NATURWUNDER | Darwins Galápagos
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NATURWUNDER | Darwins Galápagos
78_84_galapagos_rz 27.01.2009 17:12 Uhr Seite 2 N AT U R W U N D E R | D a r w i n s G a l á p a g o s 78 78_84_galapagos_rz 27.01.2009 17:12 Uhr Seite 3 Urtümliche Riesenschildkröten, flugunfähige Kormorane und tauchende Echsen: Die Galápagos-Inseln gelten als Versuchslabor der Evolution. Berühmtheit erlangten sie durch Charles Darwin, der den Archipel im Jahr 1835 besuchte und dort wichtige Erkenntnisse für seine Abstammungslehre gewann. 2007 setzte die UNESCO das Naturparadies auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbe-Stätten. KOBOLDE DER FINSTERNIS So bezeichnete Charles Darwin die Meerechsen bei seinem Besuch der Galápagos-Inseln. Die Mini-Drachen bevölkern noch heute in Scharen die schwarzen Lava-Felsen entlang der Küsten. TEXT UND BILDER VON ANJA PETERSEN D DARWINS BEDROHTES PARADIES as Paradies liegt mitten im Pazifik, rund zwei Flugstunden vom südamerikanischen Festland entfernt. Genauer gesagt auf den Galápagos-Inseln. Das ganze Jahr über besuchen Naturliebhaber aus aller Welt das abgelegene Inselreich, um die seltsame Tierwelt zu bestaunen. Wohl nirgendwo sonst können Touristen mit jungen Seelöwen um die Wette schwimmen oder aus zwei Meter Entfernung Blaufußtölpeln und anderen Seevögeln beim Füttern ihrer Jungen zusehen. Selbst die drachenähnlichen Meerechsen und balzenden Fregattvögel drehen nicht einmal den Kopf, wenn Menschen in ihre Nähe kommen. Wie ein riesiger Freilandzoo ohne Gitter müssen die Inseln auch Charles Darwin vorgekommen sein, als er während seiner fünfjährigen Weltreise auf dem Forschungsschiff „H.M.S. Beagle“ den Archipel durchkreuzte. Vor allem die Zahmheit der Vögel erstaunte den englischen Naturforscher. „Die Tiere näherten sich oftmals so weit, dass man sie mit einer Rute und manchmal auch – wie ich es selbst versucht habe – mit einer Mütze oder Kappe töten konnte“, notierte er in seinem Reisebericht. „Eine Flinte ist hier beinahe überflüssig, denn mit dem Lauf stieß ich einen Falken von einem Ast.“ Heute machen nur noch Forscher mit Messgeräten und Touristen mit Kameras Jagd auf die zahmen Inseltiere. In einer Bucht auf der Insel Santa Cruz sitzen etliche Meerechsen dicht gedrängt neben Februar 2009 UNIVERSUM 79 78_84_galapagos_rz 27.01.2009 17:12 Uhr Seite 4 N AT U R W U N D E R | D a r w i n s G a l á p a g o s einem schmalen Pfad, der sich zwischen meterhohen Opuntien-Bäumen hindurchwindet. Mit ihren langen Krallen und gezackten Rückenkämmen wirken die bis zu 1,70 Meter langen Mini-Drachen wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit. „Es sind weltweit die einzigen Echsen, die zum Fressen ins Meer gehen“, erklärt Godfrey Merlen von der Naturschutzorganisation Wildaid. „Einige von ihnen habe ich noch in fast 20 Meter Tiefe beim Abweiden von Algen beobachtet.“ Im Meer tauchende Echsen, urtümliche Riesenschildkröten und nachtaktive Möwen:Viele Tier- und Pflanzenarten, die Naturliebhaber während ihrer Reise durch den Archipel beobachten, kommen an keinem anderen Ort der Welt vor, nur auf diesen abgelegenen Inseln mitten im Pazifik. In Millionen von Jahren haben sie sich zu einzigartigen Formen entwickelt. Kein Wunder, dass dieses stammesgeschichtliche Versuchslabor Darwin einige Denkanstöße für seine später entwickelte Evolutionstheorie lieferte. 80 UNIVERSUM Februar 2009 URTÜMLICHE GIGANTEN Riesenschildkröten gelten als Wahrzeichen des Inselreichs (li. u.). Im Hochland der Insel Santa Cruz (re.) können Touristen sie in freier Wildbahn beobachten. Die Charles-Darwin-Forschungsstation setzt sich seit Jahren für den Erhalt der Tiere ein (li. o.). 78_84_galapagos_rz 27.01.2009 17:12 Uhr Seite 5 N AT U R W U N D E R | D a r w i n s G a l á p a g o s Insgesamt fünf Wochen blieb der Naturgelehrte in dem Archipel, ritt auf Riesenschildkröten und sammelte wertvolles Material für seine Studien. Darwins Finken GEPANZERTER NACHWUCHS Früher jagten Seefahrer und Siedler Riesenschildkröten wegen ihres schmackhaften Fleisches. Heute werden die bis zu 300 Kilogramm schweren Tiere nachgezüchtet und wieder ausgewildert (li.). Die nach ihm benannten Finken hüpfen heute noch überall in den Büschen der Inseln herum. Millionenfach erwähnt und abgebildet gelten die spatzengroßen Vögel als Musterbeispiel für Darwins Artentstehungstheorie. Die geschichtsträchtigen Vö- gel stehen auch im Visier der fünf Forscher, die im nebelverhangenen Hochland von Santa Cruz unterwegs sind. In der Nähe der berühmten Zwillingskrater stellen die Mitarbeiter der Charles-Darwin-Forschungsstation und des Galápagos-Nationalparks drei große Netze auf. Wie unsichtbare Wände verschmelzen die feinen, schwarzen Nylon-Fäden mit dem üppigen Grün der Vegetation. Ein Tonbandgerät spult im Abstand von wenigen Sekunden den Gesang eines Baumfinken-Männchens ab – das monotone Trällern soll die Tiere in die Falle locken. Und tatsächlich: Bereits nach zehn Minuten fliegt der erste Darwin-Fink ins Netz, eine Minute später der zweite. Vorsichtig befreit die Biologin Birgit Fessl einen zappelnden Baumfink aus dem engmaschigen Netz. Routiniert bugsiert die Österreicherin den Vogel in ein kleines Papiersäckchen, um ihn zu wiegen, und nimmt ihn anschließend wieder heraus, um seinen Schnabel zu vermessen. „Die Vorfahren der Darwin-Finken sind vermutlich vor drei Millionen Jahren vom südamerikanischen Kontinent herübergeweht worden“, erklärt die Forscherin. „Aus diesen Urfinken entwickelten sich dann im Laufe der Zeit 13 auf Galápagos heimische Arten.“ Manche – wie der Mittlere Baumfink – kommen nur auf einer Insel vor, andere wiederum leben über den ganzen Archipel verstreut. Alle Tiere sehen sich verblüffend ähnlich, nur vom Schnabel her variieren sie enorm: Mit ihnen konnten sich die Finken im Laufe der Zeit ganz verschiedene Nahrungsnischen erschließen. Manche mit dünnen, spitzen Schnäbeln haben sich auf das Fangen von Insekten spezialisiert, andere mit dicken, papageienartigen Schnäbeln ernähren sich überwiegend von harten Samenkörnern. Die Spechtfinken wiederum nutzen Werkzeuge wie Kakteenstacheln, um Insekten aus dem Holz zu schälen, und die Vampirfinken trinken das Blut von Seevögeln. Nach knapp zwei Stunden haben die Forscher 21 Vögel gefangen, untersucht und wieder freigelassen. Die Blutproben der Tiere werden anschließend in einem Labor in Puerto Ayora auf mögliche Krankheits- STACHELIGE RIESEN Opuntien-Kakteen erreichen auf manchen Inseln die stattliche Höhe von zehn Metern. In den Trieben bauen Kaktus-Finken ihre Nester. Die Früchte sind ein Leckerbissen für die Landleguane des Archipels. 81 78_84_galapagos_rz 27.01.2009 17:12 Uhr Seite 6 N AT U R W U N D E R | D a r w i n s G a l á p a g o s INS NETZ GEGANGEN Im Hochland von Santa Cruz fangen Wissenschaftler Vögel, um sie auf Parasiten und Krankheiten zu untersuchen (o.). Manche Tiere wollen anschließend gar nicht mehr wegfliegen. VOGEL-PARADIES Auf dem Fischmarkt in Puerto Ayora warten Pelikane auf einen Leckerbissen (li. u.). Währenddessen begutachtet eine Mitarbeiterin des Galápagos-Nationalparks einige gefangene Vögel, darunter auch Darwin-Finken (re. u.). erreger, wie Vogelpocken, untersucht. Vermutlich schleppten infizierte Kanarienvögel, die Siedler als Haustiere auf die Insel San Cristóbal mitbrachten, das Virus ein. Einen nicht minder gefährlichen Parasiten entdeckten Forscher im Jahr 1997 durch Zufall in den Nestern von Darwin-Finken. Die Fliege Philornis downsi ist an sich harmlos; aller Wahrscheinlichkeit nach gelangte sie mit einer Obst- oder Gemüseladung auf einem der Frachtschiffe in das Naturparadies. Die nachtaktiven Larven dieser Fliege verhalten sich allerdings wie Mini-Vampire und ernähren sich vom Blut der Kücken. 82 UNIVERSUM Februar 2009 „Mit oft tödlicher Folge“, erklärt Birgit Fessl. „In infizierten Nestern ist die Jungvogelsterblichkeit doppelt so hoch wie normal.“ Einbruch ins Paradies Schon früh begann der Mensch das Ökosystem des Naturparadieses zu verändern. Seefahrer, Piraten und später auch Siedler brachten Haustiere, Ratten und fremdartige Pflanzen auf die Inseln. Eine Katastrophe für das zerbrechliche Ökosystem, das über Jahrmillionen vom Rest der Welt abgeschnitten gewesen war. 78_84_galapagos_rz 27.01.2009 17:12 Uhr Seite 7 N AT U R W U N D E R | D a r w i n s G a l á p a g o s Verwilderte Ziegen fraßen die Vulkan-Hänge kahl, Schweine wühlten die Eier der Meerechsen aus dem Boden und Hunde wüteten unter den am Boden brütenden Vögeln. Den Riesenschildkröten wurden ihre Größe und ihr schmackhaftes Fleisch zum Verhängnis. Seefahrer schleppten ganze Schiffsladungen der Tiere weg. Als lebender Proviant ließen sie sich leicht verstauen und übereinander stapeln. Ohne Nahrung und Wasser konnten die Kolosse monatelang im Rumpf eines Schiffes überleben – und nach Bedarf geschlachtet werden. Als der Verhaltensforscher Irenäus EiblEibesfeldt zusammen mit dem Meeresforscher Hans Hass auf dem Dreimastschoner „Xarifa“ 1954 den Archipel besuchte, entdeckte er überall Spuren menschlicher Verwüstung. Im Hochland von Santa Cruz lagen die verblichenen Panzer von Dutzenden Riesenschildkröten, die – trotz des Verbots – von Siedlern abgeschlachtet worden waren, auf den Las-Plazas-Inseln wiederum fand der Österreicher die halb verwesten Überreste von sechs Seelöwen – alle mit zertrümmerten Schädeln. Nach seiner Rückkehr nach Europa appellierte der Wissenschaftler an die UNESCO, die Schutzbemühungen für das „Labor der Evolution“ zu verstärken – und hatte Erfolg. Er erhielt den Auftrag, eine Inventur der Tierwelt zu erstellen. 1959 erfolgte die Gründung der Charles Darwin Foundation in Brüssel, die sich um den Bau und die Finanzierung einer Forschungsstation kümmern sollte. Im selben Jahr erklärte die Regierung von Ecuador Galápagos zum Nationalpark, mittlerweile stehen 97 Prozent der Landfläche unter Schutz. Für einige Tiere kommen die Schutzbemühungen zu spät: Drei der insgesamt 14 Unterarten der Riesenschildkröten sind be- FOTO: XXXXXXXXXXXXXXX ZAHME GESELLEN Entspannt dösen Seelöwen auf der Insel San Cristóbal am Strand in der Sonne. Vor den Menschen zeigen sie keine Scheu. Das Schnorcheln mit jungen Seelöwen gehört zu den Highlights jedes Galápagos-Urlaubes. reits ausgestorben, eine weitere steht knapp davor:Von ihr gibt es nur noch ein einziges Exemplar, das seit rund 40 Jahren in einem Gehege der Charles-Darwin-Forschungsstation auf Santa Cruz untergebracht ist. Dutzende von Touristen stehen vor der Umzäunung von „Lonesome George“ und fotografieren die berühmte Riesenschildkröte. Das gut einen Meter lange Panzertier mit seinen schuppigen Beinen hat es als seltenste Tierart der Welt sogar ins GuinnessBuch der Rekorde geschafft. „George“ selbst scheint der Trubel um seinen traurigen Rekord nicht zu stören, gemächlich mampft das zwischen 60 und 90 Jahre alte Tier weiter an seinem Grünzeug. Als „Letzter seiner Art“ ist die Riesenschildkröte zu einem Symbol für die Bedrohung der Tier- und Pflanzenwelt der Galápagos-Inseln geworden. Ein Hauptproblem sehen Forscher wie Christophe Grenier von der Charles-Darwin-Forschungsstation in den indirekten Folgen des ständig wachsenden Besucherstroms. Kamen Anfang der 1970er-Jahre noch 4.000 Gäste jährlich in den Nationalpark, so waren es Mitte der 1990er-Jahre schon 70.000. Heute pilgern rund 140.000 Touristen auf Darwins Spuren. 83 78_84_galapagos_rz 27.01.2009 17:12 Uhr Seite 8 N AT U R W U N D E R | D a r w i n s G a l á p a g o s PINTA MARCHENA 2 WOLF GENOVESA 2 GALAPAGOS - ARCHIPEL EQUADOR 1 SANTIAGO FERNANDINA NATURPARADIES IM PAZIFIK Seit 2007 ist das Inselreich auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt. PAZIFISCHER OZEAN BARTOLOME BALTRA SANTA CRUZ SANTA FE SAN CRISTOBAL Puerto Ayora ISABELA FLOREANA ESPANOLA 1 CHARLES DARWIN – DER SEEKRANKE REVOLUTIONÄR A ls „Kaplan des Teufels“ bezeichnete sich Charles Darwin einmal selbst. Mit seiner Behauptung von der Veränderlichkeit der Arten durch die natürliche Selektion stellte der Vater der Evolutionstheorie das Weltbild des 19. Jahrhunderts auf den Kopf. Noch heute stehen sich Gegner und Befürworter seiner Theorie in schier unversöhnlichen Lagern gegenüber. Bereits wenige Jahre nach seiner Geburt am 12. Februar 1809 im englischen Shrewsbury entdeckte der junge Darwin seine Liebe zur Natur, sammelte Muscheln und fing Insekten. Später begann er in Edinburgh ein Studium der Medizin, das er jedoch schon bald wieder abbrach, um sich ganz theologischen und biologischen Themen zu widmen. Im Jahr 1831 erhielt Darwin unerwartet das Angebot von Robert FitzRoy, dem Kapitän des englischen Forschungsschif- 84 UNIVERSUM Februar 2009 fes „H.M.S. Beagle“, ihn auf seiner Weltreise zu begleiten – und stürzte sich ins Abenteuer. Fünf Jahre lang fuhr der Naturforscher über die Weiten der Ozeane, besuchte unzählige Länder, sammelte, schrieb – und litt. Tagelang lag er in seiner Hängematte, so schwer machte ihm die Seekrankheit zu schaffen. Mit Kisten, voll gestopft mit Vogelbälgen, Häuten und Knochen, darunter vielen von den Galápagos-Inseln, kehrte der Naturforscher von seiner legendären Reise zurück. Nach mühseliger Auswertung seiner Funde und weiterer jahrelanger Forschung veröffentlichte er im Jahr 1859 sein Hauptwerk „Die Entstehung der Arten“, das noch heute als „Bibel“ der Evolutionsforschung gilt. Am 19. April 1882 starb Darwin auf seinem Landsitz in Downe; er wurde in der Westminster Abbey in London beigesetzt. „Mit der wachsenden Zahl an Besuchern steigt gleichzeitig auch die Zahl der Zuwanderer vom Festland, die im Archipel arbeiten“, so der Geograf. „Mehr Gäste bedeuten auch mehr Flugzeuge und Frachtschiffe, wodurch wiederum mehr fremdartige Tiere und Pflanzen hierher gelangen.“ Vor allem die mittlerweile rund 1.320 eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten drohen das Ökosystem aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mit stärkeren Kontrollen an den Flug- und Schiffshäfen versuchen Mitarbeiter der Behörde Sesa-Sicgal den Vormarsch der Eindringlinge zu stoppen. Doch es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Erst vor einigen Jahren gelangten beispielsweise Frösche in einem Stapel Autoreifen nach Galápagos. Und wer kann schon kontrollieren, ob winzige Pflanzensamen als blinde Passagiere in den Koffern von Touristen in die entlegene Inselwelt reisen? Die UNESCO hat auf die zunehmende Bedrohung des Naturparadieses mittlerweile reagiert und das Inselreich 2007 auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt. Für die berühmte Riesenschildkröte „Lonesome George“ scheint jede Hilfe zu spät zu kommen. Vor einigen Jahren steckten Forscher dem Tier zwei genetisch verwandte Weibchen ins Gehege. Nach jahrelangem vergeblichen Warten fanden Mitarbeiter im vergangenen Jahr schließlich zwei Gelege. Doch die Hoffnung auf Nachwuchs scheint vergebens – die Eier waren offenbar unbefruchtet. Mit „George“ scheint ein weiterer Ast vom Baum der Evolution zu verschwinden. Galápagos im Internet: Galapagos Conservancy: www.galapagos.org Verein Freunde der Galápagos-Inseln Schweiz: www.galapagos-ch.org/ Zoologische Gesellschaft Frankfurt: www.zgf.de Alle Links zum Anklicken: www.universum.co.at Darwin im Ö1-Programm DIE GALÁPAGOS-INSELN: DAS BEDROHTE PARADIES DER Ö1-SCHWERPUNKT ZUM „DARWIN-JAHR“ 2009 HTTP://OE1.ORF.AT/PROGRAMM/DARWIN FOTO: ARCHIV, ILLU.: ISTVAN WARGA DARWIN