitteln und die ausgestellten Objekte auch zu erklären. Ist dieses Ziel angesichts der hohen Komplexität der Mikrochiptechnologie im Rahmen einer Computerausstellung überhaupt zu erreichen? HD: Natürlich haben auch wir den Anspruch die Technik zu erklären. Ich sehe die Aufgabe eines Museums allerdings nicht darin, der verlängerte Arm der Schulen zu sein. Eine strenge Lehrbuchdidaktik im Museum lehne ich ab. Ich denke ein Museumsbesuch sollte vor allem Spaß machen. Ein objektives Verständnis des Computers lässt sich zudem kaum erreichen. Ich kann allerdings als Ausstellungsmacher die komplexe Welt des Computers wie ein Mosaik auseinander nehmen und in der Ausstellung erarbeiten. Jeder Mensch hat eine eigene subjektive Wahrnehmung des Computers und setzt sein Verständnis der Computertechnologie selbst zusammen. Zu diesem subjektiven Bild kann man durch die Gestaltung einer Ausstellung etwas beitragen. Man muss dazu Fragestel- 133 lungen finden, die für die Menschen heute und in der nächsten Zukunft noch relevant sind. Man kann dem Besucher zum Beispiel vermitteln, dass es alles andere als selbstverständlich ist, dass Rechnen heute allgegenwärtig und von den Menschen verinnerlicht ist. Vor 350 Jahren haben die Menschen das noch nicht gekonnt, es fehlte das Werkzeug und das Zahlensystem. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der in einer ComputerAusstellung zum Tragen kommen muss. JM: In einer Vitrine in der Ausstellung ist die erste Ausgabe des Plankalküls zu sehen. Wie schwierig ist es, Programmiersprachen oder im weitesten Sinne Software in eine Computerausstellung zu integrieren? HD: Natürlich war es für uns ein ‚Muss‛ ein Original von Konrad Zuses „Plankalkül“ in der Ausstellung zu zeigen. Wenn man sieht, dass er bereits 1945 eine höhere Programmiersprache entwickelt hatte, ist das einfach bemerkenswert und sollte in der Ausstellung zur Sprache kommen. Darüber hängt eine Schautafel mit der Geschichte der Programmiersprachen, die sein Sohn, Horst Zuse, für uns angefertigt hat. Natürlich haben sie Recht, Software in der Ausstellung zu berücksichtigen ist eine schwierige Angelegenheit. Am besten gelingt die Vermittlung solch abstrakter Zusammenhänge meiner Meinung nach über Führungen. JM: Ein anderes Problem betrifft die Anwendungsgeschichte der Computer, die ebenfalls nur schwer in einer Ausstellung zu vermitteln ist. Im hinteren Teil der Ausstellung kann man ein Interview mit ehemaligen Mitarbeitern der Zuse KG sehen. HD: Ich halte es für sehr wichtig, dass man Erfahrungsberichte von den Menschen hört, die noch selbst an den Maschinen gearbeitet haben. Ansonsten hat man nur eine Ausstellung der Erfinder und Unternehmer. Außerdem ist es für den Ausstellungsbesucher höchst interessant zu erfahren, wie das Arbeiten an den historischen Computern war! Es kommen auch häufig Menschen in die Ausstellung, die früher an den Maschinen gearbeitet haben und sich freuen diese noch einmal sehen zu können. Auf diese Weise hört man viele Anekdoten zu den Exponaten, zum Beispiel wie manche versucht haben mit den ersten Druckern der Z23 Comic-Figuren oder Pin-up-Girls zu zeichnen. JM: Wie bereits erwähnt, arbeiten sie zurzeit an einem Wiederaufbau der ständigen Ausstellung. Wie wird diese Ausstellung aussehen? HD: Momentan bereite ich eine Mathematik-Ausstellung vor, in die der Computer als mathematisches Denkwerkzeug integriert werden soll. Das wäre ein grundlegend anderer Ansatz, als in den vergangenen Ausstellungen. Der Computer ist heute nicht mehr so etwas Besonderes, wie es vielleicht noch Anfang der achtziger Jahre der Fall war. Die Geschichte des Computers lässt sich heute nicht mehr als bloße Geschichte der Rechentechnik darstellen, sondern hat etwas mit der Geschichte des menschlichen Denkens zu tun und damit, wie das menschliche Denken auf Maschinen übertragen wurde und sich gleichzeitig vom Menschen entfremdet hat. Eine Ausstellung über die Geschichte des PCs zum Beispiel ist aus heutiger Sicht letztendlich keine Computerausstellung mehr. Man könnte in solch einer Ausstellung entweder 20 PCs aneinanderreihen, die jeweiligen Daten dazuschreiben und auf diese Weise zeigen, wie sich Speicherkapazität und Taktung entwickelt haben. Diese Art von Depot-Ausstellung ist jedoch für die meisten Menschen uninteressant. Man könnte alternativ die optisch besonders attraktiven PCs auswählen, nur hat man dann keine Computerausstellung mehr, sondern eine DesignAusstellung. Nein, ich denke der Computer muss integriert werden in eine gesamt- 134 mediale Entwicklung des menschlichen Denkens, in der verschiedene Maschinen benötigt werden und unter anderem eben auch der Computer. JM: Eine Ausstellung zum Thema Mathematik ist eine ziemlich abstrakte Angelegenheit. Welche Rolle spielt bei einem solchen Thema noch die Materialität der Ausstellungsobjekte? HD: Ich glaube nicht, dass man ohne Exponate auskommen kann. Auch in einer Mathematik-Ausstellung ist man auf Exponate angewiesen. Auch die geisteswissenschaftlichen Sachverhalte müssen veranschaulicht werden und man muss ihnen irgendwie folgen können. Exponate machen eine Ausstellung aus und sind letztlich der Grund, warum der Besucher zu uns ins Museum kommt. Sie müssen Objekte in den Mittelpunkt der Ausstellung stellen, die Fragen aufwerfen, welche die Leute auch wirklich angehen. Man kann es natürlich so machen wie in der Zuse-Ausstellung und mit Texttafeln den Exponaten Fragen beifügen, zum Beispiel „Was machte Zuse zum Künstler?“ oder „Was macht einen Menschen zum Erfinder?“. Wenn sie es aber schaffen, die Frage nicht hinzuschreiben, sondern ein Exponat auszustellen, das diese Frage impliziert, dann ist das noch besser. JM: Wie wichtig ist dabei für den Besucher die Frage, ob er vor einem originalen Exponat oder einem Nachbau steht? HD: Nun, es kommt auf den Schwerpunkt ihrer Ausstellung an. Nicht immer muss ein Exponat auch ein Original sein. Wenn sie eine Ausstellung über das Denken und Wirken von Leonardo Da Vinci im 15. Jahrhundert machen wollen, wie es sie zurzeit in Florenz gibt, und sie haben kein Exponat, dann ist eine Ausstellung nur mit Nachbauten natürlich trotzdem spannend. Wenn sie aber eine Ausstellung über Konrad Zuse machen und sie haben Exponate, dann müssen die auch in die Ausstellung. JM: Verstehen sie sich neben ihrer Aufgabe als Ausstellungsgestalterin auch als Sammlerin und Konservatorin? HD: Natürlich sammeln wir noch, allerdings nicht in die Breite. Ich sammle Objekte, von denen ich das Gefühl habe, dass sie in Zukunft historisch von Bedeutung sein werden. Automations- und Rechentechnik ist dabei ein weites Feld. Immer wenn der Mensch versucht geistige oder körperliche Tätigkeit auszulagern, dann ist das eine Automation. Ich beschränke mich also nicht nur auf das Sammeln und Konservieren von Computern. JM: Frau Dorsch, ich danke Ihnen für das Gespräch! 9.3 Expertengespräch mit Michael Mikolajczak (HNF) Gespräch mit: Funktion: Einrichtung: Träger: Michael Mikolajczak am 24.05.2005 Kurator (PCs, Mediengeschichte) Heinz Nixdorf Museumsforum (HNF) Stiftung Westfalen JM: Herr Mikolajczak, ähnlich wie andere Computermuseen hat das Hein Nixdorf Museumsforum eine Geschichte als Firmenmuseum. Welchen Anteil hatte der Gründer und Leiter des Unternehmens Heinz Nixdorf tatsächlich an der Museumsgründung? 135 MM: Der These, dass es sich beim HNF um ein Firmenmuseum handelt, kann ich nicht so einfach zustimmen. Der Unternehmer Heinz Nixdorf hatte zunächst eine Sammlung von Rechen- und Schreibmaschinen erworben und wollte diese Sammlung weiterführen und ausbauen. Natürlich kam er irgendwann auch auf die Idee der Sammlung seine eigenen Produkte beizufügen und so entstand der Gedanke ein Nixdorf-Firmenmuseum zu gründen. Aber 1986 ist Heinz Nixdorf dann leider gestorben und die ganze Idee ist in einer Schublade verschwunden. Erst später griff dann die von ihm gegründete Stiftung Westfalen den Gedanken zu einem Museum wieder auf. Man hat sich damals aber sofort gegen ein reines Firmenmuseum entschieden und das HNF als ein von der Stiftung getragenes und unabhängiges Museum konzipiert. Aufgrund seiner Geschichte, hat man das Museumsforum allerdings nach Nixdorf benannt und sich gegen andere Vorschläge wie „Forum für Informationstechnologie“ entschieden. Heute ist der Name für manche Besucher ein wenig verwirrend, weil die Assoziation eines Firmenmuseums natürlich nahe liegt. Grundsätzlich sind wir aber ein unabhängiges Museum, das keiner Firma angegliedert ist. JM: Trotzdem erinnern Ausstellungsbereiche wie „Nixdorf – Wegbereiter der dezentralen Datenverarbeitung“ und die Aufnahme von Nixdorf in die „Galerie der Pioniere“ im 1. OG. an die Geschichte des Museums und den „Gründervater“. MM: Selbstverständlich darf Heinz Nixdorf in unserem Museum nicht fehlen. Die Geschichte von Nixdorf ist eine typisch deutsche Geschichte der 50er und 60er Jahre. Wir haben im 2. Obergeschoss seinen Werdegang und seine Produkte detailliert ausgestellt. Nicht nur weil er der Namensgeber des Museums ist, sondern weil er tatsächlich einer der führenden Unternehmer der Computerbranche war und die deutsche Wirtschaftsgeschichte mitgeprägt hat. Daher gehört Nixdorf als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Computergeschichte auch in unsere „Galerie der Pioniere“. JM: Der Vergleich mit anderen Firmen lässt natürlich sofort an die Zuse KG denken. Zuse hat relativ früh begonnen sich mit seiner öffentlichen Wahrnehmung als Computerpionier zu beschäftigen und dafür gesorgt, dass Nachbauten seiner Erfindungen in den deutschen Technikmuseen ausgestellt werden. Ist das ein Bestreben, das auch für Nixdorf zutrifft? MM: Nein, Heinz Nixdorf hat seine eigene Person immer zurückgenommen. Es gibt nur sehr wenige Interviews mit Heinz Nixdorf und kaum Fotos von ihm. Es ging ihm in erster Linie darum, ein Unternehmen zu gründen und für die Menschen verantwortlich zu sein, die dort beschäftigt sind. Nixdorf sah seine Hauptaufgabe und Verantwortung darin, als Unternehmer die Gesellschaft mitzugestalten. Im Gegensatz zu Konrad Zuse, der ja ein reiner Erfinder war, war Nixdorf vor allem Unternehmer. JM: Die Sammlung von Nixdorf war also eine erste Grundlage für das Museum. Wie entwickelte sich diese Sammlung weiter und nach welchen Kriterien wurde sie weitergeführt? MM: Nun, erst einmal haben sich die für den Aufbau der Ausstellung verantwortlichen Mitarbeiter zusammengesetzt und die Fragen diskutiert: „Was wollen wir ausstellen? Wie weit lässt sich die Geschichte des Computers zurückverfolgen? Welche Exponate wollen wir unbedingt zeigen?“. Wir kamen dann auf die Idee uns an den roten Faden „5000 Jahre Informationsgeschichte“ zu halten. Das ist eine spannende Geschichte, die man schlüssig darstellen kann. Wir haben die einzelnen Themen besprochen, untereinander aufgeteilt und dann mit der Recherche begonnen. Wir haben uns im Internet informiert, Auktionshäuser durchstöbert und Firmen der Computerbranche angesprochen. Aber wir haben auch die Pioniere der Computergeschichte selbst angerufen und 136 mit ihnen gesprochen. Wir sind weltweit umhergereist und haben verschiedene Sammler aufgesucht, das Projekt vorgestellt und die verschiedensten Objekte erworben. Schließlich kamen auch Menschen unaufgefordert zu uns und haben uns ihre alten Taschenrechner, Rechenmaschinen oder Computer angeboten. Auch Universitäten und Fachhochschulen haben uns ihre alten Rechenanlagen oder Workstations angeboten, wenn zum Beispiel gerade eine Modernisierung des Rechenzentrums anstand. Man muss bei solchen Sachen natürlich umsichtig vorgehen und kann nicht einfach alles annehmen. Sammeln ist nicht immer ganz einfach, sondern eine große Aufgabe, die mit viel Arbeit verbunden ist. Die Objekte müssen sortiert, klassifiziert und gepflegt werde. Entscheidend ist immer die Frage, ob die Objekte für die Ausstellung interessant sind oder es in Zukunft sein könnten. JM: Eines der wichtigsten Exponate in der Dramaturgie der Ausstellung ist sicherlich die Rauminstallation der ENIAC, welche die Geburt des modernen Computers darstellt und die Ausstellung in die Zeit vor und nach der Erfindung des Computers unterteilt. Wie kam es zu dem Erwerb der originalen Teile und ihrer räumlichen Inszenierung? MM: Die originalen Teile der ENIAC sind eine Leihgabe des National Museum of American History in Washington, die auf einen persönlichen Kontakt meines damaligen Kollegen Ulf Hashagen zurückgeht. Er ist vor Ort in Washington gewesen und hat sich damals dafür eingesetzt, dass es möglich ist einige Teile der ENIAC hier zu zeigen. Mit den Architekten und Ausstellungsdesignern wurde dann überlegt, wie man die Elemente inszenieren kann. Man kam schließlich auf die Idee die Objekte nicht einfach in einer Vitrine zu zeigen, sondern auch die Ausmaße der Rechenanlage zu verdeutlichen. Diese Inszenierung der ENIAC ist ein wichtiges Exponat für das HNF, aber ich möchte auch andere Objekte hervorheben. Beispielsweise den Nachbau der Hollerith-Maschine, bei der es sich zwar nicht um ein Original handelt, die aber mit dem Beginn der Lochkartentechnologie ein zentrales Thema präsentiert. Den Apple I halte ich für ein weiteres, sehr wichtiges Exponat. Erstens, weil er sehr selten ist und sich jedes Museum freuen würde ihn zeigen zu können und zweitens, weil der Apple I eine spannende Geschichte hat und die Entwicklung des Personalcomputers entscheidend geprägt hat. JM: Wie würden sie in wenigen Worten die Grundkonzeption des HNF formulieren? Welche Aufgaben sieht das Museum für sich selbst? MM: Natürlich haben wir erst einmal die traditionellen Aufgaben eines Museums historische Objekte zu sammeln und auch zu bewahren! Darüber hinaus wollen wir aber auch die Geschichte der Informationstechnik von den historischen Anfängen bis in die heutige Zeit zeigen. Wir wollen unseren Besuchern verdeutlichen, dass Technik den Menschen schon immer umgeben und die Gesellschaft entscheidend geprägt hat! Der Besucher soll sich im HNF informieren, aber auch sich selbst in den Exponaten wieder finden. Wir haben wichtige Erfinder der Computergeschichte in ihrem historischen Kontext in der „Galerie der Pioniere“ hervorgehoben, um zu zeigen, ob und in welcher Form sich ihre jeweiligen Erfindungen heute im Alltag wieder finden. So kann der Besucher verfolgen, wie die Entwicklungsgeschichte verlaufen ist und welche Ideen vielleicht nicht weitergekommen sind. Auf diese Weise nehmen wir den Menschen in der Geschichte der Informationstechnik immer wieder mit. JM: Im Unterschied zu den nationalen Technikmuseen wird im HNF nicht der Versuch gemacht die komplexe Technologie des modernen Computers zu erklären. Ist das vielleicht auch eine Art Kapitulation vor der hohen Komplexität der Computertechnologie und ihrer genuinen Unverständlichkeit für den normalen Besucher? 137 MM: Nein, ganz im Gegenteil. Ich sehe darin keine Niederlage, sondern würde es anders herum formulieren und feststellen, dass der Mensch bei uns immer im Vordergrund steht und nicht die Technik. Der Mensch hat ja diese komplexe Technologie erfunden und in die Geschichte des Computers eingebracht. Es ist heute nicht mehr notwendig jedes technische Detail der Computertechnologie zu erklären, weil der Computer einfach mittlerweile ein selbstverständliches Kulturgut geworden ist. Man muss nicht die technischen Einzelheiten kennen, um damit umzugehen. Natürlich wollen wir das wesentliche Funktionsprinzip der jeweiligen Erfindung zeigen und die Frage stellen, warum der Erfinder das so und nicht anders gemacht hat. So erklären wir dem Besucher zum Beispiel das Funktionsprinzip der Staffelwalze bei den mechanischen Rechenmaschinen. Wenn eine ganz entscheidende technische Neuerung hinzugekommen ist, dann sollte man diese ansprechen und versuchen sie zu erklären. Sie aber bis ins kleinste Detail zu erläutern und dadurch sehr viel Raum in Anspruch zu nehmen, das halte ich nicht für richtig. Erstens wäre eine solche Ausstellung sehr ermüdend für den Besucher und zweitens würde man sich dann nur noch auf die technische Seite des Exponats konzentrieren. Die soziale Geschichte der Menschen, die diese Maschinen erfunden oder mit ihnen gearbeitet haben, würde einfach wegfallen. JM: Die Transformation des Computers vom Rechner zum Kommunikations- und Bildmedium in den letzten 20 Jahren macht den Computer zu einem problematischen Ausstellungsobjekt. Die Funktionalität und Anwendung des Computers lässt sich kaum vermitteln, wenn man das Exponat einfach in einer Vitrine ausstellt. Wie versuchen sie mit dieser Problematik umzugehen? MM: Nun, wir sind ja 1996 bei der Eröffnung des HNF von einem bekannten Journalisten127 als „Club der stummen Kisten“ bezeichnet worden. Natürlich gibt es diese Problematik. Der Computer steht bei Jedermann auf dem Tisch und wird vielfältig genutzt. Wir hingegen nehmen ihn aus diesem Kontext heraus, befreien ihn von jeglichen Gebrauchsspuren und stellen ihn als totes Exponat aus. Wir versuchen dieses Problem der „stummen Kisten“ zu umgehen, indem der Besucher die Anwendungen, die früher auf dem historischen Computer liefen, selbst ausprobieren kann. Wir ermöglichen dies mit Hilfe von Emulationen, die auf einem separaten Bildschirm vor dem Exponat laufen. Natürlich wäre es für den Besucher noch reizvoller, wenn er die Software auf der originalen Hardware erleben könnte. Wir haben aber das Problem, dass wir die historischen Objekte nicht lauffähig und vom Besucher anwendbar ausstellen können, weil die Exponate bei der hohen Besucherzahl des HNF schnell Schaden nehmen würden. Eine Reparatur wäre in vielen Fällen nicht möglich, weil entweder das nötige Know-how oder die Ersatzteile fehlen. Der Konflikt in dem wir stecken, ist folgender: Lassen wir die originalen Computer laufen und riskieren Beschädigungen, ermöglichen aber dem Besucher einen originalgetreuen Umgang mit den Ausstellungsobjekten? Oder ist es nicht wichtiger das Exponat langfristig zu bewahren, auch wenn man es dann als „stummes Objekt“ ausstellen muss? Das ist für uns immer ein innerer Kampf. Wir haben mit den Emulationen einen Zwischenweg gewählt. Leider kann man auf diesem Weg den Charakter der Anwendung nicht ganz authentisch wiedergeben. Man kann zusätzlich noch Filme laufen lassen oder Umgebungen inszenieren, die ein bisschen an die Zeit von damals erinnern. Ob man die Atmosphäre der jeweiligen Ära jedoch auf diese Art einfangen kann, muss letztlich der Besucher entscheiden. 127 Detlev Borchers in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 3.2.1998 (Borchers, 1998). 138 JM: Könnte eine Computerausstellung, die mit Emulationen und digitalen Exponaten arbeitet, nicht im Prinzip gänzlich ohne Objekte auskommen? Welche Bedeutung hat die Materialität des Ausstellungsobjektes überhaupt noch für eine Computerausstellung? MM: Wenn ein Computermuseum nur mit Software-Emulationen und Animationen arbeiten und das Virtuelle in den Vordergrund stellen würde, dann wäre die eigentliche Idee des Museums tot. Wenn man ein materielles Exponat hat, das der Besucher anschauen und vielleicht sogar anfassen kann, sollte man es auch zeigen, denn es gibt dem Besucher Anreize für vielschichtige Gedanken und Assoziationen. Hinzu kommt, dass es zu jedem Exponat nicht nur eine einzige Geschichte gibt, sondern unendlich viele. Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht so falsch, auch mal einen Rechner als „stilles“ Exponat zu zeigen und die Filme in den Köpfen der Besucher ablaufen zu lassen. Andere Exponate müssen inhaltlich unterstützt werden, zum Beispiel in der Form einer Inszenierung. Bei der Taschenrechnerwand hier im HNF haben wir versucht beide Seiten zu verbinden. Durch die hohe Anzahl von Exponaten wird die massenhafte Verbreitung des Produktes „Taschenrechner“ ausgedrückt. Andererseits kann hier jeder das Gerät heraussuchen, mit dem er eine besondere Erinnerung verknüpf und mit dem er in seiner Jugend im Mathematikunterricht gearbeitet hat. Das funktioniert, obwohl die Taschenrechner hinter Glas und nicht funktionsfähig ausgestellt werden. JM: Die Tastsache, dass es unendlich viele Geschichten zu jedem einzelnen Exponat gibt, trifft vor allem für den Personal Computer und seine vielseitige Anwendungsgeschichte zu. Wie kann es trotzdem gelingen eine kohärente Mediengeschichte des Computers zu erzählen? MM: Mein Bestreben war es damals nicht, eine möglichst vollständige Geschichte des Personal Computer zu erzählen, sondern es ging mir um die Darstellung des roten Fadens, also um die historische Frage: „Wann setzte die PC-Revolution ein und wann war sie abgeschlossen?“. Ich wollte den Besucher nicht von der Erfindung des PCs bis zu den Computern der Gegenwart mitnehmen, sondern die Pionierzeit erzählen. Es ging mir um den Anfangspunkt der Entwicklung, um die wichtigsten Stationen und die Ankunft des PCs als allgemeines Kulturgut im Alltag, der so selbstverständlich auf dem Schreibtisch zu finden ist wie ein Bleistift oder ein Telefon. Es ist nicht notwendig, die weitere Geschichte des PC zu erzählen und es wäre auch langweilig für den Besucher. Computerchips sind mittlerweile überall zu finden und nicht mehr ausschließlich im PC. Deswegen macht es auch keinen Sinn die Geschichte als Geschichte des PCs weiterzuerzählen. Die Erfinder der Pionierzeit und ihre Rechner, welche die Arbeits- und Privatwelt entscheidend verändert haben, die haben wir in den Vordergrund gestellt. Aus der subjektiven Perspektive des Ausstellungsmachers habe ich beschlossen, dass die Entwicklung Mitte der Neunziger Jahre erstmal beendet ist. Ab hier haben die Computer eher wenig Charakter und die Geräte werden dem Namen Personal Computer eigentlich nicht mehr gerecht. Natürlich kann es passieren, dass man irgendwann durch die Geschichte widerlegt wird. So wurde mit der Erfindung des i-Mac die Idee des persönlichen Computers, mit dem man sich identifizieren kann, wieder aufgenommen und wir haben ihn in die Ausstellung integriert. Auch das Thema Mobilität kam irgendwann hinzu und die Frage „Wie wurde der Computer mobil?“ musste nachträglich berücksichtigt werden. Aber im Mittelpunkt steht immer die Pionierzeit der Vergangenheit, denn sie war letztlich entscheidend für die gesamte Entwicklungsgeschichte des Personal Computers. JM: Trotz der Konzentration auf die historischen Ursprünge des Computers beansprucht das HNF für sich einen starken Gegenwartsbezug und versucht dem Besucher auch einen Blick in die Zukunft der Informationstechnologie zu ermöglichen. Dieses Bestreben nach Aktualität führte im Jahr 2004 sogar 139 zu einem Update der Ausstellung. Welche Bedeutung hat die Aktualität der Ausstellung für das HNF? MM: Aktualität ist sicherlich die größte Herausforderung eines Computermuseums. Die Geschichte von 5000 Jahren Informationstechnik, also von den Anfängen in Mesopotamien bis zur Eröffnung des HNF 1996, durchschreitet der Besucher in der Ausstellung von Epoche zu Epoche. Am Ende der Ausstellung sind alle auf gleicher Höhe, der Besucher, das HNF und die Technik. Ab jetzt müssen wir im Gleichschritt weitergehen und der Besucher will wissen, was als nächstes passiert und wohin die Entwicklung gehen wird. Diesem Anspruch gerecht zu werden und die Gegenwart wie die Zukunft ins Museum hereinzuholen, ist nun unserer Hauptaufgabe. Die Inszenierung der Geschichte des Computers in der Ausstellung ist abgeschlossen und wird nur noch modifiziert, wenn wir neue Objekte bekommen. Um gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen zu begleiten, haben wir den so genannten Showroom eingerichtet, den wir laufend mit temporären Ausstellungen verändern und an die aktuelle Dynamik anpassen. Besonders schwierig wird es, wenn man kein materielles Objekt hat um eine aktuelle Entwicklung zu präsentieren. Man hat dann nur die Möglichkeit auf Inszenierungen zurückzugreifen und assoziativ zu arbeiten. Der Klassiker wäre zum Beispiel die Weltkugel mit umspannendem Netz, die das Internet darstellt und das Problem „Datenflut“ thematisiert. So ist die Grundidee unserer Abteilung Digitale Welt, dass der Besucher von Rund-Vitrinen geradezu eingekesselt wird und somit die Allgegenwärtigkeit von Technik im Alltag dargestellt wird. So kann man den Besucher mitnehmen und seine Ängste und Sorgen aufgreifen. JM: Auf der einen Seite wird dem Besucher also die historische Seite des Computers erzählt, auf der anderen findet eine Auseinandersetzung mit den „Segnungen“ des Informationszeitalters statt. Wie passen diese beiden Aspekte zusammen und welche Erkenntnis oder Erfahrung wünschen sie sich für den Besucher? MM: Wir wollen mehrere Besucherschichten ansprechen. Einmal den „normalen“ Besucher, der kein Fachwissen hat und sich einfach über die Geschichte des Computers informieren möchte. Dann gibt es die Besucher, die sehr stark in das Thema involviert sind, und ganz konkrete Anliegen haben oder einfach sehen wollen was es Neues gibt und wie das Thema von uns umgesetzt wird. Schließlich gibt es noch die Menschen, die ins HNF kommen, weil sie von den aktuellsten Entwicklungen in der Informationstechnologie gehört haben und einfach beunruhigt sind. Für diese Besucher ist es wichtig, dass wir einzelne Themen kritisch aufarbeiten und Antworten auf ihre Fragen haben. Aktuelle gesellschaftliche Themen können hier erlebt und vertieft werden. Wir wollen die Leute damit ansprechen und ich wünsche mir einfach, dass die Besucher nicht nur eine leichte Berieselung erfahren, sondern Schritt für Schritt dem Thema näher gebracht werden. JM: Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen wirft natürlich wieder die Frage der Aktualität auf. Noch heute findet sich in einer Ecke der Dauerausstellung ein Schaukasten, der das Jahr2000-Problem thematisiert und die Frage stellt was beim Jahrtausendwechsel alles passieren wird. Aus heutiger Sicht im Jahr 2005 fast schon selbst ein historisches Exponat… MM: Ja, das stimmt. Wir haben damals schnell reagiert und ein temporäres Thema aufgegriffen. Die Besucher müssen merken, dass wir an solchen Themen mitarbeiten. Viele lächeln natürlich heute über das Millennium-Exponat, aber eben auch darüber, dass man sich damals Sorgen gemacht hat und dann doch nichts passiert ist. Das Problem war Ende der neunziger Jahre ein großes Thema und wenn sich der Besucher daran erinnert 140 und mit dem Nicht-Eintreten der Katastrophe auseinandersetzt, haben wir ja auch etwas erreicht. JM: Wenn es so etwas wie eine allgemeine Geschichtsschreibung des Computers gibt, welche Rolle spielt dann das HNF in diesem Diskurs? Inwiefern ist man aktiv an der Geschichtsschreibung des Computers beteiligt? MM: Seit der Eröffnung des HNF im Jahr 1996 werden wir als Kompetenzzentrum für Computergeschichte wahrgenommen und veröffentlichen regelmäßig einzelne Artikel oder geben Interviews. Jeder weiß: Im HNF kann man nachfragen, wenn es um Themen geht wie die Geschichte des PCs, des Internet oder ähnliches. Man muss mit dieser Wahrnehmung allerdings sehr verantwortlich umgehen, zum Beispiel wenn uns Sammler fragen wie viel ihre Sammlerstücke eigentlich wert sind. Bei solchen Anfragen halten wir uns sehr zurück und geben keine vorschnellen Antworten. Überhaupt dürfen wir für uns nicht beanspruchen, die alleinige Wahrheit über die Geschichte des Computers zu verkünden. Wir können nur die Fakten zeigen und der Besucher muss sich selber damit auseinandersetzen. Wir wollen nicht belehren. Hinzu kommt, dass das HNF mehr ist als ein reines Museum und das wissenschaftliche Arbeiten oft leider zu kurz kommt. Bei bis zu 700 Aktivitäten und Veranstaltungen kann das wissenschaftliche Arbeiten aber auch nicht die Hauptaufgabe des HNF sein. Ich denke wir haben eine gesunde Mischung. JM: Was für Besucher interessieren sich für das HNF? MM: Natürlich sind es vor allem Schulklassen und Studenten, aber in den letzten Jahren hat sich das ein wenig gewandelt. Es kommen zunehmend auch Gruppen mit älteren Menschen ins HNF, weil sie vielleicht tatsächlich noch mit einem bestimmten Lochkartensystem oder einer Rechenmaschine gearbeitet haben, die sie hier noch einmal sehen können. Es hat sich über die Jahre einfach herumgesprochen, dass das hier möglich ist. Die Beschwörung der „guten alten Zeit“ ist für viele ein entscheidendes Motiv für einen Besuch des HNF. Man kommt hierher, um gegenüber der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit ein bisschen Nostalgie zu leben. JM: Herr Mikolajczak, ich danke Ihnen für das Gespräch! 9.4 Expertengespräch mit Andreas Lange (Computerspielemuseum) Gespräch mit: Funktion: Einrichtung: Träger: Andreas Lange am 05.04.2005 Direktor Computerspielemuseum, Berlin Förderverein für Jugend und Sozialarbeit (FJS) JM: Herr Lange, dass ein nichtkommerzieller Träger wie der Förderverein für Jugend und Sozialarbeit am Anfang der Geschichte eines Computermuseums steht, ist eher ungewöhnlich. Wie entstand damals im FJS die Idee, das weltweit erste Computerspielemuseum zu gründen? AL: Es erscheint sogar noch ungewöhnlicher, wenn man weiß, dass der FJS damals als ein klassischer ABM-Träger der Nachwendezeit ins Leben gerufen wurde und dort zunächst ausschließlich ostdeutsche Mitarbeiter angestellt waren. Obwohl Computerspiele im Alltag der DDR kaum eine Rolle gespielt haben, gab es jedoch immer schon eine gewisse Offenheit der DDR-Bürger gegenüber dem Computer. Dies lag vor allem daran, dass in der DDR ungewöhnlich viele Ressourcen der Volkwirtschaft in die Mikro- 141 chipproduktion geflossen sind und man bis zuletzt der Chimäre vom 1-Megabit-Chip hinterher gejagt ist. Es hat sicherlich etwas mit diesem ostdeutschen Hintergrund der FJS zu tun, dass man innerhalb des Vereins schon früh versucht hat, alternative Sichtweisen auf die Welt der Computerspiele zu fördern. Der FJS beantragte Anfang der neunziger Jahre eine ABM-Stelle mit dem Ziel eine Computer-Spiele-Beratung für Eltern und Lehrer ins Leben zu rufen. Man wollte damals von der vorherrschenden Bewahrungspädagogik wegkommen, die sich darauf beschränkte bedenkliche Computerspiele von Kindern fern zu halten, und sprach sich stattdessen für eine Empfehlungspädagogik aus. So publizierte der FJS gemeinsam mit dem Berliner Familien- und Jugendsenat eine erste Empfehlungsliste und versuchte die Thematik „Computerspiele“ von der anderen Seite aufzuziehen. 1993 war auch das Jahr in dem die Computer-Industrie ihren Verband VUD gegründet hat. In der Industrie wollte man zu diesem Zeitpunkt das Thema Jugendschutz aktiv angehen, unter anderem auch um einer gesetzlichen Regelung zuvorzukommen, auf die man keinen Einfluss hätte ausüben können. Daher trat man in Kontakt mit dem FJS, als einem Träger der freien Jugendhilfe, und gründete gemeinsam die unabhängige Selbstkontrolle USK. 1996 kam dann innerhalb des FJS die Idee auf, den pädagogischen Faden der Computerspiele-Beratung in der Form eines Museums wieder aufzunehmen, der ja durch die Gründung der USK und die Konzentration auf den Jugendschutz etwas nach hinten gerückt war. Man beantragte daraufhin eine weitere ABM-Stelle mit dem Titel „Computerspielemuseum“. Da ich bereits als Gutachter für die USK gearbeitet hatte und zu diesem Zeitpunkt ABM-berechtigt war, fiel die Wahl auf mich. JM: Für gewöhnlich steht am Anfang eines Museums eine Sammlung. Im Fall des Computerspielemuseums existierte jedoch die Idee zu einem Museum vor der Sammlung. Wie schwierig war es in kurzer Zeit eine aussagekräftige Sammlung für das neue Museum zusammenzutragen? AL: Nun, die USK zog damals in größere Räumlichkeiten um und so standen zunächst die alten Räume als zukünftige Ausstellungsfläche zur Verfügung. Außerdem hatten wir einen Schreibtisch, ein Telefon und einen alten USK-Computer. Ausgestattet mit einem kleinen Budget, habe ich dann angefangen über Kleinanzeigen und Flohmärkte eine Sammlung aufzubauen. Die meisten Objekte, die ich auf diese Weise bekommen konnte, liefen damals eher unter Elektroschrott und hatten noch keinen Sammler-Status. Ich habe viel im Internet recherchiert und versucht, mich in das Thema einzulesen, obwohl es zum damaligen Zeitpunkt noch keine wissenschaftlichen Arbeiten zur Geschichte der Computerspiele gab. Nachdem ich dann einen gewissen Grundstock an Objekten zusammengetragen hatte, haben wir schließlich einen Eröffnungstermin ins Auge gefasst. Wir mussten in dieser Zeit viel improvisieren und hatten keinen Masterplan. Ich habe damals zum Beispiel die Texte selbst geschrieben, in Glas gerahmt und aufgehängt. Ein anderer ABM-Angestellter des Vereins kümmerte sich um die Ausstellungsmöbel. Es war eigentlich alles handgemacht und hatte dadurch einen gewissen Charme. Ich hatte mittlerweile Unterstützung von zwei Praktikanten und einem ehrenamtlichen Mitarbeiter, der eine Menge eigener Erfahrungen mit Computerspielen in das Museum einbringen konnte. Am 1. Februar 1997 haben wir dann die Ausstellung erstmals einer noch sehr kleinen Öffentlichkeit präsentiert, geöffnet hatte das Museum zunächst nur sonntags von 10-18 Uhr. Doch dann passierte das Erstaunliche: Wir hatten ein unerwartet großes und breites Feedback aus den Medien. Das „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ hatte damals in Karlsruhe mit weitaus mehr Aufwand am selben Wochenende wie wir eröffnet, doch es gab in der Zeit einen Artikel über beide MuseumsEröffnungen mit gleichen Anteilen. Da war uns sehr schnell klar, dass wir einen Nerv getroffen haben mussten. Wir haben dann die Öffnungszeiten auf fünf Tage die Woche ausgedehnt und unsere Sammlung weiter ergänzt. Wir hatten damals kein Werbebudget, 142 brauchten aber auch nie wirklich eins, weil wir immer wieder Anfragen aus der Presse bekamen. JM: Gab es trotz der improvisierten Anfänge und den engen finanziellen Grenzen des Museums eine zentrale Zielsetzung, die bei der Gestaltung der Ausstellung im Vordergrund stand? AL: Unser Ausgangspunkt war das Bewusstsein, dass Computerspiele mehr sind als nur ein Kinderspielzeug. Letzteres war bis zum damaligen Zeitpunkt fast die ausschließliche Perspektive auf den Computer als Spielmaschine. Erziehungswissenschaftler waren bis dahin die einzigen, die sich den Computerspielen angenommen hatten und die Frage „Gefährlich oder ungefährlich?“ stand bei ihnen im Mittelpunkt. Es fehlten andere Perspektiven. Wir hatten für uns schon immer die Gewissheit, dass es sich bei Computerspielen um ein sehr interessantes Medium handelt: ein interaktives Erzählmedium, angesiedelt auf der Schnittstelle zwischen Alltag und Computer. Im Prinzip handelt es sich bei dem Computerspiel um das älteste digitale Kulturgut und gerade diese historische Dimension wollten wir vorstellen. Wir haben versucht den Blick zu erweitern, über die doch sehr verengte Perspektive der Erziehungswissenschaftler hinaus. Wir wollten die Facettenhaftigkeit, aber auch die Bedeutung dieses Mediums herausarbeiten. Ich denke, es war daher vor allem ein Bildungsauftrag den wir hatten und weniger ein Bewahrungsauftrag, der erst später dazu kam. JM: Welche Quellen dienten ihnen damals zur inhaltlichen Gestaltung der Ausstellung und in wie weit waren sie am aktuellen historischen Diskurs beteiligt? AL: Wir hatten es damals bei den Computerspielen mit einem Bereich zu tun, für den es noch keine kanonisierte Geschichtsschreibung gab, sondern dessen historische Aufarbeitung sich gerade zu formieren begann. Das geschah vor allem im Internet, welches sich 1994/95 in der Form des www-Standards durchsetzte. Die ersten InternetCommunities, die das World Wide Web von Anfang an mit Inhalten gefüllt haben, kamen damals oft aus der Gruppe der Computerspieler, die sich ja bereits über das Spielen mit der neuen Technologie befasst hatten. Wir mussten uns damals also an einer oral-history orientieren, genau überprüfen ließ sich das in den meisten Fällen kaum. Auch wenn es einige konkrete Daten und Zahlen gab, wie Baujahr oder technischen Spezifikationen, kamen unsere Informationen zunächst eher aus einer großen Gerüchteküche. Wir konnten daher in den Anfängen nicht alles wissen und haben sicherlich auch einige Fehler gemacht. Trotzdem hatten wir allein durch den Akt der Museumsgründung ein gewisses Renommee. Ich war plötzlich Museumsdirektor und wir wurden als Kompetenz auf dem Gebiet der Computerspiele ernst genommen, wenn auch manchmal mit einem kleinen Augenzwinkern. Wir wurden im deutschen Raum relativ schnell der Ansprechpartner in Sachen Computerspiele. JM: Wie hat man versucht die historischen Dimensionen des Computerspiels museal zu inszenieren? AL: Wir hatten damals zwei Räume mit jeweils etwa 35 Quadratmetern. Im ersten Raum haben wir einen chronologischen Ablauf gewählt und die Entwicklungsgeschichte von PONG bis zur Playstation gezeigt. Im zweiten Raum haben wir uns einzelne Aspekten herausgenommen, zum Beispiel „Jugendschutz“ oder die Geschichte eines bestimmten Spiel-Genres thematisiert. Wir haben alles mit originalen Exponaten ausgestellt, die lauffähig und von den Besuchern auch spielbar waren. Diese Ideal-Situation konnten wir natürlich nur erreichen, weil das Computerspielmuseum ein sehr intimes Umfeld bot und sich gut beaufsichtigen ließ. Es war uns auch wichtig nicht nur die Objekte auszustellen, sondern auch die Geschichten zu erzählen, die damit verbunden sind. Das hat 143 sich von Anfang an bewährt und sprach vor allem Leute an, die sich nicht so gut mit dem Thema auskennen. Ein klassischer Fall waren Familien und Schulklassen, bei denen man sowohl die meist sehr kompetenten Schüler zufrieden stellen und sich andererseits um die Lehrer und Eltern kümmern musste, die sich nicht so gut mit der Materie auskannten. JM: Als Technikmuseum im engeren Sinne hat sich das Computerspielemuseum nie verstanden. Gab es trotzdem den Anspruch, das Ausgestellte auch technisch zu erklären? AL: Den Namen „Computerspielemuseum“ haben wir von Anfang an sehr ernst genommen. Wir konzentrieren uns auf die Spiele als Medium und nicht auf ihre Technik. Und trotzdem: Durch die Tatsache, dass die originalen Geräte bei uns spielbar in der Ausstellung standen, waren wir vielmehr Technikmuseum als jedes Technikmuseum, das seine Geräte hinter Glas ausstellt. Bei uns konnte man „en passant“ einen sehr direkten Eindruck von der technischen Entwicklung der Geräte bekommen. Bei uns stand alles auf engstem Raum nebeneinander und über die Anwendung der Spiele erschloss sich dem Besucher die technische Weiterentwicklung. Ohne irgendwelche technischen Features und Daten zu wissen, bekam man einen intuitiven Eindruck worin der technische Fortschritt lag. In diesem Sinne funktionierte das Computerspielemuseum auch als Technikmuseum, ohne dass wir uns jemals als solches verstanden haben. Ein anderer Grund warum die Geräte interaktiv zugänglich waren, sind vor allem die Spiele. Im Unterschied zu den klassischen Erzählmedien sind Computerspiele im Kern interaktiv. Deshalb war es uns immer wichtig, den Besucher auch den Joystick in die Hand nehmen zu lassen. Denn anders kann man Computerspiele nicht verstehen. JM: Hier sind wir bei einem zentralen Punkt. Ein Museum welches das Computerspiel als Medium ausstellt, kann im Prinzip ohne Objekte auskommen, ein Beispiel dafür sind virtuelle Computermuseen im Internet. Warum legen sie trotzdem soviel Wert auf den Zugang zur Materialität der ComputerSpielmaschinen? AL: Es ist tatsächlich so, dass Computerspiele unabhängig von der Hardware eine Existenz haben. Ich bin aber überzeugt davon, dass die historischen Geräte nach wie vor ihre Daseinsberechtigung in der Ausstellung haben, und zwar unabhängig davon ob sie funktionieren oder nicht. Es gibt ein bestimmtes menschliches Bedürfnis an Orte zu gehen und dort Objekte zu erleben, die man an keinem anderen Ort sehen kann. Menschen brauchen dieses Gefühl der Authentizität. Außerdem haben die Objekte selbst als bloße Designerstücke ihren Wert. Bereits im Design steckt schon eine Menge an Informationen. Man erfährt viel über die Zeit aus der die Geräte stammen und die Intention ihrer Macher. Zum Beispiel kann man am Design der Geräte erkennen, an welchem Ort in der Wohnung sie aufgestellt werden sollen. So sind zum Beispiel die Geräte von Nintendo eher für das Kinderzimmer bestimmt, Sony hingegen will ins Wohnzimmer und auch die Erwachsenen erreichen. Es gibt wichtige Informationen die über den KultCharakter der Spielmaschinen hinausgehen, die tatsächlich in diesen Geräten drinstecken und die man auch herausholen kann. Hinzu kommt, dass durch die Emulation digitaler Exponate vieles verloren geht. Es ist eben nicht mehr der Automat vor dem man steht, sondern es ist der PC auf dem Schreibtisch und eine PC-Tastatur fühlt sich nun mal anders an als die Buttons des Automaten. Auf der anderen Seite muss uns aber auch bewusst sein, dass in 30 oder 40 Jahren kein funktionierender C64 mehr existieren wird und auch andere historische Spielkonsolen nicht mehr laufen werden. Wir werden dann andere historische Spielmaschinen haben, nämlich die High-Tech-Geräte von heute! 144 JM: Die Spielmaschinen, von denen wir hier sprechen, sind ein radikal industrielles Massenprodukt und es wird wohl schwierig werden diese zu einem späteren Zeitpunkt lauffähig nachzubauen. Welche besonderen Probleme bereitet die Archivierung und Konservierung von digitalen Exponaten? AL: Das ist die zentrale Frage, die zurzeit viel diskutiert wird. Entscheidet man sich für die hardware-unabhängige Aufbewahrung durch Emulation? Gerade was eine langfristige Konservierung von Computerspielen betrifft, muss man damit rechnen dass die originale Hardware mit der Zeit nicht mehr funktionieren wird. Wir haben daraus unsere Konsequenzen gezogen und einen Verein gegründet, der sich mit dieser Aufgabe der Langzeitaufbewahrung befasst, das Digital Game Archive128. Unter anderem bieten wir dort Spiele zum Download an und befassen uns mit den verschiedensten Aspekten dieser Langzeitkonservierung. Die Alternative zur hardwareunabhängigen Aufbewahrung würde jedoch tatsächlich bedeuten, dass man eine Art Mini-Serie der alten Spielmaschinen für historische oder archivarische Zwecke auflegt. Das wäre natürlich die weitaus aufwendigere und kostenintensivere Variante. Einen interessanten Zwischenweg für den C64 stellt übrigens das C-One129 dar. Bei der C-One handelt es sich um eine neuartige Mainboard-Technologie mit rekonfigurierbaren Chips, welche sich in ein beliebiges Computergehäuse einbauen lässt. Die Chips der C-One können so programmiert bzw. umkonfiguriert werden, dass sie die Aufgaben von Chips auf dem C64 oder anderen historischen Computern erledigen. Dabei handelt es sich nicht um Emulation, sondern um eine hard- und softwaregestützte Re-Implementierung von Chips, die seit Jahren nicht mehr erhältlich sind. Stellt man sich dieses Modul nun wieder in einem alten oder nachgebauten C64 Gehäuse vor, hat man wieder eine mehr oder weniger authentische Hardware, die man ausstellen kann. JM: Bei Spielkonsolen, Automaten und Handhelds handelt es sich nicht um universelle Rechner im engeren Sinn, trotzdem sind sie ein wichtiger Teil der Computergeschichte. In welcher Rolle sieht sich das Computerspielemuseum gegenüber anderen Computermuseen und welchen Beitrag zur musealen Inszenierung der Computergeschichte kann das Museum leisten? Da wir die Computer-Games in den Mittelpunkt stellen, ist für uns zunächst alles relevant was mit digitalen, interaktiven Spielen zu tun hat. Das geht vom Taschenrechner mit eingebauten Mini-Spielen, über die Heimcomputer und Spielkonsolen bis zu den Großrechnern. Uns ist dabei bewusst, dass Computerspiele für die Popularisierung der Computertechnik einen ganz entscheidenden, wenn nicht den entscheidenden Beitrag geleistet haben. Es ist einfach eine Tatsache, dass die Heimcomputer sich Anfang der achtziger Jahre vor allem über die Anwendung als Spielmaschine in die ‚Heime‛ hinein entwickelt haben. In der Computerspiel-Industrie waren sozusagen immer schon die Early-Adapters, welche die Innovationen der Hardwarebranche in massenkompatible Produkte umgewandelt haben. So wurde die CD-ROM-Technologie zum Beispiel bereits in den frühen achtziger Jahren von Phillips und Sony erfunden. Das erste erschwingliche CD-ROM-Laufwerk jedoch, das nicht 5000 Dollar teuer war, konnte man erst als Zusatzmodul zu der Spielkonsole PC-Engine im Jahre 1988/89 erwerben. Erst dann ist die CD-ROM zum allgemeinen Datenträger geworden. Insofern erheben wir durchaus den Anspruch, mit unseren Ausstellungen auch ein Stück der Computergeschichte insgesamt zu schreiben. Im Unterschied zu anderen Computermuseen gestalten wir unsere Ausstellungen aber aus der Sicht des Normal-Anwenders, des Gamers. Aus den frühen Computerspielern der achtziger Jahre sind die Computerspezialisten geworden, die heute die Entwicklung weiter vorantreiben und genau auf diesen Schritt konzentrieren wir uns. 128 129 www.digitalgamearchive.org Für eine ausführliche Beschreibung der C-One siehe: http://c64upgra.de/c-one/ 145 JM: Welche Rolle spielte diese persönliche Erfahrung im Umgang mit Computerspielen bei den Besuchern des Computerspielemuseums? AL: Das Computerspielemuseum fiel in die Zeit eines Generationswechsels. Das war vielleicht letztlich der Grund warum unsere Initiative so erfolgreich war. Die Kids vom Space Invaders-Automaten waren mittlerweile erwachsen und hatten eigene Kinder. Es war tatsächlich eine klassische Situation: der Vater zeigt seinem Sohn in unserer Ausstellung, wie er damals am Computer gespielt hat. Dieses Motiv der Nostalgie hat sich bei unseren Besuch dabei auf zwei Gebiete ausgestreckt. Zum einen gab es die TechnikNostalgiker, die sich vor allem für die historischen Geräte interessiert haben und es gab die Spiele-Nostalgiker, für die beispielsweise der Sound eine besondere Bedeutung hat. Sound ist vielleicht das wichtigste Nostalgie-Element bei Computerspielen und löst die meisten Gefühle und Erinnerungen aus. Man kommt über den Sound direkt wieder in die Situation, in der man früher als Kind oder Jugendlicher das betreffende Spiel gespielt hat. Natürlich liegen diese beiden Gebiete aber nahe beieinander, die frühen Computerspieler waren oft auch begeisterte Technikexperten und umgekehrt. JM: Im Jahr 2000 wurde die ständige Ausstellung des Computerspielemuseums vorübergehend geschlossen. Welche Gründe führten zu der Schließung und wie stellt sich das Arbeitsfeld des Museums zurzeit dar? AL: Die Schließung hatte zwei Gründe. Auf der einen Seite waren die Räumlichkeiten immer schon zu klein und wir hatten nie vor, dort lange zu bleiben. Nach vier Jahren brauchten wir schlicht und einfach mehr Platz. Wir haben uns außerdem von der Schließung eine bessere Position gegenüber der Stadt versprochen: Wenn man an die Stadt herantritt und um Unterstützung bittet, das Museum aber auch ohne Zuschüsse läuft, dann ist der Druck natürlich wesentlich geringer, als wenn klar ist, dass es ohne Förderung nicht mehr weiter gehen kann. Das hat sich zunächst auch bewahrheitet. Wir waren in den Gesprächen mit dem damaligen Kultursenator bereits sehr weit vorangeschritten. Der Berliner-Bankenskandal mit anschließender Regierungsumformung kam uns dann allerdings in die Quere. Seit der Schließung haben wir aber verschiedenste Ausstellungsprojekte realisiert, über die wir unsere Arbeit weiter finanzieren können, etwa auf Fachmessen wie der Cebit in Hannover oder der Games Convention in Leipzig. Dort haben wir vor allem die Entwicklungsgeschichte der Hardware chronologisch ausgestellt. In unserem Ausstellungskatalog „Spielmaschinen“ sind diese Ausstellungen dokumentiert. Bei einer anderen Ausstellung stand eine kleine Ahnengalerie der Videospiel-Stars im Mittelpunkt. Die zentrale Frage war, welche Rolle das Star-Prinzip für die Computerspiel-Industrie im Bezug auf Merchandising, Lizenzverfahren und Filmadaptionen bedeutet. Unsere erste internationale Kooperation war eine Ausstellung in Berlin mit dem TV Game Museum Projects aus Japan unter dem Titel „Tokyo Techno Tourism“. Die Computerspiele wurden im Rahmen dieser Ausstellung als interaktiver Reiseführer ausgestellt und sollten die Alltagskultur von japanischen Jugendlichen veranschaulichen. Wir stellten dabei eine Beziehung von der Großstadtwelt zu den virtuellen Welten der Games her. Computerspiele sind erstaunlich vielfältig und vielseitig einsetzbar. In Kassel haben wir uns zum Beispiel an einer Ausstellung zum Thema „Spiele und Tod“ des Sepulkralmuseums beteiligt, einem Museum für Sterbekultur. Wir waren für die digitalen Spiele zuständig und beschäftigen uns mit der Frage: Wir stirbt man in digitalen Spielen? Diese vielfältigen Einsatzmöglichkeiten entspringen letztlich dem Medium Computerspiel und nicht dem Computer an sich. JM: Gibt es Pläne am Computerspielemuseum wieder eine ständige Ausstellung zu realisieren? 146 AL: Das ist selbstverständlich unser langfristiges Ziel. Viel versprechend war beispielsweise unsere letztjährige Kooperation mit dem VUD, dem mittlerweile aufgelösten Verband der Computerspiel-Industrie Deutschlands. Das GAMESHOUSE-Projekt hätte für das Computerspielemuseum bedeutet, dass wir unsere ständige Ausstellung in Berlin wieder geöffnet hätten. Unser Konzept hatte den Titel „Medium Computerspiel“ und beinhaltete verschiedene thematische Zugänge zum Computerspiel. Wir haben uns gegen einen stringenten historischen Aufbau entschieden, sondern versucht das Computerspiel als Medium ernst zu nehmen und es in der traditionellen Medienlandschaft zu verorten. Das Konzept sah verschiedene thematische Module vor wie „GAMES und Bücher“, „GAMES und Musik“, „Kommunikationsmedium und Multi Player Games“ oder „Virtuelle Welten“. Es gab in diesem Zusammenhang eine Kooperation mit Studenten der Hochschule der Künste in Berlin, die das GAMESHOUSE im Studiengang „Visuelle Kommunikation“ zu ihrem Semesterprojekt gemacht haben. Auf diesem Wege sind dreizehn verschiedene Entwürfe entstanden, die wir überaus gelungen fanden und deshalb in Form eines kleinen Kataloges haben drucken lassen. Leider ist uns mit der Auflösung des VUD auch in diesem Fall etwas dazwischen gekommen. Wir verfolgen dieses Konzept allerdings nach wie vor und versuchen jetzt neue Partner in der Computerspielebranche, aber auch darüber hinaus zu finden. Wir glauben weiterhin fest an das Computerspielemuseum, der FJS ist aber leider nicht stark genug um ein solches Projekt alleine zu stemmen. JM: Herr Lange, ich danke Ihnen für das Gespräch!