urhebervergütung im digitalen zeitalter
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urhebervergütung im digitalen zeitalter
Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz URHEBERVERGÜTUNG IM DIGITALEN ZEITALTER DER INTERNATIONALE FORSCHUNGSSTAND Berlin, 14. April 2016 Christian Handke Assistant Professor, Erasmus University Rotterdam Email: [email protected] Internet: www.eshcc.eur.nl/handke Erasmus University Rotterdam ESHCC Woudestein, Van der Goot Building Room M7-18 P.O. Box 1738 NL-3000 DR Rotterdam Niederlande Handke Urhebervergütung EXECUTIVE SUMMARY Thema: Wie können Urheber effizient vergütet werden? Wie eine angemessene Vergütung von Kreativen und Verwertern sichergestellt werden kann, ist seit langem umstritten. Es ist vielfach belegt, dass unautorisiertes, digitales Kopieren die Einnahmen von Rechteinhabern verringern kann (auch wenn dieser Befund und das Ausmaß der Einnahmerückgänge weiterhin kontrovers diskutiert werden). Mittlerweile sind eine Reihe unterschiedlicher Maßnahmen erprobt worden, um die Position von Rechteinhabern in diesem Zusammenhang zu verbessern. Diese Studie fasst die empirischen Ergebnisse zur Wirkung solcher Maßnahmen zusammen. Ziel dieser Literaturübersicht Es gibt unterschiedliche Ansätze, ein effizienteres Urheberrechtssystem im digitalen Zeitalter zu entwickeln. Diese Literaturübersicht diskutiert empirische Forschungsergebnisse zu den Vor- und Nachteilen verschiedener Maßnahmen. Sie fasst vor allem die englischsprachige Fachliteratur zusammen. So sollen Entscheidungsträgern in der deutschen Urheberrechtspolitik umfassende und komprimierte Informationen über den aktuellen, internationalen Forschungsstand an die Hand gegeben werden. Vorgehen: Von Einzelergebnissen zu einer Gesamtbewertung Insgesamt bezieht sich diese Literaturübersicht auf 169 Quellen, von denen die meisten akademische Veröffentlichungen sind. Praktisch alle empirischen Studien zum Themengebiet behandeln einzelne Aspekte der Wirkung des Urheberrechtsschutzes. Um empirische Ergebnisse bezüglich ihrer Aussagekraft und Bedeutung für die Urheberrechtspolitik zu bewerten, ist es notwendig, sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen und miteinander in Bezug zu setzen. Abschnitt II entwickelt dafür den wohlfahrtsökonomischen Rahmen. Tabelle 1 gibt einen Überblick der vorrangigen Effekte des Urheberrechtsschutzes, die bei der Bewertung unterschiedlicher Handlungsoptionen berücksichtigt werden müssen. Tabelle 1: Vor- und Nachteile des Urheberrechtsschutzes Vorteile Kurzfristig Höhere Entlohnung von Rechteinhabern Nachteile Zugangskosten für Nutzer Verwaltungskosten für die öffentliche Hand Transaktionskosten beim Handel mit Rechten Langfristig Höhere Innovationsanreize für Rechteinhaber Geringere Innovationsanreize für Nutzer i Handke Urhebervergütung Aus ökonomischer Sicht ist der Urheberrechtsschutz ein kostspieliges Mittel, um das Angebot neuer kreativer Werke zu fördern. Allerdings hat sich die empirische Literatur bisher vorwiegend auf die Wirkung urheberrechtlicher Maßnahmen auf die Einnahmen von Rechteinhabern konzentriert. Grundlegende mikroökonomische Theorie sagt voraus, dass das Angebot steigt, wenn Rechteinhaber höhere Einnahmen erzielen können, etwa durch einen stärkeren Urheberrechtsschutz. Damit könnten auf lange Sicht auch Verbraucher von einem angemessenen Urheberrechtsschutz profitieren. Es ist jedoch umstritten, ob dies in der Praxis tatsächlich erreicht wird. Diese Studie führt in Abschnitt II auch weiterführende Wirkungen und Komplikationen des Urheberrechtes auf, die in der ökonomischen Literatur diskutiert werden. Abschnitt III beschreibt kurz die Auswahl und Bewertung der empirischen Quellen. Abschnitt IV umreißt den empirischen Kenntnisstand zur Wirkung unautorisierten, digitalen Kopierens. Der Kern dieser Literaturübersicht findet sich in den Abschnitten V bis VII: Dort werden drei grundsätzlich verschiedene Ansätze diskutiert, eine gesamtgesellschaftlich adäquate Urhebervergütung zu erreichen. Für diese drei Schwerpunktthemen werden 34 empirische Arbeiten ausführlicher vorgestellt und bewertet. Alle verfügbaren Studien beschäftigen sich mit den Märkten für Musikaufnahmen oder für Filme und TV-Serien. Der Abschnitt VII enthält einen systematischen Vergleich der verschiedenen Handlungsoptionen in der Urheberrechtspolitik ökonomischer Sicht. Abschnitt VIII präsentiert das Fazit. Schwerpunkthemen: Drei Ansätze zur besseren Vergütung von Kreativen 1. Entwicklung kommerzieller, legaler Angebote Anpassungen von Preis- und Veröffentlichungsstrategien oder zum Beispiel Crowdfunding könnten es Rechteinhabern ermöglichen, ihre Probleme mit unautorisiertem Kopieren zu verringern. In der Praxis scheint dies bestenfalls zu Teilerfolgen geführt zu haben. Vielversprechend erscheinen derzeit autorisierte Internetplattformen (wie das iTunes Store, YouTube oder Spotify), die eine sehr umfassende Zahl an Werken über einen einzigen Anbieter zugänglich machen und Rechteinhaber an den Einnahmen beteiligen. Sowohl werbefinanzierte Online-Angebote als auch Abonnementdienste haben in den letzten Jahren eine große Zahl an Nutzern gewonnen. Es gibt deutliche Hinweise, dass es diesen Internetplattformen über ein günstiges Preis-Leistungsverhältnis gelungen ist, relativ gut mit unautorisierten Angeboten wie Tauschbörsen zu konkurrieren. Allerdings fallen bisher die Zahlungen vieler Plattformen an Rechteinhaber bescheiden aus (auch wenn man berücksichtigt, dass die Vermarktungskosten für Rechteinhaber bei der Verbreitung über Plattformen sinken). Plattformbetreiber sind profitorientierte Unternehmen, und es ist wahrscheinlich, dass sie aufgrund von Größenökonomien und Netzwerkeffekten Marktmacht entwickeln. Ein Wettbewerbsvorteil für große Plattformen ist zum Beispiel der Zugang zu umfangreichen Daten, die sie exklusiv verwerten können. Es nutzt Rechteinhabern wenig, wenn mehr Verbraucher zahlende Kunden werden (oder sich Werbeeinnahmen aus der Verbreitung kreativer Werke erhöhen), aber marktmächtige intermediäre Unternehmen sich den Löwenanteil dieser Einnahmen sichern. Es ist zweifelhaft, ob Internet-Plattformen verlässlich eine nachhaltige Vergütung von Urhebern und sonstigen Rechteinhabern hervorbringen. 2. Durchsetzungsmaßnahmen des Urheberrechts Eine naheliegende Reaktion auf vielfaches, unautorisiertes Kopieren ist es, mit höherem Aufwand für die Durchsetzung exklusiver Rechte zu sorgen. Abmahnungen von Verbrauchern und Webseitensperrungen sind in den letzten Jahren vielfach eingesetzt worden. Im Zusammenhang mit Abmahnungen sind Musikverkäufe in Schweden und Frankreich teilweise erheblich gestiegen. Die Ergebnisse schwanken zwischen keinem signifikanten Effekt und einer ii Handke Urhebervergütung 46%igen Steigerung der digitalen Musikverkäufe. Für Filmverkäufe ist dagegen bisher keine Wirkung von Abmahnungen auf Einnahmen der Rechteinhaber beobachtet worden. Die relativ große Zahl an kostenpflichtigen Abmahnungen in Deutschland ist bisher überhaupt noch nicht ökonometrisch auf ihre Wirksamkeit untersucht worden. Generell entsteht ein hoher Aufwand, wenn durch Abmahnungen von Haushalten das Verhalten von Millionen von Internetnutzern effektiv beobachtet und beeinflusst werden soll. Zudem können Verletzungen der Privatsphäre auftreten. Webseitensperrungen haben laut einer Studie in einer Reihe von Ländern zu ca. 8% mehr digitalen Verkäufen von Filmen und 7% mehr digitalem Verleih geführt. Andere Studien finden praktisch keinen Effekt, und dies gilt auch für die Sperrung von kino.to in Deutschland. Verbraucher scheinen relativ schnell auf alternative, unautorisierte Online-Angebote umzusteigen. Eine vollständige Unterdrückung unautorisierter Angebote scheint bisher zu aufwändig. 3. Alternative Vergütungssysteme Angesichts der Schwierigkeiten mit der Durchsetzung exklusiver Rechte sind alternative Vergütungssysteme untersucht worden, die nicht auf die Kontrolle über die Nutzung von Werken abzielen, sondern auf eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber bei unautorisierter Nutzung. Die ‚Kulturflatrate’ ist ein Beispiel für ein Vergütungssystem, das Internetnutzern gegen Zahlung einer Gebühr erlauben würde, geschützte Werke auch ohne explizite Zustimmung von Rechteinhabern herunterzuladen (oder auch hochzuladen). Ein solches Vergütungssystem ist noch nicht erprobt worden, so dass nur Umfrageergebnisse vorliegen. Zwei Studien diskutieren die Höhe einer für Rechteinhaber angemessenen Vergütung. Relativ geringe monatliche Gebühren von ca. 1,75 Euro pro Haushalt mit einem BreitbandInternetanschluss würden zum Beispiel in den Niederlanden genügen, um die gesamten Einnahmen von Rechteinhabern aus der derzeitigen Vermarktung von Musikaufnahmen zu übertreffen. In Deutschland würden anscheinend monatlich 14,70 Euro pro Breitband-Anschluss ausreichen, um ein Einkommen für Rechteinhaber von Musikaufnahmen, Filmen und Büchern zu erzeugen, das theoretisch erzielt würde, wenn ‚Piraten‘ die derzeit üblichen Preise für Nutzungslizenzen zahlten. Zwei Studien betrachten den Wert, den ein Vergütungssystem für Verbraucher hätte. In Deutschland scheinen 61% der Verbraucher bereit, im Schnitt etwa 16 Euro pro Monat für ein Vergütungssystem zu zahlen, das Musik, Filme und TV-Sendungen umfasst. Eine technisch ambitionierte Studie für die Niederlande findet eine durchschnittliche Zahlungsbereitschaft von 9,20 Euro monatlich pro Haushalt allein für ein Musik-Vergütungssystem - mehr als fünfmal der Umsatz, der in den Niederlanden derzeit pro Haushalt mit physischen und digitalen Verkäufen von Musikaufnahmen erzielt wird. Vergleicht man die Ergebnisse zur durchschnittlichen Zahlungsbereitschaft von Verbrauchern mit der zur Entschädigung von Rechteinhabern nötigen Gebührenhöhe, ergibt sich bei angemessener Preissetzung ein klarer Wohlfahrtsgewinn für diese beiden Gruppen. Ein Vergütungssystem, das für Verbraucher mit Internet-Anschluss verbindlich wäre, würde allerdings viele Verbraucher mit geringer Zahlungsbereitschaft schlechter stellen. Zudem wäre es langfristig kaum möglich, die Gebührenhöhe an Veränderungen der Angebotsqualität und der Nachfrage anzupassen. Eine Studie betrachtet daher für die Niederlande auch ein für Verbraucher freiwilliges Musik-Vergütungssystem. Bei einer monatlichen Gebühr von 5 Euro würden 44,6% freiwillig teilnehmen, und es ergeben sich noch günstigere Wohlfahrtseffekte als bei verbindlicher Teilnahme für alle privaten Internet-Nutzer. Ein langfristig nachhaltiges Vergütungssystem setzt allerdings eine Verteilung der Einnahmen unter Rechteinhabern voraus, die möglichst präzise der tatsächlichen Nutzung der Werke entspricht. iii Handke Urhebervergütung Wichtigste Ergebnisse Abschnitt VIII vergleicht die Stärken und Schwächen verschiedener Ansätze zur Urhebervergütung und zwar: 1. Durchsetzungsmaßnahmen - Digitales Rechtemanagement (DRM) und End-User License Agreements (EULA) - Abmahnungen durch private Akteure - Abmahnungen durch die öffentlichen Behörden - Webseitensperrungen 2. Private, autorisierte Plattformen zur Online-Verbreitung kreativer Werke, wie Amazon, YouTube, der iTunes Store, Spotify, oder Netflix 3. Vergütungssysteme - mit obligatorischer Teilnahme von Internetnutzern - mit freiwilliger Teilnahme von Internetnutzern Wesentliche Aspekte der Bewertung werden auf den Seiten 49 und 50 in einem Matrixdiagramm zusammengefasst. >> Unter den Durchsetzungsmaßnahmen sind Abmahnungen am wirksamsten, aber auch am aufwändigsten. << Unter den verschiedenen Durchsetzungsmaßnahmen haben sich der empirischen Literatur zufolge Abmahnungen von Verbrauchern am ehesten als wirksames Mittel erwiesen, die Einnahmen von Rechteinhabern zu steigern. Sie gehen allerdings mit erheblichen Transaktionskosten einher, bzw. mit erheblichen Verwaltungskosten für die öffentliche Hand bei Abmahnungen durch öffentliche Behörden. Zudem ergeben sich bei allen Durchsetzungsmaßnahmen ausgeprägte Anreizprobleme für beteiligte Unternehmen (bei denen eigennütziges Verhalten dem gemeinschaftlichen Interesse zuwiderläuft) und Informationsprobleme (mit der Folge, dass die Preisfindung und Ausgestaltung von Leistungen nicht mehr durch effiziente Marktmechanismen erfolgt). >>Kommerzielle Internet-Plattformen generieren bisher oft geringe Einnahmen für Rechteinhaber und drohen Marktmacht zu entwickeln.<< Privaten, autorisierten Plattformen gelingt es, neue Einnahmequellen durch die Vermarktung kreativer Werke zu entwickeln. Attraktive, autorisierte Angebote könnten ‚Piraterie‘ für viele Verbraucher ersetzen, auch wenn hierfür wenige systematische Belege vorliegen. Allerdings verringert die bestehende Konkurrenz durch unautorisierte Angebote wahrscheinlich die Einnahmen aus der Vermarktung autorisierter Leistungen. Vor allem werden die Ausschüttungen an Rechteinhaber gering ausfallen, falls Plattformen Marktmacht entwickeln. Bei Abonnementdiensten und der werbefinanzierten Verbreitung von geschützten Werken werden oft nur geringe Einnahmen für Rechteinhaber generiert. Darüber hinaus bestehen starke Anreize zu wettbewerbswidriger Kollusion zwischen Plattformen, großen Rechteinhabern und Internet Service Providern (ISP). Verträge zwischen den beteiligten Unternehmen werden in der Regel geheim gehalten, was einen effektiven Wettbewerb sowie eine Wettbewerbsaufsicht erschwert. >> Vergütungssysteme liegen im Gesamtvergleich nach vielen Kriterien vorn. << Umfrageergebnissen zufolge wären Vergütungssysteme unter derzeitigen Marktbedingungen das effektivste Mittel, die Einnahmen von Rechteinhabern zu steigern. Ein für Internetnutzer obligatorisches Vergütungssystem hätte aber erhebliche Nachteile. Zum einen wäre es bei einem solchen System extrem schwierig, die effiziente Gebührenhöhe zu ermitteln. Zum anderen würden iv Handke Urhebervergütung viele Verbraucher mit geringer Zahlungsbereitschaft schlechter gestellt, auch wenn sich die Wohlfahrt von Verbrauchern insgesamt erhöhte. Hingegen wäre ein für Internetnutzer freiwilliges Vergütungssystem in diesen beiden Punkten überlegen. Es gäbe keine Verlierer unter den Verbrauchern, und die Ermittlung der Gebührenhöhe ließe sich eher nach Marktmechanismen ausrichten. Allerdings ist zu erwarten, dass ein freiwilliges Vergütungssystem geringere Gesamteinnahmen für Rechteinhaber erzeugen würde als ein obligatorisches. Für Verbraucher, die nicht teilnähmen, würden zudem die derzeitigen Probleme mit der Rechtsdurchsetzung fortbestehen. In jedem Fall fielen bei Einführung jedweder Art von Vergütungssystem erhebliche Umstellungskosten für den bestehenden digitalen Einzelhandel an. Nichtsdestotrotz schneiden Vergütungssysteme nach vielen Bewertungskriterien besser ab als sonstige Maßnahmen. Durch Vergütungssysteme scheint es am ehesten möglich, die Einnahmen der Rechteinhaber zu erhöhen, ohne Verbraucher schlechter zu stellen. Verglichen mit den sonstigen Ansätzen scheinen zudem die anfallenden Transaktions- und Verwaltungskosten eher niedrig. Auch Anreiz- und Informationsprobleme sollten bei Vergütungssystemen relativ gering ausfallen, wenn eine effektive staatliche Regulierung analog zu den bestehenden Verwertungsgesellschaften sichergestellt wird. Allerdings besteht aufgrund der fehlenden praktischen Erprobung von Vergütungssystemen auch die größte Unsicherheit bei diesem Ansatz. Fazit: Neue Lösungen erproben und auswerten Durch technische Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung scheinen zurzeit große Produktivitätszuwächse in den Urheberrechtsbranchen möglich. Dabei macht es die Digitalisierung gleichzeitig für viele Akteure unausweichlich, Innovation zu betreiben und mit großer Unsicherheit umzugehen. Das Urheberrechtssystem sollte dies erleichtern, indem es Kreativen und kommerziellen Nutzern mehr Rechts- und Planungssicherheit bietet. Das wird angesichts der Diskrepanz zwischen rechtlicher Definition ausschließlicher Rechte und massenhafter, unautorisierter Nutzung nur bedingt erreicht. Gleichzeitig bedarf es oft zahlreicher und langwieriger Verhandlungsprozesse, um zu einer Übereinkunft mit Rechteinhabern oder Verwertungsgesellschaften für neue Verbreitungsmethoden und Nutzungsarten zu kommen, wenn dies überhaupt gelingt. Es besteht die Gefahr, das schlechteste aus beiden Welten zu bekommen: einerseits de facto einen geringen Schutz für Rechteinhaber und möglicherweise geringe Anreize, in neue kreative Werke zu investieren; andererseits hohe Hürden für die Entwicklung autorisierter und innovativer Verbreitungsmethoden. Die Rechtssicherheit ließe sich durch effektive Durchsetzungsmaßnahmen erhöhen. Dies hat sich aber als sehr kostspielig erwiesen und ist in der Praxis mehrfach gescheitert. Sowohl die Rechts- und Planungssicherheit als auch die Geschwindigkeit, mit der neue Formen der Nutzung und Verbreitung legal möglich werden können, ließen sich durch umfassendere Standardisierung von Nutzungsbedingungen und Bündelung von Transaktionen verbessern. Dies scheint auch das Bestreben der Richtlinie 2014/26/EU ‚über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung‘ zu sein. Es ist aber zweifelhaft, ob Rechteinhaber profitieren, wenn Standards zunehmend durch marktmächtige, profitorientierte Plattformen wie Amazon, YouTube oder Spotify gesetzt werden. Hier bieten Vergütungssysteme unter Mitwirkung staatlich regulierter und nicht profitorientierter Verwertungsgesellschaften eine Alternative, die anhand der verfügbaren empirischen Untersuchungen zu diesem Zeitpunkt für einige Urheberrechtsbranchen vielversprechend erscheint. Alles in allem bietet die empirische Literatur bereits zahlreiche Hinweise, wie sich eine höhere Entlohnung von Rechteinhabern annähern ließe, ohne exzessive Kosten und unbeabsichtigte weitere Folgen zu verursachen. Allerdings sind vier kritische Punkte zu beachten: v Handke Urhebervergütung (1) Die Literatur ist nicht ausgewogen. Der Großteil der Literatur konzentriert sich auf die Einnahmen von Rechteinhabern und zunehmend auf Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung. Eine Anpassung der Urheberrechtsbranchen, die langfristig etwaige Probleme mit digitalem Kopieren abschwächen könnte, sowie Verbraucherinteressen sind bislang weniger untersucht worden. Vor allem die Wirkung auf das Angebot neuer kreativer Werke ist selten in Betracht gezogen worden, obwohl hier die eigentliche Zielgröße einer ökonomisch begründeten Urheberrechtspolitik liegt. (2) Im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen sind für die Urheberrechtsbranchen nur wenige gut dokumentierte Daten erhältlich. Zudem sind viele Datensätze von interessierten Parteien selbst zusammengestellt worden. Das erschwert eine gründliche und stichhaltige Bewertung der Wirkung des Urheberrechtssystems. (3) Es besteht eine weite Streuung der Ergebnisse selbst für sehr ähnliche Fragestellungen. So bleibt es zum Beispiel umstritten, inwieweit unautorisiertes, digitales Kopieren Rechteinhaber schadet, oder ob spezifische Durchsetzungsmaßnahmen unautorisiertes Kopieren zurückdrängen und die Einnahmen von Rechteinhabern erhöhen. Dies ist wahrscheinlich auch in Messschwierigkeiten und einer unbefriedigenden Datenlage begründet. (4) Außerdem deckt die empirische Literatur nur einen kleinen Teil der Urheberrechtsbranchen ab. Der größte Teil behandelt die Musikindustrie und die Filmwirtschaft. Andere Bereiche wie Nachrichten, Videospiele, Bürosoftware oder wissenschaftliche Arbeiten sind praktisch nicht untersucht worden. Das spiegelt nicht die wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser Branchen wider. Die enge Fokussierung auf bestimmte Branchen macht es fragwürdig, aus den bestehenden empirischen Ergebnissen allgemeine Schlüsse auf das Urheberrecht und seine Wirkung jenseits der Musikindustrie und Filmwirtschaft zu ziehen. Die Literatur macht deutlich, dass große Wissenslücken und Unsicherheiten bestehen. Prinzipiell spricht das dagegen, derzeit dauerhafte und für alle Urheberrechtsbranchen gültige Lösungen festzuschreiben. Stattdessen scheint es sinnvoller, Neuerungen zu erproben und auszuwerten, um so eine sukzessive und evidenzbasierte Anpassung an veränderliche Marktbedingungen zu ermöglichen. Besonders eine Erprobung von Vergütungssystemen scheint derzeit sinnvoll, vor allem im Markt für Musikaufnahmen. vi Handke Urhebervergütung INHALTSVERZEICHNIS I. Einführung 1 II. Theoretischer Hintergrund 3 II.1 Grundlagen der ökonomischen Perspektive 3 II.2 Wohlfahrtsökonomik 4 II.3 Innovationsförderung als Ziel des Urheberrechts und die Notwendigkeit einer langfristigen Betrachtung 6 II.4 Transaktionskosten 7 II.5 Zusammenfassung und Übersicht 8 II.6 Weiterführende Aspekte der ökonomischen Analyse 9 II.6.1 Technologischer Wandel 9 II.6.2 Unsicherheit und Sampling 10 II.6.3 Inhalt-Erzeugung und technologische Innovation 10 II.6.4 Intrinsische Motivation und Nutzerinnovation 11 II.6.5 Branchenstruktur und Marktmacht 11 III. Auswahl und Interpretation der empirischen Studien 13 III.1 Verknüpfung von Theorie und Empirie 13 III.2 Auswahlkriterien für die Literatur 14 III.3 Bewertung einzelner Studien 14 IV. Die Wirkung unautorisierten Kopierens: Die empirische Literatur IV.1 Wirkung auf Einnahmen der Rechteinhaber 16 16 IV.1.1 Tauschbörsen und Einnahmen der Musikindustrie 16 IV.1.2 Tauschbörsen und Einnahmen der Filmwirtschaft 17 IV.1.3 Zusammenfassung und sonstige Urheberrechtsbranchen 17 IV.2 Die Position der Verbraucher 18 IV.2.1 Kurzfristige Wirkung 18 IV.2.2 Langfristige Wirkung 18 IV.3 Die Wirkung rechtlicher Maßnahmen 20 IV.4 Verwaltungs- und Transaktionskosten 21 IV.5 Urheberrechtsschutz, Industriestruktur und Wettbewerb 21 IV.5.1 Industriestruktur und Wettbewerb 21 IV.5.2 Wettbewerb und Innovation 22 IV.5.3 Wettbewerb zwischen Anbietern kreativer Werke 22 IV.5.4 Unautorisiertes Kopieren und IKT Anbieter 23 IV.6 Zusammenfassung 24 i Handke Urhebervergütung V. Erstes Schwerpunktthema: Anpassung an digitales Kopieren durch Entwicklung legaler Angebote 25 V.1 Grundlegende Marktbedingungen 25 V.2 Preis- und Veröffentlichungsstrategie 26 V.3 Ausnutzen von Netzwerkeffekten und Verkauf ausschließbarer, komplementärer Leistungen 27 V.4 Vorfinanzierung durch Crowdfunding 27 V.5 Internet-Plattformen: Lösung für die Kopierproblematik und Bedrohung für den Wettbewerb? 28 Empirische Literatur zum ersten Schwerpunktthema VI. Zweites Schwerpunktthema: Durchsetzungsmaßnahmen von Urheberrechten 30 31 VI.1 Unterschiedliche Ansätze zur Rechtsdurchsetzung 31 VI.2 Empirische Ergebnisse 33 VI.2.1 Digital Rights Management (DRM) und End-User License Agreements (EULA) 34 VI.2.2 Abmahnungen privater Haushalte 34 VI.2.3 Rechtliche Schritte gegen Tauschbörsen und File-Hoster 37 Empirische Literatur zum zweiten Schwerpunktthema 40 VII. Drittes Schwerpunktthema: Vergütungssysteme 42 VII.1 Vor- und Nachteile von Vergütungssystemen 42 VII.2 Empirische Ergebnisse 43 Empirische Literatur zum dritten Schwerpunktthema 46 VIII. Stärken und Schwächen der in den Schwerpunktthemen behandelten Optionen aus wohlfahrtsökonomischer Sicht 47 IX. Fazit 51 Literaturverzeichnis 55 TABELLEN Tabelle 1: Vor- und Nachteile des Urheberrechtsschutzes Tabelle 2: Wirksamkeit und weitere Konsequenzen verschiedener Maßnahmen zur Vergütung von Rechteinhabern 8 49 ii Handke Urhebervergütung - Einführung URHEBERVERGÜTUNG IM DIGITALEN ZEITALTER DER INTERNATIONALE FORSCHUNGSSTAND I. EINFÜHRUNG1 Die Verbreitung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) verändert Urheberrechtsbranchen schnell und weitreichend. Die Entwicklung hat viele positive Aspekte: geringere Produktionskosten, neue Möglichkeiten kreativen Ausdrucks oder die leichtere Verbreitung reproduzierbarer Werke. Allerdings sind auch erhebliche Herausforderungen entstanden. Vor allem werden urheberrechtlich geschützte Werke vielfach unautorisiert vervielfältigt und verbreitet. Die Urheberrechtspolitik sollte eine nachhaltige Entwicklung der Urheberrechtsbranchen ermöglichen. Es ist seit Jahren umstritten, in welcher Form das Urheberrecht an Veränderungen mit der Digitalisierung angepasst werden sollte, um dieses Ziel zu erreichen. (Im gesamten Text werden der Einfachheit halber mit dem Begriff Urheberrecht auch die verwandten Leistungsschutzrechte bezeichnet.) Eine Vielzahl akademischer Veröffentlichungen bietet Hinweise auf die Wirkung verschiedener Aspekte von Urheberrechtssystemen. Diese Literaturübersicht gibt einen Überblick über die empirischen Forschungsergebnisse zu den Vor- und Nachteilen verschiedener Lösungsansätze für ein effizientes Urheberrechtssystem im digitalen Zeitalter. Die Zielsetzung dieses Berichts lässt sich wie folgt zusammenfassen: Relevante empirischökonomische Forschungsergebnisse sollen zugänglich aber präzise zusammengefasst und bezüglich ihrer Relevanz für die Urheberrechtspolitik bewertet werden. Der Fokus liegt auf der empirischen und englischsprachigen Fachliteratur, die versucht kausale Zusammenhänge mit möglichst allgemeiner Gültigkeit festzustellen, um bessere Vorhersagen zu den Folgen verschiedener Handlungsoptionen zu machen. Rein theoretische oder deskriptive Arbeiten werden nur am Rande betrachtet. Entscheidungsträgern in der deutschen Urheberrechtspolitik soll dieser Text helfen, sich über den aktuellen, internationalen Forschungsstand zu informieren und ein eigenes Urteil zur Bedeutung empirischer Evidenz für ihr Aufgabengebiet zu bilden. Dieser Bericht legt besonderes Augenmerk auf politikrelevante Ergebnisse, die einen direkten Bezug auf derzeitige Handlungsoptionen deutscher Entscheidungsträger haben. Entsprechend werden drei Schwerpunktthemen gesetzt: (1) Entwicklung kommerzieller, legaler Angebote; (2) Durchsetzungsmaßnahmen des Urheberrechts; (3) alternative Vergütungssysteme. 1 Teile dieses Berichts basieren auf vorherigen Veröffentlichungen des Autors, die ins Deutsche übersetzt, erweitert und aktualisiert werden. Im Einzelnen sind diese Quellen Handke (2010a), Handke (2011a), Handke et al. (2013), Handke (2015), Handke et al. (2015a) und Handke et al. (2015b). 1 Handke Urhebervergütung - Einführung Es ist empirisch hinreichend gut dokumentiert, dass die Verbreitung digitaler Kopiertechnologie die Einnahmen von Rechteinhabern verringern kann (siehe zum Beispiel Handke 2011a; Liebowitz 2013; Danaher et al. 2013). Diese Literaturübersicht diskutiert, welche Maßnahmen geeignet sind, um Urheber und Rechteinhaber in diesem Zusammenhang zu schützen und angemessene Anreize für die Produktion werthaltiger Werke zu sichern. Dabei müssen aus wohlfahrtsökonomischer Sicht auch die Verbraucherinteressen berücksichtigt werden. Viele private und staatliche Durchsetzungsmaßnahmen sind in unterschiedlichen Ländern erprobt worden. Eine Reihe akademischer Studien haben insbesondere die Wirkung von WebseitenSperrungen oder Abmahnungen diskutiert. Wie in dieser Studie dargestellt wird, sind die Ergebnisse wenig ermutigend. Viele Maßnahmen haben kaum eine dauerhafte Wirkung oder sind aus sonstigen Gründen abgebrochen worden. Viele scheinen sogar Rechteinhabern selbst geschadet zu haben. Auch angesichts dieser Erfahrung besteht große Hoffnung, dass verbesserte legale Online-Angebote das unautorisierte Kopieren eindämmen und eine nachhaltige Entwicklung von Märkten ermöglichen. Dies böte eine privatwirtschaftliche Lösung der Urheberrechtsproblematik, die zum Beispiel ein weitgehendes staatliches Eingreifen zur Rechtsdurchsetzung ersetzen könnte. Diese Literaturübersicht fasst die empirische Evidenz zusammen, welche Methoden der Finanzierung und Verbreitung kreativer Werke vielversprechend erscheinen. Die Integration von Online-Märkten und das Entstehen von zentralen Online-Plattformen wie Amazon, Spotify und Netflix wirft aber auch die Frage auf, ob solche Plattformen unangemessene Marktmacht entwickeln. Auch dieser Aspekt wird berücksichtigt. Schließlich haben alle empirischen Studien ihre Grenzen. Die Aussagekraft von Studien hängt von der Datenbasis und Präzision der Datenauswertung ab. Festgestellte kausale Wirkungen sind selten ohne weiteres zu verallgemeinern. Zudem ist es schwierig, aus empirischen Ergebnissen konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. Diese Studie wird daher die Validität der angeführten Studien diskutieren. Außerdem wird besprochen, welche Hinweise sich aus den vorliegenden empirischen Ergebnissen für die wahrscheinliche Wirkung verschiedener Handlungsoptionen der deutschen Urheberrechtspolitik ergeben. Dabei wird auch die verbleibende Unsicherheit präzise wiedergegeben, und möglicher Forschungsbedarf identifiziert. Insgesamt bezieht sich diese Literaturübersicht auf 169 Quellen. In Abschnitt II wird die Anwendung ökonomischer Theorie auf Fragen des Urheberrechts und des unautorisierten Kopierens ausgeführt. Abschnitt III beschreibt kurz die Auswahl und Bewertung der empirischen Quellen. Abschnitt IV umreißt den empirischen Kenntnisstand zur Wirkung unautorisierten Kopierens. Zu den drei Schwerpunktthemen - Ansätzen zur effizienten Urhebervergütung nach der Verbreitung digitaler Kopiertechnologie - wurden 34 empirische Arbeiten in der akademischen Literatur identifiziert, die in den Abschnitten V bis VII ausführlicher diskutiert werden. Abschnitt VIII vergleicht mit Hilfe eines Matrixdiagramms die Wirksamkeit und Nachteile verschiedener Maßnahmen, eine ausreichende Vergütung von Urhebern zu sichern. Abschnitt IX enthält das Fazit. 2 Handke Urhebervergütung - Theorie II. THEORETISCHER HINTERGRUND II.1. Grundlagen der ökonomischen Perspektive Die ökonomische Literatur zum Urheberrecht bietet einen stabilen Rahmen, um die Folgen unautorisierten Kopierens und des Urheberrechtsschutzes zu bewerten. 2 Die ökonomische Begründung des Urheberrechts hebt ebenso wie naturrechtliche Betrachtungsweisen auf die Besserstellung von Kreativen ab. Allerdings ist der Schutz Kreativer in der ökonomischen Perspektive kein Selbstzweck. Die Folgen für kommerzielle Nutzer und Endverbraucher sowie die Unterhaltskosten eines Urheberrechtssystems für die öffentliche Hand müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Letztlich soll zwischen den Interessen aller betroffenen Akteure abgewogen werden. Das Urheberrecht soll private Akteure anregen, in einem ausreichenden Maße in die Herstellung und Verbreitung kreativer Werke zu investieren. Ausgangspunkt der Betrachtung ist, dass kreative Werke oft unautorisiert genutzt werden, ohne Entlohnung derjenigen, die in die Herstellung neuer Werke investieren. Dies schadet nicht nur Kreativen. Es kann auch dazu führen, dass weniger werthaltige Werke hergestellt und verbreitet werden, als es gesamtgesellschaftlich wünschenswert ist. Der Urheberrechtsschutz ist ein Mittel, diesem Problem entgegen zu wirken. Es soll Anreize für private Akteure verstärken, kreative Werke herzustellen und verfügbar zu machen. Wie jede staatliche Regelung verursacht ein Urheberrechtssystem aber auch Kosten. Im Wesentlichen wägt eine ökonomisch begründete Urheberrechtspolitik eine Reihe von Vor- und Nachteilen ab. Angewandte Ökonomik geht in der Regel von einfachen Grundprinzipien aus und erweitert diese dann graduell, um möglichst präzise, nicht offensichtliche und valide Vorhersagen zu den Folgen verschiedener Handlungsoptionen zu treffen. Die Überprüfung, ob Modellvorstellungen sich mit empirischen, tatsächlich beobachteten Entwicklungen decken, ist dabei von großer Bedeutung. In der Debatte um das Urheberrecht und die Digitalisierung ist dieser Prozess bereits weit fortgeschritten. Ökonomen diskutieren eine Vielzahl vorstellbarer Kosten und Nutzen digitalen Kopierens und des Urheberrechtssystems, und inwieweit sie in der Praxis zutreffen. Um zu vertretbaren Politikempfehlungen zu kommen, bedarf es: (1) einer Gesamtübersicht über Vor- und Nachteile, sowie (2) eines Vergleichs der Nutzen und der Kosten, um diejenigen Handlungsoptionen zu identifizieren, die den größten Nettonutzen erzeugen. Eine präzise Messung der einzelnen Faktoren ist praktisch kaum möglich und nicht unbedingt vonnöten. In der Praxis bietet eine annähernde Bewertung des relativen Gewichts von Vor- und Nachteilen bereits eine gute Orientierung für Entscheidungsträger. In der Debatte um das Urheberrecht werden häufig Argumente verwendet, die sich auf Aspekte ökonomischer Theorie beziehen. Dabei treten gelegentlich Missverständnisse auf, zum Beispiel wenn allgemeine Aussagen zum adäquaten Urheberrechtsschutz getroffen werden, die sich nur auf eine Diskussion einzelner Positionen in der Kosten-Nutzen-Analyse stützen. Die folgenden Abschnitte II.2 bis II.4 versuchen daher einen relativ vollständigen und ausgewogenen Überblick zu bieten. In Abschnitt II.5 werden die wesentlichen Positionen der Kosten-Nutzen-Analyse, die zur Einordnung der empirischen Ergebnisse dient, kurz zusammengefasst. 2 Landes & Posner (1989) ist besonders einflussreich. Relativ aktuelle Literaturübersichten sind Towse et al. (2008) und auf Deutsch, Handke et al. (2015a). 3 Handke Urhebervergütung - Theorie Es gibt verschiedene, komplementäre Ansätze, die Wirkung unautorisierten Kopierens und des Urheberrechtschutzes ökonomisch zu fassen, wie die Preistheorie, die Theorie öffentlicher Güter, kurzfristige und langfristige Erwägungen, oder die Transaktionskostenökonomik. Für die Ausarbeitung einer angemessenen Urheberrechtspolitik sind wohlfahrtsökonomische Ansätze von besonderer Bedeutung. II.2 Wohlfahrtsökonomik Die Wohlfahrtsökonomik, inklusive der Theorie des Marktversagens, bietet einen umfassenderen Rahmen, der die meisten der obengenannten ökonomischen Ansätze umfasst. Wohlfahrtsökonomik beschäftigt sich mit der Maximierung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt, unter Betrachtung aller betroffenen Akteure. Die übliche Wohlfahrtsökonomik geht davon aus, dass freiwillige Markttransaktionen ein Maximum an gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt erreichen, solange eine Reihe genau definierter Marktfehler nicht auftreten. Das Urheberrecht wird als Mittel verstanden, typischen Marktfehlern entgegenzuwirken, die in Märkten für kreative Werke auftreten. Am Anfang einer ökonomischen Diskussion des Urheberrechts steht das Problem unvollständiger Ausschließbarkeit: Es ist relativ aufwändig, unautorisierte Nutzung kreativer Werke, also die Nutzung ohne Zustimmung der Rechteinhaber, zu unterbinden. Wenn unautorisierte Nutzung den Erwerb autorisierter Leistungen ersetzt, verringert sich die Entlohnung der Kreativen. Wo die Entlohnung von Kreativen (und allen, die in die Herstellung neuer Werke investieren) dem tatsächlichen Wert dieser Werke nur ungenügend entspricht, bestehen relativ geringe Anreize, in die Herstellung neuer kreativer Werke zu investieren. Der Marktmechanismus kann nicht vollständig funktionieren. Das Angebot kann unter ein gesamtgesellschaftlich erstrebenswertes Maß fallen. Die mikroökonomische Preis- und Kostentheorie hilft, dieses Problem präziser zu definieren. Für die Herstellung neuer und werthaltiger kreativer Werke ist in der Regel ein beträchtlicher Aufwand nötig. Es bestehen Entwicklungskosten, die die Hersteller in irgendeiner Form amortisieren müssen, um nachhaltig zu wirtschaften. Bestehende Werke sind dagegen relativ leicht zu reproduzieren und zu verbreiten. Die Bereitstellungskosten sind um ein vielfaches geringer als die Entwicklungskosten. Dies gilt besonders bei digitaler IKT, die es Nutzern ermöglicht, alle digitalisierten Aspekte kreativer Werke ohne großen Aufwand praktisch beliebig oft zu reproduzieren und zu verbreiten. Die Herstellung eines Kinofilms kann zum Beispiel Jahre dauern und mehrere Millionen Euro verschlingen. Eine Kopie eines fertigen Films im Internet zu verbreiten kostet dagegen nahezu nichts. Aufgrund dieser Kostenstruktur besteht ohne einen effektiven Urheberrechtsschutz ein Kostenvorteil bei der unautorisierten Verbreitung und Nutzung kreativer Werke: Die Entwicklungskosten für die Herstellung neuer Werke werden umgangen. Wer in die Herstellung neuer Werke investiert, wird mit den Preisen unautorisierter Angebote - zum Beispiel bei einem unautorisierten Download über das Internet - kaum mithalten können.3 Das Urheberrecht wirkt dem entgegen, in dem sie Kreativen exklusive Nutzungsrechte zusprechen. Unautorisierte Nutzung ohne Zustimmung und Entlohnung von Kreativen wird unterbunden. Ein effektiver Urheberrechtsschutz stellt sicher, dass die Rechteinhaber die einzigen Anbieter eines bestimmten Werkes sind. Dadurch entwickeln Rechteinhaber Marktmacht: Das heißt sie können Preise abfragen, die über den Bereitstellungskosten liegen, und so die Entwicklungskosten amortisieren, wenn es ihnen gelungen ist, relativ werthaltige Werke zu erstellen. Aus ökonomischer Sicht führt Marktmacht aber grundsätzlich zu Marktversagen.4 Das Problem ist, dass diejenigen 3 Es ist unter Ökonomen umstritten, ob andere Vorteile von Kreativen, wie ‚first-comer advantages’, das Problem des Kostennachteils kompensieren können (Boldrin & Levine 2008). 4 Dabei befinden sich Rechteinhaber im monopolistischen Wettbewerb mit Anbietern ähnlicher Werke. Für kreative Werke gibt es in der Regel viele gute Substitute (zum Beispiel ein anderes Dixieland-Musikalbum oder ein anderer 4 Handke Urhebervergütung - Theorie Verbraucher von der Nutzung ausgeschlossen werden, die zwar eine Zahlungsbereitschaft haben, die über den Bereitstellungskosten liegt, aber nicht bereit oder in der Lage sind, den höheren Preis zu bezahlen, den marktmächtige Rechteinhaber abfragen (Landes und Posner 1989). Damit bekämpft das Urheberrecht aus ökonomischer Sicht Feuer mit Feuer: Es verringert Marktversagen aufgrund unvollständiger Ausschließbarkeit indem es mit Marktmacht eine weitere Quelle für Marktversagen erzeugt. Die Theorie öffentlicher Güter ergibt letztendlich das praktisch gleiche Ergebnis. Wichtige Aspekte kreativer Werke haben beide Eigenschaften eines öffentlichen Gutes: Einerseits sind sie, wie besprochen, nicht ausschließbar. Das heißt es ist aufwändig, eine unautorisierte Nutzung ohne Zustimmung der Rechteinhaber zu unterbinden. Andererseits sind kreative Werke nicht-rival im Konsum. Das heißt ihr Wert für einen Verbraucher verringert sich bei der Nutzung durch andere nicht. Theoretisch können zum Beispiel alle IKT-Nutzer gleichzeitig das gleiche Werk gebrauchen, ohne dass das Werk aus technischen Gründen seinen Wert verlöre. Eine rationale, wohlfahrtsmaximierende Urheberrechtspolitik muss daher einen angemessenen Ausgleich finden zwischen zu geringer Produktion neuer kreativer Werke (wenn Viele von den Werken profitieren, ohne die Hersteller zu entlohnen) und zu geringer Nutzung der bestehenden Werke (wenn Rechteinhaber höhere Preise als die marginalen Bereitstellungskosten verlangen). Novos & Waldman (1984) sprechen von einem „underproduction underutilization trade-off“. Diese Einsichten haben grundlegende Folgen für die wohlfahrtsökonomische Analyse. Das Urheberrecht kann das theoretische gesamtgesellschaftliche Optimum eines perfekten, wettbewerblichen Marktes nicht erreichen. 5 Das Urheberrecht ist daher grundsätzlich eine sogenannte „second-best“ Lösung (Lipsey & Lancaster 1956) unter Marktbedingungen, die es unmöglich machen, eine „first-best“ Situation zu erreichen (Towse et al. 2008). Lipsey & Lancaster (1956) haben in ihrem maßgeblichen Artikel belegt, dass die Verringerung eines Marktfehlers nicht sicher eine Wohlfahrtsverbesserung herbeiführt, wenn gleichzeitig andere Marktfehler vorliegen. Diese grundlegende Betrachtung hat zwei zentrale Folgen für die Anwendung von Wohlfahrtsökonomik auf das Urheberrecht: (1) Es ist nicht angemessen, Handlungsoptionen für das Urheberrecht im Vergleich zum Ideal eines ökonomisch perfekten Marktes zu bewerten. Kein Urheberrechtssystem kann dieses Ideal erreichen. Stattdessen ist die Frage, welche von vielen denkbaren Handlungsoptionen unter spezifischen Bedingungen das relativ beste Ergebnis bietet. (2) Reine Theorie kann nur eine Struktur für die Bewertung des Urheberrechts unter konkreten Marktbedingungen bieten. Letztendlich bleibt es unsicher, ob durch urheberrechtliche Maßnahmen die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt insgesamt erhöht wird. Empirische Befunde sind ein wichtiges Mittel, diese Unsicherheit zu verringern. Eine weitere Anwendung der Kostentheorie betrifft das angemessene Maß des Urheberrechtsschutzes und ist weniger geläufig: Es ist aufwändig, ausschließliche Rechte an quasiöffentlichen Gütern zu erzeugen. Ausschließliche Rechte fallen nicht vom Himmel, sondern müssen unter Einsatz von Ressourcen hergestellt werden. Entsprechend analysiert die einflussreiche Arbeit von Landes & Posner (1989) die Entwicklung eines angemessenen Urheberrechtsschutz-Niveaus Action-Film) Das Ausmaß ihrer Marktmacht ist also begrenzt, wie es in der Praxis für fast alle Anbieter in allen Märkten der Fall ist. 5 Diese „first-best“ Situation in der Paretianischen Wohlfahrtsökonomik wäre ein statisches Gleichgewicht ohne Marktmacht, mit vollständiger und kostenloser Ausschließbarkeit für kreative Werke und ohne sonstige Transaktionskosten oder Marktfehler. 5 Handke Urhebervergütung - Theorie durch eine Produktionsfunktion mit der üblichen Annahme eines sich verringernden Grenznutzens. Das heißt, mit höheren Aufwendungen für den Urheberrechtsschutz verringert sich ab einem gewissen Punkt der Ertrag. Demzufolge ist ein vollständiger Urheberrechtsschutz nicht gesamtgesellschaftlich optimal. Das günstigste Schutzniveau ist theoretisch dort erreicht, wo die Grenzkosten exakt dem Grenznutzen entsprechen. Das gilt auch, wenn der Urheberrechtsschutz durch die öffentliche Hand erzeugt wird. Auch staatliche Ressourcen sind begrenzt und die Finanzierung durch Steuern verzerrt die Allokation von Ressourcen durch den Marktmechanismus (Blaug 2003). Letztlich muss die Urheberrechtspolitik in einem angemessene Kompromiss das ‚kleinste Übel’ etablieren. Insgesamt wird klar, dass die Eigenschaften eines angemessenen Urheberrechtssystems von einer Reihe spezifischer Marktbedingungen abhängen: von den Entwicklungs- und Verbreitungskosten für Werke, vom Stand der Kopiertechnologie, von den Vorlieben der Verbraucher, usw. Eine perfekte und dauerhafte Lösung ist damit extrem schwer zu erreichen. Es scheint realistischer, in einem iterativen Prozess graduelle Verbesserungen vorzunehmen, und empirisch zu überprüfen, ob die gewünschte Wirkung ohne exzessive Nebeneffekte eintritt. Die Frage ist dabei natürlich, was das letztendliche Ziel des Urheberrechts ist. Die ökonomische Literatur hat darauf eine recht klare Antwort. II.3 Innovationsförderung als Ziel des Urheberrechts und die Notwendigkeit einer langfristigen Betrachtung Eine der Eigenheiten konventioneller Wohlfahrtsökonomik ist, dass sie sich mit der kurzfristig optimalen Allokation von begrenzten Ressourcen beschäftigt. Innovation als langfristig wichtigster Treiber wirtschaftlichen Wachstums wird außen vor gelassen. Im Zusammenhang mit dem Urheberrecht sind die Folgen für Innovation, die Entwicklung und Verbreitung neuer Produkte oder neuer Produktionsprozesse aber ein essentielles Anliegen. Es ist zur Veranschaulichung hilfreich, zunächst nur die kurzfristigen Effekte zu betrachten, und langfristigere Veränderungen des Angebots kreativer Werke außen vor zu lassen (Johnson 1985). Ein effektiver Urheberrechtsschutz stärkt die Nachfrage nach autorisierten Leistungen. Rechteinhaber können höhere Preise erzielen und erhöhen ihre Einnahmen. Dies ergibt zwangsläufig höhere Zugangskosten für Nutzer. Entweder erhöhen Nutzer ihre Ausgaben für kreative Werke oder sie schränken ihren Konsum ein. In einer kurzfristigen Analyse beeinflusst das Urheberrecht in erster Linie die Verteilung des Werts zwischen Rechteinhabern und Nutzern, was aus wohlfahrtsökonomischer Sicht keinen Vorteil bietet. Zusätzlich entstehen durch das Urheberrecht zwei weitere Kosten. Erstens fallen Transaktionskosten bei der Anbahnung und Durchführung des Handels mit Rechten an kreativen Werken an. Zweitens entstehen für den Unterhalt eines Urheberrechtssystems Verwaltungskosten für die öffentliche Hand. Ohne Berücksichtigung der langfristigen Effekte auf das Angebot neuer kreativer Werke ist das Urheberrecht ein kostspieliges Mittel, Rechteinhaber gegenüber Nutzern besser zu stellen. Dies ist aus ökonomischer Sicht gesamtgesellschaftlich nicht vorteilhaft. Entscheidend für eine ökonomische Rechtfertigung des Urheberrechts sind die langfristigen Effekte auf das Angebot neuer kreativer Werke. Die zusätzliche Entlohnung von Kreativen durch effektiven Urheberrechtsschutz verstärkt die Anreize, in die Herstellung und Verbreitung neuer kreativer Werke zu investieren. Wenn das Angebot neuer Werke zunimmt, ist dies auch für Verbraucher nützlich. Ist die Wirkung des Urheberrechtsschutzes auf das Angebot kreativer Werke stark genug, um die kurzfristigen Nachteile des Urheberrechts auszugleichen, profitieren letztendlich Rechteinhaber und Verbraucher gleichzeitig. Es ist allerdings nicht einmal selbstverständlich, dass ein stärkerer Urheberrechtsschutz das Angebot kreativer Werke erhöht (Landes und Posner 1989). Das liegt daran, dass Kreative bei der 6 Handke Urhebervergütung - Theorie Herstellung neuer Werke meist auf bestehende kreative Werke aufbauen. Kreative sind also sowohl potentielle Rechteinhaber als auch Nutzer kreativer Werke. Kreative müssen entweder Rechte erwerben oder zu große Ähnlichkeit mit bestehenden Werken vermeiden. Damit kann der Urheberrechtsschutz nicht nur die Entlohnung Kreativer stärken, sondern auch ihre Kosten erhöhen. Ein zu starker Urheberrechtsschutz kann demzufolge Folgeinnovationen behindern und das Angebot neuer Werke sogar verringern. Demzufolge ist die Förderung von Innovation und Kreativität in der ökonomischen Begründung des Urheberrechts zentral. II.4 Transaktionskosten Ein weiterer Marktfehler, der in den Urheberrechtsbranchen typischerweise auftritt, sind Transaktionskosten. Der Begriff bezeichnet die Kosten, die beim Handel mit Gütern und Leistungen auftreten. Das Konzept spielt eine große Rolle in angewandter ökonomischer Arbeit, die berücksichtigt, dass Akteure unvollständig über mögliche Handelspartner und deren Eigenschaften und Verhalten informiert sind. Transaktionskosten umfassen: - Suchkosten für die Identifikation potentieller Handelspartner und das Sammeln relevanter Informationen, - Vertragskosten für das Aushandeln beiderseitig akzeptabler Bedingungen eines Austauschs und das Verfassen und Schließen einer entsprechenden Übereinkunft, - Monitoring-Kosten für die Überwachung, ob Partner sich an Verträge halten und Durchsetzungskosten für Maßnahmen, um etwaige Zuwiderhandlungen zu unterbinden. In Märkten für urheberrechtlich geschützte Werke bestehen Monitoring- und Durchsetzungskosten nicht nur bezüglich tatsächlicher Handelspartner. Ein effektives Urheberrechtssystem muss auch alle potentiellen Nutzer beobachten, um unautorisierte, urheberrechtswidrige Nutzung geschützter Werke zu erkennen und gegebenenfalls zu verhindern (Handke 2014; Handke 2015b). Die meisten Menschen nutzen kreative Werke zumindest gelegentlich. Verbraucher haben oft eine geringe Zahlungsbereitschaft für spezifische Werke, aber konsumieren zum Beispiel im Laufe eines Jahres eine Vielzahl an Werken (Musikaufnahmen, Bücher, Filme, etc.). Zudem stehen Verbraucher fast immer vor einer Auswahl aus einer sehr großen Zahl technisch verfügbarer Werke, deren Qualität sich vorab nicht leicht bewerten lässt. Bei einer Vielzahl geringwertiger Transaktionen unter unvollständiger Information fallen Transaktionskosten besonders ins Gewicht, und können dazu führen, dass hohe Wohlfahrtsverluste auftreten verglichen mit einem idealen, ‚reibungslosen‘ Markt ohne Transaktionskosten. Ein Mittel, die Zahl der Transaktionen und die Kosten einzelner Transaktionen zu verringern, ist die gemeinschaftliche Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften wie die GEMA (Besen & Kirby 1989; Watt 2000). Neben einem angemessenen Ausgleich aus Innovationsförderung und Marktmacht ist die Wirkung auf Transaktionskosten im Markt für kreative Werke ein wichtiger Aspekt in der Bewertung von Urheberrechtssystemen. 7 Handke Urhebervergütung - Theorie II.5 Zusammenfassung und Übersicht Tabelle 1 gibt eine Übersicht der verschiedenen Vor- und Nachteile des Urheberrechtsschutzes, wie in den Abschnitten II.1 bis II.4 ausgeführt. Kurzfristig führt ein effektiver Urheberrechtsschutz zu einer höheren Entlohnung von Rechteinhabern. Dies geschieht auf Kosten eines eingeschränkten Zugangs für Nutzer im Vergleich zum Ideal eines perfekt wettbewerblichen Marktes mit Grenzkostenpreisen. Zudem entstehen bei einem Urheberrechtssystem Verwaltungskosten für die öffentliche Hand und Transaktionskosten beim Handel mit Werken, wenn Verbraucher für jede Nutzung eine Übereinkunft mit den Rechteinhabern schließen müssen. Tabelle 1: Vor- und Nachteile des Urheberrechtsschutzes Vorteile Kurzfristig Höhere Entlohnung von Rechteinhabern Nachteile Zugangskosten für Nutzer Verwaltungskosten für die öffentliche Hand Transaktionskosten beim Handel mit Rechten Langfristig Höhere Innovationsanreize für Rechteinhaber Geringere Innovationsanreize für Nutzer Quelle: Handke (2011a). Langfristig verringert ein effektiver Urheberrechtsschutz das Problem ungenügender Entlohnung für Kreative. Dabei steigen allerdings auch die Kosten für Folgeinnovationen. Folgeinnovationen sind zum einen die Herstellung neuer kreativer Werke, die auf bestehenden Werken aufbauen. Zum anderen betrifft dies auch neue Verbreitungsmethoden für kreative Werke, für die die Zustimmung von Rechteinhabern erreicht werden muss. Indizien, ob insgesamt eine positive Wirkung eintritt, sind sowohl die Entwicklung des Angebots neuer, werthaltiger kreativer Werke als auch die Verbreitung und Nutzung dieser Werke. Natürlich bestehen möglicherweise weitere relevante Folgen des Urheberrechtschutzes, über die in Tabelle 1 aufgeführten, direkten Effekte hinaus. Zum Beispiel gibt es empirische Belege, dass das Urheberrechtssystem auf den Wettbewerb zwischen verschiedenen Kreativen und zwischen verschiedenen Verwertern wirkt. Zudem steht das Urheberrecht unter Umständen mit weiteren sozialen Werten im Konflikt, wie der Privatsphäre im Falle einer Urheberrechtsdurchsetzung auf Ebene von individuellen Verbrauchern. Zusammengefasst muss die Urheberrechtspolitik aus wohlfahrtsökonomischer Sicht einen Ausgleich zu einer Reihe von Wirkungen finden. Die reine Theorie ergibt, dass der Urheberrechtsschutz die Gesellschaft unter bestimmten Bedingungen insgesamt besser stellen kann. Wo diese Bedingungen erfüllt sind, ist eine empirische Frage. Das heißt, es sollte durch systematische Beobachtungen überprüft werden, ob das Urheberrecht insgesamt von Nutzen ist und wo sich Verbesserungsmöglichkeiten ergeben. Dies gilt für alle Aspekte des Urheberrechts, wie zum Beispiel für: (1) Die Dauer des Urheberrechtsschutzes; (2) Schranken des Rechts, wie etwa Regelungen zur Privatkopie; (3) die Höhe öffentlicher Ausgaben zur Durchsetzung von Rechten und der ‚Arbeitsteilung’ zwischen 8 Handke Urhebervergütung - Theorie Rechteinhabern und öffentlicher Hand bei der Rechtsdurchsetzung; oder (4) die Regelungen zur angemessenen Vergütungen bei unterschiedlichen Verbreitungsformen, usw. Siehe auch Abschnitt II.6 zu weiterführenden Aspekten der ökonomischen Eigenschaften von Urheberrechtsbranchen und ihrer Veränderung mit der Digitalisierung, durch die sich die Rolle des Urheberrechtssystems mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verändern wird. Für eine angemessene, evidenzbasierte Urheberrechtspolitik bedarf es einer möglichst vollständigen Bewertung aller Nutzen und Kosten. Das ist eine schwere Aufgabe, die kaum perfekt zu bewältigen ist. Nichtsdestotrotz bietet die ökonomisch-empirische Literatur eine Vielzahl nützlicher Hinweise, wo derzeit Probleme bestehen und wie sie am besten zu bewältigen sind. II.6 Weiterführende Aspekte der ökonomischen Analyse Zur Einordnung und Beurteilung der empirischen Urheberrechts-Literatur sind einige Erweiterungen der ökonomischen Analyse nützlich. Dabei hebt dieser Abschnitt besonders auf die Entwicklung digitaler IKT ab. II.6.1 Technologischer Wandel Die Digitalisierung in den Urheberrechtsbranchen bringt weitreichenden und schnellen technologischen Wandel. Dieser Prozess erzeugt langfristig hohe Produktivitätszuwächse. Er entwertet aber auch Teile der bestehenden Infrastruktur und zwingt viele Akteure, hohen Aufwand zu betreiben, um sich Veränderungen anzupassen. Die Verbreitung digitaler Kopiertechnologie unter Endverbrauchern ist nur ein Aspekt technologischen Wandels durch Digitalisierung. Derzeit verändern sich Produkteigenschaften und abgrenzungen, Produktionskosten, Wettbewerbsbedingungen und Innovationsanreize in einem Prozess, der sich möglicherweise selbst verstärkt. Gängige, vereinfachende Annahmen in ökonomischen Analysen, wie zum Beispiel die Annahme stabiler Produktionskosten, sind in diesem Zusammenhang fragwürdig. Damit bestehen zwei fundamentale Probleme für empirische Forschung zur Wirkung digitalen Kopierens und den dazugehörigen urheberrechtlichen Maßnahmen: Erstens muss die Wirkung des Urheberrechtsschutzes so weit wie möglich von den schwer nachzuvollziehenden Effekten breiterer technologischen Wandels isoliert werden; zweitens sollte die Wirkung urheberrechtlicher Maßnahmen auf die technologische Innovation berücksichtigt werden, durch die langfristig die geschützten Werke effizienter verbreitet werden (Handke 2006). Weitere Aspekte der Digitalisierung in den Urheberrechtsbranchen sind zum Beispiel: (1) Neue, autorisierte Verbreitungsmethoden über das Internet; (2) die Möglichkeit für Anbieter, große Mengen an Verbraucherdaten zu sammeln und auszuwerten; (3) leichtere und intensivere Interaktion zwischen Anbietern und Verbrauchern, von automatischen Empfehlungssystemen bis hin zur Beteiligung von (unbezahlten) Verbrauchern an Produktions- und Vermarktungsprozessen. Diese Entwicklungen müssen so weit wie möglich berücksichtigt werden, um das Urheberrechtssystem adäquat weiter zu entwickeln. Eine wichtige Folge ist zum Beispiel, dass die Verkaufserlöse (nach wie vor die meistbeachtete Kennzahl) nur bedingt Hinweise auf die Position der Rechteinhaber zulassen. Bei fallenden Vertriebs- und Vermarktungskosten bedeuten sinkende Verkaufserlöse nicht automatisch fallende Profite. 9 Handke Urhebervergütung - Theorie II.6.2 Unsicherheit und Sampling Urheberrechtlich geschützte Werke unterscheiden sich in einer für Verbraucher relevanten Weise. Kein Roman ist zum Beispiel ein perfekter Ersatz für einen anderen. Produktdifferenzierung führt zu unvollständigem, sogenannten monopolistischem Wettbewerb. Die Nachfrage für ein bestimmtes Werk lässt sich extrem schwer vorhersagen (Caves 2000), und es gibt kaum objektiv messbare Qualitätsmerkmale (Kretschmer et al. 1999). Zudem sind Werke in der Regel Erfahrungsgüter: Ihr Wert für einen bestimmten Verbraucher erschließt sich ihm erst, nachdem er das Werk in seiner Gänze konsumiert hat (Nelson 1970). Gleichzeitig können Verbraucher oft buchstäblich zwischen Zehntausenden von Werken wählen, und die Ressourcen, die sinnvollerweise für diesen Auswahlprozess aufgebracht werden sollten, sind begrenzt. Dies kann zu suboptimaler Produktwahl führen und Zahlungsbereitschaft und Nachfrage verringern, da Verbraucher nicht sicher sein können, tatsächlich ein gut passendes Werk für sich zu finden. Um leichter bessere Entscheidungen zu treffen, achten Verbraucher auf Qualitätssignale von Bekannten, auf Kommentare in den Medien oder auf Bestseller-Listen, so dass Netzwerkeffekte oder Herdenverhalten entsteht (Bikhchandani et al. 1992). Digitale IKT kann die Suchkosten verringern und es Verbrauchern erlauben, Informationen zu einer größeren Zahl an Werken in Betracht zu ziehen. Besser informierte Verbraucher können eine bessere Auswahl treffen, was wiederum den Nutzen von kreativen Werken für Verbraucher erhöhen kann. In Bezug auf das Urheberrecht ist daher diskutiert worden, dass sich auch durch unautorisiertes Kopieren Informationen zu Werken verbreiten, was die Nachfrage nach Werken sogar erhöhen könnte (siehe Peitz & Waelbroeck 2006a). Unautorisiertes Kopieren durch Tauschbörsennutzung könnte damit sowohl Verbrauchern als auch Rechteinhabern nutzen. Für Rechteinhaber entstünde nicht nur ein negativer Substitutionseffekt auf die Nachfrage sondern auch ein positiver Exposure- oder Samplingeffekt. Allerdings lassen sich Samplingeffekte in ähnlicher Weise durch werbefinanzierte, autorisierte Verbreitung (YouTube) oder bei Abonnements (Spotify, Netflix) erzeugen, wobei zusätzlich auch Einnahmen für Rechteinhaber erzielt werden. II.6.3 Inhalt-Erzeugung und technologische Innovation Die gängige Analyse des Urheberrechts konzentriert sich auf die Förderung der Produktion neuer, werthaltiger Werke. Allerdings wird der gesamtgesellschaftliche Nutzen kreativer Werke auch durch die effiziente Verbreitung dieser Werke bestimmt. Langfristig sollten in beiden Bereichen angemessene Anreize zur Innovationen bestehen. Marktmacht einzelner spezialisierter Akteure kann dabei zu Problemen führen (Plant 1934; Handke 2011b). Nehmen wir zum Beispiel an, dass ein Unternehmen eine Möglichkeit für eine bessere Verbreitungsmethode bei kreativen Werken sieht. Dabei bestehen Entwicklungskosten und, wie bei allen Innovationen, das Risiko eines Scheiterns. Ein rationales Unternehmen wird nur investieren, wenn es erwartet, in der Folge Profite zu erzielen, um Entwicklungskosten zu amortisieren und für Unsicherheit kompensiert zu werden. Nehmen wir zudem an, dass ein marktmächtiger Rechteinhaber existiert, dessen Zustimmung für die kommerzielle Nutzung der Innovation notwendig ist. Dieser Rechteinhaber wird dann in der Lage sein, Bedingungen auszuhandeln, so dass ihm ein großer Teil des durch die Innovation erzeugten Zusatznutzens zufällt. Das Unternehmen, das die Innovation entwickelt hat, hat das volle Risiko getragen aber erhält höchstens einen Teil des erzeugten Zusatznutzens. Der gleiche Mechanismus kann greifen, wenn Kreative in neue Werke investieren, und ein dominantes intermediäres Unternehmen einen hohen Preis für den Marktzugang verlangen kann. Rein theoretisch würde dieses Problem nicht auftreten, wenn Innovationen ohne Transaktionskosten gehandelt werden könnten. In der Praxis sind Transaktionskosten beim Handel mit Innovation aber 10 Handke Urhebervergütung - Theorie sehr hoch (Levin et al. 1987: 788; Landes & Posner 2003: 16). Das Urheberrecht, das Rechteinhaber mit Marktmacht ausstattet, beeinflusst also die Anreize für technologische Innovation (bei der Verbreitung von Werken) und inhaltliche Innovation (bei der Schaffung neuer Werke). II.6.4 Intrinsische Motivation und Nutzerinnovation Es ist empirisch gut belegt, dass die Herstellung und Verbreitung kreativer Werke auch durch nichtpekuniäre Anreize motiviert wird; siehe zum Beispiel Lakhani & von Hippel (2003), Benhamou (2003) oder Towse (2006). Ein effizientes Urheberrechtssystem sollte diese intrinsische Motivation in Betracht ziehen. Eine mögliche Folge ist, dass das Angebot kreativer Werke nur schwach auf Veränderungen bei der geldwerten Entlohnung von Kreativen reagiert. Dann wäre ein geringerer Urheberrechtsschutz angebracht als unter der Annahme einer gewöhnlichen, rein pekuniären Anreizstruktur. Allerdings könnten moralische Rechte, wie Attributions- und Modifikationsrechte, eine relativ wichtige Rolle spielen (Rushton 1998). Schließlich scheint die intrinsische Motivation von Kreativen mit einer weiten Verbreitung von Werken zuzunehmen, aber dagegen zurückzugehen, wenn Dritte hohe Einnahmen aus der Verwertung von Werken erzielen (Frey & Oberholzer-Gee 1997). Intrinsische Motivation von Kreativen und kommerzielle Nutzung ihrer Werke durch andere Akteure stünden damit wohl in einem Widerspruch. Üblicherweise wird eine klare Unterscheidung zwischen Verbrauchern und Anbietern gemacht. Verbraucher verkonsumieren in diesem Modell jedweden Zusatznutzen, der ihnen zufällt, und tragen nichts zur langfristigen Entwicklung von Produkten und Produktionsprozessen bei. In der jüngeren Vergangenheit scheinen dagegen aktiv an der Wertschöpfung beteiligte (End-)Nutzer eine wichtigere Rolle zu spielen. Stichworte sind hier Web 2.0 mit sozialen Medien, Prosumenten und sogenannter User Generated Content (UGC / Nutzer-generierte Inhalte) sowie Open SourceSoftware. Die Beteiligung von Verbrauchern ist in den Urheberrechtsbranchen auch bei der Entwicklung neuer Verbreitungs- und Nutzungsformen von Bedeutung. Tauschbörsen sind ein eindrückliches Beispiel: Diese Methode, kreative Werke zu verbreiten, hat sich auch durch die Bereitschaft von Verbrauchern entwickelt, ohne direkte finanzielle Anreize Werke Dritten zugänglich zu machen. Siehe hierzu die wirtschaftshistorische Arbeit von Tschmuck (2003) für die Musikindustrie. Wie oben beschrieben hat ein effektiver Urheberrechtsschutz einen ambivalenten Effekt: Er zielt einerseits auf eine höhere Entlohnung von Rechteinhabern und Förderung des kreativen Angebots ab. Andererseits erhöht er die Entwicklungskosten, wenn Innovationen in irgendeiner Form bestehende Rechte Dritter betreffen. Es scheint noch nicht klar, wie eine günstige Balance erreicht werden kann, um auch ein effizientes Maß an nicht pekuniär motivierter Wertschöpfung durch Nutzer und Nutzerinnovation zu ermöglichen. II.6.5 Branchenstruktur und Marktmacht Ein effektives Urheberrecht ist ein Grund für Markmacht in den Urheberrechtsbranchen, die aufgrund der günstigen Wirkung auf Innovationsanreize in einem bestimmten Rahmen sogar gewünscht ist. In den Urheberrechtsbranchen bestehen aber aufgrund von Größenökonomien und Netzwerkeffekten weitere Vorteile für große Unternehmen, die zu Marktmacht führen können, bei der einzelne Akteure eine starke Verhandlungsposition entwickeln und sich einen hohen Anteil des Wertes kreativer Werke aneignen können. Viele Urheberrechtsbranchen sind durch vielschichtige und veränderliche Kooperationen zwischen verschiedenen Organisationen gekennzeichnet (Caves 2000). Originäre Kreative wie zum Beispiel Autoren oder Musiker stehen am Beginn der Wertschöpfungskette. Andere Unternehmen wie zum Beispiel Verlage oder Plattenfirmen finanzieren oft die Erzeugung neuer Werke oder übernehmen 11 Handke Urhebervergütung - Theorie die (Re-)Produktion oder den Vertrieb und Großhandel sowie Promotion. Am Ende der Wertschöpfungskette stehen Einzelhändler. Meist sind mehrere Unternehmen an der Produktion und Vermarktung eines einzelnen Werks beteiligt. Traditionell nehmen sogenannte Verwerter eine zentrale Rolle in den Urheberrechtsindustrien ein. Verlage, Plattenfirmen oder Filmproduktionsfirmen erwerben in der Regel alle veräußerbaren und finanziell relevanten Urheberrechte. Caves (2000) zufolge hat dies mehrere Vorteile. Große Unternehmen mit einem umfangreichen Repertoire sind besser in der Lage, mit der großen Unsicherheit in Märkten für kreative Werke umzugehen, als einzelne originäre Kreative; sie verringern Unsicherheit durch Diversifizierung ihres Repertoires. Traditionell übernehmen zentrale intermediäre Unternehmen einen großen Teil des finanziellen Risikos, indem sie die Urheberrechte von Kreativen für eine fixe Vorauszahlung erwerben. Konzentrierte Eigentumsrechte erleichtern zudem die Organisation und Vermarktung, da sie Transaktionskosten verringern im Vergleich zu einer Situation in der eine große Zahl der an Herstellung und Vermarktung beteiligten Akteure auch als Rechteinhaber auftreten, deren Zustimmung bei vielen Entscheidungen eingeholt werden muss. Die Marktmacht von Verwertern ist vielfach beschrieben worden. In den letzten Jahren sind weitere zentrale Akteure entstanden, die für ihren Teil in der Wertschöpfungskette sehr große Marktanteile haben: Internetplattformen wie Apples iTunes Store für Musikdownloads, Spotify bei MusikStreamingdiensten, Amazon bei E-Books oder das Google-Tochterunternehmen YouTube bei werbefinanzierten Videostreams. Im Gegensatz zu traditionellen Verwertern treffen diese Internetplattformen kaum eine Vorauswahl, welche Inhalte sie vertreiben, und leisten keine Vorauszahlung an Kreative. (Eine seltene Ausnahme ist Netflix, das mittlerweile einige FernsehSerien selbst finanziert.) So übernehmen Plattformen kaum etwas vom unternehmerischen Risiko bei der Inhalte-Erzeugung. Einerseits kann das Aufkommen konzentrierter Plattformen die Marktmacht traditioneller intermediärer Unternehmen schwächen. Andererseits sind Internetplattformen selbst profitorientierte Unternehmen, die Marktmacht entwickeln und ausbeuten können (Handke 2015a; Handke 2015b). Die Konflikte zwischen GEMA und YouTube/Google oder Amazon und den großen Buchverlegern Bonnier und Hachette sind eindrückliche Beispiele für intensive und langwierige Verhandlungen zwischen mächtigen Unternehmen im Markt für urheberrechtlich geschützte Werke (Hegemann 2014). 12 Handke Urhebervergütung - Auswahl III. AUSWAHL UND INTERPRETATION DER EMPIRISCHEN STUDIEN Die ökonomisch-empirische Literatur bietet einen reichhaltigen Fundus hilfreicher Hinweise für die Urheberrechtspolitik. Seit der Verbreitung von Internet-Tauschbörsen besteht großes Interesse am Thema Urheberrecht. Dies spiegelt sich auch in der empirisch-akademischen Literatur der letzten Jahre zum Urheberecht, die sich mittlerweile überwiegend mit den Folgen von Tauschbörsen oder ähnlichen Internet-basierten Technologien beschäftigt, die zur unautorisierten Verbreitung kreativer Werke genutzt werden. Eine besonders ambitionierte Literaturübersicht zur Wirkung „unrechtmäßiger Tauschbörsennutzung“ von Watson et al. (2014) hat aus über 50.000 Einträgen mit einschlägigen Stichwörtern in fünf akademischen Datenbanken zum Beispiel über 195 relevante empirische Studien identifiziert, die zwischen 2003 und 2013 allein zu diesem Thema erschienen sind. Davon beziehen sich 67 Studien präzise auf Wohlfahrtseffekte. III.1 Verknüpfung von Theorie und Empirie Zur angemessenen Interpretation empirischer Ergebnisse ist die in Abschnitt 2 entwickelte Übersicht über theoretisch vorhergesagte Zusammenhänge notwendig. In der Praxis sind alle empirischen Arbeiten nur auf einen Aspekt der Wirkung des Urheberrechts auf die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt bezogen. Zudem deckt die Literatur nicht alle für eine wohlfahrtsökonomische Analyse relevanten Themen in gleicher Weise ab. Eine Literaturübersicht von Handke (2011a) hatte 21 akademische Studien entdeckt, die sich mit der kurzfristigen Wirkung auf die Wohlfahrt von Rechteinhabern beschäftigt haben (vor allem über Indikatoren wie Einnahmen der Rechteinhaber oder Absatz autorisierter Kopien an Endverbraucher). Die kurzfristigen Konsequenzen unautorisierten Kopierens und des Urheberrechtsschutzes für Verbraucher waren dagegen nur das Thema zweier Studien. Langfristige Anpassungen der Urheberrechtsindustrien durch Innovation und die Wirkung für die Rechteinhaber wurden ebenfalls nur in zwei Studien untersucht. Die langfristige Wohlfahrt der Verbraucher, die sich auch durch den Fluss werthaltiger neuer Werke ergibt, hatten drei Studien zum Thema. Die langfristige Wirkung ist letztendlich die entscheidende und bedarf größerer Aufmerksamkeit. Um von einzelnen empirischen Ergebnissen zu Einsichten für die Urheberrechtspolitik zu kommen, müssen verschiedene Ergebnisse miteinander in Bezug gesetzt werden. Es ist zum Beispiel nicht ausreichend, zu bestimmen, ob und wie stark unautorisiertes Kopieren die Einnahmen der Rechteinhaber verringert. Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht muss dieser Schaden mit den Vorteilen für Verbraucher abgeglichen werden. Zudem muss geprüft werden, ob es geeignete Gegenmaßnahmen gibt, die eine positive Wirkung erzielen, ohne exzessiven Aufwand und unbeabsichtigte negative Folgen zu erzeugen. In den Abschnitten IV bis VII werden empirische Daten zu allen diesen Themen zusammengestellt: (1) Dem Schaden, den unautorisiertes Kopieren den Rechteinhabern zufügt; (2) den Konsequenzen unautorisierten Kopierens für Verbraucher; (3) den Folgen für die Wettbewerbssituation in den Urheberrechtsbranchen; sowie (4) den verschiedenen Lösungsansätzen: (a) Anpassung der Urheberrechtsindustrien, (b) stärkere Rechtsdurchsetzung oder (c) Vergütungssysteme. Bisherige Literaturübersichten haben insbesondere die verschiedenen Lösungsansätze nicht einbezogen. Hier liegt der besondere Beitrag der vorliegenden Literaturübersicht. 13 Handke Urhebervergütung - Auswahl III.2 Auswahlkriterien für die Literatur6 Unter diesen Gesichtspunkten ist eine bloße, möglichst vollständige Auflistung Hunderter Arbeiten, die sich mit unautorisiertem Kopieren und Urheberrechtschutz beschäftigt haben, wenig sinnvoll (siehe Watson et al. 2014). Stattdessen ist eine Vorauswahl und Gewichtung nach folgenden Kriterien erfolgt: Qualitätsindikatoren. Relativ objektive Hinweise auf die Qualität bestimmter Arbeiten bieten die Anzahl an Zitationen in akademischen Datenbänken sowie die Qualität des veröffentlichenden Fachmagazins. In dieser Literaturübersicht wurden zunächst die üblichen Schlagwörter zu den verschiedenen Themen in Google Scholar gesucht (nach Entfernung aller Cookies zu bisherigen Suchen auf demselben Computer) und aus den vierzig ersten Suchergebnissen diejenigen Arbeiten in Betracht gezogen, die originäre, quantitativ-empirische Ergebnisse enthalten. Anschließend wurde betrachtet, auf welche sonstigen Arbeiten sich die ausgewählten Studien sowie die prominentesten Übersichtsarbeiten beziehen. Allerdings bestehen hier Schwierigkeiten bei neueren Arbeiten, die aufgrund ihrer Aktualität besonders relevant sein können, aber die naturgemäß weder viel zitiert noch in Literaturübersichten aufgenommen oder nach Peer-Review für gut befunden und in Fachmagazinen veröffentlicht wurden (Arbeitspapiere). Das ist ein Grund, warum weitere Kriterien herangezogen werden. Einzigartigkeit des Beitrags zur Gesamtliteratur. Wo Dutzende Studien zu einem spezifischen Thema vorliegen, sind kurze Zusammenfassungen der qualitätsvollsten Veröffentlichungen sowie Darstellungen der Gesamttendenz am nützlichsten. Dies gilt zum Beispiel für die Wirkung digitalen Kopierens auf die Einnahmen von Rechteinhabern in der Musikindustrie (siehe Handke 2011a; Liebowitz 2013; Danaher et al. 2013). Wo wenige Beiträge zu politikrelevanten Aspekten vorliegen, ist eine ausführlichere Diskussion einzelner Beiträge sinnvoll. Hier wurden zusätzlich Google Scholar-Suchen zu den prominentesten vierzig Publikationen seit 2012 ausgewertet und in Einzelfällen auch nicht akademische Literatur berücksichtigt, wie zum Beispiel Gutachten. Fokus auf Schwerpunktthemen. Besonders die hochwertige, empirische Literatur zu den Schwerpunktthemen (Anpassung der Urheberrechtsindustrie an die Verbreitung digitaler Kopiertechnologie, Durchsetzungsmaßnahmen des Urheberrechts und alternative Vergütungssysteme) wird umfassend betrachtet. III.3 Bewertung einzelner Studien In der Interpretation empirischer Ergebnisse sind eine Reihe weiterer Gesichtspunkte zu beachten: Erstens geht es um die Qualität der empirischen Daten und ihrer Interpretation, also die sogenannte ‚interne Validität’ spezifischer Studien. Eine wichtige Unterscheidung besteht dabei zwischen Daten, die in Umfragen erhoben worden sind, und Daten zu beobachtetem Verhalten, das Konsequenzen für die Akteure hatte. Watson et al. (2014) zeigen auf, dass über zwei Drittel der wohlfahrtsökonomischen, empirischen Literatur zu Tauschbörsen auf Umfrageergebnissen beruhen. Ein knappes Drittel basiert auf Beobachtungen, beispielsweise von Kaufentscheidungen oder unautorisierter Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke. Grundsätzlich ergeben direkte Beobachtungen relevanten Verhaltens aber die valideren Resultate. Führende Beiträge zur Literatur fallen in den letzten Jahren in diese Kategorie. Allerdings lassen sich über hochwertige Umfragen oft Daten zu Themen erzeugen, zu denen direkte Beobachtungen kaum möglich sind. Umfragen können also nach wie vor eine wichtige Ergänzung bieten. 6 Die Literaturrecherche wurde im November 2015 abgeschlossen. 14 Handke Urhebervergütung - Auswahl Ein zweiter Gesichtspunkt zur Interpretation einzelner Studien ist die ‚statistische Validität‘, also mit welcher Wahrscheinlichkeit die wesentlichen Ergebnisse tatsächlich zutreffen. Bei rein deskriptiven Arbeiten ist diese Wahrscheinlichkeit nicht zu bestimmen und diese Literaturübersicht konzentriert sich auf technisch versiertere quantitative Studien, soweit diese zu bestimmten Themen vorhanden sind. Drittens bedarf die ‚externe Validität‘ besonderer Aufmerksamkeit, also inwiefern sich die Ergebnisse verallgemeinern lassen. Studien decken grundsätzlich eingeschränkte Zeiträume, Länder und Gesellschaftsteile ab. In Watson et al. (2014) beschäftigen sich mit Abstand die meisten Studien (39) mit den Folgen von Tauschbörsen für die Musikindustrie. Die Filmwirtschaft haben 14 Studien betrachtet. Zu weiteren Urheberrechtsbranchen liegen kaum hochwertige quantitative Arbeiten vor. Diese Verteilung ist in Handke (2011a) sehr ähnlich, auch wenn dort aufgrund einer weiteren Definition des Themengebiets auch eine Handvoll Studien zu unautorisiertem Kopieren bei Computer Software berücksichtigt sind. Für diese Literaturübersicht ist besonders bedeutsam, inwiefern empirische Forschungsergebnisse Schlüsse auf die Wirkung verschiedener Handlungsoptionen der derzeitigen deutschen Urheberrechtspolitik zulassen. Das ist vor allem eher der Fall, wenn Studien sich auf in Deutschland verbreitete Technologien und Länder mit vergleichbarem Entwicklungsstand, demographischer Zusammensetzung und einem ähnlichen Urheberrechtssystem beziehen. Allgemein versuchen hochwertige empirische Arbeiten, Ereignisse zu bearbeiten, die idealtypischen Bedingungen natürlicher Experimente möglichst nahe kommen - also einer starken Variation des Urheberrechtsschutzes zwischen ansonsten ähnlichen Zeiträumen oder Gruppen zu der möglichst hochwertige empirische Daten erhältlich sind (siehe Cook & Campbell, 1979). Solche Arbeiten sind das akzeptierteste Mittel, kausale Zusammenhänge zu identifizieren aber natürlich nicht annähernd perfekt. Die Sicherheit, mit der sich Ergebnisse verallgemeinern lassen, verstärkt sich, wenn wiederholte Untersuchungen derselben Frage auf verschiedener Datengrundlage ähnliche Ergebnisse liefern. Auf diese Bewertungskriterien wird bei den wichtigsten Studien einzeln eingegangen. 15 Handke Urhebervergütung - Kopieren IV. DIE WIRKUNG UNAUTORISIERTEN KOPIERENS: DIE EMPIRISCHE LITERATUR Die grundlegendste empirische Frage mit Bezug auf das Urheberecht ist zunächst einmal, wie unautorisiertes Kopieren ohne effektiven Urheberrechtsschutz in der Praxis wirkt. Insbesondere die Auswirkung digitaler Kopiertechnologie und ihrer vielfältigen, unautorisierten Nutzung ohne Rücksicht auf bestehende Urheberrechte ist in den letzten Jahren das mit Abstand meistbeachtete Thema in der Debatte um das Urheberrecht gewesen. Wesentliche Ergebnisse werden in diesem Abschnitt gemäß der Struktur in Tabelle 1 geordnet zusammengefasst. IV.1 Wirkung auf Einnahmen der Rechteinhaber Die erste Frage bezüglich der Wirkung des Urheberrechtsschutzes ist, inwieweit unautorisiertes Kopieren Urheber und sonstige Investoren in die Herstellung werthaltiger kreativer Werke schlechter stellt. In der ökonomischen Literatur werden fast ausschließlich die Einnahmen von Rechteinhabern als Indikator für deren Wohlfahrt genutzt. Hierzu liegen relativ viele, empirischakademische Studien vor. Es gibt sogar bereits eine ansehnliche Zahl von Übersichtsartikeln zum Thema, wie Smith & Telang (2012), Liebowitz (2013) oder Watson et al. (2014). Siehe auch die tabellarischen Übersichten in Handke (2011a: 7) und Watson et al. (2014: 18).7 Wir beschränken uns hier auf eine grobe Zusammenfassung. Wie und wie stark unautorisiertes Kopieren auf Einnahmen der Rechteinhaber wirkt ist aus ökonomischer Sicht nicht offensichtlich. In der Literatur werden eine Reihe möglicher Mechanismen diskutiert, durch die eine negative Wirkung unautorisierten Kopierens auf Rechteinhaber abgeschwächt werden könnte, oder Kopieren sich sogar für Rechteinhaber als nützlich erweisen könnte (siehe Varian 2005; Peitz & Waelbroeck 2006a; Handke 2011a). Nichtsdestotrotz ist die empirische Literatur zu diesem Thema insgesamt recht eindeutig: Die Mehrheit der veröffentlichten Studien ergibt, dass digitales Kopieren mit einem signifikanten Rückgang der Einnahmen von Rechteinhabern aus dem Verkauf vom Medieninhalten an Verbraucher einhergegangen ist. IV.1.1 Tauschbörsen und Einnahmen der Musikindustrie Viele Studien betrachten die Musikindustrie, die besonders früh und stark von digitalem Kopieren betroffen gewesen ist. Ein Großteil der empirischen Literatur zur Wirkung unautorisierten Kopierens auf die Einnahmen von Rechteinhabern beschäftigt sich mit Tauschbörsen und dem primären Markt für Musikaufnahmen, in dem Kopien von Aufnahmen direkt an Endverbraucher vermarktet werden. Die Verbreitung digitaler Kopiertechnologie fällt mit einem erheblichen Rückgang dieser Einnahmen für die Musikindustrie in Deutschland, Europa und den USA zusammen. 7 Watson et al. (2014) enthält die umfangreichste Auflistung und tabellarische Zusammenfassung wichtiger Studien, geordnet nach Datenbasis und Urheberrechtsbranchen. Allerdings enthält diese Übersicht einige ältere Arbeitspapiere, die kaum zitiert worden sind, was auf eine geringe Qualität hinweist. Vor allem berücksichtigen Watson et al. (2014) auch positive Effekte in Studien, die lediglich eine positive Korrelation zwischen Nutzung unautorisierter und autorisierter Angebote ergeben. So eine Korrelation ist zu erwarten, wenn Verbraucher unterschiedlich hohe Wertschätzung für entsprechende Medieninhalte haben. Auf Grundlage von Korrelationen lassen sich keine sicheren Aussagen bezüglich eines Substitutionseffekts zwischen unautorisiertem Kopieren und der Nachfrage nach autorisierten Kopien und Leistungen treffen. 16 Handke Urhebervergütung - Kopieren Prominente Studien auf Grundlage von Daten zum Gesamtumsatz aus dem Verkauf von musikalischen Aufnahmen an Endverbraucher sind Peitz & Waelbroeck (2004) und Zentner (2005), die jeweils eine Reihe von Industrienationen abdecken. Die USA haben zum Beispiel Liebowitz (2008) und Mortimer et al. (2012) betrachtet. Alle diese Studien ergeben einen signifikanten, negativen Effekt der digitalen Kopierens auf die Einnahmen der Musikindustrie, wobei Mortimer et al. (2012) für die USA belegen, dass gleichzeitig die Einnahmen bei Live-Auftritten „enorm gestiegen“ sind. Eine bekannte Ausnahme ist Oberholzer-Gee & Strumpf (2007), die in einer technisch besonders ambitionierten Studie keinen nennenswerten Effekt der Tauschbörsennutzung auf CD-Verkäufe finden. Diese Arbeit ist von Liebowitz (2007; 2010) ausführlich kritisiert worden. Die einzige aktuelle Studie, die einen positiven Effekt feststellt, ist Aguiar et al. (2013): Die Autoren ermitteln eine Steigerung der digitalen Verkäufe über den iTunes Store aufgrund digitalen Kopierens um 2%. Auf Grundlage von hochwertigen Verbraucherumfragen finden Hong (2004), Peitz & Waelbroeck (2004), Michel (2006), Rob & Waldfogel (2006), Zentner (2006) und Waldfogel (2010) negative Effekte der Tauschbörsennutzung auf Einnahmen der Musikindustrie. Eine Ausnahme ist Andersen & Frenz (2007; 2010), die für Kanada keine signifikante Veränderung auf CD Verkäufe oder digitale Verkäufe feststellt. Barker & Maloney (2015) kommen in einer neuen Analyse desselben Datensatzes aber auf einen signifikanten negativen Effekt. IV.1.2 Tauschbörsen und Einnahmen der Filmwirtschaft Für die Filmwirtschaft oder andere audiovisuelle Medieninhalte liegen bisher weniger Studien vor. In einem Arbeitspapier betrachtet Zentner (2010) bis zu 36 überwiegend europäische Länder bis 2008. Er findet einen negativen Effekt der Tauschbörsennutzung auf Videoverkäufe, aber keinen signifikanten Effekt auf Kinoeinnahmen oder Videoverleih. Umfrageergebnisse ergeben häufig einen negativen Effekt für Videoverleih und -Verkauf (Bounie, Bourreau & Waelbroeck 2006; Rob & Waldfogel 2007; Hennig-Thurau et al. 2007; De Vany & Walls 2007). IV.1.3 Zusammenfassung und sonstige Urheberrechtsbranchen Bei der Vielzahl der Studien ergibt sich eine erhebliche Streuung der Ergebnisse. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Wirkung von Tauschbörsen auf Einnahmen der Rechteinhaber je nach Zeitraum und je nach den untersuchten Teilmärkten variiert. Eine Streuung ergibt sich wahrscheinlich aber auch aus einer eingeschränkten Datenlage und entsprechender Messfehler (Liebowitz 2006). Dazu ist es schwierig, den Effekt unautorisierten, digitalen Kopierens von Auswirkungen des breiten technologischen Wandels der letzten Jahre zu isolieren. Die Autoren nennen hier oft die schnelle Entwicklung neuer Informations- und Unterhaltungsdienstleistungen wie Smart Phones und Videospiele, oder die Entwicklung neuer Methoden, Musik und Filme Online zu vermarkten. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Tauschbörsennutzung und unautorisiertes, digitales Kopieren die Einnahmen der Rechteinhaber in der Musikindustrie und Filmwirtschaft aus der Vermarktung autorisierter Kopien verringert. Das ist das Ergebnis der meisten hochwertigen Studien zum Thema. Eine Minderheit der Arbeiten findet keinen signifikanten Effekt. Positive Effekte sind die große Ausnahme. Das Thema bleibt unter Ökonomen zwar umstritten. Jedoch hat sich eine relativ stabile Mehrmeinung herausgebildet, die aufgrund der vorliegenden empirischen Daten davon ausgeht, dass unautorisiertes Kopieren Rechteinhaber in der Regel erkennbar schlechter stellt. Demzufolge stellt sich die Frage, ob dieses Problem für Rechteinhaber auf die Dauer gesamtgesellschaftliche Nachteile mit sich bringt, sollte sich das Angebot werthaltiger kreativer Werke in der Folge negativ entwickeln. 17 Handke Urhebervergütung - Kopieren Fraglich bleibt, inwieweit diese Ergebnisse sich auf die Vielzahl anderer Urheberrechtsbranchen übertragen lassen. Außer für die Musik- und Filmwirtschaft liegen kaum Arbeiten zur kausalen Wirkung von Tauschbörsennutzung auf die Einnahmen von Rechteinhabern vor. Siehe Handke (2011a) zu Software und einer Handvoll älterer Arbeiten zur Wirkung sonstiger Kopiertechnologien. Anhand der bisherigen Ergebnisse ist zumindest Sorge geboten, dass auch die Anbieter sonstiger urheberrechtlich geschützter Werke Gefahr laufen, durch unautorisiertes digitales Kopieren Einkommensverluste zu erleiden. IV.2 Die Position der Verbraucher IV.2.1 Kurzfristige Wirkung Lässt man die langfristige Wirkung unautorisierten Kopierens auf das Angebot kreativer Werke zunächst außen vor, profitieren Verbraucher. Zum einen haben Nutzer unautorisierter Kopien einen Vorteil, wenn sie Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werke haben, ohne Zahlungen an Rechteinhaber leisten zu müssen. Die millionenfache Nutzung von Tauschbörsen und sonstigen illegalen Angeboten Online weist deutlich darauf hin. Dieser Vorteil ergibt sich nicht unbedingt nur, weil Verbraucher es vermeiden, für Leistungen zu zahlen. Tauschbörsen und ähnliche unautorisierte Angebote haben oft Inhalte zugänglich gemacht, die auf autorisiertem Wege gar nicht erhältlich waren (Rochelandet & Guel 2005). Rob & Waldfogel (2006) und Waldfogel (2010) berechnen aufgrund von Studentenumfragen zur Wertschätzung kreativer Werke in den USA, dass der kurzfristige Wohlfahrtsgewinn von Verbrauchern die Verluste der Rechteinhaber um ein mehrfaches übersteigt. Eine rein deskriptive Studie aus den Niederlanden kommt zu einem ähnlichen Ergebnis (TNO 2009). Maßgeblich sind allerdings die vollständigen Effekte auf die Verbraucherwohlfahrt, inklusive der langfristigen Wirkung auf das Angebot kreativer Werke. Verringert unautorisiertes Kopieren über kurz oder lang das Angebot, könnte unautorisiertes Kopieren insgesamt auch Verbrauchern schaden. IV.2.2 Langfristige Wirkung Für die ökonomische Begründung des Urheberrechtsschutzes ist die Wirkung auf das Angebot kreativer Werke entscheidend. Nichtsdestotrotz ist dieses Thema empirisch bisher wenig untersucht worden. Ein Grund sind Schwierigkeiten, ausreichende Daten zur Qualität und Quantität des Angebots kreativer Werke zu erlangen. Darüber hinaus ist es technisch schwieriger, einen langwierigen Effekt wie die Wirkung unautorisierten Kopierens auf Innovation zu untersuchen, als die direktere Wirkung auf die Einnahmen der Rechteinhaber. Handke (2010b; 2012) dokumentiert, dass die Zahl der jährlich auf Tonträgern neu veröffentlichten Musikalben (ohne reine Internet-Veröffentlichungen) in Deutschland seit den frühen 1990er Jahren schnell gewachsen ist. Er findet keine signifikante Abweichung von diesem langwierigen Wachstumstrend mit der Verbreitung digitaler Kopiertechnologie. Für die USA weist Waldfogel (2012) ebenfalls darauf hin, dass die Anzahl der neuveröffentlichten Alben pro Jahr seit 2000 stark zugenommen hat (inklusive Veröffentlichungen als Streams oder Downloads). Waldfogel (2011) hebt besonders auf die Qualität des Angebots in den USA ab, die er anhand von Platzierungen in ‚best of all times’-Listen erfasst. Auch er findet keine signifikante Trendabweichung mit der Verbreitung digitaler Kopiertechnologie. Zwar ist der Anteil neuerer Veröffentlichungen mit der Zeit zurückgegangen, aber dieser Trend hat sich mit dem Aufkommen von Tauschbörsen nicht 18 Handke Urhebervergütung - Kopieren verstärkt.8 Diese Ergebnisse sind bemerkenswert, da sich der Umsatz im Endverbraucher-Markt für Musikaufnahmen seit 2000 um etwa die Hälfte verringert hat, auch wenn man Verkäufe von autorisierten Downloads und Streams berücksichtigt. Für andere Urheberrechtsbranchen ergibt sich bisher ein ähnliches Bild. Oberholzer-Gee & Strumpf (2007) weisen auf eine Zunahme der Neuveröffentlichungen für eine Reihe Urheberrechtsbranchen in den letzten Jahren hin, trotz digitalen Kopierens. Neben dem Fluss an Neuveröffentlichungen bestimmt auch die Zugänglichkeit bestehender Werke die Vielfalt des Angebots. Buccafusco & Heald (2013) betrachten das Angebot von Hörbüchern (Audiobooks) auf Grundlage literarischer Werke, das über Amazon erhältlich ist. Sie vergleichen Bestseller aus dem Zeitraum 1913 bis 1922, für welche die relevanten Urheberrechte bereits abgelaufen sind, mit Bestsellern aus dem Zeitraum 1923 bis 1932, für die Urheberrechte noch bestehen. Sie zeigen, dass das Angebot von Hörbüchern für die gemeinfreien Werke größer ist. Auf Grundlage einer experimentellen Befragung finden sie keinen signifikanten Qualitätsunterschied zwischen den Hörbüchern zu gemeinfreien und zu urheberrechtlich geschützten Werken. In einer weiteren Studie zeigt Heald (2014) unter anderem, dass urheberrechtlich geschützte literarische Werke seltener auf Amazon angeboten werden als gemeinfreie Werke. Bei Musikaufnahmen im iTunes Store und YouTube verhält es sich allerdings umgekehrt. Eine relativ wenig beachtete Studie von Baker & Cunningham (2009) findet im Gegensatz zu den meisten Studien einen geringen aber statistisch signifikanten positiven Effekt des Urheberrechtschutzes auf das Angebot urheberrechtlich geschützter Werke. Sie bilden einen Index für die Breite des Urheberrechtschutzes aus Gerichtsentscheiden in den USA und Kanada und ermitteln eine positive Beziehung mit der Anzahl von registrierten Urheberrechtsansprüchen in diesen Ländern. Dabei ist zu beachten, dass das Urheberrecht automatisch gilt, bei Registrierung aber eine Gebühr fällig wird. Der Zusammenhang in Baker & Cunningham (2009) könnte nur auf Anreize zurückgehen, Ansprüche zu registrieren und nicht unbedingt auf Veränderungen in der Veröffentlichung neuer Werke. Insgesamt gibt es also praktisch keine Belege dafür, dass digitales Kopieren zu einer Verringerung des Angebots kreativer Werke geführt hätte. Die Einnahmen der Rechteinhaber sind zurückgegangen, aber das Angebot kreativer Werke ist zumindest vielfältiger als je zuvor. Zu diesem Zeitpunkt lassen sich noch keine sehr sicheren Schlüsse aus diesem Befund ziehen. Einerseits, verändern sich die Urheberrechtsbranchen mit der Digitalisierung schnell und weitreichend. Es ist anhand sinkender Kosten und leistungsfähiger neuer Vertriebssysteme nicht auszuschließen, dass sich die Entwicklung des Angebots mit einem besseren Urheberrechtssystem noch günstiger entwickelt hätte. Andererseits ist es möglich, dass sich die volle Wirkung unautorisierten, digitalen Kopierens noch nicht entfaltet hat. Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass das Angebot vieler kreativer Werke trotz digitalen Kopierens heute erheblich umfangreicher und wahrscheinlich auch werthaltiger ist als in den 1990er Jahren. Die Quantität und Qualität des Angebots kreativer Werke und das Ausmaß ihrer Nutzung sollte in Zukunft ausführlicher betrachtet werden. Zwar sind überzeugende Daten zu diesem Thema schwieriger zu beschaffen als zum Beispiel zu den Einnahmen von Rechteinhabern; aber das Urheberrecht ist aus ökonomischer Sicht letztendlich ein Mittel um das Angebot zu stärken. 8 In einem Arbeitspapier nutzt Lunney (2014) Charts-Daten. Seine Ergebnisse sind nuanciert. Er kommt insgesamt zu dem Schluss, dass Tauschbörsen zu einem hochwertigeren Angebot geführt haben, weil erfolgreiche Musiker gezwungen sind, mehr zu investieren, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Anzahl neuer Musiker in den Charts hat mit der Nutzung von Tauschbörsen dagegen abgenommen. 19 Handke Urhebervergütung - Kopieren Schließlich wird man zukünftig das zunehmende Angebot an User Generated Content (UGC; nutzergenerierten Inhalten) erfassen müssen, das von Kreativen ohne direkte pekuniäre Entlohnung geschaffen und im Internet veröffentlicht wird. Handke et al. (2015a) zeigen für eine Stichprobe von YouTube-Videos, dass knapp die Hälfte (47%) komplett aus professionell erzeugten Inhalten bestehen. Ein großer Teil dieser Inhalte wird allerdings nicht von den Rechteinhabern selbst hochgeladen. Etwa ein Drittel (33%) der YouTube-Videos besteht komplett aus UGC. Ein großer Teil der YouTube-Videos baut also zumindest auf professionellen Inhalten auf. Hier bedarf es eines angemessenen Kompromisses, der positive Aspekte des UGC zulässt ohne Rechteinhaber schlechter zu stellen. IV.3 Die Wirkung rechtlicher Maßnahmen Auch aufgrund der Verbreitung digitaler Kopiertechnologie haben in den letzten Jahren eine Reihe von Urheberrechtsreformen stattgefunden. Die Literatur hat die Wirkung einiger solcher Maßnahmen untersucht. Für die USA betrachten Baker & Cunningham (2006), wie sich der Wert von Aktien börsennotierter Anbieter urheberrechtlich geschützter Werke mit Veränderungen des Urheberrechts zwischen 1986 und 1998 verändert hat. Hierfür bilden sie anhand von Gesetzesänderungen und gerichtlichen Entscheidungen eine Art Index für Stärke des Urheberrechtsschutzes. Sie finden, dass sich mit stärkerem Urheberrechtsschutz im Großen und Ganzen der Wert dieser Unternehmen an der Börse statistisch signifikant erhöht. Das Ausmaß dieser Wirkung war bei den betrachteten Veränderungen des Urheberrechts allerdings gering. Einige wirtschaftshistorische Studien haben die Wirkung von Urheberrechtsveränderungen auf das Angebot kreativer Werke betrachtet. Khan (2004) findet keine erhebliche Wirkung des US Copyright Act von 1891 auf die Zahl vollbeschäftigter literarischer Autoren. Scherer (2008) findet keine Hinweise, dass Urheberrechtserweiterungen in Europa zwischen 1709 und 1850 die Zahl der Komponisten erhöht hätte. Ein vielbeachtetes Arbeitspapier von Giorcelli & Moser (2014) betrachtet die Schaffung neuer Opern in verschiedenen Teilen Italiens zwischen 1770 und 1900. Mit der Einführung eines Urheberrechts steigt sowohl die Zahl neuer Opern als auch die Zahl erfolgreicher Opern, die in den jeweiligen Teilstaaten entstehen. Eine Handvoll weiterer Studien hat die Wirkung kürzer zurückliegender Verlängerungen der Urheberrechtsdauer auf das Angebot kreativer Werke untersucht. Keine findet eine signifikante Wirkung auf das Angebot von Filmen (Hui & Png 2002; Png & Wang 2009) oder anderer kreativer Werke (Landes & Posner 2003). Auch in besagter Studie von Giorcelli & Moser (2014) haben Verlängerungen der Urheberrechtsdauer kaum eine Wirkung auf die Produktion von Opern.9 Die Angebotswirkung sonstiger Veränderungen von Aspekten des Urheberrechts sind bisher kaum quantitativ untersucht worden. Insgesamt gibt es also einige Hinweise, dass stärkere Urheberrechtsgesetze die Situation der Rechteinhaber verbessern und eventuell auch das Angebot kreativer Werke stärken. Die Indizien sind allerdings nicht einheitlich. Eine Förderung des Angebots durch rechtliche Veränderungen scheint oft nicht erreicht worden zu sein, insbesondere bei Erweiterungen der Urheberrechtsdauer. 9 MacGarvie & Moser (2015) zeigen dagegen, dass die Zahlungen an britische Autoren aus den USA sich mit der Einführung eines längeren und stärkeren Urheberrechtsschutz in 1814 stark gestiegen sind. Zuvor hatte für britische Autoren in den USA kaum ein effektiver Urheberrechtsschutz bestanden. 20 Handke Urhebervergütung - Kopieren IV.4 Verwaltungs- und Transaktionskosten Zur ökonomischen Rechtfertigung des Urheberrechts ist es nicht nur entscheidend, ob der Urheberrechtsschutz seine direkten Ziele erreicht - also die Entlohnung von Rechteinhabern erhöht und das Angebot werthaltiger kreativer Werke so stark fördert, dass auch Verbraucher auf Dauer profitieren. Der Nutzen des Urheberrechtsschutzes muss auch in einem günstigen Verhältnis zu den Verwaltungs- und Transaktionskosten stehen, die mit einem Urheberrechtssystem einhergehen. In der empirischen Literatur finden sich keine systematischen Betrachtungen der Verwaltungskosten, die letztendlich der Steuerzahler trägt. Umfrageergebnisse aus Frankreich in Dejean & Suire (2014) weisen darauf hin, dass die Kosten an Endverbraucher gerichteter Durchsetzungsmaßnahmen sehr hoch sein können. Es gibt viele Methoden unautorisierter Vervielfältigung und Verbreitung, und Akteure weichen auf die Methoden aus, die nicht effektiv verfolgt werden. So können Durchsetzungsmaßnahmen, die nicht sämtliche Methoden abdecken, ins Leere laufen. Eine umfassende Durchsetzung ist wiederum aufwändig. Dejean & Suire (2014) folgern, dass die Urheberrechtspolitik weniger auf die Rechtsdurchsetzung als auf die Entwicklung besserer autorisierter Angebote zielen sollte. Transaktionskosten umfassen den Aufwand für die Suche nach geeigneten Handelspartnern, das Aushandeln von Handelskonditionen, wie zu erbringende Leistung und Preis, sowie die Kontrolle und Durchsetzung dieser Abmachungen. Auch dieses Thema ist kaum direkt untersucht worden. Zusammen mit Forschern der Free University Brussels hat die Unternehmensberatung KEA (2012) die Transaktionskosten berechnet, die für europäische Online-Einzelhändler für Musik anfallen. Sie kommen auf 80.000 bis 250.000 Euro jährlich, abhängig vom Umfang des Repertoires, der Art der Nutzung und der Rechteinhaber. Die Summe beinhaltet nicht die eigentliche Lizenzzahlung zum Erwerb der jeweiligen Rechte, sondern nur die Kosten, überhaupt Vereinbarungen mit den relevanten Rechteinhabern zu treffen. Es scheint zudem problematisch, dass es in der Regel mehr als ein Jahr dauert, bis über eine Lizenzierung entschieden ist. IV.5 Urheberrechtsschutz, Industriestruktur und Wettbewerb IV.5.1 Industriestruktur und Wettbewerb Wichtige Aspekte der Urheberrechtsbranchen sind in engen Oligopolen intermediärer Unternehmen organisiert. Das traditionelle Beispiel sind Major Plattenfirmen oder Filmstudios, bei denen die große Mehrheit der Umsätze auf eine Handvoll Unternehmen entfällt. Noch extremer ist die Situation im Markt für (auch durch das Urheberrecht geschützte) Computer-Betriebssysteme und Büroanwendungs-Software. Handke (2015a) verweist auch auf hohe Marktanteile für die größten Online-Einzelhändler von Musikaufnahmen, wie den iTunes Store oder Spotify, in vielen Ländern. Eine hohe Konzentration kann bei einer Kostenstruktur mit hohen Entwicklungskosten und geringen Bereitstellungskosten oder bei Netzwerkeffekten effizient sein. Allerdings gehen hohe Marktanteile oft mit Marktmacht einher, also der Fähigkeit Produkte zu Preisen zu verkaufen, die über den Bereitstellungskosten liegen. Spezialisierte, kleinere Anbieter oder Endverbraucher haben der Verhandlungsmacht großer Unternehmen oft wenig entgegenzusetzen. Allgemein generiert das Urheberrecht zwar substantielle Einnahmen für Rechteinhaber, aber Towse (1999) stellt aufgrund von Daten von Verwertungsgesellschaften aus dem Vereinigten Königreich, Schweden und Dänemark fest, dass nur eine kleine Minderheit der originären Kreativen überhaupt pekuniäre Einnahmen aus der Vermarktung von Urheberrechten erzielt. Der größte Teil der Einnahmen geht an Verwerter, wie Verlage und Produktionsfirmen. Kretschmer (2005) bestätigt diese Ergebnisse für das Vereinigte Königreich und Deutschland. Allerdings sollte die Höhe von 21 Handke Urhebervergütung - Kopieren Vorschusszahlungen an Kreative, für die Verwerter Urheberrechte erwerben, vom effektiven Urheberrechtsschutz abhängen. Hierzu liegen keine systematischen Untersuchungen vor. In manchen Urheberrechtsbranchen scheint die oligopolistische Industriestruktur tatsächlich mit wettbewerbs- und verbraucherfeindlichem Verhalten einhergegangen zu sein. Zum Beispiel kam es im Jahr 2000 zu einer außergerichtlichen Einigung zwischen den Vertrieben der Major Plattenfirmen und US amerikanischen Wettbewerbshütern (Federal Trade Commission 2000). In der Europäischen Union wurden Unternehmenszusammenschlüsse zwischen Teilen von Major Plattenfirmen mehrfach von Wettbewerbshütern unterbunden oder nur mit scharfen Auflagen genehmigt. Gegen Apple sind ebenfalls aufgrund des Verdachts auf wettbewerbswidriges Verhalten in einer Reihe von Ländern Verfahren eingeleitet worden. Dabei ging es um die Fairplay DRM Technologie (Ibision & Terazono 2007) und um die exklusive Verknüpfung von Musikeinzelhandel und der Musikabspiel- und Musikorganisationssoftware auf iTunes (Maclean & Gallo 2011). IV.5.2 Wettbewerb und Innovation Bei Marktmacht sind in realen Märkten mit unvollständiger Information der Akteure und Transaktionskosten zwei Probleme zu erwarten. Erstens fallen die Innovationsanreize für kleinere Marktteilnehmer, die mit dominanten Firmen kooperieren, zu gering aus, da sie die volle Unsicherheit tragen, im Erfolgsfall ein Großteil der Profite aber marktmächtigen Akteuren zufällt. Zweitens haben marktmächtige Unternehmen aus gesamtgesellschaftlicher Sicht unzureichende Anreize, disruptive Innovationen voranzutreiben, die ihre Vormachtstellung in Frage stellen oder den Wert ihrer bestehenden Infrastruktur entwerten könnten. Andererseits kann die Aussicht auf Marktmacht zu ‚Wettbewerb um den Markt‘ führen, wenn mehrere Unternehmen gleichzeitig versuchen, eine dominante Stellung zu entwickeln und zur Ausweitung ihrer Marktanteile hohe Investitionen in Innovationen leisten oder Leistungen unter den Bereitstellungskosten an ihre Kunden verkaufen. Die Wechselwirkung zwischen Innovation und Wettbewerb ist komplex (Gilbert 2006a; 2006b). Die üblichste Auffassung ist, dass Innovation in gemischten Situationen ein Optimum erreicht: einerseits mit ausreichender Bestreitbarkeit von Märkten, der es auch weniger etablierten Unternehmen ermöglicht, Neuerungen durchzusetzen; andererseits mit ausreichend Aussicht auf Marktmacht für erfolgreiche Innovatoren, um Akteure zu motivieren, sich der Unsicherheit von Innovation auszusetzen (siehe Aghion et al. 2005). Urheberrecht ist wahrscheinlich das wichtigste Mittel, mit dem die öffentliche Hand diese Balance zwischen Wettbewerb und Marktmacht in den Urheberrechtsbranchen beeinflusst. Ob die Situation sich verbessert oder verschlechtert ist letztlich kaum an rein theoretisch entwickelten Kriterien zu erkennen, sondern nur am beobachtbaren Ergebnis: Ob die Innovationsleistung und Produktivität der geregelten Gesellschaftsbereiche mit Veränderungen des Urheberrechts erkennbar zu- oder abnimmt. IV.5.3 Wettbewerb zwischen Anbietern kreativer Werke Viele Studien ergeben, dass die negativen Auswirkung unautorisierten Kopierens für große, etablierte Anbieter (Major oder Superstars) gravierender ausfallen als für Newcomer und Nischenanbieter; siehe Blackburn (2004), Gopal et al. (2006), Bhattacharjee et al. (2007), Mortimer et al. (2010), oder Waldfogel (2012). Gopal et al. (2006) untersuchen beispielweise die US Billboard Charts. Sie vergleichen den Zeitraum 1995 bis 1996 mit 1998 bis 2000. Die Korrelation zwischen der vorherigen Reputation von Musikern und ihrer Positionierung in den Charts ist im zweiten Zeitraum signifikant geringer. Die Autoren folgern, Internetnutzung und Online Sampling (inklusive unautorisierten Kopierens Online) „threatens superstars and benefits lesser known artists“ (Gopal et al. 2006:1530). In Deutschland dokumentiert Handke (2006; 2010b) eine große Anzahl an Markteintritten durch kleine Plattenfirmen mit der Verbreitung digitaler Kopiertechnologie. Mortimer et al. (2010) finden, dass Tauschbörsennutzung den Absatz von Musikalben für „large 22 Handke Urhebervergütung - Kopieren artists“ stärker mindert als für „small artists“. Zusätzlich zeigen sie aufgrund von Daten zu den Jahren 1993 bis 2004, dass in den USA die Einnahmen durch live Auftritte für weniger bekannte Künstler mit der Tauschbörsennutzung gestiegen sind, während sich kaum ein positiver Effekt für die populärsten Musiker zeigt.10 Die übliche Erklärung ist, dass weniger bekannte Anbieter stärker profitieren, wenn ihre Werke durch unautorisiertes Kopieren leichter zugänglich werden und mehr Beachtung finden. Für bereits weithin bekannte Anbieter überwiegt dagegen eher der Substitutionseffekt, wenn billige unautorisierte Kopien zugänglich sind. Das zu erwartende Ergebnis wären häufigere Markteintritte, weniger Stabilität und weniger Konzentration der Nachfrage auf die Veröffentlichungen der führenden Anbieter. Das Thema findet sich in der allgemeinen Diskussion zur Digitalisierung und zur ‚Long-Tail’-Hypothese wieder (Anderson 2004). Unautorisiertes Kopieren könnte ein Treiber von Long-tail Effekten sein, bei denen in Märkten für heterogene Güter der Marktanteil der populärsten Marken oder Varianten abnimmt, zum Beispiel wenn Verbraucher sich leichter zu einer Vielzahl von Angeboten informieren können. Einige, bisher noch widersprüchliche empirische Untersuchungen hierzu finden sich Brynjolfsson et al. (2011) oder Elberse and Oberholzer-Gee (2007). Eine weitere mögliche Erklärung für einen relativen Vorteil durch unautorisiertes Kopieren für kleinere Anbieter oder Newcomer ist, dass diese sich schneller an veränderliche Marktbedingungen anpassen können. Schließlich haben sie im Gegensatz zu etablierten Anbietern keine hohen Investitionen in die bestehende Infrastruktur zu verlieren (Reinganum 1983; Handke 2006).11 Es scheint, dass unautorisiertes Kopieren ein Faktor ist, der die Position von Majors schwächt und zu größerem Wettbewerb beiträgt. Dies könnte Verbraucher besser stellen. IV.5.4 Unautorisiertes Kopieren und IKT Anbieter Das Urheberrecht beeinflusst auch die Position von Rechteinhabern gegenüber Anbietern komplementärer Güter und Leistungen. Die Beziehung zwischen Anbietern von Inhalten und Anbietern von IKT, über die Inhalte verbreitet werden, scheint besonders wichtig. Ein offensichtliches Beispiel sind Anbieter von Tauschbörsen oder File-hosting Dienstleistungen, die vielfach zum Vervielfältigen und Verbreiten von geschützten Werken genutzt werde. Aber auch Telekommunikationsunternehmen und sonstige IKT-Anbieter können profitieren, wenn kreative Werke mithilfe ihrer Produkte zu für Verbraucher günstigen Konditionen erhältlich sind. Leung (2009) hat das Thema für Apple’s Musikabspielgeräte iPods betrachtet. Er verwendet eine Conjoint-Analyse, eine ausgeklügelte Umfrage- und Auswertungstechnik unter knapp 900 Studenten an der University of Minnesota (USA). Er dokumentiert, dass 22% aller iPod Verkäufe auf die Verfügbarkeit unautorisierter Kopien musikalischer Werke im Internet zurückzuführen sind. Ähnliche Effekte lassen sich für andere Abspielgeräte für Streams und Downloads erwarten. Wahrscheinlich wird auch die Nachfrage nach allgemein verwendbarer IKT durch unautorisiertes Kopieren gefördert, zum Beispiel für Personal Computer oder sogar Smartphones, auch wenn die Nachfrage nach diesen Produkten von vielen anderen Faktoren mitbestimmt wird. Zudem schätzten Schultze und Mochalski (Ipoque 2009), dass in Deutschland 53% der über das Internet übertragenen Daten in 2008 auf Tauschbörsen zurückging, mit ähnlichen Werten für andere Teile Europas. Eine aktuellere akademische Studie von Richter et al. (2015) ermittelt für Deutschland im September 10 Eine Ausnahme ist Hammond (2014), der eine positivere Musikveröffentlichungen von bereits bekannten Musikern findet. Wirkung unautorisierten Kopierens für 11 Zudem weisen Gayer und Shy (2006) in einer theoretischen Arbeit darauf hin, dass Kreative möglicherweise eher von unautorisiertem Kopieren profitieren als Verwerter. 23 Handke Urhebervergütung - Kopieren 2013 einen Anteil von BitTorrent und P2P an der gesamten Internet-Datenübertragung von ca. 20%. Adermon und Liang (2010) finden, dass der Internet-Verkehr in Schweden direkt nach einer Verschärfung des Urheberrechts um 40% zurückgegangen ist. Daraus lässt sich schließen, dass auch die Nachfrage nach Internet-Zugang durch die unautorisierte Verbreitung geschützter Werke im Internet zunimmt. Es scheint, dass Anbieter vieler IKT-Produkte und Leistungen vom unautorisierten Kopieren Online profitieren. IV.6 Zusammenfassung Insgesamt hat unautorisiertes digitales Kopieren also mit hoher Wahrscheinlichkeit die Einnahmen der Rechteinhaber verringert und schadet diesen. Dieses Ergebnis findet sich aber nicht unter allen untersuchten Umständen und spiegelt einen differenzierteren Prozess wider. Für kleinere Anbieter und Newcomer könnte sich zumindest ein relativer Vorteil gegenüber den etablierten Unternehmen ergeben, wenn sie bei Sampling durch unautorisiertes Kopieren leichter bekannt werden und unautorisierte Leistungen kein perfektes Substitut für autorisierte Angebote sind. Endverbraucher sind mit der Verbreitung digitaler Kopiertechnologie bisher sicher besser gestellt, wenn man den vorhandenen Hinweisen traut, dass das Angebot kreativer Werke trotz unautorisierten Kopierens vielfältiger und werthaltiger geworden ist. Etwaige negative Effekte auf das Angebot neuer Werke sind offenbar durch Produktivitätszuwächse in den Urheberrechtsbranchen kompensiert worden. Ökonomen diskutieren sogar, ob unautorisiertes Kopieren sogar förderlich für die Produktivität der Musikindustrie war. Theoretisch ist dies möglich, aber bisher empirisch nicht belegt. 24 Handke Urhebervergütung - Anpassung V. ERSTES SCHWERPUNKTTHEMA: ANPASSUNG AN DIGITALES KOPIEREN DURCH ENTWICKLUNG LEGALER ANGEBOTE Ein wichtiger Aspekt der Debatte um Digitalisierung und Urheberrecht ist die Möglichkeit für Anbieter kreativer Werke, sich an die technologische Entwicklung anzupassen und diese in ihrem Sinne mitzugestalten (Handke 2006). Um das Jahr 2000 war es frappierend, wie weit finanzkräftige Major-Plattenfirmen bei der Nutzung von digitaler IKT zur Verbreitung von Musik hinter Start-ups wie Napster zurückgefallen waren. Mittlerweile sind die durch Rechteinhaber autorisierten Dienste allerdings technisch wahrscheinlich oft besser als die nicht autorisierte Konkurrenz. Diese Anpassung durch Verbesserung der autorisierten Angebote könnte Probleme mit unautorisiertem Kopieren abschwächen (Varian 2005; Peitz & Waelbroeck 2006a; Belleflamme & Peitz 2010). In diesem Sinne böte vor allem die innovative Anwendung digitaler IKT wiederum die Lösung für das Problem der Digitalkopie. Varian (2005:134) präsentiert eine Kategorisierung von 15 „Business Models ohne Urheberrecht“, mit der die Produktion werthaltiger Inhalte finanziert werden könnte. Die Arbeit enthält allerdings keine empirischen Belege, ob und welche dieser vorstellbaren, größtenteils auf private Initiativen und Marktmechanismen beruhenden ‚Lösungen’ angesichts der Digitalkopie-Problematik in der Praxis wirksam sind. Zudem ist zu beachten, dass unautorisierte Verbreitungsformen wie ein Konkurrent für die Anbieter autorisierter Leistungen wirken (Varian 2005). Das heißt, die Gewinnaussichten für Rechteinhaber werden sehr wahrscheinlich durch unautorisiertes Kopieren verringert, auch wenn Rechteinhaber sich so gut wie möglich anpassen.12 Mittlerweile haben einige konkrete Anpassungsversuche stattgefunden und sind empirisch untersucht worden. Zur Bewertung der Ergebnisse ist es hilfreich, zunächst eine Reihe grundlegender Marktbedingungen in Betracht zu ziehen. V.1 Grundlegende Marktbedingungen Eine relativ umfangreiche Literatur befasst sich mit den Faktoren, die unautorisiertes Kopieren bedingen. Überblicke finden sich in Rochelandet & Guel (2005) und Hennig-Thurau (2007). Watson et al. (2014) fokussieren komplett auf Tauschbörsen und sind besonders in der Dokumentation der Quellenauswahl vorbildlich. Offensichtlich kann es für die Gestaltung des Urheberrechtssystems und die Anpassungsbemühungen der Rechteinhaber an digitale Kopiertechnologie nützlich sein, zu verstehen, warum genau viele Verbraucher das bestehende Urheberrecht umgehen. Zunächst sind unautorisierte Kopien keine perfekten Substitute für autorisierte Kopien, sondern in der Wahrnehmung der Verbraucher von geringerem Wert, wie umfragebasierte Studien in vielen Ländern und zu verschiedenen Arten von Werken belegen (Holm 2001; Mafioletti & Ramello 2004; Rochelandet & Guel 2005; Bezmen & Depken 2006; Rob & Waldfogel 2006; Jeong & Lee 2010). Das heißt, auch nach der weiten Verbreitung digitaler Kopiertechnologie ist es für Rechteinhaber möglich, Verkäufe zu Preisen zu erzielen, die über ihren Bereitstellungskosten liegen (solange die Kosten der Vervielfältigung und des Vertriebs für Rechteinhaber nicht höher sind als für unautorisierte Anbieter). Einige empirische Arbeiten weisen sogar darauf hin, dass Verbraucher gelegentlich autorisierte Kopien und Leistungen erwerben, nachdem sie sich bereits unautorisiert 12 Peitz und Waelbroeck (2006b) argumentieren allerdings, dass Sampling über „freie Downloads“ zumindest die Aufmerksamkeit und damit theoretisch auch die Nachfrage nach autorisierten Leistungen sogar erhöhen kann. Unautorisierte Verbreitung nimmt den Rechteinhabern aber die Möglichkeit, dieses Mittel kontrolliert und selektiv einzusetzen. 25 Handke Urhebervergütung - Anpassung Zugang verschafft haben, wenn sie das Werk als hochwertig empfinden (Gopal et al. 2006; vgl. Andersen & Frenz 2010). Die Bereitschaft, für autorisierte Kopien auch ohne sonstige Unterschiede mehr zu bezahlen als für unautorisierte Kopien, speist sich anscheinend aus mehreren Gründen (siehe Hennig-Thurau et al. 2007; Handke 2011a; Watson et al. 2014). Eine Reihe von Studien zeigt beispielsweise, dass moralische Erwägungen die Tauschbörsennutzung beeinflussen. Einerseits verringert die Sorge um Kreative die Intensität des unautorisierten Kopierens (Rochelandet & Guel 2005; Henning-Thurau et al. 2007). Manche Nutzer zahlen freiwillig, selbst wenn der Zugang auch ohne Zahlung nicht eingeschränkt ist (Regner & Barria 2009; Dale & Morgan 2010). Andererseits wird Tauschbörsennutzung gelegentlich auch als Akt des Widerstands gegen kommerzielle Unternehmen gesehen, wie Hennig-Thurau et al. (2007) für Deutschland dokumentiert (für Finnland vgl. Cox et al. 2010). Unautorisiertes Kopieren wird weniger attraktiv, wenn öffentlich signalisiert wird, dass stärkere Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen stattfinden, durch die sich die Wahrscheinlichkeit eines Konfliktes und die erwartete Schwere der Folgen für Verbraucher erhöhen (Mafioletti & Ramello 2004; Blackburn 2004; Bhattacharjee et al. 2006; Jeong & Lee 2010; eine Ausnahme ist Rochelandet & Guel 2005). Wie in Abschnitt VI eingehender diskutiert wird, ist es allerdings nicht klar, ob diese Effekte dauerhaft sind und in der Folge mehr autorisierte Leistungen nachgefragt werden. V.2 Preis- und Veröffentlichungsstrategie Rechteinhaber können ihre Veröffentlichungsstrategie und Preissetzung an die Verbreitung digitaler Kopiertechnologie anpassen. Liebowitz (1985) dokumentiert, dass akademische Fachzeitschriften auf die Verbreitung von Fotokopierern mit stärkerer Preisdiskriminierung reagierten (bei der für das gleiche Produkt je nach Eigenschaften des Käufers verschiedene Preise aufgerufen werden). Verlage erhöhten die Preise für Bibliotheken und es gelang ihnen so, sich viel des Zusatznutzens durch das Fotokopieren anzueignen. Insgesamt verringerten sich die Profite für Verlage nicht. Mortimer (2007) betrachtet Preisdiskriminierung bei Videos und findet, dass sie häufig InhalteAnbieter und Verbraucher besser stellt aber Händler schlechter stellt. Im Zusammenhang mit der Digitalkopie scheint das Mittel der strategischen Preissetzung keine für die Rechteinhaber zufriedenstellende Situation herbeigeführt zu haben. Die Anpassungen der Einzelhandelspreise für urheberrechtlich geschützte Werke auf bestimmten Medienformaten sind insgesamt nicht dramatisch ausgefallen. Eventuell war die Entbündelung beim Verkauf von Downloads, der Verbrauchern größere Flexibilität ermöglicht, zum Teil durch den Wettbewerbsdruck durch unautorisiertes Kopieren motiviert. Auch die Einführung relativ geringer Einzelhandelspreise beim Online-Vertrieb geschützter Werke könnte nicht nur an der Verhandlungsmacht großer Internet-Plattformen liegen, sondern auch ein Mittel sein, Verbrauchern ein attraktiveres Angebot zu machen als unautorisiertes Kopieren. In einem Arbeitspapier zeigen Danaher & Waldfogel (2012), dass es sich mit dem Aufkommen von digitalem, unautorisierten Kopieren negativ für den Erfolg von Filmen an der Kinokasse auswirkt, wenn Filme in unterschiedlichen Territorien mit größerer Verzögerung veröffentlicht werden. Solche unterschiedlichen Veröffentlichungstermine sind ein Mittel für Rechteinhaber, den Markterfolg zu testen, bevor über die teils sehr aufwändigen Promotionkampagnen entschieden wird. Rechteinhaber müssen möglicherweise traditionelle Vermarktungsstrategien überdenken, um auf digitales Kopieren zu reagieren. 26 Handke Urhebervergütung - Anpassung V.3 Ausnutzen von Netzwerkeffekten und Verkauf ausschließbarer, komplementärer Leistungen Es ist gut dokumentiert, dass in Märkten für Computer Software positive Netzwerkeffekte bestehen (Givon et al. 1995; Brynjolfsson & Kemerer 1996). Das heißt, der Marktwert dieser Art von Werken erhöht sich mit der Anzahl der Nutzer. Unautorisierte Nutzung kann daher die Nachfrage für autorisierte Kopien (oder sonstige Leistungen der Rechteinhaber) sogar steigern, zum Beispiel weil mehr Verbraucher die Arbeit eines Kreativen wahrnehmen (Bounie et al. 2006; Gopal 2006). Allerdings wird in der Debatte um Netzwerkeffekte eines leicht übersehen: Wenn Netzwerkeffekte durch unautorisiertes Kopieren den Marktanteil eines Anbieters erhöhen, heißt dies noch lange nicht, dass auch die gesamte Nachfrage für autorisierte Leistungen steigt. Wenn unautorisiertes Kopieren Werke für eine größere Zahl von Verbrauchern zugänglich macht, können Rechteinhaber versuchen, von einer größeren Nachfrage für leichter ausschließbare, komplementäre Güter zu profitieren. Mortimer et al. (2010) zeigen, dass in den USA mit der Verbreitung durch Musik über Tauschbörsen die Konzert-Einnahmen gestiegen sind. Anbieter von Soft- und Hardware für Videospiele scheinen relativ gute Organisationsstrukturen für ihre gegenseitige Abhängigkeit entwickelt zu haben, ohne eine komplette Integration ihrer Unternehmen (Shankar & Bayus 2002; Clements & Ohashi 2005). Eine grundlegende Frage ist, wie Anbieter am besten ihre Preise setzen und variieren, um erst Netzwerkeffekte zu fördern und dann verwerten zu können. V.4 Vorfinanzierung durch Crowdfunding Eine weitere mögliche Alternative ist Crowdfunding, der über einen an eine breite Öffentlichkeit gerichteten Aufruf zur Vorab-Finanzierung eines Projektes funktioniert. Ein relativ bekanntes, so finanziertes Projekt ist der Stromberg Film in Deutschland. Erste Literaturübersichten sind Schwienbacher & Larralde (2010) und Moritz & Block (2013). Bei Crowdfunding übernehmen einzelne Investoren in der Regel jeweils nur einen geringen Teil der gesamten Kosten. Die Gegenleistungen, die Investoren in Aussicht gestellt werden, sind divers. Sie reichen von einer Art Vorab-Bestellung des zu erbringenden Gutes über Attributionsrechte oder Mitbestimmungsrechte bis zu einer Gewinn- oder Einnahmenbeteiligung. Die Crowdfunding-Aufrufe werden oft auf speziellen Internet-Plattformen platziert. Es handelt sich also nicht um echte Disintermediation, bei der professionelle Finanzinstitute und Investoren umgangen werden und Anbieter direkt mit Endverbrauchern interagieren. Empirische Studien beschäftigen sich bisher vor allem mit Voraussetzungen für den Erfolg von einzelnen Crowdfunding-Initiativen (Kuppuswamy & Bayus 2014; Mollik 2014). Das Crowdfunding für kreative Werke hat in den letzten fünf Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten. Crowdfunding bietet Anbietern nicht nur eine neue Art, Finanzmittel zu sichern und Unsicherheit zu verringern. Das Ergebnis eines Crowdfunding-Aufrufs kann auch nützliche Signale zur wahrscheinlichen Attraktivität eines Werkes liefern, und mögliche Zielgruppen für eine weitere Vermarktung identifizieren helfen. Allerdings ist zweifelhaft, ob Crowdfunding für Newcomer ohne eine starke Reputation vielversprechend ist oder für künstlerisch-ambitionierte Projekte funktioniert, die sich vor dem kreativen Akt schwer vermitteln lassen (vgl. Belleflamme et al. 2014). Die Vorab-Finanzierung durch Nutzer wäre ein elegantes Mittel, die Entwicklungskosten kreativer Werke zu finanzieren und damit eine etwaige Abhängigkeit Kreativer von einem effektiven Urheberrechtsschutz zu verringern. Crowdfunding macht in der Praxis bisher aber nur einen kleinen Teil der Investitionen in kreative Prozesse aus. Die Entwicklung sollte weiter beobachtet werden. Es ist zu diesem Zeitpunkt aber unwahrscheinlich, dass Crowdfunding in absehbarer Zeit weitreichende Folgen für eine rationale Gestaltung des Urheberrechts haben wird. 27 Handke Urhebervergütung - Anpassung V.5 Internet-Plattformen: Lösung für die Kopierproblematik und Bedrohung für den Wettbewerb? In den letzten Jahren haben sich zwei Arten, kreative Werke anzubieten, als besonders vielversprechend herausgestellt: erstens autorisierte, rein werbefinanzierte Angebote: zweitens zahlungspflichtige Abonnements. Autorisierte Angebote dieser Art haben trotz der Möglichkeit unautorisierten Kopierens eine große Anzahl an Nutzern gewonnen. Der Umsatz mit physischen Tonträgern wie CDs ist zwar immer noch relativ hoch, aber in Europa und den USA seit ungefähr 15 Jahren stark rückläufig. Der Verkauf von Downloads, zum Beispiel über den iTunes Store, stagniert in den letzten Jahren. Dagegen sind werbefinanzierte Angebote stark gewachsen: VideoPlattformen wie YouTube oder Vimeo oder für viele Nutzer Spotify. Zahlungspflichtige Abonnements sind Pay TV-Anbieter wie Sky, Online-Anbieter von Filmen und Serien wie Netflix, oder Spotify Premium und Deezer für Musikstreams. In der Praxis gibt es Überschneidungen zwischen Abonnements und werbefinanzierten Angeboten. Spotify bietet zum Beispiel eine werbefinanzierte Version an, die für Verbraucher umsonst ist, sowie gegen eine Gebühr eine Premium-Nutzung ohne Werbung. YouTube wird meist ohne Zahlung durch die Verbraucher genutzt, entwickelt aber auch Abonnement-basierte Dienste, für die eine Gebühr anfällt. Danaher et al. (2010) zeigen, dass ein autorisiertes Angebot tatsächlich unautorisierte Nutzung verringern kann. Sie untersuchen, wie es sich auf unautorisiertes Kopieren ausgewirkt hat, dass Inhalte des Senders National Broadcasting Company (NBC) zwischen Dezember 2007 und September 2008 nicht im iTunes Store erhältlich waren. Die unautorisierte Verbreitung der entsprechenden Werke stieg in diesem Zeitraum um 11%. DVD-Verkäufe auf Amazon stiegen dagegen nicht. Poort & Weda (2015) dokumentieren Veränderungen in der Art, wie niederländische Verbraucher urheberrechtlich geschützte Werke erwerben. Sie nutzen mehrere repräsentative Umfragen mit jeweils über 1.500 Teilnehmern, die zwischen 2008 und 2012 durchgeführt worden sind. Der Anteil der Teilnehmer, die im letzten Jahr Musik, Filme oder Videospiele von „illegalen“ Quellen heruntergeladen hatten, lag im Jahr 2008 bei 38% und im Jahr 2012 für Musik, Filme und TVSerien, Videospiele und E-Books bei 27%. Für Musik ist die Anzahl der Verbraucher, die sich über illegale Quellen Zugang verschafft hatten 2012 niedriger als 2008 (22% zu 35%). Für Filme und TV-Serien ist dagegen der Anteil der „Piraten“ 2012 deutlich höher gewesen als er es nur für Filme im Jahr 2008 war (18% zu 11%). 13 Poort & Weda (2015) argumentieren, die gegenläufige Entwicklung zwischen Musik und Film sei darauf zurückzuführen, dass für Musik bessere autorisierte Angebote bestehen. Sie weisen insbesondere darauf hin, dass autorisierte OnlineMusikdienste bessere Verbraucherbewertungen erhalten als autorisierte Online-Filmdienste. Die Autoren diskutieren alternative Erklärungen für einen Rückgang unautorisierten Kopierens und schließen diese aus. Allerdings liegen nicht für alle alternativen Erklärungen ausreichend Daten für eine statistische Analyse vor. Poort & Weda (2015) kommen zu dem Schluss, dass das wirksamste und effizienteste Mittel, um Verbraucher von unautorisierten Nutzern zu zahlenden Kunden zu machen, ein preiswertes autorisiertes Angebot ist, wie es Spotify und Netflix bieten. Handke (2015a) weist auf ein Problem mit Plattformen hin. Zwar bieten autorisierte OnlineAngebote eine kostengünstige Möglichkeit, ein vielfältiges Angebot kreativer Werke zu verbreiten, unautorisierte Nutzung zurückzudrängen und Einnahmen aus der Vermarktung von Medieninhalten zu erzielen. Er zeigt aber auf, dass Plattformen mit hoher Wahrscheinlichkeit große Marktanteile 13 Bei Videospielen ergibt sich ebenfalls ein Rückgang von 8% in 2008 auf 6% in 2012 (Poort & Weda 20115). 28 Handke Urhebervergütung - Anpassung und Marktmacht entwickeln. Wie bei allen homogenen Informationsdienstleistungen liegen hohe, fixe Kosten und geringe, nie steigende Bereitstellungskosten vor, so dass die größten Anbieter die geringsten Durchschnittskosten haben. Plattformen wie Spotify, Netflix oder YouTube profitieren zudem von direkten Netzwerkeffekten und können Verbraucher an sich binden, wenn sie ihre Leistungen mit Konkurrenzangeboten inkompatibel machen. Zudem operieren Plattformen in sogenannten zweiseitigen Märkten: Ihr Wert für Verbraucher erhöht sich mit der Anzahl der teilnehmenden Anbieter kreativer Werke; ihr Wert für Anbieter kreativer Werke erhöht sich mit der Anzahl der teilnehmenden Verbraucher. Es bestehen also so genannte indirekte Netzwerkeffekte. Zudem sind die größten Plattformen in der Lage, reichhaltige Marktinformationen zu sammeln und exklusiv zu nutzen. Damit bestehen für die größten Plattformen erhebliche Vorteile im Vergleich zu kleineren Konkurrenten. Im Markt für Plattformen besteht ein ‚winner-takes-all‘-Mechanismus. Die Plattform, die ihren Marktanteil am schnellsten erhöht, entwickelt dann auch Marktmacht gegenüber Verbrauchern und Rechteinhabern.14 Tatsächlich ist der Marktanteil der größten OnlineEinzelhändler (wie Amazon bei Büchern, dem iTunes Store für autorisierte Musik-Downloads oder für YouTube bei werbefinanzierter Verbreitung von Video-Streams) in vielen Ländern hoch. Spotify zahlt nach eigenen Angaben im Durchschnitt um 0,7 Cents pro Stream an Rechteinhaber (Sisario 2015). Auch der Konflikt zwischen den großen Buchverlagen Hachette und Bonnier mit Amazon weist auf eine starke Verhandlungsposition der Plattform gegenüber den Inhalteanbietern hin (Hegemann 2014). Handke (2015a) schlussfolgert, dass UrheberrechtsDurchsetzungsmaßnahmen womöglich keine Vorteile für Rechteinhaber bieten, wenn Rechteinhaber von marktmächtigen Plattformen abhängig sind, die Vermarktungsbedingungen bestimmen und sich einen großen Teil der Einnahmen sichern. Handke (2015a) betrachtet auch Hinweise, wie die Verbreitung musikalischer Werke über OnlinePlattformen auf den Wettbewerb zwischen Anbietern musikalischer Werke wirkt. Er zeigt, dass sich die Anzahl kleinerer Plattenfirmen in Deutschland seit Verbreitung digitaler Kopiertechnologie Ende der 1990er Jahre stark erhöht hat. Dies weist auf stärkeren Wettbewerb zwischen Anbietern musikalischer Werke hin. Mit der Entwicklung erfolgreicher Plattformen seit 2004 hat sich das Wachstum an Plattenfirmen deutlich verlangsamt. Auch aufgrund des ‚winner-takes-all‘-Mechanismus für Plattformen bestehen Anreize für größere Rechteinhaber und Plattformen, in wettbewerbswidriger Weise zusammen zu wirken. In diesem Zusammenhang ist es zum Beispiel problematisch, dass Major Plattenfirmen Anteile an Spotify halten. Der Musik-Abonnementdienst Deezer gehört sogar der gleichen Investorengruppe wie das Major Musikunternehmen Warner Music. Im Mai 2015 wurde ein Vertrag zwischen Sony und Spotify öffentlich, der Sony hohe fixe Zahlungen garantiert (Sisario 2015). Inwieweit die originären Kreativen einen Anteil erhalten, schien fraglich. Allgemein sind Vereinbarungen geheim, so dass wettbewerbsfeindliche Diskriminierung nicht effektiv ausgeschlossen werden kann. Schließlich besteht die Möglichkeit einer Integration zwischen Inhalte-Produktion und Einzelhandel, wenn zum Beispiel Netflix oder Amazon selbst Fernsehserien produzieren, was die Bestreitbarkeit beider Märkte einschränken könnte. 14 Handke & Towse (2007) und Kemerer et al. (2011) argumentieren ähnlich, dass DRM aufgrund dieser Technologie eigenen Größenvorteile zum Aufkommen marktmächtiger Plattformen im Markt für kreative Werke führen könnte. 29 Handke Urhebervergütung - Anpassung Empirische Literatur zum ersten Schwerpunktthema: Anpassung an digitales Kopieren durch Entwicklung legaler Angebote Preis- und Veröffentlichungsstrategie Danaher, B., & Waldfogel, J. (2012). Reel piracy: The effect of online film piracy on international box office sales. Available at SSRN 1986299. Liebowitz, S. J. (1985). Copying and Indirect Appropriability: Photocopying of Journals. Journal of Political Economy, 93(5), 945-957. Mortimer, J. H. (2007). Price Discrimination, copyright law, and technological innovation: Evidence from the introduction of DVDs. Quarterly Journal of Economics, 122(3); 1307-1350. Ausnutzen von Netzwerkeffekten und Verkauf ausschließbarer, komplementärer Leistungen Bounie, D., Bourreau, M. & Waelbroeck, P. (2006). Piracy and the Demand for Films: Analysis of Piracy Behavior in French Universities. Review of Economic Research on Copyright Issues, 3(2), 15- 27. Brynjolfsson, E. & Kemerer, C. F. (1996). Network Externalities in Microcomputer Software: An Econometric Analysis of the Spreadsheet Market. Management Science, 42(12), 1627-1647. Clements, M. T. & Ohashi, H. (2005). Indirect Network Effects and the Product Cycle: Video Games in the U.S., 1994-2002. Journal of Industrial Economics, 53(4), 515-542. Givon, M., Mahajan, V. & Muller, E. (1995). Software Piracy: Estimation ofLost Sales and the Impact on Software Diffusion. Journal of Marketing 59, 29-37. Gopal, R. D., Bhattacharjee, S., Sanders, G. L. (2006). Do artists benefit from online music sharing?. The Journal of Business, 79(3), 1503–1533. Mortimer, J. H., Nosko, C. & Sorensen, A. (2012). Supply Responses to Digital Distribution: Recorded Music and Live Performances. Information Economics and Policy 24, 3-14. Shankar, V., & Bayus, B. L. (2002). Network Effects and Competition: An Empirical Analysis of the Home Video Game Industry. Strategic Management Journal, 24, 375-384. Vorfinanzierung durch Crowdfunding Keine empirischen Studien zur Gesamtentlohnung von Rechteinhabern. Internet-Plattformen: Lösung für die Kopierproblematik und Bedrohung für den Wettbewerb? Danaher, B., Dhanasobhon, S., Smith, M. D., & Telang, R. (2010). Converting pirates without cannibalizing purchasers: the impact of digital distribution on physical sales and internet piracy. Marketing Science, 29(6), 1138-1151. Danaher, B., & Waldfogel, J. (2012). Reel piracy: The effect of online film piracy on international box office sales. Available at SSRN 1986299. Handke, C. (2015a). Digitization and Competition in Copyright Industries: One Step Forward and Two Steps Back?. Homo Oeconomicus, angenommen im Januar 2015. Online: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2547403 Poort, J., & Weda, J. (2015). Elvis Is Returning to the Building: Understanding a Decline in Unauthorized File Sharing. Journal of Media Economics, 28(2), 63-83. 30 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung VI. ZWEITES SCHWERPUNKTTHEMA: DURCHSETZUNGSMASSNAHMEN VON URHEBERRECHTEN Aus Sicht der Rechteinhaber liegt es nahe, auf vielfaches unautorisiertes Kopieren mit größeren Bemühungen zur Durchsetzung exklusiver Rechte zu reagieren. Seit dem Aufkommen von Tauschbörsen im Jahr 1999 hat es hierzu viele Initiativen gegeben. Für einige ist empirisch untersucht worden, ob Durchsetzungsmaßnahmen ihre beiden vorrangigen beabsichtigten Ziele erreicht haben: unautorisiertes Kopieren eindämmen und die Einnahmen der Rechteinhaber steigern. VI.1 Unterschiedliche Ansätze zur Rechtsdurchsetzung Ähnlich wie in Danaher et al. (2013) lassen sich Urheberrechts-Durchsetzungsmaßnahmen zunächst anhand zweier Aspekte klassifizieren: Erstens, ob sie an private Verbraucher oder an kommerzielle Anbieter gerichtet sind; zweitens, ob sie durch private Akteure durchgeführt werden oder durch die öffentliche Hand. Die verschiedenen Ansätze zur Rechtsdurchsetzung erreichen ihre Ziele auf Kosten unterschiedlicher Nachteile. Sie unterscheiden sich zum Beispiel in dem Ausmaß, in dem sie Eingriffe in die Privatsphäre von Haushalten mit sich bringen. Aus ökonomischer Sicht sind andere Aspekte eher zu bewerten. Zum einen sind das die anfallenden Transaktionskosten und Verwaltungskosten in einem weiten Sinne, also die Kosten der Informationsbeschaffung und Informationsauswertung, des Entwickelns von Vereinbarungen und Regeln, sowie deren Durchsetzung. Zum anderen beschäftigt sich die Ökonomik mit Fehlanreizen, wenn Akteure mit der Durchsetzung von Urheberrechten betraut sind, welche die direkten Folgen nicht selbst zu tragen haben. An private Endverbraucher/Privathaushalte gerichtete Maßnahmen sind zum Beispiel die Abmahnungen in Deutschland oder die HADOPI-Initiative in Frankreich (Danaher et al. 2014). Solche Maßnahmen haben den Nachteil, dass sie das Verhalten einer sehr großen Zahl von Akteuren direkt beeinflussen müssen. Dies steigert die gesamten (Transaktions-)Kosten verglichen mit einer Bündelung der Durchsetzungsmaßnahmen auf zentrale Akteure, wie Tauschbörsenbetreiber. Dabei ist anzumerken, dass in der Praxis die zusätzliche Kooperation von ISP (Internet Service Providern, also Telekommunikations-Anbietern) erforderlich ist. Ohne die Auskunftspflicht der ISP zur Identität ihrer Kunden hinter IP-Adressen, können Urheberrechtsbrüche im Internet kaum verfolgt werden. Zudem erfordert es die Durchsetzung unter Verbrauchern, private Internet-Nutzung zu beobachten und greift so in die Privatsphäre ein. Weiterhin sind viele Verbraucher wahrscheinlich nicht in der Lage, die Grenzen des legalen Verhaltens zuverlässig zu erkennen. Das Urheberrecht und die Online angebotenen Leistungen sind vielfältig, und oft bestehen technisch kaum Hindernisse. Gleichzeitig ist die individuelle Wahrscheinlichkeit meist gering, bei Urheberrechtsbrüchen entdeckt zu werden. Für die Minderheit an Urheberrechtsbrüchen, die entdeckt werden, müssen die negativen Folgen (Strafen) dann gravierend sein, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Dies kann zu Ungerechtigkeit und Akzeptanzproblemen führen. Beispiele für Rechtsdurchsetzung, die an kommerzielle Anbieter gerichtet ist, sind zum Beispiel rechtliche Verfahren gegen Tauschbörsen- oder File-Hoster Betreiber. (Auskunftspflichten für Telekommunikationsanbieter, um Durchsetzung unter privaten Haushalten zu ermöglichen, gehen auch mit Aufwendungen einher. Dieses Thema wird hier nicht separat betrachtet. Spindler (2014) fasst Hinweise auf die Kosten zusammen.) Hier besteht zum einen ein Problem, Anbieter hinter global zugänglichen Webseiten und Internet-basierten Dienstleistungen zu identifizieren, und Unternehmen, die in entlegenen Territorien operieren, zu belangen. Zudem haben viele InternetDienste, die massenhaft zum unautorisierten Kopieren genutzt werden, auch legale Anwendungen. 31 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung Dies gilt auch für Tauschbörsen und File-Hoster (deren Nutzung zum privaten Herunterladen geschützter Werke im Übrigen in einigen Territorien nicht gegen geltendes Recht verstößt). Auch viele andere IKT-Güter und -Dienstleistungen tragen zu der Infrastruktur bei, die unautorisiertes Vervielfältigen und Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke ermöglicht. Diese ‚Helfer‘ zu belangen hat zwei große Nachteile: Einerseits behindert es die Entwicklung der IKT-Branche, wenn sie für das Nutzungsverhalten ihrer Kunden zur Verantwortung gezogen werden und hebt nicht auf die eigentlichen Gesetzesübertreter ab. Eine etwas krude Analogie wäre es, Anbieter von Messern für deren Verwendung bei Gewaltverbrechen zu belangen. Zweitens entsteht eine Anreizproblematik, wenn IKT-Unternehmen mit Durchsetzungsmaßnahmen betraut werden. IKTUnternehmen haben keine eigenen Erfahrungen mit der Wirkung unautorisierten Kopierens auf den Markt für urheberrechtlich geschützte Werke. Zumindest kurzfristig sollte unautorisiertes Kopieren mithilfe von IKT die Nachfrage nach Internetanschlüssen, Computer-Hardware und geeigneten Online-Dienstleistungen sogar erhöhen. Demzufolge haben IKT-Unternehmen wahrscheinlich weder ausreichende Informationen noch adäquate Anreize, in einer für die Allgemeinheit angemessenen Weise in einen effektiven Urheberrechtsschutz zu investieren. In Schweden kündigten einige ISP als Reaktion auf eine Auskunftspflicht gegenüber Rechteinhabern sogar an, IP-Logs zu löschen um ihre Kunden zu schützen (Adermon & Liang 2014). Es bedürfte aufwändiger Regelungen, um Fehlanreize abzumildern. Der Staat hat Möglichkeiten in der Rechtsdurchsetzung, die über die Handlungsoptionen privater Akteure hinausgehen. Zudem sind staatliche Institutionen direkter demokratisch legitimiert und kontrolliert. Demnach könnte die Durchsetzung von Urheberrechten durch die öffentliche Hand effektiver sein und eher zu einem allgemein akzeptablen Kompromiss unterschiedlicher Interessen in der Gesellschaft führen. Allerdings bestehen die aus wohlfahrtsökonomischer Sicht üblichen Bedenken bei staatlichen Regelungen. Staatliche Behörden sind von den Folgen von Urheberrechtsmaßnahmen weniger direkt betroffen als beispielsweise Rechteinhaber und Verbraucher. Zudem sind staatliche Behörden nicht direkt an der Herstellung, Verbreitung oder der Nutzung kreativer Werke beteiligt. Das heißt, sie haben weniger starke Anreize und weniger relevante Informationen als direkt beteiligte Akteure. Dies behindert Behörden darin, eine adäquate Lösung zu entwickeln. Besonders problematisch ist es, dass für alle betroffenen Akteure Anreize bestehen, verfälschte Informationen an die Obrigkeit zu geben, um ihre Partikularinteressen durchzusetzen. Weiterhin ist es für Rechteinhaber rational, bei öffentlich finanzierten Durchsetzungsmaßnahmen ein höheres Schutzniveau einzufordern als sie es selbst zu finanzieren bereit wären. Schließlich sind Rechteinhaber die direkten Nutznießer, während die Durchsetzungskosten auf den Steuerzahler zurückfielen. Mit anderen Worten besteht bei staatlicher Durchsetzung von Urheberrechten das Problem, dass die betroffenen Akteure Anreize zum sogenannten Rent-Seeking haben, dem Streben nach unangemessenen Vorteilen durch Fehlleitung der Obrigkeit. Andererseits entwickeln sich etwaige Vorteile für Verbraucher durch den Urheberrechtschutz erst langfristig und in letztlich schwer nachzuvollziehender Weise, im Gegensatz zu den Nachteilen von Durchsetzungsmaßnahmen für Verbraucher. Daher könnte es unpopulär und politisch schwierig sein, eigentlich als sinnvoll erachtete staatliche Durchsetzungsmaßnahmen einzuführen. Private Maßnahmen zur Durchsetzung exklusiver Rechte sind zum Beispiel zivilrechtliche Abmahnungen oder der Einsatz von digitalem Rechtemanagement (DRM), dass technische Mittel einsetzt, um unautorisierte Nutzung zu erkennen oder zu verhindern. Bei privaten Durchsetzungsmaßnahmen, durch Rechteinhaber oder ihre Vertreter, ist eher zu erwarten, dass das geeignete Maß aus Durchsetzungskosten und -nutzen für Rechteinhaber angenähert würde als bei staatlichen Maßnahmen. Das Eigentümer oder Rechteinhaber die Kosten der Durchsetzung auch selbst tragen, ist dabei nicht außergewöhnlich. Von Wohnungs- und Fahrzeugbesitzern oder Juweliergeschäften wird beispielsweise ebenfalls erwartet, geeignete Maßnahmen gegen Diebstahl selbst vorzunehmen. Bisher scheint ein wesentliches Problem in der Urheberrechtspolitik zu sein, 32 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung dass die Rechteinhaber sich nicht in der Lage sehen, ihre exklusiven Rechte mit ihren eigenen Mitteln effizient durchzusetzen. Allerdings weisen beispielsweise Lunney (2001) oder Elkin-Koren & Salzberger (2012) darauf hin, dass mit technologischem Wandel eine private Durchsetzung exklusiver Rechte an urheberrechtlich geschützten Werken auch zu stark werden könnte. Das Urheberrecht enthält sogenannte Schrankenregeln, also Beschränkungen exklusiver Rechte, wie zum Beispiel die Privatkopie nach rechtmäßigem Erwerb oder die Entlehnungsfreiheit. Bei privater Durchsetzung exklusiver Rechte könnten diese Schranken faktisch außer Kraft gesetzt werden. Das gilt nicht nur bei der Verwendung technischer Mittel durch DRM. Es gilt auch bei sogenannten End-User License Agreements (EULA), bei denen Verbraucher einen privatrechtlichen Vertrag mit Anbietern eingehen, der vom Urheberrecht abweichen kann. VI.2 Empirische Ergebnisse Eine große Zahl verschiedener Durchsetzungsmaßnahmen ist in unterschiedlichen Ländern zum Einsatz gekommen. Für einige Maßnahmen liegen systematische, empirische Studien vor. Eine häufige empirische Vorgehensweise ist die Betrachtung natürlicher Experimente über Zeitreihen oder Panel-Analysen, die versuchen, den Effekt der jeweiligen Maßnahme von sonstigen Faktoren zu isolieren. Solche Forschungsdesigns bieten in der Regel Ergebnisse, die besser zur Identifikation kausaler Wirkungen geeignet sind als zum Beispiel Umfragen. Zunächst lassen sich zwei Studien nicht in die Struktur aus staatlich/privat und an Verbraucher/Unternehmen gerichtet einordnen, so dass sie hier vorab vorgestellt werden: In einem Bericht für die deutsche Expertenkommission für Forschung und Innovation nutzen Handke et al. (2015a) mehrere Indikatoren für die Stärke des Urheberrechtsschutzes, wie die Internet-Breitband Penetration, pro-Kopf Einnahmen aus Leermedienabgaben, einen Software Piraterie-Index und einen jährlichen Bericht des US amerikanischen Außenministeriums zu Ländern, in denen Urheberrechte schwach geschützt sind. Für Musikaufnahmen ergeben sich in einer ökonometrischen Analyse für 18 vorwiegend europäische Länder zwischen 2004 und 2011 keine konsistenten Hinweise auf geringere Einnahmen der Musikindustrie in Ländern mit geringerem Urheberrechtsschutz. Auch auf die Anzahl der Neuerscheinungen oder die durchschnittliche Bewertung neuer musikalischer Werke besteht keine signifikante Wirkung. Für Filme waren Daten zu 13 EU/EFTA Mitgliedsstaaten für den Zeitraum 2005 bis 2011 erhältlich. DSL-Penetration und Leermedienabgaben zeigen signifikante, positive Effekte auf die Gesamtumsätze aus Kino und Video, während schwacher Urheberrechtsschutz laut des US-Berichts einen signifikanten negativen Effekt hat. Dabei zeigt eine getrennte Analyse für Video und Kino, dass die Urheberrechtsvariablen ausschließlich mit den Videoeinnahmen in Beziehung stehen. Für die Kinoumsätze alleine ergibt sich keinerlei signifikanter Effekt. Wie bei Musikaufnahmen bestehen auch bei der Anzahl der Film-Neuerscheinungen und der durchschnittlichen Bewertungen von Filmen keine signifikanten Effekte des Urheberrechtsschutzes. Insgesamt gibt es also keine Hinweise, dass die erfassten Variationen im Urheberrechtsschutz eine starke Wirkung auf Einnahmen, Quantität oder Qualität des Angebots an Musikaufnahme und Filmen gehabt hätten. Aufgrund der geringen Datenmenge lassen sich moderate Effekte aber nicht ausschließen. Orme (2014) betrachtet mehrere Durchsetzungsmaßnahmen in den USA zwischen 1997 und 2013 und ihren Effekt auf (wöchentliche) Kinoverkäufe in einer Zeitreihenanalyse. Er zeigt, dass viele Maßnahmen wahrscheinlich sogar zu geringeren Verkäufen geführt haben. Zudem wirkt die Mehrheit der Maßnahmen zeitlich nur sehr begrenzt. Insgesamt haben die Durchsetzungsmaßnahmen den Kinoverkäufen eher geschadet. Allerdings ist hier einzuwenden, dass unautorisierte Kopien keine guten Substitute für Kinoaufführungen sind. Wahrscheinlicher scheint ein Substitutionseffekt durch unautorisiertes Kopieren auf Videoverkäufe oder -Verleih (siehe Handke et al. 2015a). 33 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung VI.2.1 Digital Rights Management (DRM) und End-User License Agreements (EULA) Für DRM und EULA hat die Literatursuche keine Studien entdeckt, die auf Beobachtungen tatsächlichen Verhaltens basieren. Dabei ist DRM vielfach eingesetzt worden und ist heute noch gängige Praxis bei Filmen und Fernsehserien auf DVD, Downloads oder Streams, sowie bei EBooks, Videospielen oder sonstiger Computer-Software. In der Musikindustrie sind DRM Maßnahmen dagegen weitgehend beendet worden, wahrscheinlich weil sie unter derzeitigen Marktbedingungen nach Betrachtung aller Folgen keinen Nettonutzen für Rechteinhaber erbracht haben.15 Für eine theoretische Analyse, siehe Vernik et al. (2011). Zwei Studien verwenden Umfragen, um die Wirkung von DRM zu ermitteln. Aus StudentenUmfragen ziehen Sinha et al. (2010) den Schluss, dass DRM für Rechteinhaber in der Musikindustrie keinen Nutzen hat. DRM kann nicht genügend ‚Piraten’ konvertieren. Verbraucher haben eine geringere Zahlungsbereitschaft für autorisierte Kopien mit DRM. Der negative Effekt auf Rechteinhabereinnahmen übersteigt die positive Wirkung auf die Nachfrage nach autorisierten Leistungen, wenn DRM unautorisierte Nutzung erschwert. Auf Grundlage zweier Verbraucherumfragen zum E-Book in den USA ergibt ein Arbeitspapier von Kim und Leung (2013), dass ein Abschaffen von DRM Verbraucher zumindest in einem bescheidenen Maße besser stellen würde, und ein Anbieter, der als einziger DRM abschafft, seinen Marktanteil erhöhen könnte. Die akademische Forschung bietet keine umfassenden Belege, inwieweit DRM zumindest aus Sicht der Rechteinhaber ein effizientes Mittel der Urheberrechts-Durchsetzung ist. Im Prinzip wäre es aus ökonomischer Sicht ideal, wenn die Nutznießer des Urheberrechtsschutzes innerhalb eines gesetzlichen Rahmens selbst für die Rechtsdurchsetzung sorgten. So ließe sich am zuverlässigsten ein effizientes Schutzniveau unter Berücksichtigung des hierfür nötigen Aufwandes annähern. Lobbying zugunsten weiterer öffentlicher Aufwendungen für die Rechtsdurchsetzung deuten darauf hin, dass Rechteinhaber DRM bisher wahrscheinlich nicht als ausreichend empfinden. VI.2.2 Abmahnungen privater Haushalte Der Nutzen unautorisierten Kopierens für Verbraucher hängt vom Risiko ab, verklagt oder abgemahnt zu werden, sowie den damit erwarteten negativen Folgen. Eine Reihe von Studien belegen, dass diese Faktoren eine starke Wirkung auf die Tauschbörsennutzung und unautorisiertes Kopieren haben. Mafioletti & Ramello’s (2004) Experimente in Italien mit Bezug auf unautorisiert gebrannte MusikCDs weisen darauf hin, dass Klagen gegen Urheberrechtsbrüche unautorisiertes Kopieren verringern können. Klagen erhöhen aber nicht „notwendigerweise“ den Absatz autorisierter CDs, da die Zahlungsbereitschaft der meisten Verbraucher weit unter den Einzelhandelspreisen liegt. Zwischen März 2003 und März 2004 haben Bhattacharjee et al. (2006) automatisiert und heimlich die Tauschbörsennutzung unter 2.056 sehr aktiven Kazaa Nutzer-IDs beobachtet. Die Autoren überprüfen den Effekt von vier öffentlichen Ankündigungen bezüglich Durchsetzungsmaßnahmen durch die Record Industry Association of America (RIAA) in den USA: (1) Die Drohung individuelle Tauschbörsennutzer zu verklagen; (2) das Einreichen von 261 Klagen dieser Art; (3) eine Gerichtsentscheidung, die es der RIAA erschwert, Tauschbörsennutzer zu identifizieren; (4) 15 Bei Downloads wurde ebenfalls der Druck durch Verbraucherschützer und Wettbewerbshüter auf den Marktführer Apple mit seinem iTunes Store groß, ihr DRM System kompatibel mit den Gütern und Leistungen ihrer Konkurrenten zu machen. 34 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung 532 Klagen auf Grundlage von IP Adressen. Im Großen und Ganzen finden Bhattacharjee et al. (2006), dass die Bedrohung durch Klagen mit einem starken Rückgang der Tauschbörsennutzung einhergehen. Die relativ schnelle Abfolge der Ereignisse macht es unwahrscheinlich, dass sonstige Faktoren diese Veränderungen verursacht haben. Allerdings besteht laut der Autoren die Möglichkeit, dass intensive Tauschbörsennutzer ihre Aktivitäten nur besser verborgen haben, statt ihre unautorisierte Nutzung zu verringern. Die Wirkung auf Einnahmen der Musikindustrie wird in Bhattacharjee et al. (2006) nicht betrachtet. Adermon und Liang (2010; 2014) untersuchen das Inkrafttreten einer Urheberrechtsreform in Schweden im April 2009. Sie betrachten die folgenden Veränderungen des gesamten Internetverkehrs, des „illegalen File-sharings“, sowie der Musikverkäufe. Die Urheberrechtsreform hat eine gesetzliche Auskunftspflicht für Internet Service Provider (ISP) eingeführt, Rechteinhabern die Identität von Nutzern zu IP-Adressen zu nennen, wenn Belege für Uploaden oder intensives Downloaden vorliegen. Die Studie handelt also von den Folgen einer gesetzlichen Maßnahme, durch die sich die Wahrscheinlichkeit zivilrechtlicher Klagen gegen schwedische Tauschbörsennutzer erhöht hat. Um den Effekt der Urheberrechtsreform zu identifizieren, nutzen Adermon und Liang (2014) den Vergleich mit Finnland und Norwegen, in denen im fraglichen Zeitraum keine ähnliche Veränderung des Urheberrechtsschutzes stattfand. Der Internetverkehr in Schweden fiel am Tag des Inkrafttretens der Reform um 40% und lag in den ersten sechs Monaten nach der Reform durchschnittlich um 16% geringer als zuvor. In Norwegen und Finnland haben sich dagegen kaum Veränderungen ergeben. Allerdings begann der Internetverkehr in Schweden sehr bald wieder zu steigen und lag acht Monate später deutlich über dem Niveau vor April 2009, im Gegensatz zu den Vergleichsländern. In den ersten sechs Monaten nach der Reform stiegen die physischen Tonträgerverkäufe um 33% und digitale Musikverkäufe um 46%. Der systematische Vergleich mit Finnland und Norwegen stärkt den Eindruck, dass die Urheberrechtsreform einen starken negativen Einfluss auf die Internetnutzung und einen starken positiven Effekt auf die Einnahmen der Musikindustrie aus den Verkäufen an Endverbraucher hatte. Poort und Weda (2015) wenden allerdings ein, dass der Musik-Abonnementdienst Spotify in Schweden seit Oktober 2008 schnell gewachsen ist und ebenfalls eine positive Wirkung auf Musikverkäufe gehabt haben kann. In einer früheren Version der Studie wurde auch auf schwedische Umfrageergebnisse eingegangen, bei denen im Jahr 2009 mehr Verbraucher angaben, ihre Tauschbörsennutzung wegen Spotify reduziert zu haben als wegen der Urheberrechtsreform (Adermon und Liang 2010). In dieser früheren Version der Studie wird auch berichtet, dass keine Effekte auf den Umsatz von Kinos oder auf Videoverkäufe erkennbar sind. In Frankreich ist seit Oktober 2009 eine staatliche Behörde namens Haute Autorité pour la Diffusion des Œuvres et la Protection des Droits sur Internet (HADOPI) mit der Identifikation und Abmahnung von Verbrauchern betraut worden, die Online Urheberrechte verletzen. Bei der dritten Abmahnung konnten Strafen verhängt werden inklusive eines temporären Ausschlusses von der Internet-Nutzung. Die Verfolgung einzelner Verbraucher erfolgte ohne eine Initiative von Rechteinhabern oder ihrer Vertreter. Danaher et al. (2014) untersuchen die Wirkung der HADOPIInitiative auf die Verkäufe von Musikaufnahmen im iTunes Store in Frankreich. Gesamtverkäufe von Musik (physisch und digital), sind in Frankreich im Untersuchungszeitraum insgesamt rückläufig gewesen, auch nach öffentlicher Debatte und Einführung von HADOPI. Allerdings ergibt die Untersuchung, dass iTunes-Musikverkäufe in Frankreich im untersuchten Zeitraum bis Mitte 2011 um fast 25% höher lagen als in Vergleichsländern ohne ähnliche Durchsetzungsmaßnahmen. 16 Die Autoren kontrollieren für die Verbreitung neuartiger IKT16 Insgesamt nahmen Verkäufe von Downloads über den iTunes Store in Frankreich 2009 zu und waren 2010 und 2011 stabil. Damit ergibt sich ein Unterschied von 22,5% für einzelne Lieder und 25% für Alben im Vergleich zu den sonstigen Ländern. Vergleichsländer sind das Vereinigte Königreich, Italien, Spanien, Deutschland und Belgien. 35 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung Hardware, die Musikverkäufe beeinflussen könnte. Der größte Unterschied zwischen Frankreich und den Vergleichsländern war jedoch zu beobachten, während die Einführung von HADOPI vorab öffentlich diskutiert wurde, und nicht nach Beginn der Abmahnungen. Danaher et al. (2014) betonen, dass drei Aspekte die Wirkung der HADOPI-Initiative bedingt haben können: (1) drohende Strafen für unautorisiertes Kopieren und damit höhere Anreize, stattdessen autorisierte Leistungen zu nutzen; (2) die ausführliche Medienberichterstattung zur Illegalität unautorisierten Kopierens und der Folgen für Rechteinhaber und Verbraucher; (3) eine Informationskampagne der HADOPI-Behörde. In der Praxis wurden ab Oktober 2010 zwar 2,4 Millionen erste Abmahnungen, 250.000 zweite Abmahnungen und „weniger als 1.000“ dritte Warnungen versandt. Zu Klagen kam es aber nur in 54 Fällen (Arnold et al. 2014). Angeblich kam es sogar nur zu einer einzigen Strafe von 150 Euro und 15 Tage Internet-Ausschluss (Datoo 2013). Im Juli 2013 wurde offiziell verlautbart, dass ein Ausschluss von der Internet-Nutzung auch bei wiederholten Auffälligkeiten nicht mehr vorgesehen ist. Schon im Juni 2009 hatte eine höchstrichterliche Entscheidung Internet-Zugang als ein Menschenrecht definiert (Wray 2009). Nur Geldstrafen ab 60 Euro nach wiederholter Abmahnung blieben möglich. Stattdessen sollten Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen stärker auf professionelle Piraterie und Webseitenbetreiber gerichtet werden, die von unautorisiertem Kopieren direkt finanziell profitieren. Ein Arbeitspapier von Arnold et al. (2014) nutzt repräsentative Umfragedaten unter Internetnutzern in Frankreich vom Mai 2012. Die Autoren ermitteln, dass ein Abmahnungssystem wie die HADOPI-Initiative Verbraucher praktisch nicht davon abhält, sich über das Internet unautorisiert Zugang zu geschützten Werken zu verschaffen. Technisch versierte Nutzer weichen zudem auf unautorisierte Dienste aus, die von der Abmahnungsbehörde nicht erfasst werden. Umfrageergebnisse sind allerdings in der Regel von geringerer Validität als Beobachtungen tatsächlichen Verhaltens. Im März 2013 führten mehrere ISP in den USA das US Copyright Alert System ein, bei dem zunehmend ausführlichere und intensivere Warnungen im Browser erscheinen, wenn wiederholtes unautorisiertes Downloaden erkannt wird. Nach sechs Warnungen kann die Geschwindigkeit der Internetverbindung reduziert werden (Arnold et al. 2014). Eine Auswertung der Wirkung steht noch aus. In Schweden oder Frankreich wurden letztendlich kaum Strafen in Folge von Abmahnungen verhängt. Dort sind also eher die Folgen einer öffentlichen Debatte zur Urheberrechts-Durchsetzung und von Warnungen zu beobachten, als die Wirkung von strafbewehrten Abmahnungen. In Deutschland sind dagegen zwischen 2005 und 2014 hunderttausende von Privathaushalten abgemahnt und in diesem Zusammenhang zu Zahlungen aufgefordert worden (Neiße 2015), wobei die Anwaltskosten seit 2008 begrenzt sind. Die Wirkung dieser Maßnahme auf Medienverkäufe und das Angebot kreativer Werke sollte empirisch überprüft werden. In Handke et al. (2015a) zeigt sich auf rein deskriptiver Ebene nicht, dass sich in Deutschland die Entwicklung von Medienverkäufen oder des Angebots neuer Inhalte besser entwickelt hätte als in vergleichbaren Länder ohne eine solche Abmahnpraxis, wenn man die gesamtwirtschaftliche Entwicklung berücksichtigt. Für eine statistische Untersuchung zu den Folgen der relativ häufigen und oft mit Zahlungen verbundenen Abmahnungen in Deutschland reicht die Datenlage nicht aus. Es ist also wahrscheinlich, dass schon eine glaubwürdige Bedrohung durch VerbraucherAbmahnungen unautorisiertes Kopieren eindämmen und Einnahmen von Rechteinhabern erhöhen kann. In den bestehenden Untersuchungen liegen die Einnahmeneffekte zwischen null (für die Filmwirtschaft in Adermon & Liang 2010) und 46% (für digitale Musikverkäufe in Adermon & Liang 2014). Allerdings ist unklar, inwieweit diese Effekte nachhaltig sind, solange Verbraucher auf Technologien ausweichen können, bei denen Abmahnungen weniger greifen. Zudem steht das 36 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung Ausspähen privater Internetnutzung im Konflikt mit der Privatsphäre, und es entstehen bei Rechtsdurchsetzung auf Ebene von Millionen von Endverbrauchern hohe Transaktionskosten. VI.2.3 Rechtliche Schritte gegen Tauschbörsen und File-Hoster Viele Maßnahmen zur Durchsetzung des Urheberrechts haben sich gegen Webseiten-Betreiber und Internet-Dienste gerichtet, die unautorisierte Vervielfältigung und Verbreitung geschützter Werke betreiben oder ihren Nutzern ermöglichen. Ein berühmtes Beispiel ist die Schließung der ersten, sehr erfolgreichen P2P-Plattform Napster im Sommer 2001 nach einem vielbeachteten Prozess in den USA. Andere Webseiten sind in einigen Ländern gesperrt, also für Einwohner auf normalem Wege nicht zugänglich. Allerdings sind bisher immer wieder neue Dienste aufgetreten, die ähnliche Leistungen anbieten und Lücken in rechtlichen Bestimmungen und Durchsetzungsmaßnahmen ausnutzen. Auf Napster folgten KaZaA und BitTorrent-Dienste, die selbst keine Kopien vorhalten, sondern Nutzer nur verbinden. Ein ähnliches Bild ergibt sich für Webseiten-Sperrungen, zum Beispiel von kino.to oder The Pirate Bay. Im Folgenden werden eine Reihe Studien aus den letzten Jahren zusammengefasst. Alle betrachten den Markt für Filme oder TV-Sendungen. Die Schließung von Megaupload im Januar 2012 ist mehrfach untersucht worden. Megaupload war ein sogenannter Cyberlocker oder Sharehoster. Es ermöglichte Nutzern insbesondere Filme in ein entferntes Rechenzentrum hochzuladen und wieder auf diese Dateien und auf Dateien anderer Nutzer zuzugreifen. Es gibt eine Reihe solcher Online-Dienste, die sich über Werbung oder NutzerAbonnements finanzieren, und damit professionelle Anbieter mit einem Erwerbsinteresse sind. Oft operieren Cyberlocker von entlegenen Regionen und Ländern aus, wo besonders freizügige Regeln gelten oder eine geringe Rechtsdurchsetzung besteht. Viele Unternehmen verbergen ihren Firmensitz vor den Behörden. Danaher & Smith (2014) diskutieren die Wirkung der Megaupload-Schließung auf den autorisierten Videoverleih und Videoverkäufe. Megaupload hatte viele Nutzer und wurde plötzlich und ohne öffentliche Vorwarnung geschlossen, was eine günstige Gelegenheit für eine empirische Untersuchung ergab. Danaher & Smith (2014) betrachten, wie sich die Einnahmen der Filmwirtschaft nach der Megaupload-Schließung in Ländern verändert haben, in denen Megaupload unterschiedlich stark genutzt worden ist. Megaupload wurde zum Beispiel in Spanien und Frankreich von besonders vielen Verbrauchern genutzt und war in Österreich und Deutschland weniger populär. Die Autoren haben von drei nicht genannten großen Filmstudios Daten zum wöchentlichen digitalen Videoverleih und -verkauf erhalten. Der Untersuchungszeitraum umfasst 18 Wochen nach der Megaupload-Schließung. Die Analyse ergibt, dass die Megaupload-Schließung zu ca. 8% mehr digitalen Verkäufen und ca. 7% mehr digitalem Verleih geführt hat. Peukert et al. (2013; Version vom 24. Februar 2013) untersuchen in einem noch recht skizzenhaften Arbeitspapier die Wirkung der Megaupload-Schließung auf Kinoverkäufe. Sie nutzen wöchentliche Verkaufsdaten von boxofficemojo.com für den Zeitraum von Mitte 2007 bis Mitte 2012. Die Daten decken 1.344 Filme in 49 Ländern ab. Je nach ökonometrischer Spezifikation ermitteln sie einen insgesamt negativen (!) oder keinen signifikanten Effekt der Megaupload-Schließung auf die Kinoverkäufe. Die Autoren sehen dies als Hinweis, dass unautorisiertes Kopieren Informationen zu Filmen verbreitet, und besser informierte Verbraucher eine höhere Nachfrage nach autorisierten Leistungen haben. Scheinbar wird unautorisiertes Kopieren vielfach von Verbrauchern genutzt, die eine so niedrige Zahlungsbereitschaft haben, dass sie als Käufer für autorisierte Leistungen ausfallen. Die positive Wirkung auf die Nachfrage scheint stärker zu sein als die Substituierung zwischen unautorisiertem Zugang und Kinoverkäufen. Nur für Blockbuster-Filme allein ergibt sich in einigen Spezifikationen ein signifikanter positiver Effekt der Megaupload-Schließung. Die Ergebnisse in Peukert et al. (2013) und Danaher & Smith (2014) weichen augenscheinlich voneinander ab. Dies könnte an mehreren Unterschieden zwischen den beiden Studien liegen. 37 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung Erstens betrachten Peukert et al. (2013) Kinoverkäufe und Danaher & Smith (2014) digitale Verkäufe. Kinoverkäufe sind stärker ausschließbar, und unautorisierte Kopien über das Internet sind wahrscheinlich ein schlechterer Ersatz für Kinoaufführungen als für autorisierte digitale Kopien. Zweitens beziehen Peukert et al. (2013) ‚kleinere‘ Filme stärker mit ein, während Danaher & Smith (2014) nur Daten zu Veröffentlichungen großer Filmstudios verwenden. Die Studie von Peukert et al. (2013) gibt also möglicherweise einen besseren Hinweis auf die Wirkung für die gesamte Filmwirtschaft und nicht nur für die führenden kommerziellen Unternehmen. Drittens decken Peukert et al. (2013) eine größere Anzahl Länder ab. Schließlich betrachten Peukert et al. (2013) einen längeren Zeitraum und es ist vorstellbar, dass die Megaupload-Schließung nur eine kurzlebige Wirkung hatte, wenn Verbraucher mit der Zeit neue unautorisierte Angebote ‚entdecken‘. Ein Arbeitspapier von Lauinger et al. (2013) diskutiert die Wirkung möglicher Durchsetzungsmaßnahmen gegen häufig über Werbeeinnahmen finanzierte Cyberlocker in den USA. Diese Studie ist deskriptiv. Die ‚Safe Harbour’-Regelung schützt Anbieter von Internetdiensten davor, direkt für Urheberrechtsbrüche von Verbrauchern mithilfe ihrer Dienste verantwortlich gemacht zu werden. Stattdessen können Rechteinhaber über sogenannte Takedown Notices Internetdienste auffordern, spezifische unautorisierte Angebote zu löschen. Lauinger et al. (2013) zeigen, dass Cyberlocker, die besonders sorgfältig auf die Entfernung unautorisierter Inhalte achten, schnell Nutzer an weniger kooperative Konkurrenten verlieren. Zudem kann ServerHardware beschlagnahmt werden, wenn sich diese in der US-Jurisdiktion befindet. Für Cyberlocker außerhalb der US-Jurisdiktion gibt es Verfahren, URL von Webseiten zu übernehmen oder zu blockieren, wie es auch in mehreren europäischen Ländern zum Beispiel für The Pirate Bay geschehen ist. Lauinger et al. (2013) argumentieren, dass solche Maßnahmen aufwändig und langwierig sind, während es für Cyberlocker-Dienste relativ leicht ist, auszuweichen oder neue Dienste aufzusetzen. Aufgrund der Vielfalt und Anpassungsfähigkeit von Cyberlocker-Diensten sehen Lauinger et al. (2013) kaum eine Wirkung von Durchsetzungsmaßnahmen auf die technische Erreichbarkeit unautorisierter Inhalte für Verbraucher. Die Autoren sehen am ehesten eine psychologische Wirkung der Durchsetzungsmaßnahmen, die Cyberlocker-Anbietern und Nutzern vermittelt, dass ihr Handeln widerrechtlich ist. Lauinger et al. (2013) sehen am ehesten die Möglichkeit, Zahlungen zwischen den Akteuren zu erschweren (zwischen Cyberlocker-Anbietern, Werbetreibenden, Uploadern und Downloadern), um das Angebot zu verringern. Sie weisen aber darauf hin, dass es auch ein großes nicht-kommerzielles Angebot gibt, das nicht betroffen wäre. Webseiten-Sperrungen scheinen wenig effektiv, da viele Nutzer ihren Aufenthaltsort verbergen können oder auf alternative Dienste ausweichen. In einem weiteren Arbeitspapier untersuchen Aguiar et al. (2015) eine Webseiten-Sperrung in Deutschland. Dies betraf die in Deutschland zuvor vielfach genutzte, unautorisierte Video Streaming Webseite kino.to im Juni 2011. Aguiar et al. (2015) nutzen Daten zu den wöchentlichen Webseitenaufrufen (Clickstream Daten) von 5.000 deutschen Verbrauchern vom Marktforschungsunternehmen Nielsen für das ganze Jahr 2011. Aguiar et al. (2015) vergleichen die Anzahl der Aufrufe autorisierter und unautorisierter Film-Angebote. Die Autoren ermitteln eine Verringerung der gesamten Besuche von unautorisierten Seiten für die ersten vier Wochen nach der kino.to-Sperrung. Ab der fünften Woche ist die Zahl der Besuche unautorisierter Seiten schnell wieder angestiegen. Mehrere Webseiten mit ähnlichen Angebote wie kino.to wurden häufiger genutzt. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Fragmentierung von einer vielgenutzten Seite hin zur Nutzung vieler kleinerer Seiten eine effektive Rechtsdurchsetzung in Zukunft erschweren kann. Besuche von Kinowebseiten und Webseiten autorisierter Einzelhändler von Filmen auf DVD/BluRay sind unverändert geblieben. Besuche von autorisierten Einzelhändlern von Filmen als Streams oder Downloads haben sich nur für die intensivsten kino.to Nutzer erhöht, und zwar um 2,5%. Aguiar et al. (2015) folgern, dass die kino.to-Sperrung in erster Linie die Verbraucherrente verringert aber die Einnahmen der Rechteinhaber wahrscheinlich kaum erhöht hat. Allerdings 38 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung waren im untersuchten Zeitraum weniger autorisierte Verbreitungsformen für Filme erhältlich als heute. In der ersten Hälfte des Jahres 2012 haben wichtige ISP in den Niederlanden den Zugang zu The Pirate Bay gesperrt. Dabei waren unterschiedliche ISP zu verschiedenen Zeiten betroffen. Poort et al. (2014) prüfen, ob der Anteil der ISP-Kunden, die unautorisierte Angebote nutzen, ca. 6 Monate nach der Sperrung von The Pirate Bay für ihren Internet-Zugang zurückgegangen ist. Anhand einer Nutzerbefragung finden sie keinen Rückgang der Nutzer unautorisierter Internet-Angebote. Anhand direkter Beobachtung von BitTorrent-Nutzung finden sie nur einen geringen Rückgang, der zudem durch Ausweichen auf Alternativen zu BitTorrents zurückgehen könnte. Insgesamt schließen die Autoren, dass diese Art der Durchsetzungsmaßnahmen keinen dauerhaften Effekt gehabt hat. Im Mai 2012 wurden ISP auch im Vereinigten Königreich verpflichtet, den Zugang zu The Pirate Bay für ihre Kunden zu sperren. Dem folgte im Herbst 2013 die Sperrung von 19 weiteren Webseiten, deren Angebote vielfach zum unautorisierten Kopieren genutzt wurden. Ein Arbeitspapier von Danaher et al. (2015) untersucht die Wirkung auf das Verhalten von Verbrauchern im Internet. Sie klassifizieren Verbraucher nach der Intensität der Nutzung sogenannter „Piratenwebseiten“ und betrachten, wie oft Verbraucher aus den unterschiedlichen Kategorien vor und nach den Sperrungen verschiedene autorisierte und unautorisierte Webseiten besucht haben. Danaher et al. (2015) ziehen monatliche Daten zu den sieben Monaten vor und nach der Sperrung in Betracht. Die einzelne Sperrung von The Pirate Bay hat praktisch keine Wirkung auf Besuche autorisierter Online-Angebote. Verbraucher scheinen auf alternative unautorisierte Angebote ausgewichen zu sein. Bei der nahezu gleichzeitigen Sperrung von 19 Webseiten im Herbst 2013 hat sich dagegen ein signifikanter Effekt ergeben: Besuche von autorisierten OnlineAngeboten (wie Netflix) durch Nutzer, die auch unautorisierte Angebote gebrauchen, wurden durchschnittlich 12% häufiger. Besonders stark fiel der Anstieg für die intensivsten Nutzer unautorisierter Angebote aus. Für eine zumindest kurzfristig erkennbare Wirkung scheint es also notwendig, möglichst viele unautorisierte Angebote gleichzeitig zu sperren. Allerdings geben die Autoren die Quelle der Daten nicht an. Das Forschungsprojekt ist von der Motion Picture Association of America (MPAA) gefördert. Insgesamt erscheint es zweifelhaft, ob Webseiten-Sperrungen einen dauerhaften positiven Effekt auf die Einnahmen der Rechteinhaber an Filmen haben. Wie zuvor beim Kampf gegen unautorisierte Nutzung von Musik erweisen sich das Angebot und die Nutzung unautorisierter Verbreitungsformen als anpassungsfähig und schwer zu unterbinden. Für eine erhebliche und dauerhafte Wirkung auf unautorisiertes Kopieren scheint es notwendig, alle unautorisierten Angebote möglichst gleichzeitig zu unterdrücken. Wahrscheinlich müssen immer wieder neue unautorisierte Angebote identifiziert und bekämpft werden. Selbst wenn dies gelänge, scheint ein starker positiver Effekt auf die Verkäufe autorisierter Angebote allerdings anhand der bisherigen empirischen Ergebnisse nicht gesichert. 39 Handke Urhebervergütung - Durchsetzung Empirische Literatur zum zweiten Schwerpunktthema: Durchsetzungsmaßnahmen von Urheberrechten Allgemein Handke, C., Girard, Y., & Mattes, A. (2015a). Fördert das Urheberrecht Innovation? Eine empirische Untersuchung. Expertenkommission Forschung Innovation (EFI), Studien zum deutschen Innovationssystem Nr. 16-2015. Online: http://www.efi.de/fileadmin/Innovationsstudien_2015/StuDIS_16_2015.pdf Orme, T. (2014). The short-and long-term effectiveness of anti-piracy laws and enforcement actions. Journal of Cultural Economics, 38(4), 351-368. Digtales Rechtemanagement (DRM) Sinha, R. K., Machado, F. S., & Sellman, C. (2010). Don't think twice, it's all right: Music piracy and pricing in a DRM-free environment. Journal of Marketing, 74(2), 40-54. doi:10.1509/jmkg.74.2.40 Kim, J. H., & Leung, T. C. (2013). Quantifying the Impacts of Digital Rights Management and E-Book Pricing on the E-Book Reader Market. Available at SSRN 2335652. Abmahnungen privater Haushalte Adermon, A., & Liang, C. Y. (2010). Piracy, music, and movies: A natural experiment (No. 2010: 18). Working Paper, Department of Economics, Uppsala University. (Older version of Adermon & Liang (2014) with additional information.) Adermon, A., & Liang, C. Y. (2014). Piracy and music sales: The effects of an anti-piracy law. Journal of Economic Behavior & Organization, 105, 90-106. Arnold, M. A., Darmon, E., Dejean, S., & Penard, T. (2014). Graduated response policy and the behavior of digital pirates: Evidence from the french three-strike (HADOPI) law. Available at SSRN 2380522. Bhattacharjee, S., Gopal, R. D., Lertwachara, K., & Marsden, J. R. (2006). Impact of Legal Threats on Online Music Sharing Activity: An Analysis ofMusic Industry Actions. Journal ofLaw and Economics, 49(1), 91-114. Danaher, B., Smith, M. D., Telang, R., & Chen, S. (2014). The effect of graduated response anti-piracy laws on music sales: evidence from an event study in France. The Journal of Industrial Economics, 62(3), 541-553. Maffioletti, A. & Ramello, G. B. (2004). Should We Put Them in Jail? 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DRITTES SCHWERPUNKTTHEMA: VERGÜTUNGSSYSTEME In Deutschland gibt es eine lange Tradition von Vergütungssystemen, die nicht auf die Durchsetzung exklusiver Urheberrechte abzielen, sondern auf die angemessene Entlohnung der Rechteinhaber bei unautorisierter Vervielfältigung zum privaten Gebrauch. Kopierabgaben wurden in Deutschland im Jahr 1966 eingeführt. Über Kopierabgaben wird versucht, Rechteinhaber für eine Urheberrechtsschranke zugunsten privater Kopien zu entschädigen. Die Motivation bei der Einführung war, dass effektive Durchsetzungsmaßnahmen exklusiver Rechte in Privathaushalten unverhältnismäßig erschienen, und ansonsten kein Mittel bestand, unautorisiertes Kopieren mithilfe von Tonbändern einzudämmen. Mittlerweile werden in den meisten europäischen Ländern Kopierabgaben erhoben, sowie zum Beispiel in den USA und in Kanada. Die Abgaben wurden zudem auf immer neue Kopiertechnologien ausgeweitet, inklusive Computer-Hardware (WIPO 2013). Mit dem Aufkommen von Tauschbörsen haben sich vor allem eine Reihe von Rechtswissenschaftlern in akademischen Veröffentlichungen für die Ausweitung von Vergütungssystemen ausgesprochen (Lunney 2001; Ku 2002; Netanel 2003; Fisher 2004; Eckersley 2004; in Deutschland zum Beispiel Grassmuck & Stadler 2003; Grassmuck 2010). Siehe Handke et al. (2013) für eine kurze und aktuelle Literaturübersicht mit besonderem Augenmerk auf ökonomische Aspekte. Bis heute sind allerdings nirgends Vergütungssysteme angewandt worden, die es Verbrauchern gegen eine Zahlung erlauben würden, geschützte Werke auch ohne Zustimmung von Rechteinhabern aus dem Internet herunterzuladen (oder hochzuladen). In Deutschland ist „Kulturflatrate“ eine gängige Bezeichnung für diese Idee. VII.1 Vor- und Nachteile von Vergütungssystemen Der direkteste Vorteil für Rechteinhaber wäre, dass ein effektives Vergütungssystem Einkommen auf Grundlage von Nutzungsformen generiert, für die sie derzeit nicht vergütet werden.17 Ein Vergütungssystem würde zudem analog zur kollektiven Rechtewahrnehmung funktionieren und durch Standardisierung von Nutzungskonditionen und Bündelung von Transaktionen zu einer Verringerung von Transaktionskosten führen. Für Verbraucher wäre der direkteste Nutzen eines Vergütungssystems, dass die Wahrscheinlichkeit abnimmt, abgemahnt oder verklagt zu werden. Eine effektive Entlohnung von Rechteinhabern könnte sich auf Dauer auch für Verbraucher als nützlich erweisen, wenn sich hierdurch das Angebot werthaltiger kreativer Werke erhöhen würde. Zudem weisen Umfrageergebnisse konsistent darauf hin, dass Verbraucher es als Wert an sich ansehen, dass Kreative, deren Werke sie nutzen, entlohnt werden (Rochelandet & le Guel 2005; Hennig-Thurau et al. 2007; Fetscherin 2009). Schließlich könnte ein Vergütungssystem den Aufwand für soziale Konflikte um das Urheberrecht verringern, inklusive der daraus entstehenden Kosten für den Steuerzahler. Aus ökonomischer Sicht ist der größte Nachteil eines Vergütungssystems, dass standardisierte Preise und Nutzungsbedingungen die Handlungsmöglichkeiten für Akteure einschränken und den Marktmechanismus außer Kraft setzen können (Liebowitz 2003; 2005; Merges 2004; Liebowitz & Watt 2006). Die für eine effiziente Preisfindung nötigen Informationen bezüglich der Nachfrage wären mit einer verpflichtenden Teilnahme aller (Breitband-)Internetnutzer schlicht nicht mehr erhältlich. Des Weiteren trifft die übliche Kritik an kollektiver Rechtewahrnehmung und Verwertungsgesellschaften zu: Diese Organisationen funktionieren oft als faktische Monopole mit entsprechender Marktmacht und sind als große Unternehmen oft durch komplexe und langsame 17 Allerdings würde eine Legalisierung von Tauschbörsennutzung (und ähnlicher Online-Angebote) deren Nutzung attraktiver machen und könnte sonstige autorisierte Leistungen teilweise ersetzen. 42 Handke Urhebervergütung - Vergütungssysteme Entscheidungsprozesse gekennzeichnet. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass die Verteilung der Einnahmen unter den Rechteinhabern zuverlässig der tatsächlichen Nutzung der Werke entspricht, um effiziente ‚marktkonforme‘ Anreize für die Anbieter kreativer Werke zu sichern. Bei bestehenden Verwertungsgesellschaften wird dieser Aspekt oft kritisiert. Verwertungssysteme erscheinen am ehesten erstrebenswert, wenn sich die Nutzung im Internet relativ preiswert und effektiv beobachten ließe, etwa durch Monitoring eines repräsentativen Querschnitts der Verbraucher. Siehe hierzu Spindler (2014: 135ff.), der mehrere Möglichkeiten aufzeigt und zu einer optimistischen Beurteilung kommt. Dabei ist zu beachten, dass auch die Ausschüttungen von Internet-Plattformen an Rechteinhaber auf Beobachtungen des Verbraucherverhaltens zurückgehen. Bei kommerziellen Plattformen ist der Prozess der Nutzungsfeststellung und Ausschüttung der Einnahmen an Rechteinhaber bisher noch schwerer von außen zu kontrollieren als bei Verwertungsgesellschaften, die durch ihre Mitglieder und staatliche Behörden reguliert sind. VII.2 Empirische Ergebnisse Die Debatte um Online-Vergütungssysteme krankt daran, dass kaum belastbare empirische Daten vorliegen, um die Wirkung eines solchen Systems vorherzusagen. Das liegt zum einen daran, dass kein Vergütungssystem bisher Tauschbörsen und ähnliche Online-Angebote mit einbezogen hat. Somit sind relevante Beobachtungen zum tatsächlichen Verhalten von Verbrauchern nicht verfügbar. Zum anderen wären die Folgewirkungen eines Vergütungssystems weitreichend und sind schwer vorab zu erfassen. In einer Buchveröffentlichung berichten Karaganis & Renkema (2012) von Ergebnissen einer umfangreichen Umfrage unter US amerikanischen und deutschen Verbrauchern aus dem Sommer 2011, mit 1.000 Telefoninterviews allein in Deutschland. Die Umfrage hat auch die Zahlungsbereitschaft für eine „Breitband-Gebühr“ zur Entschädigung von Rechteinhabern für unautorisiertes Kopieren abgefragt. In Deutschland waren 61% der Befragten bereit, eine „kleine“ Gebühr zu zahlen und unter diesen Befürwortern lag die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft bei etwa 16 Euro pro Monat für „Zugang zu allen Liedern, Filmen und TV-Sendungen“. In den USA waren 48% bereit zu zahlen, im Schnitt fast 18 Dollar pro Monat (Karaganis & Renkema 2012: 5658). Die Publikation enthält eine Liste mit ähnlichen Ergebnissen aus Umfragen in Schweden, Deutschland und dem Vereinigten Königreich, die aber allesamt nicht akademisch veröffentlicht worden sind. In einem Bericht für die Partei Die Grünen präsentiert der Göttinger Jurist Spindler (2013; 2014) eine umfassende Diskussion einer Kulturflatrate. Er behandelt dabei auch die „wirtschaftliche Vertretbarkeit“. Besonderes Augenmerk legt Spindler auf die angemessene Beitragshöhe pro Haushalt. Er verwendet verschiedene Berechnungsmethoden. In der Lizenzanalogie geht Spindler (2014) vom gegenwärtigen Nutzerverhalten aus und rechnet diese mit den üblichen Lizenzzahlungen bei autorisierter Nutzung hoch. Er zieht die Aufwendungen für den Vertrieb ab, die bei ‚freier‘ Online-Verbreitung nicht mehr für die Rechteinhaber anfallen. So kommt Spindler (2014) auf ca. 7,90 Euro monatlich pro Breitband-Anschluss für Musik, 5,30 Euro für Filme und 1,60 Euro für Bücher beim derzeitigen Nutzerverhalten. Insgesamt ergeben sich ca. 14,70 Euro pro Monat. Ohne Abzug der Vertriebskosten ergeben sich sehr viel höhere Summen (bis zu ca. 120 Euro pro Monat), was in der Praxis bedeuten würde, dass die Einnahmen der Rechteinhaber sich mit einem Schlag um ein vielfaches erhöhen würden. Ein Schwachpunkt dieser Berechnungen ist, dass mit den vorhandenen Daten wenig zu den Veränderungen im Nutzerverhalten zu sagen ist, die sicher mit der Einführung eines Vergütungssystems entstünden und die Berechnungsgrundlage verändern würden. 43 Handke Urhebervergütung - Vergütungssysteme In einem anderen Ansatz nimmt Spindler (2014) Schätzungen der tatsächlichen Substitution als Grundlage für die Ansprüche der Rechteinhaber bei einer Kulturflatrate. Er geht von einer Substitutionsrate von 30% aus, die er als ‚worst-case‘ betrachtet. Hier ermittelt er eine jährliche Zahlung pro Breitband-Anschluss von 9,50 Euro für Musik, 7,40 Euro für Filme und 37,10 Euro für Bücher. Hinzu kommen 8,10 Euro Verwaltungskosten, angenommen als 15% der Gebühreneinnahmen, was im Vergleich zu Verteilungsquoten der effizienteren Verwertungsgesellschaften wie der GEMA (ca. 95%) nicht zu optimistisch erscheint. Inklusive der Verwaltungskosten errechnet Spindler (2014) insgesamt eine monatliche Gebühr von rund 5,20 Euro pro Breitband-Anschluss. Hierbei ist zu beachten, dass die tatsächliche Substitution höchst fraglich ist und sich wie gesagt mit Einführung einer Kulturflatrate sicher große Veränderungen im Nutzerverhalten ergeben würden. Wahrscheinlich verringerte sich die Nachfrage nach anderen, nicht in der Kulturflatrate abgedeckten Angeboten für Kopien kreativer Werke, so dass eine Substitutionsrate von 30% kaum als ‚worst case‘ erscheint. (Zudem würde sich die Nachfrage für Breitband-Anschlüsse wahrscheinlich verändern.) Die Höhe der Flatrate-Gebühr könnte dem zwar angepasst werden. Dies hieße aber, dass die Einnahmen der betroffenen Branchen an einem mehr oder weniger beliebigen Zeitpunkt festgesetzt würden. Die Zahlungen der Verbraucher würden von der tatsächlichen Attraktivität des Angebots kreativer Werke entkoppelt. Auch eine Prognose der kontrafaktischen Nachfrageentwicklung ohne Kulturflatrate wäre unausweichlich fehlerhaft. Mit Veränderungen der Marktsituation ergäben sich auf die Dauer Fehlanreize und Fehlallokationen. Die Substitutionsrate als Grundlage für eine Gebühr scheint gerecht, ist aber praktisch nicht umsetzbar. Die Berechnungen in Spindler (2014) lassen für sich allein keine Rückschlüsse auf die gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtseffekte zu, da sie kein angemessenes Maß für die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher in Betracht ziehen. Für Karaganis und Renkema (2012) gilt umgekehrt, dass sie die Zahlungsbereitschaft von Verbrauchern nicht mit den zur Kompensation von Rechteinhaber nötigen Einnahmen in Bezug setzen. In einer akademisch veröffentlichten Studie betrachten Handke et al. (2015b) den Wohlfahrtseffekt eines Vergütungssystems für Online verfügbare Musikaufnahmen. Grundlage ist eine repräsentative Umfrage unter knapp 5.000 Einwohnern der Niederlande.18 Bei der Umfrage handelt es sich um ein sogenanntes Discrete Choice Experiment. Dem derzeitigen Wissensstand zufolge ist diese Befragungsmethode das effektivste Mittel, valide Informationen zur Zahlungsbereitschaft für Leistungen zu ermitteln, für die noch keine tatsächlichen Marktdaten erhältlich sind (Arrow & Solow 1993; Bateman et al. 2002). Einfachere Befragungsmethoden zur Zahlungsbereitschaft führen in der Regel zu übertrieben hohen Ergebnissen. Handke et al. (2015b) decken eine Vielzahl möglicher Versionen eines Vergütungssystems ab. In allen Varianten wird eine zusätzliche Gebühr bei Zahlungen an ISP für Internet-Anschlüsse erhoben, die anschließend über eine Verwertungsgesellschaft an Rechteinhaber verteilt wird. Um übertrieben optimistische Ergebnisse auszuschließen, treffen die Autoren in der Wohlfahrtsanalyse einige ‚worst case‘-Annahmen. Dazu gehört die Annahme, dass alle Teilnehmer an einem Vergütungsmodell keine Musikaufnahmen mehr über sonstige Vertriebsmethoden erstehen (vollständige Substitution). Der Gesamtumsatz im niederländischen Markt für Musikaufnahmen (inklusive digitaler Angebote) betrug im Jahr vor der Befragung durchschnittlich gut 1,70 Euro pro Monat und Haushalt. Bei verpflichtender Teilnahme aller Haushalte mit InternetZugang wäre die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft für ein Vergütungssystem gut 9,20 Euro 18 In den Niederlanden hat zum Zeitpunkt der Befragung praktisch keine Verfolgung bei unautorisiertem privaten Kopieren über das Internet stattgefunden, und der autorisierte digitale Markt hatte bereits einen großen Marktanteil. Die Attraktivität eines Vergütungssystems sollte demnach in den Niederlanden relativ gering gewesen sein im Vergleich zu Deutschland, wo Abmahnungen von privaten Haushalten wegen Urheberrechtsbrüchen häufiger stattfinden. 44 Handke Urhebervergütung - Vergütungssysteme pro Monat und Haushalt. Jeder Preis zwischen diesen beiden Werten ergäbe einen NettoWohlfahrtsgewinn und wäre sowohl für Verbraucher als auch für Rechteinhaber als Ganzes vorteilhaft. Die gesamte Wohlfahrtssteigerung läge bei mehr als 600 Millionen Euro pro Jahr. Das sind mehr als 35 Euro pro Einwohner und ein Vielfaches des Gesamtumsatzes im derzeitigen Markt von 144 Millionen Euro. Ein Vergütungssystem mit freiwilliger Teilnahme von Verbrauchern erscheint gesamtgesellschaftlich in Handke et al. (2015b) noch günstiger. Bei einer monatlichen Gebühr von 5 Euro würden 44,6% freiwillig teilnehmen. Die Einnahmen für Rechteinhaber fielen niedriger aus als bei obligatorischer Teilnahme aller Internetnutzer, aber eine große Zahl an Verbrauchern, die nicht bereit sind, mindestens 5 Euro monatlich zu zahlen, würden geschont. Langfristig würde ein Vergütungssystem mit freiwilliger Teilnahme für Verbraucher außerdem den bisher wichtigsten Kritikpunkt in der ökonomischen Literatur abmildern: ein Marktmechanismus bliebe besser erhalten, wenn die Einnahmen aus dem Vergütungssystem durch Ein- und Austritte von Verbrauchern mit Veränderungen des Angebots variieren könnten. Ein Nachteil eines freiwilligen Systems wäre, dass bezüglich der nicht teilnehmenden Verbraucher die derzeitigen Probleme mit unautorisiertem digitalen Kopieren und Diskussionen um Rechtsdurchsetzung fortbestünden. Handke et al. (2015b) diskutieren eine Reihe weiterer Konsequenzen, wie die langfristige Wirkung auf das Angebot kreativer Werke, die Wirkung auf den bestehenden Einzelhandel und den Wettbewerb zwischen Online-Verbreitern kreativer Werke, sowie die Nachfrage nach InternetZugang. Sie finden keine erheblichen Einwände. Die meisten dieser weiteren, in den Berechnungen nicht berücksichtigten Folgen eines Vergütungssystems würden den Wohlfahrtseffekt eines Vergütungssystems wahrscheinlich noch erhöhen. Handke et al. (2015b) zufolge kann vor tatsächlicher Erprobung in der Praxis kaum ein klareres Signal bestehen kann, dass ein Vergütungssystem bei Musikaufnahmen sowohl für Verbraucher als auch für Rechteinhaber vorteilhaft wäre. Die Autoren betonen die Unsicherheit, die bei jeder Befragung zur Zahlungsbereitschaft besteht und empfehlen zunächst eine experimentelle Erprobung.19 19 Aus den Regressionen in Handke et al. (2015b) ergibt sich, dass unter der konservativen Annahme vollständiger Substitution auch ein gemeinsames Vergütungssystem für Musik und Filme für Verbraucher und Rechteinhaber gleichzeitig vorteilhaft wäre. Für Bücher ergäben die Gebühren, die Verbraucher im Schnitt zu zahlen bereit sind aber nicht annähernd die Höhe der derzeitigen Einnahmen für Rechteinhaber aus dem Verkauf autorisierter Kopien. Viele Verbraucher scheinen bisher eine starke Vorliebe für gedruckte Bücher zu haben. Damit ist Annahme vollständiger Substitution konventioneller Verkäufe durch ein Vergütungssystem für Bücher womöglich irreführend. 45 Handke Urhebervergütung - Vergütungssysteme Empirische Literatur zum dritten Schwerpunktthema: Vergütungssysteme Handke, C., Bodó, B. & Vallbé, J.J. (2015b). Going means trouble and staying makes it double: The value of licensing recorded music online. Journal of Cultural Economics, angenommen im April 2015. Online: http://link.springer.com/article/10.1007/s10824-015- 9251-8 Karaganis, J., & Renkema, L. (2012). Copy Culture in the US and Germany. New York: The American Assembly. Spindler, G. (2014). Rechtsprobleme und wirtschaftliche Vertretbarkeit einer Kulturflatrate: Überarbeitung des im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündins 90/Die Grünen erstellten Gutachtens Stand 08. Januar 2014. Universitätsverlag Göttingen. 46 Handke Urhebervergütung - Vergleich VIII. STÄRKEN UND SCHWÄCHEN DER IN DEN SCHWERPUNKTTHEMEN BEHANDELTEN OPTIONEN AUS WOHLFAHRTSÖKONOMISCHER SICHT Die Schwerpunktthemen behandeln drei verschiedene Ansätze für die Urheberechtspolitik, um Rechteinhaber im Zusammenhang mit der Verbreitung digitaler Kopiertechnologie zu schützen und nachhaltig ein hochwertiges Angebot kreativer Werke zu fördern: (1) Regelung oder Urheberrechten; staatliche Durchführung von Maßnahmen zur Durchsetzung von (2) die ‚Marktlösung’ aus Vertrauen auf die Anpassungsfähigkeit der Akteure in den Urheberrechtsbranchen und gegebenenfalls punktuelle Regelungen um einen Anpassungsprozess zu beschleunigen; (3) Einführung eines Vergütungssystems durch Legalisierung von Tauschbörsennutzung (und der Nutzung ähnlicher Dienste) für Verbraucher gegen eine erweiterte Kopierabgabe. Bei jeder Handlungsoption stellt sich zunächst die Frage nach der Wirksamkeit gegen unautorisiertes Kopieren und auf die Einnahmen der Rechteinhaber. Weitere Aspekte der wohlfahrtsökonomischen Bewertung sind auch die zu erwartenden Konsequenzen für: (1) Transaktionskosten; (2) Verwaltungskosten für die öffentliche Hand; (3) Anreizprobleme, wenn für beteiligte private Unternehmen kein genuines Interesse an einem effektiven Urheberrechtsschutz besteht oder gesamtgesellschaftlich schädliches Verhalten für sie sogar einen individuellen Nutzen bietet, 20 sowie Informationsprobleme wenn Organisationen mit der Ausgestaltung von Maßnahmen betraut sind, die auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen sind, um den Nutzen zu beurteilen. Tabelle 2 gibt einen Überblick der empirisch belegten Wirksamkeit, sowie wahrscheinlicher weiterer Konsequenzen verschiedener Handlungsoptionen oder Entwicklungen. Der Literatur folgend liegt das Augenmerk besonders auf der Musikindustrie und der Filmwirtschaft. Die jeweiligen Aspekte werden grob mittels einer Skala bewertet: von „++“ für „sehr positiv“ bis „- -“ für „sehr negativ“ im Vergleich zu anderen Optionen, wobei positive Bewertungen nur vergeben werden, wenn auch absolut eine positive Wirkung zu erwarten ist. Ein neutraler Wert ist mit „o“ markiert. Einige Felder sind aus Sicht des Autors nicht zu bewerten. Die Wirksamkeit gegen unautorisiertes Kopieren und auf die Einnahmen der Rechteinhaber lässt sich zum Teil direkt auf Grundlage der relevanten empirischen Forschungsergebnisse beurteilen. Allerdings ist eine Besonderheit bei der wohlfahrtsökonomischen Bewertung einer Wirkung auf unautorisiertes Kopieren zu beachten: Gelingt es, unautorisiertes Kopieren zu unterbinden, kann sich nur ein positiver Wohlfahrtseffekt ergeben, wenn die Einnahmen der Rechteinhaber dadurch steigen (und damit auf lange Sicht hoffentlich das werthaltige Angebot kreativer Werke zunimmt). Ohne einen positiven Einnahmen- oder Angebotseffekt wäre eine Unterdrückung unautorisierter Nutzung zulasten der betreffenden Verbraucher aus ökonomischer Sicht negativ zu bewerten. Die ‚freie’ Nutzung durch Verbrauchter mit einer geringen Zahlungsbereitschaft oder -fähigkeit ist kein Problem an sich, sondern nur problematisch, wenn sie Rechteinhaber schlechter stellt. Durchsetzungsmaßnahmen schließen mehreren Studien zufolge überwiegend Verbraucher aus, die 20 Die Anreizproblematik für Verbraucher, Werke zu nutzen ohne die Hersteller zu entlohnen, ist bereits unter ‚Wirksamkeit gegen unautorisiertes Kopieren und auf Einnahmen der Rechteinhaber‘ abgedeckt. 47 Handke Urhebervergütung - Vergleich nicht willens oder in der Lage sind, für autorisierte Leistungen zu zahlen. Dies ist wohlfahrtsökonomisch von Nachteil (Mafioletti & Ramello 2004; Aguiar et al. 2015). Daher wird in Tabelle 2 nur die Wirksamkeit auf die Einnahmen der Rechteinhaber bewertet. Die Höhe der insgesamt für alle beteiligten privaten Akteure anfallenden Transaktionskosten und der Verwaltungskosten für die öffentliche Hand beruht in Ermangelung belastbarer Daten auf drei einfachen Überlegungen: Wie viele Interaktionen finden statt? Bestehen Anreize und Möglichkeiten für Akteure, sich den Interaktionen zu widersetzen oder zu täuschen, und wie aufwändig ist es, unkooperativem oder opportunistischem Verhalten entgegenzuwirken? Wie ist die Aufgabenteilung zwischen privaten Teilnehmern und der öffentlichen Hand? Bezüglich der Anreiz- und Informationsprobleme wird auf Fehlanreize und fehlende direkte Einblicke bei wichtigen Akteuren hingewiesen, sowie auf die negativen Folgen, die sich dadurch bei den jeweiligen Maßnahmen ergeben können. Ein Beispiel für ein Anreizproblem ist, dass DRMBetreiber kein genuines Interesse haben, zusätzliche Kosten auf sich zu nehmen, um Urheberrechtsschranken bei der Anwendung technischer Beschränkungen der Nutzung zu erhalten. So befürchten zum Beispiel Lunney (2001) und Elkin-Koren & Salzberger (2012), dass effektives DRM zu einer Aushöhlung bestehender Urheberrechtsschranken führen könnte. Ein Beispiel für ein Informationsproblem ist, dass die Preisfindung bei für Internetnutzer obligatorischen Vergütungssystemen nicht mehr durch Marktmechanismen bestimmt werden kann. Insgesamt sollte ein systematischer Vergleich, wie er in Tabelle 2 dargestellt wird, hilfreich sein. Die Bewertung durch diesen Autor bleibt aber beim derzeitigen Wissensstand in Teilen spekulativ. Eine Fortführung und Verfeinerung durch weitere Experten oder quantitativ-empirische Forschung ist erstrebenswert. Der Bewertung in Tabelle 2 zufolge gibt es keine einzelne, eindeutig überlegene Handlungsoption. Zudem besteht in der Praxis bereits eine Mischung verschiedener Ansätze. Vergütungssysteme beinhalten als kaum angewandte Option für die ‚Lösung‘ der Digitalkopie-Problematik relativ hohe Entwicklungskosten und Unsicherheit. Ist die Teilnahme für alle Internet-Nutzer verbindlich, müssen zudem auch Verbraucher eine Gebühr entrichten, die keine entsprechende Wertschätzung für die Gegenleistung des rechtssicheren Zugangs zu allen Online-Angeboten haben. Dieses Problem tritt bei freiwilliger Teilnahme, etwa durch ein opt-out, nicht auf. Ansonsten schneiden Vergütungssysteme nach vielen Kriterien dem derzeitigen Wissensstand nach gegenüber Durchsetzungsmaßnahmen relativ gut ab. Private Plattformen sind in ihrer Funktion Vergütungssystemen recht ähnlich: Beide beruhen auf einer zentralen Organisation, die standardisierte Preise und Nutzungsbedingungen für eine Vielzahl differenzierter Werke, Werksanbieter und Verbraucher entwickeln. Profitorientierte Plattformen haben aber stärkere Anreize als nicht profitorientierte Verwertungsgesellschaften, eine mögliche Marktmacht auszunutzen. Zudem werden Verwertungsgesellschaften durch ihre Mitglieder (Rechteinhaber) kontrolliert und wären so auf der Seite der Anbieter kreativer Werke weniger bedenklich. Darüber hinaus besteht eine relativ effektive öffentliche Regelung von Verwertungsgesellschaften im Vergleich zur Situation bei multinationalen Unternehmen, die Online-Einzelhandelsplattformen für kreative Werke betreiben. 48 Handke Urhebervergütung - Vergleich Tabelle 2: Wirksamkeit und weitere Konsequenzen verschiedener Maßnahmen zur Vergütung von Rechteinhabern Wirksamkeit Gegen unautorisiertes Kopieren Auf Einnahmen für Rechteinhaber Insgesamt anfallende Transaktionskosten Verwaltungskosten der öffentlichen Hand Anreiz- und Informationsprobleme Sonstiges Die Bewertungssymbole stehen für: ++ sehr positiv; + positiv; o neutral; - negativ; - - sehr negativ; jeweils im Vergleich zu den anderen Maßnahmen. Durchsetzungsmaßnahmen DRM / EULA Abmahnungen durch private Akteure Für Rechteinhaber bisher wohl nicht ausreichend - Zwei Studien zufolge relativ stark + Eine Studie findet steigende Musikverkäufe (>30%) in Schweden aber keine Effekte auf Filmverkäufe (Bhattacharjee et al. 2006; Adermon und Liang 2014) Nicht zu beurteilen ++ -- -- Eigenständige Lösung durch Rechteinhaber Mögliche Aushöhlung bestehender Schranken des Urheberrechts Rechtsunsicherheit für Verbraucher durch vielfältige Nutzungsbedingungen -- o -- -- Hohe Kosten der Überwachung aller potentiellen ‚Piraten’ und bei der Interaktion mit identifizierten ‚Piraten‘ Potential zahlreicher juristischer Konflikte; ISP Auskunftspflichten müssen reguliert werden Möglichkeit opportunistischen Verhaltens durch profitorientierte Abmahnungsunternehmen; ISP haben kein genuines Interesse an Mitwirkung Probleme mit Rechtsunsicherheit für Verbraucher und dem Abwägen zwischen Rechtsdurchsetzung und Schutz der Privatsphäre; Kosten für ISP + -- -- -- - Eine Studie findet stabilere digitale Verkäufe von Musik in Frankreich (+25% im Vergleich zu rückläufigen Entwicklung in Vergleichsländern) Hohe Kosten der Überwachung aller potentiellen ‚Piraten’ und bei der Interaktion mit identifizierten ‚Piraten‘ Kosten entfallen komplett auf den Steuerzahler, wenn Strafzahlungen nicht zur Finanzierung der Rechtsdurchsetzung herangezogen werden; Auskunftspflichten der ISP müssen reguliert werden Ein effizientes Verhältnis von Kosten und Nutzen ist kaum festzustellen; Fehlanreize durch Rent-seeking; ISP haben kein genuines Interesse an Mitwirkung Probleme mit dem Abwägen zwischen Rechtsdurchsetzung und Schutz der Privatsphäre; Kosten für ISP o + - -- Drei Studien finden eine Steigerung digitaler Filmverkäufe (2,5% bis 12%); eine Studie findet keine Wirkung; Effekte einzelner Sperrungen sind anscheinend kurzlebig Interaktion mit relativ wenigen Akteuren nötig; für dauerhafte Wirkung aber wahrscheinlich kontinuierliche und umfassende Maßnahmen gegenüber Webseitenbetreibern nötig Ausführliche staatliche oder juristische Kontrolle nötig, um Webseitenbetreiber vor fälschlicher Sperrung zu schützen Ein effizientes Verhältnis von Kosten und Nutzen ist kaum festzustellen; Fehlanreize durch Rent-seeking; ISP haben kein genuines Interesse an Mitwirkung Für Rechteinhaber bisher wohl nicht ausreichend (Adermon und Liang 2010; 2014) Abmahnungen durch öffentliche Behörden (z.B. HADOPI) Kaum empirisch belegt; wahrscheinlich relativ stark (Danaher et al. 2014) WebseitenSperrung Kaum empirisch belegt; wahrscheinlich relativ stark. (Danaher & Smith 2014; Peukert et al. 2013; Aguiar et al. 2015; Danaher et al. 2015) fortgesetzt auf der nächsten Seite 49 Handke Urhebervergütung - Vergleich Wirksamkeit Gegen unautorisiertes Kopieren Auf Einnahmen für Rechteinhaber Insgesamt anfallende Transaktions-kosten Verwaltungskosten der öffentlichen Hand Anreiz- und Informationsprobleme Sonstiges Die Bewertungssymbole stehen für: ++ sehr positiv; + positiv; o neutral; - negativ; - - sehr negativ; jeweils im Vergleich zu den anderen Maßnahmen. Private, autorisierte Plattformen (z.B. Amazon, iTunes Store, Spotify, Netflix) Zwei Studien zufolge stark Vergütungssystem Teilnahme für Internetnutzer obligatorisch Legalisierung (Danaher et al. 2010; Poort & Weda 2015) o o / ++ - -- Möglichkeit höherer Umsätze aber wahrscheinlich geringe Ausschüttungen an Rechteinhaber/ Kreative aufgrund der Marktmacht der Plattformen Zunächst hohe Entwicklungskosten; dann Ersparnisse durch Bündelung und Standardisierung von Transaktionen Regulierung marktmächtiger Plattformen nötig Starke Anreize zu wettbewerbswidriger Kollusion zwischen Plattformen, großen Rechteinhabern und ISP; Intransparenz von Verträgen ++ o / ++ - o -- Zwei Studien ermitteln eine hohe durchschnittliche Zahlungsbereitschaft von Verbrauchern; zwei Studien zufolge geringe Zahlungen pro Haushalt nötig um Gesamteinnahmen der Rechteinhaber zu steigern Zunächst hohe Entwicklungskosten; dann Ersparnisse durch Bündelung und Standardisierung von Transaktionen Umfassende staatliche/ juristische Kontrolle der betreffenden Verwertungsgesellschaft(en) nötig ISP haben kein genuines Interesse an der Gebührenerhebung mitzuwirken Preisfindung schwierig; ambivalente Wirkung auf Verbraucher; Kosten für ISP bei der (erstrebenswerten) Gebührenerhebung durch diese; Umstellungskosten für bestehenden digitalen Einzelhandel + o / ++ - o o Eine Studie ermittelt eine hohe Zahlungsbereitschaft unter einer großen Zahl von Verbrauchern; geringe Zahlungen pro Haushalt nötig um Gesamteinnahmen der Rechteinhaber zu steigern Zunächst hohe Entwicklungskosten; dann Ersparnisse durch Bündelung und Standardisierung von Transaktionen Staatliche/ juristische Kontrolle der betreffenden Verwertungsgesellschaft(en) nötig; ISP haben kein genuines Interesse an der Gebührenerhebung mitzuwirken Unzweifelhafter Nutzen für Verbraucher bei freiwilliger Teilnahme; Preisfindung durch Marktmechanismen möglich; Kosten für ISP bei der (erstrebenswerten) Gebührenerhebung durch diese; Umstellungskosten für bestehenden digitalen Einzelhandel im Bereich der teilnehmenden Verbraucher (Karaganis und Renkema 2012; Spindler 2014; Handke et al. 2015b) Vergütungssystem Teilnahme für Internetnutzer freiwillig Legalisierung für teilnehmende Nutzer (Handke et al. 2015b) 50 Handke Urhebervergütung - Fazit IX. FAZIT Aus der wohlfahrtsökonomischen Perspektive muss ein Urheberrechtssystem einen komplexen Balanceakt vollführen: Eine Reihe unterschiedlicher Vor- und Nachteile für die beteiligten Akteure müssen gegeneinander abgewogen werden. Die wesentliche ökonomische Begründung des Urheberrechts liegt dabei im langfristigen Nutzen durch eine mögliche Förderung von Innovation. Relevante Innovationen sind sowohl neue werthaltige kreative Werke als auch neue und effizientere Methoden, Verbrauchern bestehende Werke zugänglich zu machen. Um in einem durch die Digitalisierung veränderlichen Umfeld Entscheidungsgrundlagen für die Urheberrechtspolitik zu schaffen, bedarf es: möglichst solide (1) einer umfassenden und ausgewogenen Analyse der Auswirkungen technologischer Veränderungen für alle Betroffenen, insbesondere der Kreativen, sonstiger Rechteinhaber und der Verbraucher; (2) präziser Einschätzungen des relativen Gewichts verschiedener positiver und negativer Wirkungen, um einen Handlungsbedarf festzustellen; (3) präziser Vorhersagen, welche Handlungsoptionen die gesamtgesellschaftliche Situation am ehesten verbessern, ohne exzessive Kosten oder unbeabsichtigte, negative Folgen zu verursachen. Dieses Ideal wird in der Praxis nur teilweise erreicht. In den zurückliegenden Jahren haben Ökonomen zahlreiche empirische Untersuchungen zur Wirkung unautorisierten, digitalen Kopierens und des Urheberrechtsschutzes verfasst. Diese Literatur belegt, dass die Verbreitung digitaler Kopiertechnologie Rechteinhaber mitunter schlechter stellt, in dem es ihre Einnahmen aus Verkäufen von autorisierten Kopien an Endverbraucher schmälert und ihre Vermarktungsmöglichkeiten einschränkt. Langfristig kann dies auch Verbraucher in Mitleidenschaft ziehen, falls das Angebot neuer kreativer Werke geschwächt würde. Bisher finden sich in den wenigen Studien, die vorliegen, zwar keine Hinweise auf ein schwächeres Angebot neuer Werke infolge unautorisierten Kopierens. Trotzdem wird vielfach der Bedarf gesehen, die Position von Rechteinhabern zu stärken. Viele Studien beschäftigen sich mittlerweile auch mit spezifischen Maßnahmen, um ausreichende Anreize zur Herstellung und Verbreitung werthaltiger kreativer Werke sicherzustellen und das Potential der Digitalisierung für ein reichhaltiges und weit zugängliches Angebot an Medieninhalten möglichst voll auszuschöpfen. Die empirische Literatur ergibt teilweise widersprüchliche Ergebnisse. So finden nicht alle Studien einen negativen Effekt digitalen Kopierens auf die Einnahmen der Rechteinhaber. Es ist weder von endgültigen noch von universell gültigen Ergebnissen auszugehen. Außerdem finden sich gelegentlich kontraintuitive Ergebnisse. Manchen Studien zufolge schaden zum Beispiel Durchsetzungsmaßnahmen des Urheberrechts den Rechteinhabern sogar, oder digitales Kopieren stärkt den Wettbewerb zwischen Anbietern kreativer Werke und damit die Produktivität. Solche überraschende Befunde sprechen gegen eine oberflächliche, unkritische Anwendung einfacher ökonomischer Argumente und für eine kontinuierliche Betrachtung der tatsächlichen Entwicklung in den einzelnen Urheberrechtsbranchen. Schwerpunktmäßig wurden in dieser Literaturübersicht empirische Ergebnisse zu Durchsetzungsmaßnahmen, zur Anpassung der Urheberrechtsbranchen an die Verbreitung digitaler Kopiertechnologie und zu Vergütungssystemen näher betrachtet. 51 Handke Urhebervergütung - Fazit Der Literatur zufolge ist es durch Durchsetzungsmaßnahmen und durch die Entwicklung neuer, autorisierter Verbreitungsformen teilweise gelungen, Rechteinhaber besser zu stellen. Solche aus Sicht der Rechteinhaber positiven Ergebnisse finden sich aber nicht verlässlich und sind oft geringfügig oder nicht von Dauer. Zudem entstehen vielfach nicht zu vernachlässigende Kosten oder unbeabsichtigte Folgen. Eine nachhaltige, allgemein akzeptierte Lösung besteht noch nicht. Ein besonderes Problem ergibt sich möglicherweise aus der Entwicklung stark konzentrierter, intermediärer Unternehmen, die Werke im Internet verbreiten. Plattformen wie dem iTunes Store, Amazon oder Netflix ist es gelungen, viele zahlende Kunden zu gewinnen, trotz Konkurrenz durch unautorisierte Angebote. Diese Plattformen erfüllen oft Funktionen, die traditionell von Verwertungsgesellschaften übernommen worden sind: Sie setzen standardisierte Preise und definieren die Nutzungsbedingungen für eine Vielzahl geschützter Werke und vermarkten kreative Werke, in der Regel ohne selbst vorab in die Herstellung dieser Werke zu investieren. Einzelne Plattformen werden mit einiger Wahrscheinlichkeit weiterhin in ihren Bereichen sehr große Marktanteile haben und als profitorientierte Unternehmen etwaige Marktmacht ausnutzen. Dies könnte sowohl für Rechteinhaber als auch für Verbraucher nachteilig sein. Es scheint daher für die derzeitige Urheberrechtspolitik notwendig, die möglichen Auswirkungen großer Markmacht von Internet-Plattformen in Betracht zu ziehen. Eine Alternative sind Vergütungssysteme, das heißt eine Ausweitung von Kopierabgaben auf den Internetzugang, im Gegenzug für eine Legalisierung der privaten, nicht autorisierten Nutzung von im Internet erhältlichen Werken, die ohnedies weit verbreitet ist. Lange wurde die Debatte um Vergütungssysteme wie die Kulturflatrate ohne ausgefeilte empirische Grundlage geführt. Mittlerweile liegen einige systematische Untersuchungen vor. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Vergütungssysteme eine relativ günstige Möglichkeit bieten, die Vergütung von Rechteinhabern zu verbessern. Ähnlich wie in Handke (2011b) finden sich nach wie vor vier Probleme in der empirischen Literatur: (1) Die Literatur ist nicht ausgewogen. Der Großteil der Literatur konzentriert sich auf die Einnahmen von Rechteinhabern und zunehmend auf Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung. Eine Anpassung der Urheberrechtsbranchen, die langfristig etwaige Probleme mit digitalem Kopieren abschwächen könnte, sowie Verbraucherinteressen sind bislang weniger untersucht worden. Vor allem die Wirkung auf das Angebot neuer kreativer Werke ist selten in Betracht gezogen worden, obwohl hier die eigentliche Zielgröße einer ökonomisch begründeten Urheberrechtspolitik liegt. (2) Im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen sind für die Urheberrechtsbranchen weniger gut dokumentierte Daten erhältlich, und viele Datensätze sind von interessierten Parteien selbst zusammengestellt worden. Das erschwert eine gründliche und stichhaltige Bewertung der Wirkung des Urheberrechtssystems.21 (3) Es besteht eine weite Streuung der Ergebnisse selbst für sehr ähnliche Fragestellungen. So bleibt es zum Beispiel umstritten, inwieweit unautorisiertes, digitales Kopieren Rechteinhaber schadet, oder ob spezifische Durchsetzungsmaßnahmen unautorisiertes Kopieren zurückdrängen und die Einnahmen von Rechteinhabern erhöhen. Dies ist wahrscheinlich auch in Messschwierigkeiten und einer unbefriedigenden Datenlage begründet. 21 Eine Übersicht von Datenquellen für einige Urheberrechtsbranchen findet sich in Handke et al. (2015a). 52 Handke Urhebervergütung - Fazit (4) Zudem deckt die empirische Literatur nur einen kleinen Teil der Urheberrechtsbranchen ab. Der größte Teil behandelt die Musikindustrie und die Filmwirtschaft. Andere Bereiche wie Nachrichten, Videospiele, Bürosoftware oder wissenschaftliche Arbeiten sind praktisch nicht untersucht worden. Das spiegelt nicht die wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser Branchen wider. Aufgrund der engen Fokussierung der empirischen Literatur auf Musikindustrie und die Filmwirtschaft ist es fragwürdig, aus den bestehenden empirischen Ergebnissen allgemeine Schlüsse auf das Urheberrecht und seine Wirkung jenseits dieser Bereiche zu ziehen. Insgesamt besteht ein großer Bedarf nach weitergehender empirischer Forschung, um die Entwicklung eines allgemein akzeptablen und innovationsförderlichen Urheberrechts zu unterstützen. Hierzu scheint es sinnvoll, dass Rechtsexperten, Ökonomen und sonstige, empirisch orientierte Wissenschaftler zusammen arbeiten. Ökonomen sind selten zu den komplexen Details des Urheberrechts und ihrer praktischen Umsetzung informiert, und es fehlt ihnen oft ein Verständnis, was im bestehenden Rechtsrahmen machbar ist (der Autor ist keine Ausnahme). Juristen sind dagegen weniger geübt in der Suche nach bestmöglichen Lösungen von Allokationsproblemen oder in der Anwendung empirischer Forschungsmethoden. Ein Bereich, in dem weitere empirische Ergebnisse für die Fortentwicklung des Urheberrechtsystems besonders hilfreich wären, ist die Wirkung von Durchsetzungsmaßnahmen und alternativen Vergütungssystemen. Dabei gilt es, die verschiedenen Optionen möglichst präzise miteinander zu vergleichen. Diese Literaturübersicht bietet hierzu einen ersten Beitrag. Die empirische Literatur weist darauf hin, dass Durchsetzungsmaßnahmen zwar mehrfach erprobt, aber bisher nur sehr bedingt erfolgreich gewesen sind. Vergütungssysteme erscheinen den wenigen bislang hierzu vorliegenden Untersuchungen zufolge dagegen recht vielversprechend (insbesondere für die Musikindustrie), sind aber in der Praxis nicht erprobt worden. Die hier zusammengefasste empirische Literatur bietet bereits nützliche Hinweise sowohl auf den Bedarf einer besseren Vergütung von Rechteinhabern, als auch auf die Wirkung von verschiedenen Handlungsoptionen. Die Literatur macht auch deutlich, dass große Wissenslücken und Unsicherheiten bestehen. Prinzipiell spricht das dagegen, derzeit dauerhafte und für alle Urheberrechtsbranchen gültige Lösungen festzuschreiben. Stattdessen scheint es sinnvoller, Neuerungen zu erproben und auszuwerten, und so eine sukzessive und evidenzbasierte Anpassung an veränderliche Marktbedingungen zu ermöglichen. Gerade weil ein evidenzbasierter Anpassungsprozess Zeit braucht, sollte er zügig angegangen werden. Denn schneller Fortschritt scheint gegenwärtig besonders dringlich. Es bestehen widersprüchliche Anforderungen an das Urheberrecht. Durch technische Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung scheinen nicht nur große Produktivitätszuwächse in den Urheberrechtsbranchen möglich. Auch macht es die Digitalisierung für viele Akteure unausweichlich, Innovation zu betreiben und mit großer Unsicherheit umzugehen. Das Urheberrechtssystem sollte dies erleichtern, in dem es Kreativen und kommerziellen Nutzern mehr Rechts- und Planungssicherheit bietet. Das wird angesichts der Diskrepanz zwischen rechtlicher Definition ausschließlicher Rechte und massenhafter, unautorisierter Nutzung nur bedingt erreicht. Gleichzeitig bedarf es oft zahlreicher und langwieriger Verhandlungsprozesse, um zu einer Übereinkunft mit Rechteinhabern oder Verwertungsgesellschaften für neue Verbreitungsmethoden und Nutzungsarten zu kommen, wenn dies überhaupt gelingt. Es besteht die Gefahr, das schlechteste aus beiden Welten zu bekommen: einerseits de facto einen geringen Schutz für Rechteinhaber und möglicherweise geringe Anreize in neue kreative Werke zu investieren; andererseits hohe Hürden für die Entwicklung autorisierter und innovativer Verbreitungsmethoden. Sowohl die Rechts- und Planungssicherheit als auch die Geschwindigkeit, mit der neue Formen der Nutzung und Verbreitung legal möglich werden können, würde sich durch eine umfassende 53 Handke Urhebervergütung - Fazit Standardisierung von Nutzungsbedingungen und Bündelung von Transaktionen verbessern. Dies scheint auch das Bestreben der ‚Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung‘ zu sein. Es ist aber zweifelhaft, ob Rechteinhaber profitieren, wenn Standards zunehmend durch marktmächtige, profitorientierte Plattformen gesetzt werden. Der Sinn des Urheberrechts besteht vordergründig darin, Kreative besser zu stellen. Es ist sinnvoll, Verwertungsgesellschaften als marktmächtige (und mehr oder weniger effiziente und innovative) Vertreter der Rechteinhaber weitgehend zu regulieren. Weniger sinnvoll ist es jedoch, Verwertungsgesellschaften zu benachteiligen, in dem sie stärker eingeschränkt werden als private Unternehmen, die ähnliche Funktionen mit einem klaren Profitinteresse erfüllen. Ein Anfang wäre es, für profitorientierte Plattformenbetreiber ab einer gewissen Größe ähnliche Regulierungen in Betracht zu ziehen, wie sie für formal nicht profitorientierte Verwertungsgesellschaften in der Richtlinie 2014/26/EU vorgesehen sind. Das ist allerdings ein Thema, dass ökonometrisch noch nicht beleuchtet worden ist. 54 LITERATURVERZEICHNIS Adermon, A., & Liang, C. Y. (2010). Piracy, music, and movies: A natural experiment (No. 2010: 18). Working Paper, Department of Economics, Uppsala University. Adermon, A., & Liang, C. Y. (2014). Piracy and music sales: The effects of an anti-piracy law. Journal of Economic Behavior & Organization, 105, 90-106. Aghion, P., Bloom, N., Blundell, R., Griffith, R. & Howitt, P. (2005). 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