2013-11-30 FAZ Aktion Wedding-Moabit
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2013-11-30 FAZ Aktion Wedding-Moabit
FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG Politik SA M S TAG , 3 0 . N OV E M B E R 2 0 1 3 · NR . 2 7 9 · S E I T E 3 Deutschland studiert hat, leitet das „Deutsche Institut für Community Organizing“, seit es 2006 gegründet wurde. Vier große Stiftungen – BMW, Generali, Körber und die Zeit-Stiftung – fördern es. Loring Sittler, Leiter des Generali-Zukunftsfonds, drückte es am Donnerstag so aus: Bürgerplattformen seien „nicht charitymäßig unterwegs“, sie veränderten die Verhältnisse. John Kornblum, der frühere Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland, und Penta verglichen vor einiger Zeit in einem gemeinsamen Artikel die Arbeit von Bürgerplattformen mit dem, was der Westen in Afghanistan aufbauen will: eine stärkere Zivilgesellschaft. „Nation-Building in Berlin“ hieß die kesse Überschrift. Mitglieder der Bürgerplattformen, heißt es darin, seien „keine reichen, manchmal auch keine glücklichen Menschen, aber sie verbrennen keine Autos und malen keine Hakenkreuze“. „Tue nichts für andere, was sie selbst tun könnten“ gehört zu den Schlachtrufen des „Community Organizing“. Das verlangt den Beteiligten einige Arbeit ab. Denn Bürgerplattformen sind nichts für Wutbürger oder Ein-Punkt-Aktivisten. Was sie fordern, ist meistens nicht mit einem Federstrich zu liefern oder herzustellen. Sie sind wie die Zusammenarbeit mit den Jobcentern oder wie die Gründung der „Freien Bürgerschule Wedding“ auf Dauer und Gemeinschaftbildung angelegt und angewiesen. Bevor feststeht, wofür oder wogegen man aktiv werden will, lernen sich die Bewohner eines Stadtteils oder einer Kommune erst einmal kennen und bauen Vertrauen zueinander auf. Die Macht der Beziehungen Am Montag auf der Seite „Die Gegenwart“ Große Koalition ganz klein: Ein Traktat über die alte deutsche Liebe zur Politik als Idyll. „Wir sind da!“ – Auf der Feier der Bürgerplattform in Moabit/Wedding Fotos Jens Gyarmaty Die Berliner „Bürgerplattformen“ ziehen Kreise. Wo nichts mehr zu laufen scheint, bringen sie wieder Bewegung in das Viertel. Politik und Verwaltung tun sich nicht immer leicht damit. Doch nun waren auch schon Klaus Wowereit und Angela Merkel zu Gast. Von Mechthild Küpper er Saal im „Moa“-Hotel in Berlin-Moabit ist riesig: Ob er die Versammlung einfach schluckt? Es geht früh los, aber langsam. Um Viertel vor sieben beginnen die Trommler von „Drum Attack“. Um zehn vor sieben bittet Suat Özkan, der mit Andrea Reimann vom Verein „Deutschsprachiger Muslimkreis“ durch den Abend führt, die Plätze einzunehmen und das Handy auszustellen. Fünf Minuten später treten die Jungen vom „Zirkus Internationale“ mit Jonglierkünsten auf. Die Leute begrüßen sich: Afrikaner, Asiaten, Türken, Araber, Deutsche, Junge, Alte. Zu essen und zu trinken gibt es nichts, obwohl es eine Party ist: Auf der Bühne und auf den Leinwänden spielt die Musik. Um drei Minuten nach sieben Uhr beginnt am Donnerstagabend das Programm. Vor fünf Jahren wurde „Wir sind da!“, die Bürgerplattform Wedding/Moabit, gegründet. Das wird gefeiert. Es sind Leute aus Köln und Hamburg gekommen, die auch eine solche Bürgerplattform gründen wollen. Neue Mitgliedsgruppen werden aufgenommen, ein Gruppenfoto wird gemacht, ein kurzer Film blickt zurück und zieht Bilanz. Pastor Sunny Akpan von der Weddinger „Jesus Miracle Harvest Church“ erzählt, dass in seiner Heimat, in Nigeria, Muslime und Christen nicht gerade innige Nachbarschaft pflegten, so wie seine Gemeinde und die HaciBayram-Moscheegemeinde von gegenüber es inzwischen tun: In den fünf Jahren der Arbeit in der Bürgerplattform haben sie erlebt, dass man trotz Unterschieden und Konflikten gut miteinander arbeiten kann, weil die anderen sich als „ganz normale Menschen wie ich“ entpuppen. „Wenn man etwas tut, kann man etwas bewegen, wenn man etwas bewegen kann, kann man etwas ändern“, sagt der Pastor. Zum festlichen Rückblick gehört der Bericht über ein erfolgreiches Bildungsprojekt: Lehramtsstudenten der Freien Universität und Studenten der BeuthHochschule für Technik unterrichten Schüler der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule. Im nächsten Wintersemester sollen die Unterrichtsstunden von 500 auf 1000 wachsen, berichtet der Vizepräsident. Doch nach vier Jahren „Wir sind da!“ fand die Bürgerplattform, dass „die Macht der Beziehungen“, die sie aufgebaut hatten, dazu reiche, um etwas Neues zu beginnen: Sie planen eine Schule, die „Freie Bürgerschule Wedding“. Wissenschaftler und Praktiker, eine eigene Arbeitsgruppe der Bürgerplattform, arbeiten am Schulprojekt. Eltern warten darauf. Der Antrag, die neue Schule zu genehmigen, ist eingereicht. Aber die Politik im Bezirk und in der Bildungsverwaltung des D Senats machte, als der Plan damals vorgestellt wurde, überdeutlich: Ihr habt uns gerade noch gefehlt. Für die erfolgreichen Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schulen in Wedding und Moabit schicken mochten und anfingen, Schulen zu gründen, rührte die Verwaltung keinen Finger. Trotzdem wimmelt es im feinen, wohlhabenden Teil des Bezirks inzwischen von Privatschulen. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob Berlins Sozialdemokraten es wagen, die türkischen, arabischen, asiatischen und afrikanischen Eltern und ihre Kinder so schnöde zu behandeln wie die Betuchten, die sich selbst helfen konnten. Noch fehlen Geld und ein Haus. Barbara John, die frühere Ausländerbeauftragte und Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, kam am Donnerstag mit einem dicken Scheck: 100 000 Euro gibt ihr Verband. Unternehmer, die „viel Glück im Leben“ hatten, wollen dazu beitragen, dass für einige Migrantenkinder die Verbindung von Glück und Bildungserfolg gelockert wird; sie spenden Geld für drei Schulplätze. 6000 Euro im Jahr kostet ein Platz an der Freien Bürgerschule Wedding. Geld für die 47 weiteren Plätze an der Schule wird schon gesammelt. Die Plattform hofft, dass die Verwaltung im nächsten Frühjahr die Genehmigung für die Schule erteilt und darauf verzichtet, Hürden gegen ihre Gründung zu errichten. Ein passendes Gebäude wird im Januar besichtigt. Die Schule wird keine Gebühren erheben, sondern „offen für alle“ sein, sie wird „von unten“ entstehen, also aus der Elternschaft, der Bürgerplattform und den von ihr herangezogenen Fachleuten, „die richtig Ahnung haben“, wie es hieß. Barbara John sagte es so: Die Bürgerschule verspreche jedem lernbe- geisterten Schüler, „was staatliche Schulen nicht gemacht haben“: einen Abschluss. In Sunny Akpans Gemeinde warten viele Familien auf die „Bürgerschule“, viele Eltern sind unzufrieden mit der Arbeit der staatlichen Schulen im Stadtteil. Mit hängenden Köpfen hatten vor einem Jahr einige hundert Menschen aus Wedding und Moabit den Hörsaal der Beuth-Hochschule verlassen. Christian Hanke und Mark Rackles, Bezirksbürgermeister von Mitte und Staatssekretär für Bildung (beide SPD), hatten klar gesagt, dass sie auf Hilfe bei der Schulgründung nicht zu hoffen brauchten. Ihr schönes Engagement sei „im System“ besser aufgehoben. Zu den beschämenden Zahlen – es gibt Gegenden in den beiden Stadtteilen, in denen fast 40 Prozent der Schüler die Schule abbrechen – sagten sie nichts. „Wir wollen etwas Großes bewegen“, hatte Lee Schneider, die aus New York stammende Pastorin der „Neuen Nazarethkirche Feste Burg“, damals gesagt. In diesem Herbst sind die Berliner Bürgerplattformen in bester Form zu erleben. Ihre Treffen mit den jeweils gefragten Entscheidungsträgern laufen wie am Schnürchen. Bürgerplattformen gehen ohnehin sorgsam mit Zeit um. Wenn auf den Einladungen steht: 19 bis 20.30 Uhr, kann man um 20.31 seinen Mantel vom Haken nehmen. Politiker und Direktoren kommen – etwa bei der Versammlung der Plattform „SO! Mit uns. Bürgerplattform Berlin-Südost“ in Adlershof im Oktober – und geben so verbindlich wie möglich Auskunft, was sie bis zum nächsten Treffen zusagen können. Als Schritte gegen die ungerechte Verteilung von Ärzten in Berlin erörtert wurden, waren die maßgeblichen Männer, der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung und Berlins Ge- sundheitssenator Mario Czaja (CDU), gekommen. Gegenüber der ärztlichen Selbstverwaltung besitzt der Senator zwar kein Weisungsrecht, doch nutzt er seine Möglichkeiten, die Standesvertreter zur Konzilianz zu bewegen. Im Südosten, im traditionsreichen Stadtteil Oberschöneweide, wo die AEG Berlins Ruf als „Elektropolis“ etablierte, fing die Geschichte der Bürgerplattformen an. Nach dem Ende der DDR brach der Industriestandort zusammen, die großen alten Hallen an der Spree standen leer. Dass sie mit viel Geld denkmalgerecht saniert wurden, machte damals niemanden froh, denn neue Nutzer, die in den alten Gebäuden neue, zukunftsfestere Produktionen ansiedeln mochten, stellten sich nicht ein. Die Leute in Oberschöneweide waren arbeitslos – und, was schlimmer war, auch perspektivlos. Läden standen leer, Vandalismus machte sich breit, Depression regierte. och während sich noch schnöselige West-Berliner über „Oberschweineöde“, das sie zumeist nie betreten hatten, lustig machten, begannen 1999 und 2000 die ersten Sondierungen für die Gründung einer Bürgerplattform. 13 Gruppen – Kindergärten, Schulen, Vereine, Gemeinden – gründeten damals die Plattform und stellten einen hauptberuflichen „Organizer“ ein. Berlin hörte plötzlich ganz andere Nachrichten aus Südost: „Menschen verändern ihren Kiez – Organizing Schöneweide“ hieß die Truppe. Schon zwei Jahre nach der offiziellen Gründung konnte sie einen spektakulären Erfolg verbuchen: Der Senat stimmte der Ansiedlung der weit verstreut arbeitenden Hochschule für Technik und Wirt- D schaft in Schöneweide zu, elf Millionen Euro wurden lockergemacht. Am Ende stellte die Ansiedlung der Hochschule eine Investition von über hundert Millionen Euro dar. Sie hat sich gelohnt. Nun ist wieder Leben zwischen Wilhelminenhofstraße und Spree. 8000 Studenten und hundert Mitarbeiter bringen Urbanität in den Stadtteil. Kleine Schritte bringen große Wirkung: 2007 wurde der „Kaisersteg“ wiederhergestellt, eine Fußgängerbrücke über die Spree, und allmählich öffnet sich das Spreeufer für Fußgänger und Radfahrer. Vor drei Jahren trieb die Bürgerplattform 150 000 Euro für die Kofinanzierung eines „Regionalmanagements“ auf, das im Jahr darauf die Arbeit aufnahm. Die spektakulärste Ansiedlung ist jungen Datums: Der Rockstar Bryan Adams kaufte die Hallen eines Transformatorenwerkes in Schöneweide. Bald soll noch ein Studentenwohnheim gebaut werden, Cafés etablieren sich. „Sind Sie so eine Art Missionar?“, wurde Leo Penta gefragt. Nein, sagte er und bezeichnete sich als „Innovator“, der eine „Marktlücke“ gesehen habe. Penta, 1952 in New York geboren, kam 1996 nach Berlin, als Hochschullehrer an die Katholische Hochschule für Sozialwesen in Karlshorst. „Community Organizing“ hatte er als junger Priester in einem damals wüsten Viertel im Osten von Brooklyn kennengelernt, dort hatte er erfahren, was Bürger gemeinsam erreichen können. Wo Drogen und Aids gewütet hatten, stehen heute 3000 solide finanzierte kleine Häuser mit Gärten. Sie werden „Nehemiah Homes“ genannt, nach dem Propheten des Alten Testaments, der das zerstörte Jerusalem wiederaufbaute. Und weil sie so solide finanziert waren, haben sie alle Krisen gut überstanden. Penta, der in den Vereinigten Staaten, Österreich und Links die ehemaligen AEG-Fabrikhallen in Oberschöneweide; rechts bereiten Yolanda Arias und die Bürgerplattform das Jubiläum in Moabit vor. Erst dann, wenn „die Macht der Beziehungen“ gefestigt ist, einigen sie sich auf Arbeitsschwerpunkte – ob sie, wie im Südosten, an Verbesserungen der Verkehrslage und für Ansiedlungen mit Arbeitsplätzen kämpfen oder ob sie, wie „Wir sind da!“ in Moabit/Wedding, dem Jobcenter dabei behilflich sind, „vom größten zum besten“ zu werden, und gleichzeitig im staatlichen Schulwesen wie als Privatschulgründer an besserer Schulbildung für regelmäßig benachteiligte Kinder arbeiten. „Wir sind da!“ hat deswegen zwei Organizerinnen, Yolanda Arias begleitet die Schulgründung. In Neukölln kooperiert die Bürgerplattform WIN, „Wir in Neukölln“, mit dem Jobcenter, der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer, um jungen Erwachsenen zu helfen, eine Ausbildung zu beenden. „Ohne Ausbildung wird man ausgebeutet“, sagte einer von ihnen im Frühjahr. Über die jeweils 30 bis 40 Gruppen, aus denen eine Plattform besteht, sind in Berlin gegenwärtig etliche zehntausend Menschen an deren Vorhaben beteiligt. Als die Plattformen in Wedding/Moabit und in Neukölln gegründet wurden, kamen jeweils etwa 1000 Leute; Platzanweiser sorgten dafür, dass es pünktlich losgehen konnte. „Irgendwie amerikanisch“, raunte ein Mann seinem Nachbarn zu. „So viele Kirchen“, staunte einer bei einer anderen Versammlung. Wer im angeblich gottlosen Berlin dachte, es gebe eine katholische und eine evangelische Kirche, lernt in den Treffen der Bürgerplattformen, wie viele verschiedene, äußerst aktive Kirchen und Gemeinden es in der Stadt gibt. Und er versteht, dass viele Einwanderer fromm sind, oft frommer als der reguläre Berliner von heute. Der Kontrast zur ausufernden Politikerschelte und zu Monologen, die viele „Basiskonferenzen“, Elternabende und Treffen von Bürgerinitiativen zur Qual machen können, ist groß. Die straffe Organisation der großen Treffen erfordert den Gastgebern äußerste Disziplin in der Vorbereitung ab. Schließlich haben sowohl Politiker als auch engagierte Bürger viel zu tun. Die eigentliche Arbeit, die vielen Gespräche, findet ohnehin nicht auf der Bühne statt. Die Themen sind vereinbart, die Gäste eingeweiht, die Rollen klar verteilt, die Fragen lange vorbereitet. Wenn Zusagen am Ende per Unterschrift auf einem großen Plakat besiegelt werden, ist „amerikanisch“ gleichbedeutend mit „pragmatisch“ und für alle „verbindlich“. Anders als in der innenpolitischen Debatte üblich urteilen Bürgerplattformen nicht über ihre Mitglieder. Wer mitarbeiten – und den hauptberuflich arbeitenden „Organizer“ mitbezahlen – will, soll es dürfen, ohne Vorbehalte. Gute Absichten werden zunächst beim Wort genommen. Mag die islamische Organisation Milli Görüs auch im Bericht des Verfassungsschutzes auftauchen. Wenn eine ihrer Neuköllner Moscheegemeinden bei „WIN“ mitarbeiten will, kann sie das. Dass er in seinem Leben weiterhin „gut vorankommen“ möge, wünschte Penta im Frühjahr einem Neuköllner Jungen auf der Bühne. Derartige Wünsche wird er in einem Stadtteil, der unter den Klischees über seine Bewohner und Sitten zu leiden hat, nicht hören. Prominenz kommt inzwischen zu den Bürgerplattformen. Klaus Wowereit war mehrfach zu Besuch, auch die Berliner Wirtschaftssenatoren, ob sie nun, wie Harald Wolf, der Linkspartei oder, wie Cornelia Yzer, der CDU angehören, ließen sich blicken. Angela Merkel ließ sich von Penta und seiner Stellvertreterin, Susanne Sander, über Bürgerplattformen unterrichten. Der damalige amerikanische Botschafter Philip Murphy war zu Gast bei „Wir sind da!“. Schließlich hat Barack Obama, wie inzwischen sattsam bekannt, zu Beginn seiner Laufbahn als Organizer in Chicago gearbeitet.