Vom Medium zum Exponat - Leuphana Universität Lüneburg

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Vom Medium zum Exponat - Leuphana Universität Lüneburg
Vom Medium zum Exponat –
Strategien zur musealen Inszenierung der Computergeschichte
Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung
des Grades des Magister Artium
der Philologie
Vorgelegt am
Institut für Medienwissenschaften
der Ruhr-Universität Bochum im August 2005
bei Prof. Dr. Claus Pias (1. Prüfer)
und Prof. Dr. Peter-Michael Spangenberg (2. Prüfer)
von
Jan Müggenburg
Klosterstr. 31
13581 Berlin
[email protected]
1
„Jeder brandneue Rechner lässt ein Leichenfeld zurück – ausgestorbene Computer, Speichermedien, Anwendungen, Dateien.“
Stewart Brand (2000, 90)
„Ein wahrhaft schlechtes Gewissen treibt die Gattung in dem Moment zur Wiederbelebung ihrer gesamten Vergangenheit, in dem sie den Faden ihrer Erinnerung verliert. Alle Überreste, alle Spuren, die insgeheim begraben wurden und
die eben deshalb Bestandteil unseres symbolischen Kapitals waren, werden exhumiert und zu neuem Leben erweckt. […] Aus Begrabenem machen wir etwas
Sichtbares.“
Jean Baudrillard (1994, 115)
2
Inhalt
0
Der Club der stummen Kisten .........................................................................3
1
Technik sammeln − Technik ausstellen..........................................................8
1.1
Historische Vorläufer der technischen Sammlung und Ausstellung ....................................... 9
1.2
Fortschrittsfeste und Maschinenschau − Die großen Weltausstellungen...............................14
1.3
Volksbildung in den Ruhmeshallen der Technik − Die nationalen Technikmuseen ...........19
2
Computer sammeln − Computer ausstellen .................................................. 25
2.1
Eine Frage der Perspektive − Die erste Ausstellung zur Computergeschichte .....................26
2.2
Zwischen Firmengeschichte und Spaßpädagogik − Das erste Computermuseum .................29
2.3
Durch die nationale Brille − Computergeschichte im Technikmuseum ................................35
2.4
Von kleinen, großen und ‚niedlichen‛ Computermuseen ......................................................42
3
Der Computer als Medium und seine Geschichte(n) .................................... 48
3.1
Der Computer als Rechenmaschine ....................................................................................49
3.2
Digitalisierung − Der Computer als Multimedium............................................................53
3.3
Virtualität − Der Computer als Simulationsmedium........................................................58
3.4
Interaktivität − Der Computer als Kommunikationsmedium ............................................65
4
Der Computer als Exponat ............................................................................ 71
4.1
Vom Werkzeug zum alten Objekt − Der alte Computer..................................................72
4.2
Aura und Inszenierung im Widerstreit − Der erfahrbare Computer ..................................80
4.3
Transparenz und Opazität − Das Medium als Exponat .................................................87
5
Strategien zur musealen Inszenierung der Computergeschichte.................. 93
5.1
Die Geschichte des Rechners − „Informatik“ im Deutschen Museum ................................94
5.2
Rechenmaschine vs. Mikrochip − „Rechnen einst und heute“ im Arithmeum.....................99
5.3
Die Kulturgeschichte des Computers − Das Heinz Nixdorf MuseumsForum ..................103
6
Schlussbetrachtung .......................................................................................110
7
Literaturverzeichnis ......................................................................................114
8
Abbildungsverzeichnis................................................................................. 122
9
Anhang ......................................................................................................... 125
9.1
Expertengespräch mit Dr. Hartmut Petzold (Deutsches Museum)...................................125
9.2
Expertengespräch mit Hadwig Dorsch (Deutsches Technikmuseum) ................................131
9.3
Expertengespräch mit Michael Mikolajczak (HNF) ......................................................134
9.4
Expertengespräch mit Andreas Lange (Computerspielemuseum) ......................................140
3
0
Der Club der stummen Kisten
In den letzten Jahren hat die Geschichte des modernen Computers ein großes öffentliches Interesse erfahren. Nachdem sich die digitale Rechenmaschine in den neunziger
Jahren endgültig als „Allzweckgerät“ und populäres Kulturgut durchgesetzt hat (Mikolajczak, 2003, 146-149) und zum selbstverständlichen Begleiter im medialen Alltag geworden ist, richtet sich der Blick nun zurück auf die historischen Ursprünge des Computers und die Spuren seiner Entwicklungsgeschichte. So macht die allgemeine Anerkennung der „überragenden Gegenwartsbedeutung der Informationstechnik“ (HNF,
2000, 3) den Computer und seine Geschichte zu einem attraktiven Ausstellungsthema
für Technikmuseen. Vor allem die rasante, scheinbar zielgerichtete Entwicklung, im
Laufe welcher der Computer immer schneller, immer kleiner und immer vielseitiger
wurde, prädestiniert die digitale Maschine für die dramaturgische Inszenierung im Rahmen einer musealen Ausstellung1. Aber nicht nur die nationalen Technikmuseen haben
ihre Aufmerksamkeit auf den ‚Siegeszug‛ des Computers gerichtet. In den letzten Jahren
ist eine Reihe von kleinen und großen Museen entstanden, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise mit der Geschichte der universellen Maschine auseinander setzen.
Dabei reicht die Bandbreite der Einrichtungen allein im deutschen Raum von ‚ausgewachsenen‛ Computermuseen, wie dem Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF) in Paderborn, das im nächsten Jahr seinen zehnten Geburtstag feiern wird, bis hin zu kleinen
‚Wunderkammern‛, wie dem Arithmeum in Bonn oder dem Computerspielemuseum in
Berlin.
Doch der Computer ist nicht nur eines der populärsten und erfolgreichsten technischen
Ausstellungsobjekte, er stellt Ausstellungsmacher und Kuratoren auch vor zunehmend
größere Probleme. Der moderne Personal Computer ist die ‚ultimative‛ Black Box. Die
Hardware des Computers arbeitet im Verborgenen und bleibt für die große Mehrheit der
Benutzer unverständlich. Sein technisches Innenleben muss den Anwender nicht interessieren, wenn er mit ihm arbeitet, kommuniziert oder spielt. Der Benutzer verbleibt an
der Oberfläche und setzt sich scheinbar nur mit der Software auseinander. Diese vermeintliche „Immaterialität gerade des Materiellsten“ (Kittler, 1998, 124) macht den Computer
1
Ein für die museale Ausstellung dankbares Beschreibungsmodell der sich beschleunigenden Entwicklungsgeschichte des modernen Computers ist beispielsweise das viel zitierte Moor’sche Gesetz. Gordon
Moore, Mitbegründer der Firma Intel, hat in einem Artikel der Zeitschrift „Electronics Magazine“ im
Jahr 1965 vorhergesagt, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem Computerchip alle 12 – später
korrigierte Moore seine Vorhersage auf 24 – Monate verdoppeln werde (Moore 1965). Die Prognose
von Moore hat sich in den letzten vier Jahrzehnten weitgehend bewahrheitet, ist jedoch als Selffulfilling
Prophecy auch zur eigenen Messlatte der Computerindustrie geworden.
4
zu einem anspruchsvollen Ausstellungsobjekt. Durch die bloße Ausstellung der ‚alten‛
Hardware in der Vitrine erschließen sich dem Ausstellungsbesucher beispielsweise noch
lange nicht die emergenten Eigenschaften des Computers, die bei seiner ursprünglichen
Anwendung in Erscheinung traten. Der Computer wird so zur bloßen Ikone im musealen Tempel und es droht ein „Club der stummen Kisten“ (Borchers, 1998)2.
Ähnlich problematisch wie das Computerexponat als solches, stellt sich die Inszenierung der Geschichte des modernen Computers dar. Gerade aufgrund der schnellen
Entwicklungsdynamik des modernen Computers kann eine Ausstellung seiner Geschichte immer nur eine ‚Momentaufnahme‛ sein, welche bereits vom Eröffnungstag an
Gefahr läuft nicht mehr aktuell zu sein3. Schon heute hat der Ausstellungsbesucher große Schwierigkeiten mit den riesigen historischen Großrechenanlagen in der Ausstellung
den Laptop zu assoziieren, der bei ihm zu Hause auf dem Schreibtisch steht. Dies liegt
auch an der Dispersität der ‚universellen Maschine‛, welche seit ihrer Erfindung zu verschiedenen Zwecken und in verschiedenen „diskursiven Praktiken“ (Foucault, 1981, 6174) eingesetzt wurde und durch technologische Weiterentwicklungen und „Neudefinitionen“ (Ceruzzi, 1998, 14) immer neuen Transformationen bzw. „Umwidmungen“
(Schröter, 2004, 16) unterlag. Der letzte entscheidende „Perspektivenwechsel in der
Computerinterpretation“ (Krämer, 1998, 10) ereignete sich Anfang der neunziger Jahre:
Vor allem der Weg des Computers von der (mechanischen und digitalen) Rechenmaschine zum massenhaft genutzten Kommunikations- und Bildmedium mit seinen zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten stellt Ausstellungsdesigner und Kuratoren vor zunehmende Probleme. Während sich die Geschichte der digitalen Rechenmaschine als
eine Geschichte des Rechnens erzählen lässt und die üblichen technischen Beschreibungsmodelle der Beschleunigung, Miniaturisierung und Optimierung greifen können,
stellt sich die Narration einer Mediengeschichte des Computers bedeutend schwieriger
dar. So ist zu bezweifeln, ob sich die Entwicklungsgeschichte des Computers angesichts
der „Kaskade von Umwidmungen und Umdeutungen“ (Levy, 1995, 41) und seiner universellen Ausrichtung überhaupt in einer homogenen, teleologisch ausgerichteten Fortschrittsgeschichte erzählen und damit ausstellen lässt. „Computer haben keine Spezifik
außer eben der, unspezifiziert zu sein“ formuliert Jens Schröter (Schröter 2004a,) und
folgert daraus eine Vielzahl von Ursprungsgeschichten, sowohl technischer als auch
Der Technik-Journalist Detlev Borchers (1998) hat das HNF im Februar 1998 in einem Artikel der
Süddeutschen Zeitung als „Club der stummen Kisten“ bezeichnet. Da heute fast alle Computermuseen
viel Mühe aufwenden um die Computer ‚at work‛ zu zeigen, würde Borchers seine Kritik heute in dieser
Form nach eigener Auskunft nicht mehr aufrechterhalten (in einer E-Mail an den Autor vom 29.05.05).
3 Dieses Problem der Aktualität, veranlasste zum Beispiel das Heinz Nixdorf MuseumsForum vier Jahre
nach seiner Eröffnung im Jahr 2000 zu einem grundlegenden update der Ausstellung, aus Gründen der
„Aktualisierung und Zukunftsorientierung“ (HNF, Museumsführer-update, 2000).
2
5
soziokultureller Art und nicht eine einzige und eindeutige Entwicklungsgeschichte des
Computers.
Fragestellung und Ziele der Arbeit
Die vorliegende Magisterarbeit versucht den Weg des Computers vom Medium zum
Exponat zu verfolgen. Im Mittelpunkt stehen zwei zentrale Fragestellungen. Die erste
befasst sich mit dem Computer als Ausstellungsobjekt und beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Computer im Bezug auf seinen ursprünglichen Anwendungszusammenhang anschaulich und authentisch ausstellen lässt. Können die emergenten Eigenschaften
des Computer-als-Medium, die er durch den Prozess der Musealisierung notwendigerweise
verliert, an einem Computer-als-Exponat ausgestellt werden?
Die zweite Frage beschäftigt sich mit der Darstellung der Geschichte des Computers im
Rahmen musealer Ausstellungen. Welche Strategien wählen Technik- und Computermuseen, um die Geschichte des Computers zu inszenieren? Der Begriff der Inszenierung4 weist dabei darauf hin, dass die Darstellung eines historischen Sachverhaltes im
Museum immer in einem bestimmten Bedeutungszusammenhang präsentiert wird. Museale Inszenierung heißt immer auch gleichzeitig „visualisierendes Deuten und Interpretieren“ (Schober 1994, 9). Historische Zusammenhänge werden mit Hilfe von Exponaten in Szene (um)gesetzt und zur Schau gestellt. Aus diesem Grund drängt sich die Frage nach den Strategien hinter der Ausstellungsgestaltung auf. Was sind die Intentionen
der Ausstellungsmacher und mit welchen historischen Beschreibungsmodellen arbeiten
sie?
Gliederung und Methodik
In einem ersten Schritt soll ein Überblick über die historischen Ursprünge der technischen Sammlung und Ausstellung dazu dienen, eine Antwort auf die allgemein gehaltene
Frage zu geben „Warum sammeln Menschen technische Objekte und stellen sie einer
breiten Öffentlichkeit aus?“. Ein Blick auf einzelne historische Beispiele der technischen
Ausstellung zeigt, dass das öffentliche Ausstellen von Technik seit jeher ein Mittel ist,
um die eigene private, nationale oder industrielle Stärke darzustellen und zu manifestieren.
4
Der Begriff der Inszenierung ist dem Theater entliehen und bedeutet, abgeleitet vom lateinischen ‚scena‛, soviel wie „Auf-die-Bühne-Gebrachtes“ (Schober, 1994, 9). Bezogen auf den Bedeutungsraum einer
Ausstellung meint ‚Inszenierung‛ zunächst das programmatische Zusammenstellen von Objekten, also
das bewusste in Szene setzen von Exponaten. An späterer Stelle dieser Arbeit (Kapitel 4.2) wird der
Begriff der Inszenierung auch auf die Präsentation einzelner Exponate angewendet.
6
Das zweite Kapitel konzentriert sich auf die noch recht junge Vergangenheit von Ausstellungen zur Computergeschichte und soll als Einführung in die komplexe Thematik
des Computers als Exponat dienen. Die wichtigsten ‚Impulsgeber‛ und Interessengruppen, die an der Gründungsgeschichte von Computermuseen mitgewirkt haben, werden
herausgearbeitet. Es zeigt sich außerdem, dass mit den Ausstellungskonzeptionen mehr
oder weniger erfolgreich versucht wird, verschiedenen Zielsetzungen zugleich gerecht
zu werden: zwischen Historisierung mit objektivem Anspruch und gezielter Interessenvertretung, zwischen Volksbildung und Volksbelustigung, zwischen Fortschrittsglauben
und ‚Entmystifizierung‛.
Der dritte Teil befasst sich mit dem Computer als Medium. Nach einem kurzen Blick
auf die Vorgeschichte des Computers als Rechenmaschine werden die drei zentralen
Kategorien des modernen Computers besprochen, die in den neunziger Jahren zu seiner
Interpretation als Medium geführt haben. Es zeigt sich dabei, dass sich die Entwicklung
des Computers von der Rechenmaschine zum Universalmedium nicht als eine lineare
und kohärente Geschichte erzählen lässt, sondern sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher technikhistorischer und konzeptioneller Impulse zusammensetzt.
Im vierten Kapitel beschäftigt sich die Arbeit mit dem Computer als Exponat unter
Berücksichtigung seiner Eigenschaften als Medium. Die Untersuchung konzentriert sich
an dieser Stelle auf einzelne Computerexponate und blendet den Bedeutungsraum Ausstellung zunächst aus. Dazu werden einige Grundbegriffe des aktuellen museologischen
Diskurses eingeführt und durch die Überlegungen von Jean Baudrillard (1991, 93-109)
zum „Alten Objekt“ ergänzt. Besonderes Augenmerk gilt der Art und Weise, wie die
Computerexponate auf ihren ursprünglichen Gebrauchszusammenhang verweisen und
einen Eindruck ihrer historischen Anwendung vermitteln.
Kapitel Fünf schließlich beschäftigt sich mit dem Computer als Exponat im Bedeutungsraum der Ausstellung und stellt drei unterschiedliche museale Inszenierungsstrategien der Computergeschichte vor. Die deskriptiven und analytisch vorgehenden Untersuchungen gehen zurück auf Ausstellungsbesuche des Autors und im Vorfeld der Arbeit
geführte Expertengespräche mit Kuratoren und Museumsdirektoren (siehe Anhang,
Kapitel Neun).
Die Magisterarbeit ist gemäß der Neuen Rechtschreibung verfasst. Zitate und Belege
erfolgen nach dem Standard der American Psychological Association (APA-Style) in der
Version der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (1997). Schlüsselbegriffe und Eigennamen von Einrichtungen, sowie Titel von Publikationen bzw. Ausstellungen wer-
7
den bei ihrer ersten Nennung durch eine kursive Textformatierung kenntlich gemacht,
längere Zitate werden vom Fließtext abgesetzt. Wenn möglich, werden die Lebensdaten
genannter Personen angefügt, um dem Leser eine historische Einordnung zu erleichtern. Fußnoten werden verwendet, um ergänzende Erklärungen zum Text zu liefern,
relevante Internetadressen zu nennen oder auf weiterführende Literatur hinzuweisen,
deren nähere Besprechung der begrenzte Umfang der Arbeit nicht zulässt. Die eingefügten Abbildungen zeigen in der Regel Objekte, die im Text näher beschrieben bzw. analysiert werden und dienen darüber hinaus der Illustration bzw. Visualisierung der inhaltlichen Ausführungen.
Zur Entstehung dieser Arbeit haben neben zahlreichen Ausstellungsbesuchen des Autors ausgiebige ‚Expertengespräche‛ mit Kuratoren und Ausstellungsgestaltern der besprochenen Institutionen beigetragen. Ein herzlicher Dank geht daher an Dr. Frank
Dittmann und Michael Mikolajczak (beide HNF), Dr. Hartmut Petzold (Deutsches Museum München), Hadwig Dorsch (Deutsches Technikmuseum Berlin) sowie an Andreas
Lange (Computerspielemuseum Berlin). Einige der geführten Gespräche befinden sich
in transkribierter Form im Anhang dieser Arbeit. Ich danke außerdem Prof. Claus Pias
für die Betreuung der Arbeit, sowie Heidi Ortmann (Berlin) und meinen Eltern Ute und
Klaus Müggenburg (Velbert-Langenberg) für viel Unterstützung und Geduld.
8
1
Technik sammeln − Technik ausstellen
Auf den ersten Blick sind das Sammeln und das Ausstellen von technischen Gegenständen nicht notwendigerweise miteinander verbunden. Viele Sammler tragen, angetrieben
von Nostalgie und Sammelleidenschaft, auf Trödelmärkten und Tauschbörsen, alte
Schreibmaschinen, Radios oder sonstige technische Geräte zusammen. Solche privaten
Sammlungen werden meist nie öffentlich ausgestellt, sondern sind vor allem für die Personen interessant und bedeutsam, die sie mühsam zusammengetragen haben. Auf der
anderen Seite gibt es viele Beispiele der technischen Ausstellung, bei denen es abwegig
erscheint von einer Sammlung zu sprechen − etwa Fachausstellungen der Industrie oder
moderne Science Centers mit extra für diesen Zweck zusammengestellten bzw. angefertigten Exponaten. Dennoch trägt jede Sammlung, auch wenn sie vielleicht nur guten
Freunden und Bekannten innerhalb der eigenen vier Wände gezeigt wird, die Möglichkeit der Ausstellung in sich und anders herum gilt: für jede Ausstellung muss zunächst
eine Gruppe von Objekten ausgewählt werden, an der sich das Ausstellungsthema bzw.
der intendierte Sachverhalt zeigen lässt.
Sammlung und Ausstellung „konkreter Gegenstände“ (Waidacher, 2005, 17) sind auch
die zentralen Aufgaben des zeitgenössischen Museums. Durch die Sammlung, Konservierung und Erforschung ‚authentischer’ Objekte und die Präsentation der Gegenstände
als Exponate durch das Medium Ausstellung, befasst sich das Museum als kulturelle
Einrichtung mit dem „Bewahren und Vermitteln von Erinnerung“ und wendet sich an
ein öffentliches Publikum mit dem Ziel ein „verstehendes Erleben“ bestimmter Sachverhalte zu ermöglichen (Waidacher, 2005, 17). Im Sammeln und Ausstellen, so Alexander Klein (2004, 10), „manifestiert sich das Verhältnis des Museums zur Wirklichkeit“.
Das folgende Kapitel bietet einen Überblick über die Geschichte der technischen
Sammlung und Ausstellung. Von den Anfängen in der Antike soll ein Bogen geschlagen
werden über die neuzeitlichen Kunst- und Wunderkammern, der Herausbildung des
modernen Museums im siècle des lumières und den großen Technologiefesten der Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, bis zu den ersten nationalen Wissenschafts- und Technikmuseen. Es zeigt sich, dass das öffentliche Sammeln und Ausstellen von Gegenständen immer schon ein Mittel war um die eigene private, nationale oder industrielle Stärke
darzustellen und zu manifestieren.
9
1.1 Historische Vorläufer der technischen Sammlung und Ausstellung
Bevor man einen Blick auf die Geschichte der technischen Sammlung und Ausstellung
wirft, stellt sich zunächst eine einfache Frage: Warum sammeln Menschen Gegenstände
und stellen sie aus? Der Museums-Historiker Krzysztof Pomian versteht unter einer
Sammlung zunächst „jede Zusammenstellung natürlicher oder künstlicher Gegenstände,
die zeitweise oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten
werden, und zwar an einem abgeschlossenen, eigens zu diesem Zweck eingerichteten
Ort, an dem die Gegenstände ausgestellt werden und angesehen werden können“ (Pomian, 1993, 16). Weiterhin sind die ausgewählten Gegenstände der Sammlung im Gegensatz zu den Gegenständen des Alltags mit einer bestimmten Bedeutung versehen
und verweisen auf einen abstrakten Sinnbezug. Sie repräsentieren „das Unsichtbare“
(Pomian, 1993, 50) und haben unabhängig von ihrer Nützlichkeit einen Tauschwert, der
auf ihrer Bedeutung gründet5. Gesammelte Gegenstände, die aus ihrem ursprünglichen
Gebrauchszusammenhang herausgenommen werden, ermöglichen dem Betrachter folglich den Zugriff auf einen sonst unerreichbaren Sachverhalt, etwa ein Ereignis in der
Vergangenheit, welches durch den Gegenstand repräsentiert wird.
Entsprechend verfolgt Pomian die Geschichte der menschlichen Sammlungen bis zu
den antiken Grabkammern und Opferstätten zurück, wo Gegenstände erstmals ihrer Nützlichkeit beraubt und an einem bestimmten Ort ausgestellt wurden, um einem einzigen
Zweck zu dienen: angeschaut zu werden (Pomian, 1993, 20-25). Während jedoch diese
ersten Sammlungen von sakralen Gegenständen nur für die Augen der Götter bestimmt
waren und somit eher eine magische als eine repräsentative Funktion erfüllten6, waren es
die Machthaber im römischen Reich, welche bei ihren Raub- und Eroberungszügen in
großen Mengen erbeuteten Gegen-stände in ihren Residenzen sammelten und diese bei
Festen und Zeremonien erstmals einem großen Publikum zur Schau stellten (Pomian,
1993, 26). Bemerkenswert an der römischen Sammelleidenschaft ist dabei nicht nur die
„souveräne Verachtung für die Nützlichkeit der von ihnen gesammelten Gegenstände“
(Pomian, 1993, 28), sondern vor allem die Tatsache, dass das Zusammentragen einer
prunkvollen Sammlung eine symbolische Demonstration der eigenen Stärke darstellte
und dem Sammler Ruhm und Ansehen verschaffte. Auch die fürstlichen Schatzkammern
Pomian führt zur Unterscheidung von „nützlichen Dingen“ und „Gegenständen ohne Nützlichkeit“ den
Begriff der Semiophoren ein (Pomian, 1993, 46-54).
6 Siehe Klein (2004, 127): „Das Zeigen der ‚Exponate‛ des Grabes war nicht ein Zeigen für jemanden,
sondern ein Sich-Zeigen, ein magisches Offenlegen des Wesentlichen der Gegenstände […] Das Pharaonengrab war ein Gehäuse von gesammelt ausgestellten, oder ausgestellt gesammelten, aber publikumslosen Gegenständen“.
5
10
im Mittelalter hatten zunächst die Funktion das Ansehen ihres Besitzers zu erhöhen und
zu ausgewählten Anlässen mit ihrem zumeist kostbaren Inventar aus sakralen wie profanen Gegenständen zu prahlen (Pomian, 1993, 28).
Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts, im Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit,
entstand ein neuartiges Interesse an den materiellen Zeugnissen der Natur und der
Menschheit. Ein starkes Bestreben die eigene Welt zu entdecken und zu verstehen bildete sich heraus und führte dazu, dass neue Kategorien von Gegen-ständen in den europäischen Sammlungen in Erscheinung traten. In ganz Europa begann sich eine „Mode des
Sammelns“ (Pomian, 1993, 57) auszubreiten. Überreste der Antike, welche bis auf einzelne Ausnahmen „jahrhundertelang den Charakter von Unrat hatten“ (Pomian, 1993,
56), wurden nunmehr als erhaltenswerte Forschungsgegenstände betrachtet und genauso gesammelt wie die immer größeren Mengen an kuriosen und exotischen Gegenständen aus fremden Ländern, welche Gelehrte und Fürsten von ihren zahlreichen Reisen
und Expeditionen mitbrachten. Diese Objektgruppe der „Raritäten“ (Pomian, 1993, 58)
befriedigte vor allem die zunehmende Lust am Ungewöhnlichen und Erstaunlichen und
ermöglichte dem Betrachter eine Auseinandersetzung mit den fremden Zivilisationen
und Ländern. Auch Gemälde und andere Kunstwerke hatten für die neuzeitlichen Fürsten und Gelehrten einen zunehmenden Stellenwert, weil es den Künstlern möglich war
in ihren Arbeiten die Schönheit der Natur abzubilden und festzuhalten. Schnell entwickelte sich an den Höfen ein reges Mäzenatentum, da man sich verpflichtet sah „Geschmack zu haben […] und sich mit Kunstwerken zu umgeben“ (Pomian, 1993, 58), um
die eigene Überlegenheit zur Schau zu stellen.
Auf diese Art und Weise entstanden in der frühen Neuzeit in den Fürstenhäusern, Universitäten und Akademien die ersten großen wissenschaftlichen Sammlungen, die dem
Wunsch folgten, die eigene und die fremden Welten möglichst umfassend zu repräsentieren. Das Bedürfnis „den Makrokosmos in den Mikrokosmos zu projizieren“ (Pomian, 1994, 113) und einen enzyklopädischen Blick über die Welt zu erlangen, zeigt sich
wohl am deutlichsten in den fürstlichen Kunst- und Wunderkammern, welche sich von den
mittelalterlichen Schatzkammern vor allem dadurch unterschieden, dass sie ihre Gegenstände streng ordneten und klassifizierten, um einen möglichst universellen Blick auf die
Welt zu bieten7.
7
Der niederländische Arzt Samuel von Quiccheberg beispielsweise legte 1565 im Auftrag Herzog Albrechts V. die Ordnungsprinzipen der Kunst- und Wunderkammern dar und unterschied fünf Objektgruppen: Zeugnisse der (Heils)geschichte (Altertümer), kunsthandwerkliche Gegenstände, Gegenstände
aus dem Reich der Natur, Gemälde und Tafelbilder, sowie die Gruppe der „artes mechanicae“, bei denen es sich um musikalische, mathematische und astronomische Instrumente handelte. Siehe dazu Bredekamp (1993, 33).
11
Der erwachende Geist der Aufklärung und Naturforschung führte schließlich dazu, das
wissenschaftliche Bestreben die Welt zu verstehen, mit traditionellen Formen der Ausstellung bzw. Zurschaustellung für einen bestimmten Personenkreis zu verbinden. Zwar
hielten manche der Fürsten und Gelehrten ihre Sammlungen weiter unter Verschluss
und zeigten sie nur ausgewählten Besuchern8, andere Sammler dieser Zeit erkannten
jedoch schnell den gesellschaftlichen Wert ihrer Kabinette und öffneten sie für die interessierte Öffentlichkeit, in der Hoffnung ihr allgemeines Ansehen und politisches Prestige zu erhöhen (MacGregor, 1994, 66). Beliebte Gäste der Kunst- und Wunderkammern waren Würdenträger und andere Machthaber, die zu ihrer Unterhaltung herumgeführt wurden, aber auch Künstler und Akademiker, die den wissenschaftlichen Wert der
Sammlungen zu schätzen wussten (MacGregor, 1994, 66).
Im Laufe des 17. Jahrhunderts entstanden schließlich immer mehr Kunst- und Wunderkammern im akademischen bzw. wissenschaftlichen Umfeld9. Im Zuge dieser neuzeitlichen Neuausrichtung des Sammlungswesens lassen sich erstmals auch zahlreiche technische Exponate in den Sammlungen wieder finden. Mathematische und wissenschaftliche
Geräte fanden ihren Weg in die Kunst- und Wunderkammern, genauso wie immer
komplizierter werdende Maschinen und selbstbewegte Automatenfiguren, die wohl zu
den beliebtesten Exponaten gehörten10 (Bredekamp, 1993, 73). Der Grund für die zunehmende Hinwendung zur Technik lag vor allem in der Überzeugung der im 17. Jahrhundert herrschenden „mechanistischen Philosophie“ (Bredekamp, 1993, 41), dass es
die Aufgabe des Menschen sei, als Ebenbild Gottes „diesem als Mechaniker nachzueifern und Gegen-stände zu schaffen, die mit denen der Natur wetteifern könnten“ (Bredekamp, 1993, 41). So wurden zum Beispiel in der Kursächsischen Kunstkammer in Dresden neben einer großen Menge handwerklicher Geräte auch „eine Vielzahl wissenschaftlicher, astronomischer und mathematischer Instrumente, sowie Globen, Uhrwerke
und Stundengläser“ ausgestellt (MacGregor, 1994, 74). Die Hinwendung zu den Naturwissenschaften führte in manchen Fällen dazu, dass die Kunst- und Wunderkammern
nicht nur Aufbewahrungs- und Ausstellungsraum wissenschaftlicher Instrumente waren,
sondern Orte die zur „Vermittlung eines naturwissenschaftlichen Systems eingesetzt
wurden“ (Vieregg, 1994, 27). So entwickelte sich etwa die Kunstkammer des hessischen
Das Inventar des in diesem Zusammenhang oft genannten studiolo von Francesco I. zum Beispiel, war
vollständig in Wandschränken verstaut und nicht für die Augen anderer bestimmt. MacGregor stellt fest:
„Alles war diskret, geheim und gehörte dem Gründer persönlich“ (MacGregor, 1994, 65).
9 Beispiele dafür sind unter anderem die Kunstkammern der Londoner Royal Society (1662) und der
Académie Royale des Sciences in Paris (1666), siehe dazu Bredekamp (1993, 54).
10 Zur modernen Faszination und der „immensen Anziehungskraft“ von Puppen und Automaten, in
denen der Mensch „im Akt der Objektivierung ein Selbstbild entstehen lässt“, siehe die Ausführungen
von Müller-Tamm und Sykora (1999, 65-93).
8
12
Landgrafen in Kassel im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer regelrechten „Gelehrtenstube“ (Vieregg, 1994, 26), in der sich Wissenschaftler in besonderem Maße der Astronomie widmeten. „Rechenhilfswerke, Planetenuhren und Globen“ (Vieregg, 1994, 27)
wurden hier nicht nur gesammelt und ausgestellt, sondern konnten in einem engen Bezug zur Praxis ausprobiert werden: „Besucher und Öffentlichkeit hatten also von Anfang an einen wichtigen Stellenwert: eine im besten Sinne pädagogische Dimension“
(Vieregg, 1994, 28).
Dieses Bestreben in den Kunst- und Wunderkammern nicht nur die gesamte Welt
‚nachzubilden‛, sondern diese im Rahmen der Ausstellung auch zu erklären und so zur
Etablierung der neuen Wissenschaftsordnung beizutragen, wird besonders deutlich in
den Plänen des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716). Der deutsche Gelehrte wollte ein Wissenschaftstheater gründen, in dem die Präsentation wissenschaftlicher Gegenstände zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden sollte (Bredekamp, 2000,
12-19). Die Idee zu seinem Theatrum naturae et artis, welche er Zeit seines Lebens verfolgte, kam Leibniz in Paris, als er der Vorführung einer Maschine beiwohnte, die sich
scheinbar selbstständig auf der Seine vorwärts bewegen konnte. Beeindruckt von diesem
Ereignis träumte er von einem Ort, an welchem „Personen von Verstand zusammenkommen sollten, um beachtenswerte Dinge und vor allem Maschinen öffentlich in einer
Ausstellung zu zeigen“ (Bredekamp, 2000, 14). Das Bemerkenswerte an Leibniz’ Vision
ist vor allem die Erkenntnis, dass ein solches Wissenschaftstheater die Objekte in einem
Gesamtarrangement aus wissenschaftlichem Anspruch und leichter Unterhaltung präsentieren müsse: Mathematiker, Ingenieure und Architekten sollten die Maschinen dem
interessierten Besucher erläutern, „während die Musiker und Poeten sowie Gaukler und
Scharlatane, die Leibniz zufolge von ‚großem ingenio‛ sein konnten, begleitende Darbietungen geboten hätten“ (Bredekamp, 2000, 14). Obgleich Leibniz’ Pläne niemals in die
Tat umgesetzt wurden, zeigt sich in seinem Wissenschaftstheater somit erstmals eines
der wesentlichen Merkmale der technischen Ausstellung: die Verknüpfung von Bildung
und Unterhaltung11.
Aufklärung und rationalistische Denkmodelle sorgten im 18. Jahrhundert allmählich für
eine weitere Neuordnung der Sammlungen. Es ist die Zeit, in der sich die moderne Museumsidee herausbildet und Museen als Orte eines allgemein verfügbaren Wissens entstehen. So wurde 1661 in Basel die Sammlung Amerbach als erstes öffentlich zugängliches
11
Zum unterhaltenden Charakter von Leibniz’ Wissenschaftstheater bemerkt Bredekamp (2000, 14): „Die
Ausstellung zeigt schon durch diesen Kreis der zu engagierenden Mitarbeiter, dass sie die Exponate
nicht nur betreuen und sichern, sondern auch inszenieren soll: eher ein frühes »Centre Pompidou« als
eine biedere Maschinenschau“.
13
Museum gegründet, gefolgt von dem Ashmolean Museum in Oxford 20 Jahre später (Pomian, 1994, 118). In London eröffnete 1757 schließlich das British Museum, hervorgegangen aus dem Ankauf der privaten Sammlung von Sir Hans Sloane durch das britische
Parlament (Pomian, 1994, 118). Einen zusätzlichen Schub bekam die Phase der Museumsgründungen vor allem im Zuge der Französischen Revolution, welche das Museum
endgültig zu einer Einrichtung der bürgerlichen Öffentlichkeit und der Volksbildung
werden ließ (Ulbricht, 1994, 268). So wurde der im Jahre 1793 eröffnete Louvre schnell
zu einem gesellschaftli-chen Wallfahrtsort. Auch die Gründung des Conservatoire National
des Arts et des Métiers, dem wohl ersten Wissenschafts- und Technikmuseum der Museumsgeschichte durch den Abt Henri Grégoire findet in Paris im Jahre 1794 im Lichte
der Revolution statt12. In Deutschland zog man Anfang des 19. Jahrhunderts nach und
gründete 1830 das konzeptionell von Wilhelm von Humboldt geprägte Alte Museum in
Berlin (Hochreiter, 1994, 9-10). Es war das erste deutsche Museum mit uneingeschränkter Zugänglichkeit und vollzog damit den „Schritt zur bürgerlichen Öffentlichkeit“
(Hochreiter, 1994, 10) im deutschen Museumswesen.
Der universelle Anspruch der Kunst- und Wunderkammern, die gesamte Welt im Kleinen darzustellen, wich in dieser Phase einer zunehmenden Spezialisierung der Sammlungen und es begann sich eine „museale Gattungsgliederung“ herauszubilden (Korff,
2002a, 6-7). Für die Sammlung technischer Objekte bedeutete dies, dass man begann
Maschinen und mathematische Instrumente getrennt von anderen Exponaten systematisch zu sammeln. Diese Spezialisierung der Sammlungen verstärkte sich weiter durch
die Herausbildung der wissenschaftlichen Fachdisziplinen im frühen 19. Jahrhundert
(Korff, 2002a, 7). Ein weiterer entscheidender Wandel vollzog sich in der Wahrnehmung der ausgestellten Gegenstände. Sie sollten dem Betrachter nicht mehr das Ferne
und Fremde näher bringen, sondern vor allem die „zeitliche Logik der Dinge“ und ihren kausalen Zusammenhang vergegenwärtigen (Korff, 2002a, 8). Die chronologische
Aneinanderreihung der ausgewählten Objekte wurde zur vorherrschenden Inszenierungsstrategie und sollte vor allem die geschichtliche Entwicklung der Menschheit offenbaren. Diese Auffassung zeigte sich zum Beispiel in der chronologischen Anordnung
der Exponate nach Schulen und Stilrichtungen im Louvre, die dem „Prinzip des historischen Fortschritts“ (Korff, 2002a, 9) entsprachen.
12
Zur Geschichte dieses Museums, siehe den Ausstellungsführer „Bienvenue au musée des arts et
métiers“ (2005).
14
1.2 Fortschrittsfeste und Maschinenschau − Die großen Weltausstellungen
Im 19. Jahrhundert wurde museales Sammeln endgültig zu einem „Totalphänomen, das
alle Bereiche der Gesellschaft erfasste“ (Klein, 2004, 140). Zahlreiche Museen wurden
gegründet und Nationalparks und zoologische Gärten avancierten zu Besuchermagneten13. Neben der Aufgabe die Zusammenhänge der Welt darzustellen und begreifbar zu
machen, hatten nun vor allem die Aspekte der Erinnerung und der Orientierung eine
zentrale Bedeutung bei der Sammlung der Gegenstände. Während außerhalb der Museumsmauern die industrielle Revolution den technischen und gesellschaftlichen Fortschritt vorantrieb und der Alltag des Einzelnen durch Urbanisierung und Industrialisierung immer unüberschaubarer wurde, versuchte man in den Museen durch die Erhaltung von alten und einzigartigen Objekten einen Kontrapunkt zu den gesellschaftlichen
Umwälzungen der Moderne zu setzen. Der haltlose moderne Mensch sollte im Museum
einen Ort der Orientierung vorfinden und ein „objektiver vogelperspektivischer Überblick der Vielfalt des Gegenständlichen“ (Klein, 2004, 141) sollte ihm die Illusion vermitteln an der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung partizipieren zu können.
„Das Museum hörte nun endgültig auf, in erster Linie ein Ort des Neuen, gerade erst
Entdeckten zu sein. Es mutierte zu einem Ort der Gegenstände, die zwar alt und überholt waren, aber angesichts des drohenden Totalverlustes der alten Lebenswelt gleichwohl als Gegengewichte taugten zur neuen, mental noch nicht verkrafteten Welt der Eisenbahn, der Stahlbauten, der Telegrafie und der Großstädte“ (Klein, 2004, 140).
Auf dem Gebiet des Ausstellungswesens jedoch bekamen die nationalen Museen Mitte
des 19. Jahrhunderts starke Konkurrenz von den großen Weltausstellungen, die aus der Tradition der Gewerbe- und Industrieausstellungen hervorgegangen waren14 und sich auf gänzlich
andere Art und Weise mit dem Erscheinungsbild der Moderne auseinander setzten. Auf
den internationalen „Weltjahrmärkten“ (Wörner, 1999, 1) feierte sich das Jahrhundert
selbst und man versuchte auf engstem Raum den gesamten kulturhistorischen Fortschritt der Menschheit einer breiten Öffentlichkeit vor- und auszustellen. Unter dem
Motto „Einheit der Menschheit“ versammelte so die erste große Weltausstellung, die
Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations, 1851 in London gut 17 000 Aussteller aus 25 Ländern und 15 englischen Kolonien unter dem gläsernen Dach des berühmten Kristallpalastes und dehnte den musealen Blick endgültig auf den gesamten Globus
aus (Kretschmer, 1999, 32). Die internationale Ausstellung, die Wirtschaft, WissenSo wurde 1872 in Wyoming der erste Nationalpark der Welt gegründet. Die ersten zoologischen Gärten
in London, Antwerpen und Berlin folgten, siehe Baratay (2000, 92).
14 Schon vor der ersten Weltrausstellung in London im Jahr 1851 hatten allein in Paris elf große nationale
Industrieausstellungen stattgefunden, bei denen die Idee entstand, industrielle Gewerbeausstellungen
mit umfangreichen Festivitäten zu verbinden (Beckmann, 1991).
13
15
schaft, Technik und Kunst an einem Ort vereinte, brachte den vorherrschenden Fortschrittsglauben im 19. Jahrhundert erstmals deutlich zum Ausdruck und wurde zum
schillernden Symbol der weltweiten industriellen Expansion.
Wie bei den folgenden Ausstellungen, legte man in London besonderen Wert darauf, die
Exponate dieser „Bestandsaufnahme[n] der industriellen Revolutionen“ (Kretschmer,
1999, 44) möglichst umfassend und nach rationalen Kriterien geordnet auszustellen.
Dieses Bestreben nach Universalität und Transparenz der Inszenierung spiegelte sich
besonders in der Architektur des Ausstellungspalastes der „Exposition Universelle de
Paris“ im Jahr 1867 wider (Wörner, 1999, 23-24). Der Architekt und Generalkommissar
der Ausstellung Frédéric Le Play schuf mit seinem 494 Meter langen Gebäude eine materielle Verkörperung des Klassifikationssystems der ausgestellten Gegenstände (Wörner, 1999, 23-24). Umgeben von sieben Galerien in der Form konzentrischer ‚Ringe‛
befand sich im Zentrum des ovalen Baus der „Jardin Central“ mit einer Ausstellung zur
Geschichte der Arbeit (Wörner, 1999, 23). Sechzehn, vom Zentrum ausgehende Gänge
unterteilten das Gebäude außerdem in unterschiedliche Ausstellungsbereiche, die den
jeweiligen Ländern zugeordnet waren. Ging man nun von innen nach außen durchwanderte man die Sektionen „Kunst, Kunstgewerbe, Möbel und Haushaltswaren, Textilien
und Rohstoffe sowie Maschinenwesen“ (Wörner, 1999, 23) und konnte sich einen Überblick über die Bandbreite der ausgestellten Exponate einer Nation machen. Folgte
man hingegen den kreisförmigen Galerien, so ließen sich in den verschiedenen Objektklassen die Exponate der teilnehmenden Nationen untereinander vergleichen.
Abbildung 1: Ausstellungsgebäude der Weltausstellung 1867 in Paris
16
Die beliebten Fortschrittsfeste entwickelten sich schnell zu Orten der nationalen Selbstdarstellung und Identitätsstiftung. Man versuchte sich durch eine möglichst spektakuläre
Inszenierung der eigenen Produkte von den Präsentationen der anderen Teilnehmer
abzuheben und begriff die Weltausstellungen als „Medium staatlicher Prestigepolitik“
(Wörner, 1999, 4). Konsequenterweise endete eine solche „Olympiade der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ (Kretschmer, 1999, 47) regelmäßig mit einer viel beachteten
Medaillenvergabe für die fortschrittlichsten Produkte und technischen Verfahren
(Kretschmer, 1999, 48). Man veranstaltete einen publikumswirksamen Wettbewerb um
Führungspositionen und Marktanteile, was Walter Benjamin zu seiner viel zitierten Kritik an den „Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware“ (Benjamin, 1983, 50) veranlasste.
Besonders der Ausstellung und Inszenierung neuester technischer Errungenschaften wie
Eisenbahnen, landwirtschaftliche Werkzeuge und Maschinen aller Art und Ausführung,
kam auf den Weltausstellungen mit ihren Millionen von Besuchern eine gewichtige Rolle
zu. Zu einer Zeit, da es noch keine speziellen Technikmuseen oder technische Universitäten gab, führten die Ausstellungen einer großen Öffentlichkeit das Gesamtbild des
technisch-industriellen Fortschritts vor Augen und sorgten mit geradezu „theatralischen
Schaustellungen“ (Hochreiter, 1994, 132) für die Popularisierung von Technik und Industrie. So sollte bereits 1851 eine riesige Maschinenhalle innerhalb des Kristallpalastes
die Überlegenheit der britischen Industrie demonstrieren (Kretschmer, 1999, 36). Auf
der zweiten großen Weltausstellung im Jahr 1855 in Paris erbaute man der Industrie mit
ihren riesigen Exponaten sogar ein eigenständiges Ausstellungsgebäude. In der Galerie
des Machines konnten die Ausstellungsbesucher die ausgestellten Dampfmaschinen dabei
erstmals voll funktionsfähig und in Bewegung bestaunen15 (Kretschmer, 1999, 65).
Immer wieder wurden die Weltausstellungen in den folgenden Jahrzehnten als Foren
genutzt, um den Besuchern auf spektakuläre Art und Weise die neuesten Sensationen
der technischen Entwicklung zu präsentieren und den Glauben an einen stetigen, linearen Aufstieg der Zivilisation zu untermauern. So wurde etwa auf der ersten amerikanischen Weltausstellung 1876 in Philadelphia mit dem berühmten Wortwechsel zwischen
Alexander Bell und seinem Assistenten der begeisterten Menge die Erfindung des Telefons vorgestellt: „Mr. Watson, come here. I want to see you!“ – „Mr. Bell, do you un15
Bereits 1851 hatte man in London kleinere Werkzeugmaschinen ‚laufend‛ ausgestellt, was dazu führte,
dass die Inszenierung der Maschinen eher Spektakel als informative Präsentation waren. Charles Babbage, renommierter Mathematiker und interessierter Beobachter der Weltausstellung, kritisierte, man
ließe die Maschinen „mit voller Kraft laufen. Aufgrund dessen war es sogar für den Berufsmechaniker
nicht leicht, die Konstruktion neuer Maschinen zu verstehen: hinter dem durch ihre rasante Bewegung
aufgewirbelten Staub war deren Aufbau nur schwer zu erkennen und der Lärm machte es den wenigen,
die die Maschinen verstanden, fast unmöglich, ihre Erkenntnisse an die vielen weiterzugeben, die so
gern informiert worden wären“ (Babbage 1854, zitiert nach Hyman, 1987, 336).
17
derstand what I say?“ (Kretschmer, 1999, 105). Auch mechanische Rechenmaschinen,
Vorläufer des modernen Computers, wurden im Rahmen der Weltausstellungen vorgeführt. So stellte der Computerpionier
Charles Babbage (1791-1871) auf der
Ausstellung 1862 in London endlich
einen funktionsfähigen Teil seiner nie
ganz fertig gestellten Difference Engine
No. 1 aus16, den er bereits im Jahre
1833 konstruiert hatte (Swade, 1991,
xii). Auf der Weltausstellung 1889 in
Paris bekam der Franzose Léon Bollée
(1870-1913) gar die goldene EhrenAbbildung 2: Léon Bollée auf der
Weltausstellung 1889 in Paris
Medaille für die mechanische Rechenmaschine Machine à Multiplier (Eames &
Eames, 1973).
Die Inszenierungen der neuen Technologien auf den großen Weltausstellungen richteten sich an eine Öffentlichkeit, die sich zunehmend für Technik zu interessieren begann
und boten somit „Anschauungsunterricht aus erster Hand“ (Kretschmer, 1999, 77).
Während sich die großen Weltausstellungen des 19. Jh. allerdings darauf beschränkten
den rasanten technischen Fortschritt zu begleiten und zu dokumentieren, begnügte man
sich im frühen 20. Jahrhundert nicht mehr mit einer bloßen Bestandsaufnahme, sondern
richtete den Blick zunehmend in die Zukunft (Kretschmer, 1999, 205). So stand beispielsweise die „New York World’s Fair“ im Jahr 1939 ganz im Zeichen der spektakulären Inszenierungen großer Konzerne, deren Ziel es war, die Besucher von den zukünftigen Segnungen der technischen Neuheiten zu überzeugen.
„Allerorten auf dem weitläufigen Gelände wurde Technik zelebriert und wurden ihre
schier unbegrenzten Möglichkeiten gefeiert. Superhighways, Massenmotorisierung, Raketenflugzeuge und Roboter ließen die Vision einer Welt entstehen, in der Technik der
bestimmende und allheilbringende Faktor sein würde […] Diese Weltausstellung war die
16
Charles Babbage wurde bereits 1851 für die Leitung der Industriekommission der ersten Weltausstellung in London vorgeschlagen, konnte sich aber gegen Widerstände aus Regierungskreisen nicht durchsetzen. Diese Vorbehalte mögen auch der Grund gewesen sein, warum Babbage seine bereits 1833 (in
Teilen) konstruierte Differenzmaschine, immerhin „das großartigste Erzeugnis der Feinwerktechnik“
dieser Zeit, nicht schon 1851 präsentieren konnte (Hyman, 1995, 318-337). Auf der Ausstellung 1862
wollte Babbage dann eigentlich eine kleine betriebsfähige Analytische Maschine präsentieren, was ihm
aber nicht rechtzeitig gelang. Stattdessen wurde die bei der Ausstellung 1851 unberücksichtigt gebliebene Differenzmaschine nun ausgestellt (Hyman, 1995, 368). In Anbetracht der unspektakulären Präsentation der Rechenmaschine, welche in seinen Augen nicht dem großen öffentlichen Interesse an seiner
Erfindung gerecht wurde, soll Babbage verärgert über das Exponat geurteilt haben: „English Engine
Poked Into a Hole“ (Swade, 1991, xii).
18
Show der Konzerne und der Showdown des weltweiten Kapitalismus. Die Zukunft war
ihre Zukunft“ (Kretschmer, 1999, 208).
Den beliebtesten Publikumsmagneten der fast 45 Millionen Besucher präsentierte General Motors mit dem „Futurama“, in welchem der Großkonzern seine Vision von der Welt
der Zukunft inszenierte (Kretschmer, 1999, 213). Die Besucher nahmen Platz auf einer
Art Förderband, welches sie über das Modell einer futuristischen Miniaturlandschaft
hinweg bewegte. Unter dem Titel „Highways und Horizonte“ (Kretschmer, 1999, 213)
erlebten die Besucher einen Flug von Küste zu Küste über das Amerika des Jahres 1960
hinweg.
Beeindruckt
von
stromlinienförmigen
Wolkenkratzern,
vierspurigen
Schnellstraßen und unterirdischen Flughäfen bekamen die Besucher am Ende der Show
einen Button mit der Aufschrift: „I have seen the future“ in die Hand gedrückt
(Kretschmer, 1999, 213). Beim Verlassen des Pavillons betrat man schließlich eine exakte Nachbildung des Platzes, den man soeben noch in der Show als Ort der Zukunft
erlebt hatte.
Im Inneren des Pavillons der Westinghouse Company präsentierte man den Besuchern ein
weiteres Highlight der Weltausstellung. Mit dem über zwei Meter großen Roboter „Electro“, der gemeinsam mit seinem Roboterhund „Sparko“ auftrat und sprechen, singen, sowie mit den Fingern rechnen konnte
(Kretschmer, 1999, 210), führte man die neuzeitliche Auseinandersetzung mit Automaten
und Androiden fort17.
Auch wenn die Tradition der großen Weltausstellungen bis in die heutige Zeit fortgesetzt
wird, konnten die Ausstellungen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. nicht mehr an den
Glanz früherer Veranstaltungen anschließen.
Dies lag vor allem an einem Bruch in der allgemeinen Wahrnehmung des technischen
Abbildung 3: Roboter "Electro"auf der
Weltausstellung 1939 in NewYork
Fortschritts, der nach den Schrecken des
Zweiten Weltkriegs weitaus negativer bewertet
und zunehmend als Bedrohung empfunden wurde (Kretschmer, 1999, 217). Auch wenn
17
Dass die Inszenierung des technischen Fortschritts mit Hilfe von Robotern und „intelligenten“ Maschinen bis in die heutige Zeit nichts von ihrer Popularität verloren hat, zeigt ein Blick auf die Expo
2005 in Aichi, auf der das Gastgeberland „mit einer wahren Armee von über hundert Robotern antreten und sich der Welt als innovative Hightechschmiede in Erinnerung rufen“ will (DER SPIEGEL
6/2005).
19
die großen Konzerne weiter versuchten die Weltausstellungen zu nutzen, um für neue
Technologien zu werben, etwa für die „glänzenden Zukunftsperspektiven der Atomenergie“ (Kretschmer, 1999, 223) auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel, sah man sich
nun mehr einem dauerhaften Legitimationsdruck ausgesetzt und musste technikkritischen Tönen gezielt entgegentreten.
1.3 Volksbildung in den Ruhmeshallen der Technik −
Die nationalen Technikmuseen
Die nationalen Museen reagierten auf die große Konkurrenz durch die Weltausstellungen mit einer zunehmenden Ausdifferenzierung des Museumswesens und zahlreichen
Neugründungen. Wesentlicher Ansporn war dabei der Wunsch, die temporär auf den
Ausstellungen gezeigten Zeugnisse der menschlichen Kultur auch dauerhaft zugänglich
zu machen (Wörner, 1999, 237). Angesichts des großen Erfolges der von technischen
Exponaten dominierten Welt- und Fachausstel-lungen, formierten sich vor allem die
naturwissenschaftlich-technischen Museen endgültig zu einer eigenen Museumsgattung.
So wurde etwa unter dem Einfluss der ersten Weltausstellung 1851 in London das industriell ausgerichtete South Kensington Museum18 gegründet, das über seinen dezidierten
Bildungsauftrag zur „Integration von Arbeitern und Kleinbürgern in den englischen
Staat“ (Hochreiter, 1994, 131) beitragen sollte und neben dem 50 Jahre zuvor gegründeten Conservatoire National des Arts et des Métiers in Paris schnell zum bedeutendsten
Technikmuseum der damaligen Zeit aufstieg. In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurden
schließlich „in nahezu allen entwickelten Industrieländern“ (Klein, 2004, 147) Technikmuseen gegründet: das Deutsche Museum in München (1903), das Technische Museum in
Wien (1912) und die Technikmuseen in New York (1930) und Chicago (1936) sind nur
einige Beispiele für diesen Museumsboom (Klein, 2004, 147). Die neuen technischen
Museen orientierten sich an der Fortschrittseuphorie und Technikbegeisterung der
Weltausstellungen, bemühten sich jedoch neben der Inszenierung neuester Technologien vor allem um eine historische Einordnung der Exponate in ihre Ursprungs- und
Entwicklungsgeschichte. Dabei stützte sich die Arbeit der Museen auf den volkspädagogischen Grundgedanken, dass das gesammelte Fachwissen über den technischen
Forschritt breiten Bevölkerungskreisen zur Verfügung stehen müsse (Ulbricht, 1994,
266).
Beispielhaft für die neuartige Museumsdidaktik der Volksbildung im naturwissenschaftlich-technischen Museum ist die Gründungphase des Deutschen Museums in München,
18
Heute London Science Museum
20
nach eigener Darstellung heute „unstrittig das größte und bedeutendste Wissenschaftsund Technikmuseum der Welt“ und „Lieblingsmuseum der Deutschen“ (Felhammer,
2003a, 7). Der Bauingenieur Oskar von Miller (1855-1934), berühmter „Gründungsvater“ (Hochreiter, 1994, 126) des Museums, hatte seine ersten Erfahrungen mit dem zeitgenössischen Ausstellungswesen in den Jahren 1881 und 1891 bei der Organisation der
elektrotechnischen Ausstellungen in München und Frankfurt gemacht und beschäftigte
sich in der Folge erstmals mit der Idee einer Museumsgründung (Füßl, 2003, 63). Miller
wollte durch die Gründung eines nationalen technischen Museums die Bedeutung der
Naturwissenschaft und der Technik für die Kulturgeschichte der Menschheit dokumentieren und zu einer gesellschaftlichen Anerkennung der Leistung von einheimischen
Wissenschaftlern und Ingenieuren beitragen (Füßl, 2003, 59-60). Das neue Museum
sollte „eine Ruhmeshalle für die Männer werden, deren Forschung und Arbeiten wir in
erster Linie den hohen Stand der heutigen Kultur verdanken“ so der Ingenieur Miller im
Jahr 1903 (zitiert nach Hochreiter, 1994, 141).
Doch die Gründung des „Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“ am 28. Juni 1903 kann nicht allein auf das Wirken von Oskar von
Miller zurückgeführt werden, sondern entsprach vor allem „den Interessen lokaler, regionaler und nationaler Eliten“ (Hochreiter, 1994, 134). Hinter die Museumsgründung
stellte sich vor allem der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), welcher die Arbeit seiner Mitglieder endlich mit dem Beitrag der traditionellen Bildungselite gleichgestellt sehen wollte (Hochreiter, 1994, 135). Während die Bedeutung der Technik im 19. Jahrhundert
stetig zugenommen hatte, kämpften Ingenieure und Techniker im Kaiserreich nach wie
vor um Anerkennung19 und erhofften sich von der geplanten Museumsgründung eine
Würdigung ihrer Leistungen um den technischen Fortschritt. Außer auf die Unterstützung des VDI konnte sich Oskar von Miller auf einen Kreis bedeutender Fürsprecher
aus Industriellen und Wissenschaftlern verlassen, die der Ingenieur im Vorfeld der
Gründungsversammlung für sich eingenommen hatte20. Fürsprecher hatte der Museumsgründer außerdem in der bayerischen Regierung, die sich von der Museumsgründung einen bedeutenden Prestigegewinn für Bayern und die Stadt München versprachen
(Füßl, 2003, 63).
Da die technische Ausbildung im Allgemeinen als minderwertig gegenüber den klassischhumanistischen Fächern galt, mussten Ingenieure und Techniker um die Gleichstellung ihrer Qualifikation lange kämpfen. Erst 1899 wurde ihnen das Promotionsrecht eingeräumt und damit der Weg zu
höheren Beamtenpositionen ermöglicht (Hochreiter, 1994, 136-137).
20 Vor allem die Vertreter der Industrie hatten großes Interesse an einer musealen Würdigung ihres Beitrages zum allgemeinen technischen Fortschritt. So entsandte sowohl der „Centralverband deutscher
Industrieller“ als auch die Firma Siemens einen Vertreter in den Vorstandsrat des Museums (Hochreiter, 1994, 141).
19
21
Schwieriger gestaltete sich hingegen das Unterfangen, das neue Museum als gesamtdeutsches Projekt zu realisieren und sich die finanzielle wie inhaltliche Unterstützung der
Reichsregierung zu sichern. Wie die Satzung betonte, sollte es sich beim Deutschen Museum um „eine deutsche Nationalanstalt“ handeln, „bestimmt, dem gesamten deutschen
Volk zu Ehr’ und Vorbild zu dienen“ (Füßl, 2003, 81). Die geschickte Knüpfung entscheidender Kontakte zur Reichsleitung durch Oskar von Miller auf der einen und die
Aufgeschlossenheit des Kaisers der Technik gegenüber auf der anderen Seite (Hochreiter, 1994, 151-154) führte schließlich dazu, dass Kaiser Wilhelm persönlich am 12. November 1906 die erste provisorische Ausstellung im Alten Nationalmuseum eröffnete und
einen Tag später den Grundstein für das neue Museumsgebäude auf der Kohleinsel
(heute: Museumsinsel) legte (Füßl, 2003, 64). Entgegen der anfänglichen Zweifel versprach sich die Reichsleitung nun von dem neuen Museum die „Förderung der deutschen Naturwissenschaften und Technik“ (Hochreiter, 1994, 151), sowie eine „machtvolle Demonstration der Einheit deutscher Bundesstaaten“ (Hochreiter, 1994, 153), um
die weltpolitische Rolle Deutschlands zu unterstreichen. Aber auch an einer breiten
„Popularisierung von natur- und ingenieurwissenschaftlichen Erkenntnissen“ (Hochreiter, 1994, 154) war man in Berlin interessiert, um die Weltmachtstellung des Kaiserreichs auch auf diesem Gebiet zu sichern.
Obwohl bereits die provisorische Ausstellung äußerst erfolgreich war21 verzögerte sich
der Bau des eigentlichen Museumsgebäudes durch den Weltkrieg und die anschließende
schlechte wirtschaftliche Lage (Füßl, 2003, 66). Erst am 7. Mai 1925 konnte das neue
Gebäude im Rahmen eines umfangreichen Wissenschaftsfestes und einem Festzug
durch die Münchener Innenstadt offiziell eröffnet werden (Füßl, 2003, 67). Die Geschäftsführung und damit auch die inhaltliche Leitung des Museums hatte der Vorstand
inne, der sich in den ersten Jahren aus Oskar von Miller, dem Mathematiker und Rektor
der TH München Walther von Dyck (1856-1934) und dem Industriellen Carl von Linde
(1842-1934) zusammensetzte (Füßl, 72). Zweck und Aufgabe des neuen Museums sah
man laut Satzung vor allem darin, „die historische Entwicklung der naturwissenschaftlichen Forschung, der Technik und der Industrie in ihrer Wechselwirkung darzustellen
und ihre wichtigsten Stufen insbesondere durch hervorragende und typische Meisterwerke zu veranschaulichen“ (Füßl, 2003, 81). In der Inszenierung der gesammelten
Objekte als Meisterwerke zeigte sich unterdessen der Wille, die Verdienste von Industriellen, Ingenieuren und Wissenschaftlern als wichtigen Teil der Kulturgeschichte des Menschen zu würdigen. Die Botschaft lautete:
21
Schon im ersten Ausstellungsjahr 1907 kamen 211.000 Besucher (Füßl, 2003, 64).
22
„Nicht nur Künstler schufen Meisterwerke, sondern auch Techniker; nicht nur Philosophen hatten geniale Einfälle, sondern auch Erfinder; nicht nur die mittelalterliche Gesellschaft hinterließ Reliquien, sondern auch die zeitgenössische Technik“ (Hochreiter,
1994, 155).
Die ideologische Ausrichtung der Museumsarbeit orientierte sich dabei bewusst an dem
zeitgenössischen Kulturverständnis und lehnte sich damit an die Präsentation der populären Kunstmuseen an (Hochreiter, 1994, 172). Man versuchte die technischen Errungenschaften in den traditionellen Bildungskanon zu integrieren und ließ Technikgeschichte als „Tat der großen Männer“ (Hochreiter, 1994, 161) erscheinen. Die Darstellung der ‚Wechselwirkungen‛ zwischen Forschung, Technik und Industrie sollte durch
die Gestaltung historischer Entwicklungsreihen erreicht werden, in denen besonders
bedeutsame Exponate in chronologischer Abfolge aneinandergereiht wurden (Hochreiter, 1994, 160). Um ein lückenloses Bild der Stufen des technischen Fortschritts präsentieren zu können wurden hier auch erstmalig Replikate und Rekonstruktionen historischer Objekte eingesetzt (Hochreiter, 1994, 161). Dem logischen bzw. chronologischen
Aufbau der Entwicklungsreihen wurde somit mehr Bedeutung beigemessen als dem
Status der Objekte. Entsprechend begriff Oskar von Miller das Museum vor allem als
Lehrbuch und sah in den Exponaten zunächst „bloße Illustrationen zu den Texttafeln“
(Hochreiter, 1994, 161). Der weiterhin allgemein herrschende Fortschrittsoptimismus
sorgte außerdem dafür, dass die historischen Entwicklungsreihen bis zum „allerneuesten
Produkt“ (Hochreiter, 1994, 160) der Gegenwart fortgesetzt wurden und dem Besucher
den fortwährenden, linearen Aufstieg vom ‚Einfachen‛ zum ‚Kompliziertesten‛
suggerierte.
Die Konzentration auf die Einzelpersönlichkeiten und die ehrfürchtige Inszenierung
ihrer technischen Meisterwerke hatten erheblichen Einfluss auf die didaktische Ausrichtung des Museums und führten zu einer „technikimmanenten Darstellungsweise“
(Hochreiter, 1994, 161). Volksbildung im Technikmuseum bedeutete die bloße Erklärung der Funktionsweise der ausgestellten Objekte und ihrer Bedeutung in der Technikgeschichte; eine kontextuelle Einbettung der Technik in den wirtschaftliche, sozialen
oder kulturellen Zusammenhang fand nicht statt. Prominentester Kritiker der einseitigen
Inszenierungsstrategie Millers war der Charlottenburger Professor Alois Riedler (18501936), der als Delegierter des Reichskanzlers dem Vorstandsrat des Museums angehörte
(Hochreiter, 1994, 163) und seine Zweifel folgendermaßen ausdrückte:
„Ihre Systematik berücksichtigt überwiegend nur die zufälligen Gestaltungen der Technik
auf ihrem Entwicklungswege. […] Auf solchem Wege lassen sich daher wohl die Äußerlichkeiten der Technik für Laien und Fachleute anschaulich darstellen, der innere Wert
23
des Dargestellten wird aber naturgemäß sehr gering sein. Nun sind aber Maschinen und
Apparate, Brücken und Instrumente und alles, was sie innerhalb Ihrer Systematik darstellen können, immer nur Hilfsmittel der Technik. Der innere Wert der Entwicklung
kommt nicht oder nicht genügend zur Darstellung, weil die Darstellung der Wirkungen
der Technik vollständig oder im Wesentlichen fehlt. Auf die Wirkungen im weitesten Sinne,
nicht bloß im engen technischen Sinne, kommt es aber vor allem an. […] Außerdem ist
in rein technischer Hinsicht maßgebend, dass Erfindungen selten aus reiner Geistestätigkeit entspringen, sondern meist aus tatsächlichen Bedürfnissen, auf Grund deren der
Fortschritt meistens mehr gefunden als erfunden wird. […] Ein technisches Museum
muss Sammelpunkt für die Darstellung einer wirklichen Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Menschengemeinschaft sein; dann muss es aber eine eindringliche und
einigermaßen genügende Darstellung der Kulturzustände geben, die durch die Technik
herbeigeführt wurden“ (Riedler 1905, zitiert nach Hochreiter, 1994, 163).
Wie im Laufe dieser Arbeit noch zu zeigen sein wird22, nehmen zeitgenössische Ausstellungen zur Geschichte des Computers immer wieder Bezug auf die Vorgeschichte der
klassischen Rechenhilfsmittel, Rechenstäbe und mechanischen Rechenmaschinen. Die
Geschichte des Computers wird im umfassenderen Kontext der Geschichte des
menschlichen bzw. automatisierten Rechnens erzählt. Entsprechend lassen sich bereits
unter den verschiedenen Themengebieten der neu gegründeten nationalen Technikmuseen Ausstellungsbereiche finden, die man aus heutiger Sicht als „Vorläuferausstellungen der Computerausstellungen“ (Hashagen, 2005, 4) interpretieren kann. So gab es
bereits im Jahr 1926 im Technikmuseum in London eine Ausstellung mit dem Titel
„Calculating Machines and Instruments“, die sich mit Themenbereichen wie „Calculating Machines“ und „Difference and Analytical Engines“ unter anderem mit dem britischen Erfinder Charles Babbage beschäftigte (Hashagen, 2005, 5). Im Conservatoire des
Arts et des Métiers in Paris folgte man 1942 mit einer ähnlichen Ausstellung unter dem
Titel „Instruments et machines à calculer“ (Hashagen, 2005, 5).
Vor den beiden europäischen Konkurrenten hatte sich jedoch das Deutsche Museum
bereits bei der Eröffnung des Neubaus und eigentlichen Museumsgebäudes im Jahr
1925 dem Thema ‚Rechnen und Rechner‛ in seiner Mathematikausstellung gewidmet.
Der Mathematiker und Rektor der TH München Walter von Dyck, der gemeinsam mit
Oskar von Miller und Carl Linde den Vorstand des Museums bildete, hatte sich schon
früh bemüht „der Mathematik eine Rolle im Deutschen Museum zu verschaffen“ (Hashagen, 2005, 5), da sie seiner Meinung nach einen entscheidenden Teil der modernen
Wissenschaften und Technik darstellte. Von Dyck war sich allerdings stets bewusst, dass
die Ausstellung einer naturwissenschaftlichen Disziplin im Museum aufgrund ihrer Abstraktheit und Komplexität nur unzulänglich ausfallen kann. Entsprechend antwortete er
22
Siehe dazu auch Kapitel 3.1 dieser Arbeit.
24
anlässlich der Eröffnung des neuen Museumsgebäudes auf die Kritik seiner Fachkollegen:
„Wesen, Inhalt und Ziele der mathematischen Forschung in ihrer Gesamtheit vor Augen zu führen, kann nicht Aufgabe eines Museums sein; aber die Richtungen, nach welchen das sinnliche Objekt in der Mathematik Selbstzweck ist oder als Mittel zum Zweck
dient, können aufgewiesen werden. Damit ist, wenn auch nur ein kleiner Teil der Mathematik, so doch ein großer Kreis von mathematischen Fragestellungen bezeichnet,
welche seit alten Zeiten den Geist des Menschen angezogen haben und die er mit Phantasie und Scharfsinn zu lösen sich bemühte“ (von Dyck 1925, zitiert nach Petzold, 2003,
208).
Die Ausstellung war unterteilt in die vier Themengebiete „Elementare und höhere Geometrie“, „Anwendung der Geometrie in der Analysis“, „Angewandte Mathematik“ und
„Mechanisierung des Zeichnens und Rechnens“ (Hashagen, 2005, 5). Zentrale Exponate waren „mathematische Objekte“, die mechanische Rechenmaschinen, Rechenstäbe,
Planimeter und harmonische Analysatoren umfassten (Hashagen, 2005, 5). Ein großer
Teil der mathematischen Objekte aus der Ausstellung von 1925 wurde 1988 in die Ausstellung „Informatik“ integriert und dient nun zur Präsentation der Vorgeschichte des
Computers23. Zum Bereich der Automaten und Automatiken, der ebenfalls in der heutigen Informatik-Ausstellung als eine Entwicklungslinie zum modernen Computer zur
Geltung kommt, wurde in der Mathematik-Ausstellung von 1925 noch keine Verbindung hergestellt. So wurde der berühmte Trompeter-Automat von Friedrich Kaufmann,
heute ein zentrales Exponat der Informatik-Ausstellung (Bauer, 2004, 148), 1925 in der
Abteilung Musikinstrumente gezeigt (Hashagen, 2005, 5).
Abbildung 4: Ausstellung "Mathematik" im Deutschen Museum (1925)
23
Siehe Kapitel 2.3 dieser Arbeit.
25
2
Computer sammeln − Computer ausstellen
„Regardless of what the coming decades bring, however, I believe that the story of
computing from the end of World War II to the mid-1990s will come to be seen as beginning one of the great transformations of American life, and I also believe that now is
a good time to start telling that story“ (Ceruzzi, 1998, x).
Die technischen Transformationen und Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts werden gemeinhin als Schritte auf dem Weg von der Industriegesellschaft
zur „Informationsgesellschaft“ (Flusser, 1997, 143) interpretiert. Im Zentrum dieses
technologischen und gesellschaftlichen Wandels steht die Entwicklungsgeschichte des
modernen Computers. Kein anderer Gegenstand verkörpert den Aufstieg der Informationstechnologie in den letzten Jahrzehnten so sehr wie die ‚universelle Maschine‛, die
im medialen Alltag selbstverständlich und allgegenwärtig geworden ist. Die „überragende Gegenwartsbedeutung der Informationstechnik“ (HNF, 2000, 3) macht den Computer dabei zu einem attraktiven Ausstellungsobjekt für Firmen- und Technikmuseen. Die
Geschichte der digitalen Maschine will erzählt werden.
Das folgende Kapitel wirft einen Blick auf die Geschichte des Computers als Ausstellungsobjekt und nennt die wichtigsten Ausstellungen zur Geschichte des modernen
Computers im angloamerikanischen und europäischen Raum24. Dabei treten zwei
Gruppen als Initiatoren von Computerausstellungen bzw. Computermuseen besonders
in Erscheinung. Während Unternehmen und einzelne Personen aus der Computerindustrie von jeher ein großes Interesse an der Darstellung und Würdigung ihrer Beiträge
zur Geschichte des Computers im Rahmen öffentlicher Ausstellungen haben, versuchen
die Technikmuseen ihrer traditionell fortschrittsbegleitenden Funktion nachzukommen
und die nationale Entwicklungsgeschichte des Computers einem breiten Publikum zu
‚erklären‛. Neben diesen zwei wesentlichen Interessengruppen kommen auch immer
wieder Initiativen zu Ausstellungsgestaltungen aus dem Umfeld der Universitäten und
technischen Fachhochschulen, die zum Teil sogar eigene Sammlungen und Ausstellungen betreiben. Nicht zuletzt gehen viele wichtige Impulse auf engagierte Privatsammler
zurück, aus deren Sammelleidenschaft und ehrenamtlicher Initiative zahlreiche kleine
Computerausstellungen und -museen entstanden sind.
24
Die Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit Ausstellungen zur Geschichte des Computers in naturwissenschaftlich-technischen Museen bzw. eigenen (historischen) Computer- und Firmenmuseen, mit Ausstellungen also, die auf ‚musealen Sammlungen‛ beruhen. Unberücksichtigt bleiben daher sowohl andere nicht-museale Ausstellungstypen (z.B. Fachmessen, Großausstellungen oder Science Centres) als
auch museale Ausstellungstypen, die zwar Computerexponate zeigen, aber nicht explizit die Geschichte
des Computers zum Thema haben (z.B. Kommunikationsmuseen, Designmuseen, Medienkunstzentren, etc.). Zur Abgrenzung musealer und nicht-musealer Präsentationen („Schaustellungen“) siehe Waidacher (2005, 121-122).
26
Es fällt auf, dass bei der musealen Darstellung von Computergeschichte zwei Richtungen vorherrschen. Zum einen versuchen die Firmen-, Technik- und Universitätsmuseen
die Entwicklungsgeschichte des Computers zu ‚erzählen‛ und dramaturgisch aufzubreiten. Andererseits haben sie das Bestreben die komplexe digitale Technologie historisch
zu ‚erklären‛ und den Computer zu ‚entmystifizieren‛. Der folgende Überblick zeigt, dass
beide Richtungen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr nebeneinander
in den Ausstellungskonzeptionen der Museen auftreten können.
2.1 Eine Frage der Perspektive −
Die erste Ausstellung zur Computergeschichte
Die erste große Ausstellung zur Computergeschichte geht auf die Initiative eines der
größten und kommerziell erfolgreichsten Unternehmen der Computergeschichte zurück. Bei Industrial Business Machines (IBM), Anfang der 70er Jahre der größte Computerhersteller der Welt, hatte man früh erkannt, dass sich durch die Inszenierung der Computergeschichte im Rahmen einer Ausstellung, die eigenen Anteile an dieser ‚Erfolgsgeschichte‛ einem breiten Publikum darstellen ließen und man somit Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung des Unternehmens nehmen konnte. Man beauftragte das renommierte Designbüro der Brüder Charles (1907-1978) und Ray Eames (1912-1988)
mit der Gestaltung der Ausstellung und entschied sich für das eigene IBM Exhibit Centre
in New York als Ausstellungsort. Als „A Computer Perspective“ im Jahr 1971 eröffnete,
konnten die Ausstellungsbesucher erstmals eine umfangreiche Inszenierung der Geschichte des modernen Computers bestaunen25.
Die Gebrüder Eames sahen den Computer als Resultat eines komplexen Netzwerkes
von innovativen Kräften auf der einen und sozialen wie technischen Zwängen auf der
anderen Seite. Die immer neuen Versuche, die Probleme aus „Wirtschaft und Industrie,
Wissenschaft und Technik, Erziehung, Psychologe und Politik“ (Eames & Eames, 1973,
6) zu lösen, führten demnach schließlich als eine „natürliche Folge“ menschlicher Lebensbewältigung zu der Erfindung des Computers.
„By 1950 the computer had appeared in essentially its present form. But even those
closest to it were unprepared for what would follow. The computer’s spectacular growth
– in numbers, in capability, in application – came as one of the great surprises of modern times. What may not be surprising, but can be heartening, is that the computer appears to be the result of many people trying to solve many problems in many fields − as
25
Siehe den begleitenden Ausstellungskatalog von Charles und Ray Eames (1973) mit einer Einführung
des Wissenschaftshistorikers Bernard Cohen: „A Computer Perspective. By the office of Charles & Ray
Eames“.
27
a natural consequence of getting on with the business of life in general” (Eames &
Eames, 1973, 161).
Dieser Konzeption folgend wurden auf der zentralen Installation der Ausstellung, einer
über zwei Meter hohen „History Wall“, die komplexen Ursprünge des Computers dargestellt, unterteilt in sechs Abschnitte, von denen jeder eine Dekade zwischen 1890 und
1950 behandelte. In eine dreidimensionale Gitterkonstruktion wurden für jeden Abschnitt Dokumente, Fotografien und originale Exponate integriert. Der Ausstellungsbesucher, der sich entlang der Wand chronologisch durch die Computergeschichte bewegte, hatte durch die dreidimensionale Konstruktion den Eindruck, dass die Exponate aus
dem Hintergrund der Installation im Vorbeigehen erschienen und wieder verschwanden
und somit den Lauf der Zeit simulierten (Eames & Eames, 1973, 7).
Abbildung 5: „History Wall“, zu sehen auf der
IBM-Ausstellung „A Computer Perspective“ (1971)
Zur Orientierung in der komplexen Anordnung von Objekten, Texttafeln und Fotografien wurde eine Reihe didaktischer Hilfsmittel eingesetzt: „a series of guides and a
system of color coding showed the main lines of development which only patient study
and research may unravel from historical events“ (Eames & Eames, 1973, 7).
Als „zwingenden Anfangspunkt“ ihrer Genealogie des Computers wählten die Ausstellungsdesigner die Volkszählung 1890 in den Vereinigten Staaten, da hier erstmals das
elektro-mechanische Lochkartensystem von Herman Hollerith (1860-1929) zum Einsatz
kam und die „information-handling revolution“ einleitete (Eames & Eames, 1973, 8).
Da Hollerith später die Tabulating Machine Company gründete, eine der Organisationen
aus denen sich IBM entwickelte, fallen hier der Anfang der Computergeschichte und der
Beginn der IBM Firmengeschichte wohl nicht zufällig zusammen (Hashagen, 2005, 6).
28
Die Chronologie der Ausstellung endete im Jahre 1950, da hier aus Sicht der Ausstellungsdesigner die „computer revolution“ mit der „ersten Generation moderner Computer“ (Eames & Eames, 1973, 8) vollständig eingeleitet war. Der entscheidende Innovationsschritt zur Erfindung des modernen Computers gelang demnach John von Neumann (1903-1957) in seinem Bericht zum EDVAC, in welchem er die später nach ihm
benannte Rechnerarchitektur aus Steuerung, Rechenwerk, Speicher sowie Ein- und
Ausgabe beschrieb26.
Das zugrunde liegende historische Konzept der Ausstellung berücksichtigt nicht nur die
reine Technikgeschichte des digitalen Rechners, sondern beschäftigt sich vor allem mit
den Menschen, die durch ihre persönlichen Leistungen und Visionen die Entwicklung
des Computers vorangetrieben haben:
„We are reminded that the computer is the product of men’s minds and hands, and that
the manifest complexities of its influence upon our lives reflect the incredible variety
and complexity of sources from which it has sprung“ (Eames & Eames, 1973, 6).
Drei zentrale Innovationsfelder wurden in diesem Spannungsfeld zwischen technischer
und soziokultureller Entwicklungsgeschichte in den Vordergrund gerückt: Die Entwicklungsstränge „logical automata“, „statistical machines“, und „calculators“ (Eames &
Eames, 1973, 7) veranschaulichten die elementaren Konzepte Selbstregulierung, Informationsverarbeitung und Recheninstrumente, die in der Erfindung des Computers aufgehen.
Erstmalig wurde auch die Geschichte der Automaten und Automatiken als Teil der
Vorgeschichte des Computers aufgefasst (Hashagen, 2005, 6).
Die überaus erfolgreiche Ausstellung „A Computer Perspective“ gilt als „Meilenstein
der Ausstellungsgeschichte der Computerausstellungen“ (Hashagen, 2005, 6) und erscheint aus heutiger Sicht wie eine Art vorläufige Zwischenbilanz. Akzeptiert man eine
teleologische Auffassung der Technikgeschichte des Computer, wie die Brüder Eames
sie mit ihrer Ausstellung suggerieren, so ließe sich der Entwicklungsschritt zum digitalen
Rechner im Jahre 1950 aus unserer heutigen ‚Perspektive‛ wohl eher als ein Etappenziel
unter vielen bezeichnen, auf dem Weg zu der Technologie, die uns heute im medialen
Alltag begleitet. Es war daher eine Stärke von „A computer Perspective“, den Besucher
bereits durch den Titel der Ausstellung darauf hinzuweisen, dass die Inszenierung der
26
Mit dem EDVAC entwarf John von Neumann eine Weiterentwicklung des berühmten ENIAC, dem
ersten programmierbaren Rechner mit Vakuumröhren. Im Unterschied zum ENIAC war es beim
EDVAC erstmals möglich ein Programm anhand vorgestanzter Lochkarten direkt in den Computer
einlesen zu lassen und somit immer wieder zu verändern. Diese Anpassungsfähigkeit macht den Computer erst zur „universellen Maschine“. Die „von Neumann-Architek-tur“ beschreibt den Aufbau von
fast allen heute genutzten Computern (Wurster, 2002, 20-23), siehe auch Kapitel 3 dieser Arbeit.
29
Brüder Eames nur eine Perspektive zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die Geschichte
des Computers darstellte. Und in der Tat ereigneten sich gerade Anfang der siebziger
Jahre mit der Erfindung der Mikrochiptechnologie27, der Einführung neuer InterfaceTechnologien28 und ersten Heim-Computern29 weitere ‚Revolutionen‛ der Computertechnologie, welche die gesellschaftliche Perspektive auf den Computer entscheidend verändern
sollten.
Ein großer Erfolg war die Ausstellung vor allem für den Auftraggeber IBM. Das große
Interesse auf einem Gebiet der Computertechnologie als ‚Erster‛ oder ‚Vorreiter‛ dazustehen, machte die chronologische bzw. genealogische Darstellung der Computergeschichte für das Unternehmen höchst attraktiv. Neben dem Imagegewinn und der Steigerung der Anerkennung, hat das Interesse ‚Erster‛ zu sein dabei vor allem wirtschaftsrechtliche Gründe, wie der amerikanische Historiker und Kurator Steven Lubar anführt:
„The patent system is, after all, based on history – or rather chronology – and the computer industry has seen several major patent fights. ‘History‛ is of great importance
when patents covering products with multimillion-dollar sales are at stake“ (Lubar 1986,
98-99).
IBM ließ weitere Ausstellungen zur Computergeschichte folgen und gründete später
sogar ein eigenes Firmenmuseum (Lubar, 1986, 98).
2.2 Zwischen Firmengeschichte und Spaßpädagogik −
Das erste Computermuseum
Es überrascht kaum, dass die Geschichte des weltweit ersten Computermuseums ebenfalls im Hause eines der bedeutendsten Unternehmen der Computergeschichte beginnt.
Im Jahre 1973 rettete Kenneth H. Olsen (*1926), Gründer und Präsident der Digital
Equipment Corporation (DEC)30, gemeinsam mit Bob Everett (*1921) den berühmten
Whirlwind-Computer vor der Verschrottung. Olsen hatte Anfang der 50er Jahre noch
Der Firma Intel gelingt es 1971 mit dem 4004 den ersten Mirkoprozessor der Welt zu bauen (Ceruzzi,
1998, 220).
28 1973 ist der Alto der erste Computer, der durchgängig Grafik für die Kommunikation mit seinem Anwender einsetzt. Außerdem verfügte das Alto-System über einen hochformatigen Grafikbildschirm als
Repräsentation eines Papierblatts, und eine Erfindung von Douglas Engelbert aus dem Jahr 1968: die
Maus (Ceruzzi, 1998, 260-263).
29 Der zunächst als Bausatz angebotene Altair 8800 wird in den USA 1974 zu einem kommerziellen Erfolg als der erste Computer, der so klein und billig ist, dass man ihn sich als Privatperson zulegen kann
(Ceruzzi, 1998, 232).
27
30
Digital Equipment Corporation wurde 1957 von Ken Olsen gegründet und brachte 1965 mit dem
PDP-8 den ersten Minicomputer mit integrierten Schaltkreisen auf den Markt. Das innovative Arbeitsumfeld und die engen Verbindungen mit den Forschungseinrichtungen des MIT machten DEC vorübergehend zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für IBM (Ceruzzi, 1998, 127-141).
30
selbst an der Umrüstung des Whirlwind von Speicherröhren auf die zuverlässigere
Kernspeichertechnologie mitgewirkt und arbeitete, wie auch die meisten späteren Angestellten von DEC, als Student für das Lincoln Laboratory am MIT (Ceruzzi, 1998, 127).
Nach der Rettung des Whirlwind dachte Olsen erstmalig über einen Ort nach, an welchem man solche Schätze der Computergeschichte dauerhaft konservieren und ausstellen könnte (Bell, 1982). Nach dieser Initialzündung erwarb Olsen den TX-0, Vorgänger
des PDP-1, und konnte seine zunächst kleine Sammlung durch einige Spenden aus der
Industrie um weitere ‚Klassiker‛ erweitern, die ohne seine Engagement wohl auf dem
Müll gelandet wären (Bell, 1982).
Zur gleichen Zeit dachte Gordon Bell, Mitarbeiter bei DEC, ebenfalls über die Gründung eines Computermuseums nach. Bell beschäftigte sich intensiv mit der Entwicklungsgeschichte des Computers und hatte von zahlreichen Reisen viele ausrangierte
Computerteile und alte Rechenmaschinen mitgebracht, die er zunächst in seinem Büro
ansammelte (Bell, 1982). Nach einigen Jahren waren die Sammlungen von Bell und Olsen soweit angewachsen, dass man sich bei DEC zum 25. Geburtstag des Unternehmens dazu entschloss, ein gerade erworbenes Gebäude für ein Firmenmuseum zur Verfügung zu stellen. Am 23. September 1979 feierten Ken Olsen und Gordon Bell die
Eröffnung des ersten Computermuseums der Welt, dem Digital Computer Museum in
Marlboro (Massachusetts) (Bell, 1982). Unter den ersten Exponaten des Museums fand
sich auch der Whirlwind wieder, dem der Besucher als erstes Exponat der Ausstellung
begegnete. Wie Steven Lubar später bemerkte, ließ das Digital Computer Museum, welches noch immer ausschließlich von der DEC finanziert wurde, zu keinem Zeitpunkt
Zweifel daran, dass es sich bei dem Whirlwind um den „wichtigsten der frühen modernen Computer handelte“ (Lubar, 1986, 100). Gwen Bell, die erste Direktorin des Museums, nannte als die zentralen Aufgaben des Museums die Konservierung historisch bedeutsamer Objekte der Computergeschichte und die Ausstellung dieser Exponate für
die interessierte Fachöffentlichkeit:
„The major purpose of the Museum is the historical preservation of the evolution of
computers […] Revealing the intrinsic beauty and functionality of the exhibited machines is our challenge and goal. The main audience for the historic and archival collections are computer scientists, programmers, history buffs, and those with a curiosity
about computer evolution” (Bell, 1982).
31
Nachdem das Firmenmuseum 1982 in ein öffentliches Computermuseum umgewandelt
wurde, entschied man sich für den Umzug in ein renoviertes Hafengebäude in Boston31,
in welchem sich bereits das Boston Science Museum für Kinder befand. Rund 5500 qm2
Fläche auf zwei Stockwerken standen zur Verfügung, als das Boston Computer Museum
(BCM) 1983 eröffnete. Den Anfang der Ausstellung bildete wiederum der Whirlwind,
nun aber gemeinsam ausgestellt mit seinem Nachfolgemodell IBM AN/FSQ-7 und dem
UNIVAC1 von Remington Rand − ein Zeichen dafür, dass sich das Museum langsam
von dem Einfluss der DEC löste (Lubar, 1986, 101). Ohne den Stellenwert dieser historischen Großrechner in der Computergeschichte durch Texttafeln näher zu erläutern,
setzte man im BCM diesmal auf die Gegenüberstellung von alter und neuer Computertechnologie. So stellte man zum Beispiel dem Whirlwind einen zeitgenössischen Personalcomputer gegenüber, der dieselben Rechenoperationen wie der historische Großrechner in einem Bruchteil der Zeit durchführen konnte (Bell, 1984/85). Neben dieser
auch für spätere Computermuseen charakteristischen Inszenierungsstrategie32, griff man
allerdings auch im BCM wieder auf die obligatorische chronologische Zeittafel zur Darstellung der Computergeschichte zurück und präsentierte die Entwicklung des Computers von 1950 bis 1969 (Bell, 1984/85). Beginnend mit der Erfindung des Transistors
und abschließend mit den ersten integrierten Schaltkreisen, sollte ähnlich wie bei „A
Computer Perspective“ beim Besucher der Eindruck eines Gangs durch die Geschichte
evoziert werden:
„The timeline is meant to be evocative of a walk through history. We hope that it will
also bring to light many hitherto buried artefacts for preservation as part of the history
of information processing“ (Bell, 1984/85).
Steven Lubar bemängelte in seiner Ausstellungsrezension aus dem Jahr 1986 an dieser
chronologischen Präsentation der Computergeschichte, dass das BCM nur die technischen Fakten zeige und die soziokulturellen Faktoren vernachlässige:
„The history of computers presented at the Computer Museum is, for the most part, a
history of machines, not a history of people“ (Lubar, 1986, 102-103).
Während das Boston Computer Museum und sein Vorgänger sich in den ersten Jahren
vor allem auf die Aufgaben der Konservierung und historischen Aufbereitung der
Sammlung konzentrierten, nahm man in den folgenden Jahren auch das für TechnikmuFür die Geschichte des inzwischen geschlossenen Boston Computer Museum siehe die Selbstdarstellung des daraus hervorgegangenen Computer History Museum in Mountain View, Kalifornien:
http://www.computerhistory.org/about/press_relations/background/ (26.03.2005).
32 Mit dem ENIAC-Exponat wird in Kapitel 4.2 dieser Arbeit ein weiteres Beispiel für die Gegenüberstellung von Großrechner und Mikrocomputer besprochen.
31
32
seen charakteristische Element der Volksbildung in die Ausstellungsgestaltung auf und
versuchte dem Besucher die Funktionsweise des modernen Computers zu erklären. In
der Anfangsphase des BCM diente hierzu zunächst eine Rekonstruktion des SAGE
Computer Rooms33, anhand dessen für gewöhnlich die üblichen Komponenten moderner
Computer von Mitarbeitern des Museums erklärt wurden (Lubar, 1986, 101).
Abbildung 6: Der SAGE Computer Room im Boston Computer Museum (1986)
Verantwortlich für diese, in den folgenden Jahren stark zunehmende, didaktische Ausrichtung des Boston Computer Museum war vor allem Oliver Strimpel, der 1984 vom
Science Museum London als Kurator zum BCM wechselte und 1990 den Posten des
Museumsdirektors übernahm. Strimpel verhalf dem Computermuseum Anfang der
Neunziger Jahre zu einem internationalen Bekanntheitsgrad, als er mit der Installation
eines riesigen Walk-Through-Computers für viel Aufmerksamkeit sorgte (DER SPIEGEL,
24/1990, 226-228). Finanziert durch die Computerindustrie, war die Konstruktion des
492 qm großen und 1,2 Millionen Dollar teuren „Riesencomputers“ Strimpels fragwürdiger Versuch das Problem der hohen Komplexität des modernen Computers und die
damit verbundene Unverständlichkeit der technischen Prozesse für den ‚normalen‛ Besucher durch schiere Größe zu umgehen. Er wollte einen Rechner schaffen „der groß
genug ist, dass sich Laien davor nicht mehr so klein vorkommen“ und dem Besucher
vermitteln „dass eben kein Geist in solchen Kisten sitzt“ (DER SPIEGEL, 24/1990,
227). Hatte sich der Besucher über die „acht Meter lange Tastatur“, vorbei an „1,20
Meter hohen Speicherchips und einem besenkammergroßen Speicherplattenlaufwerk“
33
Im Rahmen des amerikanischen SAGE-Projektes (Semi Automatic Ground Environment) wurden in
den fünfziger Jahren 22 Computer über Telefonleitungen an tausende Radaranlagen angeschlossen, um
deren Signale zu analysieren und Abwehrwaffen gegen Eindringlinge zu lenken (Darius, 2001, 686).
33
vorgearbeitet erwartete ihn im Mittelpunkt der Installation der „Makrochip“, an welchem die Besucher die Funktionsweisen moderner Mikroprozessoren auf einem
eingelassenen Bildschirm verfolgen konnten34
(DER SPIEGEL, 24/1990, 227). Aber auch der
altgediente Whirlwind kam zu neuen Ehren, als
man versuchte den erfolgreichen museumspädagogischen Ansatz in eine historische Inszenierung
der Computergeschichte einzubinden. Im Juni
1991 eröffnete das BCM die Dauerausstellung
„People and Computers: Milestones of a Revolution“, die anhand von neun „Meilensteinen“ die
Entwicklungsgeschichte des Computers von den
frühen Lochkartensystemen im Jahre 1930 bis zu
den modernen Mikrocomputern der 90er Jahre
Abbildung 7: Oliver Strimpel auf der
Tastatur des Walk-Through Computers
präsentierte (Abbate, 1993, 665). Jeder der neun
historischen Computer wurde dabei in einer Re-
konstruktion seines ursprünglichen Anwendungsumfeldes ausgestellt, welche man durch
einen „Zeittunnel“ (Abbate, 1993, 665) betreten konnte, der den Besucher durch zeitgenössische Musik und Fotografien auf den historischen Hintergrund des jeweiligen Exponates einstimmte. Ergänzt wurden die eigentlichen Ausstellungsobjekte zudem durch
Videoeinspielungen und Texttafeln, welche die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit
dem Computer darstellten (Abbate, 1993, 666). Der Whirlwind wurde auf diese Weise
unter dem Titel „Nachwirkungen des Krieges“ (Abbate, 1993, 667) als militärische Rechenmaschine problematisiert. Von einer lebensgroßen Offiziers-Puppe „bedient“, ließ
die Rekonstruktion des Whirlwind-Control-Room den Museumsbesucher am eigenen
Leib die Hitze einer „echten Vakuumröhre“ spüren (Abbate, 1993, 667). In einem kleinen Computerspiel konnte man außerdem versuchen mit und ohne Unterstützung des
34
Als bekanntes ‚Markenzeichen‛ des Boston Computer Museum wurde der Walk-Through-Computer im
Jahr 1995 überarbeitet. Entgegen dem Willen von Oliver Strimpel änderte sich dabei auch die didaktische Ausrichtung des Exponates. Stand bei der Original-Version noch das Verständnis der technischen
Informationsprozesse innerhalb der Rechenmaschine im Vordergrund, konzentrierte man sich nun auf
die Funktionalität des modernen Computers. Dazu Oliver Strimpel: „What seemed important to them
when we went to our second version, was explaining the functionalities – what a disk drive does, what a
CD-ROM player does, not how the chip worked. The revised exhibit does not attempt to give explanations at different levels” (Turkle, 1997). Von kritischen Reaktionen auf die pädagogische Wirkung des
Exponates berichtet unterdessen Sherry Turkle. Demnach berichtete der Lehrer einer Schulklasse:
„With the walk-through computer, you get a keyboard big enough to sit on. For these kids, it’s just part
of taking for granted that you can make a computer bigger and bigger but that doesn’t mean you can
see it better“ (Turkle, 1997).
34
Whirlwind auf ein feindliches Objekt zu zielen und so die militärische Notwendigkeit
des Großrechners begreifen (Abbate, 1993, 667).
Abbildung 8: Nachbau des Whirlwind-Control-Room mit Operator-Puppe (1993)
Einen erneuten, groß angelegten Versuch den „Computer zu entmystifizieren“ und für
ein breites Publikum „das Unsichtbare sichtbar zu machen“ unternahm Oliver Strimpel
im Jahr 1994 mit der Ausstellung „The Networked Planet“ (DER SPIEGEL, 45/1994,
224-225). Abermals von großen Unternehmen der Computerbranche wie Apple und
Hewlett-Packard finanziert, wollte der Museumsdirektor den globalen Datentransfer im
Internet erfahrbar machen und schleuste den Museumsbesucher durch eine Art Datengeisterbahn: „Wir deklarieren den Besucher zum Datenpaket, damit er ein Gefühl für
den Informationstransport im Netz bekommt“, brachte der Ausstellungsleiter David
Greschler das Konzept auf den Punkt (zitiert nach DER SPIEGEL, 45/1994, 225).
Man erkannte schließlich am Boston Computer Museum, dass die Bewältigung beider
Aufgabenfelder ‚Sammeln‛ und ‚Ausstellen‛ in einem Hause durch den steigenden Aufwand und die wachsende Sammlung langfristig nicht zu leisten war und gründete im
Jahr 1996 das Computer Museum History Center im Silicon Valley in Kalifornien. Das neue
Institut sollte die archivarischen Aufgaben des Museums übernehmen, während man in
Boston weiterhin Teile der Sammlung ausstellen wollte. Als jedoch wenige Jahre später
Museumsdirektor Oliver Strimpel von seinem Posten zurück trat, verlor das Boston
Computer Museum seine Eigenständigkeit und wurde 1999 an das Boston Museum of
Science angegliedert, welches noch heute einige der Exponate aus der Zeit des BCM
35
ausstellt35. Die andere Hälfte der Sammlung hingegen ging an das Computer Museum
History Center, welches später seinen Namen in Computer History Museum änderte und im
Jahr 2002 ein neues Gebäude in Mountain View in Kalifornien bezog. Während das
Computer History Museum sich zurzeit hauptsächlich seinen konservatorischen Aufgaben widmet, bietet es neben Vorlesungen und Workshops zur Computergeschichte auch
Führungen durch das riesige Depot an, welches über 4000 Objekte umfasst36. Die Eröffnung einer öffentlich zugänglichen Dauerausstellung ist für das Jahr 2005 geplant.
2.3 Durch die nationale Brille −
Computergeschichte im Technikmuseum
Mit der weltweit zunehmenden Verbreitung und Popularisierung der Computertechnologie Ende der 80er Jahre stieg auch die Zahl der Ausstellungen zur Computergeschichte, die sich bis heute großer Beliebtheit erfreuen. Gingen die ersten Bemühungen einer
musealen Präsentation des Computers zunächst, wie bereits dargestellt, auf Initiativen
der Computerindustrie zurück, die ihre Produkte durch Einordnung in eine historische
Fortschrittslinie öffentlich präsentieren wollten, waren es nun vor allem die nationalen
Technikmuseen, die sich in umfangreichen Ausstellungen dem ‚Siegeszug‛ des Computers widmeten. Dass diese Ausstellungen in der Regel der traditionell nationalstaatlichen
Perspektive der Museen unterlagen, zeigt ein Blick auf eine der umfangreichsten Ausstellungen zur Geschichte der Informations- und Kommunikationstechnologie in den
USA, die 1990 bezeichnenderweise am National Museum of American History37 (NMAH) in
Washington eröffnet wurde.
Auf einer Fläche von 1300 qm2 präsentiert „Information Age: People, Information and
Technology“ an über 900 Exponaten die „technische Evolution der elektronischen Informationstechnologie“38 von der Erfindung der Telegrafie in den 30er Jahren des 19.
So zum Beispiel den Virtual FishTank, an welchem Besucher ihre eigene Fischart virtuell züchten und
betreuen können, um gleichzeitig den Umgang mit innovativen grafischen Oberflächen und EchtzeitAnimationen zu erlernen. Für eine Selbstdarstellung des Museum of Science (Mos) siehe:
http://www.mos.org (14.04.05).
36 Seine zentrale Aufgabe beschreibt das Computer History Museum wie folgt: „To preserve and present
for posterity the artifacts and stories of the Information Age“. Für eine Selbstdarstellung des Museums
siehe: http://computerhistory.org (14.04.05).
37 1964 als Museum of History and Technology und Teil der Smithonian Institution gegründet, wurde es 1980 in
National Museum of American History umbenannt. Das Museum sieht seine Aufgabe seitdem darin
„to inspire a broader understanding of our nation and its many people“. Populäre ständige Ausstellungen widmen sich einschlägigen Themengebieten wie: “The Price of Freedom: Americans at War”, “The
American Presidency: A Glorious Burden” oder “First Ladies: Political Role and Public Image”. Zur
Selbstdarstellung des NMAH siehe:
http://americanhistory.si.edu/about/ (16.04.05).
38 Für eine Eigendarstellung der Ausstellung siehe:
http://americanhistory.si.edu/exhibitions/exhibition.cfm?key=38&exkey=56 (16.04.05).
35
36
Jahrhunderts über Telefon, Radio und Fernsehen bis zur modernen Datenverarbeitung
durch den digitalen Computer. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht dabei die Frage,
wie sich die amerikanische Gesellschaft durch den Aufstieg des Informationszeitalters
verändert hat und welchen Einfluss soziale Faktoren wie „Wirtschaft, Politik, Kriegsführung und Anwenderverhalten“ auf die Transformationen innerhalb der Informationstechnologie gehabt haben. Auch wenn „Information Age“ sich nicht ausschließlich
auf die Geschichte des Computers konzentriert und gesellschaftliche Entwicklungen
hervorhebt, kommt der „Verbindung zwischen Computertechnologie und Kommunikation“ eine gewichtige Rolle zu, wie der Wissenschaftsjournalist Edward Tenner in seiner
Ausstellungsrezension ausführt (Tenner, 1992, 780-787). Dies liegt nicht zuletzt an der
Präsentation historisch bedeutender Exponate wie dem Harvard Mark I und dem
ENIAC (Tenner, 1992, 783). Bei der Eröffnung der Ausstellung beeindruckte das
NMAH außerdem selbst durch den umfangreichen Einsatz moderner audiovisueller
Computertechnologie, um die historischen Exponate zu inszenieren:
„Information Age is, among other things, technology about technology, just as there are
films about films and television about television […] Within the lifetime of many visitors, the entire computer power of the United States was less than that of the electronics
assembled here“ (Tenner, 1992, 780).
Die bis zum heutigen Tag unveränderte Ausstellung in Washington ist in drei chronologische Abschnitte unterteilt. Der erste beschäftigt sich mit dem Zeitraum 1832 bis 1939
und den technischen Entwicklungsfeldern „Kommunikation“ (Telegraphie, Telefon)
und “mechanische Datenverarbeitung“ (Tenner, 1992, 781). Als Wende- und Kristallisationspunkt zwischen dem „Protoinformationszeitalter des 19. Jahrhunderts und dem
wahren Informationszeitalter der Nachkriegszeit“ (Tenner, 1992, 782) stellt sich der
zweite Abschnitt World War II dar. Der abschließende Teil der Ausstellung führt den
Museumsbesucher durch ein System von Gängen und Tunneln vorbei an der Entwicklungsgeschichte der digitalen Datenverarbeitung seit 1945 und beschäftigt sich vor allem
mit der „Evolution des Computers“39 (Tenner, 1992, 783). Anspielend auf die negativen
Begleiterscheinungen des ‚Informationszeitalters‛, macht sich das Museum dabei mit
zunehmender Entwicklungsstufe der Computertechnologie das Phänomen der Reizüberflutung als Gestaltungselement bewusst zu Eigen:
„Perhaps inevitably, the closer the exhibition comes to the present, the more there is to
explain and the less space there is to discuss it […] Even the crowded succession of dis-
39
Gezeigt werden unter anderem historische Computer der fünfziger und sechziger Jahre, so z.B. John
von Neumanns IAS, der ILLIAC und der IBM 650 (Tenner, 1992, 783).
37
plays in the second part does provoke some thought about information overload“ (Tenner, 1992, 784).
Um dem Ausstellungsbesucher diese Ambivalenz der ‚Segnungen‛ des Informationszeitalters zu verdeutlichen, erhält dieser zu Beginn einen kleinen Museumsführer mit aufgedrucktem Barcode, den er an fünf Stationen im Laufe der Ausstellung einscannen kann,
um auf diese Weise „Informationen in das Computernetzwerk der Ausstellung einzugeben“ (Tenner, 1992, 780). Die Tatsache, das der ‚gläserne Museumsbesucher‛ beim
Verlassen der Ausstellung später als Souvenir einen Ausdruck seines Wegs durch das
Informationszeitalters bekommt (Tenner, 1992, 780), weckt Erinnerungen an das Futurama der Weltausstellung 1939 in New York, ganz nach dem Motto ‚I have seen the
Information Age!‛40.
Auch in Europa41 entstanden zu Beginn der neunziger Jahre an den großen nationalen
Technikmuseen umfassende Ausstellungen zur
Geschichte des Computers, die ebenso wie in den
USA durch eine eher einseitig nationale Perspektive
auffielen. So eröffnete das Conservatoire National
des Arts et des Métiers (CNAM) im Musée National
des Techniques in Paris im Jahr 1990 eine Sonderausstellung mit dem Titel „De la machine à calculer de
Pascal à l’ordinateur. 350 ans d’informatique“42.
350 Jahre nach der Erfindung der Rechenmaschine
Pascaline durch Blaise Pascal (1623-1662), inszenierte das Museum dieses Ereignis als Anfangspunkt
der Geschichte des Computers und der Informatik.
Abbildung 9: Ausstellungsplakat
"350 ans d'informatique" (1990)
Ulf Hashagen (2005, 12) weist zu Recht daraufhin,
dass bereits „die Rückprojektion der Entstehung
Allerdings war dieser Überraschungseffekt am Ende der Ausstellung offensichtlich weniger überzeugend als der von 1939. So bilanziert Edward Tenner am Ende seiner Ausstellungsrezension: „The barcoded, punchcard-sized guide may have delight many visitors. After entering my number twice, though,
I began to feel that information was processing me. I resented it, mumbled something to myself about
not having to punch in, and stopped interacting. I also began to wish that some of the money spent on
electronics had been used instead for a better, conventional printed guide” (Tenner, 1992, 785).
41 Auch wenn der Fokus dieses Überblicks auf den angloamerikanischen und europäischen Raum begrenzt bleiben soll, so bestätigt auch ein Blick ‚über den Tellerrand‛ die nationale Perspektive der Technikmuseen auf die Computergeschichte: So legt etwa das National Science Museum Tokyo besonderen
Wert auf den japanischen Anteil an der Geschichte des digitalen Rechnens durch die hervorgehobene
Rolle des Röhrencomputers FUJIC, dem „first electronic computer to be operated in Japan“.
(http://shinkan.kahaku.go.jp/floor/2f_en.jsp, 10.04.2005).
42 Siehe auch den Ausstellungskatalog „De la machine à calculer de Pascal à l’ordinateur“ (Marguin &
Jacomy, 1990).
40
38
der Wissenschaft Informatik auf die Erfindung der mechanischen Rechenmaschine ein
historiographisch zweifelhaftes Unterfangen [ist]“ und die Stilisierung des französischen
Mathematikers und Philosophen Pascal „zum einzigen Erfinder der mechanischen Rechenmaschine“ die Ausstellung nicht unbedingt glaubwürdiger erscheinen lässt. Nach
einer längeren Renovierungsphase feierte das CNAM im März 2000 die Wiedereröffnung des Museums unter dem Namen Musée des arts et métiers43, indem es keine eigene
Computer-Ausstellung mehr gibt. Wichtige Exponate aus der Vorgeschichte des Computers wie die mechanischen Rechenmaschinen von Blaise Pascal und Léon Bollée werden nun im Rahmen der Ausstellungsabteilungen „Mécanique“ und „Instrument Scientifique“ ausgestellt. Vereinzelte Exponate aus der Geschichte des modernen Computers,
wie die Cray-2 oder der C64, sind in das Themengebiet „Communication“ integriert.
Das Science Museum London44 beschäftigte sich ein Jahr später mit der eigenen nationale Rolle in der Erfindungsgeschichte des Computers, als man dem Briten Charles
Babbage (1791-1871) anlässlich seines 200. Geburtstags mit einer eigenen umfangreichen Ausstellung gedachte45. Allerdings inszenierte man Babbage am Londoner Technikmuseum nicht als Erfinder oder ‚Vorvater‛ des Computers und ging somit mit der
Erfindungsgeschichte des Computers weitaus „korrekter“ (Hashagen, 2005, 13) um als
am französischen Museum:
„There is no unbroken line of development between Babbages’s work in the nineteenth
century and the modern computer. His Analytical Engine was a developmental cul-desac. His efforts represented an isolated episode, a startling and magnificent one, but an
episode nonetheless” (Swade, 1991, ix).
Es ging den Ausstellungsmachern eher darum, die Geschichte der von Babbage nie
vollendeten mechanischen Rechenmaschinen Difference Engine und Analytical Engine zu
erforschen und im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die
Fragen, welchen Einfluss seine innovativen Entwürfe zur Automatisierung von Rechenoperationen auf die Geschichte des modernen Computers nahmen und warum die
visionären Pläne von Babbage niemals realisiert werden konnten, standen dabei im Mittelpunkt.
Zur Geschichte des Museums siehe den Ausstellungsführer „Bienvenue au musée des arts et métiers“
(2005), außerdem: http://www.arts-et-metiers.net (17.04.05).
44 Zur Selbstdarstellung des Science Museum London siehe:
http://www.sciencemuseum.org.uk (17.04.05).
45 siehe den Katalog der Ausstellung „Charles Babbage and his Calculating Machine“ (Swade, 1991) außerdem: http://www.sciencemuseum.org.uk/on-line/babbage/index.asp (17.04.05).
43
39
Abbildung 10: Nachbau der Difference Engine No. 2 im Science Museum London
Um zu zeigen, dass Babbage vor allem an den unzulänglichen mechanischen Fertigungsmethoden seiner Zeit scheiterte, wurde anlässlich der Ausstellung die Difference
Engine No. 2 nach den Entwürfen des Erfinders in einem viel beachteten Projekt detailgetreu von den Ingenieuren Reg Crick und Barrie Holloway rekonstruiert (Swade, 1991,
22-24). Die Difference Engine No. 2 war das zentrale Exponat der Ausstellung im Jahr
1991 und gleichzeitig die erste, jemals komplett fertig gestellte Rechenmaschine von
Charles Babbage (Swade, 1991, 24). 10 Jahre nach seiner Konstruktion wurde dieses
„Denkmal an seinen Erfinder“ (Swade, 1991, 28) durch den Nachbau der dazugehörigen Druckvorrichtung komplettiert. Die Rechenmaschine ist heute Teil der Ausstellung
„Computing and Mathematics“ am Science Museum, in der in einer „historischen Galerie“ die Entwicklungsgeschichte des modernen Computers und der Mathematik präsentiert werden46.
In Deutschland besann man sich an den zwei großen Technikmuseen ebenfalls auf die
historische Bedeutung eines nationalen Helden der Computergeschichte: dem Ingenieur
und Computerpionier Konrad Zuse (1910-1995). Im Jahr 1988 eröffnete das Deutsche
Museum die Ausstellung „Informatik und Automatik“, unter deren 700 Exponaten der
Computergeschichte sich auch die berühmte Z4, sowie ein Nachbau der Z3 von Konrad
Zuse befinden47. Die Idee zu einer Informatikausstellung ging zunächst auf das langjährige Bestreben des deutschen Informatikers Prof. Dr. Friedrich Bauer von der TU Mün-
46
47
Siehe den aktuellen Ausstellungsführer „Science Museum Guide“ (2005).
Für eine Selbstdarstellung der Ausstellung siehe den Ausstellungskatalog „Informatik. Führer durch die
Ausstellung“ (Bauer 2004), sowie:
http://www.deutsches-museum.de/austell/dauer/inform/infor.htm (18.04.05).
40
chen zurück48. Bauer hatte sich durch seine Mitarbeit an der Programmiersprache
ALGOL49 weltweit einen Namen gemacht und bemühte sich schon früh die Informatik
in Deutschland in den Rang einer wissenschaftlichen Disziplin zu erheben. Diese Motivation veranlasste Bauer sich am Deutschen Museum für die Gestaltung einer Informatikausstellung einzusetzen, die dem Besucher „Ursprünge und Geschichte dieses noch
immer jungen technischen Wissenschaftsgebiets näher bringen [möchte], sie will den
schwer durchschaubaren ‚Computer‛ begreifbar vertraut und durchsichtig machen“
(Bauer, 2004a, 10). Die stark mathematisch ausgerichtete Ausstellung sieht damit ihre
Aufgaben ganz im Sinne der Tradition des Deutschen Museums, aktuelle Technologie
aus historischen Vorläufern herzuleiten und zu erklären. Die Ausstellung geht dabei sehr
weit in die Vergangenheit zurück und zeigt die Geschichte des analogen und digitalen
Rechnens von den ersten antiken mathematischen Werkzeugen an bis zu dem ersten
Supercomputer und Hochleistungsrechner CRAY-150. Ein zentraler Punkt innerhalb der
Chronologie der Ausstellung bildet dabei „Zuses schöpferische Ingenieurarbeit“ (Bauer,
2004a, 12). Sein eigener Nachbau der Z3 wird als „erster funktionsfähiger programmgesteuerter Rechenautomat“ (Bauer, 2004a, 164) präsentiert und fungiert in der Dramaturgie der Ausstellung als Wendepunkt zwischen der Ära des mechanischen und des elektronischen Rechnens. Während das Deutsches Museum durch die Aufnahme der Z3 und
Z4 in die Sammlung einen bedeutenden Beitrag zur Wahrnehmung von Konrad Zuse
als „großen Pionier“ (Bauer, 2004a, 12) der Computergeschichte beitrug, war es ebenso
der clevere Ingenieur selbst, der schon zu Lebzeiten an der historischen Wahrnehmung
seiner Person arbeitete: „Konrad Zuse war die letzten 15 bis 20 Jahre seines Lebens
bemüht, sich selbst zu inszenieren und seinen Anspruch auf Priorität des ersten Computers herauszustellen“, berichtet der Konservator der Informatik-Ausstellung Dr. Hartmut Petzold (Petzold, 2005).
Auch das zweite große deutsche Technikmuseum, das Deutsche Technikmuseum Berlin
(DTM)51, präsentierte bei seiner Eröffnung 1983 unter dem Titel „Rechen- und Automationstechnik“ eine Ausstellung zur Geschichte des Computers. Ein Jahr vor der Ausstellung in München zeigte das DTM Ausstellungsobjekte der Computergeschichte, wie
Der Titel der Ausstellung wurde später in „Informatik“ geändert. Zur Geschichte der Ausstellung siehe
auch das mit dem Konservator der Ausstellung Dr. Hartmut Petzold am 31.03.05 geführte Gespräch
im Anhang dieser Arbeit (9.1).
49 Das ALGOL-Projekt (Algorithmic Language) war der frühe Versuch eine allgemeine und einheitliche
Programmiersprache zu etablieren (1958-1962). Dazu: „Die ALGOL-Verschwörung“ (Bauer 2004b).
50 Eine ausführliche Beschreibung und Analyse der Informatik-Ausstellung am Deutschen Museum erfolgt in Kapitel 5.1 dieser Arbeit.
51 Zur Geschichte der Ausstellung siehe auch das mit der Kuratorin Hadwig Dorsch, am 09.05.2005 geführte Gespräch im Anhang dieser Arbeit (9.2), sowie:
http://www.dtmb.de/Das_Museum/index.html (20.04.05).
48
41
mechanische Rechenmaschinen, Lochkartensysteme und die ersten elektronischen
Computer in chronologischer Reihenfolge (Dorsch, 2005). Ähnlich der Ausstellung in
München, stand in Berlin ebenfalls die Arbeit von Konrad Zuse im Mittelpunkt. 1986
entschloss sich der Ingenieur für das Berliner Museum seine erste Rechenmaschine Z1
nachzubauen, die er 1936 in jungen Jahren im Wohnzimmer seiner Eltern aus Baukastenteilen konstruiert hatte und die in den Kriegsjahren zusammen mit der Z3 zerstört
wurde (Dorsch, 2005). Mit dem Nachbau wollte Zuse in Berlin beweisen, dass die rein
mechanisch arbeitende Rechnerarchitektur der Z1 tatsächlich funktionierte52. Doch so
wie die erste Version der Z1 nie problemlos lief, arbeitete auch ihre Rekonstruktion, die
seit 1989 im DTM zu sehen ist, nie ganz fehlerfrei. Nachdem die Dauerausstellung „Rechen- und Automationstechnik“ Ende der neunziger Jahre aufgrund eines Wechsels der
Museumsleitung abgebaut wurde (Dorsch, 2005), eröffnete das Museum im November
2004 die neue Ausstellung „Konrad Zuse – Die ersten Computer der Welt“ (Dorsch,
2004), welche sich gänzlich dem Lebenswerk von Konrad Zuse widmet. In enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen Konrad Zuses konzipierte die Kuratorin Hadwig
Dorsch die Ausstellung, welche sich dem deutschen Computerpionier „als Erfinder“,
„als Unternehmer“ und „als Künstler“ nähert (Dorsch, 2004).
Abbildung 11: Konrad Zuse an der rekonstruierten Z1 im Deutschen Technikmuseum Berlin
52
Zuse über den Nachbau der Z1: „Das Relais ist ja an sich sehr schön, es schaltet sich wunderbar. […]
Man kann mit der Relaistechnik die Formeln des Aussagenkalküls, in denen man einen bestimmten Ansatz macht, direkt in eine Verdrahtung umsetzen. […] Ich hatte erst versucht, dasselbe rein mechanisch
zu lösen, auch schon mit der Schaltalegbra. Dieses Modell steht im Museum für Verkehr und Technik
in Berlin. Damals hat es nicht gut funktioniert und auch der Nachbau ist insofern sehr getreu, auch er
arbeitet nicht gut. Aber sie können da durchaus erkennen, dass das grundsätzlich auch mit mechanischen Mitteln möglich ist, und dass eigentlich dahinter eine gewisse logische Verknüpfung steht, die
man auf verschiedene Weise, heute sagen wir ‚in Hardware‛ umsetzen kann“ (Zuse, 2004, 36).
42
2.4 Von kleinen, großen und ‚niedlichen‛ Computermuseen
Das Beispiel der Informatik-Ausstellung im Deutschen Museum hat bereits gezeigt, dass
im deutschen Raum wichtige Impulse zur Gestaltung von Computerausstellungen aus
dem akademischen Umfeld der Fachhochschulen und Universitäten kommen. Dies liegt
zum einen darin begründet, dass Hochschulen neben Behörden und Ämtern die ersten
Einrichtungen waren, die in Kontakt mit der elektronischen Computertechnologie kamen und heute oft reichhaltige Fundgruben für historische Rechenanlagen darstellen,
zum anderen haben Informatiker und Elektrotechniker, neben ihrer Begeisterung für
die Computertechnologie, ein genuines Interesse an der Würdigung ihres Fachbereiches.
So unterhalten heute manche Hochschulen sogar eigene Universitätsmuseen mit zum
Teil beachtenswerten Sammlungen zur Geschichte des Computers. Diese kleinen, meist
ehrenamtlich geführten, Computermuseen zeigen hauptsächlich Computer-Exponate,
die im eigenen Institut zum Einsatz kamen und bieten auf Wunsch Führungen und Vorträge an. So beherbergt zum Beispiel das Computermuseum der Fachhochschule Kiel zahlreiche
historische Objekte „aus der Frühzeit der Datenverarbeitung“, sowie „Meilensteine der
Rechnerentwicklung“ und „insbesondere Geräte des deutschen Computerpioniers Konrad Zuse“53. Hervorzuheben sind außerdem das Computermuseum der RWTH Aachen, die
EDV-Sammlung der Volkshochschule Düsseldorf54, die Informatik Sammlung der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg55 und die Rechentechnische Sammlung der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald56. Alle dieser Universitätsmuseen zeichnen sich ähnlich wie
die Informatik-Ausstellung des Deutschen Museums durch eine technik-immanente
Ausstellungsgestaltung aus, die die Geschichte des Computers als Geschichte des Rechnens erzählt und auf die übliche Präsentation der Objekte in chronologisch-kausalen
Entwicklungsreihen zurückgreift.
Einen neuartigen Zugang auf die Geschichte des Computers versucht die Rheinische
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit dem Arithmeum57. Das am 8. September 1999 eröffnete Museum geht auf das langjährige Bestreben des Mathematikers Prof. Bernhard
Korte zurück, Direktor des Forschungsinstitutes für diskrete Mathematik. Das Arithmeum
wurde in den Neubau des Forschungsinstitutes integriert, der mit Ausgleichsmitteln des
Bundes finanziert wurde. Die umfangreiche Sammlung mechanischer Rechenmaschi-
http://www.computermuseum.fh-kiel.de/index.php (25.04.05).
http://www.duesseldorf.de/vhs/museum/index.shtml (25.04.05).
55 http://www.iser.uni-erlangen.de/(25.04.05).
56 http://www.uni-greifswald.de/~wwwmathe/RTS/default.htm(25.04.05).
57 http://www.arithmeum.uni-bonn.de/(25.04.05).
53
54
43
nen, die Bernhard Korte seit den 70er Jahren angelegt hat, bildet die Basis der Dauerausstellung „Rechnen einst und heute“ (Wagner, 1999b, 5). Die duale Ausstellungskonzeption mit den zwei Themenbereichen „Rechnen einst“ und „Rechnen heute“ stellt das
historische Rechnen mit den mechanischen Maschinen der Funktionsweise von Mikroprozessoren gegenüber und versucht auf diese Weise die komplexen Strukturen moderner Logikchips (ein zentrales Arbeitsgebiet des Institutes) begreifbar zu machen (Wagner, 1999b, 5). Die Ausstellung zur Geschichte des Rechnens58 wird jedoch nur als ein
Teil eines „Gesamterlebnisses“ für den Besucher des Arithmeums verstanden, zu dem
auch „der ästhetische Genuss von Architektur, Ausstellungsdesign und die Vermittlung
von Kunst“57 gehört. Um diese „Symbiose von Wissenschaft, Technik und Kunst“ zu
erreichen, versucht die Museumsleitung mit Ausstellungen konkreter und konstruktivistischer Kunst, sowie mit klassischen Konzertveranstaltungen einen „Kontrapunkt zu
den technischen Exponaten“ zu setzen, um einen „lebendigen Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst zu initiieren“ (Prinz, 1999, 11).
Obwohl die nationalen Technikmuseen und universitären Sammlungen in Deutschland
die museale Präsentation der Computergeschichte jahrzehntelang dominiert haben, steht
das bedeutendste deutsche Computermuseum in der Tradition der Firmenmuseen. Das
Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF)59 in Paderborn, nach eigenen Angaben das „größte
Museum der Rechen-, Schreib-, Büro- und Computertechnik der Welt“ (Thürmer, 1996,
108), hat seinen Ursprung in der Nixdorf Computer AG und geht direkt auf eine Initiative
des 1986 verstorbenen Firmengründers Heinz Nixdorf und der von ihm gegründeten
Stiftung Westfalen zurück (Thürmer, 1996, 10). Mit Beginn der Planungsphase 1990 stellten die verantwortlichen Architekten und Ausstellungsdesigner Ludwig Thürmer und
Gerhard Diel (1996, 14) „die Kommunikation über Fragen der historischen und gesellschaftlichen Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien“ in den
Mittelpunkt ihrer Konzeption. Ziel des HNF ist es entsprechend, mit seiner Dauerausstellung und zahlreichen Veranstaltungen „die Orientierung und Bildung des Menschen
in der modernen Informationsgesellschaft zu fördern“60 und die „Herausforderungen
unseres Informationszeitalters“ zu thematisieren. Mit diesem umfassenden Ansatz versucht sich das HNF klar von den eher technik-immanenten Ausstellungen der deutschen Technik- und Universitätsmuseen abzuheben und erinnert in seiner Ausrichtung
eher an die amerikanischen Vorbilder in Boston und Washington.
Eine Ausführlicher Beschreibung und Analyse der ständigen Ausstellung im Arithmeum findet in Kapitel 5.2 dieser Arbeit statt.
59 http://www.hnf.de (28.04.05).
60 http://www.hnf.de/museum/index.html (28.04.05).
58
44
Das 100 Millionen DM teure Computermuseum (DER SPIEGEL, 44/1996, 225) wurde
im Oktober 1996 in dem aufwendig sanierten Gebäude der ehemaligen Verwaltungszentrale der Nixdorf Computer AG in Anwesenheit von Bundeskanzler Helmut Kohl eröffnet und präsentiert auf einer Fläche von über 6000 qm etwa 2000 Ausstellungsobjekte aus der 5000 Objekte umfassenden Sammlung des Museums, die ursprünglich von
Nixdorf selbst angelegt wurde. Zentrale Exponate sind ein original Arithmométre von
Thomas de Colmar (1785-1870), die Z23 von Zuse, der Apple I und eine besondere
Leihgabe des NMAH in Washington: drei Teile des ersten elektronischen Röhrencomputers ENIAC, welche im HNF im Rahmen einer ENIAC-Rauminstallation präsentiert
werden. Das Bestreben des HNF, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, spiegelt
sich vor allem in der Konzeption der Dauerausstellung wider, deren ehrgeiziges Ziel es
ist „einen Eindruck der historischen Entwicklung der Informationstechnik über fünftausend Jahre bis zu ihrer überragenden Gegenwarts- und auch Zukunftsbedeutung zu
vermitteln“ (Thürmer, 1997, 32). Der Erfindungs- und Anwendungsgeschichte des
Computers kommt im HNF eine zentrale Bedeutung zu:
„Technikgeschichte ist keine Aneinanderreihung toter Maschinen und gesichtsloser Erfindungen. Diese Maschinen werden von Menschen entworfen. Einige wollen damit
Probleme lösen, andere Geld verdienen, viele sind einfach begeisterte Bastler“ (Thürmer, 1996, 28).
Dieser Zielsetzung folgend wird auf zwei Etagen die Geschichte des Computers als umfassende Kulturgeschichte des Menschen von den ersten antiken Schrift- und Zahlensystemen bis in die heutige Zeit erzählt. Obwohl man dabei im HNF die „nahe liegende
inhaltliche Beschränkung auf die Firma Nixdorf fallengelassen [hat]“ (Thürmer, 1996,
26) und sich um eine umfassende Perspektive auf die Computergeschichte bemüht, erinnern die Aufnahme Nixdorfs in die „Galerie der Pioniere“61 und Themengebiete wie
„Nixdorf – Wegbereiter der dezentralen Datenverarbeitung“ oder „Paderborn – ein
Zentrum der Informationstechnologie“ an die industriellen Wurzeln des Computermuseums62.
Bereits bei der Eröffnung des HNF gab es bezüglich dieser Auslegung der Computergeschichte kritische Reaktionen. So schrieb DIE ZEIT im November 1996 zur inhaltlichen Gestaltung der Ausstellung: „Die Zeitspirale der Pioniere endet bei Heinz Nixdorf (1925-1986). Warum auch nicht? Seine Stiftung Westfalen hat schließlich die hundert Millionen Mark spendiert, die der Aufbau des HNF bislang
kostete, und sie wird acht Millionen jährlich in den laufenden Betrieb stecken“ (DIE ZEIT, 1. November 1996).
62 Zur Frage ob es sich beim HNF um ein Firmenmuseum handelt und zur allgemeinen Gestaltung der
Ausstellung, siehe auch das mit dem Kurator Michael Mikolajczak am 24.05.2005 geführte Gespräch im
Anhang dieser Arbeit (9.3). Eine ausführliche Beschreibung und Analyse der Dauerausstellung im HNF
erfolgt in Kapitel 5.3 dieser Arbeit.
61
45
Da man im HNF ein „zeitlich offenes Ausstellungskonzept“ (Thürmer, 1996, 34) verfolgt und einen starken Gegenwarts- und Zukunftsbezug für sich beansprucht, erfolgte
im Jahr 2004 ein Update der Ausstellung, welches den neuesten Entwicklungen in der
Informationstechnik Rechnung tragen sollte (Mikolajczak, 2005). Besonderen Wert
wurde bei der Aktualisierung der Ausstellung auf Themengebiete gelegt, „bei denen sich
große Entwicklungsdynamik, Anschaulichkeit und interaktiver Zugang“ (HNF 2004, 5)
verbinden lassen:
„Spielerisch und interaktiv sind die neuen Abteilungen gestaltet. Ein Roboter begrüßt
die Besucher, Fußball spielende Maschinen zeigen ihr Können, alte und neue Computerspiele können getestet werden“ (HNF 2004, 3).
Neben den Ausstellungen zur Computergeschichte in den großen Technik- und Computermuseen ist in den letzten 20 Jahren eine Reihe von kleinen Computermuseen entstanden, die größtenteils auf das Engagement von Privatsammlern zurückgehen und
ihren Charme vor allem einem großen Maß an Improvisation und Eigenarbeit verdanken. Doch auch die ‚kleinen‛ Computermuseen entstehen zumeist in der Nähe der
Computerindustrie oder im Umfeld der Universitäten. Beispielhaft für solche Initiativen
sind das Haus zur Geschichte der IBM Datenverarbeitung in Sindelfingen, das Technikum 2963
in Frankfurt a.M., das Computer Culture Museum64 in Hildesheim und das Konrad-Zuse Museum65 in Hoyerswerda.
Besonders viel Beachtung in der Öffentlichkeit fand bei seiner Eröffnung im Februar
1997 das Computerspielemuseum in Berlin, das sich im Gegensatz zu den bestehenden
Computermuseen auf einen besonderen Aspekt der Computergeschichte konzentrierte:
die Nutzung des Computers als Spielmaschine. „Ein niedliches Museum“ (ZEIT,
6/1996, 82), das von sich behaupten konnte auf lediglich 130 Quadratmetern „die welterste ständige Ausstellung nur für Computer- und Videospiele“66 zu zeigen. Die ungewöhnliche Geschichte des „etwas anderen Museums“ beginnt innerhalb des Fördervereins
für Jugend und Sozialarbeit e.V. (FJS), der sich bereits seit 1993 durch eine ComputerspielBeratung für Eltern und Lehrer mit dem Thema Computer- und Videospiele auseinandersetzte (Lange, 2005). Gemeinsam mit dem Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland
(VUD), ein Interessenverband der Computerspiel-Industrie, bemühte sich der FJS außerdem zwei Jahre später das Prüfsiegel Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) in
http://www.technikum29.de/de/ (8.05.05).
http://homepages.compuserve.de/rspezial/ (8.05.05).
65 http://www.konrad-zuse-computermuseum.de/ (8.05.05).
66 http://www.computerspielemuseum.de (8.05.05).
63
64
46
Deutschland durchzusetzen67 (Lange, 2005). Um den pädagogischen Faden der Computerspieleberatung neben der Mitarbeit bei der USK nicht zu vernachlässigen entstand
beim FJS 1996 die Idee zu einer Museumsgründung. Nach dem Umzug der USK in
größere Räumlichkeiten begann der ehemalige USK-Gutachter Andreas Lange mit kleinem Budget eine Sammlung aufzubauen und eine Ausstellung in den alten Räumen der
Selbstkontrolle vorzubereiten (Lange, 2005). Ausgangspunkt für die Gestaltung der
Ausstellung war dabei die Überzeugung, das Computerspiele ebenso Kulturgüter sind
wie Bücher und Filme (Lange, 1996) und ihre Geschichte einen wesentlichen Anteil am
technischen Fortschritt hat:
„Schon immer sind Computerspiele als Versuch zu verstehen, kreativ (spielerisch) mit
den Mitteln des technischen Fortschritts umzugehen. Menschliche Bedürfnisse wie gesellschaftliche Realitäten fließen in ihre Gestaltung sowie in ihre Rezeption ein, so dass
ihre Geschichte auch einen Teil unserer Geschichte beinhaltet“ (Lange, 1996, 1).
Der Museumsdirektor und seine Mitarbeiter wollten das Computerspiel als „interaktives
Erzählmedium“ ernst nehmen und die Geschichte dieses „digitalen Kulturgutes“ in
ihrer Ausstellung präsentieren (Lange, 2005). Zu einem
Zeitpunkt, in der die öffentliche Auseinandersetzung mit
dem Computerspiel ausschließlich auf den Gegensatz ‚Gefährlich oder ungefährlich‛ verkürzt wurde, war es außerdem ein entscheidendes Anliegen des Computerspielemuseums sich „ohne pädagogische Zwanghaftigkeit“ (Lange,
1996, 2) mit dem Computerspiel zu beschäftigen.
Als das Computerspielemuseum am 1. Februar 1997
schließlich seine Ausstellung mit dem Titel „30 Years of
Digital Gaming“ öffnete, konnten die Besucher in „zwei
Zimmern in einer liebevoll umfunktionierten Wohnung“
(ZEIT 6/1996, 82) die Geschichte des Computerspiels
„von PONG bis zur Playstation“ (Lange, 2005) erleben.
Abbildung 12: Flyer (1997)
67
Die überschaubare Größe des Museums und das intime
Umfeld ermöglichten es dabei, die Computerspiele an den
Dem VUD ging es vor allem darum den Jugendschutz bei Computerspielen aktiv anzugehen und einer
gesetzlichen Regelung zuvorzukommen, auf die man keinen Einfluss gehabt hätte. Trotz der Zusammenarbeit des FJS und der VUD im Rahmen der USK, gab es keinen Einfluss des VUD bei der Gestaltung des Museums (Lange 2005).
47
original Spielkonsolen und Computern aus- und bereitzustellen und dem Besucher den
direkten Umgang mit den Exponaten zu ermöglichen68. Das „Anfass- und Mitmachmuseum“ (Lange, 1996) erlebte bis zur Schließung69 seiner ständigen Ausstellung im Jahr
2000 eine hohe mediale Resonanz und hatte offensichtlich mit der Thematisierung der
Computerspiele als „spannendste Kulturgüter unserer Zeit“ (Lange, 1996) den Nerv der
Zeit getroffen. Zurzeit finanziert das Computerspielemuseum seine Arbeit mit verschiedenen Ausstellungsprojekten auf Fachmessen wie der CeBit oder der GAMES
CONVENTION, verfolgt als langfristiges Ziel jedoch weiterhin die Wiedereröffnung
seiner Dauerausstellung70.
Abbildung 13: (Ein-)Blick in das Computerspielemuseum in Berlin (1997)
Zur Gestaltung der Ausstellung und zu der Frage, wie sich das Medium Computerspiel ausstellen lässt,
siehe auch das mit Andreas Lange am 05.04.2005 geführte Gespräch im Anhang dieser Arbeit (9.4).
69 Die Schließung der Dauerausstellung erfolgte, weil die Räumlichkeiten zunehmend unzureichend für
die wachsende Sammlung des Museums wurden und man sich gegenüber der Stadt eine bessere Position in den Gesprächen für eine öffentliche Förderung versprach (Lange, 2005). Die Sammlung des
Computerspielemuseums
ist
zurzeit
nur
als
„virtueller
Rundgang“
zu
erleben:
www.computerspielemuseum.de (10.05.05).
70 Im Jahr 2002 realisierte das Computerspielemuseum in Zusammenarbeit mit dem VUD die Ausstellung
„History of Games“ auf der Computerspielemesse GAMES CONVENTION, siehe hierzu den Ausstellungskatalog „Spielmaschinen“ (Lange, 2002). In den folgenden Jahren verfolgte man gemeinsam
mit dem VUD die Neueröffnung einer ständigen Ausstellung. Das GAMESHOUSE-Projekt konnte
jedoch aufgrund der Auflösung des VUD im Jahr 2004 bislang nicht realisiert werden. Zum
GAMESHOUSE siehe auch den gemeinsamen Ausstellungs-Entwurf des Computerspielemuseums mit
der Universität der Künste (Berlin): „Medium Computerspiel: Ausstellungsszenarien“ (Diel, 2004).
68
48
3
Der Computer als Medium und seine Geschichte(n)
„Creative, interactive communication requires a plastic or moldable medium that can be
modeled, a dynamic medium in which premises will flow into consequences, and above
all a common medium that can be contributed to and experimented with by all.
Such a medium is at hand – the programmed digital computer” (Licklider, 1968).
Unter dem Begriff Computer versteht man heute im Allgemeinen jenes dynamische und
formbare Medium, welches der Wissenschaftler Joseph C. R. Licklider (1968) bereits in
den sechziger Jahren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) angekündigt hat und
heute bei den meisten Menschen ganz selbstverständlich auf dem Schreibtisch zu finden
ist. Der „umfassende Personal Computer“ (Seel, 1998, 257) den man dabei vor Augen
hat, ist ausgestattet mit Bildschirm, Tastatur, Maus, Drucker und anderen Peripheriegeräten. Angeschlossen an das Internet, kann man mit ihm je nach Wunsch Texte schreiben oder Bilder bearbeiten, E-Mails verschicken oder ‚im Netz surfen‛, mit Bekannten
telefonieren oder ‚chatten‛, fernsehen oder Filme herunterladen und nicht zuletzt seine
Zeit mit Computerspielen verbringen. Aber was genau bedeutet es, wenn man von der
technischen Maschine Computer ‚als Medium‛ spricht?
Das folgende Kapitel wirft einen Blick auf die Entwicklungsgeschichte des modernen
Computers und beschreibt in einem kurzen Abriss seinen Weg ‚von der Rechenmaschine zum Medium‛. Es zeigt sich dabei, dass dieser Weg weder geradlinig noch im Sinne
einer teleologischen Ausrichtung stetig ‚bergan‛ verläuft. Die Geschichte des Computers
als Medium setzt sich vielmehr zusammen aus vielen verschiedenen Geschichten technischer wie konzeptioneller Entwicklungen − mit vielen Weggabelungen, Umwegen, aber
auch Irrwegen.
Die Kapitel 3.2 bis 3.4 befassen sich mit den drei entscheidenden Kategorien71 die den
modernen Computer als Medium auszeichnen und werfen insbesondere einen Blick auf
die konzeptionellen Ursprünge seiner medialen Anwendungsbereiche. Für die Fragestellung dieser Arbeit ergibt sich dabei eine entscheidende Erkenntnis: Der Computer als
inklusives, immersives und kommunikatives Medium ist im Unterschied zu seiner ursprünglichen Funktion als Rechenautomat nur noch im Prozess seiner Anwendung begreifbar und beschreibbar.
71
Die Arbeit folgt dabei der Aufteilung von Sybille Krämer (1998, 9-15), die den allgemeinen Mediendiskurs „zwecks Übersichtlichkeit“ in die zentralen Bereiche „literarische Medien“, „technische Medien“
und „Massenmedien“ unterteilt und als ihre computer-spezifischen Begriffe „Digitalisierung“, „Virtualisierung“ und „Interaktivität“ nennt.
49
3.1 Der Computer als Rechenmaschine
„Nachdem ich nun an der Universität mehrere Fakultäten durchprobiert hatte, sagte
mein Vater, jetzt müsse ich fertig studieren. Ich war also gezwungen, mein Bauingenieurstudium abzuschließen und musste feststellen, dass der Bauingenieur sehr viel zu
rechnen hat, und das hat mir gar nicht geschmeckt. […] Da blieb mir weiter nichts übrig, als dieses Rechenproblem zu lösen“ (Zuse, 2004, 32).
Die wenigsten Computernutzer gebrauchen den Computer heute noch entsprechend
seiner ursprünglichen Wortbedeutung72, nämlich zum Rechnen. Dabei beginnt die Geschichte des modernen Computers mit dem Bedürfnis Maschinen zu konstruieren, die
dem Menschen die mühsame und komplizierte Rechenarbeit abnehmen. Der Computer
ist zunächst Rechner. So lassen sich die ersten Bezugspunkte einer Vorgeschichte des
modernen Computers bei den Konstrukteuren mechanischer Rechenmaschinen festmachen73, unter denen Wilhelm Schickard (1592-1635), Blaise Pascal (1623-1662) und
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1718) die prominentesten Rollen einnehmen (Goldstine, 1993, 3-9). Vor allem der deutsche Universalgelehrte Leibniz hatte schlagkräftige
Argumente für eine Mechanisierung der langwierigen Kopfarbeit: „Es ist eines ausgezeichneten Menschen unwürdig, gleich Sklaven seine Zeit mit Berechnungen zu
verbringen“ (zitiert nach Naumann, 2001, 48).
Den Traum von einer Maschinisierung des Rechnens verfolgte auch der Engländer
Charles Babbage (1791-1871) im 19. Jahrhundert. Der Bau seiner Difference Engine in den
Jahren 1822 - 1834 sollte der Anfertigung von mathematischen Tabellen dienen, wobei
er seine Konstruktion in der Öffentlichkeit vor allem zur Anfertigung von Navigationstafeln ins Gespräch brachte (Hymann, 1987, 79). Ähnlich wie Leibniz versprach sich der
Engländer von der Automatisierung der komplizierten Rechenarbeit eine Erleichterung
für den Menschen, aber auch die Beseitigung menschlicher Ungenauigkeiten74. Den gleiDas lateinische Wort ‚computare‛, von dem sich das englische Wort ‚Computer‛ ableitet, hat die Bedeutung „zusammenrechnen, berechnen“ (Pfeifer et al., 1993, 196).
73 Natürlich lässt sich der Beginn der Geschichte des Computers noch weiter in die Vergangenheit verlegen. So beginnen nicht wenige Geschichten des Computers bei der Einführung erster Zahlen- und
Zählsysteme in den frühen Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens und erzählen somit die Geschichte des Computers als allgemeine Kulturgeschichte des Menschen überhaupt (siehe zum Beispiel
Matis (2002) & Naumann (2001)). Als archaische Vorläufer des Computers werden in diesen Erzählungen bereits einfache mathematische Werkzeuge und Hilfsmittel benannt, wie Knotenschnüre, Abakus
und andere Rechenbretter, Rechenschieber und -stäbe (Napier’sche Stäbchen), sowie geometrische Instrumente wie Planimeter und Winkelmesser.
74 Charles Babbage über die Idee zum Bau der Differenzmaschine: „Die erste Idee der Möglichkeit, Tabellen maschinell auszurechnen, kam mir, soweit ich mich erinnere, im Jahr 1820 oder 1821. Sie verdankte sich folgender Situation: Die Astronomische Gesellschaft hatte für die Ausarbeitung bestimmter Tabellen eine Kommission ernannt, die aus Sir. J. Herschel und mir bestand. Wir hatten uns auf die
passenden Formeln geeinigt und sie zwei im Rechnen geübten Leuten übergeben, um die Berechnungen durchführen zu lassen. Wir trafen uns eines Abends, um die errechneten Tabellen zu vergleichen,
und da wir viele Unstimmigkeiten fanden, äußerte ich gegenüber meinem Freund, dass ich wünschte, es
gäbe ein dampfgetriebenes Rechnen, worauf er mir beipflichtete und meinte, so etwas liege durchaus im
72
50
chen Motiven folgte der deutsche Ingenieur Konrad Zuse (1910-1995) Anfang der 30er
Jahre des 20. Jahrhunderts als auch er die Idee zur Konstruktion eines Rechenautomaten verfolgte. Zuse, der mit seiner Z3 „den ersten elektronischen, programmierbaren
Rechner der Welt“ (Matis, 2002, 181) baute, widmete sich der Automatisierung von
Rechenarbeit, weil ihn die bei seiner Arbeit als Bauingenieur anfallenden langwierigen
statistischen Rechenarbeiten „gar nicht geschmeckt haben“ (Zuse, 2004, 32).
Auch die ersten elektronischen Großrechenanlagen in den USA zwischen 1940 und
1950, die erstmals den Namen „Computer“ trugen75, wurden zunächst als spezialisierte
Rechenmaschinen konzipiert. So sollte die erste programmgesteuerte Großrechenanlage
Automatic Sequence Controlled Calculator (ASCC), auch bekannt als Harvard Mark 1, von
Howard H. Aiken (1900-1973) und seinen Mitarbeitern zur Berechnung mathematischer
Aufgabenstellungen in den Aufgabebereichen „Physik, Ingenieurwissenschaften und
Technik“ (Naumann, 2001, 147) zum Einsatz kommen. Der an der Moore School of Electrical Engineering der University of Pennsylvania 1946 fertig gestellte Electronic Numerical
Integrator and Computer (ENIAC) hingegen wurde von John W. Mauchly (1907-1980) und
John Presper Eckert (1919-1995) für militärische Zwecke konstruiert und sollte komplexe ballistische Berechnungen im Auftrag des Ballistic Research Laboratory des U.S. Army
Ordnance Department durchführen (Goldstine, 1993, 121-236).
Bereits während der Arbeit am ENIAC planten seine Konstrukteure eine folgenreiche
Weiterentwicklung, welche den Schritt von der spezialisierten Rechenmaschine zum
„universalen Computer“ bedeutete (Ceruzzi, 1998, 20-21). Während der ENIAC noch
mit einer festen Programmverdrahtung arbeitete, die bei seiner Programmierung ein
mühsames Umstecken von Kabeln und Bedienen von Schaltern zur Folge hatte, entschied man sich bei der Konzeption des Nachfolgemodells Electronic Discrete Variable
Computer (EDVAC) dafür, Programme und Daten an einem gemeinsamen Ort zu speichern. Dieses Konzept der Speicherprogrammierbarkeit, dass der ebenfalls am
EDVAC-Projekt beteiligte Mathematiker John von Neumann (1903-1957) 1945 in sei-
Bereich des Möglichen“ (zitiert nach Hymann, 1987, 80). Seine Bedeutung für die Geschichte des modernen Computers verdankt Babbage jedoch vor allem seinen theoretischen und praktischen Arbeiten
zu seinem zweiten (ebenfalls unvollendeten) großen Projekt, der Analytical Engine, deren mechanische
Architektur im Wesentlichen dem Aufbau heutiger moderner Universalrechner entspricht (Hyman,
1987, 250).
75 Seinen Ursprung hat der Begriff „Computer“ im 17. und 18. Jahrhundert in England. Dort bezeichnete
man als „Computer“ zunächst Mathematiker, die umfangreiche Rechnungen ausführten, etwa für die
Anfertigung von Kalendern, Logarithmen und ballistischen, nautischen und astronomischen Rechentafeln (Matis, 2002, 24).
51
nem Artikel „First Draft of a Report on the EDVAC“ zusammengefasst hat, bestimmt
noch heute den logischen Aufbau der meisten Computer76.
Neue Nutzergruppen für das digitale Rechnen erschloss der ebenfalls von Mauchly und
Eckert im Jahr 1949 konstruierte Universal Automatic Computer (UNIVAC), der erste
kommerziell erfolgreiche und in Serie produzierte programmgespeicherte Computer, der
nicht nur in Regierungsstellen, Universitäten und beim Militär zum Einsatz kam, sondern auch erstmalig von großen Unternehmen für allgemeine Anwendungen in der
Wirtschaft eingesetzt wurde (Ceruzzi, 1998, 30-34). Bis hinein in die sechziger Jahre
dominierten solche Großrechenanlagen, auch Mainframes genannt, das Bild des Computers und blieben in ihrer Anwendung vor allem Rechenautomaten mit immer höherer
Rechenleistung. Dabei war maschinelle Rechenarbeit immer noch eine kostspielige Angelegenheit, die einigen wenigen zur Verfügung stand, aber für die allermeisten außerhalb ihres Erfahrungshorizontes blieb. Industrial Business Machines (IBM), die Mitte der
fünfziger Jahre mit ihrem Röhrenrechner IBM 701 in das Geschäft mit den digitalen
Rechnern einstiegen, verkauften ihre wertvollen Maschinen oft erst gar nicht, sondern
vermieteten sie für rund 16.000 Dollar im Monat an interessierte Unternehmen (Matis,
2002, 240). Der Branchenriese führte diese Politik auch bei dem nachfolgenden IBM
650, sowie dem ersten kommerziell erfolgreichen Transistorrechner IBM System/360 fort
und konnte seinen Marktanteil in den sechziger Jahren auf marktbeherrschende 70 Prozent steigern (Matis, 2002, 256-260).
Erst Mitte der sechziger Jahre gab es durch die zunehmende Verwendung der Transistortechnik (später erste integrierte Schaltkreise) bei der Herstellung kommerzieller
Computersysteme eine ‚preisgünstige‛ Alternative zu den teuren Großrechenanlagen. So
entwickelte die Digital Equipment Corporation ab 1959 die ersten Minicomputer, welche
ihren Namen der Beschränkung auf Minimalausstattung verdankten, und bot die Geräte
ihrer PDP-Modellreihe77 etwa zehnmal günstiger an als die Mainframes von IBM (Naumann, 2001, 190). Wenn auch wesentlich größer und teurer als heutige Computer, konnten die Minicomputer auch von kleineren Unternehmen, Schulen oder Universitäten
dezentral eingesetzt werden und ermöglichten neuen Benutzergruppen den Zugang zur
digitalen Rechentechnologie mit „gänzlich neuen Anwendungsgebieten“ (Ceruzzi, 1998,
Man spricht heute von der „von Neumann-Architektur“ bei modernen Computern, womit die grundsätzliche Aufteilung in Speicher, Rechenwerk und Steuerwerk, sowie das Konzept der Speicherprogrammierbarkeit gemeint sind, die bis heute weitestgehend Bestand haben (Ceruzzi, 1998, 23). Siehe in
diesem Zusammenhang auch: Ceruzzi (2000) „Nothing New Since von Neumann“: A Historian Looks
at Computer Architecture.
77 Vor allem mit dem 1965 eingeführten PDP-8, der unter 18.000 Dollar angeboten wurde und von dem
etwa 50.000 Exemplare verkauft wurden, erschloss DEC der Computertechnologie neue Märkte und
Anwendungsbereiche (Ceruzzi 1998, 129-135).
76
52
124). Die Mini-Computer der PDP Reihe können folglich als „logische und ökonomische Zwischenglieder vom Mainframe zum Personal Computer“ (Coy, 1994, 28)
bezeichnet werden.
Die siebziger Jahre stellen einen Umbruch in der technischen Entwicklung des Computers dar. Die Einführung integrierter Schaltkreise, die folgende Erfindung des Mikroprozessors und enorme Fortschritte in der Speichertechnologie hatten eine Miniaturisierung
der Computertechnologie und den Preisverfall der Computerkomponenten zur Folge.
Zunächst spiegelte sich dieser technische Umbruch in der breiten Einführung elektronischer Taschenrechner wider, die in den siebziger Jahren endgültig die mechanischen
Rechenmaschinen ablösten und sich wenige Jahre nach ihrer Markteinführung in einem
dramatischen Preisverfall zu billigen „Wegwerf-Artikeln“ entwickelten (Ceruzzi, 1998,
213-214). Elektronisch-digitales Rechnen war plötzlich ein dezentrales, kostengünstiges
Massenphänomen. In der Computerentwicklung war vor allem die Erfindung der ersten
Mikroprozessoren bei Intel in den Jahren 1971-74 ein entscheidender Wendepunkt und
ebnete den Weg für den „Siegeszug des Personalcomputers“, der sich mit dem Altair
8800 im Jahr 1975 ankündigte (Matis, 2002, 261).
Trotz der technischen Revolution der siebziger Jahre in der Computerentwicklung und
der scheinbar chronologisch-kausalen Abfolge von Großrechnern zum Personalcomputer, gibt es jedoch keinen spezifischen Wendepunkt, an dem die digitale Maschine aufhört Rechner zu sein und sich als umfassendes Medium weiterentwickelt. Noch heute
werden Großrechenanlagen für bestimmte Rechen-Aufgaben im wissenschaftlichen wie
wirtschaftlichen Sektor verwendet und die Entwicklungslinie der Rechenmaschinen
findet ihre Fortsetzung in zeitgenössischen Hochleistungs- oder Supercomputern78. Der
Personalcomputer, der sich als einfach zu bedienendes Multimedium für jedermann bis
Anfang der neunziger Jahre endgültig auch in den Privathaushalten etabliert hat, steht
also nicht in direkter historischer Abfolge der digitalen Rechenmaschine, auch wenn die
breite Diffusion der Computertechnologie in die Gesellschaft ohne die technische
‚Vorarbeit‛ der Mainframe-Entwicklung nicht denkbar gewesen wäre. Viel eher lässt sich
mit Michael Friedewald (1999, 15-34) feststellen, dass sich beide „Stränge der
Computerentwicklung“ (Friedewald, 1999, 16) seit den Anfängen des elektronisch78
Die Bezeichnung „Supercomputer“ geht zurück auf die Maschinen von Seymour R. Cray (1925-1996),
der mit seiner Firma Cray Inc. die Vektorrechner Cray-1, Cray-2 und Cray-3 vertrieb und als „Pionier
des Supercomputings“ gilt (Matis, 2002, 295-298). Der Wettbewerb um die schnellsten Rechenmaschinen hält seither unvermindert an: Seit 1993 veröffentlichen Prof. Dr. Hans Meuer (Rechenzentrum, Universität Mannheim) und Jack Dongarra (University of Tennessee, Kentucky) halbjährlich die viel beachtete TOP500 der „leistungsfähigsten Rechnersysteme“ (http://www.top500.org). Die im Juni 2005
auf der Intenational Supercomputer Conference in Heidelberg veröffentlichte 25. Liste wird zurzeit angeführt
vom BlueGene/L von IBM. Supercomputer werden vor allem in Klimaforschung und medizinischer
Forschung eingesetzt, wo komplexe Vorhersagemodelle durchgerechnet werden, wie zum Beispiel der
Earth Simulator von NEC.
53
entwicklung“ (Friedewald, 1999, 16) seit den Anfängen des elektronisch-digitalen Rechnens in den vierziger Jahren parallel zueinander entwickelt haben, wobei es immer wieder Berührungspunkte und Überschneidungen gab. Der PC, der heute aus dem medialen Alltag nicht mehr wegzudenken ist, hat demnach zwar seine technischen Wurzeln in
der Entwicklungsgeschichte der Rechenmaschine, darüber hinaus aber seinen konzeptionellen Ursprung in einer Vielzahl interdisziplinärer Entwicklungen, welche alle die „Idee der persönlichen Informationsverarbeitungsmaschine“ (Friedewald, 1999, 17) teilen.
Um die Frage zu beantworten, was es heißt den Computer als Medium zu interpretieren
und wo die Ursprünge der ‚Informationsverarbeitungsmaschine‛ liegen, ist es daher
notwendig von einer historisch-chronologischen Erzählung abzusehen und sich den
entscheidenden Kategorien zuzuwenden, in denen der Computer als Medium aufgeht.
3.2 Digitalisierung − Der Computer als Multimedium
„It is possible to invent a single machine which can be used to compute any computable
sequence“ (Turing, 2004, 68).
Durch seine Fähigkeit die ‚alten‛ Medien der Sprache und Schrift, der Klänge und Bilder
in sich aufzunehmen, zeichnet sich der moderne Computer als universales oder „inklusives Medium“ (Seel, 1998, 258) aus. Der Computer ist „digitale[r] Integrator aller vorherigen Medien und wird in alle Medien integriert“ (Coy, 1994, 30). Der Computer übernimmt zunehmend die Funktionen anderer Geräte wie Schreibmaschine, Fernseher,
Videorecorder, Stereoanlage und ist so in den letzten Jahren zum vielseitig anwendbaren
„Leitmedium der Gegenwart“ (Bolz, 1994, 16) geworden. Die Integration der hergebrachten audio-visuellen Medien, die den Computer zum Klang- bzw. Bildmedium
macht, lässt sich dabei grundsätzlich auf die digitale Architektur des modernen Computers zurückführen. Der binäre Code, mit dem der Computer rechnet, erlaubt es die
technischen Einzelmedien zu digitalisieren und im Computer als Multimedium zusammenzuführen. Wie Norbert Bolz (1994, 10) feststellt, hat diese „Medienkoppelung“ im
Medienverbund des Computers dabei zur Folge, dass der eigentliche „Inhalt“ des Universalmediums Computer „immer ein anderes Medium“ ist.
Am Anfang des Universalcomputers steht dabei ein einfacher, abstrakter Entwurf: die
Turingmaschine (Kittler, 2004, 192-193). Während bereits Leibniz (Werber, 2004, 81-89),
Babbage und Zuse die Vorteile des Dualsystems erkannt und bei der Konstruktion ihrer
binären Rechenmaschinen umgesetzt haben, war es der britische Mathematiker Alan
Turing (1912-1954), der mit dem konzeptionellen Entwurf einer abstrakten „universal
computing machine“ (Turing, 2004, 68) erstmals die prinzipielle digitale Berechenbarkeit
54
aller mathematisch beschreibbaren Probleme nachwies und damit eine „Mechanisierung
der Mathematik“ (Bolz, 1994, 11) vollzog. In seinem Artikel „On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem“ (Turing, 2004, 58-90) hatte der
Mathematiker bereits 1936 die Grundzüge des modernen Universalcomputers beschrieben (Copeland, 2004, 6). Turings theoretischer Entwurf, dem der amerikanische Mathematiker Alonzo Church (1903-1995) den bis heute geläufigen Namen Turingmaschine
gab, beschrieb eine binäre programmgespeicherte universale Maschine, die in der Lage
war, jede erdenkliche andere Turing-Maschine zu simulieren bzw. zu implementieren.
Von Neumann, Mauchly und Eckert griffen auf die theoretische Vorarbeit von Turing
zurück, als sie 1952 die universale Turing-Maschine in Form des EDVAC realisierten
(Copeland, 2004, 21-27) und damit, so von Neumann selbst, „very nearly an ‚allpurpose machine‛“ schufen (Ceruzzi, 1998, 25).
Bevor sich aber aus Turings Universalmaschine das heute allgegenwärtige Universalmedium
entwickeln konnte, musste man sich zuvor von der Festlegung des Computers auf seine
Funktion als arithmetische Maschine lösen79 und andere Anwendungsmöglichkeiten
erschließen. Aufgrund ihres logischen Aufbaues als universale Maschine haben Computer, so Jens Schröter (2004b, 361), „keine Spezifik außer eben der, unspezifiziert zu sein“
und eben deshalb ist die Geschichte des Computers ein „Prozess der Ausdifferenzierung“ in verschiedenen diskursiven Praktiken, in denen sich der Computer als Medium
herausgebildet hat.
Der amerikanische Ingenieur Vannevar E. Bush (1890-1974) war einer der Ersten, der
sich mit möglichen Anwendungsbereichen der neuen Technologie auseinandersetzte. In
seinem viel zitierten Aufsatz „As we may think“ aus dem Jahr 1945 beschrieb Bush
(1945) eine fiktive Maschine, der er den Namen Memex gab und die ein analog arbeitendes Gerät zur Informationsverarbeitung darstellte, „das einen wichtigen Beitrag zur
Fortentwicklung des menschlichen Geistes leisten könne“ (Friedewald, 1999, 51). Der
Memex war ein „Supersekretär“ (Friedewald, 1999, 60) für den individuellen Gebrauch
und sollte Wissenschaftlern dabei helfen die wachsende und unüberschaubare wissenschaftliche Literatur zu bewältigen. Wissenschaftliche Daten konnte der Memex fotografieren und auf Mikrofilm speichern, während der Benutzer durch die „assoziative
Speicherung“ seine Dokumente immer wieder finden konnte (Friedewald, 1999, 63).
Vannevar Bush stellte den abstrakten Entwürfen der Mathematiker Turing und von
Neumann den Entwurf einer anwendungsorientierten persönlichen Maschine entgegen
79
Dazu Friedrich Kittler (2004, 201): „Ohne Bilder wären Computer ein Spielzeug von Mathematikern
geblieben, eine Maschine auf Buchpapier, ganz wie Alan Turing 1946 über ihre Prinzipschaltung in
Worten und mathematischen Zeichen geschrieben hat.“
55
und brachte damit eine „originär ingenieurmäßige Methodik“ in die Computerentwicklung
ein (Friedewald, 1999, 71).
Der erste Großcomputer, dessen Anwendungen tatsächlich über die der zeitgenössischen Rechenanlagen hinausgingen, entstand ebenfalls in den USA. Zwischen 1944 und
1951 wurde der unter der Leitung von Jay W. Forrester (*1918) und Robert Everett
(*1921) am MIT entwickelte Whirlwind ausdrücklich nicht zur Weiterentwicklung der
Rechentechnik entworfen, sondern hatte „die Realisierung bestimmter Anwendungen
mit Hilfe des Computers“ (Friedewald, 1999, 85) zum Ziel. Ursprünglich zur Steuerung
eines Flugsimulators konstruiert und für zahlreiche weitere Anwendungen vorgeschlagen80, wurde der Whirlwind (bzw. sein Nachfolgemodell AN/FSQ7) schließlich in das
ab 1950 aufgebaute strategische Luftüberwachungssystem SAGE integriert (Friedewald,
1999, 89). Ein Entwicklungsschritt, der den Beginn einer Diffusion der Computertechnologie bedeutete, die in Form der heutigen Allgegenwart des Computers in Technik
und Alltag Realität geworden ist. Es ging bei der Konstruktion des Whirlwind nicht
mehr nur um die Frage, wie man die bekannten Anwendungen des Computers als Rechenmaschine weiterentwickeln und beschleunigen konnte, sondern darum, „bislang
unmögliche Anwendungen zu ermöglichen“ (Friedewald, 1999, 90).
Eine Schlüsselfigur in der konzeptionellen Weiterentwicklung des Computers der sechziger Jahre war der Mathematiker und Psychologe Joseph C. R. Licklider. In seinem
1960 erschienenen Aufsatz „Man-Computer Symbiosis“ (Licklider, 1999, 59-71) beschrieb der Amerikaner seine Vision eines Computerwerkzeugs für allgemeine geistige
Arbeit. Entscheidend war dabei für Licklider nicht die Frage, wie der Computer dem
Menschen Rechenarbeit abnehmen könne, sondern auf welche Art und Weise Computer und Mensch sich ergänzen und zusammenarbeiten können. So setzte Licklider sich
als Direktor des Information Processing Techniques Office (ITPO) der Advanced Research Projects
Agency (ARPA)81 für die Entwicklung von Time-Sharing-Systemen ein, welche die gleichzeitige Nutzung einer Rechenanlage von mehreren Benutzern erlaubten (Friedewald,
1999, 123-129).
Forrester, Everett und ihre Mitarbeiter legten 1948 einen Bericht für künftige Nutzungs- und Finanzierungsmöglichkeiten des Whirlwind vor, in welchem sie den Computer für den Einsatz in Flugraumüberwachungssystemen, Feuerleitsystemen und Simulatoren bis zu logistischen Planungssystemen vorschlugen (Friedewald, 1999, 89).
81 Das U.S. Verteidigungsministerium gründete die ARPA (später DARPA) 1958 als zivile und vom Militär weitestgehend unabhängige Einrichtung, um die wissenschaftliche wie technologische Vormachtstellung der USA in der Nachkriegszeit zu sichern. Vor allem das von Licklider gegründete ITPO sollte in
den nächsten Jahren maßgeblich zur Entwicklung und Etablierung der neuen Computertechnologie
beitragen (R. Hauben, 2001, 47-49).
80
56
Joseph Licklider war es auch, der sich dafür einsetzte, dass die ARPA die Arbeit eines
weiteren Pioniers der interaktiven Computertechnologie förderte: Im Jahr 1968 stellte
der Ingenieur Douglas C. Engelbart (*1925) seinem staunenden Publikum ein Computersystem vor, das die meisten Eigenschaften heutiger Computer bereits umfasste (Friedewald, 1999, 214-218). Mit seinem Online-System (NLS) ließen sich Dokumente, die
sowohl Texte als auch Grafiken enthielten, erstellen, bearbeiten und sogar über ein
Computernetzwerk versenden (Friedewald, 1999, 139). Weiterhin verfügte Engelbarts
Computersystem über mehrere, parallel anwendbare Ein- und Ausgabemöglichkeiten,
wie eine Einhandtastatur, einen Bildschirm und eine Maus82. Seiner Zeit weit voraus,
stieß das NLS bei den Computerherstellern allerdings nicht auf allzu großes Interesse,
erst einige Jahre später begann man sich wieder für Engelbarts innovative Lösungen zu
interessieren.
Die Grundlagen für die heutige Form der Computernutzung wurden endgültig in den
siebziger Jahren in einem Forschungsinstitut für Computerwissenschaften und Halbleitertechnik der amerikanischen Firma Xerox Corporation in Paalo Alto, einem kleinen Ort
am Rande des Silicon Valley, geschaffen. Im Paalo Alto Research Center (PARC) versammelte der Branchenführer bei Fotokopierern die renommiertesten Köpfe der Computerbranche, um die Möglichkeiten der interaktiven Computertechnologie weiterzuentwickeln und der Firma mit innovativen Produkten den Einstieg in den Computermarkt zu
ermöglichen (Friedewald, 1999, 237-245). Die Vorgabe für das Forschungsinstitut war
es, das „Büro der Zukunft“ (Friedewald, 1999, 260) zu entwickeln, in das der Computer
ebenso selbstverständlich integriert werden sollte wie Bleistift und Papier. Das neue
Computersystem sollte ein persönliches Werkzeug für den Benutzer sein und als universell einsetzbares Medium sowohl Texte und Grafiken als auch Musik bearbeiten können. Die Idee des ‚Multimedia-Computers‛ war geboren. Ehemalige Mitarbeiter aus der
Gruppe um Douglas Engelbart, die der Leiter des Computer Science Laboratory (CSL)
Robert Taylor zu PARC lotste, brachten dabei wesentlichen Erfindungen Engelbarts in
die Entwicklungsarbeit in Paalo Alto ein (Friedewald, 1999, 242). Nach einer langen
Planungs- und Experimentierphase konnte man 1973 am PARC schließlich den ersten
Mikrocomputer mit dem Namen Alto vorstellen. Der für seine Zeit überaus fortschrittliche Computer verfügte über einen Grafikbildschirm, eine Maus, sowie eine Schreibmaschinentastatur und konnte außerdem über ein Ethernet-Netzwerk an einen Laserdru82
In zahlreichen Versuchen mit unerfahrenen Computernutzern hatte sich die Maus zuvor gegen andere
ebenso innovative Eingabetechnologien durchgesetzt. Engelbart experimentierte unter anderem mit einem Lichtgriffel, einem Datenhandschuh und einem mit dem Knie steuerbaren Eingabegerät, das er
„Bug“ nannte (Friedewald, 1999, 176-185).
57
cker angeschlossen werden. Besonderen Wert legte man bei der Konstruktion des Alto
auf seine einfache Anwendbarkeit. Eine grafische, objektorientierte Benutzeroberfläche,
welche die heute gängigen Betriebsysteme bereits vorwegnahm, spiegelte diesen Ansatz
wider (Friedewald, 1999, 311-335). Trotz der innovativen Entwicklungen am PARC,
konnte der eher zögerlich agierende Konzern sich nicht mit dem Alto durchsetzen, lieferte für die weitere Entwicklung des Computers zum Universalmedium jedoch entscheidende Impulse (Matis, 2002, 269-271).
Wie Wolfgang Coy (1994, 31) festhält, lässt sich der „Beginn der eigentlichen Geschichte des Mediums Computer“ schließlich mit der Präsentation des Apple Macintosh im Jahr
1984 datieren. Die beiden Gründer von Apple Computers Inc., Steve Jobs (*1955) und
Stephen G. Wozniak (*1950), hatten bereits Ende der siebziger Jahre mit dem Apple II
einen kommerziellen Überraschungserfolg gelandet (Ceruzzi, 1998, 264-265) und wollten nun mit dessen Nachfolger ihre Vorstellung eines „Traumcomputers“ verwirklichen
(Friedewald, 1999, 379). Dabei orientierte man sich bei Apple vor allem an der innovativen Forschungsarbeit am PARC, die Steve Jobs und Jef Raskin (*1943), Manager für
Anwendungsprogramme bei Apple, bei einem Besuch in Paalo Alto kennen gelernt hatten (Friedewald, 1999, 379). Der Macintosh, den man 1984 im Zuge einer groß angelegten Werbekampagne auf den Markt brachte, übernahm die innovativen Systemkomponenten des Alto83 und konnte in seinem ‚schicken‛ Gehäuse zu einem Preis von etwa
2500 US-Dollar angeboten werden (Friedewald, 1999, 400). Über die grafische Benutzeroberfläche des Macintosh und dem separat erhältlichen Programm PageMaker84,
konnte der ‚Mac-User‛ umfangreiche Dokumente mit Texten und Grafiken erstellen.
Der Macintosh als erstes, tatsächlich universal anwendbareres und kommerziell erfolgreiches Multimedium wurde folglich schnell zum Lieblingswerkzeug von Grafikern,
Musikern und Schriftstellern (Friedewald, 1999, 405). Dabei markiert der Macintosh
auch in einer anderen Hinsicht einen Wendepunkt in der Computernutzung: Erstmals
trat in der Wahrnehmung des Benutzers die technische Maschine hinter ihre Anwendung als Medium zurück, der Computer wurde zur Black Box. Sherry Turkle berichtet
(1998, 49):
Man hatte bei Apple bereits ein Jahr zuvor versucht die innovativen Konzepte des Alto in einem kommerziellen Desktop-Computer zu vereinen. Der Apple LISA („Local Integrated Software Achitecture“)
blieb aber aufgrund des hohen Preises von rund 10000 US-Dollar ein kommerzieller Misserfolg (Ceruzzi, 1998, 273-274).
84 Für den Macintosh war PageMaker das, was man gemeinhin eine Killerapplikation nennt, also eine Software, die der eigentliche Grund ist, warum sich ein Käufer für den jeweiligen Computer entscheidet.
VisiCalc für den Apple II und Lotus 1-2-3 für den IBM PC waren ebenfalls solche Killerapplikationen
und trugen maßgeblich zum Erfolg der genannten Geräte bei (Friedewald, 1999, 405).
83
58
„Er verkörperte eine ganz andere Art des Verstehens. Anders als die Personalcomputer
vor ihm ermunterte der ‚Mac‛ die User auf der Oberflächenebene der visuellen Repräsentation zu verbleiben, die nichts von seinen inneren Mechanismen preisgab. Der Reiz
des Macintosh lag darin, dass seine ansprechenden Simulationen und Piktogramme dem
Anwender halfen, mühelos Zugang zu Programmen und Daten zu erhalten. Ihm wurde
eine glänzende Oberfläche präsentiert, über die er gleiten und auf der er spielen konnte.
Aber es gab keine Stelle, an der er zum Tauchen eingeladen wurde. […] Mit dem Macintosh begannen Personalcomputer die traditionelle Erwartung der Moderne zu konterkarieren, man brauche bei einem technischen Gerät nur die Haube abzunehmen, und
schon liege dessen Inneres nackt vor dem Auge des Betrachters. Die Besonderheit des
Macintosh bestand genau darin, dass er derartigen Phantasien keinen Vorschub leistete;
vielmehr machte er den Computerbildschirm zu einer Welt für sich“.
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass es sich bei dem modernen Computer um
einen Medienverbund handelt, der die traditionellen Einzelmedien durch das Verfahren
der Digitalisierung integriert und über eine Benutzeroberfläche organisiert. Wie sich
zeigen wird, macht diese Eigenschaft das Universalmedium Computer zu einem problematischen Ausstellungsobjekt. Durch die bloße Ausstellung des Computers lassen sich
nicht automatisch die in ihm integrierten Einzelmedien zeigen und umgekehrt führt eine
Präsentation der Einzelmedien in ihrer Anwendung nicht automatisch zu einem ganzheitlichen Erfassen des Medienverbundes Computer. Die Tatsache, dass der moderne
Computer sein technisches Innenleben zunehmend hinter seiner ‚Oberfläche‛ versteckt85
und sich seine Anwendung von ihrem technischen ‚a priori‛ entfremdet, führt außerdem
dazu, dass eine bloße Ausstellung der Hardware nicht ausreicht, um das Gesamtbild des
Computers zu erfassen.
3.3 Virtualität − Der Computer als Simulationsmedium
„We live in a physical world whose properties we have come to know well through long
familiarity. We sense an involvement with this physical world which gives us the ability
to predict its properties well. […] A display connected to a digital computer gives us a
chance to gain familiarity with concepts not realizable in the physical world. It is a looking glass into mathematical wonderland” (Sutherland, 1965).
Aber nicht nur die Pluralität seiner medialen Anwendung macht den Computer zu einem problematischen Ausstellungsobjekt. Über sein Fähigkeit hinaus die hergebrachten
Einzelmedien zu digitalisieren (Neucodierung) und in seinen Verbund aufzunehmen,
kann der Computer auch neue, virtuelle Inhalte erzeugen bzw. simulieren (Generierung)
(Korn, 2005, 82). Während numerische bzw. dynamische Simulationen86 dazu dienen,
Wie Friedrich Kittler (1993, 229) mit Nachdruck feststellt, steht der Computer damit ganz in der Tradition anderer technischer Medien: „Moderne Medientechnologien sind, schon seit Film und Grammophon, grundsätzlich darauf angelegt, die Sinneswahrnehmungen zu unterlaufen. Wir können schlichtweg nicht mehr wissen, was unser Schreiben tut, und beim Programmieren am allerwenigsten.“
86 Der Begriff „simulieren“ hat seinen Ursprung im lat. „simulare“ mit der Bedeutung „ähnlich machen,
nachahmen, zum Schein äußern“ und ist seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Wissen85
59
den Computer autark komplexe Phänomene der Wirklichkeit berechnen zu lassen und
Aus- bzw. Vorhersagen über den untersuchten Sachverhalt zu erlangen (Schröter, 2004,
160), ist für eine Untersuchung der medialen Eigenschaften des Computers vor allem
die interaktive87 oder „kybernetische Simulation“ (Weibel, 1993, 21) von Interesse, in
denen der Benutzer seine Umgebung beeinflussen und ‚eintauchen‛ kann. Wie Sybille
Krämer (1998, 13) feststellt, beruhen solche interaktiven Simulationen
„auf der Technik der ‚Immersion‛, durch die wir Bilder nicht nur anschauen, sondern in
den Bildraum auch eintreten und auf die Bildumgebung ohne (wahrnehmbare)
Zeitverzögerung einwirken können“.
Die wichtigsten Anwendungen interaktiver Computersimulationen sind Computerspiele
und die, vor allem in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in den Medienwissenschaften viel besprochenen Virtuellen Realitäten (VR)88. Das entscheidende Merkmal
interaktiver Simulationen ist dabei, dass die vom Computer generierten Inhalte immer
auf ihren Spieler bzw. Benutzer ausgerichtet sind und die menschlichen Beobachter
bzw. Akteure immer als „notwendige Bestandteile des kybernetischen Systems“ (Weibel,
1993, 21) in die Simulation eingeschlossen sind: Der Eintritt des Anwenders in die virtuellen Bildraum lässt eine isolierte Betrachtung der Hardware nicht zu: das Simulationsmedium erschließt sich nur in seiner Anwendung. Diese ‚intrinsische‛ Anordnung
der Immersionsmedien führt zu einer prinzipiellen Untrennbarkeit von Beobachter und
Beobachteten, von Spieler und Spiel, von Mensch und Maschine. Es gibt keine computergenerierte Umgebung ohne Beobachter, kein Computerspiel ohne Spieler oder um es
mit den Worten von Peter Weibel (1993, 36) zu sagen:
„Im Umgang mit den elektronischen Medien, mit den Tönen und Bildern, welche aus
der Eigenwelt der Apparate aufsteigen, wird klar, dass wir nicht einfach externe Benutzer und Beobachter sind, sondern dass wir es mit einer neuen Stufe der MenschMaschine-Symbiose zu tun haben, bei der die Schnittstelle eine zentrale Rolle spielt“.
Auch die interaktive Computersimulation hat neben ihren technischen Ursprüngen eine
vielfältige Ideengeschichte von geistigen Konzepten und Visionen und lässt sich folglich
nur schwer als einheitliche Entwicklungsgeschichte beschreiben. So kann man, wie Jens
Schröter (2004a, 156) feststellt, die Vorgeschichte der computergestützten interaktiven
schaftssprache gebräuchlich für „technische Vorgänge oder Naturprozesse wirklichkeitsgetreu (im Modell) nachbilden“ (Pfeifer et al., 1993, 1293).
87 „Interaktiv“ bezeichnet hier die Mensch-Maschine-Kommunikation und nicht die computergestützte
Mensch-Mensch-Interaktion, die im anschließenden Kapitel (3.4) besprochen wird.
88 Zum Beispiel von Rheingold (1992), Weibel (1993), Halbach (1994). Der Begriff „Virtuelle Realität“
(VR) wird oft ungenau und für verschiedene Phänomene verwendet. Im Folgenden sind mit VR computergestützte Display-, Interaktions- und Simulationstechnologien gemeint, die virtuelle Umgebungen
erzeugen, welche auf das betrachtende Subjekt immersiv wirken (vgl. Schröter, 2004, 152-156).
60
Simulation bis in die Anfänge der zivilen und militärischen Luftfahrt zu Beginn des 20.
Jahrhunderts zurückverfolgen. Im Jahr 1931 wurde von Edwin Link (1904-1981) der
erste einsatzfähige Flugsimulator vorgestellt, der eine ‚echte‛ Flugsituation mit Hilfe
einer mechanisch-pneumatischen Anordnung audio-visuell simulieren konnte. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Link-Trainer von der U.S. Air Force den Kriegsanforderungen
angepasst und als Celestial Navigator zu militärischen Trainingszwecken eingesetzt (Halbach, 1994, 233). Etwa zur gleichen Zeit und ebenfalls von der Air Force gefördert,
experimentierte Fred Waller (1896-1954) mit Filmprojektoren und verschiedenartigen
Leinwänden, um das visuelle Erlebnis der Kinematographie durch eine ‚RundumProjektion‛ dem natürlichen Sichtfeld des Menschen anzugleichen (Halbach, 1994, 233).
Wallers Cinerama-Verfahren wurde in spätere Modelle des Link-Trainers eingebaut.
Wie bereits in Kapitel 3.1 dargelegt, fallen in die Zeit des Zweiten Weltkriegs auch die
entscheidenden Schritte zur Entwicklung der Computertechnologie, die zur Berechnung
von Flugbahnen und Geschossen notwendig wurden (ENIAC). Es war nur eine Frage
der Zeit, bis man die neue digitale Rechentechnologie auch bei der Konstruktion der
immer anspruchsvoller werdenden Flugsimulatoren einsetzte. Um eine realistische Reaktion des Simulators auf die Eingaben des Testpiloten in Echzeit zu erhalten, war die
Berechnung komplexer Differentialgleichungen notwendig und die neue Technologie
versprach eine maschinelle Lösung (Schröter, 2004, 159). So wurde der am MIT ab 1944
konstruierte und bereits erwähnte Whirlwind-Computer von Jay Forrester ursprünglich
als universaler Flugsimulator konzipiert, wenn auch bekanntlich nie als solcher eingesetzt (Pias, 2002, 69-70).
Vor dem Hintergrund der technischen Realisierbarkeit computergestützter, interaktiver
Simulationen bildete sich in der Nachkriegszeit schließlich die Vision gänzlich digital
generierter und immersiv wahrnehmbarer künstlicher (Um-)Welten89, für die man heute
den Begriff Virtuelle Realität90 verwendet. Ein erstes, ausgereiftes Konzept der VR stellte
zum Beispiel Oswald Wieners (*1935) Entwurf des Bio-Adapters in den Jahren 1965/66
dar. Wiener (1993, 114-126) beschrieb mit seiner Immersionsmaschine eine interaktive
Technologie, die sich um den biologischen Körper des Benutzers legt und das Ziel hat,
die ‚wirkliche‛ Welt zu ersetzen. Erstmals wird folglich über die Verwendung von Computersimulationen nachgedacht, die nicht das Ziel verfolgen einen realen Prozess mögSchröter (2004, 168-80) verweist in diesem Zusammenhang auf zahlreiche utopische Entwürfe und
„fiktionale Überzeichnungen“ der Science-Fiction Literatur in den sechziger Jahren, etwa auf den Roman „Simulacron-3“ von Daniel Francis Galouye (1964) und Texte von Stanislaw Lem („Terminus“,
„Die Jagd“ u.a.).
90 Als Schöpfer des Begriffs „Virtuelle Realität“ wird gemeinhin Jaron Lanier genannt, der mit seiner
Firma VPL (Virtual Programming Language) die ersten kommerziell erhältlichen VR-Systeme vertrieb
(Schröter, 2004, 216).
89
61
lichst wirklichkeitsgetreu nachzubilden (wie im Falle der Flugsimulatoren), sondern fiktionale, aber ‚realistisch‛ wirkende Welten neu zu erschaffen.
Zur technischen Realisierung dieser geistigen Konzepte haben in den sechziger Jahren
vor allem die beiden ‚VR-Pioniere‛ Morton Heilig (1926-1997) und Ivan Sutherland
(*1938) einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geleistet. Dem Filmemacher und Erfinder Heilig ging es dabei weniger um die Potenziale der aufstrebenden Computertechnologie, als um die Entwicklung eines „Cinema of the Future“, das alle Sinne des Betrachters ansprechen sollte (Schröter, 2004, 180-187). Sein 1962 vorgestellter SensoramaSimulator simulierte die dreidimensionale Illusion einer Motorradfahrt durch New York,
die neben dem Einsatz von Stereoton auch die haptischen (Vibration) und olfaktorischen (Gerüche) Sinnesorgane des Rezipienten ansprach (Weibel, 1993, 23). Während
jedoch der Betrachter in Heiligs Maschine nicht in den Ablauf der Simulation eingreifen
konnte und eher passiver Zuschauer eines, zugegebenermaßen außergewöhnlichen, Kinoerlebnisses war, versuchte der Amerikaner Sutherland auf der Suche nach dem „ultimativen Display“, den projizierten Bildausschnitt an die natürliche bewegungsabhängige Wahrnehmung des Menschen anzupassen (Schröter, 2004a, 193). Dies gelang
Sutherland 1968 mit der Konstruktion eines Helmes mit integriertem Display, dessen
stereo-optische Bilder sich perspektivisch an die Kopfbewegungen des Rezipienten anpassen konnten. Für Weibel (1993, 25) bedeutet diese Erfindung des Head-MountedDisplay (HMD) „den eigentlichen Beginn der virtuellen Welten“.
Erst in den achtziger Jahren konnten die frühen Ideen und Arbeiten zur Generierung
Virtueller Realitäten aus den sechziger Jahren weiterentwickelt und zumindest ansatzweise realisiert werden. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung wurde 1988 am
Ames Research Center der NASA mit dem VIEW-System (Interactive Virtual Environment
Workstation) vollzogen, welches „alle Aspekte der Vorläufer, von der Flugsimulation bis
zu Sutherland“ aufnahm (Weibel, 1993, 26). Außerdem griff die NASA auf neuere Entwicklungen in der Mensch-Maschine-Kommunikation wie Datenhandschuh (DataGlove)
und Ganzkörperanzug (DataSuit) zurück, die eine direktere Interaktion des Anwenders
mit seiner virtuellen Umwelt ermöglichen (Schröter, 2004a, 206-209).
Obwohl sich die VR-Technologie durch ein großes medienutopisches Potenzial auszeichnet und vor allem in den neunziger Jahren sowohl im wissenschaftlichen, also auch
im populär-kulturellen Bereich für viel Begeisterung gesorgt hat91, konnte sich VR im
engeren Sinne, also als interaktive HMD-Technologie, bislang kaum als mediale An91
Beispielsweise in Filmen wie „Strange Days“ (1995), „Truman Show“ (1998), „The Matrix“(1999),
„eXistenz“ (1999). Schröter (2004, 221-234) diskutiert außerdem das Holodeck in der Fernsehserie „Star
Trek – The Next Generation“ (1987-1994).
62
wendung der Computertechnologie durchsetzen. Außerhalb des militärischen Sektors,
wo sie weiterhin als Trainingstechnologie eingesetzt wird, und einigen wenigen, spezifischen Applikationen im Bereich der Wissenschaften, lässt sich VR heute nur gelegentlich als Umsetzungen von Medienkünstlern oder als besondere Attraktion in Freizeitparks wieder finden.
Ganz anders verhält es sich bei der kommerziell wohl erfolgreichsten Anwendung der
interaktiven Computersimulation, den Computerspielen. Computerspiele zeichnen sich
laut Britta Neitzel (2004, 493) zunächst dadurch aus, dass das digitale Rechnen mit einer
spielerischen Anwendung verknüpft wird. Entscheidendes Element des Medium Computerspiel ist dabei die bereits erwähnte und für interaktive Simulationen charakteristische „ständige Rückkoppelung zwischen den Eingaben der Benutzer und der Ausgabe
auf dem Monitor/Display“ (Neitzel, 2004, 507). Auch in der Entwicklungsgeschichte
der Computerspiele wurde dabei oft versucht, den Immersionsgrad der Simulation
durch neue Displaytechnologien oder das Ansprechen zusätzlicher Sinnesorgane des
Spielers zu erhöhen92. Im Gegensatz zur VR, stellt für ein Computerspiel jedoch „die
eigentliche Handlung“ (Mertens & Meißner, 2002, 57) bzw. die Aufgabenstellung den
entscheidenden Immersionsfaktor dar, der dem Spieler erlaubt in die Simulation einzutauchen.
Trotzdem ist die Geschichte der Computerspiele zunächst eng verbunden mit der technischen Entwicklung des Computermonitors und seinen Vorläufern. So stellt Claus Pias
(2002, 70) fest, dass bereits die technische Anordnung des Whirlwind, der im Rahmen
des SAGE-Radarüberwachungssystems erstmalig die digitale Computersimulation mit
der Ansteuerung eines Displays verband, einige Computerspielelemente vorwegnahm.
Auf der angeschlossenen Kathodenstrahlröhre wurden feindliche Flugobjekte als Bildschirmpunkte visualisiert, welche der Operator mit einer Lightgun auswählen und markieren konnte. Erstmals, so Pias (2002, 71), wurde damit ein „Kommunikationsmodell
in der Beziehung von Computer und Benutzer“ (Pias, 2002, 71) eingeführt und ermöglichte eine Interaktion von Mensch und Maschine in Echtzeit.
Der erste, der mit der neuartigen Computertechnologie dann tatsächlich spielte (oder
vielmehr spielen ließ), war in den späten fünfziger Jahren der Amerikaner William Higinbotham (1910-1994). Der Ingenieur am Brookhaven National Laboratory suchte nach
einer geeigneten Attraktion für den ‚Tag der offenen Tür‛ seines Institutes und präsen92
Man denke zum Beispiel an Nintendos kuriosen Virtual Boy aus dem Jahr 1995, eine stereoskopische
Ausgabe des Erfolgsmodells Game Boy. Als multisensorische Elemente im Bereich der Computerspiele
konnten sich aber bislang nur diverse Forcefeedback- und Vibrationseffekte bei Controllern oder anderen
Eingabegeräten durchsetzen.
63
tierte den begeisterten Besuchern auf einem kleinen Oszilloskop, das an einen analogen
Computer angeschlossen war, ein simples Rückschlagspiel mit dem Namen Tennis for
Two (Mertens & Meißner, 2002, 20-22). Es waren jedoch wieder einmal die kreativen
Köpfe am MIT, die das erste vollständige Computerspiel programmierten und erstmalig
auch einer (zumindest etwas) breiteren Nutzergruppe verfügbar machten. Um die interaktiven Fähigkeiten des mit einem Vektorbildschirm ausgestatteten PDP-1 von DEC zu
demonstrieren, programmierten Steve Russell und seine Mitarbeiter im Winter 1961/62
das Computerspiel Spacewar, in dem zwei Spieler vor einem einfach darstellbaren und
trotzdem wirkungsvollen Sternenhintergrund mit zwei Raumschiffen, grafisch dargestellt als Dreieck und eine Art Nadel, gegeneinander antreten konnten (Mertens & Meißner, 2002, 23-27). Spacewar behielt den Status eines studentischen Projektes, wurde
jedoch von DEC begeistert aufgenommen und fortan als „Diagnoseprogramm“ mit
dem PDP-1 ausgeliefert (Pias, 2002, 84). Dies führte zu einer Verbreitung des Spiels bei
wissenschaftlichen Institutionen, die sich den kostspieligen PDP-1 anschaffen konnten.
Eine weitere Bildschirmtechnologie für Computerspielanwendungen erschloss Ralph
Baer (*1922), als er 1966 mit dem Odyssey Home Entertainment System die erste Videospielkonsole konstruierte, die man an den heimischen Fernseher anschließen konnte (Mertens & Meißner, 2002, 31-39). Das ab 1972 von der Firma Magnavox vertriebene Gerät
beinhaltete elf Spiele, die sich allesamt aus der bereits von Tennis for Two bekannten
minimalistischen Schwarzweißgrafik mit Punkten und Geraden zusammensetzten. Zu
jedem Spiel gab es jedoch eine bunte Klebefolie, die man auf dem Fernseher anbringen
konnte, um den schwarzen Bildschirm in eine Rennstrecke, ein Footballfeld oder einen
anderen ‚Hintergrund‛ zu verwandeln. Trotzdem wurde die Odyssey kein großer kommerzieller Erfolg und stieß bei der in Sachen Computernutzung noch weitestgehend
unerfahrenen Kundschaft eher auf Ablehnung.
Für die endgültige Popularisierung und kommerziell erfolgreiche Vermarktung von
Computerspielen steht der Name Nolan Bushnell (*1943). Inspiriert vom rechtlich ungeschützten Spacewar konstruierte der Gründer der Firma Atari im Jahr 1970 zunächst
die erfolglose, weil für die computer-unerfahrene Zielgruppe zu komplizierte ArcadeVariante Computer Space für Spielhallen. Zwei Jahre später war es dann schließlich wieder
eine Variante des Tennis for Two - Prinzips, mit der Bushnell der endgültige kommerzielle Durchbruch gelang (Mertens & Meißner, 2002, 48-54). Der legendäre Spielautomat PONG gilt als „Initialzündung der Videospiele-Industrie“ (Lange, 2002, 15) und
erreichte nach seinem Siegeszug durch die Spielhallen schließlich auch in Form zahlreicher Heimvarianten die Privathaushalte.
64
Ende der siebziger Jahre waren es die Spiele Breakout (1976) und Space Invaders (1978),
die den bis dahin so simplen Computerspielen mehr inhaltliche Tiefe, eine Hintergrundgeschichte und nicht zuletzt die nötige Langzeitmotivation durch die Einführung eines
Level- (Breakout) und Highscore-Systems (Space Invaders) beifügten (Mertens & Meißner, 2002, 54-63). Vor allem das überaus erfolgreiche Space Invaders sorgte für einen
neuen Schub der Branche und war maßgeblich verantwortlich für den kommerziellen
Erfolg des Heimvideospielsystems VCS 2600 von Atari, von dem bis zum Jahr 1991
fast 25 Millionen Stück hergestellt wurden (Lange, 2002, 22).
In den achtziger Jahre wurde das Computerspiel dann endgültig ein „interaktives Erzählmedium“ (Lange, 2005), nicht zuletzt durch den Auftritt der ersten VideospieleStars Pacman (1980) und Nintendos Erfolgsgaranten Mario (1981). Computerspiele entwickelten sich zu literarischen Medien und begannen Geschichten zu erzählen, mit der
entscheidenden Besonderheit, dass der Spieler den Ablauf der Geschichte beeinflussen
konnte (Mertens & Meißner, 2002, 74-87). Nach einer kurzzeitigen Krise der amerikanischen Videospiel-Industrie in den Jahren 1983/84 (Lange, 2002, 4) erfolgte in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts die endgültige Etablierung des Computerspiels als populäres
Medium. Während Nintendo an die Tradition der Spielkonsolen anschloss und mit dem
Nintendo Entertainment System (NES) 1985 eines der erfolgreichsten Videospielsysteme
aller Zeiten auf den Markt brachte (Lange, 2002, 45), sorgten vor allem die ersten preisgünstigen Personal Homecomputer wie der C64 für die breite Diffusion der Computerspiele in die Privathaushalte. Es folgte der Aufstieg einer Unterhaltungsindustrie, in der
mit Computerspielen heute weltweit mehr Umsatz gemacht wird als mit Kinofilmen93,
was Florian Rötzer (2003, 9) zu der Aussage bewegt, bei Computerspielen handle es sich
um „die eigentliche Kunstform des digitalen Zeitalters“.
Für den weiteren Verlauf der Arbeit bleibt festzuhalten, dass sich der Computer in seiner Anwendung als interaktives Simulationsmedium nicht ohne das Subjekt erfassen
lässt, von dem es benutzt wird. Genauer: Der moderne Computer als interaktives Simulationsmedium erschließt sich nur im Prozess seiner Anwendung. In der intrinsischen
Anordnung der Mensch-Maschine-Symbiose lässt sich nicht das eine losgelöst von dem
anderen betrachten. Die Folgen, die dieser symbiotische Charakter der Computeranwendung für den Computer als Exponat hat, werden in Kapitel Vier dieser Arbeit ersichtlich.
93
Mit Computer- und Videospielen werden weltweit rund 18,8 Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt.
Marktforscher prognostizieren einen weiteren Anstieg und einen Umsatz von 27,1 Mrd. Euro im Jahr
2008. (Quelle: Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland ev., www.vud.de, Zugriff 4.06.05).
65
3.4 Interaktivität − Der Computer als Kommunikationsmedium
“In a few years, men will be able to communicate more effectively through a machine
than face to face” (Licklider & Taylor, 1968, 31).
Obwohl die uneingeschränkte Berechen- und Integrierbarkeit von mathematisch formulierbaren Inhalten durch die universelle Turingmaschine und das Potenzial virtuelle,
interaktiv steuerbare Inhalte zu generieren, die zentralen technischen Kategorien des modernen Computers sind, ist es vor allem die Anwendung als Kommunikationstechnologie, welche den Computer in den letzten Jahren zum Leitmedium der Gegenwart gemacht hat.
Neben die beschriebene Mensch-Maschine-Interaktion tritt die ab 1960 vorangetriebene
Vernetzung der Computer als Maschine-Maschine-Kommunikation, eine Verbindung,
die schließlich zur computervermittelten Mensch-Mensch-Interaktion führen sollte.
‚Interaktivität‛ meint also in diesem Zusammenhang die direkte computervermittelte
Kommunikation zwischen Menschen (E-Mail, Chat etc.), aber auch die Teilnahme an
dem neuen Informationsraum des World Wide Web. Durch seinen Anschluss an das globale Netzwerk wird der Computer zum „Teil eines neuen Mediums“ (Coy, 1994, 32).
Die erste Vernetzung digitaler Rechenmaschinen erfolgte Ende der fünfziger Jahre als
direkte Reaktion der USA auf den ‚Sputnik-Schock‛. Im Rahmen des amerikanischen
SAGE-Projektes wurden landesweit 22 Computer des Typen AN/FSQ7 und hunderte
Radarstationen über Telefonleitungen verbunden, um die Vereinigten Staaten frühzeitig
über Angriffe durch Langstreckenwaffen zu informieren und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten zu können (Darius, 2001, 686). Der von IBM hergestellte AN/FSQ7,
auch bekannt als Whirlwind II, war eine Weiterentwicklung des in die Jahre gekommenen Whirlwind I und hatte die Aufgabe, die umfangreichen Datenmengen aus den angeschlossenen Radarstationen zu empfangen, auszuwerten und für seinen operator grafisch
aufzubereiten. Obwohl SAGE ein frühes „Beispiel für ein distributed network“ (Darius,
2001, 686) und Vorbild für spätere Datennetze darstellte, war das System aufgrund seiner langen Reaktionszeiten und seiner zentralistischen Kommandostruktur strategisch
ineffektiv und zu störungsanfällig (Friedewald, 1999, 95), was zu anhaltenden Diskussionen über die Informations- und Kommandostrukturen der USA im Kalten Krieg führen sollte (Schröter, 2004, 41-46).
Ein Ingenieur, der sich in dieser Sicherheitsdebatte besonders hervortat, war Paul Baran
(*1926). Im Auftrag der vom Militär finanzierten RAND Corporation beschäftigte sich
Baran mit der Frage, wie Amerikas Kommunikations- und Verteidigungsstrukturen auch
im Falle eines thermo-nuklearen Erstschlages weiterarbeiten könnten (Hunter, 2001, 93-
66
94). In seinem 1964 veröffentlichten Aufsatz „On Distributed Communications“ fasste
Baran (1964) seine Überlegungen zusammen und plädierte für ein „distributed network“, in dem alle Knotenpunkte („nodes“) die gleiche Bedeutung haben und welches
dadurch die Anfälligkeiten und Probleme eines zentralistischen, sternenförmig angelegten Kommunikationssystems umgehen könne. Außerdem kam Baran im Verlauf seiner
Arbeiten auf den Gedanken, die im Netzwerk zu transportierenden Daten in „standardized-format packets“ (Baran, 1964) aufzuteilen und mit einer gemeinsamen Zieladresse
versehen über verschiedene Routen zu verschicken (Abbate, 1999, 20-21). Die Aufteilung von Daten in gleichgroße ‚Pakete‛ erlaubt eine einfachere Auslegung der Knotenpunkte des Netzwerkes, ermöglicht eine Rekonstruktion der Daten, wenn einzelne Pakete nicht ihr Ziel erreichen und erschwert überdies unerlaubtes Abfangen von sensiblen Inhalten. Der Engländer Donald Davies (*1924) entwickelte ein paar Jahre später
(aber unabhängig von Baran) im Auftrag des Ministry of Technology ein ähnliches Konzept
für verteilte Computer-Netzwerke und prägte den Begriff des packet switching (Abbate,
1999, 22-35).
Auch wenn Barans Überlegungen seinerzeit in den zuständigen Regierungsstellen mit
großer Skepsis aufgenommen wurde und keine weitere Berücksichtigung fand, sollte
sein Konzept, sowie die Überlegungen von Donald Davis, Ende der sechziger Jahre am
ITPO der ARPA wieder aufgegriffen werden.
Dort wurde unter der Leitung von Joseph Licklider jedoch zunächst ein ganz anderes
Leitbild der vernetzten Computernutzung verfolgt. In den Anfängen der Computertechnologie dominierten, wie in Kapitel 3.1 dargestellt, zunächst Großrechenanlagen mit
hoher Rechenleistung die Computernutzung. Die verfügbaren Ressourcen der Mainframes überstiegen dabei die Anforderung einer einzelnen Anwendung bei weitem und
waren prinzipiell (aufgrund ihrer sequenziellen von Neumann-Architektur) in der Lage
hunderte von Anwendungen hintereinander zu bedienen (Coy, 1994, 27). Die Einrichtung von Computer-Netzwerken bedeutete also zunächst die Verteilung der zentralen
Rechenleistung eines Großcomputers auf verschiedene angeschlossene Arbeitsplätze.
Dieses Prinzip des Time-Sharing bestimmte die zeitgenössische Vorstellung von Computer-Netzwerken und wurde in Form des IBM System/360 „zu einer Art Standard in der
Großrechnerwelt“ (Coy, 1994, 27).
Es handelte sich folglich um einen entscheidenden konzeptionellen Richtungswechsel,
als Lawrence Roberts (*1937), Projektleiter am ITPO, im Oktober 1967 auf einem
Symposium in Gatlingburg/Tennessee und wenige Tage später einem Computer Network
Meeting im Pentagon, seine Pläne zum ARPANET vorstellte, dem Vorläufer des heuti-
67
gen Internet (Schröter, 2004a, 44-45). Inspiriert von den Arbeiten Paul Barans und Donald Davies’, präsentierte Roberts das ARPANET als verteiltes Netzwerk mit packet
switching und wich damit vom zentralistisch ausgerichteten Time-Sharing-Prinzip ab.
Vor dem Hintergrund des entstehenden ARPANET beschrieben Licklider und sein
Nachfolger am ITPO, Robert Taylor (1968), ein Jahr später in ihrem Aufsatz „The
Computer as a Communication Device“, wie ein solches verteiltes Netzwerk dazu benutzt werden kann, um menschliche Kommunikation jeglicher Art94 über Computer zu
erleichtern und zeichneten sogar die Zukunftsvision von „On-line interactive communities“ (Licklider & Taylor, 1968, 37-38), in denen sich Menschen aufgrund ihrer gemeinsamen Interessen unabhängig von ihrem Wohnort austauschen können95. Es dauerte
allerdings ein weiteres Jahr bis es der ARPA tatsächlich gelang vier Rechenanlagen (der
Universitäten in Los Angeles, Santa Barbara und Utah, sowie dem Stanford Research
Institute) zu einem ersten Kernnetzwerk zusammenzuschließen. Die Plattformunabhängigkeit des Netzes – es handelte sich um vier unterschiedliche Computermodelle (u.a.
IBM 360/75 und PDP-10) – erreichte man dabei durch die Verwendung so genannter
Interface Message Processor (IMPs), die zwischen die Hostcomputer und das Netz geschaltet
wurden (Schröter, 2004a, 50).
Nachdem das ARPANET in den folgenden Jahre weiter ausgebaut und ein eigenes
Netzwerkprotokoll (NCP) entwickelt wurde, konnte Robert Kahn (*1938) das Netzwerk schließlich auf der International Computer Communication Conference (ICCC) im
Jahr 1972 einer begeisterten Öffentlichkeit vorstellen (Leiner et al., 2000, 3). Im gleichen
Jahr entwickelte Ray Tomlinson ein Programm für die Arbeitsgruppe Network Working
Group, mit dem sich die notwendigen Koordinierungsaufgaben bei der Entwicklung des
ARPANET durch das Versenden elektronischer Briefe besser bewältigen lassen sollten
– E-Mail sollte die ‚Killerapplikation‛ werden, die in den folgenden Jahren einen entscheidenden Beitrag zur raschen Akzeptanz und Nutzung des Netzes vor allem im wissenschaftlichen Bereich leistete (Leiner et al., 2000, 3).
Während sich so das ARPANET in den nächsten drei Jahren von einem experimentellen zu einem operationalen Netzwerk entwickelte und immer weitere Großcomputer
hinzu kamen, stellte sich bald die Frage, wer für das staatlich entwickelte Computernetzwerk in Zukunft zuständig sein sollte. Nachdem man zunächst erwogen hatte, die
Es lässt sich also beobachten, wie sich am ITPO die Realisierung von effizienten Computernetzwerken
von einer militärischen Sicherheits-Frage zu einem allgemeinen Ansatz entwickelt hat. Dass das Internet
in seiner heutigen Form nicht ausschließlich militärische Ursprünge hat, sondern sich vielmehr durch
Ausdifferenzierungen in militärischen und zivilen Bereichen beschreiben lässt, folgert daher auch Jens
Schröter (2004b, 370).
95 Eine frühe Vorwegnahme der „Virtuellen Gemeinschaften“ im Internet, mit denen sich unter anderen
Howard Rheingold (1994) in den neunziger Jahren intensiv auseinandergesetzt hat.
94
68
Administration des ARPANET einem kommerziellen Unternehmen wie AT&T zu
übertragen, übernahm im Jahr 1975 die Defense Communication Agency (DCA) die Kontrolle über das Netz (M. Hauben, 2001, 51). Die Militärs versuchten in der Folge das Netz
zu homogenisieren und für ihre internen Zwecke nutzbar zu machen96, was sich vor
allem 1980 in der Festlegung des ARPANET auf das Transmission Control Protocol/Internet
Protocol (TCP/IP) äußerte (Leiner et al, 2000, 8). Aufgrund der steigenden Nutzung des
Netzes organisierte die DCA jedoch 1983 die Spaltung des ARPANET in ein rein militärisch nutzbares MILNET und das so genannte Experimental ARPANET, welches auch
weiterhin eine uneingeschränkte, experimentelle Nutzung des Netzwerks gewährleisten
sollte (Schröter, 2004a, 60).
Von der Möglichkeit an dem entstehenden Kommunikationsmedium teilzuhaben und
sein kommunikatives Potenzial zu nutzen, wurde zur dieser Zeit vor allem an den Universitäten und Forschungsinstituten reger Gebrauch gemacht. Hatten sich erste computergestützte Konferenzsysteme (z.B. EMISARI oder EIES) bereits in den siebziger Jahren entwickelt, entstanden so Anfang der achtziger Jahre die ersten Multi User Domains
(MUD) und Diskussionsforen (z.B. Usenet), für die sich neben den akademischen Forschungsgemeinschaften auch zunehmend private Anwender zu interessieren begannen
(Rheingold, 1994, 142-165).
Währenddessen entwickelten sich parallel zum ARPANET in den siebziger und achtziger Jahren weltweit zahlreiche weitere wissenschaftliche, amtliche und private Netzwerke, die schließlich auch das Standardprotokoll TCP/IP einführten. Diese Anpassung
sowie die Einbindung der vor allem im universitären Bereich sehr beliebten lokalen
Netzwerke (LANs), war eine Grundvoraussetzung für die Verbindung der separaten
Netze zu einem umfassenden, globalen (noch nicht so genannten) Internet in den achtziger Jahren. Ab 1986 wurde das ARPANET schließlich nach und nach von der zivilen
Einrichtung National Science Foundation (NSF) übernommen und als NSFNET weitergeführt (Abbate 2000, 181-220). Als am 28. Februar 1990 das ARPANET auch offiziell
aufgelöst wurde, beschloss man die vorhandene technische Infrastruktur des NSFNET
zu privatisieren und dem Internet (Backbones) als Gerüst zur Verfügung zu stellen. Nun
war zumindest prinzipiell eine allgemeine und vor allem kommerzielle Nutzung des Internet möglich. Bevor sich aber das Internet zum viel genutzten ‚neuen Medium‛ entwickeln konnte, war eine Anpassung der Netzwerktechnologie an die Rezeptionsgewohn-
96
Dies geschah nicht zuletzt, um sich in Anbetracht der sich anbahnenden ‚PC-Revolution‛ vor Attacken
und unerlaubten Zugriffen auf das ARPANET durch private Anwender (‚Phone Phreaks’) zu schützen
(Schröter, 2004b, 366).
69
heiten des ‚normalen‛ Personal Computer-Users notwendig – es bedurfte einer anwenderfreundlichen und intuitiven ‚Benutzeroberfläche‛ für das Internet.
Dies geschah durch eine Erfindung des britischen Software-Ingenieurs Tim Berners-Lee
(*1955) im Jahr 1989 am European Laboratory for Particle Physics (CERN) in Genf. BernersLee entwickelte eine Anwendung, die heute fälschlicherweise oft als Synonym für das
Internet gebraucht wird: das World Wide Web (WWW). Der studierte Physiker orientierte
sich dabei an den Überlegungen von Vannevar Bush zum Memex sowie den Ausführungen des Amerikaners Theodor Nelson (*1937), der bereits in den sechziger Jahren
den Begriff des Hypertext97 geprägt hatte (Berners-Lee, 1996). Ursprünglich entwickelt,
um die weltweite Kommunikation innerhalb des CERN zu verbessern, beruhte BernersLee’s Erfindung auf der Einführung von drei Standards: Das Hypertext Transfer Protocol
(HTTP) garantierte ein gemeinsames Kommunikations-Protokoll zwischen den verschiedenen Netzwerken, während Hypertext Markup Language (HTML) die einheitliche
Codierung und Einbindung multimedialer Inhalte ermöglichte. Die Adressvergabe gemäß des Uniform Resource Locator (URL) erlaubte es Websites durch hypertext-links miteinander zu verbinden. Nachdem das WWW im Jahr 1993 durch die Direktion des CERN
freigegeben wurde (ohne Lizenzgebühren zu erheben!), entstanden rasch kostenlose
‚Browser‛ wie Mosaic und Netscape Navigator, welche den Umgang mit den Datennetzen
vereinfachten (Kammer, 2001, 546).
Die Einführung des WWW bedeutete einen entscheidenden Entwicklungsschub für das
Internet und die Diffusion der Netzwerktechnologie in den öffentlichen Raum. Unter
der Schlagzeile „A Free and Simple Computer Link“ erschien im Dezember 1993 ein
ausführlicher Artikel in der New York Times über das WWW als „Schatzkarte des Informationszeitalters“ (Markoff, 1993) und rückte damit das Internet als neues Informations- und Kommunikationsmedium erstmals in den Fokus der allgemeinen amerikanischen Öffentlichkeit. Ab 1994 begann sich das Internet explosionsartig und mehr oder
weniger wildwüchsig auszubreiten98. Die Öffnung des Netzes für die allgemeine Öffentlichkeit hatte eine Ausweitung der Angebote und eine starke Kommerzialisierung zur
Anschließend an Vannevar Bush, hat sich Nelson mit einer assoziativen, non-sequenziellen Organisation von Informationen befasst, durch die eine bessere Verfügbarkeit von Wissen erreicht werden sollte.
In Anlehnung an die Funktionsweise des menschlichen Gehirns sollte eine assoziative Verknüpfung
von Daten als Gegenentwurf zu den herkömmlichen linearen Texten die Bewältigung eines ständig anwachsenden Archivs ermöglichen. Nelson verband seine Idee des „Hypertext“ explizit mit der Nutzung
der digitalen Computertechnologie, was sein Konzept zu einem „Vorläufer heutiger Software zur hypertextuellen Vernetzung von Dokumenten“ macht (Schröter, 2004a, 34-39). Der Begriff „Hypertext“
wurde vor allem bekannt durch einige Hypertext-Programme für den Apple II in den achtziger Jahren
(z.B. Hypercard, 1986).
98 Im Jahr 2000 lag die Zahl der Menschen mit Zugang zum Internet weltweit zwischen 360 und 380
Millionen und es wurden in diesem Jahr etwa 10 Milliarden E-Mails verschickt, der Suchdienst google erfasste über 500 Mio. Websites (Balnaves, J. Donald & S. H. Donald, 2001, 84-91).
97
70
Folge. Zunächst auf Texte und einfache Grafiken beschränkt, vollzog sich im Laufe der
neunziger Jahre eine „Multimediatisierung“ des Netzes (Kammer, 2001, 547), woran vor
allem steigende Übertragungskapazitäten und neue Datenkompressionsverfahren einen
großen Anteil hatten.
Es bleibt festzuhalten, dass durch die Einrichtung des globalen Computernetzwerkes
mit dem Internet ein neues, globales Medium entstanden ist. Computernetzwerke lassen, wenn man den einschlägig bekannten Metaphern wie Datenautobahn, Global Village
oder Cyberspace99 Glauben schenken mag, einen „global organisierten Raum entstehen,
welcher grenzenlos, permanent veränderbar und nicht mehr örtlich fixiert ist“ (Löw,
2001,103). Die Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit dem Netz (oder doch
den Netzen?), sowie nicht selten widersprüchlichen Beschreibungen der ‚Netzwelt‛ führt
Manfred Fassler (2001, 21) dabei auf den dynamischen Charakter der Computernetzwerke zurück:
„Netze sind unüberschaubare Prozesse, die sich selbst zu organisieren scheinen, die eine
Lebendigkeit entwickeln, die die menschliche Selbstorganisation als Gesellschaft zu überspringen scheinen oder ihr zumindest neue Serien von Emergenzen (überraschende
Erkenntnismuster) auferlegen“.
Computer ermöglichen den Zugang zu dem neuen Medium Internet und bilden gleichzeitig dessen Infrastruktur. Sie sind nicht nur Teil des Ganzen, sondern eben auch Voraussetzung, bzw. technisches a priori der medialen Netzkonstellation. Dass sich dieser
komplexe Zusammenhang nur schwer in einer Ausstellung bzw. an einem Exponat ‚zeigen‛ lässt, sei bereits an dieser Stelle vorweggenommen.
99
Eine Diskussion dieser und anderer Metaphern für den neuen Datenraum liefert Achim Bühl (2000, 137).
71
4
Der Computer als Exponat
„Lokomotiven und Eisenbahnwagen, die in einem Eisenbahnmuseum stehen, transportieren keine Reisenden und Güter mehr. Die in einem Armeemuseum deponierten
Schwerter, Kanonen und Gewehre dienen nicht mehr zum Töten. Utensilien, Werkzeuge und Kostüme, die Teile eines ethnographischen Museums oder einer Sammlung sind,
haben keinen Anteil mehr an Alltag und Arbeit der Bevölkerung in Stadt und Land
[…]“ (Pomian, 1993, 14).
‚… und mit den Computern, die in einem Computermuseum stehen, werden keine Dokumente verfasst, keine Bilder bearbeitet oder Spiele gespielt und keine E-mails verschickt‛. So oder ähnlich kann man die Überlegungen von Krysztof Pomian weiterführen, wenn man sich mit dem Computer als Ausstellungsobjekt beschäftigt. Die historischen Objekte einer technischen Sammlung sind zunächst Gegenstände ohne Funktion,
die aus ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang entnommen wurden und eine
neue Rolle als Exponat100 zugewiesen bekommen. Als „Vehikel, die das Einst ins Jetzt
tragen“ (Klein, 2004, 42) sollen sie dennoch in der Ausstellung ‚authentisch‛ auf ihre
vergangene Anwendung und Funktionalität verweisen. Auf diese Weise verschaffen
diese „Zeugen der Vergangenheit“ (Korff, 2002c, 168) dem Ausstellungsbesucher einen
Zugang zur kulturellen Herkunft seiner Gesellschaft und lassen das Museum als „Bewahrer des kollektiven Gedächtnisses einer Gemeinschaft“ auftreten (Waidacher, 2005,
27).
Während jedoch Funktionalität und Gebrauchszusammenhang der angesprochenen
Lokomotive eng an deren gegenständlich materielle Oberfläche geknüpft und daher durch
das Exponat im Eisenbahnmuseum nachvollziehbar bzw. ‚transparent‛ sind, bleibt der
Personalcomputer in der Vitrine auffällig blass und nichts sagend. Dies liegt vor allem
daran, dass sich der Computer als Medium, wie in Kapitel 3 dargestellt, mehr als jeder
andere moderne technische Gegenstand, erst in seiner Anwendung durch den Benutzer,
also im Prozess der Mensch-Maschine-Interaktion (Multimedium, Simulationsmedium)
bzw. Mensch-Mensch-Interak-tion (Kommunikationsmedium) erschließen lässt.
Das folgende Kapitel untersucht drei unterschiedliche Ansätze, den Computer im Rahmen einer Ausstellung als Exponat zu präsentieren. Es zeigt sich, dass mit zunehmender
Komplexität des ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs der Objekte, die Möglichkeit einer authentischen Präsentation am Exponat abnimmt.
100
Eine sprachlich präzisere Bezeichnung für museale Ausstellungsobjekte ist der Begriff ‚Exposita‛, abgeleitet vom lat. expositum (= ausgestellt, zur Schau gestellt) siehe Waidacher, (2005, 319). Aus Gründen
der Leserlichkeit wird im Folgenden jedoch der gebräuchlichere Neologismus ‚Exponat‛ verwendet.
72
4.1 Vom Werkzeug zum alten Objekt − Der alte Computer
Historische Ausstellungen zeigen im Allgemeinen zwei verschiedene Arten von Exponaten: einerseits speziell für diesen Zweck angefertigte Objekte (wie z.B. Schautafeln, Modelle, Druckknopfexperimente etc.), andererseits historische Objekte, die der ‚wirklichen
Welt‛ außerhalb der Ausstellung entstammen und aufgrund ihrer Geschichtlichkeit als
bedeutsam angesehen werden. Für Letztere hat der französische Philosoph Jean
Baudrillard (1991, 95-109) den Begriff der „Alten Objekte“ gewählt. „Alte Objekte“
definieren sich für Baudrillard ganz über ihr Verhältnis zur Vergangenheit: Aus „Nostalgie für den Ursprung“ und „Versessenheit auf das Authentische“ wird ihnen ein besonderer Ausdruck beigemessen: „Im alten Objekt erkennen wir somit den Mythos vom
Ursprung“ (Baudrillard, 1991, 98).
Eingangs seines Buches „Expositum. Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit“ untersucht Alexander Klein (2004, 22-49) die Entstehung musealer Gegenstände
und verfolgt ihren Weg „vom Zeug zum Alten Objekt“. Unter ‚Zeug‛ fasst Klein (2004,
22-23) dabei die Dinge des Alltags zusammen, mit denen wir selbstverständlich umgehen, ohne dass sie sich in unsere bewusste Wahrnehmung drängen bzw. wir auf sie aufmerksam werden101:
„Der Umgang mit Zeug erscheint selbstverständlich; man hinterfragt es nicht. […] Entscheidend für den Zeugcharakter ist das völlige Aufgehen des Zeugs in einer Handlung,
und nicht seine Form oder sein Ursprung.“
Der Computer ist eine gutes Beispiel dafür, wie (Werk-)Zeug in einer bestimmten
Handlung aufgeht: Verfasst man mit dem PC einen Text, so gehen Tastatur, Monitor
und Rechner in der Schreibarbeit auf und entschwinden unserer aktuellen Wahrnehmung: „Zeug“, so Klein (2004, 23), „zeigt sich nicht“.
Im ‚Zeug‛ ist jedoch immer die Möglichkeit angelegt ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit zu gelangen und „zum unterschiedenen Etwas, das heißt zum materiellen Gegenstand zu erwachen“ (Klein, 2004, 24). Dieser Prozess der „Vergegenständlichung“ kann
auf zwei Arten geschehen: Zum einen können Gegenstände entstehen, wenn ‚Zeug‛
plötzlich auffällig wird und die Aufmerksamkeit des Benutzers auf sich zieht. So ist zum
Beispiel die Tastatur des PCs ‚auf einmal da‛ (d.h. hat unsere Aufmerksamkeit) wenn sie
nicht korrekt funktioniert, vom Tisch fällt oder ein ähnlich unvorhergesehener Zwischenfall eintritt. Die zweite Form der Vergegenständlichung bedarf der aktiven Bedeu101
Klein entleiht den Begriff des ‚Zeugs‛ bei Heidegger, der darunter die Gegenstände („das Seiende“)
versteht, die in der Lebenswelt ‚zuhanden‛ sind, also für eine Verwendung zur Verfügung stehen und
in einer vorwissenschaftlichen Erfahrung erlebt werden (siehe Figal, 1992).
73
tungszuschreibung durch das reflektierende Subjekt, welches aus der Menge des Zeugs
einen Gegenstand auswählt und ihm eine „situationsunabhängige Bedeutung“ (Klein,
2004, 25) zuschreibt. Dies ist zum Beispiel der Fall wenn profane Dinge aus dem Urlaub
mitgebracht und als ‚Andenken‛ umgedeutet werden. Vergegenständlichung als eine
solche subjektive Bedeutungszuschreibung ist dabei immer abhängig vom betrachtenden
Individuum. „Den ‚objektiven‛ Gegenstand gibt es nicht“, hält Klein (2004, 26) folgerichtig fest.
Die ‚Alten Objekte‛ Baudrillards sind eine besondere Gruppe von Gegenständen, insofern sie durch eine besondere Form der Vergegenständlichung entstehen: der Musealisierung. ‚Alte Objekte‛ entstehen demnach, wenn die Fähigkeit bestimmter Dinge entdeckt
wird, „Zeugnis über eine passierte Bewandnisganzheit abzulegen“ (Klein, 2004, 33). An
die Stelle des ursprünglichen Funktionswertes wird dann ein Erinnerungswert gesetzt:
„So wird der alte Kochtopf, der jahrzehntelang zum gebrauchten Küchengerät gehörte
und in dieser Verwendung nicht weiter aufgefallen ist, eines Tages, der zahlreichen, mit
ihm verknüpften Erinnerungen wegen, auf den Wandschrank an einen gut sichtbaren
Platz gestellt und fortan nicht mehr für seinen ursprünglichen Zweck verwendet“
(Klein, 2004, 34).
Wie das Beispiel zeigt, kann Musealisierung überall und in den verschiedensten kulturellen Formen auftreten. Musealisierung ist, so Klein, „eine anthropologisch universale
Form der Vergegenständlichung, die aus einem Gebrauchten ein dauerhaft Gezeigtes
macht“ (Klein, 2004, 34). Die Motivation, die der Musealisierung zu Grunde liegt, besteht dabei darin „Andenken zu schaffen“ und „Vertrautes zu bewahren“102:
„Dinge werden dem Verschleiß entzogen, aufgehoben und vor Veränderung geschützt,
damit sie die Erinnerung an bestimmte Ereignisse oder Zustände, mit denen sie verknüpft waren, wach halten oder heraufbeschwören können“ (Klein, 2004, 36).
‚Alte Objekte‛ zeichnen sich folglich durch ein doppelwertiges Verhältnis zum Faktor
‚Zeit‛ aus. Einerseits befinden sich ‚Alte Objekte‛ in der Zeit des Betrachters (bzw. des
Ausstellungsbesuchers), andererseits verweisen sie auf die Zeit in der Vergangenheit, aus
der sie selbst entstammen. Aufgrund dieser „strukturellen Ambivalenz“ können ‚Alte
Objekte‛ „das Einst mit dem Jetzt verbinden“ (Klein, 2004, 37) und eine Brücke aus der
Gegenwart in die Vergangenheit darstellen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass
das ‚Alte Objekt‛ als „durch die Zeit hindurch ein und derselbe Gegenstand identifizier102
In dieser Erinnerungs- und Orientierungsfunktion der Musealisierung sehen viele Museumstheoretiker
den Grund für den anhaltenden ‚Museumsboom‛ und halten Musealisierung für eine Reaktion auf die
wachsende ‚Zivilisationsdynamik‛. So schreibt etwa Hermann Lübbe (1996, 24): „Vielmehr ist, genau
umgekehrt, die aufdringliche Gegenwart der Vergangenheit eine objektive Konsequenz der historisch
beispiellosen Dynamik zivilisatorischer Evolution und damit der Kraft dieser Zivilisation, Neues hervorzubringen und eben damit Altes zum Relikt zu machen“.
74
bar geblieben ist“103 (Klein, 2004, 37). Denn ‚Alte Objekte‛ verweisen nicht nur im
Rahmen der Ausstellung auf ihren historischen Kontext, sondern sie sind selbst historische „Spur“ und materieller „Rest“ des Geschehenen. Wie alle Gegenstände sind sie
subjektives Konstrukt und materieller Bedeutungsträger zugleich104 (Klein, 2004, 59-62).
Verfolgt man den Weg vom ‚Zeug‛ zum ‚Alten Objekt‛ durch die Zeit, so lassen sich
mehrere Stufen des Musealisierungsprozesses ausmachen: Zunächst befindet sich ‚Zeug‛
wie dargestellt in seinem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang und geht in seiner
Nutzung bzw. Anwendung auf. Irgendwann jedoch erreicht es einen Zustand der „Entbehrlichkeit“ (Klein, 2004, 45) und wird aus seinem Gebrauchszusammenhang herausgenommen. Eine solche „Beseitigung“ (Klein, 2004, 43) kann verschiedene Ursachen
haben, zum Beispiel wenn ein altes Auto nach vielen Reparaturen endgültig ‚den Geist
aufgibt‛ und verschrottet wird (Dysfunktionalität) oder ein fünf Jahre alter PC als technisch überholt empfunden und durch ein neueres Modell ersetzt wird (Rückständigkeit).
Der letzte Abschnitt des Weges zum ‚Alten Objekt‛ kann nun sehr unterschiedlich verlaufen: Während manches ausrangierte ‚Zeug‛ sofort als historisch bedeutungsvoll erkannt und an museale Sammlungen weitergegeben wird, entschwinden die meisten Dinge aus dem „biographisch und gesellschaftlich Relevanten“ (Klein, 2004, 43), einfacher
formuliert: sie werden zu Abfall105. Dinge, die auf diese Weise in Vergessenheit geraten,
können jederzeit wieder entdeckt und als ‚Alte Objekte‛ neu gedeutet werden: Dabei
wird die Bedeutung ihres ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs rekonstruiert und
mit dem entdeckten Gegenstand in Verbindung gebracht. In beiden Fällen, der direkten
Musealisierung oder über den Umweg des Abfalls, kann eine solche Rekonstruktion
Dass auch diese Identität des ,Alten Objektes‛ letztlich eine Konstruktion des Betrachters ist, wird
deutlich, wenn man an historische Großrechenanlagen wie ENIAC oder Whirlwind denkt, bei denen
fortwährend Teile repariert, erneuert und zugefügt wurden. Die Identität des Gegenstandes setzt also
„lediglich eine minimale Kontinuität der materiellen Gegenstandsdimension voraus, die sich an der
stofflichen Beschaffenheit, aber auch an der äußeren Form erweisen kann“ (Klein, 2004, 38).
104 Klein hält aus diesem Grund die Anwendung der Semiotik auf die Ausstellungstheorie für überaus
problematisch: „Von einer Dichotomie von Signifiant und Signifié kann allerdings nicht die Rede sein.
Dies hieße, die dritte wesentliche Eigenschaft des Gegenstandes zu unterschlagen, seine Materialität
oder Dinghaftigkeit. […] Materialität ist im klassischen Strukturalismus des Saussures, der für die gesamte Linguistik prägend gewesen ist, nicht vorgesehen – ein Umstand, der die Verwendbarkeit dieser
Denkschule für die Museologie, die eine Wissenschaft der materiellen Kultur ist, stark einschränkt“
(Klein, 2004, 32).
105 Die Zwischenstation des Abfalls wird häufig fälschlicherweise als notwendige Voraussetzung der Musealisierung begriffen. Diese Überzeugung geht zurück auf eine Arbeit von Michael Thompson (1979).
In „Rubbish Theory“ beschreibt Thompson, wie Gegenstände „fast gesetzesmäßig“ (Ernst, 1992, 1) in
den Status des Mülls übergehen ehe sie wieder entdeckt und dauerhaft mit gesellschaftlicher Bedeutung
aufgeladen werden. Nur Kunstwerke, so Thompson, können den Status des Abfalls auslassen und „direkt von der Produktion in die Kategorie des Dauerhaften gelangen“ (Ernst, 1992, 1). Ein Gegenbeispiel für Thompsons Müll-Theorie wird mit der Z4 im Laufe dieses Kapitels noch besprochen. Eine
kritische Auseinandersetzung mit Thompson liefert Wolfgang Ernst (1992).
103
75
immer nur als Annäherung möglich sein. Ähnlich wie bei einem ausgestopften Tierpräparat, kann ‚Rekonstruktion‛ nie gleichbedeutend sein mit ‚Wiederholung‛, denn:
„der Nachvollzug ist nicht mehr im passierten Leben möglich, das Ding in seinem ursprünglichen Weltzusammenhang gibt es nicht mehr“ (Klein, 2004, 44).
Man kann zusammenfassend sagen, dass bei der Bedeutungszuschreibung von ‚Alten
Objekten‛ die Geschichte der jeweiligen Gegenstände ein entscheidendes Kriterium
darstellt. Dabei lassen sich grundsätzlich zwei Exponattypen unterscheiden: ‚Unikate‛
sind „einzigartige“ Gegenstände, die aufgrund ihrer individuellen Objektgeschichte in die
museale Sammlung als Zeitzeugen aufgenommen werden (Klein, 2004, 76-77). ‚Serienstücke‛ hingegen werden aufgrund ihrer allgemeinen Objektgeschichte für bedeutsam
gehalten und fungieren als Stellvertreter einer ganzen Objektreihe. Allerdings sind die
Grenzen zwischen individueller und allgemeiner Objektgeschichte zuweilen unscharf
und können sich überlagern. So kann auch ein Serienstück, von dem in seinem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang zahlreiche Exemplare existierten (etwa ein antikes Tongefäß) heute einzigartig sein, weil es als Einziges seiner Art erhalten geblieben
ist. In diesem Fall verweist das Alte Objekt sowohl auf die allgemeine Objektgeschichte
seiner Serie (oder Produktreihe), als auch auf sich selbst und seinen eigenen individuellen Weg bis in die museale Ausstellung (Klein, 2004, 77).
‚Alte Objekte‛ haben einen wesentlichen Anteil daran, wenn Museumsbesucher eine
Ausstellung für glaubwürdig und überzeugend halten. Zu den wichtigsten Eigenschaften
von Exponaten gehören dabei die unterscheidbaren, wenngleich verwandten Kategorien
‚Originalität‛ und ‚Authentizität‛ (Klein, 2004, 78):
‚Original‛ nennt man Exponate, wenn sie verglichen mit der Vorstellung die von einem
bestimmten Gegenstand besteht, identisch bzw. ursprünglich erscheinen (Klein, 2004,
78). Originalität ist eine „dem Objekt selbst innewohnende Eigenschaft“ und daher „intrinsisch“ (Waidacher, 2005, 27). Im Kontext der Ausstellung haben Originale die zentrale Aufgabe als verlässlicher „Zeuge“ aufzutreten und sind „nach wie vor das wichtigste
Kapital des historischen Museums“ (Klein, 2004, 84). ‚Alte Objekte‛ sind immer original, insofern sie als ‚Spur‛ und ‚Rest‛ immer identischer bzw. ursprünglicher Teil des
historischen Zusammenhangs sind, auf den sie in der Ausstellung verweisen.
Authentische Exponate hingegen sind Objekte, die „richtig und stimmig“ auf den intendierten Sachverhalt verweisen (Klein, 2004, 79). Authentizität ist daher eine ‚extrinsische‛ Eigenschaft des Exponates, insofern das „Verhältnis des Objektes zum Tatbestand“ von außen beurteilt und nachgewiesen werden muss (Waidacher, 2005, 27). Bei
authentischen Exponaten muss es sich außerdem nicht notwendigerweise um ‚Alte Ob-
76
jekte‛ handeln. So kann das kleine Modell einer historischen Großrechenanlage ebenso
authentisch in seiner Darstellung sein, wie eine Fotografie oder das ‚Alte Objekt‛ selbst.
Allerdings zeichnen sich ‚Alte Objekte‛ durch ein besonderes „Authentizitätsvermögen“
aus, da sie als überlieferter Teil ihres historischen Gebrauchszusammenhangs immer
stimmig darauf verweisen und aufgrund ihrer ambivalenten Zeige-Struktur eine besondere Geschichtserfahrung ermöglichen. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist das Problem der Authentizität ein entscheidendes, denn nur wenn Computerexponate ‚stimmig
und richtig‛ auf ihren ursprünglichen Gebrauch verweisen, lässt sich ein glaubwürdiger
Eindruck ihrer Anwendung und Nutzung erlangen. Bei der folgenden Untersuchung
einzelner Computerexponate wird deutlich, dass ‚alte Computer‛ mehr oder weniger
authentisch auf den Ausstellungsbesucher wirken können. Die Frage der Authentizität,
also des stimmigen Verhältnisses zwischen Präsentation und Ursprung, ist immer auch
eine Frage der Präsentationsform.
Ein gutes Beispiel für die Bedeutung ‚Alter Objekte‛ in der technischen Ausstellung
stellt das Exponat „Relais-Rechner Z4 von Konrad Zuse“ in der Informatik-Ausstellung
des Deutschen Museums in München dar. Die in den vierziger Jahren von Konrad Zuse
in Heimarbeit konstruierte Rechenmaschine ist die einzige seiner frühen Maschinen, die
bis heute erhalten geblieben ist (Abb. 14). Während seine ersten selbstgebauten Rechenmaschinen (Z1 und Z3) in den letzten Kriegstagen zerstört wurden, gelang es dem
Ingenieur die Z4 nach Süddeutschland zu transportieren und in einem kleinen Ort im
Allgäu wiederaufzubauen. Im Jahr 1949 wurde der Relaisrechner dort bei einer provisorischen Vorführung von Professor Eduard Stiefel von der Eidgenössischen Technischen
Hochschule (ETH) in Zürich entdeckt. Die ETH erwarb die Z4 und setzte sie in den
folgenden Jahren (1950-55) an ihrem neu geschaffenen Institut für angewandte Mathematik ein (Speiser, 2004, 171-193). Für einige Jahre handelte es sich bei der Z4 um die
einzige, im Routinebetrieb eingesetzte, programmgesteuerte Rechenmaschine in Europa.
Nach einem dreijährigen Zwischenspiel in Weil bei Basel (1955-1958) wurde die Maschine 1959 von der ZUSE KG zurückgekauft und ein Jahr später von Zuse persönlich
dem Deutschen Museum angeboten. Die Verantwortlichen am Deutschen Museum
erkannten die historische Bedeutung der altgedienten Z4 und nahmen sie in die Sammlung auf – ein ungewöhnlich weitsichtiger Schritt, wenn man bedenkt, dass Zuse zu diesem Zeitpunkt, im Vergleich mit den Amerikanern, als Computerpionier kaum wahrgenommen wurde (Petzold, 2005). Der schlechte Zustand und eine immer wieder aufgeschobene Überholung der Rechenmaschine führten jedoch dazu, dass die Z4 erst zur
77
Eröffnung der Informatik-Ausstellung im Jahr 1988 im Deutschen Museum der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte106.
Abbildung 14: Exponat „Relais-Rechner Z4 von Konrad Zuse“ im Deutschen Museum (2005)
Die Z4 wird im Rahmen der Ausstellung in ihrem Zustand von 1950 ausgestellt. Das
Schaltpult, die Schreibmaschine und der mechanische Speicher (im Vordergrund von
rechts nach links, Abb. 14) stehen wie in der ursprünglichen Anordnung vor den Relaisschränken. Glasplatten, die zum Schutz auf die sensiblen Bedienteile montiert wurden,
verhindern jedoch ein Berühren der Maschine bzw. das Betätigen von Schaltern und
Knöpfen. Auf einer Schautafel auf der gegenüberliegenden Wand wird in kurzer Form
auf die Entstehungs- und Anwendungsgeschichte der Rechenmaschine hingewiesen.
Eine Plakette weist die Z4 als „Meisterwerk“ aus107. Neben der Z4 steht ein von Zuse
Anfang der sechziger Jahre angefertigter Nachbau der im Krieg zerstörten Z3. Beide
Exponate stellen räumlich, wie inhaltlich den Mittelpunkt der Informatik-Ausstellung
dar und repräsentieren den Übergang von den mechanischen Rechenmaschinen zum
modernen Computer.
Das Beispiel der Z4 zeigt, wie ein Gegenstand nach seiner ‚Ausmusterung‛ sofort als
bedeutender Zeitzeuge erkannt und als ‚Altes Objekt‛ im Sinne Baudrillards in die museale Sammlung aufgenommen wird. Die individuelle Objektgeschichte des Unikates
steht dabei deutlich im Vordergrund der Präsentation. Einen authentischen Eindruck
seines ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs vermittelt das Exponat dem AusstelZur Objektgeschichte der Z4 und ihrem Weg ins Deutsche Museum siehe Petzold (1985, 329-346)
sowie:
http://www.deutsches-museum.de/ausstell/meister/zuse.htm (10.07.05).
107 Insgesamt 36 Exponate des Deutschen Museums sind als “Meisterwerke” ausgezeichnet und ermöglichen einen ‚Schnellrundgang‛ durch das große Museum.
106
78
lungsbesucher durch seine ‚stimmige‛ räumliche Anordnung und die Möglichkeit der
‚Begehbarkeit‛, wie ein Vergleich des Exponates mit einer Fotografie der Rechenmaschine aus dem Jahr 1950 belegt (Abb. 15). Eingeschränkt wird der Nachvollzug der
historischen Anwendung durch die ‚Barriere aus Glas‛ und den Umstand, dass die Z4
nicht lauffähig gezeigt werden kann108.
Abbildung 15: Z4 vor der Auslieferung an die ETH in der Zuse KG in Neukirchen (1950)
Ein anderes ‚altes‛ Computer-Exponat der Informatik-Ausstellung steht in unmittelbarer
Nähe zu Zuses Rechenmaschine. Mit dem UNIVAC I (‚Universal Automatic Computer‛) begann Anfang der fünfziger Jahre der serienmäßige Bau von Universalrechnern109.
Die Firma Remington Rand hatte die von John P. Eckert und John W. Mauchly 1946
gegründete Firma Northrop Aircraft Co übernommen und in den folgenden Jahren insgesamt 49 UNIVAC-Rechenanlagen weltweit kommerziell vertrieben. Das in München
ausgestellte Exemplar wurde zwischen 1956 und 1963 beim Batelle-Institut in Frankfurt
eingesetzt, das erste UNIVAC-Rechenzentrum in Europa (Petzold, 1985, 429). Auf
Betreiben von Friedrich Bauer wurde die Anlage dem Museum Mitte der sechziger Jahre
von Remington Rand vermittelt und gehört zu den wenigen UNIVAC-Rechenanlagen,
die nicht verschrottet wurden110.
Die Z4 wurde an der ETH sowohl intern zur Berechnung mathematischer Probleme am Institut eingesetzt, als auch für praktische Probleme, wie etwa der Berechnung der Schwingungen einer Lokomotive
oder der auftretenden Spannungen in einer Talsperre. Dass der Betrieb der Maschine ein spektakuläres
Erlebnis gewesen sein muss, lässt sich erahnen, wenn Zuse selbst bemerkt, dass „das Klappern der Relaisschaltungen der Z4 das einzig Interessante an Zürichs Nachtleben gewesen sei“ (Speiser, 2004, 184185).
109 Siehe Kapitel 3.1 dieser Arbeit.
110 Dazu Hartmut Petzold: „Nach unserem Wissen ist es das einzige Exemplar, das es heute überhaupt
noch gibt. Die Größe des UNIVAC spricht ja schon dafür, dass man so ein Gerät wegwirft und in den
108
79
Abbildung 16: Exponat „UNIVAC I von Remington Rand“ im Deutschen Museum (2005)
In der Ausstellung ist nur die Zentraleinheit des UNIVAC I aus dem Frankfurter Insti-
tut zu sehen (Abb. 16). Die ursprünglich dazugehörigen Magnetbankschränke, sowie
Bedienkonsole und Drucker (Abb. 17) werden nicht gezeigt. Die durch Glasscheiben
ersetzten ‚Außenwände‛ der Rechenanlage und die für den UNIVAC charakteristische
Tür ermöglichen einen Blick auf die Vakuumröhren bzw. in das Innere des Computers.
Auf einer Schautafel neben dem Exponat kann sich der Ausstellungsbesucher über die
allgemeine Bedeutung des UNIVAC für die Geschichte des modernen Computers sowie
über die individuelle Geschichte der ausgestellten Anlage informieren. Ein Hinweis auf
den hohen Kaufpreis des Universalrechners von einer Millionen Dollar verdeutlicht
dem Ausstellungsbesucher außerdem die Exklusivität digitaler Rechenarbeit in den frühen fünfziger Jahren.
Das Exponat verweist sowohl auf die allgemeine Objektgeschichte des UNIVAC und
seine Bedeutung als erste in Serie hergestellte Großrechenanlage, als auch auf die individuelle Geschichte des ‚vor der Verschrottung bewahrten‛ Großcomputers. Authentisch
wirkt das ‚Alte Objekt‛ vor allem aufgrund seiner Größe und des Anblicks von über
5.000 Vakuumröhren und 18.000 Dioden. Wie der Vergleich des Exponates mit einer
Fotografie der UNIVAC aus dem Jahr 1952 zeigt (Abb. 17), lässt sich aufgrund der
Abwesenheit der Zusatzgeräte der ursprüngliche Gebrauchszusammenhang der Maschine für den Betrachter jedoch nur schwer nachvollziehen.
USA war das nun mal die Zeit, in der man solche Großrechner schnell verschrottet hat. An Museen
dachte da lange niemand“ (Petzold, 2005).
80
Abbildung 17: Ursprüngliche Bedienung der Konsole eines UNIVAC 1 (1952)
4.2 Aura und Inszenierung im Widerstreit − Der erfahrbare Computer
Wie in Kapitel 4.1 dargestellt, können aus der Vergangenheit überlieferte Gegen-stände
allein aufgrund ihres historischen Zeugnischarakters einen authentischen Eindruck ihres
ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs vermitteln. ‚Alte Objekte‛ zeichnen sich so
durch eine gewisse „Präsenz“ aus und erregen dadurch „Aufmerksamkeit“ (Klein, 2004,
111). Walter Benjamin hat in seinem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ aus dem Jahr 1935 für diese Präsenz historischer Gegenstände111 den Begriff der „Aura“ geprägt (Benjamin, 1999, 22). Auratische Gegenstände
sind für Benjamin „einzigartige“ Dinge, die sich durch ihr „Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition“ auszeichnen (Benjamin, 1999, 23). Nur an geschichtlichen
Gegenständen, die sich im „Hier und Jetzt“ (z.B. der Ausstellung) und an keinem anderen Ort befinden, kann Geschichte nachvollzogen werden. Dabei beschreibt Benjamin
die Erfahrung der Aura eines geschichtlichen Gegenstandes als „einmalige Erscheinung
einer Ferne, so nah sie sein mag“ (Benjamin, 1999, 22) und formuliert damit die bereits
erwähnte innere Ambivalenz tradierter Gegenstände: So authentisch der historische
Gebrauchszusammenhang des historischen Gegenstandes am Exponat auch nachvollziehbar sein mag, so bleibt das Vergangene doch immer unerreichbar fern. Die Erfahrung eines geschichtlichen Gegenstandes äußert sich daher in dem dialektischen Ver111
Entgegen mancher Ästhetik-Theorien umfasst der Aura-Begriff nicht nur Kunstwerke, sondern wird
von Benjamin allgemein für „geschichtliche Gegenstände“ empfohlen. „Aura“ lässt sich somit durchaus in die Nähe des hier verwendeten Begriffs der „Authentizität“ für ‚Alte Objekte‛ rücken, insofern
Benjamin die Historizität auratischer Gegenstände hervorhebt. Zum Begriff der ‚Aura‛ und seiner Anwendbarkeit auf die Museumstheorie siehe auch: Gottfried Korff (2002b, 121-122).
81
hältnis „von sinnlicher Nähe und historischer Fremdheit“ (Schober, 1994, 81). Es gilt
indessen anzumerken, dass auch der Begriff der Aura keine intrinsische Eigenschaft der
geschichtlichen Gegenstände bezeichnet und die Aura nicht an den Objekten ‚anhaftet‛,
wie die Metapher vielleicht suggerieren mag. Viel eher bezeichnet die Benjaminsche
‚Aura‛ „ein produktives Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, in dem Erinnerungen
des kollektiven wie auch des individuellen ‚unbewussten‛ Gedächtnisses auftauchen“
(Schober, 1994, 74).
Die Aura geschichtlicher Gegenstände ist ein wichtiger Schlüssel für die Präsentation
von Geschichte im Museum und ihre Erfahrbarkeit durch den Ausstellungsbesucher.
Jedoch verlassen sich Ausstellungsmacher und Kuratoren nie völlig auf das ‚Authentizitätsvermögen‛ ‚alter Objekte‛. Im Bedeutungsraum einer Ausstellung werden Gegenstände immer auch bewusst in Szene gesetzt bzw. ‚auf die Bühne gestellt’. Neben das
materielle Objekt und seine Aura tritt also immer die Inszenierung des Gegenstandes
durch den Ausstellungsmacher. Im weitesten Sinne des Begriffs kann insofern jede museale Präsentation als Inszenierung und jedes Exponat als inszeniertes Objekt bezeichnet werden, „da das Platzieren eines Objekts zur Präsentation immer schon dessen ‚InSzene-Setzen‛ bedeutet“ (Scholze, 2004, 149). Bereits das Auswählen eines Standpunktes
und das Positionieren z.B. in einer Vitrine stellt gemäß dieser Definition eine einfache
Form der Inszenierung dar.
Man kann Inszenierung dabei mit Schober (1994, 10-11) als „Rahmungsarbeit“ verstehen: Die überlieferten geschichtlichen Gegenstände werden durch ein „Arrangement
von Hilfsmitteln“ umgeben. Solche Hilfsmittel oder „Werkzeugobjekte“ umfassen alle
(Präsentations-)Materialien einer Ausstellung, bei denen es sich nicht um geschichtliche
Gegenstände handelt, also so unterschiedliche Dinge wie „Vitrinen, Sockel, Schrifttafeln, Beleuchtungskörper, Stellwände, Textfahnen, Tücher, Bühnen“ und ähnliches
(Schober, 1994, 12). Eine Inszenierung ist, allgemein gesprochen, „das absichtsvolle
Arrangement von Original, Medien und anderen Ausstellungsmitteln“ (Paatsch, 1990,
8). Die Motivation zur Inszenierung von Objekten entspringt dabei einem bestimmten
„Vermittlungs- bzw. Bildungsanspruch“ (Scholze, 2004, 150). Inszenierungen sind daher
immer intentional oder „programmatisch“ (Schober, 1994, 15): Geschichtliche Objekte
werden mit Werkzeugobjekten kombiniert und kontextualisiert, also in einem bestimmten inhaltlichen Zusammenhang dargestellt. Der Bedeutungsspielraum des geschichtlichen Gegenstandes wird durch diese Rahmung eingeschränkt bzw. bis zu einem gewissen Grad festgelegt (Scholze, 2004, 192).
82
Eine besondere Form ‚Alte Objekte‛ zu inszenieren stellen „szenische Arrangements“
(Scholze, 2004, 201) dar. Durch das räumliche Zusammenstellen von geschichtlichen
Gegenständen und Werkzeugobjekten wird dabei versucht in bildhaft arrangierten Szenen konkrete historische (oder aktuelle) Orte und Zusammenhänge nachzubilden:
„Durch Erfahren und Erleben szenisch gestalteter Ausstellungsräume sollen Kontexte
und Situationen kommuniziert werden. Die sinnliche Wahrnehmung soll den Rezipienten zur Auseinandersetzung mit dem Gezeigten anregen“ (Scholze, 2004, 150).
Statt Vitrinen, Sockel und Objektbeschriftungen werden in szenischen Arrangements
gestalterische Mittel wie „architektonische […] Einbauten, Figurinen, Dioramen und
Modelle“ eingesetzt (Scholze, 2004, 194). Die „Möglichkeit der Begehbarkeit, des SichHineinstellens und Bewegens in diesen Räumen“ ist ein charakteristisches, wenn auch
nicht zwingendes Merkmal für diese Präsentationsform (Scholze, 2004, 192).
Szenische Präsentationen können in historischen Ausstellungen eingesetzt werden um
dem Besucher einen (besseren) Eindruck des ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs von geschichtlichen Objekten zu vermitteln. Grundsätzlich gilt aber auch für szenische Arrangements die banale Erkenntnis, dass alle Versuche eine vergangene Realität
herzustellen „immer artifizielle Realisierungen“ bleiben (Scholze, 2004, 197). Um sich
daher gar nicht erst dem Verdacht eines vorgeblichen Realismus auszusetzen, arbeiten
solche Inszenierungen oft mit dem Mittel der Verfremdung oder „ironischen Brechung“
(Schober, 1994, 87). So wird nicht selten auf den konstruierten Charakter der Geschichtspräsentation explizit hingewiesen, indem „Effekte wie Überraschung, Verblüffung, Faszination und die Enttäuschung von Erwartungen und Konventionen“ eingesetzt werden112 (Scholze, 2004, 200).
In jeder Inszenierung treten die Aura des ‚Altes Objekts‛ und die Erläuterung durch die
eingesetzten Werkzeugobjekte in ein Spannungsverhältnis. Der unmittelbar sinnlich
erfahrbaren Aura des geschichtlichen Gegenstandes steht seine Auslegung und Interpretation gegenüber − Objekt und Information befinden sich im „Widerstreit“ (Korff,
2002b, 114). Während mit Hilfe der Präsentationsmittel bestimmte (historische) Sachverhalte thematisiert und „Zusammenhänge, Fragen und Thesen“ vermittelt (Schober,
1994, 87) werden, setzt man die ‚Alten Objekte‛ ein, um die Inszenierung zu „charakterisieren, legitimieren und nicht zuletzt [zu] authentisieren113“ (Scholze, 2004, 194). Für
In Anlehnung an Walter Benjamin spricht Gottfried Korff (2002b, 121-122) von einem „Wahrnehmungsschock“ der durch die museale Inszenierung hervorgerufen werden soll. „Faszination und Interesse“, so Korff, können auf diese Weise verbunden werden und eine „Idee der Wahrheit“ am Exponat aufblitzen lassen.
113 Baudrillard (1992, 100) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Beseelung“ funktionaler Umgebungen durch ‚Alte Objekte‛: „Wie eine Kirche auch dann erst wirklich geweiht ist, wenn man in ihre
112
83
den Ausstellungsbesucher stellt sich eine Inszenierung aufgrund dieser Ambivalenz daher immer als ein „Changieren zwischen einem Gesamteindruck und Einzelimpressionen“ dar (Scholze, 2004, 201).
Abbildung 18: Exponat „ENIAC - Der erste Röhrenrechner im Maßstab 1:1“ im HNF (2005)
Das Spannungsverhältnis zwischen der Aura des Originals und der intentionalen Inszenierung des Ausstellungsmachers zeigt sich deutlich am Beispiel des Exponates
„ENIAC“ im Heinz Nixdorf MuseumsForum. Als der Electronic Numerical Integrator and
Computer (ENIAC) am 16. Februar 1946 an der Moore School of Electrical Engineering der
Universität von Pennsylvania in Betrieb genommen wurde, handelte es sich um die erste
programmgesteuerte elektronische Rechenanlage und einen der ersten Computer überhaupt. Seine Ausstattung mit den neuartigen Vakuumröhren brachte ihm einen entscheidenden Geschwindigkeitsvorteil gegenüber den existierenden Rechenanlagen. Ein
Jahr nach ihrer Vorstellung an der Moore School wurde der ENIAC 1947 auf das militärische Testgelände in Aberdeen im Bundesstaat Maryland gebracht, wo der Computer
in den folgenden acht Jahren in Betrieb war. Trotz einiger Versuche den Großcomputer
zu modernisieren, wurde die Anlage schließlich aufgrund der vergleichsweise hohen
Betriebskosten und mangelnden Wettbewerbsfähigkeit am 2. Oktober 1955 stillgelegt114
(Weik, 1961). Unmittelbar nachdem die Rechenanlage abgeschaltet wurde, schlug der
Mathematiker John von Neumann vor, Teile des ENIAC für die Nachwelt aufzubewahren und den Museen der Smithonian Institution in Washington zukommen zu lassen
Fundamente einige Gebeine oder Reliquien einmauert, so kann sich der Architekt ebenfalls nie ganz
heimisch fühlen […], bis er nicht im Inneren seiner neuen Mauern die kaum spürbare, doch verklärende Anwesenheit eines Gesteins weiß, das von alten, vergangenen Geschlechtern herrührt.“
114 Martin H. Weik (1961), Mitarbeiter bei den Ballistic Research Laboratories in Aberdeen, berichtet von
einem traurigen, aber ‚würdevollen‛ Ende der Anlage: „Thus ended the life of the once glorious pioneer in the field of digital computing […] It’s death was a natural one - it had served its purpose“.
84
(Weik, 1961). Ein Akkumulator des Röhrenrechners ist nach wie vor im dortigen National Museum of American History (NMAH) zu sehen115. Weitere Einzelteile der historischen
Anlage sind im Gebäude der Moore School for Electronics in Philadelphia ausgestellt.
Im Jahr 1996 wurden die „letzten noch verfügbaren Teile“ dem neu eröffneten Heinz
Nixdorf Museumsforum in Paderborn vermittelt (HNF, 2000, 55).
Abbildung 19: Skizze des ENIAC-Exponates aus der Planungsphase des HNF
Die Inszenierung der Originalteile des ENIAC im HNF versucht dem Ausstellungsbesucher in erster Linie einen räumlichen Eindruck des Röhrenrechners zu vermitteln.
Durch eine Einfassung der Installation auf dem Boden und an der Decke mit den
Schriftzügen „Electronic Numerical Integrator and Computer – ENIAC“ und „ENIAC
1:1“ wird die Installation vom übrigen Ausstellungsraum abgegrenzt. Transparente Seitenelemente mit lebensgroßen Fotografien von J. Presper Eckert und J. W. Mauchly,
mutmaßlich beschäftigt mit der Wartung von Vakuumröhren, verstärken den szenischen
Eindruck des Exponates. An drei Stellen der Installation stehen Vitrinen mit den Originalteilen des ENIAC116 „am entsprechenden Platz“ (HNF, 2000, 55), welche „diese
Simulation im Raum realistisch“ machen sollen (Thürmer & Diel, 1996, 64). An zentraler Stelle des Exponates befindet sich außerdem eine PC-Workstation mit einer Multimedia-Applikation, in der J. Presper Eckert persönlich den logischen Aufbau und die
Geschichte des ENIAC erläutert. Die eigentliche ‚Botschaft‛ des Exponates erschließt
sich dem Ausstellungsbesuchers erst beim Verlassen der Installation: Eine Schautafel
115
116
Zur Computerausstellung am NMAH in Washington siehe auch Kapitel 2.3 dieser Arbeit.
Es handelt sich bei den drei Teilen um „Power Supply Panel“, „Highspeed Function Table“ und „Printer Panel“ der Originalanlage (Thürmer & Diel, 1996, 64).
85
informiert über das „ENIAC-On-A-Chip“-Projekt117 an der Pennsylvania University, in
dem Studenten „den vollständigen funktionalen Aufbau des ENIAC auf einem Mikroelektronik-Chip realisiert haben“ (HNF, 200, 55). Der neben dem Projektbericht angebrachte Mikrochip soll auf diese Weise einen Vergleich der Leistungsfähigkeit des
ENIAC mit der heutigen Technologie ermöglichen und die räumlichen Unterschiede
zwischen Großrechner und Mikrocomputer verdeutlichen.
Das ENIAC-Exponat zeigt beispielhaft, wie im Rahmen einer historischen Ausstellung
versucht wird, geschichtliche Gegenstände ‚in Szene zu setzen‛ und durch inszenatorische Gestaltungsmittel einen Bezug zu ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang
herzustellen. Obwohl das Exponat szenische Elemente wie die lebensgroßen Fotografien auf den Seitenteilen der Installation verwendet, wird jedoch gar nicht erst versucht,
eine naturalistische Nachbildung der Vergangenheit zu präsentieren. Durch die offene
und ‚moderne‛ Architektur der Installation wird explizit auf die Ausstellungssituation
hingewiesen. Die eingefügten Originalteile des ENIAC dienen dazu, das Exponat zu
authentisieren bzw. zu ‚auratisieren‛ − durch sie wird der ‚Inhalt‛ des Exponates legitimiert bzw. ‚beseelt‛. Durch den Bedeutungsrahmen der Inszenierung können die ‚Alten
Objekte‛ jedoch ihre Aura nicht völlig entfalten und werden in den Hintergrund gedrängt. Nur schwer lässt sich an den isolierten ‚Reliquien‛ des ENIAC ihre ursprüngliche Funktion in der Gesamtanlage nachvollziehen.
Abbildung 20: Exponat “Siemens 2002 Rechenanlage“ im Deutschen Museum (2005)
Ein weiteres Beispiel der Inszenierung eines alten Computers liefert das Exponat
„SIEMENS 2002 Rechenanlage“ im Deutschen Museum. Die SIEMENS 2002 war die
117
Für eine ausführlichere Beschreibung des zum 50. Geburtstag des ENIAC durchgeführten Projektes
siehe: http://www.ee.upenn.edu/~jan/eniacproj.html
86
erste in Serie produzierte Rechenanlage des deutschen Elektronik-Unternehmens, das
sich in den frühen fünfziger Jahren zu einem Einstieg in die neue Computerbranche
entschieden hatte (Petzold, 1985, 450-452). Die Anlage war als Universalrechner sowohl
für den wissenschaftlichen als auch für den kommerziellen Bereich konzipiert. Die ersten Anlagen wurden im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebaut und im
Jahr 1959 ausgeliefert. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in
Aachen war einer der ersten Kunden. Bis ins Jahr 1966 ist der Großrechner gefertigt
und verkauft worden, noch im Jahr 1971 waren 39 Anlagen in Betrieb. Die ausgestellte
Anlage wurde um 1960 gebaut und dem Deutschen Museum durch die SIEMENS AG
in München vermittelt (Bauer, 2004a, 185).
Das Exponat zeigt die Rechenanlage in ihrer ursprünglichen Anordnung, die Peripheriegeräte wie das Steuerpult, Lochkartengeräte und Schnelldrucker stehen im Vordergrund, während Rechen- und Kommandowerk sowie die Magnetkernspeicher an der
Wand im Hintergrund aufgereiht stehen. Das Steuerpult und der Drucker werden von
zwei farblosen und in weiße Kittel gekleideten Figuren ‚bedient‛, die an Schaufensterpuppen erinnern. Während die eine Figur auf einem Bürostuhl vor dem Steuerpult sitzt,
auf dem diverse Skizzen und Dokumente verteilt liegen, ‚wartet‛ die zweite Figur
scheinbar auf den Ausdruck des mit Endlospapier ausgestatten Schnelldruckers. Trotz
der szenischen Inszenierung kann der Ausstellungsbesucher die Rechenanlage nicht
betreten. Das Exponat ist durch große Glasscheiben vom übrigen Ausstellungsraum
abgegrenzt und ‚degradiert‛ den Besucher zum ausgeschlossenen Betrachter.
Im Gegensatz zum ENIAC-Exponat steht bei der Präsentation der SIEMENS 2002 das
‚Alte Objekt‛ deutlich im Vordergrund. Durch das Hinzufügen von ‚Werkzeugobjekten‛
wird versucht das ‚Authentizitätsvermögen‛ der alten Rechenanlage zu unterstützen. Die
intendierte ‚Belebung‛ des Exponates durch den Einsatz szenischer Gestaltungsmittel
wirkt jedoch eher irritierend auf den Ausstellungsbesucher. Der statische Charakter der
neutralen Figuren vermag es nicht, die Szene im Sinne von Prozesshaftigkeit oder Mobilität zu ‚aktivieren‛, um einen ‚besseren‛ Nachvollzug des ursprünglichen Gebrauchszusammenhangs zu ermöglichen. Dies liegt auch daran, dass der Besucher an einem Betreten und Berühren der Anlage gehindert wird und den Figuren bei der ‚Anwendung’ des
Computers von außen durch die ‚Schaufenster‛ zusehen muss.
87
4.3 Transparenz und Opazität − Das Medium als Exponat
Seit Mitte der achtziger Jahre hat sich, so stellt Sherry Turkle (1998, 41-75) in ihrem
Buch „Leben im Netz“ fest, ein entscheidender Wandel in der allgemeinen Wahrnehmung des Computers vollzogen. Mit der Ausdifferenzierung zum Medium ist die digitale Maschine für den ‚normalen‛ Anwender demnach zunehmend „undurchsichtiger“
geworden und entzieht sich einer eindeutigen Bedeutungszuschreibung.
Dabei wäre es noch bis in die siebziger Jahre, so Turkle (1998, 24), „praktisch undenkbar gewesen, den Computer mit den Ideen der Instabilität von Bedeutungen und der
Unerkennbarkeit von Wahrheiten in Verbindung zu bringen“. Computer besaßen eine
„eindeutige geistige Identität“ und waren auf ihre Funktion als Rechenmaschine festgelegt. Diese funktionelle Eindeutigkeit hatte zur Folge, dass Computer sich „offen und
‚transparent’“ darstellten, „mithin als Maschinen, die sich zumindest potenziell auf ihre
zugrunde liegenden Mechanismen zurückführen ließen“ (Turkle, 1998, 32-33). Computer waren für eine bestimmte Anwendung ausgelegt, die an einem bestimmten ‚Ort‛ innerhalb der Maschine stattfand. Ganz gleich wie kompliziert die digitalen Maschinen
aufgebaut waren, suggerierte das Bild der ‚transparenten‛ Rechenmaschine, dass die internen Prozesse „mechanisch erklärbar“ und damit zumindest theoretisch nachvollziehbar waren (Turkle, 1998, 25).
„Es waren Systeme, die die Anwender dazu ermunterten, sich einzubilden, sie könnten
das ‚Getriebe‛ verstehen, auch wenn nur wenige überhaupt den Versuch unternahmen,
bis zu dieser Ebene des Verstehens vorzudringen“ (Turkle, 1998, 33).
Auch die ersten Personalcomputer der siebziger Jahre und der IBM PC der frühen achtziger Jahre lassen sich zu den ‚transparenten‛ Computern zählen (Turkle, 1998, 33).
Obwohl die Computernutzer hier bereits durch „zwischengeschaltete Softwareebenen
von der nackten Maschine“ getrennt waren, wurden sie dennoch stets darin bestärkt,
„sich ihr Verständnis der Technologie als wahre Erkenntnis über das vorzustellen, was
hinter der Bildschirmfläche lag“ (Turkle, 1998, 33).
Erst mit der Einführung der grafischen Benutzeroberfläche, die mit dem 1984 auf den
Markt gebrachten Macintosh erstmals einer großen Anwendergruppe zur Verfügung
stand, veränderte sich das allgemeine Bild des Computers. Der Macintosh konfrontierte
den Benutzer mit „Simulationen […], die keinerlei Aufschluss über die zugrunde liegende Struktur lieferten“ (Turkle, 1998, 33). Seit dem Macintosh schieben sich grafische
Benutzeroberfläche und andere immersive Schnittstellen zwischen den Anwender und
die rechnende Maschine. Als Konsequenz machen diese „emergenten Simulationen“
88
den Computer ‚opak‛, „dass heißt zu komplex, als dass man [ihn] vollständig analysieren
könnte“ (Turkle, 1998, 28). Die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Computer
findet auf einer immateriellen Zwischenebene118 statt und muss sich nicht mehr mit der
Ebene der Rechenoperationen befassen, auch wenn diese elementaren, materiellen Vorgänge nach wie vor ‚irgendwo‛ in der Maschine stattfinden119.
Die Opazität des modernen Computers hat zur Folge, dass die Grenzen zwischen Maschine, Schnittstellen und Anwender unscharf werden. Es stellt sich folglich die Frage
nach dem eigentlichen Ort des Computers bzw. seiner medialen Anwendung:
„Je enger die Menschen mit der Technologie und über die Technologie miteinander verflochten werden, umso fragwürdiger werden alte Unterscheidungen zwischen dem, was
spezifisch menschlich ist, und dem, das als spezifisch technisch galt. Spielt sich unser
Leben am oder im Bildschirm ab. […] Die herkömmliche Trennung zwischen Mensch
und Maschine lässt sich immer schwerer beibehalten“ (Turkle, 1998, 30).
Diese ‚Ortlosigkeit‛ des Computers als Medium hat Folgen für seine Exponierung im
Kontext der historischen Ausstellung. Die Untrennbarkeit von Hardware, Software und
„Wetware“ (Lovink, 1994, 227) in der medialen Anwendung führt dazu, dass es kein
eindeutiges, materielles Bezugsobjekt gibt, welches in der Ausstellung als isoliertes ‚Altes
Objekt‛ auf den ursprünglichen Gebrauchszusammenhang verweisen kann. Wie in Kapitel Drei dieser Arbeit dargelegt, erschließt sich der moderne (Personal-)Computer als
Multimedium, Simulationsmedium und Kommunikationsmedium nur im Prozess seiner
Anwendung. Da aber ein authentisches Erleben der historischen Software auf der originalen Hardware nur in den seltensten Fällen im Rahmen einer Computerausstellung
ermöglicht werden kann120, sind Ausstellungsmacher und Kuratoren gezwungen das
„Problem der stummen Kisten“ (Mikolajczak, 2005) zu umgehen.
Bei den bislang in diesem Kapitel besprochenen Computerexponaten handelt es sich um
‚transparente‛ Rechenmaschinen. Aufgrund der funktionellen Eindeutigkeit in ihrem
Gebrauchszusammenhang können Exponate wie die Z4 authentisch auf ihre VerganDazu Georg Tholen (2002, 36): „Das Interface ist definitionsgemäß ein sich dazwischenschiebender,
imaginärer Schirm, der an sich selbst keine substantielle oder stumme Materialität besitzt“.
119 Friedrich Kittler (1993, 225-242) hat vielfach auf diese prinzipielle “Unabdingbarkeit und folglich auch
die Vorgängikeit von Hardware“ hingewiesen. So stellt der Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker fest: „Kein einziges Anwenderprogramm, ja nicht einmal das zugrunde liegende Mikroprozessorsystem könnte jemals starten, wenn ein paar elementare Funktionen, die aus Sicherheitsgründen in Silizium gebrannt sind, also Teil der unlöschbaren Hardware bilden, nicht über Münchhausens Fähigkeit
verfügten, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Jede materielle Transformation von Entropie in Information, von einer Million schlummernder Transistorzellen in elektrische Spannungsdifferenzen setzt notwendig ein materielles Ereignis namens Reset voraus“ (Kittler, 1993, 231).
120 Michael Mikolajczak, Kurator im Heinz Nixdorf MuseumsForum, beschreibt das Dilemma so: „Der
Konflikt in dem wir stecken ist folgender: Lassen wir die originalen Computer laufen und riskieren Beschädigungen, ermöglichen aber dem Besucher einen originalgetreuen Umgang mit den Ausstellungsobjekten? Oder ist es nicht wichtiger das Exponat langfristig zu bewahren, auch wenn man es dann als
‚stummes Objekt‛ ausstellen muss?“ (Mikolajczak, 2005).
118
89
genheit verweisen. Im Folgenden werden zwei Exponate vorgestellt, die versuchen den
‚opaken‛ Computer bzw. seine (historische) mediale Anwendung zu zeigen.
Abbildung 21: Exponat "Personal Computer − Die Ahnengalerie" im HNF (2005)
Das Exponat „Personal Computer – Die Ahnengalerie“ im HNF präsentiert in einem
gläsernen ‚Schauregal‛ die „wegweisenden“ Objekte aus der Geschichte des Personalcomputers (HNF, 2004, 142). In separaten ‚Regalfächern‛ auf drei verschiedenen Ebenen positioniert, werden die Computer mit Tastatur und dazugehörigem Bildschirm
ausgestellt. Zu sehen sind unter anderem die ersten Homecomputer von Commodore und
Sinclair, die Apple-Computer LISA und Macintosh sowie die ersten PCs von IBM. Kleine
Texttafeln vor den Objekten informieren den Ausstellungsbesucher über Namen, Hersteller und Erscheinungsjahr und liefern eine kurze historische Einordnung des jeweiligen Computers. Die Objekte sind nicht streng chronologisch arrangiert, sondern durch
größere Texttafeln auf den vier Zwischenwänden in die thematischen Gruppen „Verkaufsschlager PC − Eine Branche entsteht“, „Apple − Kult aber nicht kompatibel“,
„IBM − Big Blue setzt den PC-Standard“ und „Der PC wird mobil“ aufgeteilt. An beiden Enden des ‚Schauregals‛ läuft auf Videobildschirmen ein kurzer Film über die amerikanische „PC-Revolution“ und ihre Protagonisten. Den Hintergrund des Exponates
bilden schwarze Stellwände auf denen leuchtend grüne Befehlszeilen an die textgesteuerten Benutzeroberflächen der ersten PCs erinnern. Vor der PC-Ahnengalerie sind drei
moderne Workstations montiert, an denen der Ausstellungsbesucher einige Anwendungen ausprobieren kann, die auf den ausgestellten PCs ursprünglich gelaufen sind. So
lassen sich zum Beispiel vor dem Bereich „Apple – Kult aber nicht kompatibel“ Emulationen der Tabellenkalkulation VisiCalc sowie den Spielen Zaxxon und Track and Field
starten, die ursprünglich für den Apple II programmiert wurden. Auf zwei weiteren
90
Workstations kann der Besucher „überholte Softwareversionen“ (HNF, 2004, 3) wie
Windows 3.1 oder Windows 95 sowie die in den achtziger Jahren für den C64 adaptierten
Spiele Mario und Donkey Kong testen.
Abbildung 22: Original C64 mit C64-Software-Emulation (2005)
Das komplexe Objektarrangement der PC-Ahnengalerie offenbart die Schwierigkeiten
im musealen Umgang mit dem ‚opaken‛ Personalcomputer und seiner Anwendung als
Medium. Das Exponat ergänzt die geschichtlichen Ausstellungsobjekte durch Emulationen der ‚alten‛ Software und versucht so dem Ausstellungsbesucher einen authentischeren Nachvollzug der ursprünglichen Anwendung der Computer zu ermöglichen.
Allerdings stellt sich ein solcher Nachvollzug nur schwer ein. Während die Emulationen
aufgrund der Auswahl der gezeigten Programme und der ‚fremden‛ PC-Plattform auf
der sie implementiert sind, die ursprüngliche Anwendung nur unzureichend simulieren
können, treten die ‚eigentlichen‛ Ausstellungsobjekte in den Hintergrund und werden zu
bloßen Ikonen mit illustrativem Charakter.
Eine ähnliche Präsentationsstrategie wie bei der „PC-Ahnengalerie“ haben die Ausstellungsgestalter des HNF für den Bereich „Geschichte der Videospiele – Neue Spielewelten“ gewählt. Das Exponat besteht aus einer dreieckigen Konstruktion aus Stellwänden,
die mit diversen Figuren aus der Videospielgeschichte bedruckt sind. In die Konstruktion wurde ein dreieckiger Glasschaukasten eingefügt, den der Ausstellungsbesucher von
zwei Seiten betrachten kann. In der Vitrine befindet sich eine Auswahl von historischen
Videospielkonsolen, die chronologisch auf vier Ebenen angeordnet sind. Auf den unteren zwei Ebenen sind die ersten Geräte aus den siebziger Jahren wie das Magnavox Odyssey (1972) von Ralph Baer und Ataris erstes PONG-Heimgerät (1975) positioniert. Das
91
NES und der Gameboy von Nintendo aus den achtziger Jahren finden sich neben anderen Objekten im oberen Teil der Vitrine.
Abbildung 23: Exponat "Geschichte der Videospiele" im HNF (2005)
Die Ausstellungsobjekte werden mit den jeweils dazugehörigen Controllern gezeigt,
Texttafeln informieren über Namen, Hersteller und Erscheinungsjahr der Geräte. Vor
der Rückseite der Vitrinenkonstruktion wurde eine PC-Workstation mit einer Version
des Computerspiels PONG installiert. Durch einen gelben ‚Rahmen‛ mit der Aufschrift
„PONG“, der dem PONG-Automaten von Atari aus dem Jahr 1973 nachempfunden
wurde (Abb. 24), wird versucht, dem ‚Spielgefühl‛ des Originals näher zu kommen.
Wie im Fall der „PC-Ahnengalerie“ werden originale Hardware und Software getrennt
voneinander gezeigt. Das Computerspiel PONG ist dabei ein gutes Beispiel für ein
‚immaterielles‛ (digitales) Exponat ohne direktes materielles Bezugsobjekt. Das simple
Rückschlagspiel wurde, wie in Kapitel 3.3 beschrieben, seit seiner Erfindung durch William Higinbotham für unterschiedliche Hardware-Plattformen und unter verschiedenen
Namen umgesetzt − für Münzautomaten, Heimkonsolen und Homecomputer. Dennoch orientiert sich die Emulation äußerlich an dem Spielautomat PONG und versucht
dem Ausstellungsbesucher das historische ‚Spielhallen-Gefühl‛ zu vermitteln. Dies gelingt allerdings nur bedingt, fehlt dem Exponat doch die (haptische wie optische) Erfahrung des ‚alten‛ Spielautomaten.
92
Abbildung 24: Exponat "PONG" im HNF (2005)
Abbildung 25: Ataris originaler Münzautomat „PONG“ (1973)
93
5
Strategien zur musealen Inszenierung der Computergeschichte
In Kapitel Vier wurde der ‚alte‛ und ausrangierte Computer hinsichtlich seiner Funktion
untersucht, als materieller Zeitzeuge authentisch auf seine historische Anwendung zu
verweisen. Der Fokus war dabei zunächst auf das einzelne Exponat gerichtet bzw. auf
die Art und Weise wie geschichtliche Gegenstände im musealen Kontext präsentiert
werden. Im „Bedeutungsraum“ (Klein, 2004, 103) der Ausstellung können Exponate
jedoch nicht ausschließlich als isolierte Objekte betrachtet werden. Im Kontext der musealen Präsentation werden die Exponate zu einem neuen Gesamtbild zusammengefügt
und gemäß einer bestimmten Ausstellungsintention in einen thematischen Zusammenhang eingebunden − sie werden in Szene gesetzt121:
„Zu einer Inszenierung arrangiert, vermitteln Exponate neue Bedeutungen, die dem
Einzelexponat allein nicht entnommen werden können“ (Klein, 2004, 105).
Unterdessen lässt sich mit Scholze (2004, 271) feststellen, dass Ausstellungen im Allgemeinen immer eine gewisse „Kommunikationsabsicht“ unterstellt werden kann. Museale Inszenierungen richten sich an eine große Öffentlichkeit und vermitteln einer bestimmten ‚Strategie‛ folgend unterschiedliche Vorstellungen, Überzeugungen und Erkenntnisse der Ausstellungsmacher. Ausstellungen zeigen historische Gegenstände und
erzählen dramaturgisch aufbereite Geschichten aus der ‚Realität‛ außerhalb des Museumsgebäudes − sie sind immer „Präsentation und Interpretation“ zugleich (Waidacher,
2005, 121).
Ein Blick auf die historischen Ursprünge des Computers in Kapitel Drei hat gezeigt,
dass eine Vielzahl unterschiedlicher Zugänge zur Geschichte der universellen Maschine
existieren. Ausstellungskonzeptionen, die sich zum Ziel setzen, Computergeschichte im
musealen Rahmen zu erzählen, können einen solch kaleidoskopischen Zugang jedoch
kaum leisten und wählen zumeist eine spezifische Perspektive auf die Computergeschichte. Im Folgenden werden drei solcher Inszenierungsstrategien vorgestellt. Auf unterschiedliche Art und Weise versuchen sie den vielseitigen und komplexen Weg der universellen Maschine aufzuarbeiten.
121
Wurde der Begriff ‚Inszenierung‛ in Kapitel Vier im Bezug auf einzelne Exponate verwendet, meint
Inszenierung hier das intentionale Zusammenstellen von Exponaten im Bedeutungsraum der musealen
Ausstellung im Allgemeinen, siehe Klein (2004, 104): „Fügen sich Exponate zu einem neuen Bild zusammen, das mehr ist als die Summe seiner Teile, so handelt es sich um eine Inszenierung“.
94
5.1 Die Geschichte des Rechners − „Informatik“ im Deutschen Museum
„Die Ausstellung Informatik will den Besuchern Ursprünge und Geschichte dieses noch
immer jungen technischen Wissenschaftsgebietes näher bringen; sie will den schwer
durchschaubaren ‚computer‛ begreifbar, vertraut und durchsichtig machen. Es soll die
Geschichte und Vorgeschichte dieses Werkzeugs dargestellt werden“ (Bauer, 2004, 10).
Die Ausstellungsabteilung „Informatik“ im Deutschen Museum wurde in ihrer heutigen
Form im Jahr 1988 eröffnet. Maßgeblich verantwortlich für die Gestaltung der Ausstellung war der deutsche Informatiker Dr. Friedrich Bauer von der TU München, dessen
Anliegen es war die junge Wissenschaft Informatik sowie die Entwicklungsgeschichte
des Computers den Besuchern des Deutschen Museums näher zu bringen122. Die Ausstellung soll dem Besucher die Geschichte des Werkzeugs ‚Computer‛ vermitteln und
erzählt die Geschichte des analogen, digitalen und automatisierten Rechnens bzw.
Rechners. Unter den über 700 Ausstellungsobjekten nehmen neben zahlreichen mathematischen Instrumenten und mechanischen Rechenmaschinen vor allem die elektronischen Großrechenanlagen aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren eine prominente Rolle in der Ausstellungsgestaltung ein. Zu den bedeutendsten Exponaten der
Sammlung gehören neben den Großrechnern UNIVAC und PERM vor allem Zuses
Relaisrechner Z3 und Z4.
Die Ausstellungsgestaltung folgt einem linearen Aufbau in sieben thematischen Abschnitten, welche den Besucher von den Anfängen des instrumentellen Rechnens in der
Antike bis zu den Hochleistungsrechnern und Personalcomputern der frühen achtziger
Jahre führen. Von den sieben Ausstellungsbereichen befassen sich die Themengebiete
„Mathematische Instrumente“, „Analogrechengeräte“, „Tafeln und digitale Rechengeräte“, „Codierung“ und „Programmsteuerung“ mit der Vorgeschichte des Computers,
während die Bereiche „Universalrechner“ und „Speicher und periphere Geräte“ den
Zeitraum von der Erfindung des speicherprogrammierten universellen Computers in
den vierziger Jahren bis heute (bzw. dem Zeitpunkt der Ausstellungsgestaltung) behandeln.
Den Leitfaden in der ersten Ausstellungshälfte bildet eine inhaltliche Dreiteilung in die
Entwicklungslinien „Digitalprinzip“, „Analogprinzip“ und „Automatik“, die zu Beginn
der Ausstellung auf drei großen Texttafeln erläutert werden. Durch eine farbliche Kennzeichnung dieser drei Kategorien (blau, rot und beige) werden die Ausstellungsobjekte
und die durch die Ausstellung führenden Texttafeln jeweils einem der drei Prinzipien
zugeordnet.
122
Zur Entstehungsgeschichte der Informatikausstellung im Deutschen Museum siehe auch Kapitel 2.3
dieser Arbeit.
95
Abbildung 26: Vitrine mit historischen Rechenschiebern
Der in der Farbe Rot gestaltete Bereich „Analogprinzip“ beginnt mit den Anfängen des
instrumentellen Rechnens und präsentiert eine Vielzahl mathematischer Instrumente
wie Zeichengeräte (Lineale, Zirkel und Ellipsenzeichner), Messgeräte (Maßstäbe, Winkelmesser und Astrolabien) und eine umfangreiche Sammlung von Proportionalzirkeln
und Rechenschiebern. Die mathematischen Instrumente stammen größtenteils noch aus
der Gründungsphase des Deutschen Museums und wurden ursprünglich in der Ausstellung „Mathemati“ gezeigt, bevor sie 1988 in der Informatikausstellung als Vorläufer des
modernen Computers neu interpretiert wurden. Neben den historischen Objekten und
ausführlichen Texttafeln finden sich im Bereich „Analogprinzip“ auch einige interaktive
Demonstrationsmodelle, an denen der Besucher zum Beispiel die Funktionsweise mechanischer Zeicheninstrumente nachvollziehen kann. Im Anschluss an die mathematischen Instrumente widmet sich der ‚rote‛ Ausstellungsbereich dem Thema „Analogrechengeräte“, zu dem vor allem diverse Planimeter und mechanische Integrieranlagen
präsentiert werden. Die analoge Entwicklungslinie endet mit den elektronischen Analogrechnern, die noch bis in die fünfziger Jahre zum Einsatz kamen wie zum Beispiel dem
Telefunken RA 463/2.
Die ‚digitale Entwicklungslinie‛ ist durch die Farbe Blau gekennzeichnet und befasst sich
mit den Themenbereichen „Tafeln und digitale Rechengeräte“ und „Codierung“. Mit
Texttafeln und Nachbildungen antiker Zählhilfen wie dem römischen Abakus und den
Rechenstäbchen von John Napier aus dem 17. Jahrhundert wird der Ausstellungsbesucher zunächst in die Tradition des digitalen Rechnens mit Ziffern und Zahlen eingeführt. Anschließend wird die Ära der mechanischen Addier- und Multipliziermaschinen
behandelt. Nachbauten der berühmten Maschinen von Wilhelm Schickard, Blaise Pascal
96
und Gottfried Wilhelm Leibniz werden ebenso gezeigt, wie einige originale Exemplare
des in ‚Serie‛ hergestellten Arithmomètre von Charles Xavier Thomas aus dem 19. Jahrhundert. Interaktive Demonstrationsmodelle erklären relevante technische Sachverhalte
wie das „Staffelwalzenprinzip“ oder das mechanische Problem des Zehnerübertrags.
Unter den zahlreichen mechanischen Rechenwerkzeugen nimmt vor allem die um 1735
fertig gestellte Rechenmaschine von Antonius Braun (1684-1746) und Philippe Vayringe
(1684-1746) einen prominenten Platz ein (Abb. 26). Im Anschluss befasst sich der
Themenbereich „Codierung“ mit dem Einsatz der digitalen Technik in mechanischen
Chiffriermaschinen, eine frühe Form von maschineller Zeichenverarbeitung. Gezeigt
wird unter anderem die berühmte Rotor-Chiffriermaschine ENIGMA, die im II. Weltkrieg bei der Wehrmacht zum Einsatz kam. Die blaue Entwicklungslinie endet mit mechanischen Vierspeziesmaschinen, die zum Teil noch bis in die sechziger Jahre als Rechenwerkzeuge in Gebrauch waren.
Abbildung 27: Vitrine mit mechanischen Rechenmaschinen
Durch beigefarbene Texttafeln ist die Entwicklungslinie „Automatik“ gekennzeichnet,
die vor allem unter dem Aspekt der „Programmsteuerung“ thematisiert wird. Zunächst
werden in diesem Bereich historische Automaten gezeigt, bei denen Programmspeicherung und Ablaufsteuerung in Form von Walzen, Scheiben oder Trommeln mechanisch
realisiert wurden. Im Mittelpunkt stehen hier vor allem die Automatenfigur eines predigenden Mönchs aus dem 16. Jahrhundert sowie der „Mechanische Trompeter“ von
Friedrich Kaufmann aus dem Jahr 1810. Im Anschluss wird die automatische Ablaufsteuerung durch Lochkarten behandelt. Gezeigt wird eine original Zähluhr, wie sie
die bei den Zähl- und Sortiermaschinen von Herman Hollerith (1860-1929) zum Einsatz
97
kamen, sowie diverse historische Tabellier- und Buchungsmaschinen. Das Ende der
Entwicklungslinie „Automatik“ bilden die Relaisrechner Z3 und Z4 des deutschen Ingenieurs Konrad Zuse. Bei der Z3 – das Original wurde 1943 bei einem Luftangriff zerstört – handelt es sich um einen Nachbau den Zuse persönlich im Jahr 1962 angefertigt
hat, um zu zeigen, dass er bereits in den vierziger Jahren die technischen Prinzipien der
„Gleichpunktrechnung“ und „freien Programmierbarkeit“ in seinen selbstgebauten Maschinen umgesetzt hat. Die Z3 wird als „erster funktionsfähiger programmgesteuerter
Rechenautomat“ präsentiert und dient noch heute bei Führungen dazu, den Ausstellungsbesuchern Zuses elektromechanische Relaisschaltungen zu demonstrieren. Bei der
Z4, die in unmittelbarer Nähe der Z3 positioniert ist, handelt es sich um die einzige von
Zuses frühen Rechenmaschinen, die bis heute erhalten geblieben ist.
Abbildung 28: Zuses mechanische Relaisschaltung wird anhand der Z3 demonstriert
Zuses Rechenmaschinen bilden räumlich wie inhaltlich den Mittelpunkt der Ausstellung
und repräsentieren das Ende der Vorgeschichte des Computers. Die drei farblich gekennzeichneten Entwicklungslinien laufen an dieser Stelle zusammen, der didaktische
Leitfaden der Ausstellung wird in der zweiten Hälfte der Ausstellung durch eine graue
Farbgestaltung weitergeführt. Zunächst werden auf Texttafeln die Arbeiten von Alan
Turing und der Gruppe um John Presper Eckert, John Mauchly und John von Neumann behandelt, die in den vierziger Jahren den entscheidenden Schritt zur universellen
Maschine vollzogen haben. Mit dem UNIVAC von Remington Rand und der PERM
werden im Anschluss zwei der ersten in Deutschland installierten Universalrechner mit
Röhrentechnik ausgestellt. Mit der Präsentation einiger Mainframe-Großrechner wie der
SIEMENS 2002, dem Magnettrommelrechner IBM 650 und der Z22 der Zuse KG wird
schließlich der Beginn der Computerindustrie thematisiert. Die stetige Leistungssteige-
98
rung der Großrechenanlagen wird an Exponaten wie der Rechenanlage IBM/360-20
gezeigt und hat ihren Höhepunkt in der Präsentation des Supercomputers CRAY-1 aus
dem Jahr 1983. Die Mitte der achtziger Jahre bereits absehbare Revolution der Computernutzung durch den ‚Siegeszug‛ des Personalcomputers wird in der Ausstellung kaum
thematisiert. In einer Vitrine am Ende der Ausstellung finden sich allerdings einige Taschen- und Tischrechner der Firma Hewlett-Packard aus den siebziger Jahren sowie der
Homecomputer PET 2001 (1978) und der IBM PC (1981) an denen anschaulich die
„Miniaturisierung des Rechners“ gezeigt wird.
Abbildung 29: Hochgeschwindigkeits-Rechenanlage Cray-1
Neben dem Themengebiet „Universalrechner“ befindet sich der Ausstellungsbereich
„Speicher und periphere Geräte“. Durch die Zusammen- und Gegenüberstellung von
Ausstellungsobjekten in mehreren Vitrinen wird hier vor allem die technische Weiterentwicklung der Computerkomponenten beschrieben. Gezeigt werden verschiedene
Generationen von Speichermedien, Druckern, Bildschirmtechnologien und Tastaturen.
Bei der Ausstellungskonzeption der Informatikausstellung im Deutschen Museum stehen die historischen Objekte eindeutig im Vordergrund. Die ‚alten‛ Computer werden
nicht als bloße Illustration eingesetzt, sondern in ihrer Ambivalenz als Bedeutungsträger
und authentische Zeitzeugen ernst genommen. Inszenatorische Hilfsmittel werden nur
selten eingesetzt und lassen, wie im Fall der SIEMENS 2002, dem eigentlichen Ausstellungsobjekt genug Raum. Zuweilen stehen die vielen umfangreichen und zum Teil sehr
anspruchsvollen Beschreibungen und Erläuterungen sowie die stark didaktische Ausrichtung der Ausstellung einer unbefangenen Erfahrung der Ausstellungsobjekte jedoch
99
im Weg123. Auffallend an der Ausstellungsstrategie im Deutschen Museum sind vor allem die mathematische Ausrichtung und die exklusive Perspektive auf den Computer als
Rechenmaschine. Andere Entwicklungslinien aus der Geschichte des Computers finden
keine Berücksichtigung. Dies lässt sich zum einen auf die an der Gestaltung der Ausstellung beteiligten Personen und ihren Hintergrund zurückführen, aber vor allem auf die
vorherrschende Wahrnehmung des Computers als Rechenmaschine zum Zeitpunkt der
Ausstellungsgestaltung.
5.2 Rechenmaschine vs. Mikrochip −
„Rechnen einst und heute“ im Arithmeum
„Das Ziel von „rechnen heute“ ist es, dem Laien trotz der Komplexität eines modernen
Mikroprozessors, der aus 25 Millionen Transistoren und 300 Metern Verdrahtung auf
einem Daumennagel besteht, klarzumachen, dass es sich hier um ganz elementare, triviale Strukturen handelt, denen nichts Mystisches, nichts Geheimnisvolles und auch nichts,
was auch nur den Anspruch von Intelligenz haben könnte, anhaftet“ (Prof. Bernard
Korte, zitiert nach Wagner 1999b, 5).
Die ständige Ausstellung „Rechnen einst und heute“ im Arithmeum in Bonn wurde im
Jahr 1999 eröffnet und von Prof. Bernhard Korte, Direktor des Forschungsinstitutes für
diskrete Mathematik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität, und seinen Mitarbeitern gestaltet. Durch die Gegenüberstellung historischer Formen des maschinellen
Rechnens und der heutigen Funktionsweise von Mikroprozessoren soll dem Ausstellungsbesucher die Tradition einer über dreihundertjährigen Technik- und Wissenschaftsentwicklung vermittelt werden, an deren Ende das hochkomplexe Rechnen im
Mikrokosmos der Computerchips steht. Den Hauptbestandteil der ausgestellten Objekte bildet die Sammlung originaler und rekonstruierter mechanischer Rechenmaschinen,
die Bernhard Korte seit Mitte der siebziger Jahre zusammengetragen hat. Sie gehört mit
mittlerweile über 1200 Exemplaren zu den weltweit umfangreichsten Sammlungen ihrer
Art. Zu den bedeutendsten Exponaten der Ausstellung gehören so unterschiedliche
Objekte wie eine aus dem Jahr 1822 stammende Rechenmaschine von Johan Christoph
Schuster (1759 - 1823), die originalgetreue Rekonstruktion einer Hollerith-Maschine und
ein über 200 kg schwerer Siliziumeinkristall mit 300 mm Durchmesser, wie er zur Herstellung von Computerchips verwendet wird. Einen großen Anteil an dem „Gesamterlebnis“ des Arithmeum haben Außen- und Innenarchitektur des Ende der neunziger
123
Ein Umstand den Dr. Friedrich Bauer (2004a, 11) bei der Gestaltung der Ausstellung bewusst in Kauf
genommen hat: „Um allerdings manche Texttafeln vollständig (auch das Kleingedruckte) zu verstehen
und die Hintergründe und Zusammenhänge zu erkennen, sind einige Kenntnisse aus der Mathematik
notwendig. Diese gelegentlichen Schwierigkeiten im Textverständnis mancher Besucher müssen in
Kauf genommen werden, da Mathematik der Informatik wie jeder Ingenieurwissenschaft als Arbeitsmittel dient.“
100
Jahre gebauten Gebäudes, welches neben der Dauerausstellung auch das Forschungsinstitut für diskrete Mathematik beherbergt. Konstruktivistische und konkrete Kunstwerke an den Wänden der Ausstellungsräume sowie einige Sitzgruppen mit „Stuhlklassikern“ ergänzen das funktionalistische Ausstellungsdesign.
Die Ausstellung ist grundsätzlich in die zwei Themengebiete „Rechnen einst“ und
„Rechnen heute“ unterteilt, wobei die historische Vorgeschichte des digitalen Rechnens
den weitaus größeren Raum einnimmt. Die Ausstellung beginnt im dritten Obergeschoss des Gebäudes und führt den Ausstellungsbesucher zunächst über drei Etagen
durch die Geschichte des instrumentellen Rechnens. Der chronologische Aufbau wird
anschließend in Erd- und Untergeschoss des Gebäudes durch eine offenere Gestaltung
der Ausstellungsräume abgelöst, in denen sich der Besucher frei bewegen kann. Viele
der präsentierten Objekte werden ohne Vitrinen auf Tischen oder in offenen ‚Regalen‛
gezeigt. Manche der Exponate, unter ihnen auch einige Originalobjekte, dürfen vom
Ausstellungsbesucher berührt und gegebenenfalls sogar bedient werden. In einigen Fällen sind Texttafeln und Objektbeschriftungen neben den Objekten platziert und dienen
als didaktischer Leitfaden. Zur Vertiefung der zum Teil komplexen Sachverhalte liegen
zudem überall in der Ausstellung ausführliche Informationsblätter in roten „Buchständern“ bereit.
Nachdem der Ausstellungsbesucher mit dem Aufzug in das dritte Obergeschoss des
Gebäudes gefahren ist, beginnt die Ausstellung mit dem Thema „Zahlen und Ziffern −
Frühzeit des Rechnens“. Gezeigt werden historische Rechenhilfsmittel aus verschieden
Kulturen wie Abakus, Knotenschnüre und Rechentische. Eine Etage tiefer werden unter
dem Titel „Rechnen im 17. Jh.“ die ersten Versuche einer Mechanisierung des Rechnens
thematisiert. An einem Nachbau der historischen Rechenmaschine des Mathematikers
Wilhelm Schickard kann der Ausstellungsbesucher die Grundprinzipien mechanischer
Addiermaschinen ‚am Objekt‛ erfahren. Im ersten Obergeschoss werden an verschiedenen Demonstrationsmodellen das „Staffelwalzenprinzip“ und „Sprossenradprinzip“
gezeigt, die im 18. Jahrhundert zur Konstruktion mechanischer Rechenmaschinen eingesetzt wurden. Ausgestellt wird außerdem der Nachbau einer Rechenmaschine, die im
Jahr 1774 von Philip Matthäus Hahn (1739-1790) konstruiert wurde.
101
Abbildung 30: Rekonstruktion der Rechenmaschine von Wilhelm Schickard im 3. OG.
Auf der großen Ausstellungsfläche im Erdgeschoss wird schließlich eine Vielzahl industrieller Rechenmaschinen aus dem 19. und 20. Jahrhundert ausgestellt. Rekonstruktionen der Multiplikationsmaschine von Léon Bollée und dem Thomas-„Arithmomètre“
sind ebenso vertreten wie die späteren, in Serie produzierten Tischrechenmaschinen der
Hersteller Original-Odhner, Brunsviga, Burroughs oder Mercedes-Euklid. Einige der Originale
können vom Ausstellungsbesucher berührt und ausprobiert werden, eine ausführliche
Anleitung neben den Exponaten erklärt das Rechnen mit den mechanischen Werkzeugen. Der Ausstellungsbereich „Rechnen einst“ endet mit den ersten elektrischen Tischrechenmaschinen, die noch etwa bis in die sechziger Jahre in Gebrauch waren, gezeigt
werden unter anderem Maschinen der Firma Busicom.
Im anschließenden Ausstellungsbereich „Rechnen heute“ werden nur wenige Ausstellungsobjekte gezeigt. Die Präsentation einiger Siliziumeinkristalle, Siliziumscheiben (so
genannte „Wafer“) und Computerchips soll die Miniaturisierung des maschinellen
Rechnens Ende des 20. Jahrhunderts verdeutlichen. Des Weiteren kann der Besucher an
zwei „Multimediatischen“ verschiedene Anwendungen und Kurzfilme über die Fertigung von Computerchips aufrufen. Im Zentrum des Ausstellungsbereiches steht eine
Versuchsanwendung mit einem vom Ausstellungsbesucher steuerbaren Polarisationsmikroskop und zwei Computerbildschirmen. Hier werden dem Besucher Aufbau und
Funktionsweise „höchstintegrierter Logikchips“ erläutert und durch den Eintritt in den
Mikrokosmos sichtbar gemacht. Konstruktivistische Kunstwerke an den Wänden lassen
außerdem Assoziationen und Vergleiche zwischen Chipdesign und der Ästhetik der
künstlerischen Arbeiten zu.
102
Abbildung 31: Ausstellungsraum im Erdgeschoss des Arithmeum
Im Untergeschoss des Gebäudes befinden sich das begehbare Depot des Museums sowie der Ausstellungsbereich „Väter des Computers“. Gezeigt werden hier Rekonstruktionen von Geräten die eine Schnittstelle zwischen mechanischer Rechenmaschine und
der Entwicklungslinie des universellen Computers darstellen. So kann der Besucher zum
Beispiel den detailgetreuen Nachbau einer Hollerith-Maschine oder das rekonstruierte
Rechenwerk der Difference Engine von Charles Babbage betrachten. Im Depot befindet sich ein weiterer Teil der umfangreichen Sammlung des Museums an mechanischen
Rechenmaschinen.
Wie bei der Informatikausstellung im Deutschen Museum, steht auch in der Ausstellung
„Rechen einst und heute“ des Arithmeum die Objektsammlung im Vordergrund der
Konzeption. Besonders hervorzuheben ist die ‚offene‛ Präsentation originaler wie rekonstruierter Rechenmaschinen, die dem Ausstellungsbesucher einen unmittelbaren
Zugang zu den historischen Objekten ermöglichen. Der transparente Museumsbau und
das minimalistische Ausstellungsdesign bilden einen kontrastreichen Hintergrund zu den
Exponaten und verschaffen dem Besucher dadurch eine ungewohnte Perspektive auf
die Rechenmaschinen. Allerdings führt diese ‚neutrale‛ Präsentation ohne inszenatorische Hilfsmittel zu einer vollständigen Ausblendung der ursprünglichen Gebrauchszusammenhänge der ausgestellten Maschinen. Eine Auseinandersetzung mit ihrer Anwendungsgeschichte findet nicht statt. Auch der moderne Computer wird ausschließlich in
seiner Funktion als Rechenmaschine dargestellt. Der ‚Sprung‛ vom mechanischen Rechnen zu den ‚äquivalenten‛ Rechenprozessen im Mikrokosmos der Computerchips umgeht die gesamte Entwicklungsgeschichte des Computers. Allerdings ermöglicht gerade
diese Auslassung den direkten Vergleich der historischen Rechenmaschinen mit den
103
elementaren Strukturen heutiger Mikrotechnologie und führt dem Ausstellungsbesucher
die enorme Entwicklungsdynamik der Computergeschichte vor Augen.
Abbildung 32: Versuchsanordnung mit Polarisationsmikroskop
5.3 Die Kulturgeschichte des Computers −
Das Heinz Nixdorf MuseumsForum
„Ziel der Ausstellungspräsentation ist es, einen Eindruck der historischen Entwicklung
der Informationstechnik über fünftausend Jahre bis zu ihrer überragenden Gegenwartsund auch Zukunftsbedeutung zu vermitteln“ (Thürmer, 1996, 32).
Die ständige Ausstellung im Heinz Nixdorf MuseumsForum wurde im Oktober 1996
im ehemaligen Gebäude der Hauptverwaltung der Nixdorf AG eröffnet124. Verantwortlich für Architektur und Ausstellungsdesign des neuen Computermuseums waren Prof.
Ludwig Thürmer und Prof. Gerhard Diel, zwei renommierte Ausstellungsgestalter und
Lehrbeauftragte an der Hochschule der Künste in Berlin. Auf einer Fläche von 6000 qm
versucht die Ausstellung dem Besucher einen umfassenden Überblick über 5000 Jahre
Informationstechnik zu verschaffen und erzählt die Geschichte des Computers als „Mittel der Wissensvermittlung und Unterhaltung“. Unter den 2000 Ausstellungsobjekten
befinden sich zahlreiche rekonstruierte und originale Objekte der Rechen-, Schreib- und
Bürotechnik, sowie der frühen wie jüngeren Computergeschichte. Im Jahr 2004 erfolgte
eine Neu- bzw. Umgestaltung der Ausstellung, um den neuesten Entwicklungen in der
Informations- bzw. Computertechnologie Rechnung zu tragen.
124
Zur Entstehungsgeschichte des HNF siehe auch Kapitel 2.4 dieser Arbeit.
104
Die Ausstellungskonzeption teilt die Geschichte des Computers auf zwei Etagen in die
Zeit vor und nach der Erfindung der universellen Maschine ein. Im ersten Obergeschoss
wird die Vorgeschichte des Computers in chronologischer Abfolge von den ersten antiken Schrift- und Zahlensystemen, über mechanische Rechen- und Schreibmaschinen,
bis zur „Geburt des Computers“ präsentiert. Der Ausstellungsabschnitt im zweiten Obergeschoss beschäftigt sich mit der „Entwicklung, Verbreitung und Anwendung der
elektronischen Datenverarbeitung“ und erzählt die letzten 50 Jahre der kommerziellen
und kulturellen Durchsetzung des Computers. Außerdem wird ein Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen in der Computertechnologie gegeben. Bei der Ausstellungsgestaltung wurde besonderer Wert darauf gelegt, die behandelten Sachverhalte dem
Besucher auf vielfältige Art und Weise zu vermitteln. Zwar stehen die historischen Objekte und ihre Beschriftungen im Vordergrund der Präsentation, zahlreiche Bild- und
Texttafeln, Audio- und Videoinstallationen sowie einige interaktive Computerstationen
ergänzen jedoch das museale Angebot. Zu dem Bedeutungsraum der Ausstellung trägt
außerdem das historische Gebäude, selbst ein Teil internationaler Computergeschichte,
einen wichtigen Anteil bei.
Die Ausstellung beginnt im ersten Obergeschoss mit dem Thema „Von der Keilschrift
zum Computer“ und führt den Ausstellungsbesucher in einem chronologischen Ablauf
„im Uhrzeigersinn“ durch die „Zivilisationsgeschichte der Menschheit“. Den roten Faden bilden dabei die Kulturtechniken „Rechnen, Schreiben, Zeichnen, Steuern“ und ihre
Automatisierung bzw. Maschinisierung (Thürmer, 1996, 33). Im Zentrum der Ausstellungsetage befindet sich der Rundgang „Galerie der Pioniere“, in dem Leben und Werk
elf bedeutender Personen, von Schickard bis Nixdorf, der Computergeschichte aus vier
Jahrhunderten vorgestellt werden. Bemüht, eine vereinfachende Biografisierung der
komplexen Entwicklungslinien zu vermeiden, wird versucht, den gesamten Lebenslauf
sowie die „äußeren Lebensumstände“ der Pioniere zu berücksichtigen (HNF, 2000, 59).
Zu diesem Zweck werden in den einzelnen Bereichen neben einigen Ausstellungsobjekten auch Hörspiele, ‚Großbücher‛, Fotografien und historische Dokumente eingesetzt.
Der konzentrische Aufbau setzt sich um den zentralen Rundgang herum fort, indem die
Galerie von Exponaten umgeben ist, die aus der Zeit des jeweiligen Pioniers stammen.
In den Ecken der Ausstellungsetage, bzw. im äußersten ‚Ring‛, sollen darüber hinaus
sechs szenische Inszenierungen historischer Büroräume einen Überblick über den kulturgeschichtlichen Wandel in der Informationsverarbeitung ermöglichen. Somit hat der
Ausstellungsbesucher zwei Möglichkeiten sich im Informationsraum der Ausstellung zu
bewegen. Radial, von innen nach außen, erhält er einen biografischen, technischen und
105
schließlich kulturgeschichtlichen Zugang zu der entsprechenden Epoche. Folgt der Besucher dem Kreisbogen, so bewegt er sich durch die Zeit und kann die kausalchronologische inszenierte Abfolge der technischen Entwicklung nachvollziehen.
Abbildung 33: Grundriss 1. Obergeschoss "Von der Keilschrift zum Computer"
Nach einer ausführlichen Einführung in die Kulturgeschichte des Schreiben und Rechnens widmet sich der mittlere Rundgang der Mechanisierung der Informationstechnik
und zeigt eine umfangreiche Sammlung früher mechanischer Rechen- und Schreibmaschinen sowie eine Auswahl historischer Registrierkassen. Die Entwicklungslinie wird
fortgesetzt mit der Geschichte der Telegrafie und des Telefons. Eine Einführung in die
Lochkartenverarbeitung um die Jahrhundertwende illustriert die Frühzeit der Datenverarbeitung. Die Ausstellung im ersten Obergeschoss endet mit dem in Kapitel Vier besprochenen ENIAC-Exponat und thematisiert die historisch nachfolgende Erfindung
der universellen Maschine als Kulminationspunkt der informationstechnischen Entwicklungsgeschichte.
Im Eingangsbereich der zweiten Ausstellungsetage wird die Galerie der Pioniere aus
dem ersten Stockwerk in einer Multimedia-Installation fortgesetzt. Die „Wall of Fame“
ermöglicht über einen Touchscreen-Monitor den Zugriff auf 152 bedeutende Personen
der Computergeschichte und ihre Biografien. Um dem Besucher einen möglichst aktuellen Blick auf die Computergeschichte und ihre herausragenden Persönlichkeiten zu ges-
106
tatten, wird die „Wall of Fame“ regelmäßig mit „neuen Pionieren und ergänzenden Informationen“ aktualisiert (HNF, 2004, 9).
Abbildung 34: Der Eingangsbereich der Ausstellung im 1. OG.: "Zahlen, Zeichen und Signale"
Der ‚innere Bereich‛ der zweiten Ausstellungsetage ist der Firmengeschichte der Nixdorf
Computer AG vorbehalten. Unter dem Titel „Nixdorf – Wegbereiter der dezentralen
Datenverarbeitung“ wird dem Ausstellungsbesucher die Erfolgsgeschichte des Paderborner Unternehmens durch Zeitzeugenberichte, Multimediaanwendungen und Videodokumentationen vermittelt. Kernstück ist die Präsentation der umfangreichen Produktgeschichte der Firma.
Der äußere Rundgang nimmt den chronologischen Leitfaden aus dem ersten Stockwerk
mit der Entwicklung der Computerindustrie in den fünfziger, sechziger und siebziger
Jahren wieder auf. Unter dem Thema „Computer nur für Spezialisten“ wird zunächst
die Geschichte der ZUSE KG mit Texttafeln, Fotografien und den Objekten Z11 und
Z23 dargestellt. Eine aufwendig gestaltete Schauwand thematisiert den Einfluss des Militärs und der Raumfahrt auf die Computerentwicklung in den USA. Gezeigt wird der
Bordcomputer der unbemannten Gemini-II-Mission − „der Computer, der im Weltraum
war“. Die Exklusivität digitaler Datenverarbeitung bis weit in die siebziger Jahre wird
anschließend am Beispiel der „Datenverarbeitungsorganisation des steuerberatenden
Berufes“ (DATEV) in Nürnberg angesprochen, die im Jahr 1969 ihr Rechenzentrum
einweihte.
Der anschließende Ausstellungsbereich widmet sich dem „Computer in Wirtschaft und
Beruf“ und behandelt die Jahre 1970-1980. Mit der ESER 1055, einer Rechenanlage die
zu Beginn der achtziger Jahre in den Staaten des Ostblocks eingeführt wurde, wird hier
107
ein „fast vollständiges“ Rechenzentrum gezeigt und gleichzeitig die Entwicklung der
Computer in der DDR angesprochen. Auf ausführlichen Texttafeln wird anschließend
die Entstehung einer unabhängigen Softwareindustrie in den siebziger Jahren dargestellt,
die mit zahlreichen Unternehmensgründungen verbunden war. In der Folge wird dem
Besucher die Diffusion der Computertechnologie in den beruflichen Alltag durch die
Präsentation mehrerer Speicherschreibmaschinen (z. B. der Firma Wang Laboratories) und
den erfolgreichen Minicomputern der Firma DEC verdeutlicht. Der kommerzielle Siegeszug der Mikroelektronik und die Entwicklung des elektronischen Rechners zur
„Massenware“ werden in Form einer großen ‚Taschenrechnerwand‛ dargestellt.
Abbildung 35: Die ‚Taschenrechnerwand‛ im HNF (2005)
Die historische Entwicklungslinie wird weitergeführt mit dem Themenbereich „Computer für alle!“ und der so genannten ‚PC-Revolution‛. Dabei wird die Dynamik der Jahre
1980-1990 durch verschiedene Präsentationsformen und Exponattypen eingefangen.
Zunächst wird auf Texttafeln die Erfindung des Mikrochips Anfang der siebziger Jahre
und seine Bedeutung für den technologischen Fortschritt dargelegt. Außerdem wird der
Erfolgsgeschichte der amerikanischen Computerindustrie und dem Mythos Silicon Valley
auf den Grund gegangen. Im Anschluss werden dem Besucher die ersten Mikrocomputer, unter ihnen der berühmte Altair 8800, in Einzelvitrinen und an prominenter Stelle
gezeigt. Die folgende ‚PC-Ahnengalerie‛ wurde eingehend in Kapitel Vier besprochen.
Neben der bloßen Präsentation der Ausstellungsobjekte werden auch Aspekte der Anwendungsgeschichte der frühen Personalcomputer thematisiert. Die Hacker-Kultur der
achtziger Jahre und ihre Bedeutung für die Computerentwicklung werden ebenso beleuchtet wie der Einsatz der digitalen Maschine als Musikcomputer oder als Videospiel.
108
Abbildung 36: Die ersten Mikrocomputer
Der abschließende Ausstellungsbereich rückt von einer chronologischen Inszenierungsstrategie ab. „Global Digital 1990-20XX“ will die aktuelle Dynamik der globalen Datenund Kommunikationswelt für den Ausstellungsbesucher nachvollziehbar machen. So
wird auf einer großen ‚Internetwand‛ dem Besucher Geschichte, Struktur und Dynamik
des ‚globalen Netzes‛ vermittelt. Der Bereich „Presse, Funk und Fernsehen“ vervollständigt das Bild der Informationsgesellschaft. An einer ‚digitalen Werkbank‛ mit 17 PCArbeitsplätzen können darüber hinaus Computeranwendungen aus der ‚Mediathek‛ des
HNF ausprobiert werden. Im Anschluss können die Besucher, mit Datenhelm und 3-DMouse ausgerüstet, im ‚Softwaretheater‛ verschiedene VR-Anwendungen erleben.
Vor allem der Bereich „Global Digital“ ist im Zuge der Ausstellungsaktualisierung im
Jahr 2004 grundlegend umgestaltet worden. Die neuen Bereiche umfassen Themen wie
„Künstliche Intelligenz und Robotik“, „Mobile Kommunikation“ oder „Interfaces –
Kommunikation mit der Maschine“ und setzen vor allem auf interaktive Präsentationsformen bei denen der Besucher die neuen Einsatzbereiche der Computertechnologie
kennen lernen kann. So kann man sich mit dem Avatar Max unterhalten, den Turing
Test versuchen oder mit Robotern interagieren. Ständig wechselnde Ausstellungen im
„Showroom“ ermöglichen außerdem einen Blick auf die „Technik von morgen“.
109
Abbildung 37: Robotik und KI: Aibo Roboterhunde von Sony
Die Ausstellungskonzeption der ständigen Ausstellung im HNF bemüht sich um einen breiten Zugang zur Geschichte des Computers. Bewusst hat man bei ihrer Gestaltung auf eine bloße „Aneinanderreihung toter Maschinen und gesichtsloser Erfindungen“ (Thürmer, 1996, 28) verzichtet. Durch den Einsatz aufwendiger Schau- und
Texttafeln, Multimedia-Installationen, Emulationen und anderer inszenatorischer
Hilfsmittel wurde versucht, den Blick auf die Geschichte der universellen Maschine
nicht auf eine Perspektive zu verengen. Die Thematisierung komplexer Sachverhalte
der Software- und Anwendungsgeschichte mit diesen Mitteln muss dabei allerdings
oft ohne Objekte auskommen und führt an manchen Stellen zu einer den Besucher
überfordernden Informationsdichte.
110
6
Schlussbetrachtung
„Alle Museen, nur nicht die Kunstmuseen, sind Friedhöfe der Dinge: Was dort gesammelt wird, ist seiner Lebensfunktion beraubt, also tot“ (Groys, 1997, 9).
Der Versuch, einen Überblick über die komplexe Thematik der musealen Präsentation
des Computers und seiner Technikgeschichte zu erlangen, wurde im Rahmen dieser
Arbeit von der dualen Fragestellung geleitet, auf welche Weise sich der Computer als
Medium bzw. die Computergeschichte als Mediengeschichte im musealen Bedeutungsraum in Szene setzen lässt.
Die museale Präsentation technischer Artefakte ist an erster Stelle, mit Blick auf die
historischen Ursprünge der technischen Sammlung und Ausstellung, immer vor dem
Hintergrund der Interessen der Ausstellungsgestalter zu verstehen. So wird das Sammeln und Zeigen von Relikten menschlicher Kulturgeschichte dazu genutzt, bestimmte
gesellschaftliche Wertesysteme zu etablieren, Wissenschaftsordnungen zu vermitteln
oder den Glauben an einen stetigen technischen Fortschritt, im Sinne einer teleologischen Geschichtsschreibung, zu untermauern. Computermuseen bzw. Ausstellungen zur
Geschichte der universellen Maschine reihen sich nahtlos in diese Tradition der kulturund technikhistorischen (Selbst-) Darstellung ein. Das Sammeln und Zeigen alter Computer ist demnach immer verbunden mit einer Vergegenwärtigung des zurückgelegten
Weges, einer Bestandsaufnahme der Gegenwart mit dem ‚neuesten Stand der Technik‛
und einem Blick in die ‚heilbringende‛ digitalisierte Zukunft. Der Vergleich der aktuell
verfügbaren Computertechnologie mit der historischen, überwundenen Rechnergeneration ermöglicht zudem, auch als Selbstlegitimierung der Museen in der Gesellschaft, eine
Verinnerlichung der eigenen Fortschrittlichkeit und Leistungsfähigkeit.
In der Tradition der technischen Ausstellung lässt sich eine gewisse Kontinuität der
didaktischen Mittel beobachten, die sich auch in den besprochenen Inszenierungsbeispielen anschaulich darstellen. Ein Konglomerat aus Bildung, Unterhaltung, Spektakel
und ‚Lust am Skurrilen‛ bestimmt seit jeher die museale Auseinandersetzung mit der
Technikgeschichte. Roboter begrüßen den Ausstellungsbesucher heute wie vor fünfzig
Jahren und auch die Auseinandersetzung mit der ‚Technik der Zukunft‛ bedient Ängste
und Hoffnungen der Menschen früher wie heute. Die Konstanten der Darstellung reichen sogar noch weiter zurück, vergleicht man den konzeptionellen und inszenatorischen Aufbau des HNF, der sich nahezu spiegelbildlich mit der Weltausstellung im Jahr
1867 in Paris deckt.
111
In Kapitel Zwei wurde in einem kursorischen Überblick die Geschichte des Computers
als
Ausstellungsobjekt
aufgearbeitet.
Die
Darstellung
der
verschiedenen
Interessengruppen und Impulsgeber hat gezeigt, dass sehr unterschiedliche museale
Bezugsrahmen existieren, in denen der Computer als Ausstellungsobjekt gezeigt, erklärt
und inszeniert wird. Die Beweggründe und Zielsetzungen bei der Gestaltung einer
historischen Computerausstellung können dabei sehr konkret sein, wie im Falle der um
ihre Selbstdarstellung bemühten Firmenmuseen. Sie können aber auch einer langen
Tradition
mit
gewachsener
gesellschaftlicher
Funktion
entspringen,
wie
im
institutionellen Rahmen der nationalen Technikmuseen. Der Blick auf die
verschiedenen, kleinen wie großen Computerausstellungen hat außerdem gezeigt, dass
der Computer zwar aus vielfältigen Gründen ein für Kuratoren und Ausstellungsmacher
höchst
attraktives
Ausstellungsobjekt
darstellt,
sich
jedoch
aufgrund
seiner
Vieldeutigkeit und Komplexität einer einfachen didaktischen Aufbereitung entzieht.
Lässt sich der Computer nun unter dem Polarisationsmikroskop des Arithmeum finden
oder liegt er doch irgendwo in der Gigantomanie des begehbaren Riesencomputers von
Oliver Strimpel verborgen?
Die Frage ist auch nach ausführlicher Betrachtung des Computers und seiner Geschichte(n) nicht eindeutig zu beantworten. Es gibt nicht die eine Entwicklungsgeschichte des
modernen Computers, die sich ausgehend von dem zeitgenössischen Universalmedium
zurückverfolgen ließe. Vielmehr lässt sich die universelle Maschine nur vor den komplexen Wechselwirkungen zwischen ihrer Ideengeschichten auf der einen und der Anwendungsgeschichten auf der anderen Seite verstehen. Eine solch kaleidoskopische und
umfassende Darstellung der Mediengeschichte des Computers ist jedoch, wie die Untersuchung der einzelnen Inszenierungsstrategien verdeutlicht hat, im musealen Bedeutungsraum der historischen Ausstellung kaum erreichbar. Aufgrund der zunehmenden
Ausdifferenzierung der universellen Maschine als allgegenwärtige mediale Kulturtechnologie wird eine eindeutige Festlegung des Computers, wie sie beispielsweise im Deutschen Museum in den achtziger Jahren noch vorgenommen wurde, zunehmend schwieriger. Eine vollständige, enzyklopädische Darstellung der Mediengeschichte des Computers in der historischen Ausstellung wird, das lässt sich hier feststellen, auch zukünftig
nicht zu erreichen sein.
Doch der Weg von der eindeutigen Rechenmaschine zum universalen Medium bereitet
den zuständigen Ausstellungsmachern noch weitere Schwierigkeiten. In Kapitel Vier
wurden mehrere Computerexponate hinsichtlich ihrer Funktion untersucht, authentisch
auf ihren ursprünglichen Gebrauchszusammenhang zu verweisen. Solange Anwendung
112
und materielles Objekt funktionell eindeutig miteinander identifizierbar sind, kann das
‚alte Objekt‛ als materieller Zeitzeuge eine Brücke zu seiner Vergangenheit darstellen.
Der Computer als Multimedium, Simulationsmedium und Kommunikationsmedium
lässt sich jedoch im Gegensatz zur ‚transparenten‛ Rechenmaschine nicht eindeutig auf
seine bloße materielle Hardware zurückführen. Der moderne Computer ist heute und in
Zukunft nur noch im Prozess seiner interaktiven Anwendung begreifbar und darstellbar.
Der unmittelbare Nachvollzug der historischen Anwendung auf der originalen Hardware ist aber nur in den seltensten Fällen im musealen Rahmen realisierbar. Die Voraussetzungen dafür können nur in sehr kleinen Museen, wie zum Beispiel dem Computerspielemuseum, tatsächlich geschaffen werden. Hohe Besucherzahlen in Verbindung
mit der Empfindlichkeit der alten Geräte stehen dieser Idealsituation in den großen Museen im Weg.
Es bleibt also die eingangs gestellte Frage zu beantworten, ob ein Computermuseum
zwangsläufig ein ‚Club der stummen Kisten‛ bleiben muss. Handelt es sich bei ihnen,
um das Zitat von Boris Groys (1997, 9) aufzugreifen, tatsächlich um die „Friedhöfe“ der
Computer, welche die alten Geräte ‚post mortem‛ sammeln und ohne ihre „Lebensfunktion“ zur Schau stellen? Oder kann es gelingen die alten Geräte in ihrer letzten Ruhestätte zumindest für die Dauer eines Ausstellungsbesuchers wieder zum Leben zu erwecken? Auch die Antwort auf diese Frage kann nicht eindeutig ausfallen. Zum einen weil
gerade die ‚stumme‛ und ‚nackte‛ Präsentation der ‚alten Objekte‛ einen authentischen
Eindruck ihres vergangenen Lebens als funktionelles Objekt ermöglicht. Zum anderen
weil der Nachvollzug historischer Zusammenhänge am Objekt, im Sinne einer Wiederbelebung der ‚toten Materie‛, im musealen Bedeutungsraum ohnehin niemals vollständig
geschehen kann. Gerade die Isolation der Objekte in der fremden Umgebung der Ausstellungssituation ermöglicht einen neuen Zugang zu den Dingen. Die eigentliche Frage
lautet folglich nicht, wie sich die materiellen Überreste des Computers als Medium wieder beleben lassen, sondern ob die Materialität der Hardware überhaupt eindeutig auf
die Anwendung des Computers als Medium verweisen kann und viel mehr noch, wie
sich digitale Artefakte trotz ihrer prozessualen Immaterialität auch in Zukunft in einer
historischen Ausstellung präsentieren lassen.
+++
113
Abbildung 38: Eintrittskarte des HNF – Reise in die
Vergangenheit und Zukunft des Computers
114
7
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Abb. 2: Eames, Charles & Eames, Ray (1973). A Computer Perspective. By the Office
of Charles & Ray Eames. Cambridge, Mass.: MIT Press. (S. 35).
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Abb. 3: Eames, Charles & Eames, Ray (1973). A Computer Perspective. By the Office
of Charles & Ray Eames. Cambridge, Mass.: MIT Press. (S. 105).
Abb. 4: Petzold, Hartmut (2003). Informatik. In W. P. Felhammer (Hrsg.), Deutsches
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(S. 204-211). München, Berlin, London, New York: Prestel. (S. 207)
Abb. 5: Eames, Charles & Eames, Ray (1973). A Computer Perspective. By the Office
of Charles & Ray Eames. Cambridge, Mass.: MIT Press. (S. 10-11).
Abb. 6: Lubar, Steven (1986). Exhibit Reviews: The Computer Museum, Boston, Massachusetts. Technology and Culture, Vol. 27 Nr.1, S. 96-105. Chicago: University Press
Abb. 7: DER SPIEGEL (24/1990). Spaziergang im Rechner (S. 226).
Abb. 8: Abbate, Janet (1993). Exhibit Reviews: People and Computers at the Computer
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(S. 667).
Abb. 9: http://www.arts-et-metiers.net/images/image_p/548.jpg (8.06.2005).
Abb. 10: Swade, Doron (1991). Charles Babbage and his Calculating Engines. London:
Science Museum. (S. 22)
Abb. 11: Naumann, Friedrich (2001). Vom Abakus zum Internet. Die Geschichte der
Informatik. Darmstadt: Primus (S. 137).
Abb. 12: http://www.computerspielemuseum.de/images/nav/b_lupe1.gif (8.06.2005).
Abb. 13: http://www.computerspielemuseum.de/images/nav/b_lupe1.gif
(8.06.2005).w
Abb. 14: Foto, J. Müggenburg (Deutsches Museum, 31.03.2005).
Abb. 15: Speiser, Ambros P. (2004). Konrad Zuses Z4 und die ERMETH: Ein weltweiter Architektur-Vergleich. In H. D. Hellige (Hrsg.), Geschichten der Informatik. Visionen, Paradigmen, Leitmotive (S. 171-193). Berlin; Heidelberg: Springer (S.175).
Abb. 16: Foto, J. Müggenburg (Deutsches Museum, 31.03.2005).
Abb. 17: Wurster, Christian (2002). Der Computer. Eine illustrierte Geschichte. Köln:
Taschen (S. 46).
Abb. 18: Foto, J. Müggenburg (Hein Nixdorf MuseumsForum, 07.01.2005).
Abb. 19: Thürmer, Ludwig & Diehl, Gerhard (1996). Die Entstehung des Heinz Nixdorf MuseumsForum. Architektur und Design an der Schnittstelle von Mensch und
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Abb. 20: Bauer, Friedrich L. (2004a). Informatik. Führer durch die Ausstellung. München: Deutsches Museum (S. 172).
Abb. 21-24: Foto, J. Müggenburg (Hein Nixdorf MuseumsForum, 07.01.2005).
124
Abb. 25: http://www.brightsight.com/Arcade/Videotopia/default.asp (30.07.05)
Abb. 26-29: Foto, J. Müggenburg (Deutsches Museum, 31.03.2005).
Abb. 30-32: Foto, J. Müggenburg (Arithmeum, 2.02.2005).
Abb. 33: Thürmer, Ludwig & Diehl, Gerhard (1996). Die Entstehung des Heinz Nixdorf MuseumsForum. Architektur und Design an der Schnittstelle von Mensch und
Technik (S. 38). Berlin: Coordination Ausstellung.
Abb. 34-37: Foto, J. Müggenburg (Hein Nixdorf MuseumsForum, 07.01.2005).
Abb. 38: Eintrittskarte des Heinz Nixdorf Museumsforum (2005).
125
9
Anhang
9.1 Expertengespräch mit Dr. Hartmut Petzold (Deutsches Museum)
Gespräch mit:
Funktion:
Einrichtung:
Ausstellung:
Dr. Hartmut Petzold am 31.03.2005
Konservator (Informatik und Automatik)
Deutsches Museum, München
„Informatik“
JM: Herr Dr. Petzold, sie sind Konservator der Informatikausstellung des Deutschen Museums und
haben die Ausstellung seit ihrer Eröffnung im Jahr 1988 begleitet. Wie entstand damals die Idee, der
Informatik eine Ausstellung am Deutschen Museum zu widmen?
HP: Die Informatikausstellung im Deutschen Museum geht im Wesentlichen auf das
Bestreben von Professor Dr. Friedrich Bauer von der TU München zurück, ein Informatiker der ersten Stunde. Bauer spielte übrigens schon lange vor 1988 mit dem Gedanken eine Ausstellung zur Informatik am Museum einzurichten. Der wichtigste Impuls
war dabei wohl der zweite Weltkongress der IFIP125, der im Jahr 1962 in München stattfand. Friedrich Bauer hatte damals bereits an der Entwicklung der Programmiersprache
ALGOL126 entscheidend mitgewirkt und nachdem er 1962 nach München an die TU
berufen wurde, arbeitete er entschlossen an der Etablierung der Informatik in Deutschland. Man wollte damals die Informatik in den Rang einer wissenschaftlichen Disziplin
erheben und München spielte dabei weltweit eine bedeutende Rolle, nicht zuletzt durch
die Gründung des deutschlandweit ersten Studiengangs für Informatik an der TU im
Jahre 1967. Dieser Prozess war der entscheidende Antrieb für Bauer sich innerhalb des
Deutschen Museums für die Gründung einer Informatikausstellung einzusetzen. Doch
es dauerte bis zum Jahr 1988 bis die Ausstellung unter dem damaligen Titel „Informatik
und Automatik“ schließlich eröffnet wurde.
JM: Bei dem Besuch der Ausstellung fällt einem sofort die mathematische Ausrichtung der Ausstellungskonzeption auf. Wie kam es zu dieser exklusiven Perspektive auf den Computer als Rechner?
HP: Nun, es gab damals eine Phase der Selbstfindung und die mathematische Ausrichtung der Ausstellung war nicht unumstritten. Ein starker Impuls kam damals vom Leiter
des Deutschen Museums Otto Mayr, der unbedingt sein Fachgebiet „Regelungstechnik“
in die Ausstellung aufnehmen wollte. Das scheiterte letztlich daran, dass die entscheidenden Leute nicht mitgespielt haben. Letztendlich hat sich Bauers Linie durchgesetzt,
also die stringente Entwicklungslinie von der Mathematik zum Computer, bzw. zum
Computer als Rechner. Das ist der rote Faden den man in der Ausstellung verfolgen
kann und der sich in die verschiedenen Technologien verzweigt. Das hat natürlich viel
mit Bauers persönlichem Werdegang zu tun. Er ist Mathematiker gewesen und hat ganz
persönlich diesen Übergang von der Mathematik in die Informatik nicht nur miterlebt,
sondern sogar selbst vorangetrieben. Was übrigens immer bedeutet hat, dass er die Ingenieure aus der Elektrotechnik etwas nach hinten gedrängt hat. Man könnte nun an
dieser Linie kritisieren, dass andere Entwicklungslinien der Computertechnologie nicht
berücksichtigt wurden, aber ich halte diese Ausrichtung grundsätzlich für richtig. Ich
habe selbst historisch an der Entwicklungslinie vom Rechnen zum Computer gearbeitet
125
126
International Federation of Information Processing
Zur Entwicklung von ALGOL (Algorithmic Language) siehe: Bauer, Friedrich Die ALGOLVerschwörung (Bauer 2004b)
126
und würde diesen Ursprung des Computers in der Mathematik vor allem mit der Kontinuität der Personen belegen, die in der Geschichte des Computers eine bedeutende Rolle gespielt haben. Die kamen eben aus der Mathematik – und das gilt für Deutschland
ebenso wie für die USA und England.
JM: Die Ausstellung ist thematisch in die drei Aspekte „Analogprinzip“, „Digitalprinzip“ und „Automatik“ geteilt und zur Orientierung des Besuchers entsprechend farblich gestaltet. Wie entstand diese
inhaltliche Dreiteilung?
HP: Das ergibt sich einfach von den Objekten her, wenn man sie klassifiziert und einteilt. Wir haben hier ein ungeheures Spektrum an Objekten und an diesen drei Grundprinzipien lassen sich die Objekte gut erklären. Gerade das Analogprinzip wird ja auch
im Moment wieder aktuell.
JM: Das Deutsche Museum sieht seit jeher eine seiner zentralen Aufgaben in der Volksbildung und
hat den Anspruch die ausgestellte Technik auch zu erklären. Wie bewerten sie den Versuch in der
Informatikausstellung die komplexe Technik des Computers auszustellen?
HP: Über die Frage, was es heißt den Computer zu verstehen, haben wir hier viel nachgedacht. „Der Computer“ ist doch ein sehr umfassender Begriff. Heute verstehen die
Leute meistens ihren PC oder Laptop darunter. Deswegen haben gerade jüngere Leute
oft viele Schwierigkeiten mit diesen großen Kisten den Computer zu assoziieren. Was
das Verständnis des Computers angeht, so ist in der Ausstellung daher leider wenig gelungen. Es ist für viele sehr mühsam sich durch die vielen Texte und Erklärungen
durchzuarbeiten. Der Computer ist nun mal eine komplizierte Sache und das was gelingt, erreicht man fast ausschließlich in Führungen. Aber andererseits muss man auch
sagen, die Erwartung die viele haben, man könne einfach durch die Ausstellung schlendern und der Computer fliege einem zu, ist einfach zu hoch. Ich habe es oft selbst erlebt, man erklärt dem Besucher irgendeine Kleinigkeit und anschließend sagt dieser erfreut: „Jetzt habe ich den Computer verstanden!“. Da bin ich dann natürlich nicht der
Spielverderber und kläre ihn auf, wie komplex der Computer eigentlich ist und wie wenig er verstanden hat. Man kann sich in diesem Zusammenhang übrigens darüber streiten, wie viel das Verständnis von einfachen Rechenoperationen mit dem Verständnis
der Computertechnologie zu tun hat. Rechnen sie mal am Computer drei Zahlen zusammen ohne eine Software wie den Windows Taschenrechner zu gebrauchen. Natürlich wird da irgendwo im Computer gerechnet, aber bei Millionen von Rechenoperationen pro Sekunde steigt das Vorstellungsvermögen einfach aus. Aber trotzdem: die Besucher sehen diese alten Großrechner heute so gerne wie vor zwanzig Jahren, und wahrscheinlich werden sie das auch in zwanzig Jahren noch tun.
JM: Denken sie nicht, dass die Ausstellungsgestaltung angesichts der Konzentration auf den Computer
als Rechner die Perspektive auf die vielseitige Anwendungs- und Softwaregeschichte etwas vernachlässigt?
HP: Nun diese Kritik ist nicht neu. Man hat Bauer schon immer dahingehend kritisiert,
dass die Themen »Software« und »Programmierung« viel zu kurz kämen. Und das gerade, obwohl Bauer ja ein Vorreiter in der Softwareentwicklung war. Das Problem lag
aber schlicht und einfach darin, dass man nicht wusste wie man »Programmieren« ausstellen soll. Man muss außerdem sehen, dass 1988, als die Ausstellung eröffnet wurde,
vom Internet noch nicht die Rede war. Und der PC war erstens noch etwas ganz Besonderes und zweitens noch lange nicht das, was er heute darstellt. Was Bauer damals
deutlich machen wollte war die technische Entwicklung des Computers, welche vor
127
allem durch die Mikroelektronik vorangetrieben wurde, durch die Steigerung der Speicher- und der Prozessortechnologie. Wir arbeiten allerdings seit einer ganzen Reihe von
Jahren an der Frage, wie man die Software im Museum ausstellen kann.
JM: Sicherlich interessiert sich der Besucher neben den historischen Aspekten auch dafür, wie die Technologie funktioniert, der er im Alltag begegnet. Kann eine Ausstellung zur Computertechnologie dieses
Bedürfnis nach Aktualität überhaupt erfüllen?
HP: Diese Aufgabe besteht natürlich. Das Deutsche Museum hat eigentlich den Anspruch die aktuelle Technik aus der historischen herzuleiten und darüber verständlich zu
machen. Nur was ist aktuell? Gerade in der Computerbranche kommt ja alle Jahre etwas
Neues hinzu. Wir hatten im letzten Jahr eine große Diskussion, bei der es um die Aufgaben des Museums ging und da sagte jemand: „Eigentlich würde ich mir gerne das
Handy in der Informatikausstellung erklären lassen!“. Aber das ist nun wirklich zu überspitzt, das können wir einfach auch nicht leisten. Wir sind da nicht sehr beweglich. Unsere Ausstellungen sind normalerweise auf eine Dauer von zwanzig Jahren angelegt. Wir
haben über fünfzig Ausstellungen im Deutschen Museum und können uns nicht nur auf
den Computer konzentrieren wie spezielle Computermuseen es vielleicht können.
JM: Hat man jemals darüber nachgedacht auch aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen mit
dem Computer zu thematisieren?
HP: Auch das ist ein bekanntes und oft genanntes Problem dieser Ausstellung. Als ich
1988 am Deutschen Museum anfing und die Ausstellung gerade eröffnet wurde, überlegte man, ob nicht das Volkszählungs-Debakel, das ein paar Jahr zuvor stattgefunden
hatte, in die Ausstellung aufgenommen werden müsste. Bauer wollte das damals nicht,
auch wenn in den ersten Jahren der Ausstellung sicherlich der ein oder andere diese
Problematik vermisst hat. Wenn allerdings heute ein Besucher mit der Volkszählung
von 1987 konfrontiert würde, würde er sich wohl an den Kopf greifen angesichts dieses
Ereignisses aus der Steinzeit. Nein, ich denke, das Deutsche Museum muss sich auf seine Spezifika besinnen und nicht allem hinterherlaufen. Diese Spezifika sind vor allem
die Objektsammlung, wir haben hier die originale Hardware und wenn man diese sehen
will, davon Bilder oder Filmaufnahmen machen will, dann muss man ins Deutsche Museum gehen. Das ist nicht so selbstverständlich.
JM: Am Anfang jeder Ausstellung steht eine Sammlung solcher Objekte. Welche Sammlung stand am
Anfang der Informatikausstellung und wie kamen im Laufe der Jahre bedeutende Objekte hinzu?
HP: Ein großer Teil unserer Sammlung stammt noch aus den Gründerjahren des Deutschen Museums um die Jahrhundertwende. Die vielen mathematischen Instrumente wie
Rechenschieber und mechanische Rechenmaschinen wurden aus der alten MathematikAusstellung des Deutschen Museums übernommen, die man quasi in die Informatikausstellung integriert hat. Es war vor allem Friedrich Bauer, der bis zur Eröffnung der Ausstellung viele Objekte für das Museum akquirierte. So wurde die UNIVAC beispielsweise bereits in den sechziger Jahren dem Deutschen Museum von Bauer vermittelt. Nach
unserem Wissen ist es das einzige Exemplar, das es heute überhaupt noch gibt. Die
Größe der UNIVAC spricht ja schon dafür, dass man so ein Gerät wegwirft und in den
USA war das nun mal die Zeit, in der man solche Großrechner schnell verschrottet hat.
An Museen dachte da lange niemand. Man muss sagen, auch in diesem Fall war das
Deutsche Museum früh dran. Bemerkenswert ist auch das Engagement von Professor
Sauer, ein international renommierter Mathematiker der TU, der maßgeblich an der
Entwicklung der Rechenanlage PERM mitgewirkt hat. Die PERM war ein Projekt der
128
deutschen Forschungsgesellschaft und wurde 1955 für das Rechenzentrum der TU fertig gestellt. Man kannte damals die digitale Technologie in Deutschland noch nicht. Generationen von Wissenschaftlern und Studenten haben an der PERM den Umgang mit
der digitalen elektronischen Computertechnologie bis in die siebziger Jahre an der TU
gelernt. Anschließend kam die PERM ins Deutsche Museum und ist nun aufgrund ihrer
Geschichte eines der bedeutendsten Exponate der Ausstellung.
JM: Einen zentralen Platz in der Ausstellung nimmt auch die Z4 von Konrad Zuse ein. Wie fand
diese berühmte Maschine ihren Weg ins Deutsche Museum?
HP: Die Z4 kam schon sehr früh ins Museum, nämlich bereits im Jahre 1960. Die Maschine hatte zuvor fünf Jahre an der TU in Zürich gestanden und danach zwei Jahre in
Saarlouis. 1960 fragte Konrad Zuse per Brief am Deutschen Museum an, ob man Interesse an seiner Z4 hatte. Man hat dann, wie bei allen anstehenden Neuerwerbungen,
unter den Professoren abgestimmt und war einhelliger Meinung, man solle diese Maschine in die Sammlung aufnehmen. Das war damals nicht unbedingt selbstverständlich,
weil die Z4 doch eine etwas vorsintflutliche Angelegenheit darstellte. Es gab am Museum enge Verbindungen nach Zürich und man wusste daher, dass die Z4 historisch eine
bedeutende Rolle spielte. Die Maschine hängt auch irgendwie in der eigenen Vorgeschichte des Museums drin, da sie damals von München aus sehr stark vertreten wurde.
Aber trotzdem war es eine ungewöhnliche Entscheidung. Zuse war damals relativ unbekannt und wurde im Vergleich mit den Amerikanern auch in Deutschland eigentlich
kaum wahrgenommen.
JM: Denken sie, dass das Deutsche Museum mit der Aufnahme der Z4 in seine Sammlung auch zur
Wahrnehmung von Konrad Zuse als Erfinder des Computers beigetragen hat?
HP: Das hat in München damals sicherlich eine Rolle gespielt. Vor allem, weil Zuse
eben in den USA lange schlicht und einfach ignoriert wurde. Obwohl man ihn dort gut
kannte und eigentlich um seine Bedeutung in der Computergeschichte wusste. Aber es
waren eben die Amerikaner, die die Geschichtsschreibung des Computers in den sechziger bzw. siebziger Jahren begonnen haben. Es gab damals zahlreiche Patentprozesse,
bei denen es ganz wesentlich um Prioritäten ging, also um die Frage: „Wer war der erste?“. Da spielte Zuse eigentlich keine große Rolle und hatte erst später einen eigenen
Patentprozess. Er hatte seine Idee vom Computer zwar bereits in den dreißiger Jahren
angemeldet, wurde aber damals nicht gut beraten und hat diesen Weg nicht sehr konsequent verfolgt. Erst als es dann nach dem zweiten Weltkrieg aktuell wurde, haben sich
andere Firmen eingeschaltet und Zuse’s Patent wurde 1968 in letzter Instanz vom deutschen Patentgericht abgelehnt. Da hat man natürlich auch gefragt: „Wer war eigentlich
vor Konrad Zuse?“ und „Was sind seine Ansprüche wirklich wert?“. In diesem Zusammenhang ist eine Aufnahme in die Sammlung des Deutschen Museums natürlich
schon interessant. Die Feststellung „Das steht im Deutschen Museum“ ist in Deutschland nach wie vor eine bedeutende Aussage.
JM: Direkt neben der Z4 steht in der Ausstellung eine Rekonstruktion der Z3, welche ja als der
weltweit erste funktionsfähige programmgesteuerte Computer gilt. Obwohl es sich dabei „nur“ um einen
Nachbau der Maschine handelt, scheint diesem Exponat in der Ausstellung eine große Bedeutung beigemessen zu werden.
HP: Nun, das ist eine ganz besondere Geschichte. Diese Z3 wurde von Zuse selbst
nachgebaut und wir haben hier selbst viel darüber diskutiert, was dieses Ding eigentlich
ist. Bezüglich der original Z3, an der sich der Anspruch von Zuse festmacht, den ersten
129
Rechner zum Laufen gebracht zu haben, gibt es nur einen Tagebucheintrag vom Oktober 1941. Zuse hat an diesem Tag die Z3 in seiner Wohnung vor ein paar Wissenschaftlern vorgeführt. Die Maschine ist danach im Krieg zusammen mit dem Haus völlig zerstört worden. Im Zusammenhang mit dem IFIP-Kongress 1962 in München, wollte
Zuse demonstrieren, dass er gewisse Ansprüche auf Prioritäten in der Geschichte des
Computers hat. Die Z4 lief zu diesem Zeitpunkt nicht mehr und als sie ins Museum
kam, war sie ziemlich wüst zugerichtet. Zuse verkündete damals, er werde nun eine Maschine bauen, die all die Dinge zeigt, die er schon ganz früh entwickelt hat. Erstens die
Programmierung, das konsequente duale System, die Gleitpunktrechnung und natürlich
die Relaisschaltungen. Das hat er dann in Form dieser Rekonstruktion realisiert. Diese
Maschine ist also nicht für das Deutsche Museum gebaut worden, sondern schlicht und
einfach für Werbezwecke. Zuse hat sie hier und da vorgeführt. Sie kam dann 1968 im
Rahmen der neuen Ausstellung zur Nachrichtentechnik ins Deutsche Museum, weil sie
eben lief. Zuse wollte damals, dass die Maschine im Deutschen Museum steht und vorgeführt wird. Was sie aber nun wirklich darstellt, ist schwer zu sagen. In jedem Fall wurde die Z3 schon zigmal für Bücher und Prospekte fotografiert, wobei in den Bildunterschriften im Allgemeinen weggelassen wird, dass es sich nicht um das Original handelt.
JM: Zuse hat ja auch für die Ausstellung im Deutschen Technik Museum Berlin seine Z1 nachgebaut
und betreut. Wie bewerten sie dieses Bestreben von Konrad Zuse seine alten Rechner nachzubauen und
sie möglichst vielen Leuten zu präsentieren?
HP: Konrad Zuse war einfach die letzten 15 bis 20 Jahre seines Lebens bemüht, sich
selbst zu inszenieren und seinen Anspruch auf die Priorität des ersten Computers herauszustellen. Da haben andere auch mitgewirkt und ein jeder hat sich gefreut, wenn der
Zuse irgendwo auftrat. Zuse reiste von einem Vortrag zum nächsten, er wurde herumgereicht, ließ sich das aber auch nicht nehmen. Er bekam immer großen Beifall, auch
von den jungen Leuten. So war er eben!
JM: Neben den historischen Objekten und den Rekonstruktionen sieht man auch einige wenige interaktive Exponate in der Ausstellung. Welche Bedeutung haben solche Demonstrationsmodelle für die
Informatikausstellung?
HP: Eine relativ geringe Bedeutung. Wir haben einige Demonstrationsmodelle im Bereich der mathematischen Instrumente und der mechanischen Rechenmaschinen. Aber
was soll man demonstrieren, wenn es in die Bereiche der Mikroelektronik geht? Viele
wissen gar nicht was ein Algorithmus überhaupt ist. Da stößt das Museum dann an seine Grenzen. Man kann natürlich versuchen solche komplizierten Sachverhalte des
Computers zu trivialisieren und zu veranschaulichen, aber das ist nicht unsere Absicht.
JM: Das Deutsche Museum ist nach wie vor sehr populär und verzeichnet hohe Besucherzahlen. Welche Besucher entscheiden sich bei einem Besuch des Museums für die Informatik-Ausstellung und welche
Rolle spielt dabei das Vorwissen der Besucher bzw. das Motiv der Nostalgie?
HP: Natürlich kommen immer wieder Menschen, die noch selbst an den historischen
Großrechnern gearbeitet haben. Solche Besucher geben dann oft Insidergeschichten
zum Besten und man hört immer wieder neue Details. Anders verhält es sich bei einer
anderen großen Besuchergruppe, den Schulklassen. Wir haben vielfältige Programme
mit Schulen, zum Beispiel Schülerführungen und Fortbildungsprogramme. Leider bleibt
es da aber oft bei der 0815-Führung, mit der jeder sehr zufrieden ist. Die Schüler können mit den historischen Rechenanlagen nur wenig anfangen und es kommt oft das
Argument: „Das kennt ja keiner mehr, darum sollte man es auch nicht ausstellen!“ Die
130
Leute wollen das sehen, was sie kennen. Ich bin da aber anderer Meinung. Man sollte
gerade das ausstellen, was man woanders nicht mehr sehen kann! Man muss aber in der
Lage sein von heutigen Fragestellungen auf historische Dinge und Verfahren einen Zugang zu finden. Das wird deutlich, wenn man die analogen Instrumente in der Ausstellung betrachtet, die man früher benötigte um am Schreibtisch auf Papier zu konstruieren und zu zeichnen. Heute macht man das fast ausschließlich am Bildschirm. Vor zehn
Jahren war dieser Unterschied noch nicht so deutlich und ich habe oft die Frage gehört,
was diese mathematischen Instrumente eigentlich in der Ausstellung sollen, da sie nichts
mit dem Computer zu tun hätten. Heute höre ich solche Einwände nicht mehr und man
hält diesen Aspekt für höchst interessant.
JM: Es gibt heute neben dem Museumsbesuch viele andere Möglichkeiten für den Einzelnen, sich der
Computergeschichte zu nähern. Zum Beispiel existieren seit einiger Zeit virtuelle Computermuseen im
Internet, die gänzlich ohne reale Objekte auskommen. Sehen sie gerade in der Präsentation historischer
Objekte die einzigartige Leistung des Deutschen Museums?
HP: Ich sehe das so: Wir haben eine Sammlung von Objekten und wir sollten möglichst
viele davon zeigen. Es gab in den letzten Jahren eine Debatte über das Für und Wider
von Objekten, die ich allerdings für absurd halte. Wenn man sich auf die Rolle des
Deutschen Museums besinnt, sollte man auf die Objekte kommen. Das öffentliche Interesse ist ja da. Die Leute kommen und zahlen in die Kasse, obwohl sie sich die Objekte
auch zu Hause im Internet ansehen könnten. Für mich ist eine Ausstellung ein Medium,
man kann ins Museum gehen oder man kann den Fernseher anmachen. Von den anderen Medien unterscheidet sich die Ausstellung darin, dass wir die Objekte materiell ausstellen. Es ist dabei wichtig, dass man die Objekte so ausstellt, dass jeder Besucher die
Freiheit hat seine individuellen Assoziationen mit dem Objekt zur Geltung zu bringen.
Eine weitere Sache, die ganz entscheidend ist, ist das Wissen über diese Objekte. Diese
historischen Objekte hier zu sammeln ist eine Sache, die andere ist zu wissen was es
überhaupt ist! Jedes Objekt ist absolut konkret und ist in einem ganz bestimmten Zusammenhang entstanden. Selbst bei serien- und massenproduzierten Geräten gibt es
Varianten oder genau das eine Exemplar, mit dem eine bestimmte Person verbunden ist.
Solche Sachen muss man einfach wissen und deshalb denke ich, dass das konservatorische Know-how entscheidend ist. Wenn heute Journalisten zu uns kommen, glauben sie
meist alles was man ihnen erzählt, da sie selbst nicht die Möglichkeit haben einen bestimmten Sachverhalt nachzuprüfen. Ich denke manchmal bei meinen Erklärungen,
wenn ich jetzt die grünen Männchen einführe, dann merkt das hier keiner.
JM: Verstehen sie sich also in ihrer Funktion als Konservator der Informatik-Ausstellung auch als
Akteur innerhalb der Geschichtsschreibung des Computers?
HP: Ich bin an der Historisierung des Computers aktiv beteiligt und habe schon den
Anspruch, dass das, was da verkündet wird, auch dem Stand der Forschung entspricht.
Außerdem verstehen wir uns als ein wissenschaftliches Museum und unterscheiden uns
darin nach wie vor von anderen Technikmuseen. Wir haben ein eigenes Forschungsinstitut und obwohl heute viele Leute das alte Zeug, das bei uns steht, für bloße Dekoration halten, so wie die Lichter auf dem Christbaum, liegt genau da unsere bleibende Aufgabe. Objekte sind das, was uns auszeichnet. Außerdem haben wir Kontakte mit den
anderen großen Technikmuseen in London, Washington und Paris und es stellt für uns
kein Problem dar, mit den prominentesten Institutionen und Personen in Kontakt zu
treten. Diesen internationalen Ruf hat das Deutsche Museum noch heute.
JM: Herr Dr. Petzold, ich danke Ihnen für das Gespräch!
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9.2 Expertengespräch mit Hadwig Dorsch (Deutsches Technikmuseum)
Gespräch mit:
Funktion:
Einrichtung:
Ausstellung:
Hadwig Dorsch am 09.05.2005
Kuratorin (Rechen- und Automationstechnik)
Deutsches Technikmuseum, Berlin
„Zuse – Die ersten Computer der Welt“
JM: Frau Dorsch, das Deutsche Technik Museum Berlin ist in seiner heutigen Form im Jahr 1983
eröffnet worden. Schon kurz nach der Eröffnung gab es eine erste Ausstellung zur Geschichte des Computers. Wie war diese Ausstellung aufgebaut?
HD: Seit 1983 leite ich am Deutschen Technikmuseum die Abteilung Rechen- und Automationstechnik. Bei unserer ersten Computer-Ausstellung „Vom Zählstein zum Computer“, die 1984 eröffnet wurde, handelte es sich noch um die klassische Konzeption mit
chronologischem Aufbau. Die Ausstellungsgestaltung folgte der Entwicklungsgeschichte des Computers vom Zählstein über die Lochkartensysteme, bis hin zu den ersten
Computern von Konrad Zuse. Kurze Zeit danach wurde dann hier der Nachbau der Z1
von Konrad Zuse eingeweiht, die er selbst für unser Museum rekonstruiert hat und in
die Ausstellung aufgenommen wurde. Später hatten wir dann eine zweite Ausstellung
zur Computergeschichte mit dem Titel „Die Geschichte des Rechnens“. Das Konzept
dieser Ausstellung war schon weitaus tiefgehender als bei der ersten Ausstellung. Es
ging um die Tatsache, dass Rechnen heute allgegenwärtig ist und von den Menschen
verinnerlicht ist. Die zentralen Fragen der Ausstellung waren „Wo liegen die Anfänge
des Rechnens?“, „Wie entstand die moderne Mathematik?“ und „Wann begann der
Mensch das Rechnen (bzw. das Denken) auszulagern und technisch zu automatisieren?“. An einem Exponat haben wir zum Beispiel gezeigt, inwieweit sich menschliche
Sinneswahrnehmungen digitalisieren lassen. Wir bekamen dann eine neue Museumsleitung, die die inhaltlichen Prioritäten des Technikmuseum anders auslegte und die Ausstellung abbauen ließ. Obwohl die Leitung seitdem wieder gewechselt hat, macht uns
dieser Abbau der ständigen Ausstellung immer noch schwer zu schaffen. Wir haben
heute weniger Geld zur Verfügung als damals, arbeiten aber daran die Ausstellung wieder aufzubauen.
JM: Zurzeit zeigen sie die Ausstellung „Konrad Zuse – Die ersten Computer der Welt“. Wie kam es
dazu, dem Lebenswerk von Zuse eine eigene Ausstellung zu widmen?
HD: Nun, seitdem ich hier am Museum bin, beschäftige ich mich mit Konrad Zuse
und habe ihn auch noch persönlich kennen gelernt. Die enge Verbindung zwischen Zuse und dem Deutschen Technikmuseum lässt sich einfach erklären: Konrad Zuse ist in
Berlin geboren und seine erste große Erfindung, die Z1, hat er hier im Hause seiner
Eltern entwickelt und gebaut, nur ein paar Straßen vom heutigen Technikmuseum entfernt. Wenn man also in Berlin eine Computerausstellung macht, kommt man an Zuse
nicht vorbei. Die Ausstellung wurde dann auch relativ kontinuierlich bis zu ihrer Eröffnung im letzten Jahr zusammengestellt. Zentrales Exponat der Ausstellung ist der bereits erwähnte Nachbau der Z1, die Konrad Zuse 1986 hier rekonstruiert hat.
JM: Wie bewerten Sie die Tatsache, dass Konrad Zuse gegen Ende seines Lebens bemüht war seine
frühen Rechenmaschinen nachzubauen? Würden sie sagen, dass Zuse auch bewusst an seiner öffentlichen Wahrnehmung als Computerpionier gearbeitet hat?
HD: Zunächst einmal hat Konrad Zuse nach der Pleite seiner Firma viel Zeit gehabt.
Hinzu kommt, dass Zuse ein vielseitig engagierter Mensch war. Obwohl die originale Z1
132
ja in den Kriegsjahren zerstört worden war, hatte Zuse den mechanischen Aufbau seiner
ersten Erfindung Zeit seines Lebens im Kopf. Sein größter Wunsch war es, die Z1 hier
im Museum nachzubauen und zu zeigen, dass sie funktioniert. Leider hat auch der
Nachbau hier im Museum nie fehlerfrei funktioniert. Zuse ist bis zum seinem Tod oft
nach Berlin gekommen und hat solange an der Maschine gebastelt, bis sie wieder lief.
Allein am Programm und durch das Betätigen der Kurbel konnte Zuse sagen, in welchem Block, bei welchem Stift der Fehler lag. Zuse war aus meiner Sicht in erster Linie
Philosoph und Mechaniker mit einem außergewöhnlichen dreidimensionalen Vorstellungsvermögen. Er konnte sich den Aufbau der Z1 räumlich vorstellen und hat die Maschine mit allen Sinnen erfasst. Als Erfinder des Computers ist Zuse mittlerweile weitestgehend anerkannt, vor allem wenn man die Definition von John von Neumann als
Maßstab nimmt. Zuses Maschinen hatten diese Rechnerarchitektur, bestehend aus Steuerung, binärem Rechenwerk, Speicher sowie Ein- und Ausgabe. Außerdem waren sie im
Gegensatz zu den meisten der frühen amerikanischen Rechner frei programmierbar.
Trotzdem sehe ich diese Debatte eher locker. Entscheidend ist, dass Zuse ein großer
Philosoph und Träumer war. Sein Buch „Der rechnende Raum“ war für 1940 visionär
und nimmt Ideen vorweg, die heute fünfzig Jahre später, hochaktuell sind. Dafür war
Zuse ein schlechter Kaufmann und hatte nicht das wirtschaftliche Kalkül eines Steve
Jobs oder Bill Gates.
JM: Es fällt auf, dass sich die Ausstellung bemüht einen breiten Zugang zu dem Lebenswerk von Zuse
zu bieten. Zuse wird als Erfinder, Unternehmer, Philosoph und sogar als Maler thematisiert.
HD: Das ist richtig. Die Ausstellung versucht mehrere Zugänge zu schaffen, um alle
Besucher zu erreichen. Die Männer interessieren sich meist für die technische Seite und
beschäftigen sich gerne mit Demonstrationsmodellen. Den Rest der Familien, muss
man aber auch interessieren. Eine rein technische Aneinanderreihung empfinden die
meisten Frauen zum Beispiel als eher langweilig. Die Ausstellung bemüht sich daher um
eine breite Herangehensweise an den Menschen Zuse. Die Besucher interessiert es, wer
der Mensch hinter den Erfindungen war. Vor allem die Frage „Wer wird ein Erfinder?“
finde ich dabei entscheidend. Was sind das für Menschen, die auf viele andere Sachen
verzichten, nur weil sie eine bestimmte Idee im Kopf haben, die sie durchsetzen wollen?
Der Zugang über den Menschen Zuse zeigt zudem, dass Mathematik, räumliches Vorstellungsvermögen, Philosophie und Kunst etwas miteinander zu tun haben. Die Analogie mit Zuses Bildern finde ich allerdings noch nicht sehr gelungen und ich will das in
Zukunft noch stärker herausarbeiten. Seine Bilder haben ähnliche Strukturen wie die
Anordnung der mechanischen Schaltungen in der Z1 und wenn man sich heute einen
Mikrochip anschaut, ist das im Prinzip nur eine Miniaturisierung des Ganzen.
JM: Eine traditionelle Aufgabe der Technikmuseen ist es, naturwissenschaftliches Wissen zu vermitteln
und die ausgestellten Objekte auch zu erklären. Ist dieses Ziel angesichts der hohen Komplexität der
Mikrochiptechnologie im Rahmen einer Computerausstellung überhaupt zu erreichen?
HD: Natürlich haben auch wir den Anspruch die Technik zu erklären. Ich sehe die
Aufgabe eines Museums allerdings nicht darin, der verlängerte Arm der Schulen zu sein.
Eine strenge Lehrbuchdidaktik im Museum lehne ich ab. Ich denke ein Museumsbesuch
sollte vor allem Spaß machen. Ein objektives Verständnis des Computers lässt sich zudem kaum erreichen. Ich kann allerdings als Ausstellungsmacher die komplexe Welt des
Computers wie ein Mosaik auseinander nehmen und in der Ausstellung erarbeiten. Jeder
Mensch hat eine eigene subjektive Wahrnehmung des Computers und setzt sein Verständnis der Computertechnologie selbst zusammen. Zu diesem subjektiven Bild kann
man durch die Gestaltung einer Ausstellung etwas beitragen. Man muss dazu Fragestel-
133
lungen finden, die für die Menschen heute und in der nächsten Zukunft noch relevant
sind. Man kann dem Besucher zum Beispiel vermitteln, dass es alles andere als selbstverständlich ist, dass Rechnen heute allgegenwärtig und von den Menschen verinnerlicht
ist. Vor 350 Jahren haben die Menschen das noch nicht gekonnt, es fehlte das Werkzeug
und das Zahlensystem. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der in einer ComputerAusstellung zum Tragen kommen muss.
JM: In einer Vitrine in der Ausstellung ist die erste Ausgabe des Plankalküls zu sehen. Wie schwierig
ist es, Programmiersprachen oder im weitesten Sinne Software in eine Computerausstellung zu integrieren?
HD: Natürlich war es für uns ein ‚Muss‛ ein Original von Konrad Zuses „Plankalkül“ in
der Ausstellung zu zeigen. Wenn man sieht, dass er bereits 1945 eine höhere Programmiersprache entwickelt hatte, ist das einfach bemerkenswert und sollte in der Ausstellung zur Sprache kommen. Darüber hängt eine Schautafel mit der Geschichte der Programmiersprachen, die sein Sohn, Horst Zuse, für uns angefertigt hat. Natürlich haben
sie Recht, Software in der Ausstellung zu berücksichtigen ist eine schwierige Angelegenheit. Am besten gelingt die Vermittlung solch abstrakter Zusammenhänge meiner Meinung nach über Führungen.
JM: Ein anderes Problem betrifft die Anwendungsgeschichte der Computer, die ebenfalls nur schwer in
einer Ausstellung zu vermitteln ist. Im hinteren Teil der Ausstellung kann man ein Interview mit ehemaligen Mitarbeitern der Zuse KG sehen.
HD: Ich halte es für sehr wichtig, dass man Erfahrungsberichte von den Menschen
hört, die noch selbst an den Maschinen gearbeitet haben. Ansonsten hat man nur eine
Ausstellung der Erfinder und Unternehmer. Außerdem ist es für den Ausstellungsbesucher höchst interessant zu erfahren, wie das Arbeiten an den historischen Computern
war! Es kommen auch häufig Menschen in die Ausstellung, die früher an den Maschinen gearbeitet haben und sich freuen diese noch einmal sehen zu können. Auf diese
Weise hört man viele Anekdoten zu den Exponaten, zum Beispiel wie manche versucht
haben mit den ersten Druckern der Z23 Comic-Figuren oder Pin-up-Girls zu zeichnen.
JM: Wie bereits erwähnt, arbeiten sie zurzeit an einem Wiederaufbau der ständigen Ausstellung. Wie
wird diese Ausstellung aussehen?
HD: Momentan bereite ich eine Mathematik-Ausstellung vor, in die der Computer als
mathematisches Denkwerkzeug integriert werden soll. Das wäre ein grundlegend anderer Ansatz, als in den vergangenen Ausstellungen. Der Computer ist heute nicht mehr
so etwas Besonderes, wie es vielleicht noch Anfang der achtziger Jahre der Fall war. Die
Geschichte des Computers lässt sich heute nicht mehr als bloße Geschichte der Rechentechnik darstellen, sondern hat etwas mit der Geschichte des menschlichen Denkens zu
tun und damit, wie das menschliche Denken auf Maschinen übertragen wurde und sich
gleichzeitig vom Menschen entfremdet hat. Eine Ausstellung über die Geschichte des
PCs zum Beispiel ist aus heutiger Sicht letztendlich keine Computerausstellung mehr.
Man könnte in solch einer Ausstellung entweder 20 PCs aneinanderreihen, die jeweiligen Daten dazuschreiben und auf diese Weise zeigen, wie sich Speicherkapazität und
Taktung entwickelt haben. Diese Art von Depot-Ausstellung ist jedoch für die meisten
Menschen uninteressant. Man könnte alternativ die optisch besonders attraktiven PCs
auswählen, nur hat man dann keine Computerausstellung mehr, sondern eine DesignAusstellung. Nein, ich denke der Computer muss integriert werden in eine gesamt-
134
mediale Entwicklung des menschlichen Denkens, in der verschiedene Maschinen benötigt werden und unter anderem eben auch der Computer.
JM: Eine Ausstellung zum Thema Mathematik ist eine ziemlich abstrakte Angelegenheit. Welche
Rolle spielt bei einem solchen Thema noch die Materialität der Ausstellungsobjekte?
HD: Ich glaube nicht, dass man ohne Exponate auskommen kann. Auch in einer Mathematik-Ausstellung ist man auf Exponate angewiesen. Auch die geisteswissenschaftlichen Sachverhalte müssen veranschaulicht werden und man muss ihnen irgendwie folgen können. Exponate machen eine Ausstellung aus und sind letztlich der Grund, warum der Besucher zu uns ins Museum kommt. Sie müssen Objekte in den Mittelpunkt
der Ausstellung stellen, die Fragen aufwerfen, welche die Leute auch wirklich angehen.
Man kann es natürlich so machen wie in der Zuse-Ausstellung und mit Texttafeln den
Exponaten Fragen beifügen, zum Beispiel „Was machte Zuse zum Künstler?“ oder
„Was macht einen Menschen zum Erfinder?“. Wenn sie es aber schaffen, die Frage
nicht hinzuschreiben, sondern ein Exponat auszustellen, das diese Frage impliziert, dann
ist das noch besser.
JM: Wie wichtig ist dabei für den Besucher die Frage, ob er vor einem originalen Exponat oder einem
Nachbau steht?
HD: Nun, es kommt auf den Schwerpunkt ihrer Ausstellung an. Nicht immer muss ein
Exponat auch ein Original sein. Wenn sie eine Ausstellung über das Denken und Wirken von Leonardo Da Vinci im 15. Jahrhundert machen wollen, wie es sie zurzeit in
Florenz gibt, und sie haben kein Exponat, dann ist eine Ausstellung nur mit Nachbauten
natürlich trotzdem spannend. Wenn sie aber eine Ausstellung über Konrad Zuse machen und sie haben Exponate, dann müssen die auch in die Ausstellung.
JM: Verstehen sie sich neben ihrer Aufgabe als Ausstellungsgestalterin auch als Sammlerin und Konservatorin?
HD: Natürlich sammeln wir noch, allerdings nicht in die Breite. Ich sammle Objekte,
von denen ich das Gefühl habe, dass sie in Zukunft historisch von Bedeutung sein werden. Automations- und Rechentechnik ist dabei ein weites Feld. Immer wenn der
Mensch versucht geistige oder körperliche Tätigkeit auszulagern, dann ist das eine Automation. Ich beschränke mich also nicht nur auf das Sammeln und Konservieren von
Computern.
JM: Frau Dorsch, ich danke Ihnen für das Gespräch!
9.3 Expertengespräch mit Michael Mikolajczak (HNF)
Gespräch mit:
Funktion:
Einrichtung:
Träger:
Michael Mikolajczak am 24.05.2005
Kurator (PCs, Mediengeschichte)
Heinz Nixdorf Museumsforum (HNF)
Stiftung Westfalen
JM: Herr Mikolajczak, ähnlich wie andere Computermuseen hat das Hein Nixdorf Museumsforum
eine Geschichte als Firmenmuseum. Welchen Anteil hatte der Gründer und Leiter des Unternehmens
Heinz Nixdorf tatsächlich an der Museumsgründung?
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MM: Der These, dass es sich beim HNF um ein Firmenmuseum handelt, kann ich nicht
so einfach zustimmen. Der Unternehmer Heinz Nixdorf hatte zunächst eine Sammlung
von Rechen- und Schreibmaschinen erworben und wollte diese Sammlung weiterführen
und ausbauen. Natürlich kam er irgendwann auch auf die Idee der Sammlung seine eigenen Produkte beizufügen und so entstand der Gedanke ein Nixdorf-Firmenmuseum
zu gründen. Aber 1986 ist Heinz Nixdorf dann leider gestorben und die ganze Idee ist
in einer Schublade verschwunden. Erst später griff dann die von ihm gegründete Stiftung
Westfalen den Gedanken zu einem Museum wieder auf. Man hat sich damals aber sofort
gegen ein reines Firmenmuseum entschieden und das HNF als ein von der Stiftung getragenes und unabhängiges Museum konzipiert. Aufgrund seiner Geschichte, hat man
das Museumsforum allerdings nach Nixdorf benannt und sich gegen andere Vorschläge
wie „Forum für Informationstechnologie“ entschieden. Heute ist der Name für manche
Besucher ein wenig verwirrend, weil die Assoziation eines Firmenmuseums natürlich
nahe liegt. Grundsätzlich sind wir aber ein unabhängiges Museum, das keiner Firma
angegliedert ist.
JM: Trotzdem erinnern Ausstellungsbereiche wie „Nixdorf – Wegbereiter der dezentralen Datenverarbeitung“ und die Aufnahme von Nixdorf in die „Galerie der Pioniere“ im 1. OG. an die Geschichte
des Museums und den „Gründervater“.
MM: Selbstverständlich darf Heinz Nixdorf in unserem Museum nicht fehlen. Die Geschichte von Nixdorf ist eine typisch deutsche Geschichte der 50er und 60er Jahre. Wir
haben im 2. Obergeschoss seinen Werdegang und seine Produkte detailliert ausgestellt.
Nicht nur weil er der Namensgeber des Museums ist, sondern weil er tatsächlich einer
der führenden Unternehmer der Computerbranche war und die deutsche Wirtschaftsgeschichte mitgeprägt hat. Daher gehört Nixdorf als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Computergeschichte auch in unsere „Galerie der Pioniere“.
JM: Der Vergleich mit anderen Firmen lässt natürlich sofort an die Zuse KG denken. Zuse hat relativ
früh begonnen sich mit seiner öffentlichen Wahrnehmung als Computerpionier zu beschäftigen und dafür
gesorgt, dass Nachbauten seiner Erfindungen in den deutschen Technikmuseen ausgestellt werden. Ist
das ein Bestreben, das auch für Nixdorf zutrifft?
MM: Nein, Heinz Nixdorf hat seine eigene Person immer zurückgenommen. Es gibt
nur sehr wenige Interviews mit Heinz Nixdorf und kaum Fotos von ihm. Es ging ihm in
erster Linie darum, ein Unternehmen zu gründen und für die Menschen verantwortlich
zu sein, die dort beschäftigt sind. Nixdorf sah seine Hauptaufgabe und Verantwortung
darin, als Unternehmer die Gesellschaft mitzugestalten. Im Gegensatz zu Konrad Zuse,
der ja ein reiner Erfinder war, war Nixdorf vor allem Unternehmer.
JM: Die Sammlung von Nixdorf war also eine erste Grundlage für das Museum. Wie entwickelte sich
diese Sammlung weiter und nach welchen Kriterien wurde sie weitergeführt?
MM: Nun, erst einmal haben sich die für den Aufbau der Ausstellung verantwortlichen
Mitarbeiter zusammengesetzt und die Fragen diskutiert: „Was wollen wir ausstellen?
Wie weit lässt sich die Geschichte des Computers zurückverfolgen? Welche Exponate
wollen wir unbedingt zeigen?“. Wir kamen dann auf die Idee uns an den roten Faden
„5000 Jahre Informationsgeschichte“ zu halten. Das ist eine spannende Geschichte, die
man schlüssig darstellen kann. Wir haben die einzelnen Themen besprochen, untereinander aufgeteilt und dann mit der Recherche begonnen. Wir haben uns im Internet informiert, Auktionshäuser durchstöbert und Firmen der Computerbranche angesprochen. Aber wir haben auch die Pioniere der Computergeschichte selbst angerufen und
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mit ihnen gesprochen. Wir sind weltweit umhergereist und haben verschiedene Sammler
aufgesucht, das Projekt vorgestellt und die verschiedensten Objekte erworben. Schließlich kamen auch Menschen unaufgefordert zu uns und haben uns ihre alten Taschenrechner, Rechenmaschinen oder Computer angeboten. Auch Universitäten und Fachhochschulen haben uns ihre alten Rechenanlagen oder Workstations angeboten, wenn
zum Beispiel gerade eine Modernisierung des Rechenzentrums anstand. Man muss bei
solchen Sachen natürlich umsichtig vorgehen und kann nicht einfach alles annehmen.
Sammeln ist nicht immer ganz einfach, sondern eine große Aufgabe, die mit viel Arbeit
verbunden ist. Die Objekte müssen sortiert, klassifiziert und gepflegt werde. Entscheidend ist immer die Frage, ob die Objekte für die Ausstellung interessant sind oder es in
Zukunft sein könnten.
JM: Eines der wichtigsten Exponate in der Dramaturgie der Ausstellung ist sicherlich die Rauminstallation der ENIAC, welche die Geburt des modernen Computers darstellt und die Ausstellung in die
Zeit vor und nach der Erfindung des Computers unterteilt. Wie kam es zu dem Erwerb der originalen
Teile und ihrer räumlichen Inszenierung?
MM: Die originalen Teile der ENIAC sind eine Leihgabe des National Museum of American History in Washington, die auf einen persönlichen Kontakt meines damaligen Kollegen Ulf Hashagen zurückgeht. Er ist vor Ort in Washington gewesen und hat sich damals dafür eingesetzt, dass es möglich ist einige Teile der ENIAC hier zu zeigen. Mit
den Architekten und Ausstellungsdesignern wurde dann überlegt, wie man die Elemente
inszenieren kann. Man kam schließlich auf die Idee die Objekte nicht einfach in einer
Vitrine zu zeigen, sondern auch die Ausmaße der Rechenanlage zu verdeutlichen. Diese
Inszenierung der ENIAC ist ein wichtiges Exponat für das HNF, aber ich möchte auch
andere Objekte hervorheben. Beispielsweise den Nachbau der Hollerith-Maschine, bei
der es sich zwar nicht um ein Original handelt, die aber mit dem Beginn der Lochkartentechnologie ein zentrales Thema präsentiert. Den Apple I halte ich für ein weiteres,
sehr wichtiges Exponat. Erstens, weil er sehr selten ist und sich jedes Museum freuen
würde ihn zeigen zu können und zweitens, weil der Apple I eine spannende Geschichte
hat und die Entwicklung des Personalcomputers entscheidend geprägt hat.
JM: Wie würden sie in wenigen Worten die Grundkonzeption des HNF formulieren? Welche Aufgaben sieht das Museum für sich selbst?
MM: Natürlich haben wir erst einmal die traditionellen Aufgaben eines Museums historische Objekte zu sammeln und auch zu bewahren! Darüber hinaus wollen wir aber
auch die Geschichte der Informationstechnik von den historischen Anfängen bis in die
heutige Zeit zeigen. Wir wollen unseren Besuchern verdeutlichen, dass Technik den
Menschen schon immer umgeben und die Gesellschaft entscheidend geprägt hat! Der
Besucher soll sich im HNF informieren, aber auch sich selbst in den Exponaten wieder
finden. Wir haben wichtige Erfinder der Computergeschichte in ihrem historischen
Kontext in der „Galerie der Pioniere“ hervorgehoben, um zu zeigen, ob und in welcher
Form sich ihre jeweiligen Erfindungen heute im Alltag wieder finden. So kann der Besucher verfolgen, wie die Entwicklungsgeschichte verlaufen ist und welche Ideen vielleicht nicht weitergekommen sind. Auf diese Weise nehmen wir den Menschen in der
Geschichte der Informationstechnik immer wieder mit.
JM: Im Unterschied zu den nationalen Technikmuseen wird im HNF nicht der Versuch gemacht die
komplexe Technologie des modernen Computers zu erklären. Ist das vielleicht auch eine Art Kapitulation vor der hohen Komplexität der Computertechnologie und ihrer genuinen Unverständlichkeit für den
normalen Besucher?
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MM: Nein, ganz im Gegenteil. Ich sehe darin keine Niederlage, sondern würde es anders herum formulieren und feststellen, dass der Mensch bei uns immer im Vordergrund steht und nicht die Technik. Der Mensch hat ja diese komplexe Technologie erfunden und in die Geschichte des Computers eingebracht. Es ist heute nicht mehr notwendig jedes technische Detail der Computertechnologie zu erklären, weil der Computer einfach mittlerweile ein selbstverständliches Kulturgut geworden ist. Man muss nicht
die technischen Einzelheiten kennen, um damit umzugehen. Natürlich wollen wir das
wesentliche Funktionsprinzip der jeweiligen Erfindung zeigen und die Frage stellen,
warum der Erfinder das so und nicht anders gemacht hat. So erklären wir dem Besucher
zum Beispiel das Funktionsprinzip der Staffelwalze bei den mechanischen Rechenmaschinen. Wenn eine ganz entscheidende technische Neuerung hinzugekommen ist, dann
sollte man diese ansprechen und versuchen sie zu erklären. Sie aber bis ins kleinste Detail zu erläutern und dadurch sehr viel Raum in Anspruch zu nehmen, das halte ich nicht
für richtig. Erstens wäre eine solche Ausstellung sehr ermüdend für den Besucher und
zweitens würde man sich dann nur noch auf die technische Seite des Exponats konzentrieren. Die soziale Geschichte der Menschen, die diese Maschinen erfunden oder mit
ihnen gearbeitet haben, würde einfach wegfallen.
JM: Die Transformation des Computers vom Rechner zum Kommunikations- und Bildmedium in den
letzten 20 Jahren macht den Computer zu einem problematischen Ausstellungsobjekt. Die Funktionalität und Anwendung des Computers lässt sich kaum vermitteln, wenn man das Exponat einfach in
einer Vitrine ausstellt. Wie versuchen sie mit dieser Problematik umzugehen?
MM: Nun, wir sind ja 1996 bei der Eröffnung des HNF von einem bekannten Journalisten127 als „Club der stummen Kisten“ bezeichnet worden. Natürlich gibt es diese
Problematik. Der Computer steht bei Jedermann auf dem Tisch und wird vielfältig genutzt. Wir hingegen nehmen ihn aus diesem Kontext heraus, befreien ihn von jeglichen
Gebrauchsspuren und stellen ihn als totes Exponat aus. Wir versuchen dieses Problem
der „stummen Kisten“ zu umgehen, indem der Besucher die Anwendungen, die früher
auf dem historischen Computer liefen, selbst ausprobieren kann. Wir ermöglichen dies
mit Hilfe von Emulationen, die auf einem separaten Bildschirm vor dem Exponat laufen. Natürlich wäre es für den Besucher noch reizvoller, wenn er die Software auf der
originalen Hardware erleben könnte. Wir haben aber das Problem, dass wir die historischen Objekte nicht lauffähig und vom Besucher anwendbar ausstellen können, weil die
Exponate bei der hohen Besucherzahl des HNF schnell Schaden nehmen würden. Eine
Reparatur wäre in vielen Fällen nicht möglich, weil entweder das nötige Know-how oder
die Ersatzteile fehlen. Der Konflikt in dem wir stecken, ist folgender: Lassen wir die
originalen Computer laufen und riskieren Beschädigungen, ermöglichen aber dem Besucher einen originalgetreuen Umgang mit den Ausstellungsobjekten? Oder ist es nicht
wichtiger das Exponat langfristig zu bewahren, auch wenn man es dann als „stummes
Objekt“ ausstellen muss? Das ist für uns immer ein innerer Kampf. Wir haben mit den
Emulationen einen Zwischenweg gewählt. Leider kann man auf diesem Weg den Charakter der Anwendung nicht ganz authentisch wiedergeben. Man kann zusätzlich noch
Filme laufen lassen oder Umgebungen inszenieren, die ein bisschen an die Zeit von
damals erinnern. Ob man die Atmosphäre der jeweiligen Ära jedoch auf diese Art einfangen kann, muss letztlich der Besucher entscheiden.
127
Detlev Borchers in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 3.2.1998 (Borchers, 1998).
138
JM: Könnte eine Computerausstellung, die mit Emulationen und digitalen Exponaten arbeitet, nicht
im Prinzip gänzlich ohne Objekte auskommen? Welche Bedeutung hat die Materialität des Ausstellungsobjektes überhaupt noch für eine Computerausstellung?
MM: Wenn ein Computermuseum nur mit Software-Emulationen und Animationen
arbeiten und das Virtuelle in den Vordergrund stellen würde, dann wäre die eigentliche
Idee des Museums tot. Wenn man ein materielles Exponat hat, das der Besucher anschauen und vielleicht sogar anfassen kann, sollte man es auch zeigen, denn es gibt dem
Besucher Anreize für vielschichtige Gedanken und Assoziationen. Hinzu kommt, dass
es zu jedem Exponat nicht nur eine einzige Geschichte gibt, sondern unendlich viele.
Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht so falsch, auch mal einen Rechner als „stilles“
Exponat zu zeigen und die Filme in den Köpfen der Besucher ablaufen zu lassen. Andere Exponate müssen inhaltlich unterstützt werden, zum Beispiel in der Form einer Inszenierung. Bei der Taschenrechnerwand hier im HNF haben wir versucht beide Seiten
zu verbinden. Durch die hohe Anzahl von Exponaten wird die massenhafte Verbreitung
des Produktes „Taschenrechner“ ausgedrückt. Andererseits kann hier jeder das Gerät
heraussuchen, mit dem er eine besondere Erinnerung verknüpf und mit dem er in seiner
Jugend im Mathematikunterricht gearbeitet hat. Das funktioniert, obwohl die Taschenrechner hinter Glas und nicht funktionsfähig ausgestellt werden.
JM: Die Tastsache, dass es unendlich viele Geschichten zu jedem einzelnen Exponat gibt, trifft vor
allem für den Personal Computer und seine vielseitige Anwendungsgeschichte zu. Wie kann es trotzdem
gelingen eine kohärente Mediengeschichte des Computers zu erzählen?
MM: Mein Bestreben war es damals nicht, eine möglichst vollständige Geschichte des
Personal Computer zu erzählen, sondern es ging mir um die Darstellung des roten Fadens,
also um die historische Frage: „Wann setzte die PC-Revolution ein und wann war sie
abgeschlossen?“. Ich wollte den Besucher nicht von der Erfindung des PCs bis zu den
Computern der Gegenwart mitnehmen, sondern die Pionierzeit erzählen. Es ging mir
um den Anfangspunkt der Entwicklung, um die wichtigsten Stationen und die Ankunft
des PCs als allgemeines Kulturgut im Alltag, der so selbstverständlich auf dem Schreibtisch zu finden ist wie ein Bleistift oder ein Telefon. Es ist nicht notwendig, die weitere
Geschichte des PC zu erzählen und es wäre auch langweilig für den Besucher. Computerchips sind mittlerweile überall zu finden und nicht mehr ausschließlich im PC. Deswegen macht es auch keinen Sinn die Geschichte als Geschichte des PCs weiterzuerzählen. Die Erfinder der Pionierzeit und ihre Rechner, welche die Arbeits- und Privatwelt
entscheidend verändert haben, die haben wir in den Vordergrund gestellt. Aus der subjektiven Perspektive des Ausstellungsmachers habe ich beschlossen, dass die Entwicklung Mitte der Neunziger Jahre erstmal beendet ist. Ab hier haben die Computer eher
wenig Charakter und die Geräte werden dem Namen Personal Computer eigentlich nicht
mehr gerecht. Natürlich kann es passieren, dass man irgendwann durch die Geschichte
widerlegt wird. So wurde mit der Erfindung des i-Mac die Idee des persönlichen Computers, mit dem man sich identifizieren kann, wieder aufgenommen und wir haben ihn in
die Ausstellung integriert. Auch das Thema Mobilität kam irgendwann hinzu und die
Frage „Wie wurde der Computer mobil?“ musste nachträglich berücksichtigt werden.
Aber im Mittelpunkt steht immer die Pionierzeit der Vergangenheit, denn sie war letztlich entscheidend für die gesamte Entwicklungsgeschichte des Personal Computers.
JM: Trotz der Konzentration auf die historischen Ursprünge des Computers beansprucht das HNF
für sich einen starken Gegenwartsbezug und versucht dem Besucher auch einen Blick in die Zukunft der
Informationstechnologie zu ermöglichen. Dieses Bestreben nach Aktualität führte im Jahr 2004 sogar
139
zu einem Update der Ausstellung. Welche Bedeutung hat die Aktualität der Ausstellung für das
HNF?
MM: Aktualität ist sicherlich die größte Herausforderung eines Computermuseums. Die
Geschichte von 5000 Jahren Informationstechnik, also von den Anfängen in Mesopotamien bis zur Eröffnung des HNF 1996, durchschreitet der Besucher in der Ausstellung von Epoche zu Epoche. Am Ende der Ausstellung sind alle auf gleicher Höhe, der
Besucher, das HNF und die Technik. Ab jetzt müssen wir im Gleichschritt weitergehen
und der Besucher will wissen, was als nächstes passiert und wohin die Entwicklung gehen wird. Diesem Anspruch gerecht zu werden und die Gegenwart wie die Zukunft ins
Museum hereinzuholen, ist nun unserer Hauptaufgabe. Die Inszenierung der Geschichte des Computers in der Ausstellung ist abgeschlossen und wird nur noch modifiziert,
wenn wir neue Objekte bekommen. Um gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen zu
begleiten, haben wir den so genannten Showroom eingerichtet, den wir laufend mit temporären Ausstellungen verändern und an die aktuelle Dynamik anpassen. Besonders schwierig wird es, wenn man kein materielles Objekt hat um eine aktuelle Entwicklung zu präsentieren. Man hat dann nur die Möglichkeit auf Inszenierungen zurückzugreifen und
assoziativ zu arbeiten. Der Klassiker wäre zum Beispiel die Weltkugel mit umspannendem Netz, die das Internet darstellt und das Problem „Datenflut“ thematisiert. So ist die
Grundidee unserer Abteilung Digitale Welt, dass der Besucher von Rund-Vitrinen geradezu eingekesselt wird und somit die Allgegenwärtigkeit von Technik im Alltag dargestellt wird. So kann man den Besucher mitnehmen und seine Ängste und Sorgen aufgreifen.
JM: Auf der einen Seite wird dem Besucher also die historische Seite des Computers erzählt, auf der
anderen findet eine Auseinandersetzung mit den „Segnungen“ des Informationszeitalters statt. Wie
passen diese beiden Aspekte zusammen und welche Erkenntnis oder Erfahrung wünschen sie sich für
den Besucher?
MM: Wir wollen mehrere Besucherschichten ansprechen. Einmal den „normalen“ Besucher, der kein Fachwissen hat und sich einfach über die Geschichte des Computers
informieren möchte. Dann gibt es die Besucher, die sehr stark in das Thema involviert
sind, und ganz konkrete Anliegen haben oder einfach sehen wollen was es Neues gibt
und wie das Thema von uns umgesetzt wird. Schließlich gibt es noch die Menschen, die
ins HNF kommen, weil sie von den aktuellsten Entwicklungen in der Informationstechnologie gehört haben und einfach beunruhigt sind. Für diese Besucher ist es wichtig, dass wir einzelne Themen kritisch aufarbeiten und Antworten auf ihre Fragen haben. Aktuelle gesellschaftliche Themen können hier erlebt und vertieft werden. Wir wollen die Leute damit ansprechen und ich wünsche mir einfach, dass die Besucher nicht
nur eine leichte Berieselung erfahren, sondern Schritt für Schritt dem Thema näher gebracht werden.
JM: Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen wirft natürlich wieder die Frage der Aktualität auf. Noch heute findet sich in einer Ecke der Dauerausstellung ein Schaukasten, der das Jahr2000-Problem thematisiert und die Frage stellt was beim Jahrtausendwechsel alles passieren wird. Aus
heutiger Sicht im Jahr 2005 fast schon selbst ein historisches Exponat…
MM: Ja, das stimmt. Wir haben damals schnell reagiert und ein temporäres Thema aufgegriffen. Die Besucher müssen merken, dass wir an solchen Themen mitarbeiten. Viele
lächeln natürlich heute über das Millennium-Exponat, aber eben auch darüber, dass man
sich damals Sorgen gemacht hat und dann doch nichts passiert ist. Das Problem war
Ende der neunziger Jahre ein großes Thema und wenn sich der Besucher daran erinnert
140
und mit dem Nicht-Eintreten der Katastrophe auseinandersetzt, haben wir ja auch etwas
erreicht.
JM: Wenn es so etwas wie eine allgemeine Geschichtsschreibung des Computers gibt, welche Rolle spielt
dann das HNF in diesem Diskurs? Inwiefern ist man aktiv an der Geschichtsschreibung des Computers beteiligt?
MM: Seit der Eröffnung des HNF im Jahr 1996 werden wir als Kompetenzzentrum für
Computergeschichte wahrgenommen und veröffentlichen regelmäßig einzelne Artikel
oder geben Interviews. Jeder weiß: Im HNF kann man nachfragen, wenn es um Themen geht wie die Geschichte des PCs, des Internet oder ähnliches. Man muss mit dieser
Wahrnehmung allerdings sehr verantwortlich umgehen, zum Beispiel wenn uns Sammler fragen wie viel ihre Sammlerstücke eigentlich wert sind. Bei solchen Anfragen halten
wir uns sehr zurück und geben keine vorschnellen Antworten. Überhaupt dürfen wir für
uns nicht beanspruchen, die alleinige Wahrheit über die Geschichte des Computers zu
verkünden. Wir können nur die Fakten zeigen und der Besucher muss sich selber damit
auseinandersetzen. Wir wollen nicht belehren. Hinzu kommt, dass das HNF mehr ist als
ein reines Museum und das wissenschaftliche Arbeiten oft leider zu kurz kommt. Bei bis
zu 700 Aktivitäten und Veranstaltungen kann das wissenschaftliche Arbeiten aber auch
nicht die Hauptaufgabe des HNF sein. Ich denke wir haben eine gesunde Mischung.
JM: Was für Besucher interessieren sich für das HNF?
MM: Natürlich sind es vor allem Schulklassen und Studenten, aber in den letzten Jahren hat sich das ein wenig gewandelt. Es kommen zunehmend auch Gruppen mit älteren Menschen ins HNF, weil sie vielleicht tatsächlich noch mit einem bestimmten
Lochkartensystem oder einer Rechenmaschine gearbeitet haben, die sie hier noch einmal
sehen können. Es hat sich über die Jahre einfach herumgesprochen, dass das hier möglich ist. Die Beschwörung der „guten alten Zeit“ ist für viele ein entscheidendes Motiv
für einen Besuch des HNF. Man kommt hierher, um gegenüber der Schnelllebigkeit der
heutigen Zeit ein bisschen Nostalgie zu leben.
JM: Herr Mikolajczak, ich danke Ihnen für das Gespräch!
9.4 Expertengespräch mit Andreas Lange (Computerspielemuseum)
Gespräch mit:
Funktion:
Einrichtung:
Träger:
Andreas Lange am 05.04.2005
Direktor
Computerspielemuseum, Berlin
Förderverein für Jugend und Sozialarbeit (FJS)
JM: Herr Lange, dass ein nichtkommerzieller Träger wie der Förderverein für Jugend und Sozialarbeit
am Anfang der Geschichte eines Computermuseums steht, ist eher ungewöhnlich. Wie entstand damals
im FJS die Idee, das weltweit erste Computerspielemuseum zu gründen?
AL: Es erscheint sogar noch ungewöhnlicher, wenn man weiß, dass der FJS damals als
ein klassischer ABM-Träger der Nachwendezeit ins Leben gerufen wurde und dort zunächst ausschließlich ostdeutsche Mitarbeiter angestellt waren. Obwohl Computerspiele
im Alltag der DDR kaum eine Rolle gespielt haben, gab es jedoch immer schon eine
gewisse Offenheit der DDR-Bürger gegenüber dem Computer. Dies lag vor allem daran, dass in der DDR ungewöhnlich viele Ressourcen der Volkwirtschaft in die Mikro-
141
chipproduktion geflossen sind und man bis zuletzt der Chimäre vom 1-Megabit-Chip
hinterher gejagt ist. Es hat sicherlich etwas mit diesem ostdeutschen Hintergrund der
FJS zu tun, dass man innerhalb des Vereins schon früh versucht hat, alternative Sichtweisen auf die Welt der Computerspiele zu fördern. Der FJS beantragte Anfang der
neunziger Jahre eine ABM-Stelle mit dem Ziel eine Computer-Spiele-Beratung für Eltern und Lehrer ins Leben zu rufen. Man wollte damals von der vorherrschenden Bewahrungspädagogik wegkommen, die sich darauf beschränkte bedenkliche Computerspiele von Kindern fern zu halten, und sprach sich stattdessen für eine Empfehlungspädagogik aus. So publizierte der FJS gemeinsam mit dem Berliner Familien- und Jugendsenat eine erste Empfehlungsliste und versuchte die Thematik „Computerspiele“ von
der anderen Seite aufzuziehen. 1993 war auch das Jahr in dem die Computer-Industrie
ihren Verband VUD gegründet hat. In der Industrie wollte man zu diesem Zeitpunkt
das Thema Jugendschutz aktiv angehen, unter anderem auch um einer gesetzlichen Regelung zuvorzukommen, auf die man keinen Einfluss hätte ausüben können. Daher trat
man in Kontakt mit dem FJS, als einem Träger der freien Jugendhilfe, und gründete
gemeinsam die unabhängige Selbstkontrolle USK. 1996 kam dann innerhalb des FJS die
Idee auf, den pädagogischen Faden der Computerspiele-Beratung in der Form eines
Museums wieder aufzunehmen, der ja durch die Gründung der USK und die Konzentration auf den Jugendschutz etwas nach hinten gerückt war. Man beantragte daraufhin
eine weitere ABM-Stelle mit dem Titel „Computerspielemuseum“. Da ich bereits als
Gutachter für die USK gearbeitet hatte und zu diesem Zeitpunkt ABM-berechtigt war,
fiel die Wahl auf mich.
JM: Für gewöhnlich steht am Anfang eines Museums eine Sammlung. Im Fall des Computerspielemuseums existierte jedoch die Idee zu einem Museum vor der Sammlung. Wie schwierig war es in kurzer Zeit eine aussagekräftige Sammlung für das neue Museum zusammenzutragen?
AL: Nun, die USK zog damals in größere Räumlichkeiten um und so standen zunächst
die alten Räume als zukünftige Ausstellungsfläche zur Verfügung. Außerdem hatten wir
einen Schreibtisch, ein Telefon und einen alten USK-Computer. Ausgestattet mit einem
kleinen Budget, habe ich dann angefangen über Kleinanzeigen und Flohmärkte eine
Sammlung aufzubauen. Die meisten Objekte, die ich auf diese Weise bekommen konnte, liefen damals eher unter Elektroschrott und hatten noch keinen Sammler-Status. Ich
habe viel im Internet recherchiert und versucht, mich in das Thema einzulesen, obwohl
es zum damaligen Zeitpunkt noch keine wissenschaftlichen Arbeiten zur Geschichte der
Computerspiele gab. Nachdem ich dann einen gewissen Grundstock an Objekten zusammengetragen hatte, haben wir schließlich einen Eröffnungstermin ins Auge gefasst.
Wir mussten in dieser Zeit viel improvisieren und hatten keinen Masterplan. Ich habe
damals zum Beispiel die Texte selbst geschrieben, in Glas gerahmt und aufgehängt. Ein
anderer ABM-Angestellter des Vereins kümmerte sich um die Ausstellungsmöbel. Es
war eigentlich alles handgemacht und hatte dadurch einen gewissen Charme. Ich hatte
mittlerweile Unterstützung von zwei Praktikanten und einem ehrenamtlichen Mitarbeiter, der eine Menge eigener Erfahrungen mit Computerspielen in das Museum einbringen konnte. Am 1. Februar 1997 haben wir dann die Ausstellung erstmals einer noch
sehr kleinen Öffentlichkeit präsentiert, geöffnet hatte das Museum zunächst nur sonntags von 10-18 Uhr. Doch dann passierte das Erstaunliche: Wir hatten ein unerwartet
großes und breites Feedback aus den Medien. Das „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ hatte damals in Karlsruhe mit weitaus mehr Aufwand am selben Wochenende wie wir eröffnet, doch es gab in der Zeit einen Artikel über beide MuseumsEröffnungen mit gleichen Anteilen. Da war uns sehr schnell klar, dass wir einen Nerv
getroffen haben mussten. Wir haben dann die Öffnungszeiten auf fünf Tage die Woche
ausgedehnt und unsere Sammlung weiter ergänzt. Wir hatten damals kein Werbebudget,
142
brauchten aber auch nie wirklich eins, weil wir immer wieder Anfragen aus der Presse
bekamen.
JM: Gab es trotz der improvisierten Anfänge und den engen finanziellen Grenzen des Museums eine
zentrale Zielsetzung, die bei der Gestaltung der Ausstellung im Vordergrund stand?
AL: Unser Ausgangspunkt war das Bewusstsein, dass Computerspiele mehr sind als nur
ein Kinderspielzeug. Letzteres war bis zum damaligen Zeitpunkt fast die ausschließliche
Perspektive auf den Computer als Spielmaschine. Erziehungswissenschaftler waren bis
dahin die einzigen, die sich den Computerspielen angenommen hatten und die Frage
„Gefährlich oder ungefährlich?“ stand bei ihnen im Mittelpunkt. Es fehlten andere Perspektiven. Wir hatten für uns schon immer die Gewissheit, dass es sich bei Computerspielen um ein sehr interessantes Medium handelt: ein interaktives Erzählmedium, angesiedelt auf der Schnittstelle zwischen Alltag und Computer. Im Prinzip handelt es sich
bei dem Computerspiel um das älteste digitale Kulturgut und gerade diese historische
Dimension wollten wir vorstellen. Wir haben versucht den Blick zu erweitern, über die
doch sehr verengte Perspektive der Erziehungswissenschaftler hinaus. Wir wollten die
Facettenhaftigkeit, aber auch die Bedeutung dieses Mediums herausarbeiten. Ich denke,
es war daher vor allem ein Bildungsauftrag den wir hatten und weniger ein Bewahrungsauftrag, der erst später dazu kam.
JM: Welche Quellen dienten ihnen damals zur inhaltlichen Gestaltung der Ausstellung und in wie weit
waren sie am aktuellen historischen Diskurs beteiligt?
AL: Wir hatten es damals bei den Computerspielen mit einem Bereich zu tun, für den es
noch keine kanonisierte Geschichtsschreibung gab, sondern dessen historische Aufarbeitung sich gerade zu formieren begann. Das geschah vor allem im Internet, welches
sich 1994/95 in der Form des www-Standards durchsetzte. Die ersten InternetCommunities, die das World Wide Web von Anfang an mit Inhalten gefüllt haben, kamen
damals oft aus der Gruppe der Computerspieler, die sich ja bereits über das Spielen mit
der neuen Technologie befasst hatten. Wir mussten uns damals also an einer oral-history
orientieren, genau überprüfen ließ sich das in den meisten Fällen kaum. Auch wenn es
einige konkrete Daten und Zahlen gab, wie Baujahr oder technischen Spezifikationen,
kamen unsere Informationen zunächst eher aus einer großen Gerüchteküche. Wir konnten daher in den Anfängen nicht alles wissen und haben sicherlich auch einige Fehler
gemacht. Trotzdem hatten wir allein durch den Akt der Museumsgründung ein gewisses
Renommee. Ich war plötzlich Museumsdirektor und wir wurden als Kompetenz auf
dem Gebiet der Computerspiele ernst genommen, wenn auch manchmal mit einem
kleinen Augenzwinkern. Wir wurden im deutschen Raum relativ schnell der Ansprechpartner in Sachen Computerspiele.
JM: Wie hat man versucht die historischen Dimensionen des Computerspiels museal zu inszenieren?
AL: Wir hatten damals zwei Räume mit jeweils etwa 35 Quadratmetern. Im ersten Raum
haben wir einen chronologischen Ablauf gewählt und die Entwicklungsgeschichte von
PONG bis zur Playstation gezeigt. Im zweiten Raum haben wir uns einzelne Aspekten
herausgenommen, zum Beispiel „Jugendschutz“ oder die Geschichte eines bestimmten
Spiel-Genres thematisiert. Wir haben alles mit originalen Exponaten ausgestellt, die lauffähig und von den Besuchern auch spielbar waren. Diese Ideal-Situation konnten wir
natürlich nur erreichen, weil das Computerspielmuseum ein sehr intimes Umfeld bot
und sich gut beaufsichtigen ließ. Es war uns auch wichtig nicht nur die Objekte auszustellen, sondern auch die Geschichten zu erzählen, die damit verbunden sind. Das hat
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sich von Anfang an bewährt und sprach vor allem Leute an, die sich nicht so gut mit
dem Thema auskennen. Ein klassischer Fall waren Familien und Schulklassen, bei denen
man sowohl die meist sehr kompetenten Schüler zufrieden stellen und sich andererseits
um die Lehrer und Eltern kümmern musste, die sich nicht so gut mit der Materie auskannten.
JM: Als Technikmuseum im engeren Sinne hat sich das Computerspielemuseum nie verstanden. Gab
es trotzdem den Anspruch, das Ausgestellte auch technisch zu erklären?
AL: Den Namen „Computerspielemuseum“ haben wir von Anfang an sehr ernst genommen. Wir konzentrieren uns auf die Spiele als Medium und nicht auf ihre Technik.
Und trotzdem: Durch die Tatsache, dass die originalen Geräte bei uns spielbar in der
Ausstellung standen, waren wir vielmehr Technikmuseum als jedes Technikmuseum,
das seine Geräte hinter Glas ausstellt. Bei uns konnte man „en passant“ einen sehr direkten Eindruck von der technischen Entwicklung der Geräte bekommen. Bei uns stand
alles auf engstem Raum nebeneinander und über die Anwendung der Spiele erschloss
sich dem Besucher die technische Weiterentwicklung. Ohne irgendwelche technischen
Features und Daten zu wissen, bekam man einen intuitiven Eindruck worin der technische Fortschritt lag. In diesem Sinne funktionierte das Computerspielemuseum auch als
Technikmuseum, ohne dass wir uns jemals als solches verstanden haben. Ein anderer
Grund warum die Geräte interaktiv zugänglich waren, sind vor allem die Spiele. Im Unterschied zu den klassischen Erzählmedien sind Computerspiele im Kern interaktiv.
Deshalb war es uns immer wichtig, den Besucher auch den Joystick in die Hand nehmen zu lassen. Denn anders kann man Computerspiele nicht verstehen.
JM: Hier sind wir bei einem zentralen Punkt. Ein Museum welches das Computerspiel als Medium
ausstellt, kann im Prinzip ohne Objekte auskommen, ein Beispiel dafür sind virtuelle Computermuseen
im Internet. Warum legen sie trotzdem soviel Wert auf den Zugang zur Materialität der ComputerSpielmaschinen?
AL: Es ist tatsächlich so, dass Computerspiele unabhängig von der Hardware eine Existenz haben. Ich bin aber überzeugt davon, dass die historischen Geräte nach wie vor
ihre Daseinsberechtigung in der Ausstellung haben, und zwar unabhängig davon ob sie
funktionieren oder nicht. Es gibt ein bestimmtes menschliches Bedürfnis an Orte zu
gehen und dort Objekte zu erleben, die man an keinem anderen Ort sehen kann. Menschen brauchen dieses Gefühl der Authentizität. Außerdem haben die Objekte selbst als
bloße Designerstücke ihren Wert. Bereits im Design steckt schon eine Menge an Informationen. Man erfährt viel über die Zeit aus der die Geräte stammen und die Intention
ihrer Macher. Zum Beispiel kann man am Design der Geräte erkennen, an welchem Ort
in der Wohnung sie aufgestellt werden sollen. So sind zum Beispiel die Geräte von Nintendo eher für das Kinderzimmer bestimmt, Sony hingegen will ins Wohnzimmer und
auch die Erwachsenen erreichen. Es gibt wichtige Informationen die über den KultCharakter der Spielmaschinen hinausgehen, die tatsächlich in diesen Geräten drinstecken und die man auch herausholen kann. Hinzu kommt, dass durch die Emulation
digitaler Exponate vieles verloren geht. Es ist eben nicht mehr der Automat vor dem
man steht, sondern es ist der PC auf dem Schreibtisch und eine PC-Tastatur fühlt sich
nun mal anders an als die Buttons des Automaten. Auf der anderen Seite muss uns aber
auch bewusst sein, dass in 30 oder 40 Jahren kein funktionierender C64 mehr existieren
wird und auch andere historische Spielkonsolen nicht mehr laufen werden. Wir werden
dann andere historische Spielmaschinen haben, nämlich die High-Tech-Geräte von heute!
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JM: Die Spielmaschinen, von denen wir hier sprechen, sind ein radikal industrielles Massenprodukt
und es wird wohl schwierig werden diese zu einem späteren Zeitpunkt lauffähig nachzubauen. Welche
besonderen Probleme bereitet die Archivierung und Konservierung von digitalen Exponaten?
AL: Das ist die zentrale Frage, die zurzeit viel diskutiert wird. Entscheidet man sich für
die hardware-unabhängige Aufbewahrung durch Emulation? Gerade was eine langfristige Konservierung von Computerspielen betrifft, muss man damit rechnen dass die originale Hardware mit der Zeit nicht mehr funktionieren wird. Wir haben daraus unsere
Konsequenzen gezogen und einen Verein gegründet, der sich mit dieser Aufgabe der
Langzeitaufbewahrung befasst, das Digital Game Archive128. Unter anderem bieten wir
dort Spiele zum Download an und befassen uns mit den verschiedensten Aspekten dieser Langzeitkonservierung. Die Alternative zur hardwareunabhängigen Aufbewahrung
würde jedoch tatsächlich bedeuten, dass man eine Art Mini-Serie der alten Spielmaschinen für historische oder archivarische Zwecke auflegt. Das wäre natürlich die weitaus
aufwendigere und kostenintensivere Variante. Einen interessanten Zwischenweg für den
C64 stellt übrigens das C-One129 dar. Bei der C-One handelt es sich um eine neuartige
Mainboard-Technologie mit rekonfigurierbaren Chips, welche sich in ein beliebiges
Computergehäuse einbauen lässt. Die Chips der C-One können so programmiert bzw.
umkonfiguriert werden, dass sie die Aufgaben von Chips auf dem C64 oder anderen
historischen Computern erledigen. Dabei handelt es sich nicht um Emulation, sondern
um eine hard- und softwaregestützte Re-Implementierung von Chips, die seit Jahren
nicht mehr erhältlich sind. Stellt man sich dieses Modul nun wieder in einem alten oder
nachgebauten C64 Gehäuse vor, hat man wieder eine mehr oder weniger authentische
Hardware, die man ausstellen kann.
JM: Bei Spielkonsolen, Automaten und Handhelds handelt es sich nicht um universelle Rechner im
engeren Sinn, trotzdem sind sie ein wichtiger Teil der Computergeschichte. In welcher Rolle sieht sich das
Computerspielemuseum gegenüber anderen Computermuseen und welchen Beitrag zur musealen Inszenierung der Computergeschichte kann das Museum leisten?
Da wir die Computer-Games in den Mittelpunkt stellen, ist für uns zunächst alles relevant was mit digitalen, interaktiven Spielen zu tun hat. Das geht vom Taschenrechner
mit eingebauten Mini-Spielen, über die Heimcomputer und Spielkonsolen bis zu den
Großrechnern. Uns ist dabei bewusst, dass Computerspiele für die Popularisierung der
Computertechnik einen ganz entscheidenden, wenn nicht den entscheidenden Beitrag
geleistet haben. Es ist einfach eine Tatsache, dass die Heimcomputer sich Anfang der
achtziger Jahre vor allem über die Anwendung als Spielmaschine in die ‚Heime‛ hinein
entwickelt haben. In der Computerspiel-Industrie waren sozusagen immer schon die
Early-Adapters, welche die Innovationen der Hardwarebranche in massenkompatible
Produkte umgewandelt haben. So wurde die CD-ROM-Technologie zum Beispiel bereits in den frühen achtziger Jahren von Phillips und Sony erfunden. Das erste erschwingliche CD-ROM-Laufwerk jedoch, das nicht 5000 Dollar teuer war, konnte man
erst als Zusatzmodul zu der Spielkonsole PC-Engine im Jahre 1988/89 erwerben. Erst
dann ist die CD-ROM zum allgemeinen Datenträger geworden. Insofern erheben wir
durchaus den Anspruch, mit unseren Ausstellungen auch ein Stück der Computergeschichte insgesamt zu schreiben. Im Unterschied zu anderen Computermuseen gestalten wir unsere Ausstellungen aber aus der Sicht des Normal-Anwenders, des Gamers.
Aus den frühen Computerspielern der achtziger Jahre sind die Computerspezialisten
geworden, die heute die Entwicklung weiter vorantreiben und genau auf diesen Schritt
konzentrieren wir uns.
128
129
www.digitalgamearchive.org
Für eine ausführliche Beschreibung der C-One siehe: http://c64upgra.de/c-one/
145
JM: Welche Rolle spielte diese persönliche Erfahrung im Umgang mit Computerspielen bei den Besuchern des Computerspielemuseums?
AL: Das Computerspielemuseum fiel in die Zeit eines Generationswechsels. Das war
vielleicht letztlich der Grund warum unsere Initiative so erfolgreich war. Die Kids vom
Space Invaders-Automaten waren mittlerweile erwachsen und hatten eigene Kinder. Es
war tatsächlich eine klassische Situation: der Vater zeigt seinem Sohn in unserer Ausstellung, wie er damals am Computer gespielt hat. Dieses Motiv der Nostalgie hat sich bei
unseren Besuch dabei auf zwei Gebiete ausgestreckt. Zum einen gab es die TechnikNostalgiker, die sich vor allem für die historischen Geräte interessiert haben und es gab
die Spiele-Nostalgiker, für die beispielsweise der Sound eine besondere Bedeutung hat.
Sound ist vielleicht das wichtigste Nostalgie-Element bei Computerspielen und löst die
meisten Gefühle und Erinnerungen aus. Man kommt über den Sound direkt wieder in
die Situation, in der man früher als Kind oder Jugendlicher das betreffende Spiel gespielt
hat. Natürlich liegen diese beiden Gebiete aber nahe beieinander, die frühen Computerspieler waren oft auch begeisterte Technikexperten und umgekehrt.
JM: Im Jahr 2000 wurde die ständige Ausstellung des Computerspielemuseums vorübergehend geschlossen. Welche Gründe führten zu der Schließung und wie stellt sich das Arbeitsfeld des Museums
zurzeit dar?
AL: Die Schließung hatte zwei Gründe. Auf der einen Seite waren die Räumlichkeiten
immer schon zu klein und wir hatten nie vor, dort lange zu bleiben. Nach vier Jahren
brauchten wir schlicht und einfach mehr Platz. Wir haben uns außerdem von der
Schließung eine bessere Position gegenüber der Stadt versprochen: Wenn man an die
Stadt herantritt und um Unterstützung bittet, das Museum aber auch ohne Zuschüsse
läuft, dann ist der Druck natürlich wesentlich geringer, als wenn klar ist, dass es ohne
Förderung nicht mehr weiter gehen kann. Das hat sich zunächst auch bewahrheitet. Wir
waren in den Gesprächen mit dem damaligen Kultursenator bereits sehr weit vorangeschritten. Der Berliner-Bankenskandal mit anschließender Regierungsumformung kam
uns dann allerdings in die Quere. Seit der Schließung haben wir aber verschiedenste
Ausstellungsprojekte realisiert, über die wir unsere Arbeit weiter finanzieren können,
etwa auf Fachmessen wie der Cebit in Hannover oder der Games Convention in Leipzig.
Dort haben wir vor allem die Entwicklungsgeschichte der Hardware chronologisch ausgestellt. In unserem Ausstellungskatalog „Spielmaschinen“ sind diese Ausstellungen
dokumentiert. Bei einer anderen Ausstellung stand eine kleine Ahnengalerie der Videospiel-Stars im Mittelpunkt. Die zentrale Frage war, welche Rolle das Star-Prinzip für die
Computerspiel-Industrie im Bezug auf Merchandising, Lizenzverfahren und Filmadaptionen bedeutet. Unsere erste internationale Kooperation war eine Ausstellung in Berlin
mit dem TV Game Museum Projects aus Japan unter dem Titel „Tokyo Techno Tourism“.
Die Computerspiele wurden im Rahmen dieser Ausstellung als interaktiver Reiseführer
ausgestellt und sollten die Alltagskultur von japanischen Jugendlichen veranschaulichen.
Wir stellten dabei eine Beziehung von der Großstadtwelt zu den virtuellen Welten der
Games her. Computerspiele sind erstaunlich vielfältig und vielseitig einsetzbar. In Kassel
haben wir uns zum Beispiel an einer Ausstellung zum Thema „Spiele und Tod“ des Sepulkralmuseums beteiligt, einem Museum für Sterbekultur. Wir waren für die digitalen
Spiele zuständig und beschäftigen uns mit der Frage: Wir stirbt man in digitalen Spielen?
Diese vielfältigen Einsatzmöglichkeiten entspringen letztlich dem Medium Computerspiel und nicht dem Computer an sich.
JM: Gibt es Pläne am Computerspielemuseum wieder eine ständige Ausstellung zu realisieren?
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AL: Das ist selbstverständlich unser langfristiges Ziel. Viel versprechend war beispielsweise unsere letztjährige Kooperation mit dem VUD, dem mittlerweile aufgelösten
Verband der Computerspiel-Industrie Deutschlands. Das GAMESHOUSE-Projekt
hätte für das Computerspielemuseum bedeutet, dass wir unsere ständige Ausstellung in
Berlin wieder geöffnet hätten. Unser Konzept hatte den Titel „Medium Computerspiel“
und beinhaltete verschiedene thematische Zugänge zum Computerspiel. Wir haben uns
gegen einen stringenten historischen Aufbau entschieden, sondern versucht das Computerspiel als Medium ernst zu nehmen und es in der traditionellen Medienlandschaft zu
verorten. Das Konzept sah verschiedene thematische Module vor wie „GAMES und
Bücher“, „GAMES und Musik“, „Kommunikationsmedium und Multi Player Games“
oder „Virtuelle Welten“. Es gab in diesem Zusammenhang eine Kooperation mit Studenten der Hochschule der Künste in Berlin, die das GAMESHOUSE im Studiengang
„Visuelle Kommunikation“ zu ihrem Semesterprojekt gemacht haben. Auf diesem Wege
sind dreizehn verschiedene Entwürfe entstanden, die wir überaus gelungen fanden und
deshalb in Form eines kleinen Kataloges haben drucken lassen. Leider ist uns mit der
Auflösung des VUD auch in diesem Fall etwas dazwischen gekommen. Wir verfolgen
dieses Konzept allerdings nach wie vor und versuchen jetzt neue Partner in der Computerspielebranche, aber auch darüber hinaus zu finden. Wir glauben weiterhin fest an das
Computerspielemuseum, der FJS ist aber leider nicht stark genug um ein solches Projekt
alleine zu stemmen.
JM: Herr Lange, ich danke Ihnen für das Gespräch!

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