Blättner B, Georgy S (2011)

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Blättner B, Georgy S (2011)
Prävention und
Gesundheitsförderung
Elektronischer Sonderdruck für
B. Blättner
Ein Service von Springer Medizin
Präv Gesundheitsf 2011 · 6:199–205 · DOI 10.1007/s11553-010-0282-x
© Springer-Verlag 2011
zur nichtkommerziellen Nutzung auf der
privaten Homepage und Institutssite des Autors
B. Blättner · S. Georgy
Ambulante Versorgung Pflegebedürftiger bei
Unwetter
Klimaanpassung in einer überalternden Region
www.praevention.springer.de
Schwerpunkt
Präv Gesundheitsf 2011 · 6:199–205
DOI 10.1007/s11553-010-0282-x
Online publiziert: 23. Januar 2011
© Springer-Verlag 2011
B. Blättner · S. Georgy
Fachbereich Pflege und Gesundheit, Hochschule Fulda
Ambulante Versorgung
Pflegebedürftiger bei
Unwetter
Klimaanpassung in  
einer überalternden Region
Hintergrund und Fragestellung
Der Klimawandel kann mit einer Zunahme von Unwetterereignissen verbunden
sein. Weltweit hat sich die Anzahl von
Unwetterstürmen und Überflutungen
in den 1990er Jahren verglichen mit den
1960er Jahren mindestens verdoppelt [16].
Ob sich dieser Trend fortsetzt, lässt sich
nicht sicher beantworten, erscheint aber
als eine Folge des weltweiten Temperaturanstiegs für Deutschland wahrscheinlich
[7, 14, 16].
Im Jahr 2007 verdeutlichte der Orkan Kyrill die möglichen Gefährdungen
in 20 Staaten. In Deutschland wurden
während des Orkans aufgrund einer vom
Deutschen Wetterdienst herausgegebenen
Sturmwarnung Schulen, Universitäten
und Unternehmen geschlossen. Der Zugverkehr wurde zunächst eingeschränkt,
dann 9 h lang stillgelegt. Flüge wurden gestrichen, Autobahnen gesperrt. Trotz der
Sicherheitsmaßnahmen sind Kyrill alleine
in Deutschland 13 Todesfälle zuzuschreiben [10].
Unwetterereignisse ermöglichen
es u. U. über Stunden nicht, sich ohne
Selbstgefährdung auf die Straße zu begeben. Verkehrsverbindungen können
auch danach noch lange vollständig blockiert sein. Dies erschwert die Aufrechterhaltung von Versorgungsstrukturen, die
Mobilität erfordern. Entsprechende Notfallpläne sind als Klimaanpassungsmaßnahmen sinnvoll.
In Nordhessen, einer Region, in der
der demografische Wandel bereits stark
fortgeschritten ist, gerät die ambulante
Pflege älterer, allein lebender Menschen
als eines der zu lösenden Versorgungsprobleme in den Blick. Prognostisch werden alte Menschen zunehmend in dünn
besiedelten Gebieten alleine leben und so
potentiell fremder Hilfe bedürfen [15]. Die
ambulante Pflege erbringt Leistungen, die
ein- bis mehrmals täglich notwendig sind.
Nichtversorgung ist u. U. mit gesundheitlichen Risiken und ethisch unhaltbaren
Situationen für die Pflegebedürftigen verbunden. Versorgung während Unwettern
kann teils unmöglich sein, teils zu einer
erheblichen Gefährdung der Pflegenden führen. In Österreich befasste sich
2008–2009 ein Projekt mit der Sicherstellung mobiler Pflege in Katastrophensituationen, die Ergebnisse sind derzeit noch
nicht publiziert [5].
Im sozialrechtlichen Sinn pflegebedürftig ist in Deutschland, wer aufgrund
von Krankheit oder Behinderung voraussichtlich für mindestens ein halbes Jahr
in erheblichem Umfang der Hilfe für alltägliche und regelmäßige wiederkehrende Verrichtungen bedarf (§ 14 Abs. 1
SGB XI). Pflegebedürftigkeit wird auf Antrag durch den Medizinischen Dienst der
Krankenkassen festgestellt und in einer
von drei Pflegestufen eingeordnet:
FPflegestufe I erfordert mindestens
einmal täglich Hilfe bei mindestens
zwei Verrichtungen der Grundpfle-
ge. Zur Grundpflege gehören Körperpflege, Ernährung und Mobilität.
FStufe II erfordert mindestens 3-mal
täglich zu verschiedenen Tageszeiten
Hilfebedarf,
FStufe III rund um die Uhr mindestens
5 h täglich [2].
Jeweils mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen in Stufe I hatten 2002 z. B. Hilfebedarf beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, beim An- und Auskleiden, beim
Waschen, bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung und bei der Darmund Blasenentleerung. Bei Pflegestufe II
gilt dies auch für die Aufnahme der Nahrung sowie für das Gehen und Stehen [8].
In der Region Nordhessen wurden
über ein Mapping demografischer Daten
Gebiete identifiziert, in denen der relative
Anteil Hochaltriger an der Bevölkerung
überdurchschnittlich hoch und die Bevölkerungsdichte besonders gering ist [1]. Es
ist anzunehmen, dass in solchen Gebieten
die familiäre oder nachbarschaftliche Versorgung Pflegebedürftiger schwierig werden kann und die Wege der ambulanten
Pflege weit sind. Diese Kriterien treffen
auf die Landkreise Waldeck-Frankenberg und Werra-Meißner zu. Beide Landkreise weisen zudem geografische Strukturen auf, in denen hohe Windgeschwindigkeiten nicht selten sind, auch wenn
sich regionale Sturmrisiken nicht vorhersagen lassen.
Im Jahr 2007 versorgten im Landkreis
Waldeck-Frankenberg 27 Pflegedienste
Prävention und Gesundheitsförderung 3 · 2011 | 199
Schwerpunkt
Ambulant betreute Pflegebedürftige
600
Waldeck-Frankenberg
516
500
Werra-Meißner-Kreis
435
400
365
328
300
200
163
155
100
0
I
II
III
Pflegebedürftig in Pflegestufe
Abb. 1 8 Ambulant betreute Pflegebedürftige in den Landkreisen Waldeck-Frankenberg und WerraMeißner (Quelle: Hessisches statistisches Landesamt 2007, eigene Darstellung)
100%
80%
60%
Versorgungsarten Pflegebedürftiger
53
2329
1 158
42 340
963
35 660
3 197
2 844
95 507
Waldeck-Frankenberg
Werra-Meißner-Kreis
Land H e s s e n
81
1 645
999
40%
20%
0%
Pflegegeld
ambulante Versorgung
vollstationäre Versorgung
andere
Abb. 2 8 Versorgungsformen Pflegebedürftige in den Landkreisen Waldeck-Frankenberg und Werra-Meißner im hessischen Vergleich (Quelle: Hessisches statistisches Landesamt 2007, eigene Darstellung)
mit 482 Beschäftigten 999 pflegebedürftige Menschen. Davon waren 515 in Pflegestufe I, 328 in Pflegestufe II und 155 in
Pflegestufe III eingruppiert (. Abb. 1).
Ein ähnliches Bild zeigt der Werra-Meißner-Kreis, in dem 26 Pflegedienste mit
422 Beschäftigten 963 Pflegebedürftige
versorgten. Von diesen hatten 436 Pflegestufe I, 365 Pflegestufe II und 163 Pflegestufe III [4].
Je Tausend Einwohner über 60 Jahren erhalten im Landkreis Waldeck-Frankenberg 36 Leistungen der Pflegekasse,
im Werra-Meißner-Kreis 47. Der Hessische Durchschnitt liegt bei 29. Ambulant versorgt werden in Waldeck-Frankenberg 25, im Werra-Meißner-Kreis 35
je Tausend über 60-Jährige. Der hessi-
200 | Prävention und Gesundheitsförderung 3 · 2011
sche Durchschnitt liegt bei 27. Im Werra-Meißner-Kreis erhalten im Vergleich
überdurchschnittlich viele Pflegebedürftige Pflegegelder, werden also durch Angehörige versorgt. Im Landkreis WaldeckFrankenberg werden überdurchschnittlich viele Pflegebedürftige stationär versorgt. In beiden Regionen wird die ambulante Versorgung vergleichsweise seltener in Anspruch genommen (. Abb. 2;
[4]). Dies erlaubt die These, dass gerade
im Kreis Waldeck-Frankenberg ambulante Versorgung ohnehin schwierig zu gewährleisten ist. Zwangsweiser stationärer
Aufenthalt schränkt Lebensqualität aber
ein. Von einer steigenden Nachfrage nach
ambulanten Pflegeleistungen ist aufgrund
der demografischen Struktur auszugehen.
Im Rahmen einer Klimaanpassungsmaßnahme muss es Ziel sein, tragfähige
Strukturen zur Aufrechterhaltung der ambulanten pflegerischen Versorgung auch
bei gefährdenden Wetterereignissen zu
generieren. Dazu interessierte, inwieweit
ambulante Pflegedienste für das zu erwartende Szenario sensibilisiert sind, welche
Strategien sie zum Umgang mit der Versorgungslücke entwickelt haben und welche Handlungsbedarfe seitens der Leistungsträger und aus Sicht von kommunal
Verantwortlichen gesehen werden.
Studiendesign und
Untersuchungsmethoden
Da zum Forschungsgegenstand keine literaturgestützten Vorannahmen gebildet werden konnten, bot sich ein exploratives, qualitatives Forschungsdesign
an. Dies war auch deswegen zu wählen,
weil zugleich eine regionale Klimaanpassungsstruktur partizipativ entwickelt und
in einem späteren Schritt evaluiert werden sollte.
Die Wahrnehmungen, Erfahrungen
und Vorstellungen, die Leitungen von
ambulanten Pflegediensten sowie dort Beschäftigte zur Versorgung bei Unwetterereignissen haben, wurden von 28 Personen in 23 Interviews und zwei Gruppendiskussion leitfadengestützt erhoben,
teils telefonisch, überwiegend persönlich
(. Abb. 3). Pflegedienste verfügen über
exklusives Wissen hinsichtlich der Entfernungen zu den zu versorgenden Pflegebedürftigen, deren Versorgungsbedarf
und potentiellen Gefahrenstellen bei Unwetterereignissen. Sie scheinen am ehesten in der Lage abzuwägen, welche Maßnahmen für die Aufrechterhaltung der
Versorgung realisierbar wären. Sie werden daher als Experten angesehen, die
Teil des Handlungsfeldes sind, das den
Forschungsgegenstand ausmacht [9].
In den interviewten Pflegediensten
sind, in Vollzeitäquivalenten ausgedrückt,
3 bis über 60 Pflegekräfte beschäftigt. Die
kleineren Dienste (3–5 Pflegekräfte) versorgen ca. 20–30 Klienten, die großen
Dienste bis zu 540. Der überwiegende Anteil der Pflegebedürftigen erhält 2- bis 3mal täglich pflegerische Leistungen.
Die Konstruktion des Leitfadens und
die Durchführung der Interviews folgen
Zusammenfassung · Abstract
den von Helfferich [3] beschriebenen Regeln. Der Leitfaden ermöglichte die Themen bezogene Fokussierung und inhaltliche Strukturierung der Interviews [11].
Die Erzählaufforderung enthielt die Bitte, von einer Situation zu erzählen, in der
die Pflege einer oder eines Pflegebedürftigen schwierig oder sogar unmöglich
war. Erzählinterne Nachfragen ergaben
sich anhand der während der Haupterzählung offen gebliebenen Fragestellungen [6]. Bei den erzählexternen Nachfragen wurde der Fokus auf unterstützende
Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung bei gefährlichen Witterungsbedingungen und die Vorraussetzungen für
ihre Umsetzung gelenkt.
Die grundsätzlich von zwei in der Interviewtechnik erfahrenen Personen geführten Interviews wurden aufgezeichnet. Kontext, Inhalt und Ablauf wurden
im unmittelbaren Anschluss in Memos
festgehalten, die als Wahrnehmungen des
Interviewerteams Grundlage der weiteren
Analyseschritte wurden.
Die Auswertung erfolgte im Stile der
„grounded theory“ [12]. Ziel des mehrstufigen Auswertungsverfahrens, das sowohl
kodierende als auch kategorisierende Momente einschließt, ist die Entwicklung einer dem Untersuchungsgegenstand angemessenen Theorie [12, 13]. Auch die Auswertung erfolgte im Vier-Augen-Prinzip.
Die gewonnenen Kategorien ermöglichten, potentielle Anpassungsmaßnahmen
aus Perspektive der Interviewten zu formulieren. Nach Abschluss dieses Arbeitsschritts fand eine vorläufige Ergebnisdarstellung statt, zu der die Interviewten um
Stellungnahme gebeten wurden.
Auf dieser Basis erfolgten zwei Gruppendiskussionen je in einer der beiden
Regionen mit kommunal Verantwortlichen aus den Ressorts Gefahrenabwehr,
Seniorenbetreuung, öffentlicher Gesundheitsdienst und Klimaanpassung sowie
Sachverständigen für Katastrophenschutz
und Pflegeversicherung. Zunächst wurde der Problemhintergrund veranschaulicht, dann die Ergebnisse der Interviews
zur Diskussion gestellt. Im zweiten Workshop wurden zusätzlich die Ergebnisse des
ersten eingebracht. Zu beiden Gesprächsrunden wurden Beobachtungsprotokolle
verfasst und ebenfalls nach der „grounded theory“ ausgewertet. Fragen, die bei
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B. Blättner · S. Georgy
Ambulante Versorgung Pflegebedürftiger bei Unwetter.
Klimaanpassung in einer überalternden Region
Zusammenfassung
Hintergrund. In Anpassung an die Folgen
von Klimawandel und demografischem Wandel ist auch die ambulante Pflege bei Unwettereignissen in ländlichen Regionen zu sichern. Es interessierte die Sensibilität der ambulanten Dienste, bisherige Strategien und
Handlungsbedarfe.
Methoden. Es wurden 24 Leitfadeninterviews und 4 Gruppendiskussionen mit Pflegediensten und kommunal Verantwortlichen
in zwei nordhessischen Regionen geführt
(n=43). Die Auswertung erfolgte im Stil der
„grounded theory“.
Ergebnisse. Die Sensibilität ist trotz erster
Erfahrungen eher gering. Das Handeln im
Notfall erfolgt eher situativ. Notfallpläne exis-
tieren nicht. Es konnte ein Maßnahmeplan
entwickelt und in seiner Umsetzbarkeit bewertet werden.
Diskussion. Es liegen noch keine Erfahrungen mit der Umsetzung der Maßnahmen vor.
Schlussfolgerungen. Notwendig und machbar erscheint eine Sensibilisierung und Qualifizierung von Pflegediensten. Strukturelle
Fragen sind noch ungelöst.
Schlüsselwörter
Klimawandel · Unwetterereignisse ·
Langzeitpflege · Ambulante Pflege ·
Katastrophenschutz
Nursing home care in the case of thunderstorms.
Adaptation strategies for climate change in an aging region
Abstract
Background. Adaptation to demographic change and climate change includes ensuring nursing care at home even in the case
of thunderstorms. The sensibility of nursing
agencies, their current strategies and needs
for action were of interest.
Methods. We performed 24 semi-structured
interviews and 4 focus group sessions with
staff of nursing agencies and local authorities
(N=43). Data analysis followed the grounded
theory approach.
Results. Despite some experiences, the
awareness of the problem is rather low. Ac-
tion in case of emergency is spontaneous,
and emergency plans do not exist. A plan for
action was developed and chances for implementation assessed by experts.
Discussion. Implementation of the action
plan will gain further experience.
Conclusions. Sensitising and qualifying
nursing staff seems necessary and practicable. Structural problems still need solutions.
Keywords
Climate change · Thunderstorm · Long-term
care · Nursing home care · Disaster control
Prävention und Gesundheitsförderung 3 · 2011 | 201
Schwerpunkt
Pflegedienste
Überregional
Nordhessen
Werra-Meißner-Kreis
Waldeck-Frankenberg
1 Gruppendiskussion
(N = 4)
1 Gruppendiskussion
(N = 5 Leitungen)
10 Interviews Leitungen
Davon 1 Leitung
11 Interviews Leitungen
2 Interviews
Pflegekräfte
Kommunal
Verantwortliche
davon 3 Frauen, 1 Mann
davon 14 Frauen, 4
Männer
davon 7 Frauen, 3
Männer
alle mit eigener
Erfahrung
davon 2 ohne eigene
Erfahrungen in der
Pflege, 4 länger
zurückliegend,
10 Leitungen mit
aktuellen Erfahrungen
davon 3 mit länger
zurückliegender
Erfahrungen in der
Pflege, 7 mit aktuellen
Erfahrungen
Trägerschaft unklar
davon 8
freigemeinnützig,
10 freigewerblich
davon 6
freigemeinnützig,
3 freigewerblich
1 Telefoninterview
1 Gruppendiskussion
(N = 3)
1 Gruppendiskussion
(N = 7)
Abb. 3 8 Übersicht über die Datenerhebung
der Analyse entstanden, wurden telefonisch mit den Teilnehmenden erörtert
und in einem weiteren Telefoninterview
diskutiert.
Ergebnisse
Geringe Sensibilität  
für die Folgen von Unwettern
Die Beschäftigten ambulanter Pflegedienste schätzen subjektiv die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Unwettern und daraus resultierende Behinderungen pflegerischer Maßnahmen eher
als gering ein. Am ehesten sind es Schnee
und Glatteis, die für sie extreme Witterungsbedingungen repräsentieren. Hier
raten Pflegebedürftige oder Angehörige
den Pflegekräften teilweise, sich nicht auf
den Weg zu begeben, teilweise fordern sie
trotz riskanter Bedingungen explizit zur
Versorgung auf. In beiden Fällen nehmen
die Pflegedienste den Versorgungsauftrag wahr, v. a. aus Sorge, dass Pflegebedürftige andernfalls den Dienst wechseln
könnten. Ambulant tätige Pflegefachkräfte fahren bei fast jedem Wetter, wie sie betonen. Nur Berufsunerfahrenen wird zugeschrieben, bisweilen die Fahrten bei Extremwettern zu verweigern oder in schwere Unfälle zu geraten.
Andere Einschätzungen sind Ergebnis konkreter Erfahrungen mit potentiellen Gefährdungslagen u. a. bei Kyrill. Sen-
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sibilisierend waren u. a. die Angst um Kolleginnen, das Festsitzen zwischen umgestürzten Bäumen, der Ausfall des mobilen Telefons, die Erfahrung nur aufgrund
persönlicher Beziehungen Unterstützung
durch die Feuerwehr zu erfahren. Vorsorgende Maßnahmen wurden trotz der einprägsamen Erlebnisse nicht ergriffen.
ist, erfolgt der Kontakt zur Leitung, die
dann durch die offizielle Umstellung der
Routen, das Aufstocken des Personals
oder auch eigeninitiatives Handeln eingreift. Teilweise wurden alle erreichbaren
Pflegekräfte rekrutiert, damit mehr Zeit
für Anfahrtswege zur Verfügung stand,
teilweise sollten nur im Einsatz befindliche Pflegekräfte als Notdienst arbeiteten,
andere Kräfte gar nicht erst losfahren.
Innerinstitutionelle Notfallpläne existieren bisher nicht, werden aber als wichtig erachtet. Standardmäßig tragen Pflegekräfte die Daten ihrer Klienten bei sich.
Sofern sie die Versorgung nicht erbringen
können, benachrichtigen sie die Pflegedienstleitung telefonisch. Pflegedienstleitungen nehmen ihren Laptop häufig mit
nach Hause, um jederzeit die Versorgung
koordinieren zu können.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen
funktionieren allerdings nur eingeschränkt und solange das Unwetterereignis keine über einen Tag hinaus dauernden Folgen hat. Manche Orte verfügen
nur über eine Zufahrtstraße, die blockiert
sein kann, andere wären aus einer anderen Richtung deutlich leichter erreichbar.
Interne Lösungsstrategien
Konkurrenz widerspricht
Kooperation
Strategien zum Umgang mit dem Versorgungsproblem suchen die Pflegedienste intern. Der erste Schritt sind Verhandlungen mit den Kunden. In der Einschätzung der Pflegekräfte sind Maßnahmen
der Grundpflege potentiell verschiebbar,
insbesondere die Körperpflege. Als nicht
verschiebbar gelten Maßnahmen der Behandlungspflege, d. h. ärztlich verordnete
Mithilfe bei therapeutischen Interventionen, hier wird z. B. die Versorgung insulinpflichtiger Menschen genannt, die Ernährung mittels einer perkutan endoskopischen Gastrostomie (PEG) oder notwendige Verbandswechsel. Mit Pflegebedürftigen und Angehörigen wird telefonisch enger Kontakt gehalten, teilweise wurden so persönliche Netzwerke aktiviert oder Angehörige zu Verrichtungen angeleitet. Die Entscheidungen fallen
nach persönlicher Einschätzung.
Der nächste Schritt ist eine informelle telefonische Absprache unter Kolleginnen. Erst wenn dies nicht möglich
Auf die Möglichkeit externer Lösungen
durch Kooperation der Versorgungsdienste in der Region angesprochen, wurde dies
zwar in Betracht gezogen, aufgrund der
Konkurrenz der Dienste aber als eher unrealistisch bezeichnet. Am ehesten wäre
eine Kooperation von Diensten des gleichen Trägers möglich, an zweiter Stelle
wäre die Kooperation der freigemeinnützigen Dienste unterschiedlicher Träger in
Extremsituationen denkbar. Nahezu vollständig ausgeschlossen wird die Kooperation freigemeinnütziger mit freigewerblichen Diensten, wenn nicht zwingende
Gründe gegeben sind. Seitens der freigewerblichen Dienste werden Wettbewerbsverzerrungen durch die finanzielle Unterstützung der Träger freigemeinnütziger
Dienste dafür angeführt, seitens der freigemeinnützigen Dienste die Antastung
ihrer Monopolstellung seit Einführung
der Pflegeversicherung. Die Implementierung einer verbindlichen Richtlinie,
damit Pflegedienste im Notfall mitein-
ander kommunizieren, wurde zur Diskussion gestellt.
Als Argument Kooperation abzulehnen, werden auch vermutete qualitative Unterschiede in der Versorgung angeführt. Insbesondere wird in Frage gestellt,
dass Mitbewerber über ausreichend qualifiziertes Personal verfügen.
Mit sinkender Rentabilität zu erbringender Leistungen verschwimmt allerdings der empfundene Wettbewerbsdruck. Dies ist gerade bei großer räumlicher Distanz zu den Pflegebedürftigen der
Fall. Die geringen Fahrpauschalen lassen
es nicht lohnenswert erscheinen, die teilweise erheblichen Entfernungen auf sich
zu nehmen. Eine mögliche Finanzierung
von Mehraufwendungen bei Unwetter
zum Ausgleich zeitaufwändigerer Wegstrecken durch die Pflegekassen sehen die
Befragten als erfahrungsgemäß unwahrscheinlich. Zudem wird hier Missbrauchspotential bei den jeweils anderen Diensten gesehen. Zur Finanzierung gegenseitig übernommener Leistung wurde vorgeschlagen, mit einer Abtretungserklärung
zu arbeiten, die gegenüber der Pflegekasse
den real versorgenden Pflegedienst kenntlich macht.
Sofern sich Pflegedienste in einer Notfallsituation gegenseitig unterstützen, sei
es besser einen Plan zu haben, der die Zuständigkeiten festschreibt. Eine tagesaktuelle Pflegeliste wird daher für notwendig
erachtet, sowie eine adäquate Übergabe.
Potentielle
Unterstützungsstrukturen
Eine frühzeitige konkrete Warnung vor
regionalen Gefahrenlagen wird als dringlich gesehen, damit Lösungen erarbeitet
und Prioritäten gesetzt werden können.
Sowohl die interne als auch die externe
Versorgung ließe sich mit zeitlichem Vorlauf passgenauer organisieren, als dies ad
hoc während Unwetterlagen möglich ist.
Autoradios existieren bisher nicht in allen
Dienstfahrzeugen, wären für Verkehrsfunkwarnungen aber hilfreich. Allerdings
sind Verkehrsfunkwarnungen regional
nicht hinreichend genau.
Das Technische Hilfswerk, Feuerwehr, Polizei, Forstwirtschaft und Bauern
mit ihren Traktoren werden als mögliche
• Direkte Warnung des DWD an Pflegedienste
Unwetter-Frühwarnsystem
• Regionale Warnung zur Straßenlage
• Entsprechende technische Ausrüstung
Versorgungs-’Triage‘
• Tagesakutelle Listen Versorgungsbedarf
• Klare Kriterien für Priorisierung der Versorgung
Interne Koordinierung
• Notfallplan im Qualitätsmanagement
• ggf. aktualisierter Wegstreckenplan
• Koordinierende Institution
Externe Koordinierung
Nur wenn interne Lösungen nicht
möglich sind
• Transport oder Räumung über THW, Feuerwehr
bei Unzugänglichkeit
• Notfallnetzwerk
• Übergabe Patientendaten, Zugang zur Wohnung
Abb. 4 8 Strukturierter Maßnahmenplan für Unwetterereignisse aus Sicht der Pflegedienste
Unterstützer zur Bewältigung unpassierbare Straßen betrachtet.
Für ein planvoll-gemeinschaftliches
Arbeiten im Notfall wurden Pflegestützpunkte als koordinierende Instanzen vorgeschlagen. Vorgeschlagen wurde, dort
eine Hotline einzurichten, an die sich
Hilfe suchende Pflegedienste in Notfällen
wenden können. Die Pflegestützpunkte
müssten dafür u. a. Kenntnisse über die
Besetzungszeiten der Dienste an Wochenenden haben. Neben pflegestrukturellem
Wissen wären diese auch mit rein organisatorischen Aufgaben während Unwetterlagen zu beauftragen, u. a. der Organisation von Schlüsseldiensten, weil Pflegebedürftige oft nicht in der Lage sind, die Tür
selbst zu öffnen.
Chancen der Umsetzung
Die . Abb. 4 zeigt ein mögliches Vorgehen bei Unwetterereignissen, das in der
Zusammenfassung der Sichtweisen der
Pflegedienste entwickelt werden konnte.
Die Maßnahmen wurden mit kommunal Verantwortlichen beider Landkreise
diskutiert. In einem Landkreis lagen Erfahrungen mit längerem Stromausfall bei
Stürmen, in der Folge auch einem Ausfall
der Trinkwasserversorgung und einem
Ausfall des Telefonnetzes vor. Eine damit
verbundene Gefahr für Schwerstpflegebedürftige war nicht im Blick.
Für ein Frühwarnsystems könnten
die Unwetterwarnungen des Deutschen
Wetterdienstes genutzt werden, bei dem
sich die Pflegedienste in einen kostenlosen Newsletter mit Angabe des jeweiligen
Landkreises eintragen können. Dies setzt
voraus, dass die Pflegedienste mit Internetzugang ausgestattet sind und die ambulant tätigen Pflegekräfte Handys bei
sich tragen, was die Regel ist. Alternativ
müssten Faxabrufe als Routine etabliert
werden.
In einem Landkreis könnte die zentrale Leitstelle für Katastrophenschutz und
Rettungsdienst Pflegedienste bei Unwettern über die Zugänglichkeit von Straßen informieren. Die Meldung gesperrter
Straßen an die Leitstelle scheint dort zeitnah zu erfolgen. Durch die Polizei wird
ein Verkehrskonzept erstellt, von dem die
Leitstelle umgehend in Kenntnis gesetzt
wird. Die Leitstelle des anderen Kreises
verfügt allerdings nicht über solche zeitnahen Informationen.
Vor allem in einem Landkreis wurden
Lösungsstrategien überwiegend auf individueller Ebene gesehen. Pflegebedürftige wie Pflegedienste müssten persönliche
Risikoanalysen durchführen. Nachbarschaftshilfe sei ein probates Mittel, allerdings sei es in der Region wahrscheinlich,
dass Pflegebedürftige u. U. nicht über solche Kontakte verfügen. Der zunehmende
Mangel an Hausärzten in ländlichen Regionen schließe diese als Unterstützer aus.
Prävention und Gesundheitsförderung 3 · 2011 | 203
Schwerpunkt
• Direkte Warnung des DWD an Pflegedienste
Unwetter-Frühwarnsystem
• Regionale Warnung zur Straßenlage
• Entsprechende technische Ausrüstung
Versorgungs-‘Triage‘
• Tagesakutelle Listen Versorgungsbedarf
• Klare Kriterien für Priorisierung
Interne Koordinierung
• Notfallplan im Qualitätsmanagement
• ggf. aktualisierter Wegstreckenplan
• Kooperationsverträge zwischen Diensten
Externe Koordinierung
wenn interne Lösungen nicht
möglich sind
• Leitstelle als Koordinationsinstanz
• Sicherstellung bei Unzugänglichkeit
• Finanzierung Mehraufwand
Abb. 5 8 Überarbeiteter Maßnahmenplan (die Farben der Kästchen stehen für die Kurzfristigkeit der
Realisierungschancen)
Denkbar wäre die Organisation eines Systems ehrenamtlicher Helfer. Notfalls obligatorische Fortbildungen werden als das
Mittel der Sensibilisierung betrachtet.
Leitstellen eignen sich aufgrund ihres
24-h-Dienstes grundsätzlich zur Übernahme extern koordinierender Funktionen. Um dafür erforderliche zusätzliche
Ressourcen (Personal, Schulung, Technik)
zu akquirieren, müssten zunächst konkrete Daten über unterversorgte Pflegebedürftige vorliegen. Solche Fakten geben
Pflegedienste aber nur sehr zögerlich frei.
Pflegestützpunkte sind demgegenüber
nicht rund um die Uhr erreichbar, Bereitschaftsdienste nicht vorgesehen. Der
Pflegestützpunkt als koordinierende Instanz wird sehr zurückhaltend beurteilt. In
einem Kreis wurde die Koordination des
Hausnotrufs für Pflegebedürftige vor kurzem an einen ortsfernen Dienstleister privatisiert. Mangels regionaler Kenntnis sei
damit auch die Chance, das Hausnotrufsystem bei Unwetterlagen zu nutzen, nicht
mehr gegeben.
Ein Transfer von Pflegekräften durch
das technische Hilfswerk und die Feuerwehr muss verworfen werden. Ihre Aufgabe ist, Straßen zu räumen, wenn Gefahr
für Leib und Leben besteht. Die Räumung
wird dabei mit Blick auf die Straßenart gestaffelt, d. h. zunächst Bundesstraßen, im
Anschluss Landstraßen. Damit bleiben
Kreis- und Gemeindestraßen, die Zugang
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zu kleineren Orten sichern, längere Zeit
nicht befahrbar. Zwar besteht die Möglichkeit, dass Pflegedienste bei Unwettern
mit Rettungsdiensten zusammenarbeiten, für Rettungsdienste stellt sich die Frage der Erreichbarkeit allerdings ähnlich.
Kontrovers diskutiert wurde, wer für
die Sicherstellung in Notfällen Verantwortung trägt. Prinzipiell besteht über
den privatrechtlich geschlossenen Vertrag seitens der Pflegedienste die Pflicht,
die Versorgung zu gewährleisten. Pflegedienste müssten eine drohende Unterversorgung bei der Pflegekasse melden, welche dann gemeinsam mit den Pflegeberatern in der Region einen anderen Pflegedienst suchen würde – dies kam bisher
aber nicht vor. Aus Sicht der Kommune
hält eine Pflegekasse den Sicherstellungsauftrag, eine kommunale Verantwortung
sei nicht gegeben. Aus Sicht der Pflegekasse hingegen müssten Pflegedienste, wenn
sie die Versorgung nicht gewährleisten
können, ortsnah eine Vertretung organisieren. Ist dies nicht möglich, dann seien
Kommunen am Zug, um die Versorgung
sicher zu stellen. Kommunen müssten im
Notfall Pflegebedürftige evakuieren und
z. B. in Einrichtungen der Kurzzeitpflege
unterbringen.
Die Übernahme der Aufgaben eines
Pflegedienstes durch einen anderen setzt
allerdings auch im Notfall aus haftungsrechtlichen Gründen einen Koopera-
tionsvertrag voraus. Hier könnte vorbeugend die Übernahme eines jährlichen Kontingents an Leistungen vereinbart werden – so wäre aus Sicht der Pflegekassen auch eine wechselseitige Extrafinanzierung nicht notwendig. Nimmt
ein Pflegedienst eine Pflegebedürftige bzw. einen Pflegebedürftigen an, obwohl die Entfernungspauschale nicht
kostendeckend ist, dann läge dies nicht
im Zuständigkeitsbereich der Pflegekasse. Ähnlich verhalte es sich, wenn vorübergehende Mehraufwendungen durch
unwetterbedingte Umwege entstehen.
Die .  Abb. 5 zeigt zusammenfassend einen überarbeiteten Maßnahmenplan, der die Kurzfristigkeit der Realisierungschancen mit angibt. Auch damit
können allerdings nicht alle potentiell
möglichen Versorgungslücken geschlossen werden.
Diskussion
Interviews und Gruppendiskussionen mit
Pflegediensten zeigen, dass es in den beiden untersuchten Regionen bisher keine systematischen Ansätze der Sicherstellung ambulanter pflegerischer Versorgung gibt, weder individuell, noch institutionell, noch strukturell (obwohl zumindest teilweise Erfahrungen mit Gefährdungslagen vorliegen). Bisher wurden
Lösungsstrategien eher intuitiv und situativ entwickelt und Selbstgefährdungen der
Pflegekräfte unreflektiert in Kauf genommen. Die Differenzierung dringender und
verschiebbarer Versorgung wird ebenfalls
individuell und nicht systematisch unter
Einbeziehung ethischer Überlegungen getroffen. Eher wird die von der Krankenversicherung finanzierte Behandlungspflege, als die von der Pflegeversicherung
finanzierte Grundversorgung priorisiert,
zumindest in den Beispielen, die spontan
geäußert werden. Primär wird aber versucht, den Versorgungsauftrag unter allen
Umständen wahrzunehmen. Eine Reflektion über die besonderen Anforderungen
der Durchführung der Pflege in Extremsituationen (kein Trinkwasser, kein Strom)
erfolgte nicht.
Die Sensibilität für die Problemlage
ist bisher eher gering. Strukturell existiert
keine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten. Auch während Katastrophen-
szenarien könnte es sein, dass die Aufmerksamkeit nicht primär Pflegebedürftigen gilt, die mehrere Stunden lang unversorgt bleiben. Die Interviews und Diskussionen gaben zudem einen ersten Einblick
in die Schwierigkeiten ländlich dünn besiedelter, überalternder Regionen, infrastrukturell den für Deutschland erwartbaren Versorgungsstandard aufrecht zu erhalten. In manchen Beiträgen war diesbezüglich eine resignative Grundhaltung
zu erspüren. Zugleich zeigte sich, dass zumindest in der Wahrnehmung der Pflegedienste und der kommunal Verantwortlichen die Einhaltung von Qualitätsstandards in der ambulanten Pflege auch unabhängig von Katastrophenszenarien
nicht durchgängig gewährleistet zu sein
scheint.
Dennoch ließ sich ein Maßnahmenplan entwickeln, der – nach Region teils
unterschiedlich – leichter und schwieriger umsetzbare Punkte enthält. Die Umsetzung erfordert eine breite Sensibilisierung der Pflegedienste sowie der regional tätigen Pflegeberatung. Hierfür bieten sich spezifische Fortbildungsangebote an, deren zentrale Themen auf das Notfallmanagement rekurrieren sollten, und
die sehr stark handlungsorientiert vorgehen sollten. Ihre Entwicklung und Erprobung wird ein nächster Projektschritt sein.
Zeitgleich sollen in der Region, in der dies
eher möglich erscheint, erste strukturelle
Schritte der Kooperation mit der Leitstelle unternommen werden.
Methodische Einschränkungen in der
Aussagefähigkeit der gewonnen Daten
sind insoweit gegeben, als nicht alle Pflegedienste und nicht alle kommunal Verantwortlichen einbezogen werden konnten. So ist insbesondere zu erwarten, dass
eher noch die Dienste erreicht wurden,
bei denen die Sensibilität für Risikoszenarien vergleichsweise stärker ausgeprägt ist.
Die Tragfähigkeit der entwickelten Maßnahmen wird in weiteren Schritten zu
evaluieren sein. Einschränkungen in der
Aussagefähigkeit sind auch darin zu sehen, dass die Sichtweisen von Experten, die
Teil des Handlungsfeldes sind, zum Ausdruck kommen, noch nicht aber die fachliche Expertise eines überregionalen Katastrophenmanagements. Einschränkend
wirkt auch, dass erst die fallbezogene Analyse der tatsächlichen Versorgungssituati-
on genaue Daten liefern kann. Derzeit
wären Pflegedienste allerdings noch nicht
bereit, solche Daten offen zu legen.
Wie weit sind die Ergebnisse auf andere Regionen in Deutschland übertragbar? Unwetter können sich überall ereignen, regional sind sie kaum vorhersagbar.
Mit einer möglichen Zunahme von Unwettereignissen als Folge des Klimawandels wächst demnach auch die Unsicherheit über die Gewährleistung ambulanter
Pflege außerhalb von Ballungszentren.
Der hohe Grad der Deckungsgleichheit
der Themen in den Interviews und Diskussionen lässt vermuten, dass hier regionale Unterschiede nur in wenigen Punkten greifen.
Fazit für die Praxis
Ambulant tätige Pflegefachkräfte fahren
bei fast jedem Wetter und bringen sich
damit ggf. selbst in Gefahr. Dennoch wird
es ihnen bei Unwetterlagen damit nicht
unbedingt gelingen können, die ambulante pflegerische Versorgung auf angemessene Art aufrechtzuerhalten. Notwendig und machbar erscheint eine Sensibilisierung und Qualifizierung von Pflegediensten. Noch ungelöst bleiben strukturelle Fragen der Sicherstellung ambulanter Versorgung unter Krisenszenarien.
Notwendig erscheint ein gesellschaftlicher Diskurs unter der Frage, welche
Versorgungsqualität Pflegebedürftige
in Deutschland im Sinne des Erhalts ihrer Lebensqualität auch in Krisensituationen erwarten dürfen. Wie viele Stunden
müssen Pflegebedürftige im Notfall ohne die gewohnte Körperpflege, ohne Inkontinenzversorgung, ohne Essensanreichung und ohne Wechsel zwischen Bett
und Sessel auskommen können? Welche
Risiken müssen Pflegedienste einzugehen bereit sein, um eine schlechte Versorgung zu vermeiden?
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. B. Blättner
Fachbereich Pflege und
Gesundheit, Hochschule Fulda,
Marquardstraße 35,
36039 Fulda
[email protected]
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor
weist auf folgende Beziehung hin: Das Projekt wird
im Rahmen der Förderlinie „Klimawandel zukunftsfähig gestalten“ (Klimzug-Nordhessen) vom BMBF finanziert.
Literatur
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Wohngebiete mit hitzeabhängigen Risiken ermitteln. Soziodemografisches und klimatisches Mapping in Stadt und Landkreis als Planungsinstrument
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Prävention und Gesundheitsförderung 3 · 2011 | 205

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