das Drama der Freiheit
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das Drama der Freiheit
vorspiel Das Magazin des wiener Burgtheaters November / Dezember 2007 Nr. 42 Wir haben in allem versagt, vielleicht werden wir die Würde retten können. »Verbrennungen« von Wajdi Mouawad In Kooperation mit Inhalt 3 Inhalt 3 Geburtstagswünsche – Peter Handke zum 65. 7 Das Handke-Wochenende 8 »Der Löwe im Winter« – Der Regisseur Grzegorz Jarzyna im Gespräch 10 Schillers »Wallenstein« – Die aggressive Melancholie des Selbstzerstörers 13 Michael Heltau: »Statt zu spielen« 14Tragödie der Eindeutigkeit – Lukas Bärfuss über sein Stück »Die Probe« 16 »Die Brüder Karamasow« – Das Drama der Freiheit 18 »Damenbekanntschaften« von Lotte Ingrisch 19 Rückschau auf die Werkstatttage 07 20 Frohes Fest im Burgtheater 23 Porträt: Markus Meyer 24 Rund um die Uhr: Von 10 bis 14 Uhr – Das Burgtheater probt 26 Magazin »Flott wolln wir leben und müßig gehen, alle Tage was Neues sehn!« Friedrich Schiller, Wallenstein Mit dem Burgtheater durchs Jahr Der Burgtheater-Kalender 2008 mit Aufführungsfotos aus Burgtheater, Akademietheater und Kasino Die Collagen zeigen Impressionen der Aufführungen »Romeo und Julia«, »Julius Caesar«, »Maß für Maß«, »Ein Sommernachtstraum«, »Verbrennungen«, »Sturm«, »Das Haus des Richters«, »Das purpurne Muttermal«, »Spuren der Verirrten«, »Über Tiere«, »Schwarze Jungfrauen« und »König Lear«. Fotos von Marcus Meier. Mitte der ist ab Der Kalen rhältlich und re Novembe 0 Euro. ,5 4 1 t e kost Impressum Titelbild: Regina Fritsch als Nawal und Daniel Jesch als Simon in »Verbrennungen« von Wajdi Mouawad vorspiel. Das Magazin des Wiener Burgtheaters erscheint fünfmal jährlich als Sonderbeilage der Tageszeitung »Der Standard« Medieninhaber und Herausgeber: Direktion Burgtheater GesmbH 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 2 Redaktion: Dramaturgie Burgtheater Gestaltung: Herbert Winkler, Annika Rytterhag Collettiva Design Herstellung: Goldmann-Zeitungsdruck GesmbH 3430 Tulln, Königstetter Straße 132 Saison 2007/2008 Geburtstagsgrüße 4 lieber peter handke – wir sind uns leibhaftig nur ein einziges mal begegnet – trotzdem habe ich das gefühl, mich an einen weggefährten zu wenden. dieses (leicht) fantastische gefühl ist das ergebnis einer sehr persönlichen, sehr wechselhaften beziehung, die ich zu ihnen, besser gesagt: zu ihrer sprache habe. Sachiko Hara und Philipp Hochmair in »Die Unvernünftigen sterben aus« als ich dem »untertagblues« begegnete, bin ich schelmisch und hochmütig um den text herumgeschlichen, vielleicht so, wie man mit den ansichten und geschichten der eigenen eltern umgeht. natürlich »kannte« ich sie – als eine art säulenheiligen, vielleicht vorzustellen auf einem elfenbeinernen, hübsch ziselierten podesttürmchen... nun sollte und wollte ich einen eigenen standpunkt beziehen, zu gleichen teilen einen persönlichen und aus dem geisterchor meiner poststrukturell geprägten generation heraus. mehr als bei anderen textbegegnungen fühlte ich mich herausgefordert. herausgefordert, mich abzugrenzen, mich zu beweisen, zu erobern. ich las einen abgewrackten entertainer aus dem wilden mann, der jahrzehnte verspätet noch einmal zur publikumsbeschimpfung auszuholen versucht und doch nur seiner elegischen schönheitssuche und schönheitssucht unterliegt. ich wollte das (im grunde von mir selbst errichtete) podest umhauen, mich dabei aber nicht erwischen lassen – zugegeben eine etwas kindische position. zumal sich in der arbeit ein kleines persönliches wunder ereignete, eine art heilsames hase-und-igel spiel: immer wenn ich neunmalklug den text überholt zu haben glaubte, blinzelte mich auf der nächsten seite freundlich ein kleines pelzigstacheliges wesen an. dort, wo ich dünkel und gedanklichen manierismus entlarven zu können glaubte, starrte ich nur in den spiegel. statt des uneingestandenen wunsches nach triumph erfüllte mir die arbeit am »untertagblues« eine tiefere sehnsucht, die ich nach allerlei zynismen und inneren romantik-idealismus-pogromen versehentlich ausgerottet zu haben meinte: die sehnsucht nach der sehnsucht. neulich von einer journalistin nach meinem 2007/2008 Saison an Peter Handke 5 inneren bild von ihnen befragt, beschrieb ich ihr einen zarten regentag – hielt stutzend inne, fand mich ein wenig lächerlich und kitschig, blieb aber letztlich doch dabei und bleibe es auch heute und hier. nach dieser erfahrung mit dem »untertagblues« wollte ich es wissen: ich machte mich an die über weite strecken spöttisch-kühlen »unvernünftigen« heran. ich wünschte mir sehnlich, wieder auf »den handke-trip« zu geraten und die diesmal stattliche produktionsfamilie mitzunehmen. das ensemble kam aus den unterschiedlichsten generationen, heimatgegenden, theatersozialisationen und meinungswinkeln zusammen, die probenzeit lag zufällig zeitlich parallel mit der debilen debatte und den komischen kommissionskämpfen um den heine-preis und endete in der griesgrämig-grausigen und gleichzeitig gleißend-überstrahlten welt der salzburger festspiele. bei dieser »zweiten runde« mit ihnen war ich vollauf damit beschäftigt, nicht konfus zu werden: der text – ein zwinkernder zwitter zwischen salonkomödie und textflächigem ich-drama –, so viele positionierungen, meinungen, spukgespenster und seltsames moralgeier-sitteneulen-getier traten in der und um die produktion herum auf, ich hatte mühe mit mir selbst, mich weder als anwältin noch als anklägerin vereinnahmen zu lassen und VOR ALLEM: den humor nicht zu verlieren. den besten partner für diese aufgabe fand ich in ihnen. aus ihren eigenen texten und äußerungen heraus ließ sich am besten argumentieren und befrieden: sie beschwören den umweg, das zeitlassen, den anderen, den »dritten« blick und immer wieder den ihnen so lieben satz: »je nachdem«. ihr wichtigstes geschenk an mich aber schien mir ihre gabe, das ganze geschiebe und gezerre neben dem ihm gebührenden ernst auch hin und wieder mit einer hübschen garstigen pointe zu würdigen – eine von mir immer geschätzte relativierung des aufgeplusterten, ob es sich um kunstpreise, stilmittel oder politische verdächtigungen handelt. Saison 2007/2008 viele menschen haben sich angesichts der »unvernünftigen« ge- und sie bewundert für die visionäre kraft, in den 70er jahren bereits den postindustriellen postmodernen post-alles ich-kapitalismus von heute anhand der figur des herrmann quitt und seines kartellabsprachenbruch-coups zu antizipieren. ich finde ihr gespür beachtlich. viel tiefer jedoch als diese inhaltlichen vorwegnahmen hat mich begeistert, wie punktgenau die formale, inhaltliche und totale repräsentationskrise (schon immer?) teil ihrer arbeit ist. da wo heute angesagte und innovative theaterformate immer wenn ich neunmalklug den text überholt zu haben glaubte, blinzelte mich auf der nächsten seite freundlich ein kleines pelzigstacheliges wesen an. wie z.b. rimini-protokoll und pollesch an den baustellen der nicht-identen darstellung basteln, siedeln sie schon mehrere jahrzehnte. und so fand ich mich auf der konzeptionsprobe der »unvernünftigen« wieder beim austeilen des zum einhalten eines (geistigen) abstandes ermahnenden vorwortes zur »publikumsbeschimpfung«, meinem persönlichen manifest zum lustvollen sogenannten postdramatischen theater. jene angesichts der realität so vielgesuchte theaterform, die so schwer einen sinnlichen ausdruck, eine spontane nachvollziehbarkeit und einen weg auf die bühne findet. bei all der banalitätsbeweihräucherung, dem sensationsgelüst und dem 1:1-terror, der einen umgibt, bin ich dankbar für ihr träumerisch-stures festhalten am literarischen, poetischen, merkwürdigen. nach der »unvernünftigen« erfahrung freute ich mich also, in den »spuren der verirrten« etwas wie meine persönliche überschrift für die arbeit am theater im allgemeinen und mit ihren texten im besonderen lesen zu können. so laute- te auch mein hauptauftrag an das ensemble, gemäß text: »weiter in die irren gehen. beständiger verirrt bleiben!« es war schön und lustig, gezieltes verirren zu versuchen. ich bin 33 und trotz kindern, beruf und burgtheater (gottseidank) immer noch nicht »angekommen«. diese hoffnung sich zu bewahren habe ich mir in schönster kinderweise von ihnen abgeschaut, denn vielleicht kann man nur so EIN LIEBENDER BLEIBEN. jetzt sind schon so viele wörter auf dem papier – es fühlt sich immer noch ein wenig waghalsig an, an und für sie zu schreiben – zum einen, weil man sich beim wildern in fremdem revier wähnt – sie haben das einfach besser raus –, und zum anderen, weil ich irgendwie nur über mich und mein erlebnis berichten kann, wo ich sie zu beschreiben versuche. um diese halbe koketterie wissend hier abschließend noch meine lieblingsgeschichte von und mit ihnen: als wir das eine mal zusammentrafen und der abend schon etwas fortgeschritten war, nölte ein weinseliger wichtiger mitten in unser gespräch hinein: »peter, du, sag mal, wo bist du denn geboren, peter? in berlin, ja?« »nein, in kärnten«, war ihre antwort – »nein, nein, peter, du bist doch in berlin geboren, peter du« – »dann schau halt im lexikon nach«. wer kann das schon von sich sagen? prost! friederike heller Gemeinsam mit der Regisseurin Friederike Heller, die im Akademietheater Handkes Stücke »Untertagblues«, »Die Unvernünftigen sterben aus« und »Die Spuren der Verirrten« inszenierte, gratuliert das Burgtheater Peter Handke zum 65. Geburtstag: Herzlichen Glückwunsch! Handke-Wochenende 7 Untertagblues »Ein wilder Mann. Eine wilde Frau. Etliche Zu- und Aussteigende.« Eine Höllenfahrt in den Alltag der Mehrheit: Verachtung und Verächtlichkeit, hässliche Zufriedenheit und zufriedene Hässlichkeit, Sehnsuchtslosigkeit und Mangel an Mangelbewusstsein. Allen scheint alles offen zu stehen und allem sind sie verschlossen. Hinter der großen Schmährede an das Publikum, hinter Beschimpfungen, Lästerungen und Absagen, bleibt dennoch die Frage nach dem Sozialen, nach den Möglichkeiten des Zusammenlebens. Zum letzten Mal am 6. Dezember 2007 im AKADEMIETHEATER Wunschloses Unglück Mit Kirsten Dene und Markus Meyer »Es begann also damit, daß meine Mutter vor über fünfzig Jahren im gleichen Ort geboren wurde, in dem sie dann auch gestorben ist.« Mit 51 Jahren beendet Peter Handkes Mutter ihr »Wunschloses Unglück« mit Schlaftabletten und Antidepressiva. Sieben Wochen danach verfasst Peter Handke den gleichnamigen Text, und sein Schreiben wird zum Kampf gegen die Fassungs- und Sprachlosigkeit. »Da waren eben kurze Momente der äußersten Sprachlosigkeit und das Bedürfnis, sie zu formulieren – die gleichen Anlässe zum Schreiben wie seit jeher.« Damit liefert Handke nicht nur ein bedrückendes Zeugnis eines Lebens als lebenslange Deformierung, sondern gleichzeitig auch eine Reflexion über sein Schreiben an sich. Mit der Geschichte der Mutter hat Handke auch seine eigene Geschichte geschrieben, und so ist diese Hommage an die Mutter zugleich auch die Geschichte eines Landstriches und dessen Menschen in einer Zeit, die noch nicht Vergangenheit und exemplarisch für ein ganzes Land, für eine ganze Generation ist. Leitung: Sebastian Fust Am 7. Dezember 2007 im KASINO Kante - Das Konzert »Die Tiere sind unruhig.« Im Akademietheater rockt die Hamburger Diskurspop-Rock-Band Kante. Sie vermischt den Minimalismus elektronischer Musik mit konventioneller Rockinstrumentierung und scheut dabei abgegriffene Rock-Posen. Tiefgründige Texte legen sich über fein ziselierte Klanggebilde. Ganz nach dem Motto: Rockmusik ist tot, es lebe der Rock. Als musikalisches Highlight und kongeniale Vertoner von Peter Handkes Texten ist die Band bereits in der Inszenierung »Spuren der Verirrten« im Akademietheater zu Hause. Anlässlich von Handkes 65. Geburtstag stehen Kante nun allein »on stage« im Diskurs: Es geht um Hitze, Ruhelosigkeit und Umbruch, um irdische und unvollkommene Liebe: »Die Dinge werden sich definitiv ändern, nichts wird beim alten bleiben.« Am 7. Dezember 2007 um 22 Uhr im AKADEMIETHEATER Saison 2007/2008 Spuren der Verirrten »Die Spuren der Verirrten – wären sie aufgezeichnet: was für ein Bild würden sie wohl geben?« Das Paar ist die kleinste soziale Einheit, Anfang und Ende allen Zusammenlebens. Alle großen Fragen unserer Existenz lassen sich in gewisser Hinsicht auf die Frage nach dem »Du« zurückführen, auf die Möglichkeit, den Anderen zu sehen und für ihn sichtbar zu sein. Mit der Fähigkeit zum »Du« steht daher nichts Geringeres zur Diskussion als unsere Fähigkeit zum Menschsein, zum Gemeinwesen, zur Geschichte. Aber aus wie vielen Menschen besteht ein Paar? Der Zuschauer in Handkes Stück »Spuren der Verirrten« kommt zu einem arithmetisch überraschenden Schluss. Ein Paar sind mindestens drei. Zum »ich und du« muss der Blick von außen treten, der die Zweiheit sieht, prüft, bestätigt und herausfordert. Am 8. und 9. Dezember 2007 im AKADEMIETHEATER Beim Kauf ei ne Kante-Konze r Eintrittskarte für das rt (Karten zu 25 Euro, Schüler und St wird auf Kar udenten 12,50 Euro) te von »Wunsc n für die Vorstellungen hloses Unglü ck«, »Untertagblues« un d im Dezember »Spuren der Verirrten« eine 20%-ige Ermäßigung gewährt. Burgtheater 8 »Ich versuche, den Menschen zu durchleuchten« Ein Gespräch mit Grzegorz Jarzyna über James Goldmans »Der Löwe im Winter« James Goldmans Broadway-Erfolg »Der Löwe im Winter« wurde 1968 mit Katharine Hepburn, Peter O’Toole und Anthony Hopkins verfilmt und mit mehreren Oscars ausgezeichnet. Der polnische Regisseur Grzegorz Jarzyna, dem es mit seiner »Medea«Bearbeitung im Kasino gelang, einen antiken Mythos in die Gegenwart zu übertragen, verwandelt hier den mittelalterlichen Stoff um den englischen König Henry II. zu einer heutigen Geschichte. Der Kampf wird nicht mehr um Provinzen und Grafschaften geführt, sondern um die Absatzmärkte des global agierenden Finanzimperiums einer Familiendynastie. Das Stück erzählt die historische Geschich te aus der Zeit des Angevinischen Reiches, also aus der Vorgeschichte von Shakes peares Königsdramen. Warum verlegen Sie das Stück in die heu tige Zeit? Werden so für Sie Themen oder Probleme sichtbar, die sich im historischen Kontext hinter der formellen Fassade einer Königsfamilie verstecken? Ja, das ist richtig. Wenn wir die Fassade entfernen, entdecken wir das eigentliche Thema. Es ist ein Stück über ein Machtspiel mit Liebe im Hintergrund. Im historischen Kontext ist die Macht an die Aufteilung der Besitztümer innerhalb einer Hierarchie gekoppelt, in der heutigen Version steht Macht für die Kontrolle über einen anderen Menschen. Der Machtkampf erfordert hier Legitimität und Akzeptanz außerhalb der starren, festgelegten Struktur eines Königreiches. Das macht das Stück für mich so heutig und interessant. Ich möchte untersuchen, was in diesem »demokratischen« Kontext mit dem Bedürfnis nach Liebe passiert. Das Bedürfnis ist sehr präsent, allerdings erfahren alle Beteiligten, dass es sie schwächt und dünnhäutig macht. Die Machtmenschen werden entblößt, das Wort »Schwächling« oder »Weichei« definiert sie als Versager, deren Gefühle und Emotionen den Kampf um die Macht erschweren. Wenn sie lieben oder auf die Liebe bestehen, müssen sie mit Konsequenzen und Verlusten rechnen. Dient der Kampf um die Macht als Vor wand im Kampf um die Liebe? Nein, nicht als Vorwand, eher als Ersatz. Auch die starke erotische Kraft, die die Figuren immer noch aufeinander ausüben und ausstrahlen, wird als Waffe eingesetzt, bis alle leer und ausgebrannt vor den Trümmern ihrer Sehnsüchte stehen. Henry, der Sohn fliehen, Don Carlos wird bestraft, und Thomas Buddenbrook sagt bei Thomas Mann: »In meinem Sohne habe ich fortzu leben gehofft?« Ist diese spannungsvolle Be ziehung für Sie ein wichtiges Thema? Viele verdrängte Probleme wie Betrug, wachsende Einsamkeit und die schon zur Gewohnheit werdende gegenseitige Demütigung zwischen Vater und Mutter werden sichtbar. Schnell wird klar, dass der Ursprung des Konflikts in der starken Mutter-SohnBeziehung liegt. Die Eifersucht des Vaters auf den Sohn bildet den dunklen Kern dieser Geschichte. Um einen Seitensprung Henrys zu rächen, beginnt Eleanor ein inzestuöses Verhältnis mit Richard. Sie manipuliert und kontrolliert ihn und setzt ihn kaltblütig im Machtspiel gegen ihren Mann ein. Auf diese Weise beraubt sie Henry seiner Würde und Männlichkeit, der in einer neuen Beziehung mit einer jungen Frau nach Bestätigung sucht. Zudem verletzt Eleanor ihren Sohn, indem sie ihm die emotionelle Grundlage seines Lebens entzieht. In einem Reigen aus Rache und Schmerz eskaliert die Situation bedrohlich. Die Figuren werden mit ihren tiefsten Instinkten konfrontiert. Henry bezeichnet sich als einen alternden Mann, der im Begriff ist, sich von der Welt zu verabschieden. Er weiß, dass er immer schwächer wird, trotzdem begibt er sich auf den Weg eines Unsterblichen. Oft wünscht er sich, sein Spiegelbild in den Söhnen zu sehen. In keinem findet er sich wieder. Die Kinder, die im Geist des Kampfes erzogen wurden, lassen keine Nähe zu, obwohl sie auch darunter leiden. Sie haben nie Wärme erfahren, nie Familiensinn erlebt, deshalb sind sie Einzelkämpfer, die nur ihre eigenen Interessen vor Augen haben. In Wirklichkeit bekommt Henry in dem gewünschten Spiegelbild seine eigene Kälte, Unfähigkeit und das Scheitern als Vater zu sehen. Der älteste Sohn hat ihn mit der Mutter betrogen, der zweitälteste ist kalt und berechnend. Gegen alle rationalen Überlegungen will Henry dem jüngsten Sohn, der unfähig und orientierungslos ist, sein ganzes Imperium übertragen. Es ist eine sentimentale Entscheidung für einen starken Kämpfer wie ihn, der am Ende seines Lebens nach Akzeptanz und Liebe sucht und neue Prioritäten setzt. Eleanor sucht in den Söhnen verzweifelt die Züge ihres Mannes, ein Spiegelbild ihrer imaginären Sehnsucht und des Verlangens nach Henry. Sie kommen an einen bestimmten Punkt, den man Stillstand nennen kann. Solch einen Punkt beschrieb der Philosoph Karl Jaspers als eine Mauer, vor der man stehen bleibt. Man ist dann imstande, sein Leben komplett zu ändern und kommt zur Erkenntnis seiner selbst. Durch den Schmerz gelangt man zum Kern der Dunkelheit und kann so ein höheres Bewusstsein erlangen. Man kann aber nicht mehr auf dem bisherigen Weg weitergehen. Die Grenzsituation als Grundlage der Existenz, die zum tiefen Verständnis seiner selbst führt, bringt den Menschen an Klippen und Abgründen vorbei. Der Vater-Sohn-Konflikt ist in der Literatur ein häufiges Motiv. Kronos frisst bei Hesi od seine Kinder, König David muss vor dem Das ist doch der Moment, den Eleanor er kennt, als es zur Konfrontation der Söhne mit dem Vater kommt. Sie bringt die Waf über 50 ist, muss schmerzlich erkennen, dass ihm die Macht keine Erfüllung bringt. Verzweifelt blickt er zurück und klammert sich an die Erinnerung der ersten Begegnung mit seiner großen Liebe mit dem Bewusstsein, dass er die Grundlage seines Lebens verloren hat. Wir sind Zeugen des seltenen Familientreffens und erleben den Ausbruch aufgestauter Emotionen, ähnlich einer Explosion nach einer langen Zeit eisigen Schweigens. Inwiefern interessiert Sie die Frage, ob die außergewöhnlich intensive Beziehung der Mutter zum ältesten Sohn die Ehe auseinander bringen kann? Ist das der eigentliche Kern des Stücks? 2007/2008 Saison Burgtheater 9 Sylvie Rohrer, Wolfgang Michael fen als Zeichen der Schwäche und des Ver sagens, als Symbol der Unausweichlichkeit des Handelns. Ganz genau. Es gibt keine andere Lösung: Entweder die Tat oder eine tiefe Erkenntnis. Das ist wie ein Instrument, das hilft, das Wesentliche zu erkennen. Die Grundlage ihres Konflikts wird ihnen klar, nämlich die Unfähigkeit, ohne Liebe leben zu können. In Ihren Arbeiten durchleuchten Sie die zwischenmenschlichen Beziehungen und vermitteln den Eindruck, dass Sie sich – frei von formellen Konzepten – auf die Verdich tungen der Emotionen und die Authentizi tät der Schauspieler konzentrieren. Ich will immer in erster Linie eine menschliche Geschichte erzählen. Es ist mir sehr wichtig, dass die Schauspieler glaubwürdig sind und nicht ihre Schauspielmasken tragen. Mich interessiert die Wahrheit und nicht die Form. Eine Theatermaske oder Theaterform kann sehr schön sein, ich will hier überhaupt nicht werten, ich denke nur, dass wir im täglichen Leben schon viele Masken tragen bzw. zu sehen bekom- 2007/2008 Saison men. In der Tat versuche ich, den Menschen zu durchleuchten, was ich dabei erkenne, möchte ich zeigen. Ich bemühe mich mit Hilfe von Bühnenbild, Licht und Musik das Gesehene realistisch zu zeigen, um dem Zuschauer – im aristotelischen Sinne – die Möglichkeit zu geben, sich damit zu identifizieren. Wenn mir das gelingt, ist das ein Glücksmoment. Das Gespräch führte und übersetzte aus dem Polnischen Rita Czapka. Der Löwe im Winter von James Goldman Deutsch von Susanne Meister Regie: Grzegorz Jarzyna Ausstattung: Magda Maciejewska Licht: Jacqueline Sobiszewski Musik: Jacek Grudzień Video: Bartek Macias Mit Sylvie Rohrer, Katarzyna Warnke; Sven Dolinski, Philipp Hauß, Markus Meyer, Wolfgang Michael, Tomasz Tyndyk; Leszek Możdżer (Klavier) H Premiere am 17. November 2007 im BURGTHEATER In Zusammenarbeit mit TR WARSZAWA GRZEGORZ JARZYNA, 1968 in Chorzow geboren, ist einer der wichtigsten Theaterregisseure der jüngeren Generation in Polen. Er studierte Philosophie und ab 1993 Regie an der staatlichen Theaterhochschule in Krakau. Seit 1998 ist er künstlerischer Direktor des TR Warszawa, eines der innovativsten Theater in Polen. Im deutschsprachigen Raum wurde er vor allem durch Gastspiele bekannt, z.B. seiner Bühnenadaptionen von »Doktor Faustus« (1999 bei den Berliner Festwochen in der Reihe »Junges Theater aus Osteuropa« in Koproduktion mit dem Hebbel-Theater und THEOREM Berlin) und Thomas Vinterbergs »Das Fest« (2002 bei den Wiener Festwochen). Zuletzt adaptierte und inszenierte er in Wien » [mede:a]« im Kasino. Burgtheater 10 Die aggressive Melancholie des Selbstzerstörers Johannes Terne, Gert Voss, Petra Morzé, Dirk Nocker (Probenfoto) Jürgen Wertheimer über Schillers »Wallenstein« Das ganze Lager summt von Wallenstein-Geschichten. Wallenstein, der Kumpel, der an vorderster Linie ficht, Wallenstein, der Geheimnisvolle, der völlige Ruhe um sich braucht, Wallenstein, der Kriegsgott, der »Soldatenvater«, der alle an sich bindet und zu einer Einheit werden lässt. Versprengt und vermischt wie sie sind, empfinden sich auch gemeine Soldaten als Zugehörige einer höheren Welt. Ein trügerisches »Wir«Gefühl ist da entstanden. Trügerisch für alle: für den, der es hergestellt hat, nicht weniger als für die, die an ihm teilhaben. Von wegen »Wir haben’s Heft noch in der Hand« – von »wir« kann gar nicht die Rede sein. Eine dieser fatalen Gleichsetzungen. Das Idol Wallenstein bildet und bindet emotional die Bedürfnisse Tausender. Das Medium macht die Wirklichkeit. Noch bevor das Stück beginnt, steht auch der Zuschauer im Bann des Phänomens »Wallenstein«. Umgekehrt ist auch Wallenstein vom Kollektiv, das ihn bedingungslos verehrt, abhängig. Psychoanalytisch oder auch nur verhaltensanalytisch gesprochen: Schiller stellt einen hochgradig ich-bezogenen Charakter dar, der jedes Phänomen ausschließlich auf sich bezieht. Und zwar, dies kommt auf verstörende Weise hinzu, so, dass er sich in eine passive Situation getrieben, als Opfer anderer wahrnimmt (»sie zwingen mich«). Wallenstein, das absolute Zentrum seines Systems, hat das Modell seiner Existenz so eingerichtet, dass jedes externe Signal in (s)eine innere Realität umgedeutet wird. Daraus ergibt sich die paradoxe Situation einer extrem hellhörigen und hellsichtigen Figur, die sich gleichzeitig als absolut taub und blind zeigt, was sein soziales Verhalten anbelangt. Realitätssinn und Indifferenz – bei Wallenstein zwei Seiten eines Doppelprofils. Ebenso diametral stehen einander gegenüber die fast intime Zuwendung der anderen, der kumpanenhafte Ton, den auch Wallenstein zu spielen weiß, und seine große innere Distanz selbst zu den Freunden (fast auch zu sich selbst). Graf Terzky versucht im Gespräch mit dem schwierigen Strategen Wallenstein Wege zu erörtern, die aus der Krise führen könnten. Dabei spricht er auch das Thema der Glaubwürdigkeit an. Man wisse nicht immer, wie man ihn einzuschätzen habe. Wallensteins Reaktion ist mehr als aufschlussreich: »Und woher weißt du, dass ich […] nicht euch alle zum besten habe? […] Ich wüsste nicht, dass ich mein Innerstes dir aufgetan.« – »So hast du stets dein Spiel mit uns getrieben!«, kommentiert Terzky bitter. Dann endet die Szene. Aber für jeden Hellhörigen ist das Wallenstein-Porträt eigentlich schon zu Beginn fast fertig. So wie auch das Ende von Wallenstein letztlich von Beginn an feststeht. Mag sein, dass Schiller sehr an der Entstehung und am Aufbau von Machtprozessen interessiert war. Mehr noch jedoch faszinierten ihn Prozesse der Entmachtung, des Verlusts der Macht: Ob Fiesko oder Karlos, Maria Stuart oder Johanna – stets verfolgt man den Niedergangs-Prozess im Detail und in voller Länge. Wallenstein ist ein selbstverliebter Spieler, der zwar die taktischen Züge aller anderen aufmerksam wahrnimmt und beobachtet. Und doch, so hat man den Eindruck, nicht mit letztem Einsatz dagegen ankämpft. Er signalisiert, das Gesamtszenarium zu durchschauen, über und jenseits von allem zu stehen. Auch jenseits der Hoffnung. Und genau mit dieser Strategie des Taktierens siegt er paradoxer Weise, jedenfalls meist; seine Passivität, das Spiel mit dem Gestus des Aufgebens, Wallenstein, das ist ein Endspiel im großen Stil. motiviert die Subalternen, an seiner statt, in seinem Sinne zu handeln. Wallenstein inszeniert sich als großes Rätsel, als Enigma. Wer in seinem Umfeld lebt, wer sich auf ihn einlässt, hat im Grunde nicht den Hauch einer Chance. So auch Max und Thekla. Das junge Paar bildet nur die triste Nebenstimme zu einem Geschehen auf anderer, politischer Ebene. Nie zuvor wurde die Systematik der politischen Macht so schamlos zu Schau gestellt, das Über-Kinderleichen-Gehen so deutlich. Nie die Operationen der Politik jenseits aller dramatischen Normen auf 10 Akte (nimmt man beide Stücke als Einheit) ausgebreitet untersucht. Doch nicht nur die Unschuldigen geraten in den Sog der politischen Notwendigkeiten. Selbst die mächtigsten, dominantesten Fi- guren kommen unter die Räder der MachtMaschinerie. Selbst Wallenstein. Von Piccolominis Vater wissen wir, dass Wallensteins Umsturzpläne bekannt sind bzw. dass man kommuniziert, er hätte diese HochverratsPläne im Kopf. Ein ungeheuerlicher und zunächst kaum glaubhafter Verdacht. Doch genau diese Botschaft wird in Umlauf gebracht. Und in dieser Situation trifft man auf einen Hauptverdächtigen, der mit dieser Rolle aus einer Mischung von Unbesiegbarkeitsglauben und Lust an der Provokation auch noch spielerisch kokettiert. Und noch nicht so recht an eine Bedrohung glaubt. Doch spätestens mit »Wallensteins Tod« beginnt das labile Gleichgewicht sich zu verschieben. Der Gegner, der Kaiser, weiß nun definitiv von Wallensteins Absichten. Damit sind die Sicherheiten von vorher null und nichtig. Es geht nur mehr um den Faktor Zeit. Erst jetzt begreift Wallenstein, die neue Situation realisierend, dass er Opfer der eigenen (Provokations-)Strategie werden könnte. Aus einem Gedanken-Spiel wird Wirklichkeit. Der einmal, auch im engsten Zirkel ausgesprochene Gedanke setzt Bewegungen frei, die ihrerseits Situationen herstellen, die vom Gegner auf eine realitätsanaloge Weise interpretiert werden können. Die Kette der Kausalitäten spult sich automatisch ab. Noch immer verharrt die Geschichte atemlos an der Schwelle zur Aktion. Es bedarf eines 2007/2008 Saison Burgtheater 11 Impulses, um ihn weiter entschlussbereit zu machen. Der Entschluss zum Aufbruch findet am Abgrund statt. Doch während sich das Heer auflöst, wächst der Traum, die Fiktion vom Gegenschlag auf der Grundlage alter Größe; auch Piccolomini wird als Verräter enttarnt, Wallenstein sinkt wie Caesar auf den Stuhl und verhüllt sich in Römerpose das Gesicht. Dann geht Prag verloren, alle Regimenter laufen über. Doch Wallenstein blüht förmlich auf: »Die Brust ist wieder frei, der Geist ist hell [...] Jetzt fecht ich für mein Haupt und für mein Leben«. Der Niedergang erzeugte Euphorie, eine »Glückspsychose«; Wallenstein beginnt die Katastrophe als Stilisierungsmöglichkeit zu begreifen. Anders ausgedrückt: Wallenstein beginnt der Wallenstein-Legende zu erliegen, blendet die Fakten systematisch aus bzw. kreiert eine eigene Wirklichkeit. Schiller decouvriert die Psychologie eines rauschhaften Abstiegs, mit Indikatoren für eine frappierende Verschiebung der Wahrnehmungsprozesse. Den Endsieg vor Augen, die Dolchstoß-Legende im Herzen gelingt es Wallenstein, dem »Untergänger«, fast auch noch die letzten Getreuen ins Feuer zu schicken. Schiller zeichnet das Psychogramm aller großen Diktatoren im Spätstadium, all derer, die in den Wolfsschanzen, im Bunker ihrer Macht verrammelt und ausgeliefert zum Endspiel antreten. Geschichten dieser Art werden oft »mythisch«, denn sie 2007/2008 Saison beinhalten die Fiktion eines »unheimlich starken Abgangs« gegen die Realität eines Untergangs ohne Würde. Ein Hauch Abschiedsrührung vom Lieblingsjünger im Stile des Christus am Ölberg gehört auch dazu. Doch der »wirkliche« Wallenstein, Wallenstein als blitzschnelles, giftgeschwollenes Aggressionsbündel, bringt alles wieder zur Kenntlichkeit. Dem Flehen, bei ihm zu bleiben, folgt im letzten Gespräch mit Max die scharfe Zurückweisung. Für Wallenstein ist der Fall damit erledigt. Nicht für Max, nicht für Thekla, nicht für alle, die sich auf Wallenstein eingelassen haben. Auch die letzten Adoranten des »Männer-machen-Geschichte«-Typus sollten spätestens im dritten Akt ihr Interesse am Individuum verloren haben. Im vierten Akt zeigt Schiller die menschlichen Verwüstungen, die dieser historische Amoklauf hinterlässt. Max sucht den Tod auf dem Schlachtfeld. Thekla wird Opfer eines menschenverachtenden Planspiels. Wallenstein, das ist ein Endspiel im großen Stil. Eine Geschichte ohne Katharsis und ohne Moral. Früher hieß es: »Was immer ist, ist Gottes Wille.« Dann: »Was immer ist, ist gut.« Am Ende von »Wallenstein« steht allenfalls ein trockenes »Was immer ist, ist.« Am Ende dieser Trilogie gibt es kein Aufatmen und keine Trauer. Keine geringere Empfindung und keine Hoffnung. Aber skeptischer wird man geworden sein im Bezug auf Aura, Auratiker, große Männer der Geschichte und »Erhabenheit«. Das Wallenstein-Projekt wurde für Schiller zur politischen Gegenwartserkundung. Es ging nicht (nur) um Wallenstein. Es ging um Napoleon, um das Prinzip eines charismatischen Herrschaftsmodells mit totalitären Zügen. Elf Akte, hundert szenische Blickwinkel. Schiller will die totale Analyse der Macht. Was da in Szenen geht, ist ein großflächig gegliedertes Panorama. Ein großer Teil der sich über Jahre hinziehenden Arbeitsprobleme, Bau, Umbau resultiert im Gegenteil aus der Grundidee, drei Tage im Februar 1634 exemplarisch ins Zentrum einer umfassenden Darstellung zu rücken. Eine letale Zeitlupenstudie über die strategische Selbstverwirklichung eines »Großen«; dramatisches Protokoll eines Niedergangs aus eigener Kraft. Man gewinnt in der Rückschau den Eindruck, man hätte einer inszenierten Selbst- Exekution beigewohnt. Einem rabiaten und mit großer Systematik betriebenen Versuch, die Umwelt so lange und nachhaltig zu provozieren, dass sie gezwungen ist, zurückzuschlagen und so die eigenen Übergriffe zu legitimieren. Man versucht bereits an Büchners Todesdrama zu denken: Danton und Wallenstein, zwei besessene Macht-Akteure, die am Kipppunkt der Laufbahn die Strategie ändern und Russisches Roulette spielen. Schiller nimmt seinen Protagonisten drei Tage vor dem Ende ins Visier, Büchner seinen ein paar Wochen vor dem Tod. Zwei Volksführer mit Riesendistanz zu denen, die an ihren Lippen hängen. Zwei Sonderfälle, Leader ohne Zukunft. Die Uhr tickt rückwärts. Die Zeit drängt und bleibt stehen. Die Automatik, die sie ins Leben gerufen haben, arbeitet selbständig gegen die, die sie geschaffen haben. Man spürt im »Wallenstein«: Das Prinzip »Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder« hat schon 150 Jahre früher begonnen. Schiller spürt aufgrund seiner Wahrnehmungsfixierung einen Phänotypus aus, lange vor der Weltschmerz-Zeit: Die aggressive Melancholie des Selbstzerstörers Wallenstein ist ein sehr moderner Gefühlszustand. Dort, wo das Ende sichtbar wird, beginnt Schiller zu schreiben. Denn Schillers Spieler spielen sich, wie alle Süchtigen, sehenden Auges um Kopf und Kragen. Jürgen Wertheimer ist Professor für Komparatistik und Germanistik an der Universität Tübingen. Sein Buch »Schillers Spieler und Schurken« erschien 2005 im Konkursbuch Verlag. Wallenstein von Friedrich Schiller Regie: Thomas Langhoff Bühne: Bernhard Kleber Kostüme: Marion Münch Licht: Friedrich Rom Musik: Jörg Gollasch Mit Pauline Knof, Petra Morzé, Kitty Speiser; Gerd Böckmann, Franz J. Csencsits, Michael Gempart, Urs Hefti, Ronald K. Hein, Roland Kenda, Ignaz Kirchner, Johannes Krisch, Dieter Mann, Peter Matić, Christian Nickel, Dirk Nocker, Robert Reinagl, Branko Samarovski, Heinrich Schweiger, Johannes Terne, Gert Voss, Dirk Warme, Paul Wolff-Plottegg, u.a. H Premiere am 19. Dezember 2007 im BURGTHEATER Burgtheater 13 Statt zu spielen Michael Heltau und die Wiener Theatermusiker Endlich wieder ein Soloabend von Michael Heltau im Burgtheater. Heltau über sein Verhältnis zum Theater: Manchmal bekommt man eine Sehnsucht nach dem Geheimnis, dem Schutz, nach der Magie einer Bühne. Und diese Sehnsucht wird immer größer. Ich sage immer, meine Berufsbezeichnung ist nicht Schauspieler, sondern Bühnenmensch. Am Anfang war ein Bunter Abend. Ich erfülle mir eine Sehnsucht. Das erste, was ich vom Theater sah, was meine Phantasie entzündete, war ein bunter Abend mit Zauberern, Musicalclowns, Coupletsängern, dressierten Tauben und Hunden. Das Drumherum dieser Vorstellung hätte armseliger und phantastischer nicht sein können. Im Krieg – ein Gasthaussaal, wo die Welt mit Brettern vernagelt war; das Publikum war das abenteuerliche Resultat einer abenteuerlichen Situation – Soldaten, englische und russische Gefangene und Einheimische, also zehn Honoratioren und die Bauern aus Kemmating. Ich war sieben Jahre und hatte von meinen Eltern erreicht, mitgenommen zu werden. Das muss meine erste große Liebe gewesen sein. Ich habe mein Gefühl für diese kleine Form des Theaters nie vergessen und bin glücklich, sie für mich in der großen Welt des Theaters immer wieder zu entdecken. Ich bin sehr dankbar, dass alles für mich aus diesem Blickwinkel begonnen hat. Shakespeare, Schubert, Mozart und Picasso – und die Duse: die Größten wissen alles aus ACHTUNG f für den Abend mit au Der Vorverk u am 31. Dezember ta el Michael H egonnen! b ts ei hat ber dem Kleinen. Ich kann nicht seriös sagen, wie groß die Künstler damals waren; groß genug, meine bereite Phantasie zu entzünden. Ich erfülle mir einen Kindheitstraum und hoffentlich bleibe ich nicht hemmend hinter Ihrer Phantasie zurück. Statt zu spielen Michael Heltau und die Wiener Theatermusiker Buch und Gestaltung: Loek Huisman Arrangements, Musikalische Leitung: Tscho Theissing Mit Michael Heltau und Franz Bauer, Otmar Binder, Roman Bisanz, Lenny Dickson, Peter Gallaun, Klaus Gesing, Bettina Gradinger, Horst Hausleitner, Benedikt Leitner, Gabriela Mossyrsch, Lorenz Raab, Maria Reiter, Tscho Theissing H Premiere am 20. November 2007 im BURGTHEATER »Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.« Arthur Schnitzler Saison 2007/2008 Akademietheater 14 Tragödie der Eindeutigkeit Ein Interview mit Lukas Bärfuss über sein Stück »Die Probe (Der brave Simon Korach)« Er ist ein Spezialist für ungelöste Gegenwartsfragen. Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Dramatikern unserer Zeit, auch, weil es ihm immer wieder gelingt Theater in eine ethische Recherche zu überführen, die in die Problemzonen unserer Moderne vorzudringen vermag. Sein neues Stück »Die Probe (Der brave Simon Korach)«, in der ein Speicheltropfen die Erosion einer Familie herbeiführt, erlebt am 30. November 2007 im Akademietheater seine österreichische Erstauf führung. Regie führt Nicolas Brieger. Ein Auszug aus einem Gespräch mit Lukas Bärfuss, das Judith Gerstenberg mit ihm für das Programmheft führte. Ihr erster Theatertext war eine Bearbeitung des Oedipus-Stoffes. Mit »Die Probe« greifen Sie diesen Stoff erneut auf, wenn auch unter anderen Vorzeichen und einer geänderten Dramaturgie. Zu Beginn des Stückes erfährt Peter Korach, dass er nicht der Vater seines Sohnes ist. Die Suche nach dem Vater scheint Sie umzutreiben. Mich interessiert, wie sich dieses Motiv durch die abendländische Theaterliteratur zieht, von Sophokles über Ibsen bis hin in unsere heutige Zeit. »Wer bin ich? Woher komme ich?« und vor allem: »Welche Bedeutung hat das für mich?« – das sind Kernfragen unserer Identität. Bislang war der Zweifel für dieses Problem konstituierend, der Umstand, nicht sicher wissen zu können, wer der Vater ist. Die Möglichkeiten dieser Suche haben sich durch den genetischen Vaterschaftstest radikal verändert. Durch ihn lässt sich die Frage nach dem Vater zweifelsfrei beantworten. Diese neue Volte in einem sehr alten Stoff ist mit allem, was daraus folgt, sehr wirkungsmächtig für die Bühne. Dabei interessiert mich nicht die derzeit in der Öffentlichkeit geführte Diskussion, ob und unter welchen Bedingungen man diese Tests durchführen darf oder nicht, nicht das moralische Für und Wider, sondern das Faktum, das durch sie geschaffen wird. Es besteht nun eine Möglichkeit, Zweifel auszuräumen, und sie wird genutzt. Wirft einen dieser Test nicht generell auf die Frage zurück, was wir unter Vaterschaft verstehen? Sie ist ja vielleicht überhaupt eher eine kulturelle Erfindung. Das ist sie. Aber Peter Korach, der erfahren hat, dass er nicht der biologische Vater seines Kindes ist, hat genau damit ein Problem. Denn wenn er anerkennt, dass er nur der soziale Vater seines Sohnes ist und nicht der biologische, dann müsste er sich mit dieser Rolle auseinandersetzen. Wenn die biologische Vaterschaft wegfällt, bleibt nichts übrig als die Vaterschaft als kulturelles Konstrukt, und das ist etwas, das gestaltet werden will. Das Erbe ist dann nicht vorgegeben, es wird formbar. Peter Korach müsste sich befragen, was er diesem Kind mitgeben will, welche Werte, welche Ansichten seines Lebens. Und das macht er nicht. Trotzdem sprechen neuere Untersuchungen in dieser Frage der Biologie wieder ein großes Gewicht zu, behaupten, dass die genetischen Einflüsse sich doch gegen soziale Einflüsse durchsetzen. Man denke an die Zwillingsforschung. Auch der DNA-Test verkauft ja sein Resultat als Mitteilung darüber. Es ist die Mitteilung, ob die Gene übereinstimmen. Dieses Wissen zeitigt eine unglaubliche Wirkung, aber es ist nicht lebbar. Es ist wie der Klotz, der in der Wohnung steht und einen am Leben behindert. Die gesellschaftlichen Folgen sind nicht absehbar, aber ich denke, das Bild der Familie wird sich verändern. Den Seitensprung wird es immer geben, und deshalb auch die Kuckuckskinder. Ich glaube nicht, dass der Vaterschaftstest als moderner Keuschheitsgürtel funktionieren wird. Er wird den Frauen eine größere Ehrlichkeit abverlangen – und damit die Männer vor die Frage stellen, was sie als Vater darstellen wollen. Wollen sie ein Kind aufziehen oder ihren Genpool weitergeben? Bei Letzterem könnten die Männer ja einfach zur Samenbank rennen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mann die Einflussnahme auf ein Kind, die Macht auch, die darin liegt, wird abgeben wollen. Andererseits entschuldigt die Biologie: mein Kind ist zwar hässlich und dumm, aber es ist meines, und ich trage dafür die Verantwortung. Wenn es darauf nicht ankommt, warum sollte man sich nicht ein Schönes und Kluges suchen, um es aufzuziehen? Sie nennen »Die Probe« eine Tragödie der Eindeutigkeit. Ja, weil es keine Umstände gibt. Keine Frage: warum ist etwas geschehen? Das Resultat, nicht der Vater des Kindes zu sein, ist ein nacktes Faktum. Und als solches steht es am Anfang des Stückes. Doch mit einem nackten Faktum umzugehen, haben wir nicht gelernt. Wir leben in einer Kultur, die gerade den Zweifel zum Paradigma gemacht hat. Unser Rechtssystem beruht auf den Umständen, die reine Tat gibt es nicht. Das Motiv, warum jemand zum Beispiel einen Mord begeht, bewertet seine Tat. Ist es Totschlag, fahrlässige oder eventualvorsätzliche Tötung, geschah die Tat im Affekt oder war sie geplant? Und weil es keine reine Tatsachenbewertung gibt, gibt es Appellationsmöglichkeiten, im Wissen, dass eine Bewertung abhängig vom jeweiligen Standpunkt ist. Aber diese DNA-Probe gibt vor, nicht parteiisch zu sein. Sie stellt fest, aber sie verteilt letztlich keine Verantwortung. Deshalb schwingt für mich im Titel auch die Gottesprobe mit. »Wir werfen dich ins Wasser, wenn du nicht untergehst, bist du schuldig.« Schuldig, aber nicht verantwortlich. In meinem Stück gibt es keine Auseinandersetzung, was mit dem Kind geschehen soll. Es ist zwar der Grund und der Auslöser für die ganze Aufregung, und gleichzeitig spielt es keine Rolle, weil die Probe ihm keine Rolle zuweist. Wir sehen nur Erwachsene, die um ihre eigene Befindlichkeit kreisen. Was schrecklich ist, und auch sehr komisch und existentiell. Denn Sie zeigen die Figuren in einem Kampf ihre Handlungsfreiheit zu behaupten. Diese Frage nach der persönlichen Freiheit, die Sie einmal als letzten Glaubensartikel unserer Gesellschaft bezeichnet haben, ist durchgängig in Ihren dramatischen Texten Thema. Vielleicht, weil ich nicht weiß, wie diese persönliche Freiheit genau aussieht. Ich kenne niemanden, der sich frei zu seiner Biographie entschieden hätte. Wichtiger noch als die persönliche Freiheit scheint mir aber der Wille, und dieser verträgt sich oft nicht mit der Er- 2007/2008 Saison Akademietheater 15 Bühne mit dem ursächlich Menschlichen deckt. Wenn jemand auf die Bühne kommt und sagt: »Ich bin klug«, dann halten wir ihn für dumm. Wenn aber die anderen über ihn sagen, er sei klug, dann halten wir ihn für klug. Den König machen die anderen, wie man so sagt. Die Einsamkeit der Figuren entsteht, weil sie versuchen, sich selbst diesen Status zu geben. Und das gelingt keinem. Ich würde gerne noch einmal zurückkommen auf das Thema des Stückes. Es ist ja keines über den Vaterschaftstest. Dieser ist nur der Auslöser des ganzen Verlaufs. Lukas Bärfuss wartung, wie diese Menschen sich zu benehmen haben. Mich interessiert dabei weniger, warum wir wollen, was wir wollen, sondern, was es auslöst, wenn wir etwas wollen, das für uns nicht vorgesehen ist. Darin läge doch die wirkliche Freiheit: dass ich mir etwas nehmen kann, was nicht vorgesehen ist, dass ich mein Leben gestalten kann, anders als es der Notwendigkeit entspricht. Peter Korach fügt sich nicht in seine Rolle. Er revoltiert gegen das Ergebnis. Sind sich Ihre Figuren dieses Konfliktfeldes bewusst? Sie versuchen ja ständig, sich ein ander zu erklären. Sie kämpfen um ihren Status, um die Anerkennung der anderen. Was wir sind, sind wir nicht alleine aus uns selbst heraus. Wir brauchen die Zustimmung des anderen, damit wir sein können, was wir sein wollen. Wir sind soziale Produkte. Die Komik entsteht, weil sich die Figuren diese Anerkennung nicht zubilligen. Eine Grundlüge unserer Gesellschaft besteht ja in diesem »You can get it if you really want« – du kannst alles kriegen, wenn du es nur willst. Aber in Wahrheit müsste es doch heißen: »You can get it if we really want«. Du kriegst es, wenn wir es wollen. Was ich sein kann, bestimmen die anderen. Ich versuche in meinen Stücken zu zeigen, dass sich das ursächlich Theatrale auf der Saison 2007/2008 Ja, mich hat auch in »Der Bus« nicht die Religion oder in »Die sexuellen Neurosen unserer Eltern« die Sexualität Behinderter so sehr interessiert. Mich interessiert viel mehr, wie sich die Menschen im Angesicht einer unlösbaren Problemlage verhalten. Die Qualität Ihrer Stücke besteht aber auch gerade darin, die Unlösbarkeit dieser Probleme aufzuzeigen. Daher formulieren Sie nie einen konkreten Einzelfall, sondern konstruieren eine Wirklichkeit auf der Bühne, die auf das System verweist, in dem es stattfindet. Dieses Konstrukt scheint auf den ersten Blick so klar, dass man geneigt ist, es zu unterschätzen. Doch, scheint mir, Sie stecken die Ausgangslage bewusst so klar ab, weil es noch kompliziert genug wird. Nur die kleinen Probleme sind kompliziert, die großen sind schrecklich einfach. Was ist kompliziert am Tod? Nichts, und trotzdem ist er unlösbar. Das interessiert mich. Deshalb möchte ich einfache Stücke schreiben, einfach und unlösbar. Der Untertitel lautet: »Der brave Simon Korach«. Wenn man weiß, dass die Untertitel Ihrer Stücke die versteckten eigentlichen Titel sind, überrascht es vielleicht, dass er nicht Peter Korach nennt, sondern den Vater des Gehörnten, den Großvater des Kuckuckskindes. Simon Korach ist deshalb für mich das eigentliche Schmerzzentrum, weil er sich nicht nur fragen muss, was habe ich von meinem Vater, sondern: Was gebe ich weiter? Er hat ja die Wahl. Er hat einen geformten Sohn, den als Wahlhelfer angenommenen Franzeck, der alles in seinem Sinne macht, und auf der anderen Seite hat er seinen vermutlich biologischen Sohn Peter, der nichts von ihm annimmt. In dem Moment, in dem Peter stirbt, muss Simon sich fragen, was von ihm bleiben wird, von seinen Wertvorstellungen, seiner Sicht auf das Leben. Franzeck, der soziale Sohn, reicht ihm nicht. Er wird wieder zum Säufer heruntergestuft und zerstört. Da Simon sein biologisches Erbe nicht retten konnte, vernichtet er nun auch seine soziale Hinterlassenschaft. Auch wenn sein leiblicher Sohn ihm nicht hilft, ihn nicht anerkennt als Politiker, ihm so gar nicht nachstrebt, kann er noch die Hoffnung haben, dass sich seine besten Eigenschaften im dritten, vierten Glied fortpflanzen. Aber einen Enkel hat er ja nun auch nicht mehr. Seine Familie stirbt aus. Sie dringen mit Ihren Theatertexten systematisch in den Problemkern unserer Moderne vor. Welche Wirkungsmacht sprechen Sie dem Theater zu? Meine Liebe zum Theater nährt sich letztlich an der unausrottbaren Lust anders zu sein, sich zu verkleiden, zu verstellen, in einer fremden Sprache zu sprechen. Dieses wunderbare Paradox, dass Theater eine Künstlichkeit behauptet, die doch nur unsere Wirklichkeit ist. Das zweite, wunderbare Paradox, dass Schauspieler acht oder zehn Wochen proben, um glaubwürdig vorgeben zu können, sie würden ihre Geschichte nicht reproduzieren, was sie tatsächlich nicht tun. Die vergehende Zeit, den Verfall, die Einzigartigkeit des Moments, seine Verletzlichkeit, das liebe ich am Theater. Und schließlich die Öffentlichkeit. Dass wir uns gemeinsam diesen unbeantwortbaren Fragen stellen und uns in diesem Unverständnis treffen können. Die Probe (Der brave Simon Korach) von Lukas Bärfuss Regie: Nicolas Brieger Bühne: Raimund Bauer Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer Licht: Felix Dreyer Mit Sabine Haupt, Barbara Petritsch; Dietmar König, Roland Koch, Michael König H Premiere / Österreichische Erstaufführung am 30. November 2007 im AKADEMIETHEATER Die Gegenwartsdramatik wird unterstützt von Akademietheater 16 Die Brüder Karamasow Leben in Auflösung – das Drama der Freiheit Familientragödie, Entwicklungsroman, Krimi, Geschichte eines Justizirrtums, sozialpsychologisches Drama, anrührende Erzählung über Kinder, Liebesgeschichte und Eifersuchtsdrama: Dostojewskijs letzter Roman »Die Brüder Karamasow« sind eigentlich mehrere Bücher in einem und eine Synthese aller seiner früheren Werke. Der Regisseur Nicolas Stemann, der in den vergangenen Spielzeiten mit großem Erfolg »Das Werk« und »Babel« von Elfriede Jelinek im Akademietheater zur Uraufführung brachte, wird »Die Brüder Karamasow« in Szene setzen. Im Folgenden drucken wir Auszüge aus zwei Aufsätzen von Ilma Rakusa. Die Schriftstellerin und Übersetzerin ist Lehrbeauftragte für südslawische und russische Literatur an der Universität Zürich und hat sich in zahlreichen Publikationen mit dem Werk Dostojewskijs auseinandergesetzt. »Nach den Karamasows (und beim Lesen derselben) habe ich immer wieder mit Grauen um mich geblickt und mich gewundert, daß alles noch beim Alten war ... In ihnen ist so viel Prophetisches, Feuriges, Apokalyptisches, daß es unmöglich erscheint, da zu verharren, wo wir gestern waren, alte Gefühle zu hegen und an etwas anderes zu denken als an den Tag des Jüngsten Gerichts.« Dies schrieb der Maler Iwan Kramskoi kurz nach Erscheinen von Dostojewskijs letztem Roman. Sigmund Freud bezeichnete »Die Brüder Karamasow« 1927 als den »großartigsten Roman, der je geschrieben wurde«, die »Episode des Großinquisitors« als »eine der Höchstleistungen der Weltliteratur, kaum zu überschätzen«. Literaturwissenschafter sahen in den »Brüdern Karamasow« die Vollendung des »psychologisch-ideologischen polyphonen Romans« und eine Synthese aller früheren Werke des Autors. Obwohl die Fabel auf einem Vatermord basiert, was dem Buch die spannenden Züge eines Kriminalromans verleiht, geht Bei der Leseprobe es Dostojewskij in erster Linie um ein sozial-psychologisch-ideologisches Drama: die Karamasow-Familie als »Mikrokosmos« reflektiert sämtliche Widersprüche des Menschseins. Und so könnten die Kontraste nicht größer sein: zwischen dem geldgierigen Lebemenschen Fjodor Karamasow und seinen drei ungleichen Söhnen – dem temperamentvoll-launischen Dmitri, dem scharfen Analytiker Iwan und dem sanften Kinderfreund Aljoscha. Nicht zu vergessen der uneheliche Sohn und Lakai Smerdjakow, das rätselhafteste aller Karamasow-Geschöpfe, das zuerst den Vater umbringt und dann sich selbst. Doch damit nicht genug, es gibt die Frauen, denkbar unterschiedlich auch sie: die herrischstolze Katerina Iwanowna, das »infernale Weib« Gruschenka, die koboldhafte Lisa Chochlakowa und die Mutter Smerdjakows, Lisa, »die Stinkende«. Und es gibt – jenseits aller Hysterie – die weise Welt des Starez Sossima und die lichte der Kinder. In keinem andern Roman Dostojewskijs ist die Psychologie der Helden so stark in einen metaphysischen Kontext gebettet. Der Triebmensch Dmitri spricht nicht nur von sich, wenn er gegenüber Aljoscha die »Schönheit« als fatale Bedrohung bezeichnet: »Hier ringen Gott und der Teufel, und der Kampfplatz ist – des Menschen Herz.« Einbrüche des Irrationalen findet man selbst beim Zyniker Fjodor Karamasow; bezeichnend ist allerdings, dass er die Frage nach der Existenz Gottes zwar stellt, die Voltairesche Formel »Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn sich ausdenken« jedoch als Teufelsbeweis, als Diabolodizee, missbraucht. Alle Hauptfiguren des Romans erleben ekstatische Augenblicke. In diesem Her austreten aus sich selbst – in Leidenschaft, Zorn, Eifersucht, Liebe, mystischer Hingabe – entziehen sie sich der Logik des Ratio nalen und betreten eine metaphysische Dimension, mag diese auch – wie bei Iwan – der Wahnsinn sein. Iwan ist zusammen mit Aljoscha und Sossima der Träger der ideologischen Handlung, die mit der von Dmitri dominierten Erzählhandlung in einem komplexen Spannungsverhältnis steht. Ausgerechnet der Nihilist stellt sich die Frage nach der Existenz Gottes und nach den sittlichen Grundlagen der Welt. Ihm auch legt Dostojewskij die Legende vom Großinquisitor in den Mund – nach seinen eigenen Worten das beste Stück Prosa, das er je geschrieben habe, und der »Kulminationspunkt« des Romans. Mit der Niederschrift des Romans begann Dostojewskij wenige Monate nach dem Tod seines jüngsten Sohnes Aljoscha und dem anschließenden Besuch der Einsiede- Akademietheater 17 lei Optina Pustyn, Ende Sommer 1878; er beendete sie zwei Monate vor seinem eigenen Tod, im November 1880. Die Entstehungsgeschichte der »Brüder Karamasow« (soweit sie aus den erhalten gebliebenen Entwürfen rekonstruierbar ist) umfasst freilich einen größeren Zeitraum: Sie reicht bis ins Jahr 1876 zurück. Die Genese einzelner Themen und Motive lässt sich noch weiter zurückverfolgen. So stand für den angeblichen Vatermörder Dmitri ein ehemaliger Mithäftling Dostojewskijs in Omsk Pate, der Unterleutnant a. D. Iljinski, der, wegen Vatermordes verurteilt, zehn Jahre unschuldig im Zuchthaus verbrachte, bis man den wirklichen Täter fand. Dostojewskij berichtete über Iljinski in den Aufzeichnungen aus einem Totenhaus und entwarf 1874 den Plan zu einem Drama à la Iljinski, in welchem der jüngere von zwei Brüdern, der den älteren heimlich um seine Braut beneidet, seinen Mord am Vater so geschickt kaschiert, dass die Schuld auf den mit dem Vater wegen einer Erbschaftsangelegenheit zerstrittenen älteren fällt, der zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Nach Ablauf der Frist bekennt der jüngere seine Schuld und begibt sich auf den verdienten Leidensweg, nicht ohne dem älteren seine Familie anzuvertrauen ... Neben dem Problem des Vatermords und des Justizirrtums beschäftigen Dostojewskij, wie aus einem Brief an Christina Altschewskaja vom 9. April 1876 hervorgeht, »die junge Generation und zugleich die moderne russische Familie, die – ich ahne das – beileibe nicht mehr das ist, was sie noch vor zwanzig Jahren war«. Der »zufälligen Fa- milie« hatte Dostojewskij seinen Roman Der Jüngling gewidmet. Jetzt interessierte ihn die Familie im Umbruch: »Unser Leben ist zweifellos in Auflösung begriffen und somit auch die Familie. Doch ist es notgedrungen so, daß sich das Leben neu organisiert, auf neuen Grundlagen. Wer aber bemerkt es, wer weist darauf hin? Wer ist imstande, auch nur ansatzweise die Gesetze dieses Zerfalls und dieser Neuorganisation zu bestimmen, auszudrücken?« Die Sätze stehen in dem als Zeitschrift erschienenen Tagebuch eines Schriftstellers. (Januar 1877), das Dostojewskij als eigentliches »schöpferisches Laboratorium« für die Brüder Karamasow diente. Vor allem Tatsachenmaterial zum Thema Familie und Kind ist über das Tagebuch eines Schriftstellers in den Roman eingegangen, so etwa die Affäre Kroneberg – der Prozess gegen den Bankier Kroneberg wegen unmenschlicher Züchtigung seiner siebenjährigen Tochter (Februar 1876) – die Iwan Karamasow zusammen mit andern Kindsmisshandlungen rekapituliert. Weitere Themen, die Dostojewskij im Tagebuch eines Schriftstellers wie später im Roman behandelt, betreffen die russische Rechtsprechung und die orthodoxe Kirche, Katholizismus und Sozialismus, die allgemeine Vereinzelung als Charakteristikum der gegenwärtigen Gesellschaft und Russlands Verhältnis zum Westen. Ende 1877 stellt Dostojewskij im Hinblick auf eine »künstlerische Arbeit« – gemeint sind die Brüder Karamasow – das Erscheinen der Zeitschrift vorübergehend ein und notiert fast gleichzeitig sein »Memento für das ganze Leben«: »1. Den rus- sischen Candide schreiben. 2. Ein Buch über Jesus Christus schreiben. 3. Meine Erinnerungen schreiben. 4. Ein Poem Die Totenfeier schreiben.« Vor allem der Plan eines russischen Candide und eines Buches über Jesus Christus ist in den Brüdern Karamasow teilweise realisiert worden. Dostojewskij hat in seinem letzten Roman mehr Gegensätze verarbeitet und mehr Perspektiven eröffnet als je zuvor: Sein modernes Familienepos kennt die archetypischen Abgründe antiker Tragödien und rührt zugleich an eine mystische Weltsicht, die jeden Widerspruch transzendiert. Wer sich mit diesem Werk auseinandersetzt, durchmisst Welten und Stile und wird zum Zeugen eines kompositorischen Raffinements sondergleichen. Zitiert aus Ilma Rakusas Nachwort zur Übersetzung von E. K. Rahsin, München-Zürich 1985 und aus ihrem Artikel »Genauigkeit über alles – Swetlana Geiers Neuübersetzung der Brüder Karamasow«, Neue Zürcher Zeitung, 06.03.2004 Die Brüder Karamasow von Fjodor M. Dostojewskij Regie: Nicolas Stemann Bühne: Katrin Nottrodt Kostüme: Aino Laberenz Musik: Thomas Kürstner / Sebastian Vogel Licht: Rainer Casper Video: Claudia Lehmann Mit Sachiko Hara, Myriam Schröder, Mareike Sedl, Adina Vetter; Philipp Hochmair, Hans Dieter Knebel, Thomas Lawinky, Rudolf Melichar, Joachim Meyerhoff, Sebastian Rudolph, Hermann Scheidleder, Martin Schwab H Premiere am 22. Dezember 2007 im AKADEMIETHEATER Kasino 18 Damenbekanntschaften von Lotte Ingrisch »Damenbekanntschaften« – dieser un scheinbare und doch vielsagende Titel bezeichnet eine kleine und zugleich ver blüffend großartige Tetralogie, in der es durchaus schicksalhaft zugeht. Nicht dröhnend, nicht dräuend, nicht mächtig aufschäumend, vielmehr leise boshaft, sanft spitz, zartbitter und schließlich, naturgemäß, lächelnd tödlich. Lotte Ingrischs minutiös genauer Blick erkennt in den seelischen Schlampereien der intimen Beziehungen eine genaue Ordnung, nämlich die des alltäglichen subtilen Seelenkrieges zwischen Menschen. Zwischen Menschen, die nichts voneinander wissen, auch wenn sie ein Leben lang nebeneinander leben, die sich aneinanderketten, ineinander verkrallen, ihr Glück zu erzwingen suchen und somit immer wieder verlieren. Das ewige Spiel von Sein und Schein – hier wird’s gerade in der Beiläufigkeit zum Ereignis. Die kleinen Monster – nämlich Menschen wie Du und Ich –, die Lotte Ingrisch aufeinander loslässt, haben durchaus Sprachbewusstsein und damit auch eine selbstironische Komik. Aus dieser einfühlsamen Nähe (Lotte Ingrischs Regieanweisungen sind ein Kabinettstück der Charakterisierung für sich) entsteht ein Dialog, der feinste Nuancen der Schauspielkunst ermöglicht. Lotte Ingrischs Wort-Noten sind jener Stoff, aus dem ein köstliches mimisch gestisches Wort-Musizieren zwischen einer Schauspielerin und einem Schauspieler geschaffen werden kann. Melancholie und Misanthropie scheinen das Leben dieser acht Lebenskünstler, die ebenso absolute Nicht-Lebenskünstler sind, zu grundieren. Aus diesen Ingredienzien entsteht tatsächlich unversehens, so möchte ich es nennen, ingeniöses Novellentheater. Der authentische Klang speist sich, so paradox es klingen mag, von Ferne her, nämlich von Nestroy und Raimund her, auch eine Dreingabe grotesker Phantasie à la Herzmanovsky-Orlando lässt sich herausschmecken. Das Eigentümliche dieser bizarren Theaterminiaturen aber ist ein raffiniert elegantes Amalgam aus Leichtsinn und Tiefsinn, Vergangenheit und Ge- genwart. Gemäß Hofmannsthals Maxime, das Geheimnis an der Oberfläche zu verstecken. Der Tonfall ist also gewiss wienerisch, in der Folgerichtigkeit des alltäglichen Schreckens hingegen durchaus allgemeingültig. Allgemeingültig, weil Lotte Ingrisch bei ihren Figuren jene giftige Krankheit diagnostiziert, die zur lebensgefährlichsten aller Epidemien mutieren könnte: die Lebenslüge. Die Virtuosität dieses Novellentheaters liegt in der Leichtigkeit der unerwarteten Ereignisse. Eine rosa Wolke des Glücks, eine Redefloskel, eine vermeintlich schöne Aussicht, eine quälend lange Stille – auch das können unerwartete Ereignisse sein, die alles verwandeln. Wer will nicht, wenigstens gelegentlich, einmal ein ganz an- derer sein, als er eben ist. Und gibt sich bereitwillig den Täuschungen und Selbsttäuschungen hin. Davon handeln Lotte Ingrischs vier kauzig feine, wundersam komische Einakter. Hermann Beil, 2005 Damenbekanntschaften von Lotte Ingrisch Regie: Elisabeth Augustin Bühne: Viktoria Rautscher Kostüme: Elke Gattinger Musik: Claus Riedl Video: Armin Luttenberger Mit Ulli Fessl, Brigitta Furgler, Sylvia Haider, Dunja Sowinetz, Bibiana Zeller; Detlev Eckstein, Florentin Groll, Peter Wolfsberger, Heinz Zuber H Premiere am 5. Dezember 2007 in der KASINOBar 2007/2008 Saison Kasino 19 Rückschau auf die Werkstatttage 07 , die Talente« »Es gibt sie also Der Standard Acht junge Autorinnen und Autoren hatten heuer im Oktober wieder die Möglichkeit, im Burgtheater gemeinsam mit Schauspielern, Regisseuren, Dramaturgen und weiteren Theaterexperten an ihren noch unfertigen Stücken zu arbeiten. Am Ende dieser 14 Tage voller Diskussionen, Lesungen, Proben und viel Schreib tischarbeit stand die WerkstattNacht. Im ausverkauften Kasino erlebten die Zu schauer die Präsentation der aktuellen Arbeitsstände der Texte von Dorothee Brix, Ann-Christin Focke, Alexandra Helmig, Stephan Lack, Andreas Lieb mann, Philipp Löhle, Charlotte Roos und Katharina Schmitt. Das Burgtheater veranstaltet die Werkstatttage gemeinsam mit dem Deutschen Literaturfonds, Darmstadt, in Zusammenarbeit mit der Literarmechana, Wien und Pro Helvetia. 1. Beim ersten Treffen: Die Teilnehmer der Werkstatttage haben im Kasino jede Menge Fragen zu klären, bevor Autoren, Regisseure und Schauspieler ins Gespräch kommen. 6. Dorothee Brix arbeitet gemeinsam mit dem Regisseur Michael Talke an ihrem Stück »Drei Frauen«. 2. David Oberkogler (Ensemble) mit der Autorin von »Argentinien«, Alexandra Helmig, und dem Autor von »Die Toten von Heilbronn«, Andreas Liebmann (rechts). 7. WerkstattNacht: Die Regisseurin EvaMaria Baumeister (links) und die Autorin Katharina Schmitt beschreiben vor der Präsentation ihre gemeinsam Arbeit am Stück »Platz der Republik«. 3. Leseprobe: Der Autor Stephan Lack bespricht mit den Schauspielern die aktuellen Textänderungen in seinem Stück »Lichtscheu«. 8. Ann-Christin Focke bittet das Publikum um Anregungen für einen neuen Titel ihres Stückes, das bei der WerkstattNacht noch »Versuch einer Liebesgeschichte« heißt. 4. Arbeitsprobe im Kasino: Schauspieler, Regisseure und Autoren vergleichen und diskutieren die Arbeitsstände. 9. Julia Hartmann, Elisa Seydel und Michael Masula lesen aus Charlotte Roos' Stück »Allergie«. 5. Am Regietisch: Der Autor Philipp Löhle und der Regisseur Sebastian Hirn besprechen die Textauswahl für die Präsentation von »Lilly Link«. 10. Schlussapplaus: 26 Schauspieler, vier Regisseure und die acht Autorinnen und Autoren beim Bedanken nach der erfolgreichen 5. WerkstattNacht am 14. Oktober 2007. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Saison 2007/2008 Die Feiertage 20 Frohes Fest im Burgtheater Unser Programm an den Weihnachtsfeiertagen, zu Silvester und Neujahr Außerdem: Der Weihnachts-Zyklus als Geschenk und Theater für Kinder im Advent nken! ++ + »Arsen und Spitzen lbstsche Theaterabende zum Ver- und Se + ei Dr ++ s klu Zy tsch na eih Der W Der Löwe im Winter von James Goldman »Eine herzerwärmende, rosige Zeit. Der Glühwein dampft, die Holzscheite glühen, und wir werden als Festtagsbraten geröstet.« Henry, dessen Kräfte langsam schwinden, hat im Laufe seines Lebens ein Imperium aufgebaut. Die drei Söhne träumen vom Ende der väterlichen Herrschaft. Auf einem Familientreffen bricht ein hemmungsloser Kampf aller gegen alle aus. Welcher der Söhne hat mehr Recht darauf, die Macht zu übernehmen? Der jüngste, vom Vater vorgezogene John, der kluge, stets seinen Vorteil suchende Geoffrey, oder Richard, der älteste, mit der meisten Erfahrung? Am 23. und 25. Dezember 2007 im BURGTHEATER Arsen und Spitzenhäubchen von Joseph Kesselring »Es ist friedlich bei uns, nicht wahr?« – Mit ihrer Einschätzung stehen die Schwestern Martha und Abby Brewster recht alleine da. Die beiden liebenswerten Tanten haben aus »reiner Nächstenliebe« mehr als eine Leiche im Keller begraben – im wahrsten Sinne des Wortes. Schlechte Aussichten für den Neffen Mortimer, der doch nichts anderes will als die Pfarrerstochter von nebenan heiraten und sich jetzt in den Wirren der absurdesten Kriminalgeschichte aller Zeiten wiederfindet. Am 23. und 25. Dezember 2007 im AKADEMIETHEATER Wallenstein von Friedrich Schiller »Wär’s möglich? Könnt ich nicht mehr, wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mir’s beliebt? Ich müsste die Tat vollbringen, weil ich sie gedacht?« Schiller hat einen entscheidenden Augenblick des Dreißigjährigen Krieges in das gewaltige Panorama einer Trilogie gefasst, beginnend mit dem, was des »verwegenen« Heerführers Macht ausmacht, der Soldateska in »Wallensteins Lager«, vorangetrieben über den Konflikt seiner Gefolgsleute, der Generäle, in »Die Piccolomini« bis hin zu seiner Ermordung in »Wallensteins Tod«. Am 26. Dezember 2007 im BURGTHEATER Weihnachts-Zyklus Die Weihnachtsgans Auguste Pauline Knof liest zum Advent aus Friedrich Wolfs Kinderbuch Der guten Gans Auguste ist zu Weihnachten das triste Schicksal aller Weihnachtsgänse zugedacht – sie soll als Festbraten der Familie auf dem Teller enden. Doch Vater Löwenhaupt hat nicht mit dem hartnäckigen kleinen Peter gerechnet. Pauline Knof wird in ihrer Lesung musikalisch auf der Klarinette von Otmar Klein begleitet. Ab 1. Dezember 2007 im VESTIBÜL Kirsten Dene, Peter Simonischek und Libgart Schwarz in 2007/2008 Saison »Arsen und Spitzenhäubchen« im Burgtheater 21 de bis En t r o f o Ab s erhältlich! Jänner »Gehasste Geliebte« nhäubchen«, »Der Sturm« und ++ + Von 18,90 bis 129,60 Euro Sturm Romeo und Julia »Als du roher Mensch noch von dir selbst nichts wußtest, geschnattert hast nur wie ein Vieh, da gab ich deinem Stumpfsinn Worte, dich zu erklärn. Doch an solch einer niedrigen Natur scheitert jede höhre Liebe zur Kultur.« In seinem letzten Stück erfindet Shakespeare sich selbst eine Welt, in der der Antagonismus von Tragödie und Komödie aufgehoben ist. Diese Welt ist die Insel, das Theater, die Welt. Das ganze Stück ist eine Idee in Prospero-Shakespeares Kopf, ein Blatt Papier. Alle Herrschaftsspiele werden noch einmal durchlaufen, Erkenntnisse der eigenen Unzulänglichkeit und Bereitschaft zum Tod gefunden. »Oje, dass Liebe, von Natur aus blind, uns dahin trifft, wo wir verletzbar sind.« von William Shakespeare Am 26. Dezember 2007 im AKADEMIETHEATER Weihnachts-Zyklus von William Shakespeare Romeo und Julia sind das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur. Shakespeare griff den Stoff aus der italienischen Novellen literatur auf, verlegte ihn in die Frührenaissance, die Zeit der Pest, und komprimierte das Geschehen auf nur vier Tage. Heiraten, Duelle, Tode und Versöhnungen skandieren den Gang der Ereignisse ebenso plötzlich wie unwiderruflich. Bis heute stellt die Geschichte von Romeo und Julia ein mythisches Versprechen dar, das die Erzählung der schicksalhaften, wahren und unerschütterbaren Liebe in Umlauf hält. Am 30. Dezember 2007 und 1. Jänner 2008 im BURGTHEATER Das purpurne Muttermal von René Pollesch »Wir können das Spiel nicht leben, wir sind nicht so konstruiert, jedenfalls nicht mit den Geschichten, die wir bewohnen müssen. – Hat jemand ein Aspirin für mich?« René Polleschs Stück, das mit dem »Nestroy« als »Bestes Stück« ausgezeichnet wird, ist eine Theaterkomödie, in der jeder das nicht Nachvollziehbare leicht nachvollziehbar zu machen versteht, und zudem eine Ehekomödie, in der jedes anständige Verhalten Selbstzerstörung ist und sich alle lächerlich machen, und trotzdem jeder an dem diffusen Bereich festhält, der scheinbar allen zugänglich ist, und vor dem alle gleich sind: die Liebe. Am 31. Dezember 2007 und 1. Jänner 2008 im AKADEMIETHEATER Gehasste Geliebte mit Elisabeth Orth und Peter Simonischek Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Adele Sandrock und Arthur Schnitzler erlauben einen vergnüglichen Einblick in das Seelenleben der beiden exaltierten Künstler und ihre überaus komplizierte Beziehung zueinander: eine Beziehung beherrscht von Launen, geprägt von einem beständigen Wechsel der Einstellungen, gelebt von Augenblick zu Augenblick. Am 3. / 7. und 10. Dezember 2007 im BURGTHEATER Weihnachts-Zyklus r: rgtheate d im Bu n e b a r te es Am Silv elen« i p s u z t »Staaetl Heltau atermusiker Mich Wiener The und die Saison 2007/2008 Joachim Meyerhoff und Maria Happel in »Sturm« Porträt 23 Nachgefragt: Markus Meyer, Schauspieler Was wäre für Sie das größte Unglück? Wo möchten Sie leben? Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Ihre liebste Romanheldin? Ihr liebster Romanheld? Ihre Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit? Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit? Ihre Lieblingshelden in der Dichtung? Ihre Lieblingsmaler? Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten? Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten? Ihre Lieblingstugend? Ihre Lieblingsbeschäftigung? Wer oder was hätten Sie sein mögen? Ihr Hauptcharakterzug? Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten? Ihr größter Fehler? Ihr Traum vom Glück? Was möchten Sie sein? Ihre Lieblingsfarbe? Ihre Lieblingsblume? Ihr Lieblingshund? Ihr Lieblingsschriftsteller? Ihr Lieblingslyriker? Ihr Lieblingsdramatiker? Ihr Lieblingsstück? Ihre Heldinnen und Helden in der Geschichte? Ihre Lieblingsnamen? Was verabscheuen Sie am meisten? Welche geschichtlichen Gestalten verachten Sie am meisten? Welche militärischen Leistungen bewundern Sie am meisten? Welche Reform bewundern Sie am meisten? Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Wie möchten Sie sterben? Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Ihr Motto? Saison 2007/2008 Der Verlust eines geliebten Menschen In einem Haus am Mittelmeer Zufriedenheit Diejenigen, die niemandem wehtun Pippi Langstrumpf, Marguerite Gauthier Victor Báton Alle liebevollen Mütter, insbesondere meine Mutter Alle liebenswerten Väter, insbesondere mein Vater Odysseus Toulouse-Lautrec, Jasper Johns, Cézanne Humor, Intelligenz, Sensibilität, Entschlossenheit, Energie Humor, Wärme, Weiblichkeit Güte, Bescheidenheit Meine Zeit mit lieben Menschen zu verbringen Das ist mein Geheimnis! Ich bin ein zweckpessimistischer Optimist Warmherzigkeit, Ehrlichkeit, Echtheit Ungeduld Ist ein sich ständig wandelnder und bleibt mein Geheimnis! Ich bin auf dem Weg dorthin! Blau Tulpe Bine Emmanuel Bove, F. S. Fitzgerald Neruda, Trakl, Celan, Rilke, Kästner Ibsen, Tschechow, Lessing, Strauß Gespenster Jesus, Hildegard von Bingen, Sophie Scholl Lukas, Lennard, Justus, Leonie Gewalt Alle Tyrannen Diejenigen, die ohne Gewaltanwendung zum Frieden in der Welt beitragen. Eine jede, die jede Art von Diskriminierung und Missbrauch aufhebt. Sprachen schnell zu lernen – denn Kommunikation ist alles. Ohne Schmerzen, in einem Moment des Glücks Das Theater muss (endlich wieder) so berührend werden wie das Leben! Lebe! Liebe! Über Umwege kam Markus Meyer ans Theater. Der 1971 in Cloppen burg Geborene schloss zunächst sein Studium der Biochemie ab, bevor er die Schauspielschule »Ernst Busch« in Berlin besuchte. Direkt von der Schauspielschule wurde er ans Berliner Ensemble engagiert und kam 2003 ans Wiener Burg theater. Hier debütierte er als Brick in »Die Katze auf dem heißen Blechdach« in der Regie von Andrea Breth, mit der er auch in »Minna von Barnhelm« arbeitete. Die dritte gemeinsame Arbeit mit Andrea Breth beginnt diesen Herbst mit den Proben zu »Motor town« von Simon Stephens. Die Premiere findet am 31. Jänner 2008 im Akademietheater statt. Markus Meyer war in »Hamlet³« von Árpád Schilling, in »Boulevard Sevastopol« von Igor Bauersima, »Die Unvernünftigen sterben aus« von Peter Handke und in »Sputnik Sweetheart« von Haruki Murakami zu sehen. Er wirkt in zahlreichen Hörbüchern, Hörspielen sowie in Lesungen des Burgtheaters mit. In seinem Soloprogramm »Ich trage einen Schatz in mir« liest Markus Meyer aus Briefen des jungen Josef Kainz. Zur Zeit ist er als Franz Flaut in »Ein Sommernachtstraum« in der Regie von Theu Boermans, als Lucio in »Maß für Maß« in der Regie von Karin Beier und als Mercutio in »Romeo und Julia«, inszeniert von Sebastian Hartmann, zu sehen. Ab dem 17. November wird er auch als Richard in »Der Löwe im Winter« in der Regie von Grzegorz Jarzyna auf der Bühne des Burgtheaters stehen. Rund um die Uhr 24 Von 10 bis 14 Uhr: Das Burgtheater probt Das Burgtheater, eines der größten Sprechtheater Europas, ist ein gewaltiger Betrieb, eine große Maschinerie, in der mehr als 600 Menschen sieben Tage pro Woche arbeiten, fast rund um die Uhr. In der Vorspiel-Reihe werfen wir einen Blick in das Innere des Hauses und hinter die Kulissen und berichten in insgesamt fünf Folgen, was dort zwischen 6 und 24 Uhr passiert. Kurz vor 10 Uhr. Im Zuschauerraum des Burgtheaters erklingt seit Minuten immer der gleiche Klavierton. Auf der Bühne steht ein glänzender Bösendorfer-Flügel, der gerade gestimmt wird. Aber auch um das Instrument herum wird konzentriert gearbeitet: Requisiteur Martin Dürr rückt einen Tisch auf die vorgesehene Markierung und drapiert einen Strauß Rosen in einer Vase, Souff leuse Isolde Friedl nimmt ihren Platz in der ersten Reihe ein, und Bühnenmeister Johann Krainz klärt letzte Details mit dem technischen Leiter Heinz Filar. Heute, zwei Tage vor der Premiere, findet die zweite Hauptprobe des Schnitzler-Abends »Gehasste Geliebte« statt. Ein Verantwortlicher der Magistratsabteilung 36 ist anwesend, um zu überprüfen, ob alles, was während der Vorstellung auf der Bühne passieren wird, den Sicherheitsbestimmungen entspricht. Hinter dem Regiepult wartet Wolfgang Wiens, der den Abend eingerichtet hat, mit dem Regieassistenten Michael Höppner auf den Be- ginn der Probe. Burgschauspielerin Elisabeth Orth steht bereits auf der Bühne, Theaterfotograf Georg Soulek nutzt die Gelegenheit, um ein paar Porträtfotos zu machen. »Herr Simonischek bitte auf die Bühne«, tönt der Durchruf der Inspizientin Sonja Schmitzberger durch die Garderoben. Doch der Schauspieler ist ohnehin schon pünktlich auf dem Weg von der Maske zur Probe, die heute bis 14 Uhr angesetzt ist. Diese Produktion steht kurz vor der Premiere, eine andere hat heute den allerersten Probentag: Um elf Uhr beginnt im vierten Stock hinter einer unauffälligen Tür neben einer Garderobe der Galerie versteckt die Leseprobe zu »Die Brüder Karamasow« auf der »Probebühne Volksgartenseite«. Hier haben die Assistenten bereits das Bühnenbildmodell aufgebaut und die Figurinen mit Kostümentwürfen an die Wand geheftet. Die ersten Kannen Kaffee sind schon gekocht, einige Schauspieler blättern bereits neugierig im Textbuch. Während oben gelesen wird, wird sechs Stockwerke tiefer geschweißt und gesägt. Im zweiten Kellergeschoß fliegen die Funken – Günter Jagsch repariert in der Schlosserei die Metallstrebe eines Bühnenbilds. Nebenan kreischt die Kreissäge von Christian Halwachs und Fabrizio Atzara. Sie sägen Latten für die sogenannten »Faulenzer« zurecht, das sind die Holzstützen, die an der Rückseite der Stellwände eines Bühnenbilds angebracht sind. Die Bespannung der Wände besorgt Tapezierer Michael Wimmer. In seiner Werkstatt lagern riesige Stoff- und Moltonrollen, die für Wände und Boden gebraucht werden. Mit der Nähmaschine fertigt er bis zu zwanzig Meter lange Nähte, Fauteuils und Sofas werden von ihm bezogen, und für das Bühnenbild von »Torquato Tasso« hat er den riesigen Zeppelin bespannt. Nur Tapeten sucht man hier vergeblich. »In den 20 Jahren, in denen ich hier arbeite, musste ich bisher erst ein einziges Mal tapezieren«, erklärt Wim- 2007/2008 Saison Rund um die Uhr 25 mer, als ein bärtiger Mann mit einem Gummikopf in der Hand vorbeiläuft. Es ist Herbert Zehetner, der Leiter der Maske, auf dem Weg zu seinem Werkraum. Denn die Maske schminkt und frisiert nicht nur für Proben und Vorstellungen, sondern macht noch vieles mehr: künstliche Körperteile, Glatzen, Narben, klaffende Wunden – alles soll so echt wie möglich wirken und die Schauspieler nicht beim Spielen behindern. Das meiste davon wird aus Latex und Silikon angefertigt, insgesamt sind über 3000 verschiedene Produkte im Einsatz. Auch der abgeschlagene Kopf, der in »Der Meister und Margarita« auf der Bühne zu sehen ist, stammt aus Zehetners Werkstatt. Eine Menge Experimente und Einfallsreichtum waren nötig, damit der Wachskopf im richtigen Moment zu zerfließen beginnt. »Viele neue Techniken habe ich mir aus Hollywoodfilmen abgeschaut und dann selbst nachgemacht.« Alte Techniken, zum Teil sogar noch aus der Barockzeit, werden hingegen bei der Perückenherstellung angewendet. In einem Arbeitsraum im vierten Stock sind zwei Mitarbeiterinnen mit dem Knüpfen von Lockenmähnen und Kurzhaarfrisuren beschäftigt. 40 bis 50 Stunden dauert es, bis so eine Perücke fertig ist. Alle werden nach Maß an- Saison 2007/2008 gefertigt – von jedem Schauspielerkopf gibt es einen Gipsabdruck, auf dem der Haaransatz eingezeichnet ist. So passen die künstlichen Schöpfe immer perfekt. Doch nicht nur die Haare müssen sitzen, sondern auch die Kostüme. Wolfgang Zach ist Leiter der Garderobe und dafür verantwortlich, dass alle Schauspieler und Komparsen bei Probe und Vorstellung in den richtigen Kleidern stecken. Zahllose Hosen, Blusen, Mäntel und Roben – bei »König Ottokar« sind es 18 Kostümwagen voll – müssen für eine Vorstellung gereinigt, hergerichtet, notfalls ausgebessert, auf die einzelnen Garderoben verteilt und den Schauspielern angezogen werden. Bis zu 17 Garderobieren können bei einer Vorstellung im Einsatz sein, danach rotieren zwölf Waschmaschinen und fünf Trockner nahezu im Dauerbetrieb. Den Kleidern wird auf der Bühne oft einiges zugemutet: Theaterblut, Torf, Schlagobers – all diese Flecken müssen wieder aus den empfindlichen Stoffen entfernt werden. »Schweißränder bekommt man am besten mit Wodka raus«, verrät Garderobiere Karalyn Kautzner, die auch unzählige abgerissene Knöpfe wieder annähen muss. Für größere Änderungen, etwa wenn Rollen umbesetzt oder eine Hose weiter gemacht werden müs- sen, greift Repertoireschneiderin Gabriele Empacher zu Nadel und Faden. Zur Kamera greift Michael Tippel von der Multimedia-Abteilung. Vom Mittelrang aus zeichnet er die Probe von »Gehasste Geliebte« für das Archiv auf. Das Material muss anschließend bearbeitet und mit Vor- und Abspann versehen werden. Von jeder Inszenierung gibt es einen solchen hausinternen Mitschnitt, der bei Wiederaufnahmen und Umbesetzungen hilfreich sein kann. Die Multimedia-Abteilung ist auch für alle Video-Projektionen, wie sie zum Beispiel bei der »Romeo und Julia«-Inszenierung auf der Bühne zum Einsatz kommen, zuständig. Für Toneinspielungen, Musik, Geräusche, Verfremdungs- und Verstärkungseffekte ist die Akustik verantwortlich. Vom Vogelgezwitscher bis zum Elvis-Song, vom Mikroport bis zum Megaphon – Tontechniker Andreas Zohner und seine Kollegen sorgen immer für den richtigen Sound. »Die Probe ist beendet, die Probe ist beendet«, klingt die Stimme der Inspizientin durchs Haus. Zeichen für die Bühnenarbeiter, alles für die Abendvorstellung vorzubereiten. Es ist 14 Uhr. Britta Kampert und Judith Liere Magazin 26 Die neue Matinee-Reihe: Reden über Europa Politiker sprechen gewöhnlich im Parlament, auf öffentlichen Plätzen, in Radio- und Fernsehstudios. Selten aber ist ihre Bühne das Theater selbst. Die Matinee-Reihe »Reden über Europa«, die am Burgtheater und im Tanzquartier Wien stattfinden wird, bringt führende österreichische Politiker und international bekannte Wissenschaftler und Intellektuelle gemeinsam an einen Tisch vor den roten Vorhang, um eine Debatte zu initiieren, die über das tagespolitische Geschäft hinausgeht. Zur Diskussion stehen entscheidende Fragen europäischer Identität: Es geht um Solidarität und die Frage »Was hält eine Gesellschaft zusammen?«, um Erinnerung und die Frage »Wie viel Gedächtnis ist genug?«, es geht um die Frage, wie eine Europäische Außenpolitik aussehen könnte und wie sich Europäische Öffentlichkeit herstellt, es geht um »Mitsein« und die Frage nach Europa als »kommende Gemeinschaft«. Das Theater ist ein anderer Raum, in dem vor anderem Publikum und mit anderen Partnern anders diskutiert werden muss, als es der gewöhnlichen politischen Bühne entspricht. Das ist die Herausforderung, der sich die eingeladenen Volksvertreter und Intellektuellen stellen werden. Die fünf geplanten Matineen werden zwischen Jänner und Mai 2008 im Burgtheater und im Tanzquartier Wien stattfinden. »Reden über Europa« ist eine gemeinsame Initiative von Allianz Kulturstiftung, Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), Burgtheater, Tanzquartier Wien und Der Standard. Leo Perutz Präsentation der Biographie von Hans-Harald Müller Markus Hering liest Texte von Leo Perutz »Leo Perutz ist der größte magische Realist unserer Sprache, ein Virtuose des Rätsels, ein Baumeister erzählerischer Labyrinthe.« Daniel Kehlmann Am 25. August 1957 starb Leo Perutz in Bad Ischl. »Ein Dichter, Fabulierer und Phantast, ein Relikt des großen alten Österreichs ist dahingegangen«, schrieb Hilde Spiel damals in ihrem Nachruf auf den Freund, der seit Anfang der fünfziger Jahre wieder regelmäßig zu Besuch nach Österreich kam, von wo er nach dem »Anschluss« Richtung Palästina flüchten musste. Der 1882 in Prag geborene, in Wien aufgewachsene Leo Perutz war in der Zwischenkriegszeit einer der meistgelesenen Erzähler deutscher Sprache; er zählte zu den Stammgästen der berühmten Kaffeehäuser, seine Bonmots fanden Eingang in die Feuilletons der »Neuen Freien Presse« und des »Berliner Tageblatts«, deren Geschwätzigkeit er wie Karl Kraus verachtete. Das erzählerische Raffinement und die stilistische Meisterschaft seiner Romane werden über die Generationen und Sprachen – von Kurt Tucholsky über Jorge Luis Borges und Ian Fleming bis zu Daniel Kehlmann – immer wieder aufs neue entdeckt. Der Hamburger Perutz-Spezialist Hans-Harald Müller präsentiert nun seine umfassende Biographie, die freilich einer Bitte von Perutz nicht entsprechen kann: »Schreiben Sie nichts über mich und alles über meine Romane.« In Zusammenarbeit mit dem Zolnay Verlag. Am 10. Dezember 2007 im VESTIBÜL Kunst trifft Wirtschaft Bei der Weinverkostung: Gerd Böckmann, Klaus Bachler, Andrea Clausen, Willi Bründlmayer Dinner mit Shakespeares Königen und Narren stand als Motto für den Abend, der zu Saisonbeginn im Restaurant Vestibül Kunst und Wirtschaft zusammenführte. Schauspieler wie Andrea Clausen, Peter Simonischek, Nicholas Ofczarek und Gerd Böckmann verkosteten mit Granden aus der Wirtschaft den neuen Jahrgang des Burgtheaterweins aus dem Hause Bründlmayer und freuten sich über den gemeinsamen Nenner: die Liebe zum Theater. Seit 1999 bemüht sich das Burgtheater um Gelder aus der Wirtschaft, und zum dritten Mal wurde zum Sponsoren-Dinner geladen. Doch nicht die finanzielle Zuwendung steht im Mittelpunkt, Klaus Bachler betonte beim diesjährigen Abend die Verbundenheit der Partner mit dem Theater: »Wie schön, dass ich die meisten von Ihnen in Vorstellungen treffe. Das zeugt von Ihrem Interesse an unserer Arbeit. Das stärkt die Partnerschaft.« Dass die Liebe zum Theater verbindet, können die vertretenen Sponsoren bestätigen: Post-AG-Generaldirektor Anton Wais, Veronika Eder von MAGNA, Generaldirektor Michael Pistauer vom Verbund, Hannes Ametsreiter von der mobilkom, Pat und Marcus Meier, Till Reiter von der Schuhmanufaktur u.v.m. »Man sieht sich bei der nächsten Premiere!« 2007/2008 Saison Magazin 27 Shakespeare – eine Republik von Fehlern 11 Feridun Zaimoglu »Wir können den Shakespeare ändern …« Über die Liebe zu und bei Shakespeare Feridun Zaimoglu, dessen Monolog-Montage »Schwarze Jungfrauen« über junge orthodoxe Musliminnen seit Ende September im Kasino am Schwarzenbergplatz zu sehen ist, hat bereits zweimal Stücke von William Shakespeare bearbeitet: »Othello« für die international erfolgreiche Produktion von Luk Perceval an den Münchner Kammerspielen und eine »Romeo und Julia«-Version, in der der Konflikt zwischen einer christlichen und einer muslimischen Familie ausgetragen wird. Schauspieler lesen vergleichende Textpassagen aus gängigen Übersetzungen und Feridun Zaimoglus Bearbeitungen, anhand derer wir mit dem Autor über Liebe, Religion, Literatur und verwandte Themen ins Gespräch kommen wollen. All das eingedenk des skeptischen Satzes des Shakespeare-Bearbeiters Bertolt Brecht: »Wir können den Shakespeare ändern, wenn wir ihn ändern können.« Feridun Zaimoglu, geboren 1964 im anatolischen Bolu und aufgewachsen in Deutschland, studierte Kunst und Humanmedizin. Mit seinem ersten Roman, »Kanak Sprak« (1995), verlieh Zaimoglu der »zweiten Generation«, den Kindern der Migranten, eine Sprache. Zuletzt erschien von ihm der vielbesprochene Roman »Leyla« – ein düsteres, sprachgewaltiges Familienepos aus dem Anatolien der 50er und 60er Jahre. Am 27. November 2007 im KASINO Shakespeare und Kuttner sehen fern (Folge 1) Ein Videoschnipselvortrag Von und mit Jürgen Kuttner Shakespeare – eine Republik von Fehlern 12 Ekkehart Krippendorff »Shakespeares Komödien. Lachen und Mitdenken« mit Alexandra Henkel und Udo Samel Shakespeare ist einer der größten Realisten der Weltliteratur und zugleich ihr größter Phantast. Seine Tragödien, Römerdramen und Historien sind meist sehr konkret verankert und verortet, sie spielen in Schottland oder Dänemark, in Rom oder in der angelsächsischen Historie. Seine Komödien dagegen in Illyrien, dem Wald von Arden oder auch in »Böhmen am Meer«. »Es sind magisch-mythische Orte, irgendwo in der Schwebe gehalten zwischen topographischer Wirklichkeit und phantasieentsprungener Möglichkeit. Shakespeares Komödien handeln von einer von den Lasten und Alpträumen der Vergangenheit befreiten Welt, einer möglichen Welt.« Was für eine Freiheit ist es, die sich in Shakespeares Komödien entfaltet? Ist es wirklich ein Reich der Freiheit? Das Publikum ist bei Shakespeare eingeladen, zu lachen, und herausgefordert, mitzudenken und sich sein eigenes Urteil von den nur auf den ersten Blick unkomplizierten Komödien zu machen. Prof. Ekkehart Krippendorff (Berlin) ist – wie einige der vom Burgtheater eingeladenen Shakespeareologen – ein »Quereinsteiger«. Eigentlich Professor der Politikwissenschaft und Pionier der Friedensforschung beschäftigt er sich seit über zwanzig Jahren mit dem Elisabethaner. Anfang der neunziger Jahre kam im Suhrkamp Verlag sein Buch »Politik in Shakespeares Dramen« heraus, und unlängst publizierte er das Buch »Shakespeares Komödien. Spiele aus dem Reich der Freiheit heraus« (Kadmos Verlag 2006). Soeben ist er von einem Forschungsauftrag zum »italienischen Shakespeare« aus Italien zurückgekehrt. Am 6. Dezember 2007 im KASINO Der Shakespeare-Zyklus wird unterstützt von Saison 2007/2008 Jürgen Kuttner – Berliner Rundfunkmoderator und Kulturwissenschaftler – ist ein Virtuose des nomadisch assoziierenden, umherschweifenden Denkens und darin so schnell, überraschend, humorvoll und redegewandt wie kein zweiter. Seine Radiosendungen haben längst Kultstatus erlangt, ebenso wie seine von ihm als neues Genre erfundenen Videoschnipselabende. »Videoschnipselabende« sind eine Mischung aus Bildungsfernsehen, Volksaufklärung und einem als Comedy getarnten kulturtheoretischen Abendkurs, an denen Jürgen Kuttner auf der Bühne Ausschnitte aus Fernsehsendungen prä sentiert, analysiert und kommentiert. An einem Abend kommen ungefähr 8 bis 10 Film ausschnitte zur Aufführung. In der Regel sind diese Einspielungen 2-4 Minuten lang. Doch so lehrreich, bizarr oder unterhaltsam diese Schnipsel auch sind, ihre wahre Wirkung entfalten sie erst in der Kommentierung durch Kuttner. Dienen sie ihm doch nur als Basis für seine Diskurse, die ihren Bildungs- und Unter haltungswert nicht allein aus dem Thema, sondern vor allem aus Bezügen auf aktuellste politische Ereignisse und aus Kuttners unmittelbaren Gemütsschwankungen gewinnen. Nun ist Jürgen Kuttner zum ersten Mal mit seinen Videoschnipseln in Wien zu erleben: »Shakespeare und Kuttner sehen fern!« Und das ist nur der Auftakt zu weiteren Videoschnipselabenden, die in dieser Spielzeit den Spielplan des Burgtheaters und die durch Inszenierungen aufgeworfenen Themen kommentieren werden. Am 21. Dezember 2007 im KASINO Magazin 29 Melodie der Kindheit oder »Man wird ja nur auSSen alt« von und mit Heinz Zuber; am Flügel: Prof. Leopold Grossmann »Eine besondere Färbung der Luft am Horizont, ein winziges Geräusch in Haus oder Garten oder Wald, der Anblick eines Schmetterlings oder irgendein flüchtig herwehender Geruch rührt oft für Augenblicke ganze Wolken von Erinnerungen an jene frühen Zeiten in mir auf. Sie sind nicht klar und einzeln erkennbar, aber sie tragen alle denselben köstlichen Duft von Damals.« (Hermann Hesse) Heinz Zuber versammelt in seinem heiter-nostalgischen Programm Texte von Erich Kästner, Jean-Paul Sartre, Heinrich Heine, Hermann Hesse und Kurt Tucholsky und verbindet sie mit Chansons von Jacques Brel, Gilbert Bécaud sowie SchlagerHits aus fünf Jahrzehnten. Musikalische Reminiszenzen, literarische Reflexionen und parodistische Einlagen machen den Abend des »hervorragenden Chansonsängers und begnadeten Parodisten« (Die Presse) zu einem einmaligen Erlebnis. Ab 22. November 2007 in der KASINOBar ANDREAS / IN VENEDIG Libgart Schwarz liest aus dem Romanfragment »Andreas« von Hugo von Hofmannsthal »Dies Geheimnisvolle war für ihn nichts Vergangenes, sondern ein etwas, das sich kreisförmig wiederholte, und es lag nur an ihm, in den Kreis zurückzutreten, dass es wieder Gegenwart würde.« Andreas Ferschengelder, der Held aus Hofmannsthals Romanfragment »Andreas«, wird von seinen Eltern auf eine Bildungsreise nach Venedig geschickt, einem in seinen Augen öden Winkel, »wo sich die Füchse gute Nacht sagen«. Ein Quartier findet er bei einem verarmten Grafen, der mit seiner Frau und zwei Töchtern in einem heruntergekommenen Palazzo lebt. Zustina, die jüngere von beiden, verlost ihre Jungfernschaft bei einer Lotterie, indes sich ihre ältere Schwester Nina von reichen Verehrern aushalten lässt. Andreas' Bildungsreise gerät zu einem rätselhaften Abenteuertrip, bei dem sich Bewusstseinserfahrung und Wirklichkeit überlagern. SUCHERS LEIDENSCHAFTEN Ernest Hemingway Der erste »Leidenschaften«-Abend im neuen Jahr widmet sich dem Autor der vielleicht berühmtesten Novelle des 20. Jahrhunderts »Der alte Mann und das Meer«. Der Literaturnobelpreisträger Hemingway war jedoch nicht nur Schriftsteller, sondern auch Reporter und Kriegsberichterstatter, Erzähler, Abenteurer, Hochseefischer, Großwildjäger und vieles mehr. C. Bernd Sucher, der den Reporter Hemingway, den Erzähler und Romancier für viele seiner Berichte, Erzählungen und Romane als begnadeten Stilist schätzt, wird auch den Menschen Hemingway beleuchten. Denn dass sich dieser Schriftsteller von niemandem davon abhalten ließ, seine Leidenschaften zu leben, kann auch heute noch imponieren. Am 17. Jänner 2008 im KASINO Saison 2007/2008 Hugo von Hofmannsthal schrieb über zwanzig Jahre an seinem »Andreas«-Roman, der als Fragment 1930 postum veröffentlicht wurde. Der Form nach orientierte er sich am Bildungsroman, wobei die Erzählweise mit ihrer Betonung der inneren Wahrnehmung auffallend modern ist. Ab 14. Dezember 2007 im VESTIBÜL Magazin 30 Alle Jahre wieder - was schenke ich wem? Persönlich und intim soll es sein - schön, repräsentabel und ganz neu, dauerhaft und beeindruckend, klassisch und doch modern, überraschend und gutes Design, etwas vom mir selber enthalten, klein oder groß und / oder praktisch, künstlerisch und apart, passend für die Freizeit, den neuen Job, zur Entspannung oder um das Wissen zu erweitern, als Anerkennung, statt / zu einer Reise, als Liebesgabe, zum Theaterabo: das passende Buch gibt’s immer: Ob Business, Belletristik, Philosophie, Kunst oder Theater - heuer ist ja nicht nur ein Österreichisches-Jahrhundert-Literatur-Jahr sondern auch ein üppiges Jahr für Shakespearefreunde - und ein sprachlos machendes Buchpaket ist sicher die nun endlich komplett vorliegende (6 Bände, 15 Kilo, tolle Bilder!) »Welt als Bühne«, die Theatergeschichte des Jahrzehnts. Übrigens: der neue, ultimative Klimt-Band wirkt nicht nur auf Kunstliebhaber blendend! Es gibt viele auch für Nicht-Leser geeignete Buchgeschenke wie zum Beispiel der hinreißende 7. Band der Reihe »Legendäre Reisen« diesmal »in den Alpen.« Verzaubern Sie mit den schönsten Landschaften Europas: der legendären Eigernordwand, dem idyllischen Comer See, den sagenumwobenen Dolomiten, dem Mont Blanc oder dem mondänen St. Moritz. Also, der einfachste und kürzeste Weg zu den besten Geschenken ist der Leporello-Besuch: hier erwarten Sie die GeschenkberaterInnen mit tausend und einer Idee, mindestens - versprochen! Ihre Rotraut Schöberl – Buchhandlung Leporello im Foyer des Burgtheaters Kulturelles Engagement der Österreichischen Lotterien im Burgtheater Das erste Engagement am Burgtheater hatten die Österreich ischen Lotterien im Rahmen der Jubiläums-Saison. Seit 2005 ist das erfolgreiche Unternehmen Partner des Burgtheaters, unterstützt das künstlerische Programm und integriert Kultursponsoring in seine Unternehmensphilosophie. Vorstandsmitglied Mag. Bettina Glatz-Kremsner unterstreicht das Motiv des Sponsorings: »Rund 90 Prozent aller Sprachen, die auf der Welt gesprochen werden, drohen für immer zu verstummen. Stirbt eine Sprache, verlieren wir ein Stück unserer Geschichte – unserer Kultur. Auch das Burgtheater spricht seine eigene Sprache. Es zählt zu den bedeutendsten Bühnen Europas und ist das größte heimische Sprechtheater. Das Burgtheater ist somit ein wichtiger Bestandteil österreichischer Kultur. Mit unserem Sponsoring wollen wir dazu beitragen, dieses traditionelle Kulturgut zu bewahren. Wir setzen uns dafür ein, dass die Stimme des Burgtheaters auch in Zukunft deutlich zu vernehmen ist.« Ein deutliches Zeichen, das die Bedeutung des Burgtheaters widerspiegelt, sind die diesjährigen Nominierungen für den Nestroy-Preis. Neun Künstler des Burgtheaters sind für diese Sponsor der Porträtgalerie Auszeichnung nominiert, ein Preisträger – René Pollesch als Autor des besten Stücks – steht bereits fest. Neben dem Burgtheater unter stützen die Österreichischen Lotterien auch den Nestroy-Preis – ein weiteres Statement für das kulturelle Engagement der Österreichischen Lotterien. Mag. Thomas Drozda mit Mag. Bettina Glatz-Kremsner Sponsor der Gegenwartsdramatik Hauptsponsoren Freunde und Förderer Sponsor des Shakespeare-Zyklus agensketterl Druckerei GmbH, AirPlus, AKRIS, ART AND GARDEN, Austrian Airlines, BAWAG-PSK, Weingut Bründlmayer, Deutsche Lufthansa AG, Fernwärme, Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien und NÖ und Bgld, Kartenbüro Jirsa, Möbelwerkstätten WITTMANN, OENB Oesterreichische Nationalbank, Österreichisches VerkehrsbüroAG, Palmers, Raiffeisen Capital Management, Römerquelle, S-Bausparkasse, Schlumberger Wein- und SektkellereiAG, Schuhmanufaktur Ludwig Reiter, Staud's Wien, TELEKOM Austria, waagner-biro, WIENENERGIE, WIENER STÄDTISCHE Versicherung AG VIENNA INSURANCE GROUP, WKO Wirtschaftskammer Österreich NACHWEISE BILDER: Thomas Aurin S. 27/2, Reinhard Bimashofer: S. 13; Christian Brachwitz: S. 23/3; Karl Forster: S. 4; Matthias Horn: S. 21; Ekkehart Krippendorff (privat) S. 27/1, Claudia Lehmann: S. 16, 17; Marcus Meier: S.3; Isolde Ohlbaum: S. 7/1; Georg Soulek: S. 9/1, 10, 23/1, 23/2; Reinhard Werner: Cover, S. 7/2, 9/2, 18, 19, 20, 23/4, 24, 25, 26/3, 26/4, 29/4, 30; Dorothea Wimmer S. 15: Heinz Zuber (privat) S. 29/1 TEXTE: S. 4 Originalbeitrag, S. 8 Originalbeitrag, S. 10 Originalbeitrag, S. 13 Originalbeitrag, S. 14 Originalbeitrag, S. 18: Vorwort von Hermann Beil, aus: Damenbekanntschaften von Lotte Ingrisch, Jussenhoven & Fischer 2005, S. 24: Originalbeitrag. 2007/2008 Saison