es gibt im Menschenleben augenblicke, wo er

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es gibt im Menschenleben augenblicke, wo er
vorspiel
Das Magazin des wiener Burgtheaters
Jänner / Februar 2008
Nr. 43
Es gibt im Menschenleben Augenblicke,
Wo er dem Weltgeist näher ist als sonst,
und eine Frage frei hat an das Schicksal.
»Wallenstein« von Friedrich Schiller
In Kooperation mit
Inhalt
3
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Abos und Mo. - Fr. 9 - 16
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erhalten
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51444-414 r.at
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4Leitartikel: »Wenn die Ränder nach innen wachsen« von Ilija Trojanow
6
»Woyzeck aus Dagenham« – Simon Stephens über sein Stück »Motortown«
8
»Ins kalte Wasser« – Mark Ravenhill über sein Stück »Pool (kein Wasser)«
10
»Lantana« von Andrew Bovell
11
»Das Leben der Bohème« nach Aki Kaurismäki
12
»Alle Toten fliegen hoch, Teil 2: Zuhause in der Psychiatrie«
von und mit Joachim Meyerhoff
13
Spieltriebe: »plus null komma fünf windstill« von Maria Kilpi
und »Die Legenden von ›Afrika 2 fishes‹«
14Nie wieder! Wie sicher ist das europäische Friedensprojekt?
16
Wiederaufnahmen
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Die neue Plakatserie des Burgtheaters
23
Porträt: Bibiana Zeller
24
Rund um die Uhr: Das Burgtheater am Schreibtisch – 14 bis 17 Uhr
27
Magazin
»Der Mensch ist ein
schwindlicht Ding.«
Shakespeare, König Lear
»Wir hassen bald, was oft
uns Furcht erregt.«
Shakespeare, Antonius und Cleopatra
BURGTHEATER
BURGTHEATER
Die neue Plakatserie des Burgtheaters
Impressum
Titelbild: Gert Voss als Wallenstein in
»Wallenstein« von Friedrich Schiller
vorspiel. Das Magazin des Wiener Burgtheaters
erscheint fünfmal jährlich als Sonderbeilage der
Tageszeitung »Der Standard«
Medieninhaber und Herausgeber:
Direktion Burgtheater GesmbH
1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 2
Redaktion: Dramaturgie Burgtheater
Gestaltung: Herbert Winkler, Annika Rytterhag
Collettiva Design
Herstellung: Goldmann-Zeitungsdruck GesmbH
3430 Tulln, Königstetter Straße 132
Saison 2007/2008
In den nächsten Wochen wird man im Wiener Stadtbild nach längerer Zeit wieder Theaterplakate des Burgtheaters sehen. Ausgangspunkt sind dieses Mal nicht die Schauspieler,
die das Burgtheater allabendlich prägen, sondern der Autor. Ohne die Autoren gäbe es
das Theater nicht. Sie bewahren die Geschichten und die Geschichte auf, von denen das
Theater erzählt. Von ihnen lebt das abendländische Theater seit zweitausend Jahren.
Und es lebt von ihnen insbesondere deswegen, weil es die eigene zeitgenössische Wirklichkeit in ein Verhältnis zu ihnen setzt – manchmal polemisch, weil zu kurz greifend,
manchmal erhellend, oft streitbar und gelegentlich überzeugend. Denn stets bleibt in
der Beschäftigung mit der Literatur die eigene Wirklichkeit das zentrale Referenzsystem
der Theaterarbeit. Und auch der Zuschauer schaut durch die Literatur auf die eigene
Gegenwart. Und trotzdem erschöpft sich die Bühne nie im Realismus, sie ist ein Zwitter:
Illusionsraum und Ort realistischer Kunst zugleich. »Wir spielen Leben«: das ist die
Anmaßung und das Paradoxon, mit dem das Theater umgeht, denn: in Wahrheit kann
man natürlich »leben« nicht »spielen« ...
Es gibt niemanden, der das besser wusste als Shakespeare, der seit geraumer Zeit im
Zentrum des Burgtheaterspielplans steht. Er ist vermutlich der größte Realist und der
größte Poet unserer Kultur zugleich. Niemand hat Verse wie er geschaffen, aber auch
niemand hat sich so schamlos aus der Wirklichkeit seiner Zeit bedient wie er – bis zur
Erwähnung der je aktuellen Spelunken und Eckkneipen.
Auf Seite 20 dieses Magazins stellen wir Ihnen einen Teil der neuen Plakatserie vor. Sie
setzt Shakespeares vierhundert Jahre alte Texte ins Verhältnis zur Wirklichkeit des
21. Jahrhunderts – streitbar und anregend zugleich.
Joachim Lux
Leitartikel
4
Wenn die Ränder nach innen wachsen
Von Ilija Trojanow
Beachte nun Folgendes: kein sterbliches Ding hat
einen Anfang, und es ­findet auch kein Ende in
Tod und Vernichtung; was einzig existiert, ist die
Vermischung und das Trennen des Vermischten.
Aber die Sterblichen n
­ ennen diese Prozesse Anfänge. Empedokles
Wo der Rand ist und wo das Zentrum,
hängt allein davon ab, wo man steht. Und
wohin man sich bewegt. Es gab Zeiten, da
war der Mittelmeerraum nicht der Saum
Europas, der doppelt und dreifach umgeschlagen und festgenäht werden muss,
sondern die kreative und produktive Mitte, ein Geflecht von Beziehungen und Neuschöpfungen. Wir neigen dazu, das kartographische Blau des Ozeans als Grenze zu
interpretieren, obwohl es lange Zeit eher
eine flüssige Brücke bildete. Die Grundlagen der europäischen Kultur wären
ohne die durchlässige, wechselhafte und
manchmal sogar symbiotische Qualität der
Ränder nicht möglich gewesen. Trotzdem
begreifen wir fließende Formen, unstete
Identitäten und unscharfe Definitionen als
ein Problem. Der öffentliche Diskurs über
Europa verlangt zunehmend nach einer kategorischen Klärung von Merkmalen der
Zugehörigkeit. Als sollte eine Rasterfahndung ermöglicht werden, die europäisch
von nicht-europäisch unterscheidet. Wenn
wir uns für die Zukunft wappnen wollen,
sollten wir Grenzen als Zusammenflüsse
begreifen, die uns in der Vergangenheit befruchtet haben, als Spielwiesen von Mischkulturen, die für die Entwicklung des Kontinents von entscheidender Bedeutung sind.
Denn das Trennende ist stets nur eine momentane Differenz, eine Flüchtigkeit der
Geschichte.
Was ist dieses Europa, das wir täglich im
Mund führen, ohne ein klares Bild davon
zu haben, wobei dies nichts Ungewöhnliches ist: wir sagen ja auch oft »Gott«.
Europa ist die einzige Halbinsel der Welt,
die zu einem Kontinent hochstapelt worden ist. Benannt ist sie nach einer phönizischen Prinzessin, der Tochter des Königs
Agenor, ein Sprössling von Poseidon, dem
Meer also zugewandt, der Ägypten verließ, um sich im Lande Kanaan anzusiedeln. Nach heutiger Nomenklatur ist sie
also eine Libanesin oder Israelin, was vielleicht erklärt, wieso Israel beim European
Song Contest mitsingen und Maccabi Tel
Aviv in der Champions League mitspielen
darf. Erstaunlich an dem Mythos von Europa ist, dass die Prinzessin nicht aufgrund
einer eigenen Leistung berühmt geworden
ist, sondern aufgrund dessen, was ihr angetan wurde. Das passt zwar nicht zu dem
Europa imperialer Größe, könnte aber gelesen werden als ein prophetischer Hinweis auf die außenpolitische Schwäche der
EU im 21. Jahrhundert. Die Legende um
Europa kennt viele Fassungen. Schauplätze und Handlungsstränge ändern sich, Figuren treten auf bei dem Chronisten Apollodorus, werden besungen von Pindar und
schleichen sich ins Alte Testament; die moralische und politische Richtung des Stoffes
variiert. Denn das war Europa von Anfang
an: Vielfalt, und die Geschichte kann nur
dann allein heilig sein, wenn sie im Sinne
eines jeden erzählt werden kann.
Nicht nur stammt unsere Namensgeberin
von außerhalb, die Ursprünge europäischer
Zivilisation stimmen nicht mit den heutigen Grenzen überein. Die vielbesungene
antike Wiege würde heute weder geographisch noch politisch zu Europa gehören.
Ausgrabungen der letzten Zeit unterstreichen, dass die kulturellen Impulse im klassischen Griechenland überwiegend von
Stadtstaaten ausgingen, die in jener Region lagen, die Europäer schon früh Kleinasien nannten, was in etwa so vermessen
ist, als würde ein Baby den Nabel Kleinmutter nennen. Diese Städte waren nicht
nur wohlhabender als die des griechischen
Festlands, sie standen auch in einem en-
geren Kontakt mit den Kulturen und Traditionen des Vorderen Orients. Gerade die
intensive, jahrhundertelange Vermischung
mit diesen trug entscheidend zur Blüte der
hellenischen Frühzivilisation bei. Das homerische Werk ist eine Kulturleistung Ioniens, der heutigen Westtürkei. Und Thales,
laut Aristoteles der Vater der europäischen
Philosophie, war ein Bürger Milets, seinerzeit eines der führenden geistigen Zentren Kleinasiens. Und die vorbildlichste aller Bildungsmetropolen, Alexandrien, ein
Knotenpunkt, geistig in Asien, Afrika und
Europa beheimatet, war ein intellektuelles
Ferment sondergleichen. Indische Sadhus
debattierten mit griechischen Philosophen,
jüdischen Exegeten und römischen Architekten. Das Resultat hat europäischer Stolz
vereinnahmt: Euklid schrieb seine Abhandlung über die Geometrie, Eratosthenes, der
Direktor der großen Bibliothek, errechnete
den Umfang der Welt (und vertat sich nur
um 88 Kilometer, die Entfernung zwischen
München und Garmisch-Partenkirchen),
Ptolemäus zeichnete seine Karten und eine
Mannschaft von 72 hellenistischen Juden
stellte die Septuaginta zusammen, die erste
griechische Übersetzung des Alten Testaments.
Wer andererseits argumentiert, der Islam
habe in Europa nichts verloren, wer also
die Keule des dichotomischen Antagonismus schwingt – Abendland gegen das Morgenland, Europa gegen Asien, Aufklärung
gegen Aberglaube, Demokratie gegen Despotismus –, der hat mit der Schulmilch aufgesogen, dass Karl Martell im Jahre 732
auf dem Schlachtfeld bei Poitiers die islamischen Horden besiegt und damit ›unsere‹
Zivilisation gerettet hat. Jahrhunderte hinweg war der zivilisierteste und fortschrittlichste Teil des Kontinents das islamische
Al-Andalus. Die ähnlich lange Präsenz des
osmanischen Reichs in Südosteuropa, kulturell allerdings weitaus weniger fruchtbar, findet in unserem politischen Stammbaum ebenso wenig Berücksichtigung. Die
Souveränität Europas wird vielmehr anhand zweier Exorzismen definiert: die Vertreibung der ›Mohammedaner‹ bei Poitiers
732 und vor Wien 1683. Die herrschende
Meinung in Europa weigert sich, den Islam als Teil ihres Erbes und als Mitbewoh-
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Leitartikel
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ner der Region anzuerkennen. Selbst nach
heutigem Maß herrschte eine erstaunliche
Toleranz. So war Rabbi Samuel Ha-Nagid,
ein Geistlicher, der das Hebräische als Literatursprache wiederbelebte, gleichzeitig Wesir am Hof zu Granada. Man stelle
sich vor, der Imam der Moschee in Mannheim würde zum Bundesminister ernannt
werden!
In Blütezeiten hat Kultur in Europa stets
im Plural existiert und ist nie stehen geblieben. Das einzig Ewige ist die Veränderung,
sagt ein altes Sprichwort. Wer also Europa abschotten will, glaubt an das Ende der
Geschichte. Er glaubt, dass unser System
das beste und letzte ist, dass unsere Kultur abgeschlossen und fertig ist. Er ist dem
Tod geweiht.
Beachte nun folgendes: Europa hat keinen
Anfang, und es findet auch kein Ende in
Tod oder EU; was einzig existiert, ist die
Vermischung und das Trennen von dem
Vermischten. Aber die Sterblichen nennen
diese Prozesse Erweiterung und Grenzziehung.
Vortrag im Rahmen der Allianz Lectures 2007,
­Reden über Europa, 25.2.2007; erstmals erschienen
in: »Abendland ­unter?«, hrsg. von Henning SchulteNoelle und Michael Thoss, München 2007
Karel Schwarzenberg
George Soros
Anne-Marie Slaughter
Joschka Fischer
Michael Bünker
Daniel Cohn-Bendit
Halleh Ghorashi
Tariq Ramadan
Reden über Europa 1 + 2
Die Welt wird immer kleiner und rückt uns auf den Leib. Globalisierung bedeutet, dass nichts
mehr, keine Katastrophe, kein Krieg, kein Unglück – und kein Glück – weit genug weg ist,
um uns nicht irgendwie zu betreffen. Dieses Szenario wirkt bedrohlich, weil die ordnende
Macht der Nationalstaaten außer Kraft gesetzt ist, die Welt scheint aus den Fugen. Welche
Rolle spielt das neue Europa in diesem Prozess? Könnte es helfen, eine neue, gerechtere,
stabilere und offenere Weltordnung zu etablieren?
»The World Disorder and the Role of Europe«
In der ersten Veranstaltung der Reihe »Reden über Europa« diskutieren der ehemalige deutsche
Außenminister Joschka Fischer, der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg, der
amerikanische Investor und Mäzen George Soros und Anne-Marie Slaughter, Professorin
für Politik und Internationale Angelegenheiten an der Princeton University. Aus Anlass der
Debatte wird der von George Soros gegründete European Council For Foreign Relations
vorgestellt. In englischer Sprache.
Moderation: Dr. Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin DER STANDARD
Am 20. Jänner 2008 um 11 Uhr im BURGTHEATER
»Europa der Religionen – Dialog statt Ausgrenzung«
Die zweite Veranstaltung der Reihe wird sich dem Thema »Europa der Religionen« widmen.
Bischof Michael Bünker (Wien), Daniel Cohn-Bendit (Frankfurt/Brüssel), Halleh Ghorashi
(Teheran/Amsterdam) und Tariq Ramadan (Paris/Oxford) hinterfragen die christlich-abendländische Sicht auf das Projekt Europa. Spielt Religion eine fördernde oder hemmende
Rolle bei der Integration von Einwanderern? Wie sähe ein europäischer Islam aus, und welche
Möglichkeiten eines Dialogs der Religionen sind noch ungenutzt?
Moderation: Gerfried Sperl, ehem. Chefredakteur DER STANDARD
Am 24. Februar 2008 um 11 Uhr im BURGTHEATER
Die Reihe ist eine Initiative der Allianz Kulturstiftung in Zusammenarbeit mit dem Institut für die Wissenschaften
vom Menschen (IWM), dem Tanzquartier Wien, dem Burgtheater und dem STANDARD. Die erste Debatte ist unter
der Leitung des IWM organisiert, die zweite unter Leitung der Allianz Kulturstiftung.
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Akademietheater
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Woyzeck aus Dagenham
Simon Stephens über sein Stück »Motortown«
Der 1971 in Stockport/Manchester geborene Simon Stephens gilt als die neue wichtige
Stimme im britischen Theater. Andrea Breth inszeniert sein vieldiskutiertes Drama
»Motortown« als österreichische Erstaufführung im Akademietheater.
In »Motortown« geht es um einen Heimkehrer aus dem Irakkrieg. Um das, was
der Krieg mit ihm angestellt hat. Ist das
ein Antikriegsstück?
Es ist nicht so sehr meine Reaktion auf
den Krieg im Irak, sondern auf die Antikriegskampagne. Die besten Stücke für
mich sind generell die, die nicht selbstbewusst einen Standpunkt vertreten, sondern Fragen stellen. Meine besten Stücke
sind die, die ich nicht geschrieben habe,
weil ich was verstanden habe, sondern
weil ich was nicht verstanden habe. So
auch bei »Motortown«. Ich hatte massive Vorbehalte gegen den Irakkrieg – wie
jeder mit ein bisschen Hirnmasse –, aber
ich konnte nicht verstehen, warum mir
der Friedensmarsch so suspekt war. Ich
glaube, das hatte mit meinem Eindruck
zu tun, dass die Antikriegsaktivisten nur
auf der Suche nach schneller Absolution
waren; dass man es sich zu leicht machte,
seine Hände in Unschuld zu waschen bezüglich der Dinge, die im Irak passierten.
Mich hat der Slogan »No War for Oil«
erbost – man kann nicht einfach »No War
for Oil« in Ölfarbe auf ein Plakat malen
(lacht) und mit dem Auto ins Zentrum
fahren und auf den Antikriegsmarsch gehen. Wir sind Teil dieses Kriegs. Wir haben alle Teilschuld. Zu sagen, es ist Bush,
es ist Blair, war mir zu simpel. Jahrzehntelanges westliches Konsumverhalten hat
gnadenlos auf diesen Krieg zugesteuert,
lange bevor Blair und Bush an der Macht
waren.
Die andere Geschichte, die mich beschäftigte, ist die eines jungen Soldaten, der
nach der Stationierung im Irak in seinen
Londoner Vorort zurückkam und seine
Fotos in der Drogerie entwickeln ließ. Der
Drogist alarmierte die Polizei, weil die Fotos britische Truppen zeigten, die in Basra
irakische Gefangene folterten. Die Bilder
wurden veröffentlicht, und ein moralischer
Aufschrei ging durch die Bevölkerung. Ich
verstand nicht, warum ich mehr Mitgefühl für den Soldaten empfand als für die
Leute, die ihn verurteilten. Ich erinnere
mich, dass Blair die Täter als monströse
Beschmutzung der britischen Armee verdammte, und das kam mir sehr unehrlich
vor – denn diese Soldaten waren kaum
18 und sollten einen Krieg gewinnen, der
nicht zu gewinnen ist. Dieser Krieg fing
richtig an, als man ihn für gewonnen erklärte. Die Soldaten, die zurückkommen,
sagen immer wieder, man weiß nicht, wer
der Feind ist: Jeder, absolut jeder, kann
Dynamit an den Körper geschnallt haben.
Man ist konstant verletzlich. Metaphorisch hat mich das sehr interessiert. Was
einst als berechenbar galt, stellt sich heute
als gefährlich heraus; was einst als ehrlich
galt, stellt sich heute als unehrlich heraus.
Darin steckt ein Chaos, das in meinem Leben sehr viel Sinn macht, in meiner Position, meiner Welt.
Das also waren die Fragen. Wie führten
sie zum Stück?
Die Fragen erlaubten eine schöne Synthese mit anderen Punkten: dass ich einen
Stückauftrag fürs Royal Court Downstairs
hatte, dass ich ein Stück für Danny Mays
schreiben wollte, der den Danny spielt,
dass mich schon seit längerem Büchners
»Woyzeck« umtreibt, von dem mein Dramatikerkollege Leo Butler meint, das sei
ein Stück, das man essen wolle (lacht),
einfach, weil man auf einer nicht-intellektuellen Ebene darauf reagiert – im Sinne
von »what a fucked up world«. Das Stück
ist unauslöschlich in meine Schreibfantasie eingefräst – es hat ja unzählige Stücke
und Filme beeinflusst, zuletzt sicher Mike
Leighs Film »Naked« und Scorseses »Taxi
Driver«. »Woyzeck« ist als Schatten also
präsent in »Motortown«.
Ich wollte ein Stück über den »war on terror«, die Nachwirkungen des 11. September, den Irakkrieg schreiben, und es nicht
in Basra oder dem World Trade Centre
spielen lassen, sondern hier bei uns zuhause. Im Londoner Vorort Dagenham. Wo
ich vor Jahren als Lehrer gearbeitet habe.
Ich habe an der Schule, an der unser Motortown-Danny war, unterrichtet (lacht).
Ich wollte über Kids schreiben wie die,
die mir damals begegnet sind. Die meisten
waren klasse, aber immer mal wieder ist
man einem begegnet, von dem man dachte, dieser junge Mensch ist so beschädigt,
das ist nicht mehr einzurenken. Übrigens
eine spannende Frage bei Danny: War er
vor dem Krieg schon grenzwertig oder
hat er seinen Schlag im Krieg wegbekommen?
Die Londoner Uraufführung hat vermittelt, dass Danny schon vorher nicht hundertprozentig zurechnungsfähig war.
So seh ich‘s auch, und viele Leute fanden
das problematisch. Aber für mich ist das
Verhalten dieser Männer in Basra, so sehr
es aus der akuten Kriegssituation geboren
ist, ein Produkt des heutigen England.
Diese Soldaten sind englisch, und man
gehe einfach mal an einem Freitagabend
in Slough auf die Straße oder an einem
Samstag in Dagenham, und man sieht diese Kleingruppen, besoffen und zu mit billigem Koks; und man nehme diese Jungs
und setze sie in ein Kriegsgebiet – und genau das passiert.
Für mich war es also fundamental wich-
2007/2008 Saison
Akademietheater
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tig, dass Danny schon vorher beschädigt
war und dass sein Kriegserlebnis diesen
Schaden nur freigesetzt hat. Ich habe ein
faszinierendes Buch einer Londoner Historikerin zu dem Thema gelesen, »An
Intimate History of Killing«. Die Autorin
findet in ihrer Recherche zwei Dinge heraus: dass ein überwältigender Anteil der
Soldaten im Krieg als Teil ihres Auftrags
tötet und sich danach wieder assimiliert,
ohne verhaltensauffällig zu werden. Und
dass die, die danach beschädigt sind, es
schon vorher waren. Beschädigt durch
eine Kultur, die sich von ihnen distanziert,
an der sie nicht teilhaben dürfen.
Was erzählt uns dann diese Beschädigung
genauer darüber, wo Danny herkommt?
Es hat mit einer Kultur zu tun, die sich
auf die Identitätsfindung über Konsum
ausgerichtet hat, während die Menschen
ohne Kaufkraft völlig marginalisiert werden. Menschen sind, was sie kaufen. Und
wenn man davon ausgeschlossen ist,
stürzt man ins Chaos. Dann geht alles
im Leben darum, Geld zu beschaffen, um
eine Identität zu bekommen. Zum einen.
Zum andern gibt es, glaube ich, Ebenen
von sexueller Unehrlichkeit unter heterosexuellen Männern, die dieses typisch
männliche Verhalten verschärfen. Dass
eine verbreitete männliche Haltung zur Sexualität auf gefährlichen Mythen basiert.
Das treibt auf jeden Fall Dannys Verhalten. Während ich darüber spreche, merke
ich, wie schwer es mir fällt, das alles in
Sätze zu fassen. Ich möchte eigentlich nur
händeringend »it‘s all fucked up!« rufen
– was wahrscheinlich der Grund ist, warum ich drüber schreibe! (lacht) Jedenfalls
fühlt es sich an, als sei der Krieg ein Produkt dieser Kultur. Und zu maulen »Es ist
George Bush und seine Expansionswut«,
ist zu einfach. Wir beteiligen uns alle daran. Ich liebe meine billigen bequemen
Turnschuhe. »I like my ipod«...
»Motortown« wurde angeblich in vier
Tagen geschrieben. Geht das immer so
schnell?
So wenig Zeit habe ich bis jetzt nur für
»Port« gebraucht, aber Stücke schreiben
Saison 2007/2008
dauert bei mir nicht lange. Meine besten sind in höchstens drei, vier Wochen
geschrieben. Es liegt alles im Prozess. Es
dauert nicht lang zu schreiben, aber es
dauert lange, bis ich bereit bin zu schreiben.
Wie lange war das bei »Motortown«?
Ja, wo fängt die Vorbereitungszeit an?
1998, als ich in Dagenham unterrichtet
habe? Es sind Bilder in dem Stück, die auf
meine Beziehung mit meinen Eltern zurückgehen, vielleicht fängt die Vorbereitungszeit im meiner Kindheit an?
Ich würde vier Abschnitte des Schreibens
unterscheiden. Der erste ist völlig unbewusst, da geht‘s einfach darum, offen zu
sein für neue Ideen, wach durch den Alltag
zu gehen; es kann sein, dass man zufällig
was liest, hört, sieht, was einen bewegt, in
eine bestimmte Richtung weiterzusuchen.
Wie wenn man bei einem Spaziergang an
einer kleinen Seitengasse vorbeikommt,
die vom Weg abführt, und die man dann
doch versuchsweise ein paar Schritte runtergeht, um zu sehen, ob‘s da was von Interesse gibt. Ein wichtiger Teil des Schreibens, der zum zweiten Abschnitt führt:
All die Seitengassen, die man runtergegangen ist, im Kopf zusammenzubringen.
Zu sehen: Was verbindet Danny Mays
und Woyzeck? Was ist die Verbindung
zwischen dem Irakkrieg und den Country Teasers, der Post-Punk-Band, für die
ich 12 Jahre lang Bass gespielt habe und
aus deren musikalischer Energie sich das
Stück speist? Es ist wahrscheinlich gefährlich, diese Arbeit zu aktiv voranzutreiben,
ich lasse die Sachen einfach immer eine
Weile fermentieren.
Der dritte Abschnitt ist aktive Recherche.
Ich wollte ein Stück über Brüder schreiben. Also habe ich so viele Stücke über
Brüder gelesen, wie ich finden konnte.
Habe so viele John-Osborne-Stücke gelesen, wie ich finden konnte. Der wiederum
stark von den frühen Strindbergs beeinflusst ist, also las ich »Fräulein Julie« und
»Der Vater« noch mal – die stecken jetzt
auch irgendwo in »Motortown«. Ich hab
stundenlang Dinge über den Irakkrieg gegoogelt und unter anderem das oben erwähnte Buch gefunden.
Wird auch mal geschrieben?
Teil dieses Arbeitsabschnittes sind auch
klar geordnete Notizen, ein bewusstes
schriftliches Sortieren von Gedanken.
Aus diesen Notizen ergeben sich Figuren,
Struktur und Aktion – es ist, als würde man
einen Film zum Entwickeln ins Wasserbad
legen und den Bildern zusehen, die sich
langsam zeigen. Du siehst »Taxi Driver«
dreimal nacheinander, und langsam findet
sich Danny. Du liest Osborne, und daraus
entwickelt sich Paul. Dann entscheide ich
mich endgültig für die Stückstruktur und
organisiere die Notizen in dieser Struktur. Das ist dann ein Dokument von 30
bis 60 Seiten, in dem steht Szene l und
darunter haufenweise Notizen, Szene 2
etc. Und beim eigentlichen Schreiben, der
letzten Phase, wird aus diesen Notizen
Dialog. Zwei Szenen am Tag. Das ist zu
schaffen (lacht). Bei »Motortown« habe
ich danach kaum Text geändert, aber viel
gestrichen. Das passiert dann noch mal
massiv in den Proben. Ich sehe meinen
Job als Autor im Probenraum darin, festzustellen, mit wie wenig Text das Stück
überleben kann. Das Vertrauen zu haben
zu sagen, mit weniger versteht das Publikum es auch und denkt selber mehr, statt
alles serviert zu bekommen. Da ich »Motortown« als eine chaotische Reaktion auf
vorhandenes Chaos sehe, ist es doch nur
folgerichtig, dass man das Theater mit unbeantworteten Fragen verlässt, oder?
Das Gespräch mit Simon Stephens führte Patricia
Benecke für Theater heute 01/07
Motortown
von Simon Stephens
Deutsch von Barbara Christ
Regie: Andrea Breth
Bühne: Annette Murschetz
Kostüme: Sabine Volz
Musik: Bert Wrede
Mit Andrea Clausen, Astou Maraszto, Johanna
Wokalek; Markus Meyer, Wolfgang Michael,
Nicholas Ofczarek, Jörg Ratjen, Udo Samel
H Premiere / Österreichische Erstaufführung
am 31. Jänner 2008 im AKADEMIETHEATER
Akademietheater
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Pool (kein Wasser)
von Mark Ravenhill
Nan Goldin: Gigi in Blauer Grotte mit Licht, Capri 1997
Mark Ravenhill hat, gemeinsam mit anderen Dramatikern wie der früh verstorbenen
Sarah Kane, Mitte der neunziger Jahre einen neuen Ton in die britische Dramatik ein­
geführt: schnell, drastisch und hart am Leben seiner Generation. Am Ende der ThatcherÄra mit ihrem antikulturellen Klima und den zunehmenden sozialen Verwerfungen kam
es zu einem Aufbruch in der Londoner Theater-, Musik- und Kunstszene, der unter
Schlagworten wie Britpop und New British Art bekannt wurde. »Shoppen und Ficken«
wurde ein Signum der Zeit und ihrer Dramatik, die auch das deutschsprachige Theater
stark beeinflusst hat. Mit »Pool (kein Wasser)« hat Mark Ravenhill jetzt ein kleines
Stück über Freundschaft und Erfolg, über Radikalität und Älterwerden, über das Leben
und die Kunst geschrieben, das sich auch wie ein Abgesang auf diese »heroische« Zeit liest.
Tina Lanik inszeniert die österreichische Erstaufführung von »Pool (kein Wasser)« im
Akademietheater. In einer seiner wöchentlich im Guardian erscheinenden Kolumnen hat
Ravenhill die Entstehung dieses »Textes für Performer« beschrieben.
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Akademietheater
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INS KALTE WASSER
MARK RAVENHILL
Es mag nicht viele innovative Theater­
gruppen geben, die sich morgens zu Mu­
sik von Britney Spears aufwärmen, aber
Frantic Assembly ist eine von ihnen. Es
ist die letzte Probenwoche meines Stückes
»Pool (kein Wasser)«, und als ich im Pro­
benraum erscheine, jagt Scott Graham,
Mitbegründer von Frantic Assembly,
gerade das vierköpfige Ensemble durch
eine anstrengende Folge von Übungen zu
»Toxic«. Ich muss lächeln und hole einen
Kaffee.
Frantic Assembly habe ich vor fünf Jah­
ren kennen gelernt: damals sah ich ihre
Produktion »Hymns« über vier junge
Freunde, die versuchten, mit ihrer Trauer
fertig zu werden. Ich war beeindruckt von
der rauen, manchmal naiven emotionalen
Art zu spielen. Und ich war gepackt von
dem kraftvollen Tanz, der die Inszenie­
rung voran trieb. Aber ich wusste nicht,
ob ich jemals mit dieser Theatergruppe
zusammen arbeiten wollen würde. Ich
wollte für ein politisches, soziales Theater
schreiben, Frantic Assembly schienen sich
hauptsächlich mit den persönlichen Pro­
blemen von Zwanzig- bis Dreißigjährigen
zu befassen.
Vor einigen Jahren habe ich mich dann
mit Steven Hoggett und Scott Graham
unterhalten, die Frantic Assembly nach
ihrem Studium an der Swansea University
gegründet hatten. Sie sagten, sie wollten
die Gruppe über die Jugendthemen hinaus
entwickeln, die die ersten zehn Jahre ihres
Bestehens geprägt hatten. Sie waren jetzt
selbst über dreißig, traten nicht mehr in
ihren Inszenierungen auf und wollten,
dass sich das in den neuen Projekten wi­
derspiegelte. Sie fragten, ob ich an einer
Zusammenarbeit interessiert wäre.
Als Dramatiker ist es meiner Erfahrung
nach gut, mit anderen zusammen zu ar­
beiten. Manche Stücke schießen einem
durch den Kopf, man schließt sich ein, bis
man fertig ist, und dann sucht man sich
einen passenden Regisseur oder ein Thea­
ter. Aber das passiert nicht dauernd – und
wenn man ausschließlich so arbeitet, be­
steht die Gefahr, dass man sich aus der
Welt zurückzieht, dass man sich von den
Erfahrungen anderer Menschen abschot­
tet. In der Zusammenarbeit fordert man
Mark Ravenhill zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen britischen Dramatikern.
1966 in West Sussex geboren, studierte er am Drama Department der Universität
Bristol, war freier Regisseur und langjähriger Literary Director (Chefdramaturg) der
Londoner Paines Plough Theatre Company. Für das BBC Radio schrieb er das Hörspiel
»Feed me« sowie Hörspielfassungen von Wedekinds »Lulu« und Ostrowskijs »Tolles
Geld«. Internationales Aufsehen erregte er mit seinen Bühnenstücken: Nach ersten
Kurzstücken »Fist« und »His Mouth« (1995), die an mehreren Londoner FringeBühnen und am Off-Off-Broadway zu sehen waren, wurde er gefragt, ob er nicht
ein abendfüllendes Stück hätte – Ravenhill log und musste daraufhin schnell eines
schreiben: so entstand »Shopping and Fucking« (»Shoppen und Ficken«, 1996), das
dem damals erst 30-Jährigen über Nacht zum Durchbruch verhalf und ein Welterfolg
wurde. Es folgten »Faust is dead« (»Faust ist tot«, 1997) und »Sleeping Around«
(1998, gemeinsam mit Hilary Fannin, Stephen Greenhorn und Abi Morgan). Für das
von Oscar Wildes »Bunbury« inspirierte Drama »Handbag« (»Das Baby, oder wie
wichtig es ist, jemand zu sein«), wurde Ravenhill 1998 mit dem Evening Standard
Award ausgezeichnet. Mit »Some Explicit Polaroids« (»Gestochen scharfe Polaroids«,
1999), »Mother Clap‘s Molly House« (2000) sowie »Totally Over You« (2003) konnte
er an seine Erfolge anknüpfen. 2006 veröffentlichte er gleich vier neue Stücke: »The
Cut« (»Der Schnitt«), »Product« (»Das Produkt«), »Citizenship« und »Pool (kein
Wasser)«, das am Akademietheater seine österreichische Erstaufführung erlebt.
Mark Ravenhill lebt und arbeitet als Autor in London.
Saison 2007/2008
sich gegenseitig heraus, man stellt seine
gewohnten Arbeitsweisen infrage, lässt
ein bisschen frische Luft ins System.
Also verbrachten Steve, Scott, drei Dar­
steller und ich vor eineinhalb Jahren eine
Woche in einem Studiotheater in Batter­
sea. Wir begannen bei Null. Ein paar cho­
reographische Skizzen wurden erarbeitet
– manches grenzte an zeitgenössischen
Tanz, manches basierte auf alltäglichen
Gesten –, abends ging ich nach Hause und
schrieb Szenen, die wir dann versuchten
zusammenzusetzen. Am Ende der Woche
sah ich mir an, was ich geschrieben hatte
– und es war nicht gut. Es war ein biss­
chen Kafka, ein bisschen S&M – und ich
glaubte kein Wort von dem, was ich las.
»Ich mag das Zeug nicht«, sagte ich zu
Scott und Steve. »Vielleicht ist ja trotz­
dem was dran«, versuchten sie einzulen­
ken. »Nein.« Ich bestand darauf. »Könnt
ihr mir nicht irgendwelches Material an
die Hand geben, etwas, womit ihr schon
immer mal arbeiten wolltet?« Sie dachten
nach: »Die Fotos von Nan Goldin haben
wir immer geliebt.«
Sie brachten ein Buch mit Goldins Fotos,
und wir hockten über den intimen Por­
träts ihrer drogenabhängigen, multisexu­
ellen Bohème-Freunde, der Kranken und
Geprügelten, und ich hatte das Gefühl, ja,
diese Bilder könnten mich zum Schreiben
anregen. Freundschaft, Krankheit, die
Transformation von Leben in eine Ge­
schichte oder ein Kunstwerk – das war es,
was mich aus den Bildern ansprang.
Danach war das Stück relativ leicht ge­
schrieben. Eine Gruppe von Freunden,
die sich auf der Kunstakademie sehr nahe
waren, wird ziemlich eifersüchtig, als
eine von ihnen eine äußerst erfolgreiche
Künstlerin wird. Sie besuchen sie, und als
sie sich bei einem Unfall schwer verletzt,
kommt die Gruppe auf die Idee, sie als
Material für ihr neues Kunstwerk zu be­
nutzen.
Pool (kein Wasser)
von Mark Ravenhill
Deutsch von John Birke
Regie: Tina Lanik
Bühne: Magdalena Gut
Kostüme: Su Sigmund
Musik: Rainer Jörissen
Mit Sylvie Rohrer; Markus Hering,
Thomas Lawinky, Christian Nickel
H Premiere / Österreichische Erstaufführung
am 24. Februar 2008 im AKADEMIETHEATER
Kasino
10
Lantana
von Andrew Bovell
Andreas Patton, Stefanie Dvorak, Cornelius Obonya, Sabine Haupt
Zwei Paare haben in derselben Nacht einen Seitensprung, einen Ehebruch über Kreuz.
Als die Beteiligten Leon, Sonja, Jane und Pete erfahren, dass sie jeweils sowohl Betrüger
als auch Betrogene sind, verlassen sie die bislang scheinbar deutlich vorgezeichneten
Lebensbahnen. Die Geschichte der unglücklichen Ehepartner verknüpft sich schicksalhaft mit anderen Geschichten: Eine Frau wird vermisst, und Janes Nachbar Nick scheint
etwas damit zu tun zu haben. Wurde die Therapeutin Valerie in der Nacht zu seinem
Opfer, als sie nach einer Autopanne auf einer einsamen Straße auf Hilfe wartete? Oder
ist sie verschwunden, weil sie ahnte, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer ihrer Patientinnen hat?
»Lantana« ist nicht nur eine Komödie um einen doppelten Ehebruch, nicht nur ein
Trauerspiel über die Vergeblichkeit der Liebe und über Isolation, sondern auch ein
Thriller über Lüge, Betrug und Tod. Über allem liegt die Sehnsucht der Figuren, sich
selbst zu spüren. »Lantana« ist auch ein Stück über die Schwierigkeiten, miteinander
zu sprechen, über das Spiel der alltäglichen Ausflüchte, über die Enttäuschung und das
Misstrauen; ein Puzzlespiel über die alltägliche Unausweichlichkeit.
Der australische Drehbuchautor und Dramatiker Andrew Bovell führt die Figuren in
seinem Stück »Lantana« an die Abgründe
des Beziehungsalltags. Das Stück basiert auf
Täuschung und darauf, dass Menschen einander und auch sich selbst rätselhaft bleiben. Der Autor über »Lantana«:
»Es ist ein Stück über Menschen, die nach
Bedeutung lechzen und sich an kleine Momente von Hoffnung und Freude klammern, um gegen das wachsende Gefühl
der Entfremdung anzugehen.
Es ist ein Stück für vier Schauspieler und
neun Charaktere. Ich habe versucht, durch
die Beschränkung auf vier Schauspieler eine
eigene Qualität zu schaffen. Es ist Teil des
Vergnügens, die gleichen Schauspieler in
verschiedenen Rollen unterschiedliche Ge-
schichten erzählen zu sehen. Das Stück hat
drei Teile, von denen jeder Teil das Verhältnis zwischen vier Personen erkundet. Aber
keiner der Teile steht ausschließlich für sich.
Die Charaktere sind sowohl innerhalb als
auch zwischen den einzelnen Teilen miteinander verknüpft. Einzelne Figuren tauchen
auf, andere verschwinden. Geschichten, die
in einem Teil nur erzählt werden, finden in
den anderen Teilen eine neue Bedeutung.
Alle Antworten sind da, aber sie sind schwer
zu fassen. Die Handlung verläuft nicht immer nach vorne, sondern nimmt Umwege
oder bewegt sich zurück. Bereits gesehene
Momente werden aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet.
Mein Stück folgt nicht den gewohnten Dramaturgien. Doch ich vertraue darauf, dass
das Publikum nach neuen Erzählformen und
neuen dramatischen Erzählweisen sucht, und
ich hoffe, dass die Zuschauer von den Charakteren gefangen genommen werden und
sich vielleicht die gleichen Fragen wie die Figuren stellen: „Wie soll ich mich in dieser
Welt verhalten? Wie soll ich sie überleben?“
Das Stück bietet einen Moment der Reflexion, ein wenig Wahrheit, ein wenig Teilnahme
am allgemeinen Schmerz. Es geht darum, ob
Menschen dem einen Raum geben oder ob
sie sich davon distanzieren wollen.«
Andrew Bovell ist vor allem durch sein
Drehbuch zu »Strictly Ballroom« bekannt
geworden. Sein Theaterstück »Speaking in
Tongues« wurde 1996 in Sydney uraufgeführt. Der Stoff wurde 2001 von Ray Lawrence unter dem Titel »Lantana« verfilmt.
Lantana
von Andrew Bovell
Deutsch von Terence French
Regie: Carolin Pienkos
Ausstattung: Gittie Scherer
Musik: Karl Stirner
Mit Stefanie Dvorak, Sabine Haupt;
Cornelius Obonya, Andreas Patton
H Premiere am 27. Jänner 2008 im Kasino
2007/2008 Saison
Vestibül
11
Das Leben der Bohème
nach Aki Kaurismäki
Irrationale Lebensführung und das Kokettieren mit der gesellschaftlichen Randexistenz gehören neben der Pflege des
rauschhaften Lebenswandels zur modernen Inszenierung einer Künstlerexistenz.
So heißt es von den drei Freunden zwar,
Rodolpho sei Maler, Schaunard Komponist und Marcel Schriftsteller – bei Gelegenheit möglicherweise genial, aber immer
arm und verkannt – doch kommt es ihnen
weniger auf die Kunst als auf die Lebensart
an. Melancholisch aber nicht hoffnungslos
führen die drei ein Leben für die Kunst, die
Freundschaft und die Liebe.
»Die Bohème ist die
Probezeit des Künstlerdaseins; sie ist die
Vorrede zur Akademie,
zum Hospital oder zum
Leichenschauhaus«
Der Roman des Journalisten und Malers Henri Murger »Scènes de la vie de
bohème« aus dem Jahre 1851, der als Urtext der europäischen Bohème-Literatur
gilt, inspirierte Giacomo Puccini zu seiner berühmten Oper »La Bohème« und
diente dem Filmregisseur Aki Kaurismäki als Grundlage für das Drehbuch seiner
Tragikomödie »Das Leben der Bohème«,
die er 1991 verfilmte: eine Analyse des Dilettantismus, der Liebe zur Kunst und der
Verlegenheiten des untätigen Daseins.
»Die Mitglieder jener Bohème, von denen hier die Rede ist, sind wirklich Berufene in der Kunst und haben Aussicht,
ihre Auserlesenen zu werden. Doch zwei
Gefahren lauern ihnen auf: die Not und
Gerrit Jansen, Moritz Vierboom, Patrick O. Beck
der Zweifel. Um ihr Ziel zu erreichen, das
völlig klar vor ihnen steht, sind den Bohèmiens alle Wege recht, selbst die des Zufalls, den sie vorzüglich auszunutzen wissen. Regen oder Staub, Schatten oder
Sonne, nichts hemmt diese verwegenen
Abenteurer, deren Laster durch eine Tugend ausgeglichen werden. Ihr durch Ehrgeiz immer wachgehaltener Geist treibt
sie zum Sturmangriff auf die Zukunft,
und ihre Erfindungsgabe, die unausgesetzt mit der Not kämpft, sprengt wie
eine brennende Lunte das Hindernis in
die Luft, sobald es ihre Wege stört. Ihr Leben von Tag zu Tag ist ein Werk des Genies, ein immer neues Problem, das sie mit
Hilfe kühner Berechnungen stets zu lösen
verstehen. Diese Leute würden von Molières Geizigem Geld zu entleihen wissen
und Trüffel auf dem Floß der Medusa finden. Im Notfall verstehen sie es, mit der
Philip Jenkins, 1976 in Heidelberg geboren, studierte Theaterwissenschaften an der
Universität Wien. Von 2001 bis 2007 arbeitete er als Regieassistent am Burgtheater, u.a.
mit Ruedi Häusermann, Stephan Kimmig, Thomas Langhoff, René Pollesch, RiminiProtokoll, Stephan Rottkamp, Einar Schleef, Nicolas Stemann und Peter Zadek.
In der Reihe Spieltriebe inszenierte er im Kasino »Die Radiotrinkerin« von Max Goldt,
»Unter dem Milchwald« von Dylan Thomas, »Die Aufzeichnungen des Malte Laurids
Brigge« von Rainer Maria Rilke. Nach »Orlando« von Virginia Woolf, »MEZ – Monolog für eine Frau« von Roland Schimmelpfennig und »Überall blüh’n Neurosen« ist
»Das Leben der Bohème« seine vierte Inszenierung im Vestibül des Burgtheaters.
Saison 2007/2008
Kraft eines Eremiten Enthaltsamkeit zu
üben. Sobald ihnen jedoch etwas Geld in
die Hände fällt, sieht man sie sofort auf
den kostspieligsten Phantasien reiten, die
schönsten und jüngsten Mädchen lieben,
die besten und ältesten Weine trinken und
nie genug Fenster finden, durch die sie ihr
Geld hinauswerfen können. Wenn dann
ihr letzter Taler tot und begraben ist, beginnen sie von neuem an der Table d’hôte
des Zufalls zu dinieren, wo stets für sie
gedeckt ist, und vom Morgen bis zum
Abend unendlich listig und mit Hilfe aller Gewerbe, die irgendwie mit der Kunst
zusammenhängen, hinter dem wilden Tier
herzujagen, das man ein Fünf-FrancsStück nennt.« (Henri Murger)
Das Leben der Bohème
nach Aki Kaurismäki
Deutsch von Angela Plöger
Regie: Philip Jenkins
Ausstattung: Claudia Vallant
Musik: Markus Aubrecht
Mit Julia Hartmann; Patrick O. Beck,
Florentin Groll, Gerrit Jansen, Moritz Vierboom
H Premiere / Österreichische Erstaufführung
am 28. Februar 2008 im VESTIBÜL
Vestibül
12
Alle Toten fliegen hoch
Teil 2: Zuhause in der Psychiatrie
von und mit Joachim Meyerhoff
»Joachim Meyerhoff erzählt in ›Alle Toten fliegen hoch‹ aus seinem Leben. Wer
sich einmal gefragt haben sollte, ob er
den Titel ›Bester Schauspieler des Jahres‹,
den ihm die Zeitschrift Theater heute verlieh, wirklich verdient, gehe ins Vestibül
des Burgtheaters. Mit der Beschreibung
eines Jahres als High-School-Schüler im
Westen Amerikas hat der 1967 geborene Burgschauspieler und Regisseur seine mehrteilige Lesereise durch den selbst
geschriebenen Text begonnen. Und so
kunstvoll unprätentiös, berührend und
witzig, fast ungeschützt persönlich und
doch nie peinlich erlebt man Erzählen selten. Nach kurzem berührten Stutzen folgt
dankbarer Applaus für beglückende 90
Minuten – und für eine ganz seltene Verbindung von künstlerischem und menschlichem Feingefühl.« (Die Presse)
Der zweite Abend der Reihe »Alle Toten
fliegen hoch« führt nun noch weiter zurück in die Vergangenheit: Ins norddeutsche Schleswig, wo Meyerhoff als Sohn
eines Psychiatriedirektors aufwuchs:
Das Gelände war groß und eine Welt für sich.
Es gab eine Gärtnerei, eine Schlosserei,
ein Kohleheizwerk, eine Großküche, eine
Tischlerei. Dort arbeiteten auch die Patienten. Eine Mischung aus Beschäftigungstherapie und Ausbeutung. Unser Haus war
das Zentrum der Anlage. Die Direktorenvilla war vom Gründer der Psychiatrie
ganz bewusst ins Zentrum gebaut worden.
So bin ich aufgewachsen. In mitten von
tausendfünfhundert Verrückten.
Ausstattung: Sabine Volz
Seit 12. Jänner 2008 im VESTIBÜL
2007/2008 Saison
Spieltriebe
13
Spieltriebe 25
plus null komma fünf windstill
von Maria Kilpi
wie einsilbig daher – sie sind vertraut von
klein auf. Als von der Kriegszeit gesprochen werden soll, möchte das Mädchen
die Erinnerungen der alten Frau mit der
Videokamera dokumentieren. Aber sie
weicht aus. Näher ist ihr der verstorbene
Mann, der zuweilen als Dritter im Raum
steht. Schließlich wird das Mädchen alleine zur Bushaltestelle laufen, um zurück
nach Helsinki zu fahren.
Händl Klaus
Pauline Knof, Barbara Petritsch
»sämtliche im text herrschenden wetterlagen
sind fiktiv. eventuelle übereinstimmungen
mit wetterlagen, die tatsächlich geherrscht
haben, sind zufällig und nicht intendiert.«
Diese Erklärung eröffnet den behutsam
protokollierten Paarlauf zweier Frauen
auf dem finnischen Land, an der Grenze zu Russland. Eine junge Frau besucht
die frisch verwitwete Großmutter in ihrer
neuen kleinen Wohnung. Scheinbar eins
zu eins werden Ausschnitte aus zwei gemeinsamen Tagen, dem Abend vor Heiligabend und Heiligabend selbst, geschildert.
Ob vom Wetter die Rede ist, vom Gerstenbrot, von Omas Ausflug ins Glasmuseum: Die Dinge kommen so leichthändig
Das Stück der finnischen Autorin Maria
Kilpi (*1979) wurde beim Berliner Thea­
tertreffen 2007 mit dem Förderpreis für
neue Dramatik ausgezeichnet und wird
nun von Cornelia Rainer, die zuletzt den
Spieltriebe-Abend »Heimfindevermögen«
inszenierte, auf die Bühne des Vestibüls
gebracht.
Leitung: Cornelia Rainer, Aurel Lenfert
Mit Pauline Knof, Barbara Petritsch
H Premiere / Österreichische Erstaufführung
am 10. Februar 2008 im VESTIBÜL
Spieltriebe 26
Die Legenden von »Afrika 2fishes«
Die Kamera bewegt sich durch eine Hotelanlage. Schnitt. Eine nackte Frau schreckt
aus dem Schlaf hoch. Close-Up auf ihre
Brüste. Verschämt lächelnd verhüllt sie
sich mit einem Laken. Schnitt. Schwarzafrikaner sitzen auf dem Rasen vor dem
Hotel und fertigen Blumenketten. Zwischen ihnen gehen weiße Männer umher,
einer von ihnen ein Riese. Es fängt an, in
Strömen zu regnen. Flucht ins Trockene.
Das Bild verschwimmt.
Saison 2007/2008
So beginnt die Filmrolle mit der Aufschrift: »Afrika 2fishes«, gefunden auf
einem Flohmarkt in Wien. Urlaubsbilder
von Österreichern aus den 70er Jahren,
filmisch festgehaltene Eindrücke von der
Reise durch den »dunklen Kontinent«
Afrika. Wofür stehen diese Bilder? Was
ist damals passiert oder hätte stattdessen passieren sollen? Die Schauspieler begeben sich anhand des Filmmaterials auf
Spurensuche.
Leitung: Sebastian Fust / Philipp Hauß /
Bettina Kraus / Izy Kusche
Mit Karin Lischka; Karim Chérif,
David Oberkogler, Peter Wolfsberger
H Premiere
am 16. Februar 2008 in der KASINOBar
Die Produktionen der
Gegenwartsdramatik
werden unterstützt von
1938
Nie wieder!
Wie sicher ist das europäische Friedensprojekt?
Am 12. März 2008 jährt sich der Einmarsch der
deutschen Wehrmacht in Österreich zum 70. Mal.
Das Burgtheater lädt an diesem Tag gemeinsam mit
dem Bruno Kreisky-Forum für internationalen
Dialog zu einer Veranstaltung, die sich dem Gedenken
an die historischen Ereignisse und dem Ausblick
auf Gegenwart und Zukunft der europäischen Idee
gleichermaßen widmet. Kunst und Kultur befinden
sich nicht nur in historischen Gefahrenmomenten in
einer öffentlich sichtbaren und angreifbaren
Position. Das Gedenken an den 12. März 1938 im
Burgtheater ist also auch ein Anlass, an die politische
Verantwortung von Künstlern und Intellektuellen
zu erinnern.
Jorge Semprun, der große europäische Romancier
und ehemalige spanische Kulturminister, Widerstandskämpfer gegen Nazi- und Franco-Diktatur
und Gefangener des KZ Buchenwald, wird sich
in einer Rede mit den politischen und kulturellen
Perspektiven des europäischen Projekts
auseinandersetzen.
Ensemblemitglieder des Burgtheaters lesen aus
Dokumenten des Burgtheater-Archivs, Briefen,
Tagebüchern und Erinnerungen der Zeitzeugen, die
von euphorischer Zustimmung, erschrecktem
Mitläufertum, engagiertem Widerstand und – in vielen
Fällen – dem Aufbruch ins Exil erzählen.
Wir drucken im Folgenden einen kurzen Auszug
aus Oliver Rathkolbs Buch »Führertreu und
gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich« über
den 12. März und die Folgen am Burgtheater.
Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938:
Hitler trifft vor dem Rathaus ein, im Hintergrund beflaggtes Burgtheater.
Zur politischen Stimmung am Burgtheater
in jenen Tagen sei kurz Carl Ebert zitiert,
der damals an der Burg »Julius Caesar« inszenierte: »Am Samstag morgen (12. III.)
grüßte der Bühnenportier schon mit erhobenem Arm – was ich natürlich mit einem
fröhlichen Grüß Gott übersah. Einige Leute liefen schon mit Hakenkreuz-Binden am
Arm herum, und der führende Nazi unter den Solisten besuchte mich auf der Dekorationsprobe u. versicherte mir, daß er
schon den Betrieb fest in der Hand habe,
daß in der Nacht schon alle wichtigen Entscheidungen getroffen worden seien u. daß
er für eine humane Behandlung der ›armen
Juden etc.‹ am Burgtheater sich verbürge.
Das geschah von Herrn Fred Hennings,
der bei mir den Cassius spielte, mit vielem
Händeschütteln, unterfassen u. vertraulich
tun, daß ich offenbar darin eine Art von
privater Beruhigung erblicken sollte.«
Saison 2007/2008
Am 12. März 2008 um 20 Uhr im BURGTHEATER
Hennings’ Ankündigung, die vielleicht sogar ehrlich gemeint war, änderte nichts an
der prompten und schonungslosen Umsetzung des NS-Rassenwahns auch am Burgtheater. Bereits am 11. März 1938 – sozusagen als Demonstration für den »Anschluss«
von innen – wurden die Schauspieler Fritz
Strassny, Fritz Blum, Hans Wengraf sowie
ihre Kolleginnen Else Wohlgemuth und
Lilly Karoly »beurlaubt« und ihre Bezüge
in der Folge mit 30. April 1938 eingestellt.
Das gleiche Schicksal ereilte den Dramaturgen Friedrich Rosenthal und die Chormitglieder Jakob Wolf und Adolf Zombor. Die Souffleure Max Blumenthal und
Sabine Krischke sowie der Arbeiter Max
Krügler wurden trotz ihrer »nichtarischen
Abstammung« vorerst noch im Dienst
belassen, bis »Ersatz« beschafft werden
konnte. Dieselbe Regelung wurde gegenüber Elisabeth Ortner-Kallina, Lisa Thenen
und Lilly Stepanek, der Ballettgouvernante Johanna Gründel und der Garderobiere
Maria Loidold angewandt.
Am Burgtheater schlossen sich der Schauspieler Fritz Lehmann, das Orchestermitglied Friedrich Wildgans und der Löschmeister Gubitzer einer Widerstandsgruppe
um den Theologieprofessor Karl Roman
Scholz an. Ein »Kollege« am Burgtheater,
Otto Hartmann, denunzierte die Gruppe
bei der Gestapo: zehn Menschen wurden
umgebracht, mehr als hundert kamen ins
Konzentrationslager oder ins Zuchthaus.
Lehmann und Wildgans blieben mehr
als zwei Jahre in Haft, Gubitzer kam in
ein Konzentrationslager. Der Klarinettist
Wildgans wurde – und zwar weil er mit einer »Jüdin« verheiratet war – per 3. Juli
1942 am Burgtheater gekündigt und sein
Ausschluss aus der Reichskulturkammer
verfügt.
15
Burgtheater
16
Auch 2008 wieder im Spielplan!
Reigen
von Arthur Schnitzler
Die Erfolgsproduktion aus dem Jahr 1999 ist wieder da.
Sven-Eric Bechtolf wirft einen sehr präzisen, teils unendlich komischen Blick auf Schnitzlers Personal, das
Liebe sucht, schnellen Sex findet und in ­grenzenloser
Einsamkeit vor sich hin vegetiert.
(Kurier)
»Sag wenigstens, hast mich gern?«
Leitung: Sven-Eric Bechtolf, Rolf Glittenberg, Marianne Glittenberg,
Otmar Klein, Claus Riedl, Friedrich Rom
Mit Stefanie Dvorak, Regina Fritsch, Sabine Haupt, Tamara Metelka,
Birgit Minichmayr, Sven-Eric Bechtolf, Dietmar König, Juergen Maurer,
Robert Meyer, Cornelius Obonya
Seit 2. Jänner 2008 wieder im BURGTHEATER
Sabine Haupt, Juergen Maurer
Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare
Jan Bosse siedelt das Stück dort an, wo das Spiel der
Täuschung und der Maskerade naturgemäß am besten
aufgehoben ist: im Theater. Es ist ein Heidenspaß, entfesseltes Theater. Effekt ist alles, und Schein ist Sein.
(Süddeutsche Zeitung)
»Es ist doch ein Glück, wenn man
von seinen Fehlern hört und sich
entsprechend bessern kann.«
Leitung: Jan Bosse, Stéphane Laimé, Kathrin Plath, Friedrich Rom
Mit Dorothee Hartinger, Christiane von Poelnitz;
Michael Masula, Joachim Meyerhoff, Christian Nickel,
Nicholas Ofczarek, Jörg Ratjen, Martin Reinke
Ab 28. Februar 2008 wieder im BURGTHEATER
Martin Reinke, Nicholas Ofczarek, Christian Nickel
Saison 2007/2008
Akademietheater
17
[Wohlstand in Gefahr 2]
Babel
von Elfriede Jelinek
Ist ein Moralkunstwerk (noch) möglich heute? Jelineks Suada,
mehr Spott- als Klagerede, stellt die Frage rhetorisch. Stemanns Inszenierung, ein tragikomischer Essay, gibt brillant die Antwort.
(Neue Zürcher Zeitung)
»Sie können das alles sehen,
wenn Sie wollen.Verstanden?«
Leitung: Nicolas Stemann, Katrin Nottrodt, Esther Bialas, Werner Chalubinski,
Thomas Kürstner, Sebastian Vogel
Mit Sachiko Hara, Barbara Petritsch, Myriam Schröder; Philipp Hauß, Markus
Hering, Philipp Hochmair, Rudolf Melichar, Hermann Scheidleder, Thomas
Kürstner, Sebastian Vogel
Am 9. Februar 2008 wieder im AKADEMIETHEATER
Effi Briest
von Theodor Fontane
Alexandra Henkel und Dietmar König benötigen nicht mehr als ein
paar Versatzstücke und einige prägnant-witzige Requisiten, um
Theodor Fontanes Roman-Klassiker »Effi Briest« in der Regie von
Sandra Schüddekopf während 90 Minuten so spannungsgeladen auf die
Bühne zu bringen, dass die altbekannte Geschichte mit ihren Problemen
von vorgestern wie neu anmutet.
(Wiener Zeitung)
»Nichts bekommt einem so gut wie
eine Hochzeit, die eigene natürlich
ausgenommen.«
Leitung: Sandra Schüddekopf, Eva Maria Schwenkel, Elke Gattinger, Michael Schüller
Mit Alexandra Henkel, Dietmar König
Seit 3. Jänner 2008 wieder im AKADEMIETHEATER
Alexandra Henkel, Dietmar König
Die Ziege oder Wer ist Sylvia?
von Edward Albee
Albees Stück handelt nicht von meckernden Grasfressern, sondern von
der Unbedingtheit einer erleuchtenden Erfahrung. Das Stück »Die Ziege«
ist ein doppeltes Wesen: von oben bis etwa zur Mitte eine Eheboulevardkomödie, darunter ein grässliches, absurdes Tragödienlehrspiel.
(Der Standard)
»Frauen in tiefer Verzweiflung bringen leicht
die Metaphern durcheinander.«
Leitung: Andrea Breth, Susanne Raschig
Mit Corinna Kirchhoff; Philipp Hauß, Nick Monu, Johann Adam Oest,
Peter Simonischek
Ab 28. Februar 2008 wieder im AKADEMIETHEATER
Peter Simonischek, Corinna Kirchhoff
Saison 2007/2008
Kasino / Vestibül
19
Über Tiere
von Elfriede Jelinek, in einer musikalischen Durchquerung von Ruedi Häusermann
Es war ein zauberischer Theaterabend. Auch wenn es eigentlich »nur« ein Konzert, Licht- und
Schattenspiele und eine Lesung waren, es war alles Musik.
(FAZ Sonntag)
»Lieben ist eine bestimmte Art von Angewiesensein,
mein sonderbarer Herr.«
Leitung: Ruedi Häusermann, Ulrich Schneider, Barbara Maier
Mit Sylvie Rohrer und Maria Bachmann, Kurt Böhm, Annalisa Derossi, Hannes Drobetz, Ulrike Fendel, Elisabeth
Gerstenecker, Barbara Greiner, Stephanie Hacker, Isabella Hahn, Stefan Kallin, Kyung Sun Kim, Christine Knotek,
Kyrre Kvam, Karl Macourek, Hannes Marek, Karine Nikogosyan, David Oberkogler, Andi Plank, Thessi Rauba,
Christian Teltscher, Wolfgang Tockner, Ekaterina Wladigeroff, Konstantin Wladigeroff
Sylvie Rohrer
Ab 1. März 2008 wieder im KASINO
Hamlet3
von William Shakespeare
Schilling erzeugt fundamentales Sprechtheater, ein aus dem scheinbaren
Nichts erbautes Textgebäude, präzise, doch schnell, leicht und schwer. Ein
auf rätselhafte Weise Glück bringender Abend der Genauigkeit.
(Der Standard)
»Mein Schicksal schreit,
Es ruft mich, nehmt jetzt eure Hände weg.«
Leitung: Árpád Schilling, Jörg Gollasch. Mit Markus Meyer, Martin Schwab, Tilo Werner
Ab 20. Februar 2008 wieder im KASINO
Markus Meyer, Martin Schwab, Tilo Werner
Das wundervolle Zwischending
von Martin Heckmanns
Es ist ein als Komödie getarntes Drama um eine siebenjährige Liaison im Endstadium, um
Kunst als Möglichkeit der Realitätsverweigerung und um die Endlichkeit jeder Liebe, das der
deutsche Autor Martin Heckmanns geschrieben hat. Eine Beziehungs-Tragödie, die dennoch
wunderbar leicht wirkt und die Regisseur Rudolf Frey sicher in Szene gesetzt hat.
(Kurier)
»Machen wir Frühstück oder machen wir ein Kind?«
Leitung: Rudolf Frey, Vincent Mesnaritsch, Elke Gattinger, Karl Stirner
Mit Stefanie Dvorak; Roland Kenda, Johannes Krisch
Johannes Krisch, Stefanie Dvorak
Seit 27. Dezember 2007 wieder im VESTIBÜL
Zuhause
von Dorothee Brix
Kein Zweifel, der kunstvoll aufs Notwendigste verdichtete Text nimmt gefangen
und macht, da manche Fragen offen bleiben, auch neugierig. Fazit: Eine starke,
vielversprechende Talentprobe. (Wiener Zeitung)
»Hörst du, Vater, unsere Tochter ist wieder da.«
Leitung: Johanna Grilj, Johanna Preissler
Mit Sylvia Haider, Stefanie Dvorak, Karin Lischka; Hans Dieter Knebel, Michael Masula
Ab 1. Februar 2008 wieder im VESTIBÜL
Stefanie Dvorak, Karin Lischka,
Sylvia Haider, Hans Dieter Knebel
Saison 2007/2008
»Wir hassen bald,
uns Furcht erregt.«
Shakespeare, Antonius und Cleopatra
BURGTHEATER
Collettiva Vienna
was oft
Porträt
23
Nachgefragt:
Bibiana Zeller, Schauspielerin
Was wäre für Sie das größte Unglück?
Wo möchten Sie leben?
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Ihre liebste Romanheldin?
Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte?
Ihre Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit?
Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung?
Ihre Lieblingsmaler?
Ihr Lieblingskomponist?
Welche Eigenschaften schätzen Sie
bei einem Mann am meisten?
Welche Eigenschaften schätzen Sie
bei einer Frau am meisten?
Ihre Lieblingstugend?
Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Wer oder was hätten Sie sein mögen?
Ihr Hauptcharakterzug?
Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten?
Ihr größter Fehler?
Ihr Traum vom Glück?
Was möchten Sie sein?
Ihre Lieblingsfarbe?
Ihre Lieblingsblume?
Ihr Lieblingsvogel?
Ihr Lieblingslyriker?
Ihr Lieblingsdramatiker?
Ihr Lieblingsstück?
Ihre Helden in der Wirklichkeit?
Ihre Heldinnen in der Geschichte?
Ihre Lieblingsnamen?
Was verabscheuen Sie am meisten?
Welche geschichtlichen Gestalten
verachten Sie am meisten?
Welche militärischen Leistungen
bewundern Sie am meisten?
Welche Reform bewundern Sie am meisten?
Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?
Wie möchten Sie sterben?
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Ihr Motto?
Saison 2007/2008
Immer allein sein müssen
Immer wieder wo anders
Liebe
Übertreibung
Frl. Smilla
Columbus
Theaterspielende Frauen mit kleinen Kindern
Anna Karenina, Rebecca
Monet, G. Richter, Keith Haring, Wiener Kreis
Bach, Debussy, Clemencic, Schwertsik
Wenn möglich Humor und Intelligenz
Selbständigkeit
Großzügigkeit
Text lernen
Architektin
Skepsis
Treue
Gedankenlosigkeit
Gelassene Heiterkeit
Ein wandlungsfähiger Mensch
blau
Leberblümchen
Pirol
Hölderlin, Rimbaud, Hesse
Jeweils zu spielender
Liegt auch dort
Allein erziehende Elternteile
Mutter Theresa, Katharina die Große
Fabian, Jakob, Ignesius
Unterdrückung
Alle absoluten Herrscher
Funktionierende Hilfstruppen
Demokratie
Allen Dingen gewachsen sein
Plötzlich
Voller Hoffnung
Jeder wie er möchte und vor allem: kann
Bibiana Zeller gehört seit 1972 dem
Ensemble des Burgtheaters an
und ist auch durch Film, Rundfunk
und Fernsehen einem breiten
Publikum bekannt. Am Burgtheater
arbeitete sie mit Lindtberg,
Benning, Peymann, Barylli, Neuen­
fels u.v.m. Gleich zu Beginn der
Direktion Bachler wirkte sie im
Chor der »Bakchen« unter der
Regie von Silviu Purcarete mit.
Es folgten Arbeiten mit Declan
Donnellan, Stephan Müller und
Martin Kušej.
Uraufführungen und zeitgenössische
Dramatik scheint Bibiana Zeller
abonniert zu haben: Sie spielte in
Raoul Schrotts »Gilgamesh«
(2002), in Thomas Bernhards
»Elisabeth II.« (2002), in Gert
Jonkes Stücken »Chorphantasie«
(2003) und »Die versunkene
Kathedrale« (2005). Auch Peter
Handke findet sich gleich zweimal
innerhalb weniger Jahre auf
Bibiana Zellers Rollenregister: In
»Untertagblues« und in »Spuren
der Verirrten« arbeitete sie mit der
jungen Regisseurin Friederike
Heller. 2006 folgte die Zusammenarbeit mit Nicolas Stemann in
der Inszenierung von Schimmel­
pfennigs »Ende und Anfang«.
Unter der Regie von Theu Boer­
mans ist Bibiana Zeller als Elfe
in »Ein Sommernachtstraum« zu
sehen. Am 5. Dezember feierte
sie im Kasino Premiere mit
»Damen­bekanntschaften« von
Lotte Ingrisch.
nsch!
Herzlichen Glückwu
im Akademietheater
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Rund um die Uhr
24
Das Burgtheater am Schreibtisch – 14 bis 17 Uhr
Das Burgtheater, eines der größten Sprechtheater Europas, ist ein gewaltiger Betrieb, eine große Maschinerie, in der mehr als 600
Menschen sieben Tage pro Woche arbeiten, fast rund um die Uhr. In der Vorspiel-Reihe werfen wir einen Blick in das Innere des
Hauses und hinter die Kulissen und berichten in insgesamt fünf Folgen, was dort zwischen 6 und 24 Uhr passiert.
13.55 Uhr: Im Zuschauerraum konkurrieren Pressefotografen und Kamerateams um
die besten Plätze – in fünf Minuten beginnt die Fotoprobe zu »Wallenstein«. Pressesprecherin Konstanze Schäfer überreicht den
Journalisten Informationsmaterial und koordiniert Termine für anschließende Interviews
mit Regisseur Thomas Langhoff. Sie hat nur
wenig Zeit, denn Punkt 14 Uhr wird im Büro
des Kaufmännischen Geschäftsführers Thomas Drozda im dritten Stock das Design der
neuen Abo-Werbekampagne vorgestellt. Gemeinsam mit Karin Bergmann, der stellvertretenden Direktorin, Ulrike Spann, Leitung
Sponsoring, und Brigitta Thelen, Leitung
Abonnementabteilung, werden die einzelnen
Entwürfe diskutiert.
Nach einer Dreiviertelstunde ist die Sitzung
zur Abo-Werbung beendet, und Ulrike Spann
eilt mit ihrer Kollegin Claudia Bochinz ins
Foyer zu einem Sponsorenempfang.
Gleichzeitig laufen im Vorzimmer die Telefone
heiß. »So geht das den ganzen Tag«, lacht
Erika Czochlar-Woniafka. Zusammen mit
Nicole Tsalikoglou behält sie mit Hilfe des
»großen roten Buchs« den Überblick über
die Termine von Thomas Drozda und dessen
Stellvertreterin Silvia Stantejsky. Auf deren
Schreibtisch türmen sich Dokumente aller Art,
gerade hat sie alle Mitglieder des 16-köpfigen
Chors, der bei den »Brüdern Karamasow«
auftritt, unter Vertrag genommen.
Nebenan organisiert Sylvia Abrokat die
letzten Details für die Gastspielreise der
»Reigen«-Produktion nach Bozen und Meran. Sie bucht nicht nur Flüge und Hotelzimmer, sondern reist mit und kümmert
sich vor Ort um alle anfallenden Probleme
des künstlerischen Teams – egal, ob die Reise nach Südamerika oder Südtirol geht.
Vor ihrem Büro läuft gerade Thomas Krocan, der Leiter der Requisite, mit einem
Stapel Rechnungen vorbei. Er ist auf dem
Weg zur Kasse. Hier kennt nur Ernst Fürbach die Kombination des Tresors und
tauscht die Belege gegen Bargeld ein.
Eine Etage tiefer prüft Andrea Hauer konzentriert ein letztes Mal den Februar-Spielplan, der am nächsten Tag veröffentlicht
wird. Die Chefdisponentin hat alle Vorstellungstermine geplant und darauf geachtet,
dass es nicht zu Überschneidungen kommt
– eine verantwortungsvolle Aufgabe bei
über 60 Inszenierungen im Repertoire.
Sollte es zu einer kurzfristigen Änderung
dieser komplexen Planung kommen –
etwa durch Krankheit eines Schauspielers – brauchen Gabriele Zorn und Nicole
Barteck starke Nerven. Das Künstlerische
Betriebsbüro muss dann so schnell wie
möglich eine Ersatzvorstellung ansetzen:
Alle Schauspieler müssen für diesen Fall
der Fälle jeden Tag bis 16 Uhr erreichbar sein. Doch auch ohne solche – zum
Glück seltenen – Extremsituationen haben die Mitarbeiter des Künstlerischen
Betriebsbüros alle Hände voll zu tun: Es
ist 15 Uhr, und das Telefon steht nicht
still, weil alle Regie-Assistenten die Pro-
2007/2008 Saison
Rund um die Uhr
25
benzeiten für den nächsten Tag durchgeben. Spätestens bis 16 Uhr muss der Probenplan fertig sein.
Am anderen Ende des Gangs, im Direktionsbüro, studiert der Künstlerische Generalsekretär Gerhard Blasche gerade die
aktuellen Auslastungszahlen. Das Vorzimmer von Direktor Klaus Bachler und
Karin Bergmann ist so etwas wie die
Schaltzentrale des Burgtheaters – bei Regina Fitl und Corina Lange laufen beinahe alle Informationen zusammen. Sie sorgen für den reibungslosen Ablauf und die
Umsetzung der Vorhaben und Ideen, die
von Direktion und Dramaturgie beschlossen wurden, knüpfen Erstkontakte zu
Künstlern und koordinieren die Kommunikation innerhalb des Hauses. Gleichzeitig sind sie auch Anlaufpunkt für Belange und Sorgen aller Art – mit Verständnis
und Gelassenheit werden hier auch dringende Arzttermine, Kindermädchen oder
Visa für das künstlerische Personal organisiert. »Wir nehmen jeden ernst, der sich
an uns wendet, und versuchen zu helfen«,
sagt Regina Fitl, die bereits seit 26 Jahren
beinahe täglich und fast rund um die Uhr
für das Burgtheater im Einsatz ist.
Einer der wenigen Mitarbeiter, die eine
Saison 2007/2008
noch längere Dienstzeit vorweisen können,
ist Heinz Filar. Der Technische Direktor hat
gerade sein 40-jähriges Burgtheaterjubiläum gefeiert. Seiner langjährigen Erfahrung
und seiner Begeisterung für innovative Lösungen ist es zu verdanken, dass viele der
kreativen Ideen der Bühnenbildner auch
wirklich umgesetzt werden konnten. Im
fünften Stock arbeitet er gerade gemeinsam mit Bühneninspektor Ernst Meissl an
der Umsetzung des Bühnenbilds zu »Der
Gott des Gemetzels«. Vor ihnen liegen die
Konstruktionspläne, die der Technische
Assistent Hubert Kalina nach den Entwürfen des Bühnenbildners Karl-Ernst Herrmann am Computer erstellt hat.
Planungsarbeit der anderen Art leistet Sebastian Huber im gegenüberliegenden Flügel des Burgtheaters. Über der Feststiege
Volksgartenseite liegen die Räume der Dramaturgie, hier brütet der Dramaturg über
der Fassung der »Rosenkriege« – in Stephan Kimmigs Inszenierung sollen alle drei
Teile von Shakespeares »Heinrich VI.« und
»Richard III.« miteinander verwoben werden. Kurz nach halb fünf stellt Dramaturgiesekretärin Barbara Mitterhauser einen
wichtigen Anruf durch: Der Dramatiker Albert Ostermaier, der mit der Neuüberset-
zung der sogenannten »York-Tetralogie«
beauftragt wurde, hat eine Frage zum aktuellen Stand. Bis zum Probenbeginn Ende Februar muss die Fassung erarbeitet sein.
Einen Großteil der Vorarbeit hat neben
den Dramaturgie-Assistentinnen die Archivarin Rita Czapka erledigt. Sie verwaltet nicht nur die Bibliothek und das Archiv des Burgtheaters, sondern unterstützt
die Dramaturgie mit umfangreichen Recherchen und bei der Beschaffung seltener
Literatur und Materialien.
Bereits kurz vor der Premiere steht die Romandramatisierung der »Brüder Karamasow«. Auch das Programmheft ist so gut wie
fertig – doch die Aufführungsfotos müssen
noch ausgewählt werden. 20 bis 25 Hefte
erstellt Claudia Kaufmann-Freßner, die Referentin der Dramaturgie, pro Spielzeit. Sie
kniet über 177 ausgedruckten Bildern, die
sie auf dem Fußboden verteilt hat. Die besten 18 davon müssen gemeinsam mit den
Dramaturgen rasch ausgesucht werden, damit das Heft noch am Abend in Druck geht
und rechtzeitig zur Premiere ausgeliefert werden kann. Zwanzig Minuten später klingelt
der Bote der Druckerei. Es ist 17 Uhr.
Britta Kampert und Judith Liere
Das Burgtheater
bringt viele
zur Raserei.
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BURGTHEATER
Magazin
27
OFFENER VOLLZUG
Ein bayerischer Abend mit Gerhart Polt
und der Biermösl Blosn
Gerhard Polt und die Biermösl Blosn stehen für bayerisches
Theater, wie es nur in Bayern möglich ist: Bissiges Sezieren
ihrer bayerischen Wirklichkeit.
»›Ich glaube immer noch daran, dass man mit einem einzigen
Konfetti eine Bombenstimmung machen kann.‹ Gerhard
Polts Satz sitzt: zweieinhalb hochexplosive Stunden. Danach
müssten eigentlich alle den Saal verlassen und sich eine neue
Landesregierung suchen. Wenn’s nur nicht grad’ so schön gemütlich
wär’. Wenn wir nicht alle – genauso wie der Polt – ein bisschen
von dem, das er so bitter aufspießt, in uns hätten. Das ist die
geniale Schizophrenie des Abends: Jeder denunziert sich hier
selbst. Und das zum größten eigenen Vergnügen. Gerhard Polt
sowie Hans, Michael und Christoph Well, diese hinreißenden
Anarcho-Poeten und Charmebolzen, lassen sie alle aufmarschieren.
Was die Wells musikalisch bieten, ist sowieso von überirdischer
Grandiosität. Ob bayerisch, klassisch oder spanisch: Wie
sie in der Musik Kritik und Jux miteinander verbinden, erzeugt
immer wieder wahre Glücksgefühle. Das macht ihnen
keiner nach.« Münchner Merkur
Am 11. März im BURGTHEATER
und am 12. März 2008 im AKADEMIETHEATER
Gerhard Polt, Christoph Well, Hans Well, Michael Well
Saison 2007/2008
DIE BRÜDER HANS, MICHAEL UND CHRISTOPH WELL
sind drei von 15 Geschwistern, die alle mit der Volksmusik groß
wurden. Schon im Schulalter standen sie zusammen mit der
Familie bei Vereinsfeiern und Volksmusikabenden auf den Bühnen
der umliegenden Dorfgasthäuser. Sie stammen aus Günzlhofen,
einem Dorf zwischen München und Augsburg – nicht weit vom
Biermoos entfernt, von dem auch der Name »Biermösl«
abgeleitet ist. »Blosn« (Blase) ist ein bayerischer Begriff für
Clique, Gruppe.
Seit 1976 präsentieren Christoph, Hans und Michael Well als
»Biermösl Blosn« bayerische Folklore und Dialekt auf eine
besondere subversive Art. Sie verbinden ursprüngliche bayerische
Volksmusik mit bissigen satirisch-politischen Texten. 1982
lernten sie Gerhard Polt kennen, mit dem sie seitdem zusammenarbeiten.
GERHARD POLT verkörpert wie kaum ein anderer die
Zerrissenheit des bayerischen Wesens zwischen Spießertum und
Anarchie. Das Besondere an seinen Sketchen ist seine genaue
Beobachtungsgabe: Was er formuliert, kann man jeden Tag in der
S-Bahn zwischen Hackerbrücke und Pasing hören. »Wir brauchen
in Bayern keine Opposition – wir haben schon eine Demokratie!«,
ruft er aus. Und die zehnminütige Brandrede eines bayerischen
Landwirts wider die fortgesetzte Naturzerstörung beschließt er mit
den Worten: »Da muss doch endlich einmal etwas passieren!
Und das ist der Grund – und deswegen wähle ich auch dieses Mal
wieder die CSU!«
Magazin
29
Shakespeare und Kuttner sehen fern (Folge 3)
Ein Videoschnipselvortrag
Von und mit Jürgen Kuttner
Die Kammer lädt ein!
Ein gemeinsamer Abend im Burgtheater
Das Burgtheater hat seit September einen projektbezogenen Kooperationspartner: die
Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und
Burgenland. Auf Einladung von Kammer-Präsident DI. Andreas Gobiet verbrachten 100
selbstständige Architekten einen exklusiven Theaterabend im Burgtheater. Auf dem Programm standen »Romeo und Julia«, ein festlich-kulinarischer Empfang und ein herzliches Willkommen. Das Kammerpräsidium wählte das geschichtsträchtige und für die
Ringstraßenarchitektur bedeutende Gebäude, in dem sich Tradition mit Moderne verbindet, um die Kammer als Interessensvertretung mit all ihren Serviceleistungen vorzustellen. Mit dieser Geste der Wertschätzung verband die Kammer kulturelles Engagement mit einem netten Beisammensein der Kammermitglieder und dessen Präsidium.
Mehr Information dazu unter: www.wien.arching.at/index.php?cid=426
Saison 2007/2008
Auch im Februar wird der Radiomoderator
und Kulturwissenschaftler Jürgen Kuttner
im Kasino mit einem Videoschnipselvortrag
den Spielplan des Burgtheaters kommentieren.
»Ein Abend mit Jürgen Kuttner ist eine
One-Man-Show der deutlich anderen Art.
Das Prinzip ist schnell erklärt: ›Ich stehe
hier und rede wie ein Besessener‹, dazwischen
zeigt er Videoausschnitte. Damit ist alles
gesagt – und gar nichts. Denn allein die Videoausschnitte sind so grauslich komisch, dass
einem ganz schlecht werden könnte: Frauen
beim Testen von Autofeuerlöschern, pubertierende Jünglinge beim Teetrinken mit der
Mutter ihrer Tanzstundenpartnerin, Cindy
und Bert in einem Horror-Song über den Hund
von Baskerville, Joseph Beuys als Sänger
in einem Werbespot der Grünen. Alles Ausschnitte aus dem Fernsehalltag der 60er, 70er
und 80er Jahre. Unglaublich fern wirkende
Bilder, die gar nicht zur eigenen Biografie
zu gehören scheinen. ›Wir leben in einer Zeit
der Geschichtslosigkeit‹, sagt Jürgen Kuttner
dazu, ›man kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie die kulturelle Situation vor 30
Jahren war.‹ Deshalb gräbt der Berliner solche
Bilder wieder aus – und kommentiert sie.
Aufklärung im höchst altmodischen Sinne
betreibt er damit, Aufklärung nicht nur
hinsichtlich der Vergangenheit, sondern
auch der Gegenwart.«
Süddeutsche Zeitung
Am 28. Februar 2008 im KASINO
Magazin
30
Literatur für das neue Jahr:
Aber heuer werde ich alle, alle meine guten Vorsätze verwirklichen – sagen Sie sich das
auch immer in diesen Tagen? Ich bin ausgeschlafen und die Verlags-Kataloge noch nicht
geöffnet, einige wenige ungelesene Bücher liegen noch herum und schon erwacht wieder
die Neugierde auf das Noch-nicht-Erschienene, die zukünftigen Bestseller und vor allem
die Anwärter und persönlichen Entdeckungen für die Bestenliste! Nur, da fängt es ja schon
wieder an: mehr Zeit sollte man/frau haben, besser einteilen, endlich dies/jenes anfangen/
beenden – ist ja schon fast wie 2007! Vielleicht ist es auch nur notwendig »Simplify your
Life« von Tiki Küstenmacher noch einmal aufmerksam zu lesen (gibt es jetzt auch als Taschenbuch!) und Zeitguru Seiwert‘s »Wenn du es eilig hast, gehe langsam« endlich zu beherzigen. Oder mit »Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags« endlich Ordnung im Büro,
in der Wohnung und im Leben zu schaffen.
Auch im Leporello im Burgtheater gibt es nicht nur wunderschöne Theaterbücher, spannende und interessante Belletristik, sondern auch eine kleine, aber sehr effiziente Auswahl
an lebensvereinfachenden Büchern. Die schnellste Lösung und Hilfe ist doch immer in der
Buchhandlung zu finden, das richtige Buch zum persönlichen Thema erspart so manche
Therapiestunde, meint
Ihre Rotraut Schöberl – Buchhandlung Leporello im Foyer des Burgtheaters
SUCHERS LEIDENSCHAFTEN
Hermann Hesse
Hermann Hesse in Suchers »Leidenschaften«-Reihe: das ist verblüffend.
C. Bernd Sucher wird zu zeigen versuchen, dass Hesse keineswegs
nur der zuckrig-klebrige Romantiker, der Gute-Welt-Onkel, der Lieblingsautor naiver amerikanischer Pennäler ist, als den viele Leser Hesse
abtun. Hesse ist eben nicht, wie er dem Vorurteil nach zu sein hat.
Es gibt nicht nur den Glasperlenspieler, den Dichter von »Siddharta«;
es gibt den – eher unbedeutenden – Lyriker, den Entdecker des Kollegen
Robert Walser, dessen »Poetenleben« Hesse hymnisch rezensierte, und
den politischen Kämpfer. Hesse war ein leidenschaftlicher Pazifist, der
für seine Idee einer friedfertigen Menschheit kämpfte, selbst dann, wenn
ihm dieser Kampf Nachteile brachte. C. Bernd Sucher wird mit den
eher weniger bekannten Werken bekannt machen und mit einem Menschen,
der immer noch unterschätzt, weil verniedlicht wird.
Am 21. Februar 2008 im KASINO
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Sponsor der Porträtgalerie Sponsor der Gegenwartsdramatik
Hauptsponsoren
Freunde und Förderer
Sponsor des Shakespeare-Zyklus
agensketterl Druckerei GmbH, AirPlus, AKRIS, Austrian Airlines, BAWAG-PSK, Bösendorfer Klavierfabrik, Weingut Bründlmayer, Deutsche Lufthansa AG, Fernwärme, Kammer
der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien und NÖ und Bgld, Kartenbüro Jirsa, Möbelwerkstätten WITTMANN, OENB Oesterreichische Nationalbank, Österreichisches
Verkehrsbüro AG, Palmers, Raiffeisen Capital Management, Römerquelle, S-Bausparkasse, Schlumberger Wein- und Sektkellerei AG, Schuhmanufaktur Ludwig Reiter, Staud's
Wien, TELEKOM Austria, waagner-biro, WIENENERGIE, WIENER STÄDTISCHE Versicherung AG VIENNA INSURANCE GROUP, WKO Wirtschaftskammer Österreich
NACHWEISE BILDER: Nathalie Bauer: S.6; Franz Blaha, Deutsche Wehrmacht, Scherl Bilderdienst. Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek: S.15; Christian Brachwitz: S.17/1; Burgtheaterarchiv: S.14;
Thomas Dashuber: S. 27; Guus Dubbelman: S.5/7; Europäisches Parlament: S.5/6; Evangelischer Pressedienst/Simone Wagner: S.5/5; Nan Goldin, © Matthew Marks Gallery: S.8; James Nachtwey: S.3, 20; Joachim
Meyerhoff (privat): S.12; Christopher Morris: S.3; Tariq Ramadan (privat): S.5/8; Georg Soulek: Cover, S.11, 16/2, 19/2, 23/2; Bernd Uhlig: S.17/3; Reinhard Werner: S.10, 13, 16/1, 17/2, 19/1, 19/3, 19/4, 23/1, 23/3, 23/4, 24, 25.
TEXTE: S.9: The Guardian S.15: Auszug aus: Oliver Rathkolb: Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1991. S.24: Originalbeitrag
2007/2008 Saison