Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren

Transcrição

Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
Dokumentation einer interdisziplinären Fortbildungsveranstaltung
für Lehrerinnen und Lehrer
Reproduktions- und Gentechnik
bei Tieren
durchgeführt im Auftrag der
Biotechnologie-Agentur Baden-Württemberg
Bärbel Hüsing
René Zimmer
Karlsruhe
September 2001
Dieser Dokumentation liegt eine Lehrerfortbildungsveranstaltung zu Grunde, die
am 21./22. Juni 2001 in Karlsruhe durchgeführt wurde. Die Konzeption, Organisation, Durchführung und Dokumentation der Veranstaltung erfolgte durch das
Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung im Auftrag der
Biotechnologie-Agentur Baden-Württemberg.
Autorinnen und Autoren
der Dokumentation:
Dr. Bärbel Hüsing (Projektleitung)
Dr. René Zimmer
Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (Fraunhofer ISI)
Breslauer Str. 48
76139 Karlsruhe
Tel: (07 21) 68 09-210, Fax: (07 21) 68 09-176
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Biol. Silke Schicktanz
Stiftung Deutsches Hygiene-Museum
Lignerplatz 1
01069 Dresden
unter Mitarbeit von
Florian Czerny, wiss. Hilfskraft, Fraunhofer ISI
Dr. Sibylle Gaisser, Fraunhofer ISI
Ilse Gottschalg, Sekretariat, Fraunhofer ISI
Ernst Harder, Oberschulamt Freiburg
Silke Just, Sekretariat, Fraunhofer ISI
Sabine Schatte, Fichte-Gymnasium Karlsruhe
Robert Tautz, Oberschulamt Karlsruhe
Dieses Projekt wurde im Auftrag der Biotechnologie-Agentur Baden-Württemberg
durchgeführt.
i
Inhaltsverzeichnis ........................................................................ Seite
Tabellenverzeichnis ...............................................................................................vii
Abbildungsverzeichnis ............................................................................................ix
1.
Konzeption und Programm der Fortbildungs- veranstaltung
„Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren“ ............................................... 1
2.
Mindmapping 3
2.1
Zur Methode ..................................................................................... 3
2.2
Mindmapping zum Thema Reproduktions- und
Gentechnik bei Tieren ...................................................................... 3
3.
Gentechnikfilm "Die zweite Evolution?"........................................................ 9
4.
Stand und Perspektiven der Reproduktions- und Gentechnik bei
Tieren
............................................................................................... 13
4.1
Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren – Ziele,
Definition und Abgrenzung ............................................................ 13
4.2
Weitere Anwendungen der Bio- und Gentechnik in der
Tierzucht und -haltung.................................................................... 15
4.3
Reproduktionstechniken ................................................................. 17
4.3.1
Künstliche Besamung ..................................................................... 19
4.3.2
Zyklussteuerung und Beeinflussung der Geschlechtsreife ............. 19
4.3.3
Superovulation und Embryotransfer............................................... 20
4.3.4
In-vitro-Fertilisation ....................................................................... 21
4.3.5
Klonierungstechniken..................................................................... 21
4.3.6
Geschlechtsdiagnose und Geschlechtsbestimmung........................ 24
4.3.7
Ziele des Einsatzes von Reproduktionstechniken .......................... 25
4.3.8
Folgen des Einsatzes von Reproduktionstechniken........................ 26
ii
...........................................................................................Seite
5.
4.4
Gendiagnostik und Genanalytik ..................................................... 27
4.4.1
Zielsetzung gendiagnostischer und genanalytischer
Verfahren in der Tierzucht ............................................................. 27
4.4.2
Fallbeispiel: Stressanfälligkeit und Fleischqualität beim
Schwein .......................................................................................... 28
4.4.3
Weitere Anwendungsbeispiele der Gendiagnostik und
Gen- analytik .................................................................................. 31
4.4.4
Vorteile und Folgen gendiagnostischer und
genanalytischer Verfahren in der Tierzucht und produktion....................................................................................... 33
4.5
Transgene Tiere .............................................................................. 33
4.5.1
Methodische Ansätze zur Herstellung transgener Tiere................. 33
4.5.2
Methoden und Erfolgsraten des Gentransfers ................................ 34
4.5.3
Anwendungsbereiche für den Einsatz transgener Tiere ................. 40
4.5.4
Folgen der gentechnischen Veränderung von Tieren ..................... 45
4.6
Zusammenfassung .......................................................................... 46
4.7
Zitierte Literatur ............................................................................. 47
Bewertung von Anwendungen der Gentechnik durch Experten
und Laien
............................................................................................... 51
5.1
Einleitung........................................................................................ 51
5.2
Auswählte Ergebnisse repräsentativer
Bevölkerungsumfragen zu Einstellungen zur Gentechnik
in der Bevölkerung ......................................................................... 51
5.3
Welche Faktoren sind entscheidend für das
Zustandekommen bestimmter Einstellungen gegenüber der
Gentechnik? .................................................................................... 58
5.4
Anforderungen an eine Kommunikation über Gentechnik............. 65
iii
...........................................................................................Seite
6.
7.
5.5
Zitierte Literatur ............................................................................. 68
5.6
Weiterführende Literatur ................................................................ 69
Gene Pharming ............................................................................................... 71
6.1
Definition, Prinzip und Zielsetzung des Gene Pharming ............... 71
6.2
Vor- und Nachteile des Gene Pharming im Vergleich mit
Alternativen .................................................................................... 72
6.3
Stand von Wissenschaft und Technik beim Gene Pharming.......... 76
6.4
Wissenschaftlich-wirtschaftliche Problembereiche des
Gene Pharming ............................................................................... 77
6.4.1
Herstellung einer Herde von transgenen Tieren für die
Produktion ...................................................................................... 78
6.4.2
Pharmawirkstoffe aus der Milch transgener Tiere –
Anforderungen an Produkt und Prozess ......................................... 79
6.4.3
Ökonomische Notwendigkeit zur Verkürzung des FuEProzesses......................................................................................... 81
6.5
Schlussfolgerungen und Fazit: Inwieweit erfüllt Gene
Pharming die Erwartungen? ........................................................... 84
6.6
Literatur .......................................................................................... 86
Bewertung des Gene Pharming mit Hilfe des Multicriteria
Mapping
............................................................................................... 89
7.1
Zielsetzung des Multicriteria Mapping........................................... 89
7.2
Durchführung Multicriteria Mapping............................................. 90
7.3
Ergebnisse des Multicriteria Mappings .......................................... 94
iv
...........................................................................................Seite
8.
Ethik in den Wissenschaften: Wege der Urteilsbildung am Beispiel
"Transgene Tiere"........................................................................................... 99
8.1
Drei Leitideen bei der Vermittlung von Wissenschaftsethik 99
8.2
Technik- und probleminduzierter Zugang der
Wissenschaftsethik am Beispiel transgener Tiere ........................ 101
8.3
Die Ebene der ethischen Reflexion: Wie gelangt man zu
tierethischen Argumenten? ........................................................... 102
8.3.1
Wie werden Werte zugeschrieben? .............................................. 103
8.3.2
Wer oder was kann Träger moralischer Werte sein?.................... 103
8.3.3
Wer oder was kann moralische Werte setzen? ............................. 104
8.4
Die Tradition tierethischer Überlegungen .................................... 105
8.5
Der Pathozentrismus..................................................................... 106
8.5.1
Moralphilosophischer Hintergrund............................................... 106
8.5.2
Erkenntnistheoretischer und empirischer Hintergrund................. 109
8.6
Pathozentrismus – auf die Praxis der transgenen Tiere
bezogen......................................................................................... 110
8.6.1
Ist Gentechnik per se zu verurteilen? ........................................... 110
8.6.2
Empirische Aspekte des Leidens bei transgenen Tieren .............. 111
8.7
Weitergehende ethische Kriterien für die Beurteilung der
Erzeugung und Verwendung transgener Tiere ............................. 113
8.8
Zusammenfassung und Fazit: Interdisziplinäre Bearbeitung
wissenschaftsethischer Themen.................................................... 116
8.9
Literatur ........................................................................................ 117
v
...........................................................................................Seite
9.
Umsetzung der Fortbildungsinhalte in Unterrichtskonzepte.................... 123
9.1
Unterrichtskonzept 1: Konzeption einer
fächerverbindenden Unterrichtseinheit zum Thema
"Menschenzüchtung".................................................................... 125
9.2
Unterrichtskonzept 2: Einsatz schülerzentrierter
Arbeitsformen in einer Lehrplaneinheit zum Thema
"Gentechnik"................................................................................. 126
9.3
Unterrichtskonzept 3: Konzeption einer Unterrichtseinheit
zum Thema "Einsatz transgener Tiere als neues Verfahren
zur Medikamentenherstellung am Beispiel der
Mukoviszidose" ............................................................................ 127
10. Hinweise zur Beschaffung weiterführender Literatur, Materialien
und Informationen zum Thema ................................................................... 129
10.1
Besonders empfehlenswerte Bücher, Zeitschriften und
Internetangebote zum Thema Reproduktions- und
Gentechnik bei Tieren .................................................................. 129
10.2
Weiterführende Materialien und Informationsquellen zum
Thema Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren ..................... 132
10.3
Ausgewählte Informationsangebote zum Thema
Gentechnik.................................................................................... 134
10.4
Filme, Folien, Computersoftware................................................. 137
10.5
Exkursionen .................................................................................. 138
11. Bewertung der Veranstaltung durch die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer
............................................................................................. 141
vii
Tabellenverzeichnis
Seite
Tabelle 1.1:
Programm der Lehrerfortbildung „Reproduktions- und
Gentechnik bei Tieren“ ............................................................... 2
Tabelle 4.1:
Anwendungen der Bio- und Gentechnik in der
Tierhaltung ................................................................................ 15
Tabelle 4.2:
Kälberausbeute durch Embryotransfer ohne und mit
Embryosplitting ......................................................................... 22
Tabelle 4.3:
Eizellenverbrauch bei Mikroinjektion, sich
entwickelnde Föten und Ausbeute an transgenen Tieren
für verschiedene Tierarten......................................................... 38
Tabelle 4.4:
Erfolgsraten bei der Produktion transgener Tiere durch
Mikroinjektion........................................................................... 38
Tabelle 4.5:
Effizienz der Herstellung transgener Rinder – Vergleich
von Gentransfer durch somatischen Kerntransfer mit
Gentransfer durch Mikroinjektion............................................. 39
Tabelle 4.6:
Übersicht über Einsatzbereiche für transgene Tiere.................. 42
Tabelle 6.1:
Vor- und Nachteile verschiedener Alternativen zur
Herstellung menschlicher therapeutischer Wirkstoffe .............. 73
Tabelle 6.2:
Modellberechnungen zur Ermittlung der Herdengröße
transgener Tiere, die erforderlich wären, um den
Weltjahresbedarf an ausgewählten menschlichen
Pharmawirkstoffen zu decken ................................................... 75
Tabelle 6.3:
Wirkstoffe aus transgenen Tieren in der klinischen
Prüfung ...................................................................................... 76
Tabelle 6.4:
Ansätze und Maßnahmen zur Verringerung von
wissenschaftlich-wirtschaftlichen Problembereichen
des Gene Pharming.................................................................... 85
Tabelle 7.1:
Unterschiede zwischen üblicherweise praktizierter
Technikbewertung und unter Nutzung von MCM .................... 89
Tabelle 7.2:
Arbeitsblatt zur Durchführung des MCM am Beispiel
Gene Pharming .......................................................................... 91
Tabelle 7.3:
Kriterienkatalog......................................................................... 92
viii
Seite
Tabelle 7.4:
Hitliste der am häufigsten genannten Kriterien zur
Bewertung der Optionen ........................................................... 95
Tabelle 7.5:
Anzahl und Gewichtung der Kriterien ...................................... 95
Tabelle 7.6:
Ranking der Optionen ............................................................... 96
Tabelle 8.1:
Mögliche Aufteilung der interdisziplinären Bearbeitung
wissenschaftsethischer Fragestellungen am Beispiel
transgener Tiere auf Ethik- und naturwissenschaftlichen
Unterricht................................................................................. 117
ix
Abbildungsverzeichnis ..........................................................................Seite
Abbildung 2.1:
Mindmap 1 zur Reproduktions- und Gentechnik bei
Tieren (Gruppe 1) ........................................................................ 5
Abbildung 2.2:
Mindmap 2 zur Reproduktions- und Gentechnik bei
Tieren (Gruppe 2) ........................................................................ 6
Abbildung 2.3:
Mindmap 3 zur Reproduktions- und Gentechnik bei
Tieren (Gruppe 3) ........................................................................ 7
Abbildung 2.4:
Mindmap 4 zur Reproduktions- und Gentechnik bei
Tieren (Referenten des Fraunhofer ISI) ...................................... 8
Abbildung 4.1:
Reproduktions- und Gentechnik als Teilbereiche der
Biotechnologie........................................................................... 14
Abbildung 4.2:
Übersicht über wichtige Reproduktionstechniken .................... 18
Abbildung 4.3:
Schematische Darstellung des Klonens durch
Kerntransfer am Beispiel "Dolly" ............................................. 23
Abbildung 4.4:
Schematische Darstellung des Klonens durch
Kerntransfer............................................................................... 24
Abbildung 4.5:
Prinzip der Gendiagnostik am Beispiel des "Stressgens"
(RYR) beim Schwein ................................................................ 30
Abbildung 4.6:
Prinzip des Herkunftsnachweises von Tieren und
tierlichen Produkten durch eine auf einer DNA-Analyse
basierenden "genetische Ohrmarke".......................................... 32
Abbildung 4.7:
Schematische Darstellung von Methoden des
Gentransfers bei der Maus......................................................... 36
Abbildung 4.8:
Verbleib von Fremd-DNA nach Mikroinjektion....................... 37
Abbildung 4.9:
Unterschied zwischen Klonen und transgener
Veränderung von Tieren............................................................ 40
Abbildung 5.1:
Wird die Bio- und Gentechnik in den kommenden
20 Jahren unser Leben verbessern, keinen Einfluss
haben oder wird sie die Dinge verschlechtern?
Einschätzungen der Bevölkerung in 15 europäischen
Ländern...................................................................................... 53
Abbildung 5.2:
Erwartete Auswirkungen verschiedener Technologien
in der deutschen Bevölkerung 1997 .......................................... 54
x
...............................................................................................Seite
Abbildung 5.3:
Bewertung ausgewählter Anwendungen der Gentechnik
in den Bereichen Medizin, Lebensmittel und
Landwirtschaft durch Bürger in Deutschland 1997................... 56
Abbildung 5.4:
Subjektive Einschätzung des eigenen Wissens über
Gentechnik durch Bürger in Deutschland 1997 ........................ 59
Abbildung 5.5:
Bewertung der Regulierung bzw. Regulierbarkeit der
Gentechnik durch Gesetze durch Bürger in Deutschland
1997 ........................................................................................... 60
Abbildung 5.6:
Wichtigkeit ethischer Aspekte für die Bewertung der
Gentechnik durch Bürger in Deutschland 1997 ........................ 62
Abbildung 5.7:
Einschätzung des Einflusses ausgewählter Akteure auf
den Umgang mit der Gentechnik in der Gesellschaft
durch Bürger in Deutschland 1997............................................ 63
Abbildung 5.8:
Bewertung von Gentechnikexperten durch Bürger in
Deutschland 1997 ...................................................................... 64
Abbildung 6.1:
Prinzip des Gene Pharming bei transgenen Nutztieren ............. 72
Abbildung 6.2:
Zeitlicher Ablauf der erforderlichen Schritte bis zur
Etablierung einer Produktionsherde transgener Schafe
oder Ziegen unter Verwendung von Standardtechniken ........... 83
Abbildung 7.1:
Art und Anzahl der von den Teilnehmern ausgewählten
Kriterien für das Multicriteria Mapping.................................... 94
Abbildung 7.2:
Einfluss der Kriterienbereiche auf das Ranking der
Optionen .................................................................................... 97
1.
Konzeption und Programm der Fortbildungsveranstaltung „Reproduktions- und Gentechnik bei
Tieren“
Was hat Dolly mit der Gentechnik zu tun? Werden Landwirte in Zukunft gentechnisch veränderte Turbokühe und "eierlegende Wollmilchsäue" züchten? Was sind
die derzeit und künftig bedeutendsten Anwendungsgebiete der Gentechnik in der
Tierzucht? Wie weit ist die Wissenschaft hier bereits fortgeschritten? Wie sind
diese Anwendungen zu beurteilen? Wie kann man die Potenziale der Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren nutzen, wo sollten Grenzen gesetzt werden? Wie
vermittle ich diese Thematik im Biologie- oder Ethikunterricht der gymnasialen
Oberstufe? Wo finde ich aktuelle Informationen und weiterführende Materialien
zum Thema?
Mit diesen und anderen Fragen befasste sich die fächerübergreifende Fortbildungsveranstaltung "Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren". Sie richtete sich an
Lehrerinnen und Lehrer der Fächer Biologie, Religion und Ethik an allgemeinbildenden Gymnasien, die Interesse an der Gentechnikthematik und ihrer Vermittlung
im Unterricht haben. Durchgeführt wurde die Veranstaltung vom Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (Fraunhofer ISI), Karlsruhe im
Auftrag der Biotechnologie-Agentur Baden-Württemberg (BTA) in Kooperation
mit den Oberschulämtern Karlsruhe und Freiburg. Ziel der Veranstaltung war es,
Lehrkräfte dabei zu unterstützen, Schülerinnen und Schülern auf diesem sich so
rasch entwickelnden und kontrovers diskutierten Gebiet der Bio- und Gentechnik
Fachwissen zu vermitteln und sie dazu zu befähigen, sich ein eigenständiges, wohl
begründetes Urteil zu bilden.
In dieser zweitägigen Veranstaltung wurde der aktuelle Stand von Wissenschaft und
Technik vermittelt, mögliche Folgen der Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
thematisiert und bewertet und praktische Übungen zur Informationsbeschaffung und
–bewertung sowie zur Umsetzung im Unterricht durchgeführt. Durch verschiedene
Arbeitsformen sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Inhalte der Veranstaltung aktiv erarbeiten, praktisch erproben und kritisch diskutieren.
Die vorliegende Dokumentation fasst die Referate und Ergebnisse der Gruppenarbeiten zusammen. Weil gerade in der Gentechnik das Wissen schnell veraltet, gibt
die Dokumentation außerdem Hinweise auf Informationsquellen und Materialien,
um das Selbststudium und die vertiefende Beschäftigung mit der Thematik Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren sowie mit weiteren Anwendungsgebieten der
Biotechnologie und Gentechnik zu erleichtern.
2
Tabelle 1.1:
Programm der Lehrerfortbildung „Reproduktions- und Gentechnik
bei Tieren“
1. Tag
9: 00 – 9:30 Uhr Begrüßung, Vorstellungsrunde
9:30 – 10:15 Uhr Chancen und Risiken der Reproduktions- und Gentechnik bei
Tieren (Mindmapping)
10:15 - 10:45 Uhr Gentechnikfilm: "Die zweite Evolution?"
10:45 - 11:00 Uhr Kaffeepause
11:00 – 12:00 Uhr Referat: Stand und Perspektiven in der Reproduktions- und
Gentechnik bei Tieren (Dr. Hüsing, Fraunhofer ISI)
12:00 – 14:00 Uhr Mittagessen, Mittagspause
14:00 – 15:00 Uhr Referat: Bewertung von Anwendungen der Gentechnik durch
Experten und Laien (Dr. Zimmer, Fraunhofer ISI)
15:00 – 15:15 Uhr Kaffeepause
15:15 – 16:45 Uhr Gruppenarbeit Informationsbeschaffung zum Thema "Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren" (Internet-Angebote und
Print-Informationen)
16:45 – 17:30 Uhr Referat: Gene Pharming: Zielsetzungen, Folgewirkungen, wissenschaftliche und gesellschaftliche Kontroversen (Dr. Hüsing,
Fraunhofer ISI)
17:30 – 18:00 Uhr Blitzlichtrunde: Fazit des ersten Tages
2. Tag
9:00 – 11:00 Uhr Gruppenarbeit: Bewertung des Gene Pharming mit Hilfe des
Multicriteria Mapping (Dr. Zimmer, Fraunhofer ISI)
11:00 – 11:30 Uhr Kaffeepause
11:30 – 12:15 Uhr Referat: Ethik in den Wissenschaften: Wege der Urteilsbildung
am Beispiel "Transgene Tiere" (Schicktanz, Deutsches HygieneMuseum Dresden)
12:15 – 13:00 Uhr Auswertung des Multicriteria Mapping, Präsentation und Diskussion der Ergebnisse (Dr. Zimmer, Fraunhofer ISI)
13:00 – 14:30 Uhr Mittagessen, Mittagspause
14:30 – 16:00 Uhr Gruppenarbeit: Umsetzung der Fortbildungsinhalte in Unterrichtskonzepte, darin
15:00 – 15:15 Uhr Kaffeepause
16:00 – 17:00 Uhr Präsentation und Diskussion der Ergebnisse
17:00 – 17:30 Uhr Blitzlichtrunde: Bewertung der Veranstaltung
17:30 Uhr
Ende der Veranstaltung
3
2.
Mindmapping
2.1
Zur Methode
Beim Mindmapping handelt es sich um eine Kreativitätstechnik, die Ordnung in die
Gedanken bringt und Ideen sichtbar macht, indem Ideen zu übersichtlichen Bildern
und Graphiken umgesetzt werden. Die Zentral- oder Hauptidee eines Mindmaps
wird deutlich im Zentrum der Graphik herausgestellt. An dieses Zentrum knüpfen
weitere Ideen an, die nach ihrer relativen Bedeutung in der Nähe des Zentrum
(wichtig) oder in den Randzonen (weniger wichtig) stehen. Nach und nach entstehen auf dem Blatt von der Hauptidee ausgehend nach allen Seiten vielfältige Verzweigungen. Weiterhin ermöglicht die nach allen Seiten hin offene Struktur des
Mindmap-Schemas neue Ideenverknüpfungen herzustellen (siehe Abb. 2.1 bis 2.4).
Die Methode basiert auf Erkenntnissen zur Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Indem Ideen zu übersichtlichen Bildern und Graphiken umgesetzt werden,
werden die linke (zuständig für rationales, logisches Denken) und die rechte Gehirnhälfte (visuelles, kreatives Denken) gleichermaßen angeregt. Auf diese Weise
wird die eigene Kreativität gefördert und die Gedächtnisleistung erheblich verbessert. Einzelne Punkte der entwickelten Mindmaps lassen sich leichter merken und
später schneller abrufen. Die Methode des Mindmapping lässt sich sowohl zur
Strukturierung komplexer Probleme, zur Unterrichtsplanung als auch bei der täglichen Aufgabenliste anwenden.
2.2
Mindmapping zum Thema Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden von den Veranstaltern gebeten, um
die Zentralidee „Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren“ die Stichworte zu notieren, die ihrer Meinung nach zu diesem Thema gehörten. Die Aufgabe lautete:
Was verbinden Sie mit dem Thema "Gen- und Reproduktions- und Gentechnik bei
Tieren"? Denken Sie dabei z. B. an
•
Methoden und Anwendungen
•
Chancen, Potenziale und Hoffnungen
•
Risiken, negative Folgen und Befürchtungen
•
Handelnde und Betroffene
4
So entstanden erste Strukturierungen dieser komplexen Thematik. Gleichzeitig bekamen die Veranstalter und die Teilnehmenden einen Einblick in das in der Gruppe
bereits vorhandene Wissen.
Die von den Teilnehmergruppen der Veranstaltung erstellten Mindmaps finden sich
auf den folgenden Seiten in den Abbildungen 2.1 bis 2.3. Sie zeigen, dass zum
Thema Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren in jedem ein zumeist unstrukturiertes Bild vorgeformt ist. Der Einstieg über die Mindmapping-Technik verdeutlicht einige dieser Bilder, die im weiteren Verlauf analysiert und inhaltlich vertiefend behandelt werden können, teilweise auch korrigiert werden müssen. Es erlaubt
dem/der Lehrenden darüber hinaus, Wünsche und Vorkenntnisse der Schülerinnen
und Schüler zu Beginn einer Unterrichtseinheit abzuklären, auf die der weitere Unterrichtsverlauf abgestimmt werden kann. Zum Vergleich zeigt Abbildung 2.4 eine
Mindmap, die von den Referenten dieser Veranstaltung auf der Basis des Einführungsvortrags (s. Kapitel 3) erstellt wurde.
Alternativ bieten sich für den Einstieg in das Thema auch andere assoziative Methoden wie z. B. die Metaplan-Technik an. Beim Einsatz der Metaplan-Technik im
Unterricht ist allerdings zu beachten, dass sich bei Schulklassengröße in sehr kurzer
Zeit eine sehr große Zahl an Karten anhäufen kann, deren Auswertung durch die
Gruppe u. U. ermüdend ist. Eine Begrenzung auf wenige Karten pro Person ist dann
ratsam.
Organproduktion
Abbildung 2.1:
PID
gentechnische
Züchtungsverfahren
Gen + Reproduktionstechnik bei Tieren
therapeutisches Klonen
Resistenz
Tiermodelle
Allergikerkäse
Medikamente, Vitamine, etc
Ertragssteigerung
Mindmap 1 zur Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren (Gruppe 1)
"Alzheimer-Maus"
5
Beherrschbarkeit
Sachkenntnisse
Hysterie
Tierschutz
Abbildung 2.2:
Gene Pharming
Überschreitung
der Artengrenze
gerichtete
Evolution
Nahrungsmittel
Ertrag +
Gewinn
Mensch als Schöpfer
PID
Arbeitsplätze
Standort
Genpatentierung
Stammzellen
Reproduktions + Gentechnik (Tiere)
Klonen
Menschenzüchtung
Mindmap 2 zur Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren (Gruppe 2)
Krebsmaus
Alzheimermaus
Kommerzialisierung und
Instrumentalisierung des
Lebens
soziales Gewissen
Medizin
6
Heilung von
Erbkrankheiten
Hormone
Impfstoffe
Gesundheit
Arbeitsplätze
Pharmaindustrie
Umwelt
Ernährung
Kosten-NutzenRechnung
national/
global?
Wert von Tieren,
"Tierwürde"
Chancen
Tierethik
Methoden
Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
Risiken
Mindmap 3 zur Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren (Gruppe 3)
Wirtschaftlichkeit
Abbildung 2.3:
Klonen
PCR
Gentransfer
Gesetzgebung
Veränderung des
ökologischen
Gleichgewichts
Pharming
fehlende Kontrolle
Langzeitfolgen
Verlust von
Organismenvielfalt
7
Bestimmung des Zuchtwerts
Tiermodelle für Forschung
Folgen, Nachteile
Vorteile
Insekten
zeitaufwändig, teuer
Beeinträchtigung des transgenen Tiers durch
eingefügtes Gen
unsichere Vererbung an Folgegeneration
Eigenschaften der transgenen Tiere nicht
vorhersagbar/reproduzierbar
Ausbeute transgener Tiere sehr gering
für Landwirtschaft Aufwand/Nutzen ungünstig
Seidenproduktion
Populationskontrolle von
Schadinsekten/Vektoren
Pharming
Landwirtschaft
Grundlagenforschung (Drosophila)
veränderte Schafwolleigenschaften
Milchzusammensetzung
Krankheitsresistenz
Wachstum, Fleischmenge
Xenotransplantation
Therapeutische Proteine in der Milch
Tiere für Toxizitäts-, Mutagenitäts-,
Kanzerogenitätstests
Anpassung der Tiere an nicht artgerechte
Bedingungen
unerwünschte Effekte bei Selektion auf
Hochleistung
Einengung genetischer Vielfalt
pleiotrope Effekte
züchterisch relevante Eigenschaften polygen
bedingt
Korrelation Genotyp - Eigenschaft erforderlich
kann dem Tier- und Verbraucherschutz
dienen
Verfahren schnell, präzise, geringer Aufwand,
geringe Kosten, minimal invasiv
Beschleunigung von Zuchtprogrammen
züchtungsrelevante Merkmale an Keimzellen,
Embryonen, präpubertären Nachkommen im
Rahmen von Reproduktionstechniken
bestimmen
Qualitätskontrolle von tierischen
Erzeugnissen
Elternschafts- und Herkunftsnachweis
Anwendungen
Nachteile, Folgen
Anwendungen
Transgene Tiere
Gendiagnostik, Genanalytik, "Genomics"
28.08.01 - v7
Leitfragen für eine kritische
Reflexion
Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
Gentechnik
Reproduktionstechniken
Kerntransfer ("Dolly")
Embryoteilung
sozioökonomische Folgen (z.B. Wandel der
Züchterstruktur)
Einfluss auf Tiergesundheit (Eltern, Ammen,
Nachkommen)
irreversibler Verlust genetischer Ressourcen
rasche, weite Verbreitung unerwünschter
Genvarianten
Inzucht
Verlust genetischer Vielfalt
Voraussetzung für gentechnische
Veränderung von Tieren
Erhalt genetischer Ressourcen,
Vervielfachung wertvoller Individuen
wirtschaftliche Vorteile in der Tierzucht
mehr Nachkommen von züchterisch
wertvollen Tieren als natürlicherweise möglich
Klonen
in-vitro-Fertilisation
Superovulation und Embryotransfer
Anwendung dieser Techniken bald auch beim
Menschen?
alternative Wege zu diesen Zielen?
für welche Ziele erscheint Tiernutzung nach
Güterabwägung tolerabel?
welches Verhältnis Mensch-Tier spiegelt dies
wider?
in welchem Maß dürfen Tiere beeinträchtigt
werden?
in welchem Maß darf der Mensch Tiere für
seine Zwecke in Anspruch nehmen?
Folgen
Vorteile
Techniken
Künstliche Besamung
Zielsetzung: Effizienzsteigerung der
Fortpflanzung und von Zuchtprogrammen
Mindmap 4 zur Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren (Referenten des Fraunhofer ISI)
Ausschluss von Zuchttieren mit
unerwünschten Erbanlagen
Abbildung 2.4:
8
9
3.
Gentechnikfilm "Die zweite Evolution?"
Zur Einführung in die Thematik der Fortbildung wurde der 22-minütige Film "Die
zweite Evolution?" gezeigt. Das VHS-Video (Film Nr. 42 67 906) kann in allen
Landes- und Kreisbildstellen in Baden (http://www.lbb.bw.schule.de/) und Württemberg (http://www.lbw.bwue.de/) ausgeliehen werden. Der Film kann am Anfang
einer Unterrichtseinheit zum Thema Gentechnik bei Tieren gezeigt werden. Die
Grundlagen der Molekulargenetik werden hierbei vorausgesetzt.
Produziert wurde der Film 1999 von der Filmakademie Baden-Württemberg im
Auftrag der Landesregierung und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung
und Kunst Baden-Württemberg (MWK) und finanziert aus der Zukunftsoffensive
"Junge Generation".
Inhalt des Films
Der Film beginnt mit Szenen, die verdeutlichen, dass eine sehr enge Beziehung
zwischen Mensch und Tier besteht: Tiere liefern dem Menschen Nahrung und Kleidung, erfüllen für ihn wichtige soziale Funktionen, dienen seiner Freizeitgestaltung,
sind als Versuchstiere in der Forschung Stellvertreter des Menschen. Seinen vielfältigen Bedürfnissen passt der Mensch die Tiere durch Domestikation und Züchtung an. In diese das Verhältnis Mensch-Tier illustrierenden Szenen werden Sequenzen eingeblendet, die schlaglichtartig eher negativ besetzte Anwendungen der
Bio- und Gentechnik bei Tieren aufzeigen: das aus einer Euterzelle eines erwachsenen Schafs geklonte Schaf Dolly; gentechnisch veränderte Schweine, die aufgrund
eines zusätzlichen Wachstumshormongens überdurchschnittlich groß werden und
sich deshalb kaum bewegen können; Mäuse als Versuchstiere und die damit verbundene Tierschutzproblematik. Dazu werden drei Wissenschaftler vorgestellt, die
selbst auf dem Gebiet Gentechnik und Tiere arbeiten und die Zuschauer kommentierend durch den Film führen: Prof. Wolf vom Lehrstuhl für Molekulare Tierzucht
und Haustiergenetik am Genzentrum der Universität München, Frau Dr. Seidler,
Gastroenterologin an der Medizinischen Universitätsklinik und Poliklinik Tübingen
sowie Dr. Simianer von der Firma applied genetics network, Stuttgart/Zürich. Sie
verdeutlichen, dass die gezeigten Anwendungen der Gentechnik an Tieren nur einen
kleinen Ausschnitt aus den derzeit praktizierten Anwendungen darstellen, dass sie
die Verwendung von Tieren für Versuchszwecke zum Erhalt und Wiederherstellung
der menschlichen Gesundheit mit Einschränkungen für vertretbar halten, und dass
die Anwendung der Gentechnik bei Tieren zwar neue Möglichkeiten eröffnet, die
damit verfolgten Zielsetzungen aber weitgehend die der konventionellen Tierzucht
bleiben.
10
Im zweiten Teil des Films stellt Dr. Simianer die derzeit wichtigste Anwendung der
Gentechnik bei landwirtschaftlichen Nutztieren, die Gendiagnostik, an einem Beispiel aus der Schweinezucht vor: Weil Verbraucher in den 70er-Jahren statt fettem
mageres Schweinefleisch verlangten, wurde in der Schweinezucht auf Tiere mit
magerem Fleisch und ausgeprägtem Fleischansatz selektioniert. Das Fleisch dieser
Schweine erwies sich zwar als mager, jedoch auch als zäh und von schlechter Qualität. Als Ursache der unerwünschten Fleischqualität wurden Stress bei der
Schlachtung sowie eine überdurchschnittliche Stressanfälligkeit bestimmter
Schweinerassen identifiziert, auf die unbeabsichtigterweise gleichzeitig mit der Selektion auf mageres Fleisch selektiert worden war. Um Schweine mit einer besseren
Fleischqualität züchten zu können, musste man die besonders stressanfälligen
Schweine von der Zucht ausschließen. Diese Tiere wurden mit Hilfe des Halothantests identifiziert: Bei homozygot stressempfindlichen Schweinen verkrampft sich
bei Narkose mit dem Gas Halothan die Muskulatur. Diese so genannten "halothanpositiven" Schweine wurden von der Zucht ausgeschlossen. Heterozygote Tiere
können jedoch nicht erkannt werden. Zudem ist der Halothantest für die Tiere belastend, zuweilen sogar tödlich.
Die Identifizierung eines Gens im Schweineerbgut, das Stressanfälligkeit, Fleischbeschaffenheit und Fettanteil im Schlachtkörper des Schweines beeinflusst, eröffnete Anfang der 90er-Jahre die Möglichkeit, ein gendiagnostisches Verfahren zu
entwickeln, das die Nachteile des Halothantests nicht aufweist. An einer ganz bestimmten Stelle dieses Gens weisen die stressanfälligen Schweine eine Punktmutation auf. Das gendiagnostische Verfahren macht sichtbar, ob diese Punktmutation
im Erbgut eines bestimmten Schweines vorliegt oder nicht. Den Schweinen wird
etwas Blut entnommen, daraus DNA isoliert und der zu untersuchende Genabschnitt im Reagenzglas selektiv vermehrt. Dann setzt man ein bestimmtes Restriktionsenzym zu, das so gewählt ist, dass es den DNA-Abschnitt immer spaltet,
wenn die Tiere, aus denen die DNA stammt, stressresistent sind. Liegt jedoch die
Mutation vor, die die Tiere stressanfällig werden lässt, kann das Restriktionsenzym
nicht schneiden. Ob der DNA-Abschnitt vom Restriktionsenzym geschnitten wurde
oder nicht, wird sichtbar gemacht, indem die DNA-Fragmente im elektrischen Feld
nach ihrer Größe aufgetrennt werden (Gelelektrophorese): Findet sich nur ein großes DNA-Fragment, ist das Schwein homozygot stressanfällig, finden sich zwei
kleine DNA-Fragmente, ist das Schwein homozygot stressresistent, und heterozygote Schweine geben sich durch drei DNA-Fragmente zu erkennen.
Das gendiagnostische Verfahren ist schonender als der Halothantest, da man nur
noch eine kleine Blutprobe des Schweins braucht. Auch Heterozygote werden zuverlässig erkannt. Das Verfahren ist kostengünstig durchzuführen. Deshalb hat das
gendiagnostische Verfahren den Halothantest in Deutschland vollständig abgelöst,
und es wurde eine durchgreifende Sanierung der Zuchtpopulationen im Hinblick auf
die Stressanfälligkeit erreicht. In der züchterischen Praxis werden noch andere gendiagnostische Verfahren angewandt, so z. B. auf die genetische Resistenz gegen
11
Coli-Durchfall beim Schwein und verschiedene Erbkrankheiten des Rindes. Die
Gendiagnostik führt in keinem Fall zu einer gentechnischen Veränderung der Tiere
selbst: Ihr Erbgut wird mit Hilfe gentechnischer Verfahren untersucht, dabei aber
nicht verändert. Weil gendiagnostische Verfahren den vollständigen Ausschluss von
Tieren mit unerwünschten Allelen von der Zucht ermöglichen, kann dies aber auch
einem raschen Verlust der genetischen Vielfalt bei Nutztieren Vorschub leisten.
Zudem muss sichergestellt werden, dass gendiagnostische Verfahren nicht dazu
eingesetzt werden, Nutztiere durch Zucht an nicht artgerechte Haltungs- und
Schlachtbedingungen anzupassen.
Im dritten Teil des Films wird ein Patient vorgestellt, der an der häufigsten, rezessiv
vererbten und bisher unheilbaren Erbkrankheit Mukoviszidose (Cystische Fibrose)
leidet. Ursache ist eine Mutation im so genannten CFTR-Gen, dessen Genprodukt
am Ionentransport beteiligt ist. Mehr als 700 verschiedene Mutationen dieses Gens
sind bekannt. Die häufigste Mutation ist die Deletion eines bestimmten Tripletts.
Um die Ursachen dieser Krankheit besser zu verstehen und um neue Therapieansätze zu entwickeln und zu erproben, müssen die genetisch bedingten Abläufe an
Versuchstieren, z. B. Mäusen, immer wieder nachvollzogen werden. Die Aussagekraft solcher Tierversuche ist umso höher, je besser die Versuchstiere die Verhältnisse in den menschlichen Patienten widerspiegeln. Frau Dr. Seidler stellt mit der
Knock-out-Technologie eine gentechnische Methode vor, mit der gezielt definierte
Änderungen in das Erbgut der Labormäuse eingeführt werden können, indem eine
Maus-DNA-Sequenz gegen eine bestimmte andere DNA-Sequenz ausgetauscht
wird.
Im Folgenden wird dargestellt, wie experimentell überprüft wird, ob der Genaustausch tatsächlich in der gewünschten Weise stattgefunden hat. Zunächst wird ein
so genannter Zielvektor konstruiert. Dem auszutauschenden Gen (rot dargestellt)
werden zwei Markergene angefügt, die für eine Antibiotikumsresistenz (grün dargestellt) und für ein Gen des Herpes-Virus (blau dargestellt) kodieren. Dieser Zielvektor wird in die embryonalen Stammzellen einer Maus eingebracht, die anschließend einer Antibiotikumsbehandlung unterzogen werden. Dabei sterben diejenigen
Mauszellen ab, die den Zielvektor gar nicht aufgenommen haben. Danach werden
zusätzlich diejenigen Zellen durch einen speziellen Anti-Herpes-Wirkstoff abgetötet, bei denen der Zielvektor an der falschen Stelle in das Maus-Genom eingebaut
wurde. Diese Antibiotikums- und Wirkstoffbehandlung überleben somit nur Mauszellen, bei denen ein bestimmtes Mausgen (gelb dargestellt) gegen das Gen aus dem
Zielvektor (rot) ausgetauscht wurde. Diese Zellen werden in Embryonen übertragen, die dann von Ammenmäusen ausgetragen werden. Frau Dr. Seidler verdeutlicht, dass mit dieser Technik hergestellte Knock-out-Mäuse für den Forscher wertvolle Werkzeuge sind, die aus der Forschung nicht mehr wegzudenken sind.
Prof. Wolf legt dar, dass transgene Tiere in naher Zukunft auch als "Bioreaktoren"
für die Herstellung von Medikamenten zum Einsatz kommen werden. Eines dieser
12
Medikamente ist das eiweißspaltende Enzym α-1-Antitrypsin, ein Bestandteil des
menschlichen Immunsystems. Bei Mukoviszidosepatienten ist das normalerweise
bestehende Gleichgewicht zwischen α-1-Antitrypsin und anderen Proteasen des
Immunsystems gestört, so dass die Proteasen nicht nur körperfremdes Eiweiß, sondern auch das körpereigene Lungengewebe angreifen. Den Gleichgewichtszustand
könnte man durch die Zufuhr von α-1-Antitrypsin wieder herstellen, doch kann es
nur unter großem Aufwand aus menschlichem Blut isoliert werden und steht daher
Mukoviszidosekranken nicht in ausreichender Menge zur Verfügung. Eine schottische Firma hat das menschliche Gen für α-1-Antitrypsin so in das Erbgut von Schafen übertragen, dass die transgenen Schafe dieses menschliche Protein nun in ihrer
Milch bilden. Hieraus kann das Medikament zur Behandlung von Mukoviszidosekranken gewonnen werden. Derzeit wird seine Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
in klinischen Studien untersucht. Prof. Wolf erläutert, dass diese Anwendung der
Gentechnik bei Nutztieren weiter ausgebaut werden wird, insbesondere, wenn die
Herstellung transgener Nutztiere durch die Kombination der gentechnischen Veränderung durch Mikroinjektion mit der Vermehrung durch Klonierung aus Körperzellen ("Dolly-Technik") effizienter gemacht werden kann. Andererseits sind die
technischen Schwierigkeiten zur Herstellung transgener landwirtschaftlicher Nutztiere derzeit aber noch so groß, dass sich diese Anwendungsform der Gentechnik in
den nächsten Jahren nur für die Herstellung seltener Medikamente lohnen wird,
während ihr Einsatz für die Landwirtschaft noch Jahre dauern wird.
Im letzten Teil des Films kommentieren die drei Wissenschaftler den Einsatz der
Gentechnik bei Tieren aus ihrer Sicht: Professor Wolf stellt dabei heraus, dass die
Möglichkeit, transgene Tiere zu erzeugen, der biomedizinischen Forschung eine
neue Richtung gegeben habe, aber Gesellschaft und Forscher dafür Sorge zu tragen
hätten, diese Technik für sinnvolle Anwendungen einzusetzen. Dr. Simianer weist
auf die gestiegene Verantwortung des Züchters hin, die sich aus der Möglichkeit
ergibt, das Genom von Tieren gezielt zu verändern. Frau Dr. Seidler betont die
Notwendigkeit von Tierversuchen für den medizinischen Fortschritt, aber auch die
Verpflichtung von Forschern, den Beweis zu erbringen, dass dadurch wichtige Erkenntnisse erhalten werden.
13
4.
Stand und Perspektiven der Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
Dr. Bärbel Hüsing, Fraunhofer-Institut für
Systemtechnik und Innovationsforschung, Karlsruhe
Die gentechnische Veränderung des Erbguts von Tieren kann nur vorgenommen
werden, weil man entsprechende Reproduktionstechniken beherrscht. Will man sich
einen Überblick über den aktuellen Stand und die künftigen Perspektiven der Anwendung der Gentechnik bei Tieren verschaffen, so ist es daher unerlässlich, sich
auch mit den Reproduktionstechniken zu befassen. Im Folgenden soll ein Überblick
gegeben werden. Dieser Beitrag ist folgendermaßen gegliedert:
•
Definition und Abgrenzung von Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren,
Einordnung in die Anwendung der Biotechnologie bei Tieren,
•
Reproduktionstechniken bei Tieren,
•
"Genomics" – genanalytische und gendiagnostische Untersuchungen der tierlichen Erbsubstanz ohne gentechnische Veränderung des Erbguts,
•
"Transgenics" – gentechnische Veränderung des tierlichen Erbgutes; Herstellung
transgener Tiere.
4.1
Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren –
Ziele, Definition und Abgrenzung
Biotechnologie stellt ein interdisziplinäres Forschungsfeld im Überschneidungsbereich von Verfahrenstechnik, Chemie und Biologie dar (Abb. 4.1). Reproduktionstechniken sind im Überschneidungsbereich zwischen klassischer Biologie und Biotechnologie anzusiedeln (Abb. 4.1). In der Tierzucht zielen sie darauf ab, die Effizienz der Fortpflanzung über das natürliche Maß hinaus zu erhöhen und damit auch
die Effizienz von Zuchtprogrammen zu steigern. Durch die Integration von Reproduktionstechniken in die Tierzucht werden die konventionellen tierzüchterischen
Methoden wie z. B. Registrierung der Abstammung, Leistungsprüfung, die auf statistischen Auswertungen beruhenden Auswahl von Zuchttieren zur Verpaarung,
erweitert und ergänzt. Gleichzeitig stellt die Beherrschung von Reproduktionstechniken eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung der Gentechnik in der
Tierzucht dar.
14
Die Gentechnik stellt einen Teilbereich der Biotechnologie dar. Man versteht unter
Gentechnik die Summe aller Methoden zur Isolierung, Charakterisierung, gezielten
Veränderung und Übertragung von Erbgut. Unter dem Stichwort "Genomics" werden Anwendungen der Gentechnik zusammengefasst, bei denen Erkenntnisse genutzt werden, die sich aus der molekularen Analyse der tierlichen Erbinformation
ergeben. Durch diese gentechnischen Analyseverfahren wird das Tier, dem dieses
Erbgut entstammt, in seinen genetisch bedingten Eigenschaften nicht verändert.
Hierunter fallen beispielsweise Aktivitäten zur Sequenzierung tierlicher Genome
sowie genanalytische und gendiagnostische Verfahren. Viele dieser Verfahren werden eingesetzt, um den Wert einzelner Tiere für die Zucht besser zu bestimmen.
Demgegenüber können mit Hilfe der Gentechnik auch gezielte Veränderungen im
Erbgut von Tieren vorgenommen und transgene Tiere hergestellt werden, und zwar
auch in einer Art und Weise, die durch konventionelle Züchtung nicht möglich ist.
So ist es beispielsweise mit Hilfe der Gentechnik möglich, Gene selbst über Artgrenzen hinweg zu übertragen, also z. B. ein menschliches Gen in das Erbgut eines
Schafes einzufügen.
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird gezeigt werden, welche Möglichkeiten
sich durch diese einzelnen Techniken – Reproduktionstechniken, Genomics und
Transgenics – ergeben. Es wird aber auch deutlich werden, dass sich ihr volles Potenzial erst dann entfaltet, wenn die drei Ansätze miteinander kombiniert genutzt
werden.
Abbildung 4.1:
Reproduktions- und Gentechnik als Teilbereiche der Biotechnologie
7FSGBISFOT
$IFNJF
UFDIOJL
#JPUFDIOPMPHJF
(FOPNJDT
#JPMPHJF
3FQSPEVLUJPOTUFDIOJL
(FOUFDIOJL
5SBOTHFOJDT
15
4.2
Weitere Anwendungen der Bio- und Gentechnik in der
Tierzucht und -haltung
Anwendungen der Reproduktionstechnik, der Gendiagnostik und -analytik in der
Tierzucht sowie transgene Tiere stellen nur einen Ausschnitt möglicher Anwendungen der Bio- und Gentechnik in der Tierzucht und Tierhaltung dar. Welche darüber
hinausgehenden Anwendungen der Bio- und Gentechnik es in der Tierhaltung gibt,
ist in Tabelle 4.1 zusammengefasst. Eine Übersicht geben auch Bonneau und Laarveld (1999).
Tabelle 4.1:
Anwendungen der Bio- und Gentechnik in der Tierhaltung
Ziel
Beitrag zur Tierernährung
Bio- und gentechnische Anwendung
•
Bio- und gentechnische Verfahren zur Futtermittelanalytik
•
Fermentative Verfahren (teilweise unter Verwendung gentechnisch veränderter Produktionsorganismen) zur Herstellung von Futterzusätzen, insbesondere essentielle Aminosäuren, Vitamine, Enzyme
•
Verwendung von Enzymen zur Entfernung antinutritiver Substanzen aus Futtermitteln
•
Zusatz lebender probiotischer Mikroorganismen
zum Futter
•
(Gentechnisch veränderte Darmflora)
•
(Gentechnisch veränderte Futterpflanzen)
Steigerung von Produkti- • Fermentative Verfahren (teilweise unter Verwenvität und Leistung
dung gentechnisch veränderter Produktionsorganismen) zur Herstellung von Leistungsförderern wie
Antibiotika, Hormone, Immunmodulatoren
Beitrag zur Tiergesundheit • Fermentative Verfahren (teilweise unter Verwendung gentechnisch veränderter Produktionsorganismen) zur Herstellung von Impfstoffen und Tierarzneimitteln
•
Bio- und gentechnische Verfahren zur Krankheitsund Erregerdiagnostik
Qualitätssicherung tierli- • Bio- und gentechnische Verfahren zur Messung von
cher Produkte, Wahrung
Qualitätsparametern in tierlichen Produkten, Rückvon Verbraucherinteressen
standsanalytik und Hygienekontrolle, zum Herkunftsnachweis
16
In der Tierhaltung werden zahlreiche Substanzen eingesetzt, die biotechnologisch,
teilweise auch gentechnisch hergestellt werden. Hierzu zählen beispielsweise Aminosäuren und Enzyme als Futterzusätze, Antikörper, Impfstoffe, Tierarzneimittel,
Hormone und Leistungsförderer. Ein Teil dieser Substanzen kann auch aus Geweben extrahiert oder chemisch hergestellt werden. Oftmals ist die Wirkung der unterschiedlich gewonnenen Substanzen ähnlich oder identisch und somit entscheidet
häufig der Preis über die Herstellungsweise.
Fermentativ hergestellte Aminosäuren wie z. B. L-Lysin sowie gentechnisch hergestellte Enzyme, wie z. B. Phytase, werden Futtermitteln zugesetzt, um deren Nährwert zu steigern bzw. die vollständige Ausnutzung der enthaltenen Nährstoffe zu
gewährleisten.
Vielfach werden in der Analytik und Diagnostik biotechnologisch hergestellte Substanzen, z. B. monoklonale Antikörper eingesetzt. Auf diese Weise können Krankheiten (z. B. Trichinose, Mastitis), Hormonkonzentrationen im Blut oder in der
Milch (insbesondere Fruchtbarkeitshormone) oder die Befruchtungsfähigkeit von
Sperma untersucht werden. An einer Online-Überwachung in Melkmaschinen wird
gearbeitet.
Mit Hilfe bio- und gentechnischer Verfahren wurden neue Impfstoffe z. B. zur Prophylaxe gegen Tollwut entwickelt. Diese Verfahren umgehen die direkte Arbeit mit
Krankheitserregern. Neben Impfstoffen werden auch bio- bzw. gentechnisch hergestellte therapeutische Wirkstoffe wie Antibiotika, Interferone, Interleukine oder
Antikörper ebenfalls in der Nutztierhaltung eingesetzt.
Besonders umstritten ist die Anwendung von so genannten Leistungsförderern, vor
allem in Hinblick auf die Tiergesundheit und den vorsorgenden Verbraucherschutz.
So wird das bovine Wachstumshormon (bovines Somatotropin, bST) in den USA
bereits seit langem eingesetzt, während es in der EU einem Moratorium unterliegt.
Durch Gaben von bovinem Somatotropin kann die Milchleistung erhöht werden,
erhöht jedoch auch die Anfälligkeit der Tiere für Euterentzündungen (Mastitis).
Umstritten ist, inwieweit aus Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes auf
das Vorhandensein dieses Hormons in Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr
verzichtet werden sollte.
Die Verwendung gentechnisch veränderter Mikroorganismen, die im Tier selbst
leben, wird diskutiert, aktuell aber nicht beforscht. So könnten Mikroorganismen
des Pansens so verändert werden, dass sie bestimmte Aminosäuren verstärkt bilden,
die dem Wiederkäuer sonst zu wenig zur Verfügung stehen. Beim Schaf wäre z. B.
eine Erhöhung der Cysteinmenge zur Steigerung des Wollertrags vorteilhaft. Andere Mikroorganismen könnten die Verdaulichkeit der Nahrung verbessern.
17
4.3
Reproduktionstechniken
Der Einsatz von Reproduktionstechniken in der Tierzucht dient dazu, mehr Nachkommen von züchterisch wertvollen Tieren zu erhalten, als dies natürlicherweise
bzw. nur unter sehr viel höherem Aufwand möglich ist. Die wichtigsten Reproduktionstechniken sind (Abb. 4.2):
•
Künstliche Besamung,
•
Superovulation, Embryotransfer und Austragen in Leihmüttern,
•
In-vitro-Fertilisation, sowie
•
Klonen durch Embryoteilung oder durch Kerntransfer.
Diese Techniken werden im Folgenden näher beschrieben.
Übersicht über wichtige Reproduktionstechniken
Quelle: Lohner et al. 1997, S. 106; verändert
3. In-vitroFertilisation
2. Superovulation,
Embryotransfer
1. Künstliche
Abbildung 4.2:
Aufteilen
Einfrieren
Geschlechtsauswahl
18
19
4.3.1
Künstliche Besamung
Die künstliche Besamung wird aus hygienischen, wirtschaftlichen und züchterischen Gründen angewendet. Sie umfasst die Schritte Samengewinnung, Samenuntersuchung, Samenverdünnung, Samenkonservierung und die eigentliche Besamung. Bei der künstlichen Besamung werden männliche Tiere mit Hilfe eines
Phantoms oder einer künstlichen Scheide zur Ejakulation gebracht und das Ejakulat
aufgefangen. Bei Bullen liegt die Abstamungshäufigkeit üblicherweise bei zweimal
wöchentlich. Das Sperma wird untersucht, in Besamungsportionen aufgeteilt, ggf.
konserviert und gelagert. Pro Ejakulat können bis zu 500 Portionen mit je
20 Mio. Spermien hergestellt werden. Die eigentliche Besamung brünstiger weiblicher Tiere erfolgt, indem das aufgetaute Sperma über einen Katheter übertragen
wird. 1951 wurde eine Methode entwickelt, die Besamungsportionen unter Erhalt
der Befruchtungsfähigkeit tiefzufrieren und damit langfristig lagern zu können
(Henze et al. 1995, S. 14ff.).
Durch die künstliche Besamung können zahlreiche weibliche Tiere mit dem Samen
weniger ausgewählter männlicher Tiere selbst über weite räumliche und zeitliche
Entfernungen hinweg besamt werden. In (extremen) Einzelfällen wurden über eine
Million Besamungen mit dem Sperma eines einzigen Zuchtbullen, z. B. dem Holsteiner Zuchtbullen Skalsumer Sunny Boy vorgenommen (Gengler und Druet 2001,
S. 37).
Die künstliche Besamung wird in Deutschland bei Rindern seit den 1940er-Jahren
angewendet. Ursprünglich sollte durch die künstliche Besamung die Verbreitung
von Deckseuchen (Trichomoniasis, Vibriosis) eingedämmt werden, heute sind wirtschaftliche und züchterische Aspekte vorrangig. Heute werden in Deutschland ca.
90 % der Rinder und über 35 % der Schweine künstlich besamt. In Europa
schwankt der Anteil der künstlichen Besamung beim Rind je nach Land zwischen
60 und 95 % (Henze et al. 1995, S. 15).
4.3.2
Zyklussteuerung und Beeinflussung der Geschlechtsreife
Bei weiblichen Tieren erfolgt die Eizellbildung und -freisetzung in artspezifischen
Zyklen. Befruchtungsfähige Keimzellen werden erst gebildet, wenn das Tier ein
gewisses Alter und Entwicklungsstadium erreicht hat. Biotechnische Verfahren zur
Zyklussteuerung und Beeinflussung der Geschlechtsreife zielen darauf ab,
•
die Trächtigkeitsraten zu erhöhen,
•
die Zyklen in einer Herde zu "synchronisieren", um das Managements einer
Herde durch gruppenweises Besamen und Abkalben zu erleichtern,
20
•
Keimzellen bei möglichst jungen Tieren gewinnen zu können ("ova pick-up"),
um das Generationsintervall zu verkürzen.
Für die Zyklussteuerung und Beeinflussung der Geschlechtsreife werden den Tieren
Hormone, meist Prostaglandine und Gestagene verabreicht (Henze et al. 1995,
S. 16ff; Gengler und Druet 2001, S. 38ff).
4.3.3
Superovulation und Embryotransfer
Während durch die künstliche Befruchtung die Reproduktionsrate einzelner männlicher Tiere stark erhöht werden kann, ist das Gegenstück, mit dem die Reproduktionsrate ausgewählter weiblicher Tiere vervielfacht wird, die Superovulation mit
anschließendem Embryotransfer (Gengler und Druet 2001, S. 38ff).
Die Grundidee des Embryotransfers ist es, den sehr großen Keimzellenvorrat im
Ovar genetisch hochwertiger weiblicher Tiere durch biotechnologische Maßnahmen
über das natürlicherweise mögliche Maß hinaus auszunutzen. Diese ausgewählten
hochwertigen weiblichen Tiere liefern eine größere Anzahl von Embryonen, die
von genetisch weniger wertvollen Individuen ("Ammentieren") ausgetragen werden. Eine Kuh erbringt im Laufe ihres Lebens natürlicherweise ca. 30 Ovulationen
und nur 5 Nachkommen. Durch Superovulation und Embryotransfer sind jedoch bis
zu 100 Nachkommen pro Kuh möglich (Henze et al. 1995, S. 19).
Für die Gewinnung und Übertragung dieser Embryonen wird zunächst durch eine
Hormonbehandlung, die so genannte Superovulation, eine Reifung und Ovulation
zusätzlicher Eizellen bei einem weiblichen Tier ausgelöst. Nach der Induktion der
Superovulation erfolgt in der Regel eine künstliche Besamung (s. Kap. 4.3.1). Aus
den befruchteten Eizellen entwickeln sich Embryonen, die dem Muttertier anschließend entnommen werden. Die Embryonengewinnung erfolgt bei Rindern und Pferden unblutig (transcervikal) und bei Schafen, Ziegen sowie Schweinen chirurgisch.
Die gewonnenen Embryonen werden mikroskopisch kontrolliert, ggf. auch mit
gentechnischen Methoden einer Präimplantationsdiagnostik unterzogen (vgl.
Kap. 4.4). Anschließend werden sie konserviert. 1973 wurde in England das erste
Kalb nach Kryokonservierung des Embryos (Tiefgefrieren in flüssigem Stickstoff)
geboren. Ammentiere werden durch Prostaglandininjektionen in ein passendes
Zyklusstadium überführt. Für den eigentlichen Embryotransfer in diese Ammentiere
stehen einfache, nicht-chirurgische Verfahren zur Verfügung.
Der Embryotransfer gehört beim Rind heutzutage zu den Routinetechniken. Weltweit wurden in den 1990er-Jahren etwa 250.000 Embryotransfers pro Jahr vorgenommen, davon etwa 15.000-20.000 in Deutschland (Henze et al. 1995, S. 19).
21
4.3.4
In-vitro-Fertilisation
Aufbauend auf der künstlichen Befruchtung, die im Körper der weiblichen Tiere
stattfindet, ist es auch möglich, diesen Befruchtungsvorgang außerhalb des Körpers, im Reagenzglas, stattfinden zu lassen. Dies bezeichnet man als In-vitro-Fertilisation. Sie besteht aus den Schritten
•
Eizellengewinnung,
•
In-vitro-Reifung der Eizellen,
•
Samenaufbereitung,
•
In-vitro-Befruchtung,
•
In-vitro-Kultur der befruchteten Eizellen,
•
Embryotransfer.
Zunächst müssen unbefruchteten Eizellen aus den Eierstöcken der weiblichen Tiere
gewonnen werden. Dies kann am lebenden Tier durch eine Punktion erfolgen, die
unter Ultraschallkontrolle durchgeführt wird. Zumeist gewinnt man die Eizellen
jedoch aus Eierstöcken frisch geschlachteter Tiere. Pro Eierstock können etwa
15 bis 20 Eizellen isoliert werden, von denen etwa 10 für die weitere Verwendung
geeignet sind (Henze et al. 1995, S. 22ff).
Nach Kultivierung der isolierten Eizellen zu deren Reifung werden sie mit aufbereiteten Samen auf einem Nährmedium befruchtet und bis zum Morula- oder
Blastozystenstadium kultiviert. Diese Embryonen werden dann, wie in Abschnitt 4.3.3 beschrieben, in scheinträchtige Ammentiere transferiert. Diese Invitro-Fertilisation wird auf Grund ihrer geringen Effizienz in sehr viel geringem
Umfang als andere Reproduktionstechniken in der Praxis eingesetzt (Henze et al.
1995, S. 20ff.).
4.3.5
Klonierungstechniken
Unter Klonen versteht man die Herstellung erbgleicher Individuen. Eine Klonierung
ist bei Nutztieren über Embryoteilung und über Zellkerntransfer in Eizellen möglich.
Aufbauend auf der Technik des Embryotransfers (Kap. 4.3.3) besteht die Möglichkeit, die Embryonen vor dem Transfer in Leihmütter zu teilen (Embryoteilung oder
-splitting). Dabei wird der Embryo durch mechanische Trennung des Zellverbandes
in mehrere Teile zerlegt. Üblicherweise erfolgt eine Zweiteilung; bei Drei- und
Vierteilungen werden nur sehr geringe Effizienzen bei der Erzielung von Trächtigkeit erreicht, weil dann eine kritische Zellzahl unterschritten wird, die für die Auf-
22
rechterhaltung der Embryonalentwicklung erforderlich ist. Die Embryoteile werden
in leere Eihüllen eingebracht und dann in Ammentiere übertragen. Damit entstehen
genetisch identische Individuen (Klone), vergleichbar den natürlich entstehenden
eineiigen Mehrlingen. Diese Methode der Mehrlingserzeugung funktioniert bei
Rind, Schaf und Ziege etwa mit der in Tabelle 4.2 angegebenen Effizienz; bei
Schwein, Maus und Kaninchen liegt die Anzahl der geborenen Tiere nach Embryoteilung aber deutlich darunter (Revermann und Hennen 2000, S. 36).
Tabelle 4.2:
Kälberausbeute durch Embryotransfer ohne und mit Embryosplitting
Anzahl Embryonen
Trächtigkeitsrate
Kälberausbeute
ohne Embryosplitting
100
60 %
60
mit Embryosplitting
100
55 %
110
Quelle: Daten aus Henze et al. 1995, S. 25
Eine Klonierung durch Kerntransfer wurde bei Säugetieren bereits in den 1980er
und frühen 1990er-Jahren durchgeführt, gelang aber zunächst nur mit Kernen embryonaler Zellen, erstmals durch Willadsen (1986) beim Schaf. Mittlerweile ist für
Rind, Kaninchen, Schwein, Maus, Ziege und Rhesusaffen gezeigt worden, dass das
Klonen durch Transfer embryonaler Zellen möglich ist (Revermann und Hennen
2000, S. 40). Abbildung 4.4 zeigt eine schematische Darstellung des Klonens durch
Kerntransfer, Abbildung 4.3 zeigt diesen Vorgang für das Schaf "Dolly". Zunächst
werden die Chromosomen aus einer Empfängereizelle entfernt. Mit einer Pipette
wird anschließend die Spenderzelle an eine bestimmte Stelle der entkernten Spendereizelle (so genannter perivitelliner Raum, dem Zwischenraum zwischen Cytoplasma und Zona pellucida (Eihülle)) eingebracht. Durch das Anlegen geeigneter
elektrischer Pulse wird eine Aufnahme der Spenderzelle in das Cytoplasma der
Empfängerzelle bewirkt; zudem muss eine Aktivierung der Empfängereizelle durch
geeignete elektrische oder chemische Stimuli erfolgen. In einem noch nicht verstandenen Prozess erfolgt eine Reprogrammierung des Kerns der Spenderzelle, wodurch sie entwicklungsmäßig identisch mit dem Kern einer Zygote (befruchteten
Eizelle) wird. Anschließend erfolgt eine Kultivierung und die Übertragung der
Embryonen auf Ammentiere.
Mit der Geburt des Schafes "Dolly" im Jahr 1997 wurde gezeigt, dass höhere Säugetiere auch dadurch kloniert werden können, dass der Kern einer ausdifferenzierten Körperzelle in eine Eizelle übertragen wird. Damit wurde ein biologisches Paradigma widerlegt – bis dahin war man davon ausgegangen, dass Zellkerne von ausdifferenzierten Körperzellen prinzipiell nicht mehr so reprogrammiert werden kön-
23
nen, dass sie wieder totipotent werden (Hillebrand und Lanzerath 2001). Inzwischen
wurden auch zahlreiche andere Säugetierarten nach dem "Dolly-Prinzip" kloniert,
so z. B. Rind, Ziege, Maus und Schwein (Westhusin et al. 2001), auch vom Aussterben bedrohte Tierarten (Lanza et al. 2001).
Die Klonierung durch Kerntransfer von Körperzellen (somatischer Kerntransfer)
ermöglicht es, ein Individuum in größerem Ausmaß (nahezu) identisch zu vervielfachen, als dies durch Embryoteilung möglich ist.
Sowohl bei der Klonierung durch embryonalen als auch somatischen Kerntransfer
sind die Erfolgsraten zurzeit sehr gering. So war Dolly das einzige lebend geborene
Lamm aus insgesamt 277 behandelten Eizellen (Wilmut et al. 1997). Zudem ist die
Zahl der Fehl- und Missgeburten bei geklonten Säugetieren hoch. Es werden auch
eine erhöhte Sterblichkeit der Neugeborenen, eine mögliche Schwächung des Immunsystems, eine verlängerte Tragzeit und damit einhergehend ein erhöhtes Geburtsgewicht ("Large-Calf-Syndrome") und dadurch bedingte Geburtskomplikationen verzeichnet. Weitere Beeinträchtigungen der Vitalität und der Lebensdauer sind
nicht auszuschließen (Hillebrand und Lanzerath 2001, S.14).
Abbildung 4.3:
Schematische Darstellung des Klonens durch Kerntransfer am
Beispiel "Dolly"
Quelle: www.bibel.com/gentechnik/ klonen_graphik.jpg
24
Abbildung 4.4:
Schematische Darstellung des Klonens durch Kerntransfer
Kernspender
Empfängereizelle
(gereifte Eizelle)
isolierte, einzelne Zelle
Entfernung der Chromosomen
(Enukleation)
Einbringen der Zelle
in den perivitellinen
Raum der Empfängereizelle
Aktivierung, Elektrofusion
Kultur (in vitro/in vivo)
Blastozysten
Reklonierung,
Tiefgefrieren
Transfer in Empfängertiere
identische Nachkommen
Quelle: Revermann und Hennen 2000, S. 38
4.3.6
Geschlechtsdiagnose und Geschlechtsbestimmung
Bei der Geschlechtsdiagnose wird das Geschlecht festgestellt. Mit Geschlechtsbestimmung bezeichnet man Methoden zur Beeinflussung des Geschlechts. Sie wer-
25
den an Spermien vor der künstlichen Besamung und an Embryonen vor ihrer Implantation in Ammentiere durchgeführt. Durch Einsatz dieser Methoden kann erreicht werden, dass die Nachkommen bevorzugt das gewünschte Geschlecht aufweisen. Dies ist z. B. in der Rinderzucht von Bedeutung, wo man in Fleischrassen
bevorzugt männliche Tiere, in Milchrassen bevorzugt weibliche Tiere erzeugen
möchte. In der Kreuzungszucht werden aus bestimmten Basiszuchtlinien und der
ersten Kreuzungsgeneration bevorzugt weibliche Tiere benötigt (Henze et al. 1995,
S. 23ff.). Eine Geschlechtsbestimmung ist auch bei dem Aufbau von Herden transgener Tiere wünschenswert.
Eine Geschlechtsbestimmung wird vor allem an Sperma durchgeführt. Mit Hilfe
von Hochdurchsatz-Flowcytometrie werden X- von Y-Chromosom-tragenden
Spermien getrennt. Auf diese Technik spezialisierte Einrichtungen können nunmehr
6 Millionen Spermien pro Stunde nach beiden Geschlechtern sortieren; werden nur
X-Chromosomen tragende Spermien benötigt, können bis zu 11 Millionen Spermien pro Stunde mit 85-90 %iger Reinheit hergestellt werden. Diese Methode ist
prinzipiell für alle Nutztierarten anwendbar, doch besteht noch artspezifischer Optimierungsbedarf. Es wird erwartet, dass diese Technik für eine breite Anwendung
in der Rinderzucht etwa im Jahr 2002 marktreif ist, mit gewisser zeitlicher Verzögerung auch für die Schweinezucht (Johnson 2000).
Für die Geschlechtsdiagnose an Embryonen können verschiedenen Methoden eingesetzt werden, so z. B. der mikroskopische Nachweis der Geschlechtschromosomen, die Darstellung des HY-Antigens und der Einsatz von Y-Chromosom-spezifischen DNA-Sonden.
4.3.7
Ziele des Einsatzes von Reproduktionstechniken
Mit der Anwendung von Reproduktionstechniken wird das Ziel verfolgt, mehr
Nachkommen von züchterisch wertvollen Tieren zu erhalten, als dies durch natürliche Fortpflanzung möglich wäre. Dadurch ergeben sich ökonomische Vorteile in
der Tierzucht. Hierzu zählen
•
Beschleunigung der Zucht,
•
verbesserte Zuchtwertschätzung, da von einem Zuchttier zahlreiche Nachkommen erzeugt und auf ihre Leistungsparameter überprüft werden können,
•
Verringerung zeitlicher und räumlicher Begrenzungen, da Sperma und Embryonen kryokonserviert und über weite Strecken transportiert werden können,
•
Qualitätsprüfung der Keimzellen und Embryonen vor ihrer Verwendung, z. B.
mit dem Ziel der Geschlechtsbestimmung, der Verringerung von Deckseuchen.
26
Zudem sind diese Techniken einsetzbar
•
zum Erhalt genetischer Ressourcen. Dies wird vor allem durch Kryokonservierung von Embryonen und Spermien im Rahmen spezieller Programme ermöglicht. Eine Alternative ist der Schutz genetischer Ressourcen durch Erhalt des
natürlichen Lebensraumes.
•
zur Vermehrung einzelner Individuen von Tierarten, die vom Aussterben bedroht
sind,
•
zur identischen Vervielfachung von Individuen, die als wertvoll erachtet werden
(Klonen von transgenen Tieren, von herausragenden Zuchttieren, von Haustieren, von Tieren, die vom Aussterben bedroht sind).
Reproduktionstechniken sind essenzielle Voraussetzung für die Herstellung transgener Tiere. In Kombination mit transgenen Techniken sowie gendiagnostischen
und genanalytischen Techniken sind Synergieeffekte erzielbar, die über das Anwendungsspektrum der Einzeltechniken weit hinausgehen.
4.3.8
Folgen des Einsatzes von Reproduktionstechniken
Werden Reproduktionstechniken breit angewendet, tragen sie zur Einengung der
genetischen Vielfalt bis hin zum irreversiblen Verlust genetischer Ressourcen bei.
Lokale Rassen können durch inzwischen weltweit verbreitete Hochleistungsrassen
verdrängt werden; Reproduktionstechniken begünstigen einen "Trend zum Einheitstier". Sie begünstigen die Inzucht und können zur raschen und weiten Verbreitung unerwünschter, meist rezessiver Genvarianten bzw. Eigenschaften führen
(Lohner et al. 1997, S. 108). So ergab beispielsweise die Untersuchung einer Population von Holsteiner Kühen 1996 in Frankreich, dass die 5 Millionen Tiere umfassende Population sich so verhielt, als ob sie aus weniger als 100 nicht miteinander
verwandten Tieren bestünde. In (extremen) Einzelfällen wurden über eine Million Besamungen mit dem Sperma eines einzigen Zuchtbullen, z. B. des Holsteiner
Zuchtbullen Skalsumer Sunny Boy vorgenommen (Gengler und Druet 2001, S. 37).
Der Einsatz von Reproduktionstechniken kann Auswirkungen auf Tiergesundheit,
Verhalten und Wohlbefinden der betroffenen Tiere, das sind sowohl Elterntiere,
Ammentiere als auch Nachkommen haben. So sind Reproduktionstechniken beim
weiblichen Tier (wie Beeinflussung von Fruchtbarkeit und Zyklus, Superovulation,
Eizellentnahme, Austragen von transferierten Embryonen etc.) mit Hormonbehandlungen und teilweise invasiven, d. h. chirurgischen Eingriffen verbunden, die
Belastungen für die Tiere bedeuten. Die Effizienz vieler Verfahren ist deutlich geringer als die korrespondierenden "natürlichen" Verfahren und daher sind sie mit
einem hohen Verbrauch an Keimzellen und Embryonen verbunden. Bereits die Selektion auf Hochleistung ist mit negativen Auswirkungen für die betroffenen Tiere
verbunden, die in höherem Maße Verhaltensprobleme, physiologische Probleme
27
und immunologische Probleme aufweisen (Rauw et al. 1998); dies wird durch Reproduktionstechniken, die eine stärkere Selektion ermöglichen, noch verstärkt.
Insbesondere beim Klonen, aber auch bei anderen Reproduktionstechniken werden
folgende Effekte beobachtet: eine hohe Fehlquote bei der Implantation und weiteren
Entwickung des Embryos, eine hohe Fehlgeburtsrate, eine erhöhte Neugeborenensterblichkeit, eine überdurchschnittliche Geburtsgröße ("Large-Calf-Syndrome"),
die zu Geburtskomplikationen führen kann, eine mögliche Schwächung des Immunsystems und die Fehlbildung einzelner Organe. Eine geringere Lebenserwartung
sowie eine Prädisposition für bestimmte Krankheiten (z. B. Krebs) wird diskutiert
(Hillebrand und Lanzerath 2001, S. 24; Revermann und Hennen 2000, S. 116ff.;
van der Lende et al. 2000; Boerjan et al. 2000).
Bei allen Techniken zur Beeinflussung der Fortpflanzung wird mindestens ein Teil
der Maßnahmen, die ursprünglich in der Hand des Landwirts lagen, durch den Tierarzt oder durch Laborpersonal übernommen und hat damit sozioökonomische Auswirkungen, z. B. durch einen Wandel der Struktur der Züchtungsorganisation (Revermann und Hennen 2000, S. 120ff.).
4.4
Gendiagnostik und Genanalytik
4.4.1
Zielsetzung gendiagnostischer und genanalytischer Verfahren
in der Tierzucht
Ein wichtiges Mittel in der Tierzucht ist es, züchterisch wertvolle Tiere bevorzugt
zur Zucht einzusetzen. Wie oben dargestellt, leisten Reproduktionstechniken hierzu
einen wichtigen Beitrag. Dabei stellt sich aber das Problem, die züchterisch wertvollen Tiere zu erkennen. Hierzu werden seit Jahrtausenden phänotypische Eigenschaften herangezogen. Dies können äußere Merkmale (Aussehen, Körperbau),
physiologische Merkmale (Leistungsfähigkeit, z. B. Milchleistung bei Rindern)
oder auch biochemische Merkmale (z. B. Proteinzusammensetzung der Milch bei
Rindern) sein. Die Auswertung phänotypischer Eigenschaften für die Zuchtwertschätzung hat jedoch ihre Grenzen. Viele züchterisch relevante Eigenschaften sind
nicht, nicht präzise, erst spät oder nur aufwändig feststellbar. Hierzu einige Beispiele: Bestimmte Eigenschaften, wie z. B. die Milchleistung von Kühen, Fruchtbarkeit von Sauen, manifestieren sich erst relativ spät im Leben eines Zuchttieres.
Die Ausprägung eines Merkmals kann geschlechtsgebunden sein – so lässt sich beispielsweise die Vererbung von Eigenschaften, die die für die Käseherstellung relevante Zusammensetzung der Milch betreffen, bei Zuchtbullen nicht phänotypisch
feststellen. Qualitätseigenschaften des Fleisches lassen sich bei Zuchttieren phäno-
28
typisch kaum feststellen, da eine umfangreichere Probenahme mit dem Tod des
Tieres verbunden wäre, es dann aber nicht mehr für die Zucht zur Verfügung
stände. Bestimmte Eigenschaften sind bei Merkmalsträgern phänotypisch nicht feststellbar, wenn sie rezessiv vererbt werden und die Tiere heterozygot in Bezug auf
dieses Merkmal sind.
In den oben genannten Fällen kann eine weitergehende Charakterisierung der
Zuchttiere erfolgen, wenn zusätzlich Informationen herangezogen werden, die auf
Ebene des Genotyps ermittelt werden. Das Prinzip beruht darauf, dass eine charakteristische DNA-Sequenz mit einem bestimmten Merkmal korreliert. Genanalytische und gendiagnostische Verfahren werden mit dem Ziel eingesetzt, eine gezieltere, präzisere Auswahl genetisch wertvoller Tiere zu treffen und durch einen zusätzlichen, früheren Selektionsschritt einen Zeit- und Effizienzgewinn zu realisieren.
4.4.2
Fallbeispiel: Stressanfälligkeit und Fleischqualität beim
Schwein
Die intensive Verbrauchernachfrage nach Fleisch mit möglichst geringem Fettanteil
hat in den letzten 30 Jahren in der Schweinezucht zur Selektion von Tieren geführt,
die sich durch einen hohen Magerfleischanteil, insbesondere im Rücken- und
Schinkenbereich bei gleichzeitiger Reduzierung des Fettgehaltes auszeichnen. Die
Selektion auf Fleischleistung ist beim Schwein sehr effektiv gewesen. Betrug 1965
das Fleisch/Fettverhältnis bei der Deutschen Landrasse in der BRD noch 1:0,87, so
war es 1977 schon auf 1:0,46 - also auf fast die Hälfte - gesunken. Diese Veränderungen in der Körperzusammensetzung war jedoch mit einer deutlichen Verschlechterung der Fleischqualität verbunden, wobei häufig die am besten klassifizierten Schlachtkörper betroffen sind. Diese Mängel in der Fleischbeschaffenheit
äußern sich in einem hohen Anteil an so genanntem PSE-Fleisch (pale, soft, exudative). PSE-Fleisch ist heller (blasser), weicher, weniger saftig, weniger zart, riecht
und schmeckt anders, ist weniger haltbar, hat ein geringeres Wasserbindungsvermögen und einen geringen Genusswert als Fleisch normaler, erwünschter Qualität.
Es zeigte sich, dass bei Tieren mit starker Fleischwüchsigkeit häufig eine hohe
Stressanfälligkeit sowie Abweichungen in der Fleischfärbung auftraten. Darüber
hinaus wurde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Fleischbeschaffenheit und
Stressanfälligkeit festgestellt. Um die Fleischqualität zu verbessern, wurden daher
unter anderem züchterische Maßnahmen ergriffen. Tiere mit solchen Merkmalen
sollten erkannt und systematisch von der Zucht ausgeschlossen werden. Hierzu
wurde zunächst der so genannte Halothan-Test eingesetzt. Unter Einfluss einer Halothan-Narkose zeigen stressempfindliche Tiere eine Muskelstarre und erhöhte
29
Herz- und Atemfrequenzen sowie teilweise eine starke Hyperthermie1. Die Stressempfindlichkeit ist mit den Mängeln in der Fleischqualität eng verbunden. Heterozygote Tiere können jedoch mit dem Halothantest nicht erkannt werden. Zudem ist
der Halothantest für die Tiere belastend, zuweilen sogar tödlich.
Genomanalytische Untersuchungen haben nachgewiesen, dass für die Disposition
zum malignen Hyperthermie-Syndrom offenbar ein Defekt im Gen für den so genannten Ryanodinrezeptor verantwortlich ist. Der Gendefekt wurde beim Menschen
auf dem Chromosom 19 in Abschnitt q 13.1 gefunden. Beim Schwein wurde dieser
Genabschnitt auf dem Chromosom 6 gefunden. Das intakte Gen kodiert für den
Ryanodinrezeptor, der für die Ausbildung der Kalziumkanäle im sarkoplasmatischen Retikulum der Muskulatur verantwortlich ist. Durch Austausch einer Base
(Thymin statt Cytosin) kommt es zu einer Punktmutation mit der Folge, dass dieser
Rezeptor nicht mehr funktionsfähig ausgebildet wird, was zu Stressempfindlichkeit
und herabgesetzter Fleischqualität führt.
Auf der Basis der Erkenntnisse, die im Wesentlichen bei der Aufklärung des malignen Hyperthermie-Syndroms beim Menschen gewonnen wurden, wurde Anfang der
1990er-Jahre ein praxisreifer gentechnischer Diagnosetest entwickelt, der mit hoher
Sicherheit die Träger des Gendefektes in der Schweinepopulation identifizieren
kann. Das gendiagnostische Verfahren macht sichtbar, ob die oben beschriebene
Punktmutation im Erbgut eines bestimmten Schweines vorliegt oder nicht. Den
Schweinen wird etwas Blut entnommen und daraus DNA isoliert. Mit Hilfe der
Polymerase-Kettenreaktion (PCR) werden bestimmte Abschnitte des Ryanodinrezeptorgens selektiv vervielfältigt und damit für einen Nachweis zugänglich gemacht. Dann setzt man ein bestimmtes Restriktionsenzym zu, das so gewählt ist,
dass es den DNA-Abschnitt immer spaltet, wenn die Tiere, aus denen die DNA
stammt, stressresistent sind. Liegt jedoch die Mutation vor, die die Tiere stressanfällig werden lässt, kann das Restriktionsenzym nicht schneiden. Ob der DNA-Abschnitt vom Restriktionsenzym geschnitten wurde oder nicht, wird sichtbar gemacht, indem die DNA-Fragmente mit Hilfe der Gelelektrophorese im elektrischen
Feld nach ihrer Größe aufgetrennt werden: Findet sich nur ein großes DNA-Fragment von 134 Basenpaaren Länge, ist das Schwein homozygot stressanfällig, finden
sich zwei kleine DNA-Fragmente in einer Länge von 50 bzw. 84 Basenpaaren, ist
das Schwein homozygot stressresistent, und heterozygote Schweine, welche ein
mutiertes und ein nicht-mutiertes Gen besitzen, geben sich durch drei DNA-Fragmente mit einer Länge von 134, 84 und 50 Basenpaaren zu erkennen. Abbildung 4.5
fasst das Prinzip der Gendiagnostik am Beispiel der Stressanfälligkeit beim
Schwein zusammen.
1 Ein ähnliches Phänomen ist beim Menschen als malignes Hyperthermie-Syndrom (MHS)
bekannt. Es stellt eine der Haupttodesursachen während einer Anästhesie dar; die Häufigkeit liegt
bei 1 zu 12.000 Kindern bzw. bei 1 zu 40.000 Erwachsenen. Beim Menschen wird dieses
Merkmal in autosomal dominanter Weise vererbt, bei halothan-positiven Schweinen autosomal
rezessiv oder kodominant.
Abbildung 4.5:
#BOEFO
#BOEFO
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TUSFTTBOG—MMJHWPO;VDIUBVTTDIMJF’FO
.VUBUJPOOVSBVGFJOFN$ISPNPTPN
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&SHFCOJT
#BOEF
Prinzip der Gendiagnostik am Beispiel des "Stressgens" (RYR) beim Schwein
30
31
Das gendiagnostische Verfahren ist schonender als der Halothantest, da man nur
noch eine kleine Blutprobe des Schweins braucht. Auch Heterozygote werden zuverlässig erkannt. Das Verfahren ist kostengünstig durchzuführen. Deshalb hat das
gendiagnostische Verfahren den Halothantest in Deutschland vollständig abgelöst,
und es wurde eine durchgreifende Sanierung der Zuchtpopulationen im Hinblick auf
die Stressanfälligkeit erreicht. Es birgt aber auch die Gefahr, dass die Tiere aus
ökonomischen Gründen an nicht artgerechte Haltungs- und Produktionsbedingungen angepasst werden, statt umgekehrt.
4.4.3
Weitere Anwendungsbeispiele der Gendiagnostik und Genanalytik
In der züchterischen Praxis werden noch andere gendiagnostische Verfahren angewendet, um Tiere von der Zucht auszuschließen, welche die Anlagen für die Ausbildung von Krankheiten tragen, so z. B. Weaver-Syndrom bei Rindern, boviner
Leukozyten-Adhäsionsdefekt.
In der Rinderzucht ist auch die Zusammensetzung der Milchproteine von züchterischem Interesse, da eine Veränderung des κ-Kaseingehalts in der Milch zu höheren
Käseausbeuten führen kann. Um dieses Zuchtziel zu erreichen, wird die Gendiagnostik zur Bestimmung des κ-Kaseingenotyps bei Zuchtbullen herangezogen. Indem die Bestimmung bei männlichen Tieren erfolgt, kann die Zucht beschleunigt
werden, da nicht die Tochtergeneration mit weiblichen Nachkommen zur Bestimmung der Milchproteinzusammensetzung abgewartet werden muss.
Auch der Elternschaftsnachweis, d. h. eine Kontrolle der Eintragungen in Zuchtbücher, wird mittels genanalytischer Verfahren geführt. Im Zuge der BSE-Krise ist die
Frage nach einem lückenlosen und vor allem fälschungssicheren Herkunftsnachweis
von Nutztieren sehr wichtig geworden. Diskutiert wird z. B. die Einführung einer
"genetischen Ohrmarke". Bei der Genotypisierung wird von jedem Tier ein DNAProfil ("genetischer Fingerabdruck") erstellt, das so individuell ist, dass man theoretisch ein einzelnes Tier aus 6 Milliarden Tieren identifizieren kann. Der genetische Fingerabdruck kann aus verschiedenen Geweben der Tiere, z. B. Blut, Haut,
Haaren mit Haarwurzeln, Federn mit Federkielen und nach der Schlachtung aus
Fleisch und Fleischprodukten angefertigt werden. Ein Vergleich der DNA-Profile
einzelner Tiere oder aus deren Produkten mit dem Profil, das früher angefertigt und
in einer Datenbank gespeichert wurde, ermöglicht den zweifelsfreien Nachweis der
Identität. Falls keine Vergleichsprobe existiert, kann die Abstammung eines Tieres
von den Zuchttieren überprüft werden (Abb. 4.6; http://www.medigenomix.de).
32
Abbildung 4.6:
Prinzip des Herkunftsnachweises von Tieren und tierlichen Produkten durch eine auf einer DNA-Analyse basierenden "genetische Ohrmarke"
Quelle: http://www.medigenomix.de
Diese DNA-analytischen Verfahren ermöglichen auch eine Qualitätskontrolle von
tierlichen Erzeugnissen, wie z. B. die Bestimmung, von welcher Tierart eine bestimmte Fleischsorte in der Wurst stammt.
Ein wesentlicher Anwendungsbereich ist auch die Untersuchung von züchtungsrelevanten Merkmalen im Rahmen von Reproduktionstechniken, d. h. an Keimzellen,
Embryonen und präpubertären Nachkommen.
33
4.4.4
Vorteile und Folgen gendiagnostischer und genanalytischer
Verfahren in der Tierzucht und -produktion
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorteile der Gendiagnostik in der
schnellen, mit geringem Aufwand durchführbaren Methodik liegen, was mit geringen Kosten verbunden und für das Tier minimal invasiv ist. Mittels der Gendiagnostik kann auf genetisch (mit)bedingte Eigenschaften selektioniert werden. Unter
anderem kann auf Merkmale selektioniert werden, welche im äußeren Erscheinungsbild (Phänotyp) nicht erkennbar sind. Es können auch heterozygote Merkmalsträger identifiziert werden. Dadurch kann eine gezieltere, präzisere, frühzeitigere Auswahl züchterisch wertvoller Tiere getroffen und Zuchtprogramme beschleunigt werden. Verschiedene Gentests können dem Verbraucherschutz und dem
Tierschutz dienen.
Nachteile der Gendiagnostik liegen darin, dass der Zusammenhang zwischen Gen
und Eigenschaft bekannt sein muss. Dies ist zurzeit aber für viele züchterisch relevante Eigenschaften nicht der Fall. Bislang können überwiegend Eigenschaften
genanalytisch getestet werden, welche nur durch ein Gen oder wenige Gene vermittelt werden. Die meisten züchterisch relevanten Eigenschaften, wie z. B. Leistungsparameter, Widerstandsfähigkeit, Fruchtbarkeit, sind jedoch polygen bedingt
und daher einer DNA-Analyse zurzeit nur eingeschränkt zugänglich. Zudem ist das
Genom von Säugern komplex, und pleiotrope Effekte, wie z. B. der Zusammenhang
von Fleischqualität und Stressanfälligkeit beim Schwein, sind nicht auszuschließen.
Im Rahmen von Zuchtprogrammen leisten gendiagnostische Verfahren mittelbar
einen Beitrag zur Einengung der genetischen Vielfalt, da sie auch den sicheren Ausschluss von Heterozygoten von der Zucht ermöglichen und es so zum vollständigen
Verlust eines bestimmten Allels aus der Population kommen kann. Zudem tragen
diese Verfahren zur Selektion auf Hochleistung mit deren unerwünschten Begleiteffekten bei. Aus dem Blickwinkel des Tierschutzes besteht die Gefahr, dass Tiere
mittels der Gendiagnostik an nicht artgerechte Haltungs- und Produktionsbedingungen angepasst werden, anstatt diese Bedingungen zu verbessern (Bsp. Stressanfälligkeit).
4.5
Transgene Tiere
4.5.1
Methodische Ansätze zur Herstellung transgener Tiere
Transgene Tiere werden dadurch hergestellt, dass in vitro rekombinierte DNA, ein
so genanntes DNA-Konstrukt, in tierliche Zellen eingeführt wird. Ziel des Gen-
34
transfers ist es, das DNA-Konstrukt in das Erbgut aller Körperzellen eines Tieres
einschließlich der Keimzellen zu integrieren. Deshalb werden für den Gentransfer
frühe embryonale Entwicklungsstadien verwendet. In der Regel soll das eingebrachte DNA-Konstrukt auch exprimiert werden. Durch den Gentransfer werden
dann bestimmte Eigenschaften des Empfängerorganismus beeinflusst, ausgeschaltet
oder neu eingeführt.
Die Anwendung der Gentechnik ist bei Säugetieren inzwischen so weit fortgeschritten, dass Methoden etabliert sind, die es ermöglichen,
•
Gene dem Erbgut des Empfängertieres "hinzuzufügen", und zwar auch über Artgrenzen hinweg,
•
die eingeführten Gene zu exprimieren. Die Expressionsintensität (viel/wenig
Genprodukt) kann variiert werden, eine gewebespezifische Expression (z. B. eine
Expression ausschließlich in den Milchdrüsen) ist möglich, und auch eine zeitlich steuerbare Expression ist möglich.
•
Gene gezielt aus dem Erbgut des Empfängertieres zu entfernen,
•
Gene spezifisch zu mutieren, z. B. eine bestimmte Punktmutation einzuführen,
•
Gene gezielt abzuschalten, und dies auch zeitlich steuerbar (z. B. bei konditional
lethalen Genen von großer Bedeutung) bzw. auf bestimmte Gewebe beschränkt.
Diese Methoden sind bislang aber nur bei der Maus etabliert, dem zurzeit gentechnisch am besten zugänglichen Säugetier. Ein Teil der Methoden ist aber so schwierig, dass sie nur in darauf spezialisierten Labors beherrscht werden. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass bei Mäusen der Gentransfer auch in embryonale Stammzellen vorgenommen werden kann, aus denen dann ganze, transgene Mäuse hergestellt werden können, während bei transgenen Nutztieren wie Rind, Schwein, Schaf
und Ziege ein Gentransfer bislang nur durch die sehr viel ineffizientere Technik der
Mikroinjektion möglich ist. Diese Techniken werden im nachfolgenden Abschnitt
näher erläutert.
4.5.2
Methoden und Erfolgsraten des Gentransfers
Für den Gentransfer stehen prinzipiell verschiedene Methoden zur Verfügung
(Henze et al. 1995, S. 41ff., Lohner et al. 1997, S. 121ff.):
•
Mikroinjektion in den Vorkern von Zygoten,
•
Einsatz von defizienten Retroviren,
•
Gentransfer in embryonale Stammzellen,
•
"Beladen" von Spermien mit DNA und anschließende In-vitro-Befruchtung,
•
Verwendung von künstlichen Chromosomen als Vektor,
35
•
Verpackung der DNA in Liposomen und anschließende Injektion in Blastocysten,
•
Elektroporation, d. h. selektive, temporäre Permeabilitätsveränderung von
Membranen durch elektrische Impulse.
Abbildung 4.7 stellt die verschiedenen Methoden des Gentransfers für die Maus
dar.
Bei landwirtschaftlichen Nutztieren konnte bisher nur die Mikroinjektionstechnik
erfolgreich zur Herstellung transgener Nachkommen eingesetzt werden. Für die
Mikroinjektion muss ein ganz bestimmtes Entwicklungsstadium abgepasst werden,
für das es nur ein sehr kleines Zeitfenster gibt. Dies ist ein Stadium kurz nach der
Befruchtung der Eizelle, nachdem das Spermium in die Eizelle eingedrungen ist,
den Spermienschwanz abgeworfen und sich der Spermienkopf in den männlichen
Vorkern umgewandelt hat. Männlicher und weiblicher Vorkern sind aber noch nicht
miteinander verschmolzen. In diesem Stadium kann Fremd-DNA (man verwendet
etwa 2 pl (= 10-12 l) der jeweiligen DNA-Lösung) in den männlichen Vorkern der
befruchteten Eizelle injiziert werden. Dafür sind Mikroinstrumente erforderlich,
damit die befruchtete Eizelle (Zygote) mit einem Durchmesser von etwa 150 bis
160 µm durch die Mikroinjektion nicht geschädigt wird. Natürlicherweise befinden
sich Zygoten in diesem Entwicklungsstadium im Eileiter und können bei landwirtschaftlichen Nutztieren nur durch einen operativen Eingriff gewonnen werden. Dabei wird die Bauchhöhle eröffnet, beide Eileiter werden gespült und die Zygoten in
der Spülflüssigkeit aufgesucht. Dieser Vorgang ist bei Schwein, Schaf oder Ziege
relativ leicht durchführbar, beim Rind hingegen sehr aufwändig und erschwert deshalb den Gentransfer erheblich. Deshalb werden beim Rind heute fast ausschließlich Zygoten verwendet, die durch In-vitro-Fertilisation hergestellt wurden. Im Anschluss an die Mikroinjektion werden die Zygoten meist für einen kurzen Zeitraum
in vitro kultiviert, um mikroinjektionsbedingte Schädigungen zu erkennen. Anschließend werden intakte Zygoten durch einen operativen Eingriff in die Eileiter
synchronisierter, d. h. zyklusgleicher Empfängertiere übertragen. Beim Rind werden die Zygoten häufig zu 7 bis 8 Tage bis zur Blastozyste in vitro kultiviert, die
unblutig in die Gebärmutter übertragen werden können.
Abbildung 4.7:
Schematische Darstellung von Methoden des Gentransfers bei der Maus
36
37
Wie die injizierte DNA in das Wirtsgenom integriert, ist bisher nicht bekannt. Bei
Nutztieren kann die Anzahl der in das Empfängergenom integrierenden Gene, der
Integrationsort, die Expression und auch die stabile Weitergabe an Tochterzellen
bzw. Nachkommen nur in geringem Maße gesteuert und beeinflusst werden. Abbildung 4.8 zeigt exemplarisch, durch welche Prozesse die Effizienz der Erzeugung
transgener Tiere verringert wird. So findet bei bis zu 90 % der mikroinjizierten Eizellen keine Integration der injizierten DNA ins Genom statt, nur in 10 - 30 % der
Fälle erfolgt eine Integration ins Genom. Bei bis zu 70 % der daraus resultierenden
Tiere der ersten Generation, der so genannten Founder-Generation, ist das injizierte
Gen in allen Zellen integriert, jedoch bilden rund 30 % der transgenen Tiere einen
so genannten Mosaiktyp, bei dem das injizierte Gen nur in einem Teil der Zellen
des Organismus exprimiert wird. Betrachtet man die nachfolgende Generation, die
so genannte Tochter-Generation, so stellt man fest, dass bei ca. 20 % der Nachkommen keine Weitergabe der injizierten DNA beobachtet wird. 20 - 30 % der
Tiere der ersten Tochtergeneration bilden einen Mosaiktyp. Nur etwa 50 % der
Nachkommen der Founder-Generation zeigen eine stabile Integration des injizierten
Gens ins Genom und können daher zur Etablierung einer transgenen Tierlinie dienen.
Abbildung 4.8:
Verbleib von Fremd-DNA nach Mikroinjektion
keine Integration
ins Genom
(bis zu 90%)
Integration
ins Genom
(10-30%)
Integration in alle Zellen
(bis zu 70%)
keine Weitergabe
an Nachkommen
(20 %)
Quelle
Weitergabe (50%)
Mosaiktyp
(rund 30 %)
Weitergabe als
Mosaik (20-30%)
Pursel et al. 1990
Die Ausbeute an transgenen Tieren nach Gentransfer durch Mikroinjektion wird
somit vor allem durch drei Faktoren bestimmt: die Rate der Genintegration, die
Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit des Embryos, und die stabile Ausprägung
des Transgens. Diese Ausbeute ist artspezifisch und insgesamt sehr niedrig. Die
Tabellen 4.3 und 4.4 fassen die Ergebnisse zum Embryonenverbrauch und zur Ausbeute an transgenen Tieren zusammen.
38
Tabelle 4.3:
Eizellenverbrauch bei Mikroinjektion, sich entwickelnde Föten und
Ausbeute an transgenen Tieren für verschiedene Tierarten
Eizellen
Art
Föten
Injektionen Transfer
Transgene Tiere
Anzahl
% von
Injektion
Anzahl
% der
geborenen
% von
Injektion
Maus
12 314
12 314
1 847
15,0
321
17,3
2,61
Schwein
19 397
19 397
1 920
9,9
177
9,2
0,91
Schaf
5 242
5 242
556
10,6
46
8,3
0,88
Ziege
1 058
782
173
16,4
12
6,9
1,11
Rind
11 206
1 018
193
1,7
7
3,6
0,06
Tabelle 4.4:
Tier
Rind
Schaf
Schwein
Ziege
Erfolgsraten bei der Produktion transgener Tiere durch Mikroinjektion
Lebensfähige Nachkommen mit aktivem Fremdgen
in % der mikroinjizierten Zygoten
0,06-0,75
0,1-4,4
0,3-4
0,5-3
Quelle: Ammann und Vogel (2000), S. 25
Wegen der geringen Ausbeuten an transgenen Tieren und deren teilweise instabilen
und in ihrer Ausprägung nicht genau vorhersagbaren Ausprägung der durch das
Fremdgen vermittelten Eigenschaft sowie der langen Zeiträume bis zur Geburt einer
Tochtergeneration ausgehend von transgenen Foundertieren ist die Herstellung
transgener Nutztiere ein zeit- und ressourcenaufwändiger, teurer Prozess. Die Kosten für die Herstellung eines transgenen Nutztiers liegen in der Größenordnung von
rund 75.000 US-$/Tier für Schaf oder Ziege, ca. 100.000 US$ für ein transgenes
Schwein und eines transgenen Rindes zwischen 500.000 und 1 Mio. US-$ (Ammann und Vogel 2000, S. 22), für die Herstellung einer transgenen Maus rechnet
man mit etwa 5.000 US-$. Diesen Prozess will man durch Integration von Reproduktionstechniken, genanalytischen und gendiagnostischen Verfahren und Optimierung des Gentransfers zielgerichteter, ressourceneffizienter und weniger zeitintensiv
gestalten. Man geht davon aus, dass das somatische Klonen für die nahezu identische Vervielfachung ausgewählter transgener Nutztiere einen wesentlichen Beitrag
leisten kann; bzw. der Gentransfer künftig in Zell-Linien vorgenommen wird, die
gewünschten Geno- und Phänotypen auf der Ebene der Zell-Linie selektiert und
39
daraus dann durch somatischen Kerntransfer ein vollständiges, transgenes Tier hergestellt wird (Colman 1999; Wilmut 1999, S. 37; Niemann und Kues 2000). Tabelle 4.5 zeigt exemplarisch, welche Effizienzsteigerungen durch Gentransfer durch
somatischen Kerntransfer im Vergleich zur Mikroinjektion möglich sind. Abbildung 4.9 macht den Unterschied zwischen Klonen und gentechnischer Veränderung
nochmals deutlich.
Tabelle 4.5:
Effizienz der Herstellung transgener Rinder – Vergleich von Gentransfer durch somatischen Kerntransfer mit Gentransfer durch
Mikroinjektion
Klonen durch
somatischen
Kerntransfer
Methode
Gentransfer durch
Mikroinjektion
Effizienz der Teilschritte
Zahl der für den Gentransfer eingesetzten
Eizellen bzw. Zygoten
Zahl der sich daraus entwickelnden Blastocysten
Zahl der Embryonen, die auf Ammentiere
übertragen wurden (1 Embryo/Ammentier)
Zahl der lebend geborenen Kälber
Zahl der transgenen Kälber
276
25023
33
(12 % von 276)
1282
(5 % von 25023)
28
978
5
134
(18 % der transfe- (14 % der transferierten Embryo- rierten Embryonen)
nen)
5
9
(100 % der insge- (7 % der insgesamt lebend gesamt lebend geborenen Kälber) borenen Kälber)
Effizienz des gesamten Prozesses
Zahl der Eizellen bzw. Zygoten pro transgenem Kalb
55
2780
Zahl der Ammentiere pro transgenem Kalb
5,6
108
Quelle: Heyman 2001, S. 254
40
Abbildung 4.9:
4.5.3
Unterschied zwischen Klonen und transgener Veränderung von
Tieren
Anwendungsbereiche für den Einsatz transgener Tiere
Tabelle 4.6 gibt eine Übersicht über aktuelle und mögliche künftige Einsatzbereiche
transgener Tiere. Praktische Anwendung finden zurzeit nur transgene Tiermodelle
in der Forschung. Bestimmte Entwicklungslinien innerhalb des Pharming könnten
in den kommenden fünf Jahren Marktreife erlangen. Alle anderen in Tabelle 4.6
aufgeführten Beispiele stellen prinzipielle Möglichkeiten dar, die teilweise in der
Vergangenheit erprobt, aber nicht ernsthaft weiterverfolgt werden, die sich noch im
Forschungsstadium ohne unmittelbare Anwendungsrelevanz befinden oder die
41
grundsätzliche, aber nicht experimentell verifizierte Anwendungsmöglichkeiten
darstellen.
Zurzeit werden transgene Tiere vor allem als Tiermodelle in der biologischen und
biomedizinischen Grundlagenforschung und der pharmakologischen Forschung
eingesetzt. Modelltier der Wahl ist die Maus. Sie zeichnet sich durch kurze Generationszeiten und viele Nachkommen aus. Genetisch besteht eine große Ähnlichkeit
zwischen Maus und Mensch. Es existieren zahlreiche Mauslinien mit bekannten
und gut charakterisierten Mutationen; zudem sind zahlreiche Mausgene bekannt
und charakterisiert. Für die gentechnische Veränderung von Mäusen sind ausgefeilte Methoden gut etabliert. Aus der Forschung sind transgene Mäuse heutzutage
nicht mehr wegzudenken; dort finden sie breite Verwendung.
Demgegenüber spielen transgene Nutztiere mit dem Ziel der Anwendung in der
Landwirtschaft und für die menschliche Ernährung zurzeit keine Rolle (Ammann
und Vogel 2000, S. 4ff, The Royal Society 2001, S. 9ff.). Ein wesentlicher Grund
hierfür liegt darin, dass die hohen Kosten zur Herstellung eines transgenen Nutztieres den ggf. erzielbaren Nutzen in der Landwirtschaft zurzeit nicht aufwiegen. Für
die fernere Zukunft ist die Herstellung gesundheitsfördernder Lebensmittel durch
transgene Tiere denkbar, dies setzt jedoch eine Weiterentwicklung von Reproduktionstechniken, Genanalytik und -diagnostik sowie transgenen Technologien und
die Nutzung von Synergieeffekten zwischen diesen Techniken voraus.
Als günstiger wird die Kosten-Nutzen-Kalkulation zurzeit für den Einsatz von
transgenen Nutztieren im Pharmabereich eingeschätzt, dem so genannten Pharming.
Hier werden Nutztiere gentechnisch so verändert, dass sie in ihrer Milch therapeutische Proteine produzieren (Ziomek 1998; Rudolph 1999; Wall 1999; Brink et al.
1999; Houdebine 2000), oder die transgene Veränderung soll die Tiere als Organspender für den Menschen nutzbar machen (so genannte Xenotransplantation) (Hüsing et al. 1998, Hüsing und Schicktanz 2000, Beckmann et al. 2000). Das Pharming könnte innerhalb der kommenden fünf Jahre erste marktreife Produkte hervorbringen (s. auch Kap. 6).
Eher als Randgebiet ist die Herstellung gentechnisch veränderter Insekten einzustufen. Neben gentechnischen Arbeiten am Modellorganismus Drosophila in der
Grundlagenforschung geht es um gentechnische Ansätze zur Populationskontrolle
von Schadinsekten oder krankheitsübertragenden Insekten, sowie zur Optimierung
der Seidenproduktion.
•
Herstellung therapeutischer Proteine in der Milch • Transgene Schafe, die menschliches α-1-Antitrypsin
transgener Nutztiere
zur Therapie von Cystischer Fibrose und Lungenemphysem in ihrer Milch exprimieren
•
Transgene Ziegen, die Antithrombin III zur Auflösung
von Blutgerinnseln in ihrer Milch exprimieren
Xenotransplantation (Transgene Tiere als Organ- • Transgene Schweine, die einen menschlichen Kom"Spender" für den Menschen)
plementregulator exprimieren, so dass ihre Organe
nach Transplantation vom Immunsystem des Empfängers weniger heftig abgestoßen werden
•
Transgene Tiere mit höherer Empfindlichkeit zur Detektion seltener Langfristeffekte (z. B. Krebsmaus)
•
Pharming
Transgene Tiere mit Reportergenen (z. B. Leucht-oder
Farbgenen) zur einfacheren Detektion der Schädigung
Toxizitäts-, Mutagenitäts- und Kanzerogenitätstests
•
Pharmakologische
Forschung
•
Genfunktionen ermitteln
Tiermodelle für (menschliche) Krankheiten und für • Transgene Mäuse oder Ratten, die genetische Defekte
Lebensprozesse
aufweisen, dass sie als Modell für menschliche Erkrankungen dienen können (z. B. Tiermodell für
• Krankheits- und Lebensprozesse verstehen
Muskeldystrophie Duchenne, für Diabetes, für Blut• Therapieansätze entwickeln und testen
hochdruck)
• Hypothesen über Ursachen und Einflussfaktoren
testen
•
Beispiel
•
Biomedizinische
Forschung,
Grundlagenforschung
Verwendungszweck des transgenen Tiers
Übersicht über Einsatzbereiche für transgene Tiere
Einsatzbereich
Tabelle 4.6:
42
•
Veränderte Zusammensetzung der Kuhmilch
Verwendungszweck des transgenen Tiers
Modifikation des Kaseinproteins in Kuhmilch für eine
effizientere Käseproduktion
•
Effizientere Seidenproduktion
•
•
Seidenproduktion
Populationskontrolle von krankheitsübertragenden • Gentechnische Herstellung steriler Männchen und
Insekten oder Schadinsekten
deren Freisetzung zur Reduktion der Population
Drosophila als Modellorganismus
Transgene Kühe, die laktosearme Milch produzieren,
die für Menschen, die Laktose nicht verdauen können,
Verwendung finden könnte
•
•
Transgene Kühe, die Kuhmilch mit den menschlichen
Milchproteine Lysozym und Laktoferrin bilden; diese
"humanisierte" Kuhmilch könnte für die Säuglingsernährung Verwendung finden
•
Beispiel
•
Transgene Insekten • Grundlagenforschung
Menschliche
Ernährung
Einsatzbereich
Fortsetzung Tabelle 4.6
43
Änderung von Schafwolleigenschaften
Verringerung von tierhaltungsbedingten Umweltbe- • Transgene Schweine, die das Phosphat-freisetzende
lastungen
Enzym Phytase in ihrem Speichel bilden, wodurch die
Phosphatkonzentration in der Gülle verringert werden
kann
•
•
Transgene Schafe mit veränderter Wolleigenschaften,
um Färbbarkeit der Fasern oder Neigung zum Filzen
zu modifizieren
Transgene Ziegen, die in ihrer Milch Spinnenseidenproteine als Ausgangsmaterial für neuartige Fasern
herstellen
•
•
Transgene Schweine, die energiereichere Milch für
eine effizientere Ferkelaufzucht produzieren
•
Milchzusammensetzung
Expression von Antikörper-Genen bzw. Virushüllproteinen, um Resistenz/Immunität gegenüber bestimmten Krankheitserregern und Parasiten zu vermitteln, z. B. Maul- und Klauenseuche, Mastitis
•
•
Beeinflussung der Effizienz der Futterverwertung
Krankheitsresistenz
•
Beeinflussung von Wachstum, Fleischmenge und – • Transgene Tiere mit Wachstumshormongenen; insbequalität
sondere bei Fisch weit entwickelt
Beispiel
•
•
Verwendungszweck des transgenen Tiers
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Informationen aus Ammann und Vogel (2000) und The Royal Society 2001, S. 9ff.
Landwirtschaft
Einsatzbereich
Fortsetzung Tabelle 4.6
44
45
4.5.4
Folgen der gentechnischen Veränderung von Tieren
Problemfelder der gentechnischen Veränderung von Tieren ergeben sich vor allem
in den Bereichen
•
ineffiziente Methoden des Gentransfers,
•
unerwünschte Nebenwirkungen auf das Tier durch Positionseffekte des eingefügten Gens,
•
Belastung der Tiere durch die Expression des Gens.
Durch die bislang ineffizienten Methoden des Gentransfers und der nachfolgenden
Entwicklung der befruchteten Eizellen zu lebensfähigen Nachkommen bedeutet die
gentechnische Veränderung eine sehr umfangreiche Inanspruchnahme von Tieren,
und zwar sowohl der Tiere, deren Keimzellen für die Zygotenherstellung verwendet
werden, als auch der Embryonen, die in den Gentransfer eingesetzt werden, als auch
der Ammentiere, die die gentechnisch veränderten Embryonen austragen sollen, als
auch die – teilweise – gentechnisch veränderten Nachkommen. Keimzellenspender
und Ammentiere werden in der Regel hormonell behandelt und teilweise chirurgischen Eingriffen unterzogen. Die gentechnisch veränderten Embryonen sind häufig
in ihrer Entwicklung gestört, so dass es zu einer hohen Zahl an Fehlgeburten während der Schwangerschaft kommt.
Da sich bei der Mikroinjektionsmethode der Ort, an den die Fremd-DNA in das
Genom integrieren wird, nicht vorher bestimmen bzw. steuern lässt, kann das Empfängertier dadurch beeinträchtigt werden, dass das neu integrierte Gen empfängereigene Gene zerstört bzw. in ihrer Expression verändert bzw. das integrierte Gen
durch die umliegende Empfänger-DNA in seiner Expression verändert wird. Dass
die tatsächliche Wirkung des eingeführten Fremdgens nicht nur von seiner eigenen
Struktur bestimmt, sondern auch durch den räumlichen Kontext im Empfängerorganismus mit beeinflusst wird, bezeichnet man als "Positionseffekte".
Die Expression von Fremdproteinen kann das Wohlbefinden und die Gesundheit
der transgenen Tiere beeinträchtigen, insbesondere, wenn es sich bei den exprimierten Fremdproteinen um Substanzen mit hoher biologischer Wirksamkeit handelt (z. B. Wachstumshormone).
Im Falle der gentechnischen Veränderung von Labortieren muss man sich vor Augen führen, dass in diese Tiere absichtlich krankheitserzeugende genetische Veränderungen eingeführt werden, um auf diese Weise Tiermodelle für Krankheiten oder
toxikologische Untersuchungen zu schaffen. Dies dürften Qualzuchten sein. Welche
Auswirkungen der Einsatz gentechnisch veränderter Tiere auf das Leiden von Versuchstieren und deren quantitativen Verbrauch hat, kann nur im Einzelfall entschie-
46
den werden, da die Folgen komplex sind: zum einen könnten transgene Tiermodelle
insgesamt spezifischere und aussagekräftigere Tierversuche ermöglichen und damit
das Potenzial zur Verringerung von Tierversuchen bzw. des Leidens vieler Versuchstiere bergen, zum anderen werden dadurch viele tierexperimentelle Möglichkeiten überhaupt erst erschlossen.
Insbesondere wenn transgene Tiere zur Produktion von Pharmawirkstoffen oder
sogar Transplantaten verwendet werden, müssen sie aus Gründen der Produktsicherheit unter besonderen Bedingungen gezüchtet und gehalten werden, die kaum
artgerecht sein dürften.
4.6
Zusammenfassung
Reproduktionstechniken werden in der Tierzucht breit angewendet. Ihre Beherrschung stellt die Voraussetzung für die Herstellung transgener Tiere dar. Gentechnik am Tier findet derzeit bereits vielfältigen Einsatz bei landwirtschaftlichen Nutztieren in Form der Genanalytik und Gendiagnostik und der Verwendung biotechnologisch hergestellter Wirkstoffe (Impfstoffe, Medikamente). Gentechnik im Tier
spielt im Zusammenhang mit der biomedizinischen Forschung eine wichtige Rolle.
Hierbei finden hauptsächlich transgene Nager als transgene Tiermodelle breite
Verwendung. Erste kommerzielle Nutzungen transgener landwirtschaftlicher Nutztiere, die in ihrer Milch therapeutische Proteine produzieren, werden für die kommenden fünf Jahre erwartet. Transgene landwirtschaftliche Nutztiere, die in Eigenschaften für die landwirtschaftliche Produktion oder für die menschliche Ernährung
verändert wurden, sind noch weit von einer praktischen Anwendung entfernt.
Reproduktionstechniken sind essenzielle Voraussetzung für die Herstellung transgener Tiere. In Kombination mit transgenen Techniken sowie gendiagnostischen
und genanalytischen Techniken sind Synergieeffekte erzielbar, die über das Anwendungsspektrum der Einzeltechniken weit hinausgehen.
Insgesamt stellt die Anwendung von Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
eine hohe Inanspruchnahme von Tieren für menschliche Bedürfnisse dar. Damit ist
häufig eine Beeinträchtigung von Gesundheit, Wohlbefinden und Verhalten der
involvierten Tiere verbunden. Exemplarisch und stichwortartig seien genannt:
•
Qualzuchten bei transgenen Tiermodellen für Krankheiten; komplexe Auswirkungen der Verfügbarkeit transgener Tiere auf den Versuchstierverbrauch und
das Leiden der Tiere in Tierversuchen,
•
Beeinträchtigung von Eltern und Ammentieren sowie der Nachkommen durch
die Anwendung von Reproduktionstechniken; Beeinträchtigungen transgener
Tiere durch das inserierte Fremdgen (Positionseffekte) und das exprimierte
47
Fremdprotein; spezielle, ggf. wenig artgerechte Haltungsbedingungen erforderlich, wenn Pharmaka oder Organtransplantate durch transgene Tiere bereitgestellt werden sollen.
Hier ist zu fragen, welches Verhältnis des Menschen zum Tier sich hierin wiederspiegelt, für welche Ziele diese Form der Tiernutzung im Rahmen einer Güterabwägung noch tolerabel erscheint bzw. ob die Ziele nicht auch auf anderen, akzeptableren Wegen erreichbar sind. Und schließlich ist zu bedenken, dass die Techniken, die an Tieren entwickelt werden und zum Einsatz kommen, grundsätzlich auch
beim Menschen angewendet werden könnten.
4.7
Zitierte Literatur
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51
5.
Bewertung von Anwendungen der Gentechnik durch
Experten und Laien
Dr. René Zimmer, Fraunhofer-Institut für
Systemtechnik und Innovationsforschung, Karlsruhe
5.1
Einleitung
In Deutschland wird seit einigen Jahren eine sehr scharfe und kontroverse Debatte
über die Gentechnik geführt. Dabei wird der Eindruck vermittelt, dass diese öffentliche Kontroverse in Deutschland sehr viel emotionaler und schärfer ausgetragen
wird als in anderen europäischen Ländern ("deutscher Sonderweg"). Die weit verbreitete Ablehnung der Gentechnik durch die Deutschen wird auf verschiedene Ursachen zurückgeführt: Zum einen wird der Öffentlichkeit unterstellt, sie verharre in
irrationaler Technikfeindlichkeit und reagiere bei allen neuen Technologien zunächst einmal ablehnend. Zum anderen werden ein unzureichendes Wissen über die
Gentechnik und ihre Anwendungen sowie eine meist als negativ wahrgenommene
Berichterstattung der Medien als Ursachen angenommen.
Im folgenden Beitrag soll hinterfragt werden, inwieweit dieses weit verbreitete Bild
über die Einstellung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber der Gentechnik tatsächlich zutreffend ist. Dabei werden in den Abschnitten 5.2 und 5.3 ausgewählte
Ergebnisse von Forschungsarbeiten aus den jüngsten Jahren vorgestellt. Hierbei
wurden sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene die Einstellungen der Bevölkerung zur Gentechnik soziologisch untersucht. Darüber hinaus wird gefragt, wie
diese Einstellungen zustande kommen und welche Faktoren die Einstellungen jeweils beeinflussen. Aus diesen empirischen Befunden werden in Abschnitt 5.4 Anforderungen an die Kommunikation über Gentechnik abgeleitet, die auch Leitlinien
für die Umsetzung entsprechender Unterrichtseinheiten in der Schule sein können.
5.2
Auswählte Ergebnisse repräsentativer Bevölkerungsumfragen zu Einstellungen zur Gentechnik in der Bevölkerung
Im Jahr 1996 wurde im Rahmen der Eurobarometer-Befragung 46.1 eine Bürgerbefragung in allen europäischen Ländern durchgeführt, bei der die Befragten gebeten
wurden anzugeben, ob sie von der Gentechnik eine Verbesserung ihres Lebens in
den nächsten 20 Jahren erwarten, ob sie keine Auswirkung haben werde oder ob die
52
Gentechnik die Dinge verschlechtern werde (European Commission 1997). Betrachtet man die Bewertung der Bio- und Gentechnik, so bestätigt sich auf den ersten Blick das Bild einer besonders starken Ablehnung der Bio- und Gentechnik in
Deutschland (Abb. 5.1). In der Tat werden positive Erwartungen in Bezug auf die
Bio- und Gentechnik in Deutschland seltener genannt als in den meisten anderen
europäischen Ländern. Noch geringer ist der Optimismus nur noch in Griechenland
und Österreich, wobei der geringe Anteil in Griechenland, der Verbesserungen erwartet, nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass sich hier fast die Hälfte der Befragten außerstande sieht, ein Urteil abzugeben. Die Vorstellung, dass die Skepsis
der Deutschen gegenüber der Bio- und Gentechnik vor allem auf eine Überbetonung negativer Entwicklungen zurückzuführen sei, kann allerdings nicht bestätigt
werden. Im Gegenteil, wider Erwarten gehört Deutschland nicht zu den pessimistischsten Ländern. Zwar erwarten rund 23 % der Befragten in Deutschland, dass
Bio- und Gentechnik ihr Leben negativ verändern wird. Höher als in Deutschland
ist dieser Anteil aber in den Niederlanden, in Finnland, in Großbritannien, in Dänemark und vor allem in Österreich. Besonders selten werden negative Erwartungen
dagegen in den Ländern Südeuropas, in Frankreich, Belgien und Irland geäußert
(Hampel 1999, European Commission 1997). Damit scheint die Haltung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber der Bio- und Gentechnik nicht von Angst, sondern
eher von Skepsis geprägt zu sein.
Um zu überprüfen, ob diese skeptische Haltung der Deutschen gegenüber der Biound Gentechnik auf eine generelle Technikfeindlichkeit zurückzuführen ist, muss
man das Antwortverhalten für verschiedene moderne Technologien betrachten
(Abb. 5.2). Im 1997 durchgeführten Biotech-Survey wurden 1.500 deutsche Bundesbürger über 16 Jahren telefonisch zu ihren Einstellungen zur Gentechnik befragt
(Hampel und Renn 1998, Hampel et al. 1997). Dabei sollten sie angeben, ob sie für
die Solarenergie, die Computer- und Informationstechnik, die Telekommunikation,
die Gentechnik und die Weltraumforschung für ihr Leben in den kommenden
20 Jahren eher Verbesserungen erwarten, ob diese Technologien ohne Einfluss
bleiben werden oder ob sie die Dinge verschlechtern werden. Die Ergebnisse zeigen, dass von der oft zitierten Technikfeindlichkeit der Deutschen keine Rede sein
kann. Im Gegenteil: In die Solarenergie, die Computer- und Informationstechnik
und in die Telekommunikation werden hohe Erwartungen gesetzt. Über 70 % der
Befragten sind der Auffassung, dass diese Techniken ihr Leben in den nächsten
20 Jahren positiv beeinflussen werden. Nur kleine Minderheiten, zwischen 3 % bei
der Solarenergie und 9 % bei der Computer- und Informationstechnik, betrachten
diese Techniken skeptisch. Auch die Weltraumforschung wird insgesamt positiv
bewertet, wobei sich hier allerdings positive und neutrale Erwartungen weitgehend
die Waage halten (Abb. 5.2).
51
B elgien
57.1
S panien
Italien
4
12.9
40%
7
18.3
47.2
60%
4.7
24.5
20
16.8
25.1
8.4
100%
9.9
15.4
16.8
17.6
14.8
19.2
25.1
verschlechtern
weiß nicht
kein E ffekt
verbessern
Q uelle: E urobarom eter 46.1 (1997)
22.8
18.7
23.2
30.2
36.5
80%
31.3
30.3
22.4
23.5
25.9
24.1
15.6
20.4
17.8
22.6
32.5
22.3
15.9
3.5
5.6
9.8
9.8
9.4
10.6
10
8.5
9.4
13.4
13.9
22.6
A nteil der N ennungen (% )
56.3
P ortugal
0%
54.7
20%
49.5
46.7
E U -G esam t
N iederlande
45.9
G roß britannien
49.5
44.5
D änem ark
S chw eden
44.3
Finnland
Frankreich
43.5
Luxem burg
48.7
43.6
36.2
30.1
Irland
D eutschland
G riechenland
27.8
Erw artete A usw irkungen der G entechnik
Wird die Bio- und Gentechnik in den kommenden 20 Jahren unser Leben verbessern, keinen Einfluss haben oder wird
sie die Dinge verschlechtern? Einschätzungen der Bevölkerung in 15 europäischen Ländern
Ö sterreich
Abbildung 5.1:
53
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
Quelle: Biotech-Survey 1997
weiß nicht, k. A.
teils/teils
verschlechtern
kein Effekt
verbessern
Werden diese Technologien Ihr Leben in den nächsten 20 Jahren verbessern, keine
Auswirkungen haben, oder werden sie die Dinge verschlechtern?
100%
Erwartete Auswirkungen verschiedener Technologien in der deutschen Bevölkerung 1997
S
o
la
re
om
p
C
e
ne
r
ut
e
m
hn
gi
nd
ru
n
ie
ol
og
n
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m
un
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Te
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k
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In
fo
r
el
W
ng
sc
hu
fo
r
t ra
um
c
h
ni
k
te
en
G
Anteil der Nennungen (%)
Abbildung 5.2:
54
55
Während bei all diesen Techniken die positiven Erwartungen deutlich gegenüber
den negativen Erwartungen überwiegen, sieht dies bei der Gentechnik anders aus.
Hier erwarten relativ mehr Menschen Verschlechterungen als Verbesserungen
(36 % gegenüber 32 %). Die Gentechnik ist somit die einzige der hier aufgeführten
Techniken bzw. Technikbereiche, die mit mehr negativen als mit positiven Erwartungen verbunden wird. Rund 20 % glauben, dass sie keine Auswirkungen haben
wird. Diese kritische Bewertung der Gentechnik kann, wenn man die positive Beurteilung der anderen Technikbereiche sieht, sicher nicht auf eine allgemeine und
undifferenzierte Technikfeindlichkeit zurückgeführt werden. Selbst die Informations- und Kommunikationstechnik, die noch in den 80er-Jahren skeptisch bewertet
wurde, wird in ihren Auswirkungen mittlerweile positiv eingeschätzt und nur von
einer kleinen Minderheit mit negativen Erwartungen verbunden (Hampel und Renn
1998).
Weitere Ergebnisse dieser Befragung, die hier nicht im Detail dargestellt werden,
zeigen, dass die Einschätzung der Gentechnik durch die Bevölkerung von einer hohen Unbestimmtheit und Ambivalenz geprägt ist. Dieses Einstellungsbild widerspricht fundamental dem Bild einer polarisierten Öffentlichkeit. Fragt man nämlich
danach, ob die Bewertungen der Gentechnik eher vorsichtig oder ganz eindeutig
erfolgen, indem man die Gentechnikbewertung anhand einer 5-Punkte-Skala differenziert, so zeigt sich, dass immerhin 20 % der Befragten unentschieden waren und
keine Einschätzung zur Gentechnik abgeben konnten. Auch von denen, die sich für
eine Bewertung der Gentechnik entscheiden konnten, teilten fast 40 % die Auffassung, die Gentechnik sei gleichermaßen gut und schlecht. Extreme Bewertungen
(explizite Befürwortung oder explizite Ablehnung der Gentechnik) wurden nur von
jeweils rund 6,5 % der Befragten gewählt. Jeweils etwas über 20 % entschieden
sich für abgeschwächt positive bzw. abgeschwächt negative Urteile.
Die Ambivalenz und Differenziertheit des Urteils kommen auch bei der Frage nach
der Abwägung von Chancen und Risiken der Gentechnik insgesamt sowie bei der
Bewertung ausgewählter Anwendungen der Gentechnik (Abb. 5.3) zum Ausdruck.
Die höchste Zustimmung finden dabei – wie erwartet – medizinische Anwendungen
der Gentechnik, wie z. B. Anwendungen der Gentechnik für Therapie von Zell- und
Immunkrankheiten, die von insgesamt 70 % (38 % sehr gut, 32 % eher gut) befürwortet werden. Hier ist es nur eine vergleichsweise kleine Minderheit von 9 %, die
sich ablehnend äußert.
Kritischer reagieren die Befragten auf die so genannte "grüne Gentechnik", die Anwendung gentechnischer Methoden in der Landwirtschaft. Beim Einsatz der Gentechnik zur Veränderung der Widerstandskraft von Nutzpflanzen gegen Insekten
oder Pflanzenkrankheiten überwiegt nur knapp die Zustimmung (insgesamt 36 %
halten diese Anwendung für sehr gut oder für eher gut), allerdings lehnen auch fast
ebenso viele diese Anwendung ab (33 % eher schlecht bzw. sehr schlecht). Extrem
Genübertragung zwischen
Tierarten, um landwirtschaftlichen Nutzen zu
steigern
Labortiere für die
Arzneimittelforschung
Krankheits- und
Schädlingsresistenz von
Nutzpflanzen
0%
10%
20%
40%
50%
60%
70%
Anteil der Nennungen (%)
30%
80%
100%
Quelle: Biotech-Survey 1997
90%
keine abschließende
Meinung
beschäftigt mich
nicht
weiß nicht, k. A.
sehr schlecht
eher schlecht
teils/teils
eher gut
sehr gut
Wie beurteilen Sie den Einsatz der Gentechnik für folgende Anwendungen?
Bewertung ausgewählter Anwendungen der Gentechnik in den Bereichen Medizin, Lebensmittel und Landwirtschaft
durch Bürger in Deutschland 1997
Behandlung von Zell- und
Immunkrankheiten beim
Menschen
Abbildung 5.3:
56
57
kritisch wird auch der Einsatz der Gentechnik im Lebensmittelbereich zur Veränderung von Geschmack, Haltbarkeit oder Aussehen von Lebensmitteln beurteilt. Nur
9 % beurteilen derartige Anwendungen positiv. Jeder Zweite (54 %) lehnt sie dagegen entschieden ab. Nimmt man noch die 22 % hinzu, die den Einsatz der Gentechnik im Lebensmittelbereich als "eher schlecht" beurteilen, lehnen drei von vier Befragten diese Anwendungen ab.
Der Gentransfer zwischen Tierarten, um ihren landwirtschaftlichen Nutzen zu steigern, wird eindeutig am kritischsten bewertet. Auch der Einsatz gentechnischer
Methoden zur Züchtung von Labortieren für die Pharmaforschung wird von fast
jedem zweiten Befragten (43 %) entschieden abgelehnt. Hiermit zeigt sich, dass
nicht alle Anwendungen der Gentechnik in der Medizin, der Pharmazie und der
pharmazeutischen Forschung so positiv bewertet werden wie beispielsweise die
Behandlung von Zell- und Immunkrankheiten beim Menschen (Hampel und Renn
1998).
Insgesamt zeigt sich, dass wir es bei der Gentechnik mit sehr differenzierten Einstellungsmustern zu tun haben. Die Ambivalenz der Einstellung betrifft eher die
Gentechnik insgesamt als einzelne Anwendungen, die überwiegend sehr entschieden entweder befürwortet oder abgelehnt werden.
Auf der Basis dieser aktuellen Untersuchungen stellt sich das Bild über die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik folgendermaßen dar:
•
Das Bild einer generell technikfeindlichen deutschen Öffentlichkeit entspricht
nicht den Tatsachen.
•
Auch das Bild einer stark polarisierten Öffentlichkeit, die "die Gentechnik" entweder pauschal ablehnt oder befürwortet, ist keineswegs zutreffend. Vielmehr ist
die Bewertung der Gentechnik von einem hohen Maß an Ambivalenz und Unsicherheit sowie einer gewissen Skepsis dieser Technologie gegenüber gekennzeichnet.
•
Darüber hinaus ist festzustellen, dass einzelne Anwendungen der Gentechnik je
nach ihrem Zweck äußerst differenziert bewertet werden. Die höchste Zustimmung finden dabei Anwendungen der Gentechnik im Bereich der Medizin und
Pharmazie, die der Verbesserung der Diagnose und Therapie menschlicher Erkrankungen dienen. In stärkerem Maße werden Anwendungen der Gentechnik
bei der Pflanzenzucht abgelehnt, in noch stärkerem Maße die gentechnische Veränderung von Lebensmitteln. Das größte Ausmaß an Ablehnung ist für Anwendungen der Gentechnik zu verzeichnen, bei denen landwirtschaftliche Nutztiere
gentechnisch verändert werden sollen.
58
5.3
Welche Faktoren sind entscheidend für das Zustandekommen bestimmter Einstellungen gegenüber der Gentechnik?
In der öffentlichen Diskussion wird häufig die These vertreten, dass die Ablehnung
von Technik auf Wissensunterschiede zurückgeführt werden könne. Implizit ist
darin die Auffassung vertreten, dass durch verstärkte Aufklärung und Information
eine höhere Akzeptanz der betreffenden Technik erreicht werden kann. Im Rahmen
des Biotech-Surveys wurden die Befragten nach der subjektiven Einschätzung ihres
Wissens gefragt (Abb. 5.4). Der Selbsteinschätzung der Befragten zufolge ist das
Wissensniveau eher dürftig. Nur 1,5 % der Befragten waren der Auffassung, sie
seien sehr gut über Gentechnik informiert. 27 % glauben, dass sie eher gut Bescheid
wissen. Der Löwenanteil von 62 % sieht sich eher schlecht informiert. Knapp 10 %
der Befragten sind der Auffassung, nur wenig über Gentechnik zu wissen. Frauen
schätzen ihr Wissen über Gentechnik schlechter ein als Männer: Sind rund 34 % der
Männer der Auffassung, dass sie über Gentechnik gut Bescheid wissen, ist diese
Selbsteinschätzung nur bei 24 % der Frauen zu finden. Altersunterschiede lassen
sich dagegen nicht feststellen. Die Befragung zeigte auch, dass die Bewertung der
Gentechnik nur in geringem Maße von der eigenen Einschätzung des Wissensniveau abhängt (Hampel und Renn 1998). Damit einher geht der empirische Befund, dass – entgegen der häufig vertretenen Auffassung – ein höherer Informiertheitsgrad keineswegs zu einer höheren Akzeptanz der Gentechnik führt, sondern zu
einer differenzierteren Argumentation.
Wie aus der Forschung zur Risikowahrnehmung bekannt ist, haben Kontrolle und
Regulierung einen bedeutenden Einfluss auf die Bewertung von Risiken. Es wurde
auch darauf hingewiesen, dass das, was oberflächlich wie eine Ablehnung von
Technik aussieht, eigentlich ein Zeichen des Vertrauensverlustes in die sozialen
Mechanismen sei, die die technische Entwicklung fördern, kontrollieren und leiten.
Daher wurde untersucht, wie die Gentechnik in Hinsicht auf ihre soziale und rechtliche Einbindung beurteilt wird. Die rechtliche Regulierung der Gentechnik wird
von einer breiten Mehrheit von 75 % für unzureichend gehalten (Abb. 5.5). Nur
jeder Vierte hält die bestehenden Gesetze für ausreichend. Über 80 % glauben, dass
die Einhaltung der vorhandenen Gesetze nicht streng genug überwacht wird. Die
Skepsis gegenüber den Regulationsmöglichkeiten bezieht sich nicht nur auf die
Wahrnehmung mangelnder Kontrolle, auch die Kontrollfähigkeit der Politik wird in
Frage gestellt. Nur eine Minderheit von 30 % ist der Auffassung, dass man Gentechnik durch Gesetze überhaupt kontrollieren kann. Sicher sind sich dessen nur
5 %. Demgegenüber halten fast 70 % die Gentechnik für nicht kontrollierbar (Hampel und Renn 1998).
Anteil der Nennungen (%)
0
10
20
30
40
50
60
70
Abbildung 5.4:
sehr gut
1.5
eher gut
27
Kenntnisstand
eher schlecht
62
weiß nicht/k. A.
0.1
Q uelle: Biotech-Survey 1997
beschäftigt m ich
nicht
9.8
W ie gut w issen Sie über G entechnik Bescheid?
Subjektive Einschätzung des eigenen Wissens über Gentechnik durch Bürger in Deutschland 1997
59
5.5
K ontrollierbarkeit der
G entechnik durch
G esetze
0%
2.2
G entechnikgesetze in
D eutschland
ausreichend?
21
10%
15
20%
25
40%
50%
48
60%
70%
A nteil der N ennung en (% )
30%
55
81
90%
0.5
100%
3
weiß nicht/k. A.
ganz gewiss nicht
eher nein
eher ja
ja, gew iss
Q uelle: B iotech-S urvey 1997
80%
21
19
4.1
W as m einen S ie zu r K ontrolle bzw . K ontrollierbarkeit d er G entechnik
d urch G esetze?
Bewertung der Regulierung bzw. Regulierbarkeit der Gentechnik durch Gesetze durch Bürger in Deutschland 1997
Ü berw achung der
E inhaltung der
G esetze ausreichend?
Abbildung 5.5:
60
61
Wie Abbildung 5.6 zu entnehmen ist, wird von den Befragten der ethischen Dimension bei der Bewertung der Gentechnik eine hohe Bedeutung beigemessen.
Über 80 % sehen ethische Bedenken als wichtig an. Bei der Einschätzung der Bedeutung ethischer Bedenken unterscheiden sich Befürworter und Gegner der Gentechnik kaum (82 % der Befürworter und 85 % der Gegner halten ethische Bedenken für (sehr) wichtig). Unterschiede gibt es lediglich darin, dass Gegner eher
(61 %) als Befürworter (49 %) ethische Bedenken für sehr wichtig halten.
Betrachtet man den wahrgenommenen Einfluss von gesellschaftlichen Institutionen auf den Umgang unserer Gesellschaft mit Gentechnik (Abb. 5.7), erhalten wir
ein mit den wahrgenommenen Kontrolldefiziten korrespondierendes Muster. Den
Naturwissenschaften als Quelle und Motor der wissenschaftlichen Entwicklung
wird hier der stärkste Einfluss zugeschrieben, gefolgt von Wirtschaftsunternehmen.
Dagegen ist der vergleichsweise geringe Einfluss der Politik überraschend. Bundestag und Bundesregierung liegen gleichauf mit Verbrauchern und Verbraucherverbänden. Politische Institutionen auf der europäischen Ebene, die im Regulierungsprozess eine zunehmende Bedeutung erlangt haben, liegen hinsichtlich ihres
wahrgenommenen Einflusses noch darunter. Presse, Funk und Fernsehen wird sogar
ein stärkerer Einfluss zugeschrieben als den für die Regulierung zuständigen politischen Institutionen (Abb. 5.7, Hampel und Renn 1998).
Vertrauensdefizite können wir nicht nur bei der Politik beobachten. Auch wissenschaftliche Experten sind davon betroffen. Es wurde bereits darauf hingewiesen,
dass für die Bewertung einer Technik nicht nur die rechtliche Regulierung einer
Technik bedeutsam ist, sondern auch das Vertrauen in diejenigen, die die Entwicklung fördern und leiten. Hier kommt wissenschaftlichen Experten eine große Bedeutung zu, da sie diejenigen sind, von denen die meisten Sachinformationen über
die Gentechnik bereitgestellt werden. Wissenschaftliche Experten im Bereich der
Gentechnik werden eher kritisch eingestuft (Abb. 5.8). Der Aussage, man könne
dem Wissen von Gentechnikexperten vertrauen, da es sich meist als richtig herausstelle, stimmten nur 3 % der Befragten voll zu, 13 % stimmten dieser Aussage eher
zu. 39 % der Befragten äußerten sich dagegen ablehnend. 22 % der Befragten
stimmten der Aussage voll zu, dass Gentechnikexperten nicht wirklich unabhängig
seien, sondern die Meinung dessen vertreten, der sie bezahle. Nur 20 % der Befragten lehnten diese Aussage ab. Dass Gentechnikexperten wegen ihres Wissens
einen besonderen politischen Einfluss haben sollten, wird von 41 % der Befragten
entschieden abgelehnt. Nur etwas über 3 % stimmten dieser Aussage voll zu. Dabei
äußern sich Befragte mit höherer Ausbildung kritischer über Experten als Befragte
mit einer niedrigeren Ausbildung. Dies entspricht dem Trend, dass mit zunehmender Bildung ein Trend weg von Pflicht und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten zu beobachten ist, zu dem auch das kritische Hinterfragen von Autoritäten gehört (Hampel und Renn 1998).
Anteil der Nennungen (%)
0
10
20
30
40
50
60
Abbildung 5.6:
s e h r w ic h t ig
53
e h e r u n w ic h t ig
14
3 .1
w e iß n ic h t / k . A .
1 .1
Q u e lle : B io t e c h - S u r v e y 1 9 9 7
v o llk o m m e n
u n w ic h t ig
W ic h t i g k e i t e t h i s c h e r B e d e n k e n
e h e r w ic h t ig
30
W ie w ic h tig s in d e th is c h e B e d e n k e n fü r Ih r e p e r s ö n lic h e
B e u r te ilu n g d e r G e n te c h n ik ?
Wichtigkeit ethischer Aspekte für die Bewertung der Gentechnik durch Bürger in Deutschland 1997
62
0%
Kirchen
Deutsche Behörden
Gerichte, Justiz
Europäisches Parlament
Kommission der EU
Bundestag und Bundesregierung
Verbraucher und Umweltverbände
Presse, Funk und Fernsehen
Multinationale Unternehmen
Deutsche Unternehmen
20%
60%
Anteil der Nennungen (%)
40%
80%
100%
Wie stark beeinflussen folgende Institutionen den Umgang mit der
Gentechnik in der Gesellschaft?
sehr stark
eher stark
teils/teils
eher gering
sehr gering
weiß nicht/k. A.
Einschätzung des Einflusses ausgewählter Akteure auf den Umgang mit der Gentechnik in der Gesellschaft durch
Bürger in Deutschland 1997
Die Naturwissenschaften
Abbildung 5.7:
63
haben sich schon öfters geirrt;
Vorsicht ist angebracht
0%
sollten keinen besonderen Einfluss
auf politische Entscheidungen haben
sind nicht wirklich unabhängig
sind für die Beurteilung ethischer
Probleme nur unzureichend qualifiziert
halten die Bevölkerung für unmündig
haben vor allem das
Gemeinwohl im Auge
können auch ethische Aspekte
besonders gut beurteilen
beachten die Meinungen
in der Bevölkerung
kann man vertrauen;
W issen ist meist richtig
40%
60%
80%
Anteil der Nennungen (%)
20%
weiß nicht/k. A.
stimme überhaupt nicht
zu
noch keine
abschließende Meinung
beschäftigt mich nicht
stimme eher nicht zu
teils/teils
stimme eher zu
stimme voll zu
Quelle: Biotech-Survey 1997
100%
Wie beurteilen Sie Gentechnikexperten?
Bewertung von Gentechnikexperten durch Bürger in Deutschland 1997
sollten politische Entscheidungen
stark beeinflussen
Abbildung 5.8:
64
65
Zusammenfassend lässt sich über das Zustandekommen von Einstellungen gegenüber der Gentechnik in der Bevölkerung Folgendes festhalten:
•
Der Kenntnisstand in der Bevölkerung über die Gentechnik und ihre Anwendungen ist gering. Eher überraschend ist das Ergebnis, dass nicht die Risikowahrnehmung für die Bewertung der Bio- und Gentechnik entscheidend ist, sondern
die moralische Akzeptabilität und der wahrgenommene Nutzen. Damit erweist
sich auch das weit verbreitete Bild einer deutschen Öffentlichkeit, die die Risiken moderner technologischer Entwicklungen akzentuiert, als nicht zutreffend.
Die Risikowahrnehmung der Gentechnik spielt in Deutschland sogar eine geringere Rolle als im europäischen Durchschnitt. Auf der anderen Seite wird in
Deutschland seltener als in anderen europäischen Ländern geglaubt, dass Biound Gentechnik wirklich nützlich ist. Gleichzeitig werden die ethischen Probleme der Bio- und Gentechnik stärker thematisiert als in den meisten anderen
Ländern Europas (Hampel 1999).
•
Für Deutschland, aber auch für ganz Europa trifft zu, dass die soziale Einbindung der Bio- und Gentechnik auf erhebliche Vorbehalte trifft. Weder gilt die
rechtliche Regulierung als ausreichend, noch genießen die Regulierungsinstitutionen Vertrauen. Damit entsteht in der Bevölkerung auch ein Gefühl, der Entwicklung "hilflos" ausgeliefert zu sein.
•
Hinzu kommt, dass die als "Macher" der Entwicklung der Gentechnik wahrgenommenen Institutionen aus Sicht der Bevölkerung die dort vorherrschenden
Fragen, Bedenken und Bedürfnisse nur unzureichend aufgreifen. Dies zeigt sich
auch darin, dass den Wissenschaftlern, den Gentechnikexperten, erhebliches
Misstrauen entgegenschlägt.
5.4
Anforderungen an eine Kommunikation über Gentechnik
Will man aus den bisher dargelegten Forschungsergebnissen Anforderungen an eine
adäquate Kommunikation über Gentechnik ableiten, so müssen zunächst einmal die
Ziele dieser Kommunikation geklärt werden. Aus unserer Sicht sollte sich eine
Kommunikation über Gentechnik am Leitbild des "mündigen Bürgers" orientieren.
Dies bedeutet, dass seine Informationsbedürfnisse, seine Bedenken und Befürchtungen ernst genommen und seine Anliegen als berechtigt in die Debatte einbezogen werden. Zudem sollte die Kommunikation nicht indoktrinierend in dem Sinne
sein, dass am Ende eine bestimmte Bewertung ausgewählter gentechnischer Anwendungen als "richtig" anerkannt wird – Ziel einer solchen Kommunikation sollte
es daher nicht sein, Akzeptanz zu schaffen. Vielmehr sollte die Kommunikation
über Gentechnik darauf abzielen, den "mündigen Bürger" darin zu unterstützen,
sich ein eigenes, allerdings auf Wissen, nicht auf Gefühl gegründetes, informiertes
Urteil zu bilden.
66
Geeignete Maßnahmen können die Vermittlung relevanten Wissens, die Unterstützung bei der Bildung eines eigenen informierten Urteils sowie die Einräumung von
Möglichkeiten zur kompetenten politischen Mitgestaltung des gesellschaftlichen
Umgang mit der Gentechnik sein. Insbesondere die ersten beiden Punkte sind auch
für die schulische Behandlung von Gentechnikthemen relevant. Der letzte Punkt
betrifft hingegen eher andere Akteure und umfasst beispielsweise partizipative Verfahren für eine stärkere Involvierung der Öffentlichkeit (z. B. durch Bürgerforen
und Konsensuskonferenzen, Runde Tische) oder eine Kennzeichnungspflicht für
gentechnisch veränderte Lebensmittel mit dem Ziel der Wahrung der Konsumentensouveränität.
Wenn wesentliche Ziele der Kommunikation die Vermittlung von Wissen und die
Unterstützung einer eigenständigen Urteilsbildung sind, so ist bei der Umsetzung in
Kommunikationsmaßnahmen einerseits die "Inhaltsebene", zum anderen die Art
und Weise der Kommunikation, die "Beziehungsebene", relevant. Auf der "Inhaltsebene" von Kommunikation geht es darum, welche Themen wie zum Gegenstand
der Kommunikation werden.
Für die Inhaltsebene zeigen die hier dargestellten Forschungsergebnisse, dass sich
die gesellschaftliche Auseinandersetzung über das Für und Wider der Gentechnik
nicht nur auf eine Risikodiskussion reduzieren lässt, bei der wissenschaftlich-technische Argumente im Vordergrund stehen. Vielmehr handelt es sich dabei um Diskussionen über gesellschaftliche Ziele, bei denen es letztendlich um die Frage geht,
wie wir in Zukunft leben wollen. Wie die Zukunft aussehen wird, ist abhängig von
Entscheidungen, bei denen aus der Vielzahl an potentiellen Entwicklungspfaden
bestimmte Entwicklungen ausgewählt werden. Dabei handelt es sich um Entscheidungen, bei denen die Werte und Ziele der Entscheider als Kriterien zugrunde gelegt werden.
Probleme, die aus kontroversen Positionen entstehen, lassen sich daher weder technisch noch naturwissenschaftlich auflösen. Sie erfordern vielmehr eine explizite
Berücksichtigung des Wertbezugs, der zu unterschiedlichen Wahrnehmungen und
Bewertungen der Gentechnik führt. Sind unterschiedliche Risikowahrnehmungen
und Bewertungen Resultat unterschiedlicher Werte oder gesellschaftspolitischer
Ziele, kann die so entstehende Diskrepanz auch nur auf der Wert- oder Zielebene
aufgelöst werden. Diskussionen über Technik, die diesen Hintergrund nicht reflektieren, werden den durch sie aufgeworfenen Problemen nicht gerecht (Hampel
1997).
Dies bedeutet konkret für die Inhaltsebene: Bei der Diskussion über die Gentechnik
gilt es zu beachten, dass das, was Wissenschaftler und Experten gern vermitteln
möchten, mit dem, was Laien interessiert, oftmals nicht übereinstimmt (vgl. auch
Abb. 5.7 und 5.8). So reicht es z. B. nicht aus zu erklären, welche wissenschaftliche
Fragestellung man verfolgt hat, wie man vorgegangen ist und was herausgekommen
67
ist. Die Erklärung muss vielmehr auch deutlich machen, welcher Sinn hinter der
Forschung steckt (Peters 1999). Dies kann beispielsweise anhand folgender Leitfragen geschehen:
•
Warum ist das eine wichtige Fragestellung?
•
Welche Motive, Ziele und Interessen stecken dahinter?
•
Werden die Problemstellung, die Technik bzw. das Verfahren, Vorteile und Zielsetzungen, Nachteile und Risiken, offene Fragen, mögliche Folgewirkungen und
alternative Lösungsansätze des Problems dargestellt?
•
Gibt es Anknüpfungspunkte in der Erfahrungswelt des Alltags?
•
Wie ist das Erforschte zu bewerten?
•
Gibt es praktische Konsequenzen, die aus der Forschung folgen?
•
Werden Überblickswissen, Hintergründe und eine Entscheidungsunterstützung
vermittelt?
•
Wie verständlich ist der Experte bzw. die Quelle?
Umgekehrt sollte sich der Empfänger dieser Informationen anhand der oben genannten Leitfragen darin üben, die Informationsquellen und Experten anhand ihrer
"Nützlichkeit" für sein Informationsbedürfnis zu beurteilen.
Darüber hinaus ist die "Beziehungsebene" relevant. Unter der Beziehungsebene
versteht man die soziale Beziehung der Kommunikationspartner untereinander, also
beispielsweise, ob sie gleichberechtigt sind oder ein hierarchischer Unterschied
zwischen ihnen besteht. Die Kommunikationssituation in der Gentechnik ist bisher
häufig durch ein "Dozent-Student-Verhältnis" gekennzeichnet, also eine Situation,
die durch eine auf der Wissensdifferenz beruhenden Ungleichheit der Kommunikationspartner charakterisiert ist. Sie ist auch fokussiert auf den Wissenstransfer, also
letztlich Einwegkommunikation vom Wissenden zum Unwissenden. In so kontroversen Themen wie der Diskussion über die Gentechnik wird eine solche Kommunikationsform aber nicht selten empört als "technokratischer Expertenpaternalismus" abgelehnt (Peters 1999).
Zudem wird man sich häufig Quellen und Experten gegenübersehen, deren Glaubwürdigkeit begrenzt ist. Dies ist jedoch kein Sonderfall der Gentechnik, sondern der
Regelfall in unserem Alltagsleben. Dem entsprechend haben wir Strategien entwickelt, damit umzugehen und herauszufinden, wie es um die Bereitschaft und Fähigkeit des Experten bestellt ist, ausreichende und verlässliche Auskünfte zu geben.
Hierzu gehört
•
kritische Fragen zu stellen,
•
alternative Informationsquellen oder "Gegenexperten" heranzuziehen,
68
•
unsere bisherigen Erfahrungen mit gerade dieser Informationsquelle heranzuziehen,
•
zu prüfen, ob Nachteile und Unsicherheiten verschwiegen werden,
•
zu prüfen, ob anders Denkende diskreditiert werden,
•
zu prüfen, ob die Informationen mit Überheblichkeit vermittelt werden,
•
ob leichtfertige Aussagen gemacht werden,
•
ob Kritik aufgegriffen und kompetent darauf eingegangen wird.
5.5
Zitierte Literatur
European Commission, Directorate General XII, Science, Research and Development, Biotechnology (Publisher): European Opinions on Modern Biotechnology. Eurobarometer 46.1. Luxemburg: Office for Official Publications of
the European Communities, 1997
Hampel, J. (1997): Verbraucherakzeptanz der Gentechnik. S. 142-163. In: Deutsche
Landjugendakademie Fredeburg e. V. (Hrsg.): Gentechnik – Fortschritt für
die Landwirtschaft? Wittenschlick, Bonn: Verlag M. Wehle
Hampel, J., Keck, E., Peters, H.-P., Zenning, U., Renn, O., Ruhrmann, G., Schenk,
M., Schütz, H., Sonje, D., Stegat, B., Urban, D., Wiedemann, P. M., Zwick;
M. M. (1997): Einstellungen zur Gentechnik. Tabellenband zum Biotech-Survey des Forschungsverbunds "Chancen und Risiken der Gentechnik aus der
Sicht der Öffentlichkeit". Arbeitsbericht Nr. 97. Stuttgart: Akademie für
Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg 1997
Hampel, J. (1999): Einstellungen zur Bio- und Gentechnik: Deutschland im europäischen Kontext. TA-Informationen 2/99, 16-17
Hampel, J., Renn, O. (Hrsg.): Chancen und Risiken der Gentechnik aus Sicht der
Öffentlichkeit. Kurzfassung der Ergebnisse des Verbundprojekts. Akademie
für Technikfolgenabschätzung, Mai 1998, Stuttgart. Die zugehörige PDFDatei (ca. 144 K) kann aus dem Internet heruntergeladen werden:
http://www.afta-bw.de/publikationen.html
Peters, H.-P. (1999): Gentechnikexperten und Öffentlichkeit: Faktoren erfolgreicher
Kommunikation. Bioworld 5/99, 38-41
69
5.6
Weiterführende Literatur
European Commission (1998): Cultural and social attitudes to biotechnology: analysis of the arguments, with special reference to the views of young people.
Luxembourg: Office for Offical Publications of the European Communities,
1998 (ISBN 92-828-4570-2)
Hampel, J., Renn, O.: Gentechnik in der Öffentlichkeit. Wahrnehmung und Bewertung einer umstrittenen Technologie. Frankfurt/Main; New York: Campus
Verlag 1999 (ISBN 3-593-36348-8)
Hennen, L. (1997): Monitoring "Technikakzeptanz und Kontroversen über Technik". Ambivalenz und Widersprüche: Die Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Technik. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des TAB. Arbeitsbericht Nr. 54. Bonn: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Dezember 1997
Keck, G.: Einstellungen zur Gentechnik bei Schülerinnen und Schülern. AfTA-Arbeitsbericht Nr. 108. Stuttgart: Akademie für Technikfolgenabschätzung Mai
1998 (ISBN 3-932013-34-4)
Kliment, T., Renn, O., Hampel, J.: Chancen und Risiken der Gentechnologie aus
der Sicht der Bevölkerung. AfTA-Arbeitsbericht Nr. 29. Stuttgart: Akademie
für Technikfolgenabschätzung Oktober 1994 (ISBN 3-930241-30-7)
Ollig, W., Ries, K. (1995): Akzeptanzprobleme der Gentechnologie in Deutschland.
Analyse der Gentechnologiedebatte und Gestaltungsperspektiven für die Unternehmenspraxis. Arbeiten zur Risiko-Kommunikation, Heft 54. Jülich: Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (MUT), November 1995
Peters, H.-P. (1999): Rezeption und Wirkung der Gentechnikberichterstattung.
Kognitive Reaktionen und Einstellungsänderungen. Arbeiten zur Risikokommunikation, Heft 71. Jülich: Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik
(MUT) 1999; als pdf-file aus dem Internet herunterladbar unter
http://www.fz-juelich.de/mut/hefte/heft_71.pdf
Renn, O., Zwick, M. M.: Risiko- und Technikakzeptanz. Springer-Verlag Berlin,
Heidelberg, New York o.J. 1997 (ISBN 3-540-63596-3)
Ruhrmann, G., Kohring, M., Görke, A. (1997): Internationale Medienberichterstattung über Gentechnik – eine Inhaltsanalyse meinungsführender Zeitschriften.
Arbeitspapier 03/97. Duisburg: Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und
Politikberatung e. V. (RISP), September 1997 (ISSN 0947-0190)
70
Schallies, M., Wachlin, K.D. (Hrsg.): Biotechnologie und Gentechnik – Neue
Technologien verstehen und beurteilen. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg,
New York 1999 (ISBN 3-540-65140-3)
Schallies, M., Wellensiek, A. (1995): Biotechnologie/Gentechnik. Implikationen für
das Bildungswesen. Arbeitsbericht Nr. 46. Stuttgart: Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Juli 1995
Schenk, M., Sonje, D.: Journalisten und Gentechnik. München: Verlag Reinhard
Fischer 1998 (ISBN 3-88927-224-X)
Zwick, M. M.: Perception and Attitudes towards Risks and Hazards of Genetic Engineering within the German Public. AfTA-Arbeitsbericht Nr. 105. Stuttgart:
Akademie für Technikfolgenabschätzung April 1998 (ISBN 3-932013-31-X)
Zwick, M. M.: Wertorientierungen und Technikeinstellungen im Prozess gesellschaftlicher Modernisierung. Das Beispiel der Gentechnik. Abschlussbericht.
AfTA-Arbeitsbericht Nr. 106. Stuttgart: Akademie für Technikfolgenabschätzung Juli 1998 (ISBN 3-932013-32-8)
71
6.
Gene Pharming
Dr. Bärbel Hüsing, Fraunhofer-Institut für
Systemtechnik und Innovationsforschung, Karlsruhe
6.1
Definition, Prinzip und Zielsetzung des Gene Pharming
Unter Gene Pharming versteht man die gentechnische Veränderung von landwirtschaftlichen Nutztieren und Nutzpflanzen mit dem Ziel, in diesen Nutztieren und –
pflanzen pharmazeutische Wirkstoffe zu produzieren (Daniell et al. 2001; Yang
et al. 2000). In diesem Kapitel steht die Produktion pharmazeutischer Wirkstoffe in
der Milchdrüse transgener Tiere im Mittelpunkt2. Durch die gentechnische
Veränderung werden die Nutztiere quasi zu einem "Bioreaktor" zur Produktion
pharmazeutischer Wirkstoffe gemacht (Houdebine 2000; Wall 1999; Rudolph 1999;
Pollock et al. 1999). Abbildung 6.1 zeigt das Prinzip: Durch Übertragung
menschlicher Gene werden transgene Nutztiere hergestellt, die in ihrer Milch
menschliche Proteine produzieren. Aus der Milch können diese Proteine durch
Aufreinigung gewonnen und als Pharmawirkstoff in die Medikamentenherstellung
eingesetzt werden.
Gene Pharming verfolgt das Ziel, menschliche, körpereigene Wirkstoffe, meist
Proteine, für die Behandlung verschiedenster Krankheiten bereitzustellen. Bestimmte Krankheiten können durch die Verfügbarkeit dieser Wirkstoffe überhaupt
erstmals behandelbar werden. Außerdem wird angenommen, dass diese körpereigenen Wirkstoffe eine hohe biologische Wirksamkeit und Spezifität bei geringen Nebenwirkungen aufweisen und damit im Vergleich zu chemisch-synthetischen pharmazeutischen Wirkstoffen vorteilhaft sein können.
2 Als weitere tierliche Produktionssysteme neben Milch kommen Blut, Urin, Eiweiß (von Eiern)
und andere in Betracht (Houdebine 2000, S. 306-308), die sich jedoch weitgehend im Stadium
der Grundlagenforschung befinden und daher hier nicht näher behandelt werden.
72
Abbildung 6.1:
Prinzip des Gene Pharming bei transgenen Nutztieren
Quelle: VCI; www.biologe.de/Nuetzliches/ FCI-CD/bilder-jpg.html
6.2
Vor- und Nachteile des Gene Pharming im Vergleich mit
Alternativen
Grundsätzlich bestehen mehrere Möglichkeiten, menschliche therapeutische Wirkstoffe zu gewinnen. Dies sind
•
Isolierung, Aufkonzentrierung und Reinigung aus menschlichem Zellmaterial,
z. B. Blut,
•
Fermentative Herstellung mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen (Bakterien, Hefe, Pilze) oder gentechnisch veränderten Säugerzellkulturen,
•
Herstellung in der Milchdrüse transgener Nutztiere.
Jede dieser Optionen weist spezifische Vor- und Nachteile auf, die in Tabelle 6.1
zusammengefasst sind und im Folgenden näher erläutert werden.
73
Tabelle 6.1:
Vor- und Nachteile verschiedener Alternativen zur Herstellung
menschlicher therapeutischer Wirkstoffe
+
+
+
+++
+++
+
GMO/
Zellkultur
-/+?
++
++
++
++
++
Transgene
Tiere
+?
+++
+++
+
+
+++
-
+
+++
++
++
+
+
+?
+
-
+++
++
+++
+?
+
++
+
+
+
++
+?
+
+++
+++
Kriterium/Quelle
Mensch
Protein humanidentisch
Gewinnung ausreichender Mengen
Konzentration im Ausgangsmaterial
Erforderliche Menge Ausgangsmaterial
Aufarbeitungsaufwand
Erschließung neuer Märkte
Aufwand der Herstellung des Produktionsorganismus
Anlageninvestitionskosten
Betriebskosten
Standardisierung des Ausgangsmaterials
Infektionen
Verunreinigungen
Neuheitsgrad bezüglich Zulassung
Beeinflussung des Produktionsorganismus
Vor der Entwicklung der Gentechnik bestand ausschließlich die Möglichkeit,
menschliche Wirkstoffe aus menschlichem Gewebe zu isolieren, so z. B. Blutgerinnungsfaktoren, Wachstumshormone. Nachteilig ist aber, dass die betreffenden
Wirkstoffe meist in äußerst geringen Konzentrationen vorkommen, so dass ihre
Isolierung, Aufkonzentrierung und Aufreinigung sehr aufwändig ist, große Mengen
an menschlichem Ausgangsmaterial erfordert und zudem, trotz entsprechender Sicherheit- und Qualitätssicherungsmaßnahmen, eine Kontamination mit Krankheitserregern (z. B. HIV, Hepatitis-Erregern o. ä. bei Gewinnung aus Blut) nicht vollständig auszuschließen ist.
Als Alternative bietet sich die fermentative Herstellung in Mikroorganismen an,
denen mit Hilfe der Gentechnik die Anweisung zur Produktion des menschlichen
Wirkstoffes eingebaut wird. Vorteile dieses Verfahrens liegen darin, dass die erforderlichen gentechnischen Methoden, die Fermentations- und die Verfahrenstechnik
zur Aufarbeitung gut etabliert sind und daher entsprechende Produktionsverfahren
relativ schnell entwickelt werden können. Zudem kann der Produktionsorganismus
und das Herstellungsverfahren des Wirkstoffes weitgehend standardisiert werden,
was der Produktions- und Produktsicherheit dient. Weil mit dieser Art der Wirkstoffproduktion schon umfangreiche Erfahrungen vorliegen, ist auch das erforderliche Zulassungsverfahren durch die zuständigen Behörden (z. B. EMEA in Europa,
FDA in den USA) gut etabliert, so dass für die Antragsteller gut vorhersehbar ist,
welche Zulassungsvoraussetzungen ihr Produkt wird erfüllen müssen, um die Zu-
74
lassung zu erhalten. Nachteilig ist, dass in Bakterien meist nur relativ kleine, einfach gebaute Proteine hergestellt werden können, da diesen Organismen in der Regel die Fähigkeit fehlt, komplexere Proteine korrekt zu falten und posttranslationale
Modifikationen (z. B. Spleißen, Glykosilierungen) vorzunehmen, die für die biologische Wirksamkeit der Proteine aber essenziell sind. In diesen Fällen kann die
fermentative Herstellung in gentechnisch veränderten Säugerzellkulturen eine Lösungsmöglichkeit darstellen, da Säugerzellen eher als Mikroorganismen zu diesen
posttranslationalen Modifikationen befähigt sind. Die erforderliche Kulturtechnik
ist für Säugerzellkulturen aber sehr viel komplexer, schwieriger, aufwändiger und
teurer als für Mikroorganismen.
Im Vergleich zu den eben beschriebenen Optionen wird das Gene Pharming als eine
Alternative gesehen, die sich durch folgende prinzipielle Vorteile auszeichnet:
•
Transgene Säugetiere dürften in weit größerem Maße als Mikroorganismen oder
Säuger-Zellkulturen zu posttranslationalen Modifikationen befähigt sein, so dass
die Wahrscheinlichkeit, ein tatsächlich im Menschen biologisch wirksames Protein produzieren zu können, in diesen Organismen höher sein dürfte als in den
oben geschilderten Alternativen.
•
Modellberechnungen ergaben, dass für die Deckung des Weltjahresbedarfs ausgewählter menschlicher Proteinwirkstoffe wenige bis wenige tausend transgene
Tiere ausreichen (s. Tab. 6.2), weil mit diesen Tieren sehr viel höhere Produktkonzentrationen erreichbar sind als mit fermentativen Verfahren. Dies verringert
auch den Aufwand und die Kosten für die Aufarbeitung des Wirkstoffes. Sind
gute transgene Produzententiere erst einmal hergestellt, können sie sich selbst
reproduzieren. Die Kosten ihrer Haltung werden als vergleichsweise gering eingeschätzt.
•
Da die transgenen Tiere den Wirkstoff in ihrer Milchdrüse produzieren, kann die
wirkstoffhaltige Milch durch einfaches Melken gewonnen und weiter aufgearbeitet werden. Somit handelt es sich um ein nicht-invasives Verfahren, das das
transgene Tier nicht weiter belastet.
•
Transgene Tiere erscheinen prinzipiell dazu geeignet, zum einen sehr hochpreisige Wirkstoffe zu produzieren, die nur in geringen Mengen benötigt werden und
bei denen die Herstellungskosten eine untergeordnete Rolle spielen. Zum anderen könnten auf diese Weise auch große Mengen preiswerterer Substanzen (z. B.
menschliches Albumin) hergestellt werden. Damit eröffnen sie die Möglichkeit,
weitere Märkte zu erschließen, die mit Mikroorganismen oder Säugerzellkulturen nicht erschließbar erscheinen (Wall 1999, S. 250). Der mittelfristig erschließbare Weltmarkt für therapeutische Wirkstoffe, die mit Hilfe transgener
Tiere gewonnen werden, wird auf mehr als 4 Mrd. US-$/Jahr geschätzt
(Tab. 6.2; Wall 1999; S. 245).
Weltmarkt
(Mio. $/a)
870
147
200
1.988
1.121
Kaninchen
144
10.111
48.148
3,6 Mio.
152 Mio.
Erforderliche Herdengröße
Schaf
Ziege
1
1
91
57
433
271
32.500
20.313
1,4 Mio.
853.125
Quelle: Eigene Zusammenstellung mit Daten aus Wall 1999, Pollock et al. 1999
Zu Grunde liegende Annahmen:
Milchleistung (L/Jahr): Kaninchen 4,5; Schaf 500; Ziege 800; Kuh 8000
Konzentration des rekombinanten Proteins in der Milch 1g/L; Reinigungsausbeute 60 %; 70 % der Herde geben nutzbare Milch
Faktor VIII
Antithrombin III
monoklonaler Antikörper
α-1-Antitrypsin
menschliches Serumalbumin
Weltjahresbedarf
Preis
(kg)
($/kg)
0,3
2.900 Mio.
21
7 Mio.
100
2 Mio.
7.500
265.000
315.000
3.560
Rind
1
6
27
2.031
85.313
Modellberechnungen zur Ermittlung der Herdengröße transgener Tiere, die erforderlich wären, um den Weltjahresbedarf
an ausgewählten menschlichen Pharmawirkstoffen zu decken
Wirkstoff
Tabelle 6.2:
75
76
6.3
Stand von Wissenschaft und Technik beim Gene Pharming
Mehr als dreißig verschiedene menschliche Proteine sind mittlerweile in der Milchdrüse transgener Tiere exprimiert worden. Hierzu zählen z. B. α-1-Antitrypsin, αGlucosidase, α-Lactalbumin, α-S1-Casein, verschiedene Antikörper, Antithrombin III, β-Casein, β-Interferon, β-Lactoglobulin, γ-Interferon, κ-Casein, CFTR,
EPO, Faktor VIII, Faktor IX, Fibrinogen, Wachstumshormone, Interleukin-2, Lactoferrin, Lysozym, Protein C, Serumalbumin, Superoxid-Dismutase, t-PA, Urokinase und andere (Wall 1999, S. 247). Für derartige gentechnische Veränderungen
werden mindestens sechs verschiedene Tierarten eingesetzt, nämlich Maus, Kaninchen, Schwein, Ziege, Schaf und Rind.
Obwohl die Herstellung von mehr als dreißig verschiedenen menschlichen Proteinen in transgenen Tieren angestrebt wurde, ist bisher noch kein einziger Wirkstoff
aus transgenen Tieren als Pharmawirkstoff zugelassen und auf dem Markt. Daher ist
ein Großteil der oben genannten Vorhaben als Forschungsvorhaben einzustufen.
Bislang wurden erst für drei menschliche Wirkstoffe klinische Prüfungen, d. h. experimentelle Untersuchungen an freiwilligen Patienten, durchgeführt (s. Tabelle 6.3), die in drei Phasen erfolgreich durchlaufen werden müssen, ehe der Wirkstoff durch die zuständigen Behörden für die kommerzielle Vermarktung zugelassen werden kann. Das Vorhaben, α-Glucosidase zur Therapie der Pompe'schen
Krankheit in transgenen Kaninchen herzustellen, wurde jedoch nach Abschluss der
Phase II der klinischen Prüfung (Van den Hout et al. 2000) zu Gunsten der Wirkstoffherstellung in Säugerzellkulturen eingestellt.
Tabelle 6.3:
Wirkstoffe aus transgenen Tieren in der klinischen Prüfung
Menschliches
Protein
Transgenes Erreichtes Stadium der
Tier
klinischen Prüfung
Antithrombin III
Geplante Anwendung
bei Krankheit
Cystische Fibrose,
Lungenemphysem
Blutgerinnsel
α-Glucosidase
Pompe'sche Krankheit
Kaninchen
α-1-Antitrypsin
Schaf
Phase II
Ziege
Phase III
Phase II
(Projekt aufgegeben)
Stand: 2001
Forschungsarbeiten mit transgenen Nutztieren für das Gene Pharming wird in
Deutschland vor allem am Institut für Tierzucht und Tierverhalten in Mariensee bei
77
Hannover sowie am Lehrstuhl für Molekulare Tierzucht und Haustiergenetik am
Genzentrum der Universität München durchgeführt. Im Bereich der Wirtschaft wird
die Entwicklung vor allem von "typischen Biotechnologiefirmen", also vergleichsweise kleinen, jungen, technologieorientierten Unternehmen vorangetrieben, die zur
Finanzierung ihrer aufwändigen Forschungsarbeiten und zur Durchführung der klinischen Prüfungen strategische Allianzen mit großen Pharmakonzernen eingehen.
Weltweit dürften etwa 20 solcher kleineren Firmen zu den führenden Akteuren
zählen; die bekanntesten sind PPL Therapeutics in Schottland, Pharming in den
Niederlanden3 sowie Genzyme Transgenics in den USA. Wie in anderen technologieorientierten Biotechnologiefirmen kommt auch beim Gene Pharming der Patentierung des firmeneigenen Know-hows eine große Bedeutung zu.
6.4
Wissenschaftlich-wirtschaftliche Problembereiche des
Gene Pharming
Um die in Abschnitt 6.2 skizzierten komparativen Vorteile des Gene Pharming tatsächlich realisieren zu können und konkurrenzfähige, sichere Pharmawirkstoffe auf
den Markt bringen zu können, müssen Lösungen für mindestens drei wissenschaftlich-wirtschaftliche Problembereiche des Gene Pharming gefunden werden. Diese
Problembereiche sind
•
Herstellung einer Herde von transgenen Tieren, die für die Produktion des Pharmawirkstoffs geeignet ist,
•
Anforderungen an das Produkt und den Prozess, um ein wirksames und sicheres
Medikament auf den Markt bringen zu können,
•
"Zeit ist Geld" – Verkürzung des Prozesses der Forschung und Entwicklung
(FuE).
Im Folgenden sollen diese drei Problembereiche näher beschrieben und Optionen
zur Lösung dieser Probleme skizziert werden. Abschließend wird vor diesem Hintergrund diskutiert, inwieweit das Gene Pharming die in Abschnitt 6.2 skizzierten
Erwartungen derzeit bereits erfüllen kann bzw. in absehbarer Zukunft wird erfüllen
können.
3 Pharming BV befindet sich jedoch seit August 2001 im Konkursverfahren.
78
6.4.1
Herstellung einer Herde von transgenen Tieren für die Produktion
Wie in Tabelle 6.2 dargestellt, könnte der Weltjahresbedarf bestimmter menschlicher Proteine, wie z. B. der an der Blutgerinnung beteiligten Proteine Antithrombin III oder Faktor VIII bereits mit wenigen transgenen Tieren gedeckt werden.
Transgene Tiere, die für eine solche Produktionsherde geeignet sind, müssen jedoch
folgende Voraussetzungen erfüllen:
•
Das Gen für das betreffende menschliche Protein muss in das tierliche Genom
stabil integriert sein.
•
Das Gen für das betreffende menschliche Protein muss stabil exprimiert werden,
und zwar spezifisch in der Milchdrüse.
•
Das menschliche Protein muss in möglichst hoher Konzentration in der Milch
vorliegen, um eine effiziente Isolierung und Aufreinigung zu ermöglichen.
•
Diese drei Eigenschaften müssen an die Nachkommen weitervererbt werden.
•
Da das menschliche Protein aus der Milch gewonnen wird, muss die Produktionsherde aus weiblichen Tieren bestehen. Es werden insgesamt also deutlich
mehr weibliche transgene Tiere benötigt als männliche transgene Tiere.
•
Die transgenen Tiere dürfen durch das Fremdgen bzw. die Expression des
Fremdgens nicht erheblich beeinträchtigt werden.
Wie in Kapitel 4.5 dargestellt, ist die Technik des Gentransfers durch Mikroinjektion nicht ausgereift. Es bestehen daher erhebliche Schwierigkeiten, die oben genannten Voraussetzungen zu erfüllen. Schwierigkeiten liegen vor allem darin, dass
•
in der Foundergeneration nur ein geringer Prozentsatz der Tiere überhaupt transgen ist (vgl. Tab. 4.4),
•
die Höhe der Expression des Fremdgens nicht vorhergesagt werden kann und in
jedem transgenen Tier individuell verschieden sein kann,
•
das Fremdgen und die Fähigkeit zur Expression des Fremdgens in bestimmter
Höhe nicht stabil an Nachkommen weitervererbt wird,
•
trotz Verwendung gewebespezifischer Promotoren im transferierten Genkonstrukt, die eine spezifische Genexpression in der Milchdrüse gewährleisten
sollen, dennoch eine unerwünschte "Sickerexpression" in anderen Geweben auftreten kann.
Exemplarisch lässt sich dies an dem Versuch erläutern, transgene Schafe herzustellen, die das menschliche Protein α-1-Antitrypsin (AAT) in ihrer Milch produzieren.
Von insgesamt 112 Schafen, die nach der Mikroinjektionsprozedur letztlich geboren
wurden, waren nur fünf transgen. Vier der transgenen Tiere waren weiblich. Sie
produzierten AAT in ihrer Milch, jedoch in von Individuum zu Individuum sehr
79
unterschiedlichen Konzentrationen, die von weniger als 1 g AAT/l Milch bis hin zu
mehr als 30 g/l reichten. Bei dem Schaf Tracy, das mehr als 30 g AAT/l in seiner
Milch produzierte, waren somit etwa 50 % der Proteine in ihrer Milch menschliches
AAT. Versuche, Tracy als Foundertier für den Aufbau einer effizient AAT produzierenden Herde zu verwenden, schlugen jedoch fehl, da die Fähigkeit zur AATÜberproduktion an die Nachkommen nicht stabil weitervererbt wurde. Auch die
anderen vier weiblichen Tiere erwiesen sich als nicht geeignet. Letztlich konnte nur
das eine männliche transgene Foundertier für den Aufbau einer Herde verwendet
werden. Es konnten weibliche Nachkommen von diesem männlichen Schaf gezüchtet werden, die AAT-Konzentrationen in ihrer Milch von 13-18 g/l erzielten.
Inzwischen wurde eine Produktionsherde aus etwa 600 "Enkelinnen" (G2-Generation) dieses männlichen Foundertiers aufgebaut (Colman 1999, S.168).
Zur Verringerung dieser Schwierigkeiten wird vor allem daran gearbeitet, eine höhere Ausbeute an transgenen Tieren zu erzielen, die zudem das bevorzugte Geschlecht aufweisen. Mögliche Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sind (s. auch
Kap. 4 und Tab. 6.4):
•
die Durchführung gendiagnostischer Frühtests an Präimplantationsembryonen
(Präimplantationsdiagnostik), um nur diejenigen Embryonen in Ammentiere zu
implantieren, die das Fremdgen überhaupt aufgenommen haben und das gewünschte Geschlecht aufweisen,
•
die Verwendung anderer Gentransfermethoden als die Mikroinjektion (z. B. der
Gentransfer in Stammzellen bzw. der Gentransfer in Zellkulturen, Selektion auf
das Transgen und anschließendes Klonen dieser selektierten Zellen durch somatischen Kerntransfer).
6.4.2
Pharmawirkstoffe aus der Milch transgener Tiere – Anforderungen an Produkt und Prozess
Generell müssen Pharmawirkstoffe die folgenden Anforderungen erfüllen:
•
Biologische Wirksamkeit im Menschen,
•
Möglichst keine Nebenwirkungen bzw. nur Nebenwirkungen, die in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten therapeutischen Nutzen für den Patienten stehen,
•
Keine Verunreinigungen, die Vergiftungen, Immunreaktionen (z. B. Entzündungen, Allergien) oder Infektionen im Patienten verursachen,
•
Einheitliche, gleichbleibende Qualität und Wirksamkeit,
•
Überprüfbarkeit und Reproduzierbarkeit des Herstellprozesses und der relevanten Eigenschaften des Wirkstoffes.
80
Für menschliche Proteine, die in der Milch transgener Nutztiere hergestellt werden
sollen, sind die oben genannten Kriterien relevant geworden, seit erste vorklinische
Prüfungen an Versuchstieren sowie erste klinische Prüfungen an Patienten (vgl.
Tab. 6.3) durchgeführt werden.
Es kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass die exakte räumliche Struktur des menschlichen Proteins, wenn es in der Milchdrüse eines transgenen Tiers
produziert wird, von derjenigen abweicht, die bei Synthese im menschlichen Körper
vorläge. Inwieweit aber mögliche Abweichungen in Faltung, Prozessierung oder
posttranslationaler Modifikation des Proteins tatsächlich klinische Relevanz haben
und die biologische Wirksamkeit des Proteins beeinflussen, muss in jedem Einzelfall geprüft und beurteilt werden (Ammann und Vogel 2000, S. 28-29). Kontaminationen des Proteins mit toxischen, entzündungsauslösenden oder allergenen Substanzen müssen durch eine entsprechende Ausgestaltung des Aufreinigungsverfahrens des Proteins vermieden werden. Ein noch nicht zufriedenstellend gelöstes
Problem ist die individuenspezifische Schwankung der Milchqualität im zeitlichen
Verlauf: die Milchzusammensetzung ändert sich in Abhängigkeit von der Jahreszeit
und dem Alter des einzelnen Tieres, und dies macht eine entsprechende Anpassung
des Aufarbeitungsverfahrens der Milch zur Gewinnung des menschlichen Proteins
erforderlich (Wall 1999, S. 251).
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, Krankheitserreger, die beim Menschen
möglicherweise Krankheiten auslösen könnten, dauerhaft und zuverlässig aus der
Herde der Produktionstiere fernzuhalten. Hierzu muss ein hoher Gesundheitsstatus
bei jedem einzelnen Tier gewährleistet werden (Gavin 2001, S. 15ff.). Dies umfasst
nicht nur eine ständige veterinärmedizinische Überwachung der Tiere, sondern auch
spezielle Haltungs- und Zuchtbedingungen. Sie sollen einen sehr hohen Hygienestatus gewährleisten, indem jeglicher Input in das Haltungssystem auf seinen
mikrobiellen Status hin kontrolliert wird (z. B. Filterung der Luft, Sterilisierung von
Futter und Wasser, Gesundheitsüberwachung des Personals etc.; teilweise Entbindung der Tiere durch Kaiserschnitt, um die Übertragung von Krankheitserregern
vom Muttertier auf die Nachkommen bei der Geburt zu verhindern). Diese Bedingungen können jedoch nicht mit einer artgerechten Haltung in Einklang gebracht
werden.
Pharmawirkstoffe müssen durch die zuständigen Behörden zugelassen werden, ehe
sie kommerziell vermarktet werden können. Während für andere bio- und gentechnische Herstellungsverfahren für menschliche Proteine dieser Zulassungsprozess
schon mehrfach durchlaufen wurde und sowohl bei den Behörden als auch Antragstellern entsprechende Erfahrungen vorliegen, befinden sich geeignete Genehmigungsverfahren und insbesondere die Anforderungen, die an die Sicherheit und
Wirksamkeit der Proteine sowie an den Prozess zu ihrer Gewinnung zu stellen sind,
für die Herstellung menschlicher Proteine in der Milch transgener Nutztiere noch in
der Erarbeitung und Erprobung (Gavin 2001).
81
6.4.3
Ökonomische Notwendigkeit zur Verkürzung des FuE-Prozesses
Traditionell gehört die Pharmaindustrie zu den forschungsintensiven Branchen, die
zum Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Mittel etwa 15 % ihres Umsatzes für
Forschung und Entwicklung (FuE) aufwendet; in jungen technologieorientierten
Biotechnologieunternehmen liegt dieser Anteil häufig noch deutlich höher. Die
Entwicklung neuer Pharmawirkstoffe ist ein sehr kosten-, da forschungsintensiver
Prozess. Als Richtwert werden FuE-Aufwendungen einschließlich der klinischen
Prüfungen in Höhe von 500 Mio. DM für einen neuartigen Pharmawirkstoff angenommen, der bis zur Marktreife gebracht wird. Zum einen sind in diesen Kosten
auch FuE-Aufwendungen enthalten, die für diejenigen Wirkstoffe angefallen sind,
die nicht bis zur Marktreife weiterentwickelt werden, sondern deren Erforschung in
einem früheren Stadium der Entwicklung eingestellt wird. Zum anderen ergibt sich
diese Summe aus den jährlichen Forschungskosten für ein Projekt sowie der Projektlaufzeit bis zur erfolgreichen Zulassung des Arzneimittels. Die durchschnittlichen jährlichen Forschungskosten für ein Projekt werden auf ca. 6 Millionen US$
geschätzt; hinzu kommen noch etwa 14 Millionen US$ Entwicklungskosten. Die
durchschnittliche Projektlaufzeit wird in der Literatur mit 12 bis 14 Jahren angegeben, wobei etwa 2 Jahre auf die Forschung, 8 Jahre auf die Präklinik und die klinischen Prüfungen sowie 2 bis 3 Jahre auf die Zulassung entfallen sollen. Um wettbewerbsfähig bleiben zu können, müssen in der Praxis aber deutlich kürzere FuEDauern (etwa 7 bis 8 Jahre) erreicht werden.
Die hohen FuE-Aufwendungen müssen über Produktverkäufe wieder amortisiert
werden (so genanntes return of investment). Premiumpreise lassen sich auf dem
Markt in der Regel aber nur von Erstanbietern eines konkurrenzlosen Produkts erzielen. Durch das Patentrecht kann ein patentiertes Produkt für einen Zeitraum von
20 Jahren exklusiv vermarktet werden, doch zählt der Zeitraum, in dem Patentschutz gewährt wird, vom Beginn der FuE-Arbeiten (Patentanmeldung) an. Daraus
ergibt sich ein erheblicher ökonomischer Druck, die Zeitdauer des FuE- sowie des
Zulassungsprozesses möglichst stark zu verkürzen, um einen längstmöglichen Zeitraum für die exklusive Vermarktung des Produktes ausnutzen zu können (Reiß et al.
1997).
Weil junge, kleine technologieorientierte Biotechnologieunternehmen im Vergleich
zu großen Pharmakonzernen kaum über Eigenkapital verfügen, mit dem sich der
aufwändige FuE-Prozess finanzieren ließe, sind sie darauf angewiesen, entsprechende Finanzmittel zu akquirieren – sei es durch Kredite bei Banken, Beteiligungskapitalgesellschaften, Kooperationen mit großen Firmen oder einen Börsengang. Eine neue Finanzierungsrunde lässt sich aber nur erfolgreich durchlaufen,
wenn entsprechende Fortschritte im FuE-Programm der Firma (Meilensteine) erreicht worden sind (Menrad et al. 1999).
82
Während die oben skizzierten ökonomischen Rahmenbedingungen für die Pharmaund biotechnologische Forschung und Entwicklung allgemein gelten, stehen Unternehmen auf dem Gebiet Gene Pharming vor dem speziellen Problem, dass zum einen potenzielle Konkurrenz durch die Herstellung desselben Produkts auf fermentativem Wege (vgl. Kap. 6.2) besteht, das ggf. schneller zur Marktreife gebracht
werden kann, und dass zudem bestimmte Zeiträume (z. B. Tragzeit, Zeit bis zum
Erreichen der Geschlechtsreife) durch die Fortpflanzungsbiologie der verwendeten
Tiere vorgegeben werden.
Für das Gene Pharming stellt sich daher auf Grund der ökonomischen Rahmenbedingungen die Herausforderung, so früh wie nur irgend möglich
•
Milch für die Charakterisierung der Produktionseigenschaften transgener (Founder)-Tiere (Protein ja/nein; Produktkonzentration in der Milch),
•
Milch und gereinigten Wirkstoff für die präklinische Charakterisierung, sowie
•
Milch und gereinigten Wirkstoff für klinische Studien
zur Verfügung zu haben. Abbildung 6.2 gibt eine Übersicht über den zeitlichen
Ablauf bis zur Etablierung einer Produktionsherde transgener Schafe oder Ziegen
unter Verwendung konventioneller Techniken, bei denen von einer Tragzeit von
5 Monaten und einer Zeitdauer von 9 Monaten bis zum Eintritt der Geschlechtsreife
auszugehen ist. Wie aus Abbildung 6.2 hervorgeht, sind hierfür mindestens
44 Monate erforderlich, selbst wenn das Projekt optimal abläuft und es nicht zwischenzeitlich Rückschläge gibt.
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass es intensive Bemühungen gibt, den im wesentlichen durch die Fortpflanzungsbiologie der verwendeten Tiere vorgegebenen
Zeitablauf weiter zu verkürzen, indem gezielt in diese Fortpflanzungs- und Entwicklungsbiologie eingegriffen wird (Wall 1999; Gengler und Druet 2001; Heyman
2001).
Um nicht erst den Zeitpunkt der natürlichen Laktation (Milchbildung) abwarten zu
müssen, die natürlicherweise erst nach der Geburt der ersten Nachkommen einsetzt,
wird durch eine hormonelle Behandlung des transgenen weiblichen Tiers noch vor
seiner Verpaarung eine Laktation induziert, um in dieser Milch zu untersuchen, inwieweit das Fremdgen exprimiert und welche Fremdproteinkonzentration in der
Milch erreicht wird. Bei Schafen und Ziegen können hierdurch 5 Monate, nämlich
die Dauer der Tragzeit, eingespart werden. Zudem können gezielt nur diejenigen
Tiere verpaart werden, die tatsächlich ökonomisch interessante Konzentrationen an
Fremdprotein synthetisieren, was den Ressourceneinsatz verringert.
83
Abbildung 6.2:
Zeit
(Mon)
0
5
13
18
26
31
39
44
Zeitlicher Ablauf der erforderlichen Schritte bis zur Etablierung
einer Produktionsherde transgener Schafe oder Ziegen unter
Verwendung von Standardtechniken
Ereignis
Verfügbare Information
Meilenstein
Mikroinjektion, Embryotransfer in Ammentiere
Tragzeit 5 Mon.
Founder transgen ja/nein?
Geburt Foundertiere
Geschlechtsreife nach
9 Mon.
Founder geschlechtsreif,
Verpaarung
Tragzeit 5 Mon.
F1 transgen ja/nein?
Geburt F1,
Transgenvererbung durch Founder?
natürliche Laktation
Expression in Milch durch Founder?
Founder
Expressionshöhe?
Geschlechtsreife nach
9 Mon.
F1 geschlechtsreif,
Verpaarung
Tragzeit 5 Mon.
F2 transgen ja/nein?
Transgenvererbung durch F1?
Geburt F2,
Expression in Milch durch F1?
natürliche Laktation F1
Expressionshöhe?
Charakterisierung Fremdprotein
Geschlechtsreife nach
9 Mon.
F2 geschlechtsreif,
Verpaarung
Tragzeit 5 Mon.
Optimierung Proteinaufreinigung
Geburt F3,
natürliche Laktation F2, Protein für (vor)klinische Prüfungen
Produktionsherde etabliert
Sind wertvolle weibliche Foundertiere identifiziert worden, kann eine weitere Beschleunigung des Prozesses um mehrere Monate dadurch erreicht werden, dass
nicht mehr die natürliche Geschlechtsreife abgewartet wird, sondern den präpubertären Foundertieren durch den Prozess des "oocyte pick-up" Eizellen entnommen
werden, die in vitro befruchtet und in Ammentieren ausgetragen werden. Eine an-
84
dere Möglichkeit stellt das Klonen dieses Foundertiers durch Kerntransfer seiner
somatischen Zellen dar (Colman 1999).
Es ist davon auszugehen, dass eine Zulassung umso eher zu erlangen sein wird, je
homogener und einheitlicher die Produktionstiere und ihre wirkstoffhaltige Milch
sind. Eine derartige "Standardisierung" lässt sich möglicherweise durch den Aufbau
der Produktionsherde durch reproduktives Klonen durch somatischen Kerntransfer
erreichen (Colman 1999).
Tabelle 6.4 gibt eine zusammenfassende Übersicht über die Maßnahmen, mit denen
eine Beschleunigung und Effizienzsteigerung des FuE-Prozesses beim Gene Pharming erreicht werden soll.
6.5
Schlussfolgerungen und Fazit: Inwieweit erfüllt Gene
Pharming die Erwartungen?
Gene Pharming lässt sich zusammenfassend als eine komplexe, ressourcen-, kostenund zeitaufwändige High-Tech-Entwicklung charakterisieren. Bislang sind noch
keine Medikamente auf den Markt gebracht worden, die aus der Milch transgener
Tiere gewonnen wurden, obwohl dies seit längerem für die Jahrtausendwende angekündigt war. Unter Berücksichtigung der Gene-Pharming-Wirkstoffe, die sich
zurzeit in der präklinischen und klinischen Prüfung befinden wird das Gene Pharming selbst bei erfolgreicher Kommerzialisierung seiner Produkte in der absehbaren
Zukunft keine einzigartigen, nicht auch auf anderen Wegen herstellbare Wirkstoffe
bereitstellen. Vielmehr befindet es sich in erheblicher Konkurrenz zu Herstellverfahren auf der Basis von Zellkulturen. So wurde beispielsweise die Entwicklung
eines vielversprechenden Gene-Pharming-Wirkstoffkandidaten, namentlich α-Glucosidase zur Therapie der Pompe'schen Krankheit, zugunsten der Herstellung dieses
Wirkstoffes in Zellkulturen aufgegeben.
Zurzeit ist nicht entscheidbar, ob sich die prinzipiellen Potenziale des Gene Pharming werden realisieren lassen oder ob es sich dabei eventuell auch um "Wunschdenken" handeln könnte. Aus heutiger Sicht werden sich diese Potenziale nur realisieren lassen, wenn es gelingt, die heute noch nicht ausgereiften Einzeltechniken
weiterzuentwickeln sowie Synergien durch eine Integration von Reproduktionstechniken, gendiagnostischen und genanalytischen Verfahren, transgenen Techniken und Klonen zu nutzen. Damit ist aber eine noch weitergehende Instrumentalisierung und Inanspruchnahme der Tiere für menschliche Interessen verbunden, als
dies heute bereits der Fall ist.
Ziel, Zweck
Andere Gentransfermethoden als Mikroinjektion
Embryonale Stammzellen
Gentransfer in Zellkulturen, Selektion auf Transgen, Klonen durch somatischen Kerntransfer
•
•
Induzierte Laktation, noch vor Verpaarung
Gendiagnostische Frühtests
Gendiagnostische Frühtests
Entnahme von Eizellen vor Geschlechtsreife (oocyte pick-up), in-vitroFertilisation, Austragen in Ammentieren
Klonen durch somatischen Kerntransfer
Klonen durch somatischen Kerntransfer
•
•
•
•
•
Information zur Expressionshöhe früher
Fortpflanzung wertvoller Foundertiere früher
Beschleunigung Zulassungsverfahren durch weitgehende • Klonen durch somatischen Kerntransfer
Standardisierung
Schnelle identische Vervielfachung wertvoller Foundertiere
Information früher, ob Expression in Milch
•
Höhere Ausbeute transgener Tiere mit gewünschtem Ge- • Gendiagnostische Frühtests an Präimplantationsembryonen
schlecht
Gendiagnostische Frühtests an Präimplantationsembryonen
•
Maßnahme
Ansätze und Maßnahmen zur Verringerung von wissenschaftlich-wirtschaftlichen Problembereichen des Gene Pharming
Höhere Ausbeute transgener Tiere
Tabelle 6.4:
85
86
6.6
Literatur
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–
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SAG-Studienpapier
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März
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Reiß, T.; Hüsing, B.; Hinze, S.: Indikatoren zur Bewertung von FuE-Strategien in
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87
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89
7.
Bewertung des Gene Pharming mit Hilfe des Multicriteria Mapping
Dr. René Zimmer, Fraunhofer-Institut für
Systemtechnik und Innovationsforschung, Karlsruhe
7.1
Zielsetzung des Multicriteria Mapping
Konflikte um die Einführung und Nutzung neuer Technologien wie z. B. der Gentechnik werden dadurch mitverursacht, dass
•
in den Entscheidungsprozess bevorzugt Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft einbezogen werden, während die Zielsetzungen, Interessen und Positionen
weiterer betroffener Gruppen (z. B. Verbraucher/Bevölkerung, Tiere, Umwelt) in
geringerem Maße berücksichtigt werden;
•
dementsprechend bei der Bewertung der Technologie vor allem naturwissenschaftliche und ökonomische Kriterien herangezogen werden;
•
häufig ein technikinduzierter Zugang („was sind die Chancen und Risiken der
Technologie?“) anstelle eines probleminduzierten Zugangs („welche Lösungsoptionen gibt es für das Problem, und worin bestehen ihre jeweiligen komparativen Vor- und Nachteile?“) gewählt wird.
Als Alternative zur Bewertung technologischer Optionen kann die Methode des
Multicriteria Mapping (MCM) herangezogen werden. Tabelle 7.1 gibt eine Übersicht, in welcher Hinsicht sich eine Technikbewertung mittels MCM von üblicherweise praktizierter Technikbewertung unterscheidet.
Tabelle 7.1:
Unterschiede zwischen üblicherweise praktizierter Technikbewertung und unter Nutzung von MCM
übliche
Technikbewertung
Technikbewertung mit
Multicriteria Mapping
•
Eine Option wird bewertet
•
•
Kriterien zur Bewertung werden von • Kriterien werden von verschiedenen
ausgewählten Experten vorgegeben
Akteuren selbst festgelegt
•
Vor allem wissenschaftlich-techni- • Soziale, ethische, ökologische und
sche, ökonomische Bewertungskritegesundheitliche Perspektiven gehen in
rien
die Bewertung mit ein
Mehrere Optionen werden miteinander vergleichend bewertet
90
Das MCM dient in erster Linie der Schaffung von Transparenz darüber, auf Grund
welcher Kriterien und ihrer Wichtung einzelne Akteure zu einer bestimmten Bewertung kommen. Hieraus lassen sich Konsens- und Dissensbereiche zwischen verschiedenen Akteuren erkennen und damit möglicherweise Ansatzpunkte für eine
weitergehende Verständigung ableiten. Im Idealfall kann mit Hilfe des MCM auch
ein Konsens darüber erzielt werden, welche der zu bewertenden Lösungsoptionen
die relativ Vorzüglichste ist.
7.2
Durchführung Multicriteria Mapping
Die Methode des MCM wurde mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Beispiel des "Gene Pharming" erprobt, also der gentechnischen Veränderung von Tieren mit dem Ziel der Medikamentenproduktion (vgl. Kap. 6). Es geht nicht um die
isolierte Betrachtung der Sicherheit oder Erwünschtheit des Gene Pharming, sondern um eine relative Einschätzung dieser Technologie:
(1)
unter verschiedenen Perspektiven und
(2)
im Vergleich mit alternativen Technikoptionen.
Als Beispiel haben wir die Herstellung des menschlichen Proteins alpha-1-Antitrypsin ausgewählt. Bei diesem Protein handelt es sich um einen Wirkstoff zur
Behandlung der genetisch bedingten Krankheit zystische Fibrose (Mukoviszidose).
Bei zystischer Fibrose handelt es sich um eine erbliche, nicht heilbare Erkrankung.
Die Krankheit führt zu schweren Störungen von Atmung und Verdauung. Die Absonderung bestimmter Körperflüssigkeiten wie Schweiß und Schleim ist gestört.
Die Sekrete in Lunge und Bauchspeicheldrüse, aber auch in anderen Organen (z. B.
in der Leber) sind zäher als bei nicht erkrankten Kindern. Die feinen Äste der Bronchien, die Gänge der Bauchspeicheldrüse und die Gallengänge verstopfen, die Organe können nicht mehr richtig arbeiten. Die Erkrankung führt zum Funktionsverlust der Atemwege und des Verdauungstrakts mit früher Todesfolge. Die langsame,
aber stetige Verschlechterung der Stoffwechselfunktionen ist nicht aufzuhalten,
kann aber durch frühzeitige und intensive Behandlungsmaßnahmen (z. B. durch den
Wirkstoff alpha-1-Antitrypsin) entscheidend verzögert werden.
In Tabelle 7.2 rechts sind die verschiedenen Optionen aufgeführt, mit denen alpha1-Antitrypsin prinzipiell hergestellt werden könnte:
a) aus gentechnisch veränderten Zellkulturen, z. B. Hamster-Zell-Linien (Option I),
b) aus gentechnisch veränderten Tieren (Option II),
c) aus menschlichem Spenderblut (Option III).
91
Tabelle 7.2:
Arbeitsblatt zur Durchführung des MCM am Beispiel Gene Pharming
Das menschliche Protein alpha-1-Antitrypsin soll als therapeutischer Wirkstoff zur Behandlung von zystischer Fibrose
hergestellt werden. Drei verschiedene Herstellungsoptionen sind möglich (Spalten rechts):
1. Bitte tragen Sie in die 1. Spalte die Kriterien ein, nach denen Sie die 3 Optionen bewerten wollen.
2. Gewichten Sie bitte Ihre Kriterien (von "1 = am wichtigsten" bis "6 = am unwichtigsten).
3. Suchen Sie sich aus der Kriterientabelle die passenden Kategorien zu Ihren Kriterien heraus.
4. Benoten Sie auf einer Skala von 1 - 6 die 3 Optionen. (Beachten Sie bitte die Wertigkeiten,
die in der Kriterientabelle angegeben sind.)
Kriterien
Gewichtung
Kategorie
Optionen
I
II
III
aus gm
Zellkulturen
aus gm
Tieren
aus menschl.
Spenderblut
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
1. Diese drei Optionen sollen von Ihnen bewertet werden. In die linke Tabellenspalte schreiben Sie die Kriterien, nach denen Sie die drei Herstellungsoptionen
von alpha-1-Antitrypsin bewerten möchten. Dabei kann es sich um Kriterien
handeln, die aus den Bereichen Ethik, Gesundheit, Ökonomie, Soziales oder
Umwelt stammen können. Ein ethisches Kriterium wäre beispielsweise: "Die
Herstellung eines Medikaments mit dieser Option ist tierquälerisch". Ein Kriterium aus dem Bereich Gesundheit wäre: "Durch die mit dieser Option hergestellten Proteine können (bzw. können nicht) Allergien entstehen".
2. Im nächsten Schritt gewichten Sie Ihre Kriterien. Auf einer Skala von 1 = "sehr
wichtig" bis 6 = "unwichtig" können Sie bestimmen, welche Bedeutung dm jeweiligen Kriterium bei der Bewertung der Option zukommen soll.
3. Suchen Sie dann aus der beiliegenden Kriterienliste das Kürzel heraus, das am
besten zu Ihrem Kriterium passt4.
4. Bitte bewerten Sie nun die einzelnen Optionen anhand der von Ihnen gewählten
Kriterien mit Noten von 1 bis 6. Bei dem bereits erwähnten Beispiel aus dem Bereich Gesundheit würde "1" bedeuten, "Die mit dieser Option hergestellten Proteine verursachen keine Allergien". "6" hieße entsprechend "Die mit dieser Option hergestellten Proteine können Allergien verursachen". Sollten Sie sich bei
4 Dieser Zwischenschritt ist allein aus praktischen Gründen erforderlich, um die Auswertung aller
MCM-Bögen noch während der Fortbildung zu gewährleisten.
92
der Bewertung unsicher sein, versehen Sie bitte die Zahl mit einem Fragezeichen.
Tabelle 7.3:
Kriterienkatalog
Kriterien
Kategorie
I. Ethik
a) Ethik allgemein
Die Herstellung des Medikaments mit dieser Option ist ethisch vertretbar (1) bzw. ethisch nicht
vertretbar (6).
Die Option unterstützt die Forderung "Menschen und Tiere müssen in Harmonie leben" völlig (1)
bzw. gar nicht (6).
Die Option führt zu einer Veränderung des vertrauten Verhältnisses von Mensch-Tier und zu
einer Abstumpfung und Verrohung gegenüber Mitgeschöpfen. Nein (1); Ja (6)
ea1
ea2
ea3
b) Mensch als Schöpfer
Die Feststellung "Der Mensch spielt Gott" trifft auf die Option gar nicht zu (1) bzw. völlig zu (6).
Die Feststellung "Man pfuscht der Natur/Gott ins Handwerk" trifft auf die Option gar nicht zu (1)
bzw. völlig zu (6).
Die Nutzung dieser Option öffnet dem Missbrauch der Wissenschaft Tür und Tor. Nein (1); Ja
(6)
es1
es2
es3
c) Tierethik
Die Option hat unerwünschte Folgen für das Tier. Nein, keine (1); Ja, sehr große (6)
Die Feststellung "Die Tiere müssen durch die gentechnische Veränderung leiden" trifft auf die
Option nicht zu (1) bzw. sehr stark zu (6).
Tiere werden bei dieser Option als "Versuchskaninchen" genutzt. Nein (1); Ja (6)
Das Wohlbefinden der Tiere wird durch die Option beeinträchtigt. Nein (1); Ja (6)
Die Herstellung des Medikaments mit dieser Option ist tierquälerisch. Nein (1); Ja (6)
Ist bei dieser Option der Tierschutz noch gewährleistet? Ja (1); Nein (6)
Durch diese Option werden noch mehr Tiere getötet. Nein (1); Ja, viele (6)
Die Tiere werden bei dieser Option unter nicht artgerechten hygienischen Bedingungen gehalten
werden. Trifft nicht zu (1); trifft stark zu (6).
Die Feststellung "Da werden Lebewesen zu Bioreaktoren degradiert" trifft auf die Option nicht zu
(1) bzw. sehr stark zu (6).
et1
et2
et3
et4
et5
et6
et7
et8
et9
II. Gesundheit
a) Gesundheit allgemein
Die Option hat keine (1) bzw. hat unerwünschte Folgen (6) für die Gesundheit der Patienten.
Die Option ermöglicht dem Patienten ein glückliches, gesundes Leben. Ja (1); Nein, überhaupt
nicht (6)
Die Zeitdauer bis zur Zulassung des Medikaments ist bei der jeweiligen Option kurz (1) bzw.
lang (6).
ga1
ga2
ga3
b) Medikamenteneigenschaften
Die Wirksamkeit des hergestellten Proteins im Patienten ist hoch (1) bzw. niedrig (6).
Die Wirksamkeit des Proteins kann durch diese Option gesteigert (1) bzw. nicht gesteigert (6)
werden.
Die Herstellung des Medikaments mit dieser Option kann besser (1) bzw. nur sehr schlecht (6)
kontrolliert werden.
Die Verträglichkeit des hergestellten Proteins beim Menschen ist hoch (1) bzw. nicht gegeben
(6).
gm1
gm2
gm3
gm4
c) gesundheitliche Risiken
Mit dieser Art der Herstellung von Medikamenten hat man noch keine Erfahrung, so dass das
Risiko, dass etwas Unerwartetes (Nebenwirkungen oder so) auftritt niedrig (1) bzw. hoch (6) ist.
Durch diese Option können unbekannte Krankheitserreger vom Tier auf den Menschen nicht
übertragen (1) bzw. übertragen (6) werden.
Bei Verwendung dieser Option ist das Infektionsrisiko für AIDS, Hepatitis etc. gering (1) bzw.
hoch (6).
Durch die mit dieser Option hergestellten Proteine können keine (1) bzw. können (6) Allergien
entstehen.
gr1
gr2
gr3
gr4
93
Kriterien
Kategorie
III. Ökonomie
a) Ökonomie allgemein
Durch die Anwendung dieser Option besteht keine Gefahr (1) bzw. große Gefahr (6) der
Monopolbildung.
Diese Option hat große (1) bzw. nur geringe (6) positive Marketingeffekte.
Die Nutzung dieser Option stärkt die Wettbewerbsfähigkeit in hohem Maße (1) bzw. steigert die
Wettbewerbsfähigkeit nicht (6).
Die Nutzung dieser Option schafft viele neue (1) bzw. schafft keine (6) Arbeitsplätze.
Anwendung dieser Methode trägt in hohem Maße (1) bzw. kaum (6) zur Standortsicherung
durch innovative Technologien bei.
öa1
öa2
öa3
öa4
öa5
b) Kosten
Bei dieser Option sind die Kosten zur Gewinnung des Proteins gering (1) bzw. hoch (6).
Bei dieser Option sind die Kosten zur Herstellung des Proteins gering (1) bzw. hoch (6).
Bei dieser Option sind die anfänglichen Investitionskosten zur Herstellung des Proteins gering
Bei dieser Option kommen keine höheren (1) bzw. deutlich höhere (6) Kosten auf den Patienten
zu.
Die finanziellen Gewinne für Pharmakonzerne sind bei der Nutzung dieser Option hoch (1) bzw.
gering (6).
Die Patentfähigkeit von einzelnen Techniken dieser Option ist hoch (1) bzw. niedrig (6).
ök1
ök2
ök3
ök4
ök5
ök6
c) Produktionskriterien
Durch diese Option lassen sich ausreichende Mengen des Medikaments herstellen, so dass alle
Kranken diese Therapie bekommen können (1), bzw. keine ausreichenden Mengen herstellen
(6).
Diese Option führt zu einer hohen (1) bzw. geringen (6) Verfügbarkeit des Medikaments.
Der technischer Aufwand zur Produktion des Medikaments ist gering (1) bzw. hoch (6).
öp1
öp2
öp3
IV. Soziales
a) Risiko und Akzeptanz
Die Nutzung dieser Option wird keine (1) bzw. könnte viele unerwünschte Folgen (6) für die
Bevölkerung haben.
sr1
Die Nutzung dieser Option stellt kein (1) bzw. ein großes (6) Risikopotential für Gesellschaft dar.
Diese Option wird die Akzeptanz der Patienten finden (1) bzw. nicht finden (6).
Diese Option wird die Akzeptanz der Bevölkerung finden (1) bzw. nicht finden (6).
sr2
sr3
sr4
b) Gesundheitssystem
Wird das Medikament mit dieser Option produziert, ist die Wahrscheinlichkeit einer
Kostenübernahme der Therapie durch die Krankenkassen hoch (1) bzw. gering (6).
Durch die Nutzung dieser Option steigen die Kosten im Gesundheitswesen nicht (1) bzw.
deutlich (6).
sg1
sg2
c) Rechtlicher Rahmen
Der Aufwand, um einen rechtlichen Rahmen für die Nutzung dieser Option zu schaffen, ist
gering (1) bzw. ist hoch (6).
sz1
V. Umwelt
a) Umwelt allgemein
Diese Option hat keine (1) bzw. große (6) unerwünschte Folgen für die Umwelt.
Diese Option führt zu keinen (1) bzw. großen (6) Umweltrisiken.
ua1
ua2
b) Umweltmanagement in der Produktion
Diese Option bietet die Möglichkeit, bei der Produktion geschlossene Stoff- und
Wärmekreisläufe zu etablieren (1) bzw. bietet diese Möglichkeit nicht (6).
Die Umweltbelastung durch den Herstellungsprozess des Medikaments ist bei dieser Option
gering (1) bzw. hoch (6)
Die Herstellung des Medikaments mit dieser Option ist ressourcenschonend (1) bzw. vergeudet
Ressourcen (6).
up1
up2
up3
94
7.3
Ergebnisse des Multicriteria Mappings
Der nachfolgenden Analyse liegen die folgenden Fragen zu Grunde:
•
Nach welchen Kriterien bewerten die Teilnehmenden die drei Technikoptionen?
(Anzahl und Bereich)
•
Wie gewichten die Teilnehmenden die einzelnen Kriterien?
•
Gibt es Unsicherheiten bei der Bewertung von Technikoptionen? (Fragezeichen)
•
Wird eine bestimmte Technikoption von den Teilnehmenden präferiert? Aus
welchen Gründen?
Zur Bewertung der drei Optionen wurden insgesamt 182 Kriterien ausgewählt, das
sind im Mittel 12 Kriterien pro Person. Wie aus der Abbildung 7.1 hervorgeht,
wählten die Teilnehmer überwiegend Kriterien aus den Bereichen Gesundheit (50),
Ethik (47) und Ökonomie (46).
Abbildung 7.1:
Art und Anzahl der von den Teilnehmern ausgewählten Kriterien für das Multicriteria Mapping
60
50
Anzahl
40
30
20
10
0
Ethik
Gesundheit
Ökonomie
Soziales
Umwelt
Die „Hitliste“ der am häufigsten genannten Kriterien (Tab. 74) zeigt, dass diese
Kriterien aus den Bereichen Gesundheit und Ethik (je 3 Kriterien), aus den Bereichen Ökonomie und Umwelt (je 2 Kriterien) und aus dem Bereich Soziales (1 Kriterium) stammt. Die Bewertung wird somit von drei Begriffen bestimmt: Kosten –
Wirksamkeit – Akzeptanz.
95
Tabelle 7.4:
Hitliste der am häufigsten genannten Kriterien zur Bewertung der
Optionen
Kriterium
Kosten zur Herstellung des Proteins
Wirksamkeit des hergestellten Proteins
Akzeptanz bei der Bevölkerung
ethische Vertretbarkeit
gesundheitliche Folgen für Patienten
gesundheitliche Risiken durch Herstellung des Medikaments
Tiere werden zu "Versuchskaninchen"
Lebewesen werden zu "Bioreaktoren" degradiert
Mengen, in denen das Protein hergestellt werden kann
Folgen für die Umwelt
Umweltrisiken
Bereich
Anzahl
Ökonomie
8
Gesundheit
8
Soziales
7
Ethik
7
Gesundheit
7
Gesundheit
7
Ethik
6
Ethik
6
Ökonomie
6
Umwelt
6
Umwelt
6
Beim Multicriteria Mapping ist jedoch nicht nur die Anzahl der Kriterien entscheidend, sondern auch die Bedeutung, die der Teilnehmer diesem Kriterium zumessen
will. Die größte Bedeutung in den Augen der Teilnehmenden (d.h. die besten
Schulnoten) hatten Kriterien aus den Bereichen Umwelt und Gesundheit. Beide
Bereiche erhielten im Durchschnitt die Note 1,7. Kriterien aus dem Bereich Ethik
wurden mit der Note 1,9 gewichtet. Die vergleichsweise schlechtesten Noten und
damit eine geringere Gewichtung bekamen die Kriterien aus den Bereichen Soziales
(2,5) und Wirtschaft (2,8).
Die Kombination von Anzahl und Gewichtung der Kriterien pro Bereich zeigt
(Tab. 7.5), dass Ethik und Gesundheit sowohl häufig genannt als auch hoch gewichtet werden. Aus dem Bereich Ökonomie werden zwar viele Kriterien gewählt,
deren Bedeutung zur Bewertung der Optionen aber als weniger wichtig eingeschätzt
wird. Der Bereich Umwelt ist nur mit einer geringen Anzahl an Kriterien vertreten,
die aber in den Augen der Ausfüllenden besonders hoch gewichtet werden sollten.
Tabelle 7.5:
Anzahl und Gewichtung der Kriterien
Anzahl
der
Kriterien
Bedeutung der Kriterien für die Bewertung
sehr wichtig
weniger wichtig
hoch
E, G
mittel
gering
Ö
S
U
96
Als Gesamtergebnis des Multicriteria Mappings wurde Option III, die Gewinnung
von alpha-1-Antitrypsin aus menschlichem Spenderblut als die beste Option (d.h.
die mit der niedrigsten Punktzahl) eingeschätzt (Tab. 7.6). Doch nur knapp dahinter
belegt die Option I (Herstellung des Proteins aus gentechnisch veränderten Zellkulturen) Platz zwei. Im Vergleich mit diesen beiden Optionen wird die Herstellung
von alpha-1-Antitrypsin durch das "Gene pharming" (Option II) deutlich schlechter
eingeschätzt.
Das heißt, die Herstellung von Medikamenten durch gentechnisch veränderte Tieren, ist in den Augen der Teilnehmenden die vergleichsweise schlechteste Variante.
Wenn es andere Möglichkeiten gibt, ein bestimmtes Medikament herzustellen, werden diese bevorzugt.
Tabelle 7.6:
Ranking der Optionen
gewichtet
Optionen
I
Ethik
Gesundheit
Ökonomie
Soziales
Umwelt
insgesamt
Rang
II
aus gm Zellkultu- aus gm Tieren
ren
"Gene Pharming"
197
439
234
272
372
433
146
227
60
74
III
aus menschl.
Spenderblut
138
195
462
146
38
1009
1445
979
2
3
1
Der Einfluss der verschiedenen Kriterienbereiche wird in Abbildung 7.2 deutlich.
Es sind v.a. ethische Gründe, aus denen das Gene Pharming deutlich schlechter als
die beiden anderen Optionen abschneidet. Aber auch unter sozialen, ökologischen
und gesundheitlichen Aspekten wird die Medikamentenherstellung aus gentechnisch veränderten Tieren als die schlechteste Option bewertet.
Der Bereich Ökonomie, also hauptsächlich das Kostenargument, macht deutlich, wo
der Schwachpunkt der ansonsten auf Platz 1 gesetzten Option III liegt. Die Herstellung von alpha-1-Antitrysin aus menschlichem Spenderblut wird von den Teilnehmern als die teuerste angesehen, sogar noch teurer als die Herstellung des Medikamentes aus gentechnisch veränderten Tieren. Sollte also vorrangig unter ökonomischen Gesichtspunkten entschieden werden, welche Option zum Einsatz kommen
soll, wäre die Herstellung des Medikamentes aus gentechnisch veränderten Zellkulturen sogar die beste Option von allen.
97
Abbildung 7.2:
Einfluss der Kriterienbereiche auf das Ranking der Optionen
500
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0
Ethik
Gesundheit
aus gm Zellkulturen
Ökonomie
aus gm Tieren "Gene Pharming"
Soziales
Umwelt
aus menschl. Spenderblut
99
8.
Ethik in den Wissenschaften: Wege der Urteilsbildung
am Beispiel "Transgene Tiere"
Dipl.-Biol. Silke Schicktanz,
Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden
8.1
Drei Leitideen bei der Vermittlung von Wissenschaftsethik
Transgene Tiere werden für Zwecke der Landwirtschaft, der biologischen und der
medizinischen Forschung erzeugt. Der folgende Beitrag soll den Zugang und die
weitere Bearbeitung der wissenschaftsethischen Fragestellungen zu diesem Themenkomplex erleichtern, kann jedoch keine vollständige oder umfassende Bearbeitung dieses Themas bieten. Ich werde mich daher nach einer knappen Einleitung
über Zugangsweisen zur Wissenschaftsethik auf die tierethischen Aspekte bei der
Erzeugung und Verwendung transgener Tiere beschränken.
Die Wissenschaftsethik kann man als diejenige (akademische) Disziplin verstehen,
die zu klären sucht, unter welchen Bedingungen man neue Technologien (als Ergebnis einer wissenschaftlichen Entwicklung) oder die aktuelle Forschung (als institutionelle Wissenschaft) als ethisch geboten, ethisch erwünscht oder ethisch verwerflich beurteilen kann. Ihr Ziel ist also eine normative Verständigung über die
Spielräume und Grenzen der Umsetzung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Darüber hinaus beschäftigt sie sich als anwendungsbezogene Ethik
(s. u.) mit dem Ethos wissenschaftlicher Verantwortung, der Rolle des Wissens als
Gemeinschaftsgut und grundsätzlichen Fragen nach dem Verhältnis von Wertorientierungen und Erkenntnistheorie (vgl. Nida-Rümelin 1996a).
Um ethische Fragestellungen in der Wissenschaft innerhalb von Bildungseinrichtungen und Schulen didaktisch zu vermitteln, sollten folgende drei Leitideen berücksichtigt werden, wie sie u.a. von Julia Dietrich (1998) für diesen Bereich entwickelt wurden5:
5 Diese Leitideen und eine weitergehende Analyse der wissenschaftsethischen Vermittlung in der
Schule wurden in dem Projekt „Schule-Ethik-Technologie“ (SET) erarbeitet, das am Zentrum für
Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen, angesiedelt ist. Zur ausführlichen
Anwendung der Leitideen für den Unterricht am Beispiel konkreter Fragestellung aus dem
Themenbereich Gentechnologie siehe den Sammelband von Julia Dietrich und Frank-Thomas
Hellwig (2000).
100
(1)
Nicht-reduziertes Wissenschaftsverständnis
(2)
Ethik als Reflexionsebene
(3)
Interdisziplinarität
Diese drei Leitideen sollen nun im Folgenden erklärt werden:
(1)
Wissenschaft ’nicht reduziert’ zu vermitteln bedeutet, deutlich herauszustellen,
dass Wissenschaft nicht nur ein Fakten- und Aussagesystem ist, sondern dass
innerhalb der Wissenschaft Menschen als Forscher und Forscherinnen handeln. Sie fällen Entscheidungen und beeinflussen den Forschungsprozess
hierdurch maßgeblich. Wissenschaft muss also immer auch als Handlungssystem verstanden werden. Überall dort, wo der Handlungscharakter der Wissenschaft deutlich wird, kann Ethik als Nach- und Vorausdenken über das
richtige Handeln auch anknüpfen. Wird dagegen Wissenschaft immer nur als
ein apersonelles Aussagensystem behandelt, dann sind Fragen nach der Verantwortung, nach Wünschbarkeit der Folgen oder Erlaubtheit bestimmter
Methoden nicht leicht zu vermitteln, da die Adressaten und Akteure nicht
deutlich hervortreten. Schließlich muss deutlich werden, dass Wissenschaft
auch institutionellen Zwängen unterliegt: ökonomische, politische und rechtliche Vorgaben bedingen Forschungsmethoden, Fragestellungen und damit
auch indirekt die Ergebnisse der Wissenschaft. Wissenschaftstheoretische und
wissenschaftshistorische Zugänge innerhalb der jeweiligen Disziplin (z. B.
des Fachs Biologie) sind hierbei sehr nützlich, wenn nicht gar unentbehrlich,
um die übliche Auffassung von "Wissenschaft als Faktensystem" zu einem
nicht-reduzierten Wissenschaftsverständnis zu erweitern.
(2)
Um Ethik als Reflexionsebene einzuführen, ist es notwendig, explizit von der
Faktenebene auf die Wertebene zu wechseln. Dies würde z. B. bei der hier zu
bearbeitenden Fragestellung bedeuten, nicht zu fragen: "Welche Schäden haben transgene Tiere?" Sondern aus ethischer Sicht muss die Frage lauten:
"Welche Schäden bei transgenen Tieren sind zumutbar bzw. gerechtfertigt?"
Um solch eine anwendungsbezogene Ethik6 im Unterricht zu thematisieren,
kann man nicht erwarten, sofort zu rational-ethischen Urteilen zu gelangen,
sondern man sollte vielmehr das Spannungsfeld zwischen grundsätzlichen
ethischen Überlegungen und der Lösung eines realen oder realistischen
Problems öffnen. Bei der fundamental-ethischen Reflexion kann man zwei
6 Es ist sinnvoller, den Terminus „anwendungsbezogene“ Ethik (Engels 1999a) anstelle des häufig
verwendeten Terminus der „angewandten“ Ethik zu verwenden. Letzterer stammt aus einer EthikTradition, bei der fundamental-ethische Überlegungen bzw. Moraltheorien auf die Praxis so
„angewendet“ wurden, dass die Regeln abgeleitet wurden (sog. deduktive Methode). Von dieser
Methode sieht man heutzutage jedoch in der ethischen Diskussion meist ab, da sie dem
spezifischen Charakter des Problemfeldes zwischen Theorie und Praxis nur selten gerecht wird.
Dagegen ist sinnvoll, zwar auf fundamentalethische Fragen zu rekurrieren, zugleich aber auch den
Bezug auf realistische Probleme und praxisnahe Lösungen aufrechtzuerhalten (Dietrich 1998).
101
Zugangsweisen unterscheiden, wobei eine mit der Sollensethik umschrieben
wird und sich mit der Frage: "Was soll ich tun?" erschließen lässt. Dagegen
lässt sich die andere mit der Frage: "Wie will ich leben?" einleiten, und kann
als Strebensethik bezeichnet werden. Jede dieser Fragestellung lässt sich auf
einer individuellen und sozialen Ebene thematisieren, so dass man zur einfachen Strukturierung eine vierstellige Matrix (individuell-sollensethisch, sozial-sollensethisch, individuell-strebensethisch, sozial-strebensethisch) erhält,
um ethische Fragen in den Blick zu nehmen.
(3)
Die Interdisziplinarität ist in Fragen anwendungsbezogener Ethik essentiell.
Sie macht einerseits deutlich, dass ohne fächerübergreifendes Denken keine
wissenschaftsethische Beurteilung möglich ist. Experten für das eine naturwissenschaftliche Fach (z. B. Biologie) und Experten für die Ethik (z. B.
Theologen, Philosophen) müssen entweder in einer Person oder in einer
Gruppe vereinigt werden, um eine umfangreiche wissenschaftsethische Erörterung vornehmen zu können. Dennoch darf dies nicht dazu führen, sich vom
jeweiligen Expertenwissen so sehr beeindrucken zu lassen, dass man meint,
man selbst könne keine fächerübergreifenden Überlegungen thematisieren.
Denn häufiger haben wir für beide Bereiche Vorwissen, das durchaus als
Ausgangsposition für interdisziplinäre Überlegungen dienlich ist. Schließlich
muss jede vernünftige Person auch im Alltag in der Lage sein, moralische
Urteile bilden und neue Techniken beurteilen zu können, wenn sie diese anwenden bzw. nicht anwenden will.
8.2
Technik- und probleminduzierter Zugang der Wissenschaftsethik am Beispiel transgener Tiere
Ethische Überlegungen zu einer anwendungsbezogenen Fragestellung haben zwei
verschiedene Zugangswege: den technik- und den probleminduzierten Zugang
(Dietrich 1998; Verein Deutscher Ingenieure 1991):
•
Unter dem technikinduzierten Zugang versteht man Überlegungen, die an einer
schon bestehenden Technikentwicklung ansetzen, wie z. B. in diesem Falle: Es
werden transgene Tiere für verschiedene Anwendungsbereiche erzeugt: Worin
bestehen nun Chancen und Risiken (sog. Nutzen-Risiko-Analyse)?
•
Der probleminduzierte Ansatz thematisiert wissenschaftliche und ethische Aspekte, die über eine Nutzen-Risiko-Analyse hinausgehen und fragt danach, ob
das Problem, das die neue Technologie lösen soll, auch tatsächlich gelöst wird.
Oder wirft diese Technik gar größere medizinische oder auch ethische Probleme
auf? Bei diesen Überlegungen kann man also einerseits nach der Angemessenheit der Mittel zur Erreichung eines bestimmten Ziels und andererseits nach der
Legitimität der Zielsetzung selbst fragen. Im Bereich der transgenen Tiere be-
102
deutet dies, danach zu fragen, für welche Anwendung man transgene Tiere einsetzen will und warum. Ein probleminduzierter Zugang bei der Erzeugung transgener Tiere in der Landwirtschaft wäre, das Ziel der Ertragssteigerung durch
transgene Tiere zu thematisieren und zu fragen, ob dies bei einer gleichzeitigen
schon vorhandenen landwirtschaftlichen Überproduktion überhaupt sinnvoll ist.
Im Bereich der Erzeugung transgener Tiermodelle für die Medizin, die beispielsweise der Erforschung neuer Medikamente dienen sollen, stellen sich dagegen die folgenden Fragen: Werden diese neuen Medikamente tatsächlich Patienten helfen? Welche Patientengruppen kommen als Nutznießer in Frage? Welche Kosten sind damit für das Gesundheitssystem verbunden? Welche Alternativen gibt es, das jeweilige Ziel zu erreichen? Besonders der Aspekt der Alternativen ist hierbei wichtig, der meist in einer eng geführten technikinduzierten Beurteilung außer Acht gelassen wird.
Dennoch sind die Übergänge zwischen technik- und probleminduzierter Beurteilung
fließend. In einer umfangreichen Technikbewertung ergänzen sich beide Ansätze
eher, als dass sie als Gegensätze aufzufassen sind. Die hier angeführte Unterscheidung soll nur deutlich machen, dass der Zugang zur Fragestellung auch die Form,
Art des Blickwinkels und der ethischen Bearbeitung lenkt. Zum Verständnis des
hier gewählten Vorgehens ist anzumerken, dass die meisten Technikbewertungen zu
Beginn bei dem technikinduzierten Blickwinkel ansetzen: Zuerst werden der Stand
der Forschung erläutert, Zielsetzungen erklärt und dann nach dem Nutzen und den
Risiken gefragt. Auch dieser Beitrag knüpft an die bereits vorhandene Einführung
in die bio- und gentechnischen Methoden zur Erzeugung transgener Tiere an, wobei
im Folgenden die tierethischen Aspekte näher dargestellt werden.
8.3
Die Ebene der ethischen Reflexion: Wie gelangt man zu
tierethischen Argumenten?
Die ethische Reflexion muss sich, bevor sie überhaupt auf konkrete Fragestellungen
der Sollens- und Strebensethik eingeht, dreier Überlegungen annehmen, die Angelika Krebs (1997) deutlich herausgearbeitet hat:
(1)
Wie werden Werte zugeschrieben?
(2)
Wer/was kann Träger moralischer Werte sein?
(3)
Wer/was kann moralische Werte setzen?
Dies ist umso notwendiger, wenn menschliche Eingriffe oder Handlungen nicht nur
Menschen in unserem direkten Umfeld betreffen, sondern wenn auch Einflüsse auf
Tiere, Pflanzen, die Umwelt, spätere Generationen oder auch Embryonen etc. zu
erwarten sind. Da sich der vorliegende Beitrag explizit mit der Frage der gentechnischen Veränderung von Tieren für menschliche Zwecke beschäftigt, ist an dieser
103
Stelle zu klären, ob unser Verhalten gegenüber Tieren überhaupt moralisch relevant
ist, und wenn das der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien es beurteilt werden
sollte.
8.3.1
Wie werden Werte zugeschrieben?
Um nichtmenschlichen Wesen bzw. Nicht-Personen moralische Werte zuzuschreiben, kann man zwei Strategien verfolgen: Man kann traditionelle Moralargumente
aus der zwischenmenschlichen Kultur (bzw. zwischen Personen) auf andere, nichtmenschliche Wesen ausdehnen (sog. Ausdehnungsstrategie), oder man verwendet
absolute Argumente, die argumentativ davon ausgehen, dass es eine bestehende
Wertordnung in der Natur gibt, die objektive Richtlinien für den Umgang mit der
Natur und auch zwischen den Menschen enthält (Nida-Rümelin 1996b).
8.3.2
Wer oder was kann Träger moralischer Werte sein?
Bei der Frage, wer oder was Träger moralischer Werte sein kann, werden meist die
folgenden vier verschiedenen Moralkonzeptionen unterschieden:
•
Anthropozentrismus: Nur der Mensch/die Person hat einen moralischen Wert,
wobei dieser Wert als Eigenwert zu verstehen ist, der die Schutzwürdigkeit der
Person um ihrer selbst willen einfordert. Diese Position findet sich z. B. in allen
formalistisch-rationalen Ethiken wieder, wie derjenigen Immanuels Kants oder
der Diskursethik (Krebs 1997).
•
Pathozentrismus: Alle empfindungsfähigen/leidensfähigen Wesen sind moralisch
zu berücksichtigen. Diese Position findet sich bei vielen Utilitaristen (z. B. Singer 1997) aber auch bei Mitleids-Ethikern (z. B. Wolf 1990). Klaus Peter Rippe
(1994) und Angelika Krebs (1993) dehnen das Prinzip der Leidensvermeidung
aus dem zwischenmenschlichen Bereich als anerkanntes Moralprinzip auch auf
Tiere aus, sofern es keine plausiblen Argumente für die Nichtberücksichtigung
von Tieren gibt.
•
Biozentrismus: Alles Lebendige muss moralisch berücksichtigt werden. Ein
wichtiger Vertreter hierfür ist Albert Schweitzer mit seiner "Ehrfurcht vor dem
Leben"-Ethik (Schweitzer 1923).
•
Ökozentrismus: Die Natur als Ganzes bzw. Ökosysteme müssen moralisch berücksichtigt werden. Vertreter hierfür sind aus der amerikanischen Diskussion
Aldo Leopold, der Gründer der sog. 'landethics', oder aus der deutschen Diskussion Klaus-Michael Meyer-Abich. Plädiert diese Position auch für den Schutz
der unbelebten Natur, wie z. B. Gesteine, so wird sie auch als Holismus bezeichnet.
104
Die letzten drei Konzeptionen werden z. T. als Physiozentrismus im weiteren Sinne
zusammengefasst und dem Anthropozentrismus gegenübergestellt (Krebs 1997),
wobei diese Klassifizierung bei verschiedenen Autoren nicht immer einheitlich
verwendet wird.
8.3.3
Wer oder was kann moralische Werte setzen?
Um die Frage zu klären, wer oder was moralische Werte setzen kann, muss man aus
erkenntnistheoretischer Sicht klären, wie Werte entstehen. Hierbei kann man einerseits den erkenntnistheoretischen Wertanthropozentrismus vertreten, nach dem nur
der Mensch als rationales, vernünftiges Wesen in der Lage ist, Dingen oder Wesen
(moralische) Werte zuzuschreiben bzw. Werte zu erkennen. Diese Werte stehen in
einer relationalen Beziehung zum Menschen. Dagegen gibt es auch Vertreter des
erkenntnistheoretischen Wertphysiozentrismus, die die Existenz von Werten in der
Natur unabhängig vom Menschen sehen und absolute (auch sog. inhärente) Werte
definieren.
Auch wenn an dieser Stelle nicht alle Spielarten und Querverbindungen der hier
angesprochenen Grundüberlegungen aufgezeigt werden können, so sollen doch anhand einiger Erklärungen die internen Implikationen verschiedener Argumentationstypen verdeutlicht werden: Wenn man die Überzeugung für plausibel hält, dass
es auch absolute, von der menschlichen Erkenntnis völlig unabhängige Werte in der
Welt gibt (vgl. 8.3.3: erkenntnistheoretischer Wertphysiozentrismus), weil es sich
z. B. um eine göttliche Wertordnung handelt, dann kann man im zweiten Schritt
diese als absolute Argumente (vgl. 8.3.1) setzen. Ist man dagegen der Auffassung,
dass nur der Mensch in der Lage ist, Werte im eigentlichen Sinne zu erkennen (vgl.
8.3.3: erkenntnistheoretischer Wertanthropozentrismus), dann ist die Argumentation
mit absoluten Werten inkonsistent und es ist plausibler, eine argumentative Ausdehnungstrategie (vgl. 8.3.1) anzuwenden. Die Frage, wer oder was alles Träger
von moralischen Werten sein kann, wird z. T. auch davon beeinflusst, welche erkenntnistheoretischen Voraussetzungen gemacht werden: so argumentieren Ökound Biozentrismus-Vertreter (vgl. 8.3.2) meist mit absoluten Werten (vgl. 8.3.1).
Ethik ist somit immer auch eng mit grundsätzlichen Überlegungen zur Erkenntnistheorie ("Was und wie kann der Mensch erkennen?"), der Anthropologie ("Was ist
der Mensch?") und der Naturphilosophie ("Was ist die Natur?") verbunden (Engels
1999a) und sollte auch in diesem breiten Kontext thematisiert werden.
Ich werde im Folgenden für die praxisorientierte ethische Bewertung weniger auf
die grundsätzliche Klärung dieser Fragen eingehen, sondern nach einem kurzen
Exkurs in die Tradition tierethischer Überlegungen (vgl. 8.4) einen Einblick in eine
der wichtigsten und am weitesten verbreiteten Argumentationen der schon bestehenden Tierethik-Diskussion geben. Hierbei handelt es sich um den Pathozentris-
105
mus (vgl. 8.5). Von diesen Überlegungen aus werden dann im Anschluss die Implikationen für die wissenschaftsethische Beurteilung im Falle transgener Tiere angesprochen.
8.4
Die Tradition tierethischer Überlegungen
Als Ausgangspunkt für eine anwendungsbezogene, praxisnahe Ethik scheint es vorerst sinnvoll, an schon vorhandene moralische, weitgehend geteilte Argumente anzuknüpfen. Man kann hier zwar nicht direkt von einem Konsens sprechen, da bezüglich der Begründung moralischer Pflichten gegenüber Tieren innerhalb der Autorenschaft und zwischen den heute aktuell diskutierenden Interessensvertretern
durchaus unterschiedliche Auffassungen bestehen. Dennoch gibt es, wie im Folgenden kurz ausgeführt werden soll, eine in unserer westlichen Kultur häufig geteilte
Meinung, die den Schutz von Tieren vor menschlicher Willkür begrüßt bzw. einfordert.
Schon in der Antike gab es Philosophen, die aus tierethischen Gründen für den Vegetarismus plädierten, wie z. B. Plutarchos von Chaironeia (ca. 45-120 n. Ch.) (vgl.
Dierauer 1977). Die aktuellen Arbeiten zur Tierethik der letzten dreißig Jahre stehen in einer Denktradition, die u. a. im 18. Jahrhundert von Jeremy Bentham (1789)
begründet wurde und in folgendem Zitat zum Ausdruck kommt: "Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftiger und mitteilsamere Lebewesen als ein Kind, das erst einen Tag, eine Woche oder selbst einen
Monat alt ist. Doch selbst vorausgesetzt, sie wären anders, was würde es ausmachen? Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?". 1883 erschien Animal rights von Henry Salt (deutsche
Fassung: 1907), der damit den heute populären Begriff der "Tierrechte" thematisierte und der hundert Jahre später von dem amerikanischen Philosophen Tom Regan (1983) wieder aufgegriffen wurde. Die Verdienste der modernen TierethikVertreter liegen innerhalb der moralphilosophischen Diskussion u. a. darin7,
•
Begründungsstrategien der traditionellen Moralphilosophie auszubauen,
•
der Tierethik im Rahmen grundsätzlicher Überlegungen zum Mensch-Tier-Verhältnis Gehör zu verschaffen,
7 An dieser Stelle können nur wenige der inzwischen zahlreichen Monographien zur Tierethik
genannt werden: Peter Singer (1975): Animal liberation; Stephan Clark (1977): Animals and their
moral standing; Bernard Rollin (1981): Animal rights and human morality; Mary Midgley
(1983): Animals and why they matter; Tom Regan (1983): The case of animal rights; Gotthard
Teutsch (1987): Tierversuche und Tierschutz; Ursula Wolf (1990): Das Tier in der Moral;
Rosemary Rodd (1990): Biology, ethics and animals; Jean Claude Wolf (1992): Tierethik.
106
•
inkonsistente Argumentationen aufzudecken, die zum Ausschluss der Tiere aus
der ethischen (im Sinne einer philosophischen Reflexion) und moralischen (im
Sinne einer gelebten Alltagsmoral) Welt führten.
Zudem gibt meist auch ein Blick auf die bestehenden rechtlichen Regelungen darüber Aufschluss, was als vorherrschende Moralmeinungen gilt8. So heißt es im
Grundsatz (§1) des Deutschen Tierschutzgesetzes (DTschG ): "Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen
Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen
Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." Das Zitat des DTschG zeigt in
zweierlei Hinsicht, welche moralischen Traditionen auch heute noch in den meisten
Überlegungen vorherrschen. Der erste Teil des Zitats steht in einer christlichanthropozentrischen Tradition. Denn durch die Formulierung "Verantwortung für
das Mitgeschöpf" wird einerseits die christlich geprägte Vorrangstellung des Menschen innerhalb der Natur und andererseits der (Gottes-)Auftrag für die Sorge und
Pflege der dem Menschen unterstellten Natur angedeutet. Der zweite Teil des Zitats
zielt dagegen auf die Rücksicht auf das Leiden der Tiere ab und ist damit als pathozentrisches Argument einzuordnen (vgl. Nida-Rümelin und v. d. Pfordten 1996).
Ich möchte nun im Folgenden den Pathozentrismus näher erläutern, denn er hat eine
herausragende Position im Bereich der Tierethik.
8.5
Der Pathozentrismus
Der Pathozentrismus ist die Konzeption, die Leidensfähigkeit bzw. Empfindungsfähigkeit für moralisch relevant hält und neben Menschen auch leidensfähige Tiere in
den Kreis moralisch zu berücksichtigender Wesen einbezieht. Der Pathozentrismus
ist eine sowohl in der allgemeinen als auch in der moralphilosophischen Diskussion
weit verbreitete, tierethische Konzeption (Rippe 1994, Caspar 1999). Welche weitergehenden Gründe gibt es nun, den Pathozentrismus als Ausgangspunkt zu wählen?
8.5.1
Moralphilosophischer Hintergrund
Leidensvermeidung an sich ist eine moralische "Leitidee", die in unserer Alltagsmoral große Bedeutung hat: Besonders in der Humanmedizin wird diese immer wieder
8 Natürlich gibt es auch grundsätzliche Unterschiede zwischen ethischen und rechtlichen
Auffassungen. Nur im Idealfall sind juristische Normen deckungsgleich mit ethischen Normen,
denn in juristische Normen fließen in einer parlamentarischen Demokratie nicht nur ethische,
sondern auch politische, wirtschaftliche, soziale und ökonomische Überlegungen ein.
107
eingefordert. So sollen z. B. Tierversuche deshalb durchgeführt werden, um die
Entwicklung neuer Medikamente voranzutreiben, um menschliches Leiden zu vermindern. Erkenntnisse aus Biologie, Evolutionstheorie und vergleichender Anatomie haben jedoch auch gezeigt, dass nicht nur der Mensch in der Lage ist zu leiden,
sondern auch (einige) Tiere diese Eigenschaft aufweisen (vgl. hierzu 8.5.2). Neben
der Rücksicht auf das Leiden anderer Wesen und damit deren Relevanz als moralische Objekte spielt aus moralischer Sicht auch die Motivation für diese Rücksichtnahme eine Rolle. Hierfür ist Mitleid eine grundlegende Eigenschaft bzw. ein Motiv
für Handlungen der moralischen Subjekte. Die Bedeutung des moralischen Gefühls,
wie z. B. des Mitleids, für die Ethik liegt u. a. in der Motivationskraft, Erlebtes oder
Abstraktes zu bewerten, wie der Philosoph Max Scheler deutlich machte (1973). Es
geht dabei weniger darum, das Gefühl selbst zum Wert zu erheben, sondern die besondere Qualität des "Geliebten", des "Bemitleideten" zu sehen. Sympathie bzw.
Mitleid sind damit nicht Maß für eine Handlung, sondern stellen u. a. eine Quelle,
eine Triebfeder dar. Bei Immanuel Kant findet sich in der Metaphysik der Sitten
(Kant 1989 II § 17) der Hinweis, dass auch er die Fähigkeit zum Mitleiden als eine
"der Moralität im Verhältnis zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage" sieht. Nach Entwicklungs- und Moralpsychologen sind zugleich moralische
Gefühle wie Empathie, das Mitfühlen, das "sich in den anderen Hineinversetzen"
wichtige Voraussetzungen für das Individuum, um überhaupt Moralität entwickeln
zu können (Kohlberg 1996 S. 165f/331, Hoffman 1979).
Die vorgenommene Unterscheidung zwischen moralischen Subjekten und moralischen Objekten, wie sie u. a. von Tom Regan (1983, 1997) vorgeschlagen wurde, ist
hierbei eine wichtige Voraussetzung. Ansätze, in denen die Moral auf den Bereich
der moralischen Akteure beschränkt bleibt, d. h. nur derjenige zur Moralgemeinschaft gehört, der selbst moralisch sein kann bzw. die Bedingungen der Möglichkeiten der Moralität aufweist (wie z. B. Vernunftfähigkeit, Diskursteilnahme, rationale Einsicht, Wünsche und Präferenzen), nennt man meist anthropozentrisch
(vgl. 8.3). Bei dieser Konzeption besteht das Problem, dass konsequenterweise auch
sog. "Human marginal cases" (menschliche "Grenzfälle", wie z. B. Embryonen,
schwerst Geistigbehinderte, Komatöse) aus dem Kreis der moralisch relevanten
Wesen argumentativ herausfallen, da ihnen genau diese Eigenschaften fehlen und
sie nur über Zusatzargumente und nicht über die eigentliche Konzeption dieser
Ethik in den Kreis geholt werden können.
Die kantische Ethik sieht z. B. vor, dass nur solchen Wesen direkte Pflichten gegenüber zu leisten sind, die vernunftfähig sind, also "Personen" sind (Kant BA65,
66). In strittigen Fällen, also z. B. im Umgang mit Föten, wird es in dieser anthropozentrischen Argumentation notwendig, mit der Potentialität (ein Embryo hat die
Potentialität eine Person zu werden, wenn er selbst auch noch keinen Personenstatus
hat) zu argumentieren. Fraglich ist hierbei, ob es sich nicht um Argumente handelt,
die sich der Plausibilität, der üblichen Lebenspraxis oder geteilten moralischen In-
108
tuitionen bedienen (vgl. z. B. Wimmer 1999) und sich nicht mehr direkt aus der
eigentlichen Begründung der Moraltheorie ableiten lassen.
Rationale Ethiken, wie die kantische oder die Diskursethik, gehen üblicherweise
davon aus, dass es in Notfällen, in für den Menschen lebensbedrohlichen Situationen, nicht nur moralisch entschuldbar, sondern auch geboten sein kann, ein Tier
oder gar mehrere Tiere zu opfern, also dem Menschen den Vorrang in der Abwägung einzuräumen. Aber auch in diesen Positionen kann man einfordern, dass dafür
gute Gründe angeführt werden müssen. Die Beweislast bzw. Argumentationslast
liegt also bei den Handelnden.
Ansätze der anwendungsbezogenen Ethik müssen jedoch auch dem Umstand Rechnung tragen, dass wir in unserer gelebten Moral schon immer Rücksicht auch auf
Wesen nehmen, die selbst nicht moralisch handeln können: z. B. Kleinkinder und
Tiere. Wenn man nun für die Berücksichtigung von Tieren, der Umwelt und für den
Schutz von Embryonen plädiert, dann scheint es klug, hierbei an schon vorhandene,
zwischen den Personen anerkannte Moralprinzipien anzuknüpfen und somit die
Argumentationsreichweite auch auf andere Wesen auszudehnen. Daher ist es argumentativ möglich, neben der (erkenntnistheoretischen) anthropozentrischen Sichtweise, dass nur der Mensch Werte erkennen kann, zusätzlich nichtmenschliche Lebewesen (wie Tiere) oder "Nicht-Personen" (wie z. B. Föten) aufgrund von ihnen
innewohnenden, als moralisch relevant erachteten Eigenschaften zu berücksichtigen. Zu betonen ist, dass Mitleid/Sympathie mit rationalen moralischen Kriterien,
wie z. B. der Unparteilichkeit und der Gerechtigkeit ergänzt werden müssen, da
sonst die Universalisierbarkeit der Argumentation verloren geht. Im Einzelfall kann
zwar die Bevorzugung eines Menschen (z. B. des eigenen Kindes) oder eines Wesens aufgrund unserer Gefühle verständlich sein. Aber trotz dieses Verständnisses
ist es aus rationalen Gründen offensichtlich, dass wir die Bevorzugung nicht als
weit verbreitete moralische Praxis, sozusagen als Prinzip "Bevorzuge immer deine
Kinder vor den Kindern anderer Menschen", anstreben können. Eine Gleichbehandlung ist dagegen ein Prinzip, von dem man einsieht, dass es allen Interessen
und Wünschen langfristig am ehesten nahe kommt, denn kein Mensch will durch
die Parteilichkeit des anderen benachteiligt werden.
Ein moralischer Grundsatz, der der pathozentrischen Position erst ihre Aussagekraft
verleiht, ist somit der Gleichbehandlungssatz, der in dieser Form u. a. von Gotthard
Teutsch in die tierethische Diskussion gebracht wurde (Teutsch 1987, 1999). Hierbei handelt es sich um die Ausdehnung des Gleichheitssatzes von den Menschen
auch auf die Tiere, der besagt, dass gleiches seiner Gleichheit gemäß und ungleiches seiner Ungleichheit gemäß behandelt werden soll. Individuen sollen gleich
behandelt werden, es sei denn, es gibt relevante Unterschiede, die eine ungleiche
Behandlung erlauben. Solange Tiere die gleiche Eigenschaft, wie z. B. die Leidensfähigkeit, im Vergleich zu Menschen haben, gibt es auch keine moralischen
Gründe, sie ungleich zu behandeln. Allerdings ist dieser moralische Grundsatz
109
manchmal sehr schwierig in die Praxis umzusetzen. Dabei kann man nach Teutsch
verschiedene Problemebenen unterscheiden:
•
Wie erkennt man Gleiches als Gleiches und stellt Unterschiede fest? Ein möglicher Unterschied zwischen Mensch und Tier: Menschen wissen um Ursachen
von Leiden oder um das baldige Ende (z. B. beim Zahnarzt).
•
Welche Andersbehandlung ist gemäß den Unterschieden angemessen, erlaubt
oder gar geboten (z. B. besondere artgemäße Anforderungen)?
•
Wie ist in unumgänglichen Konfliktsituationen oder Notwendigkeiten mit dem
Gleichbehandlungsprinzip umzugehen?
Diese Problematik kann an dieser Stelle nicht ausführlicher behandelt werden. Dennoch macht sie deutlich, dass zur Beurteilung, was in einer bestimmten Situation
ethisch richtig oder falsch ist, auch Kenntnisse von der Sache (z. B. biologische
Grundlagen von Schmerzen und Leiden), aber auch erkenntnistheoretische Fragen
(wie und wann kann man vom Leiden bei Tier und Mensch sprechen) notwendig
sind. Anwendungsbezogene Ethik, die solche praxisnahen Kriterien wie Leidensvermeidung anführt und nicht nur formale Regeln aufstellt (wie z. B. die kantische
formale Regel: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen
kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde" (Kant 1989 B 52)), ist damit schon
von der Sache her ein interdisziplinäres Unterfangen.
8.5.2
Erkenntnistheoretischer und empirischer Hintergrund
Das Prinzip der Leidensvermeidung setzt voraus, dass man sich darüber im Klaren
ist, was Leiden eigentlich ist. Eine mögliche Definition von Leiden gibt Marian
Stamp Dawkins (1986): "Leiden ist das Erleben einer breiten Palette extrem unerfreulicher subjektiver (Geistes-)Zustände". Es handelt sich meist um einen länger
andauernden oder häufig auftretenden Zustand, der unterschiedliche Folgen auf
Physiologie und Verhalten hat. Als mittelbare Beweise für Leiden gelten daher
Verletzungen oder Krankheiten sowie physiologische Veränderungen, die von der
Norm abweichen, allerdings nur, wenn sie pathologisch sind.
Zwischen Menschen ist es möglich mittels Analogieschlüssen auf Gefühle, Empfindungen wie Schmerz, Leiden und Freude zu schließen. Der Analogieschluss bedeutet hier, dass der Mensch, von seinen eigenen Erfahrungen ausgehend, ein Urteil
darüber bildet, wie es im "Inneren" des anderen aussieht. Sicher stellt hier die Sprache eine erhebliche Erleichterung dar, hinzu kommen noch Mimik und Gestik. Damit muss man sich aber vergegenwärtigen, dass dem Menschen nur diese Form der
Erkenntnis, der Analogieschluss, ebenfalls beim Einschätzen von Leiden bei Tieren
zur Verfügung steht (Badura 1999). Hierbei haben wir zwar größere Schwierigkeiten, da die zwischenmenschlichen "Indizien" fehlen. Doch durch wissenschaftliche
Untersuchungen (z. B. Sammeln biologischer Fakten) kann man Vermutungen un-
110
termauern und absichern. Tatsache ist, dass viele Tiere wie Menschen spezifische
Nervenfasern besitzen, die auf äußere Reize mit Schmerzempfinden reagieren (sog.
Nocirezeptoren). Das Leiden von Tieren ist damit durch Plausibilität und mittels
intersubjektiver Überprüfung von mittelbaren Beweisen nachvollziehbar (Wolff
1993), und es gibt keine guten Gründe davon auszugehen, dass Tiere nicht leiden.
Das eigentliche Problem besteht jedoch eher in der empirischen Sammlung von
Daten und deren Bewertung. Auch ist die kognitive Verarbeitung von Schmerzreizen und der Zusammenhang zu physischem und psychischem Schmerz nur bedingt
geklärt. Daher scheint es sinnvoll davon auszugehen, dass bisher nur ein Teil des
Verhaltens erklärbar und messbar ist. Aus Unwissenheit oder fehlenden biologischen Fakten zu tierischem Leiden folgt jedoch nicht, dass Tiere nicht leiden und es
folgt vor allem nicht, dass der Mensch daher keine Rücksicht darauf nehmen müsse.
8.6
Pathozentrismus – auf die Praxis der transgenen Tiere
bezogen
8.6.1
Ist Gentechnik per se zu verurteilen?
Transgene Tiere sind Tiere, deren Genom durch gen- und biotechnische Methoden
verändert wurde. Es wurden hierbei artfremde Gene bzw. DNA-Abschnitte hinzugefügt, aber auch vorhandene ausgeschaltet (sog. Knockout-Tiere). Ein gängiges
Argument von Kritikern der Gentechnik am Tier (aber auch bei Pflanzen) ist, dass
man sich bei der herkömmlichen Zucht nur des schon vorhandenen Genpools bei
der Manipulation bedienen könne. Transgene Organismen seien dagegen unnatürlich. Diese Unnatürlichkeit kann hierbei Verschiedenes bedeuten:
•
es gebe unvorhersehbare und unerwünschte Folgen für Tiere, die Natur und den
Menschen;
•
es sei nicht innerhalb der Evolution entstanden;
•
es sei ein Frevel gegen Gottes Schöpfung.
Es reicht m. E. nicht aus, aufgrund der "technischen" oder "unnatürlichen" Vorgehensweise direkt darauf zu schließen, dass die Gentechnik als Methode als schlecht
zu bewerten ist. Ansonsten begeht man argumentativ einen Sein-Sollens-Fehlschluss, bei dem man von dem "wie es ist" darauf schließt, "wie es aus moralischer
Sicht sein soll". Der Verweis, dass ein bestimmter Eingriff in die Natur nicht natürlich sei, reicht argumentativ keinesfalls aus, um diese Technik abzulehnen. Vielmehr müssen die dahinter stehenden Argumente (unerwünschte Folgen, Beein-
111
trächtigung der Evolution oder der Schöpfung9) auf ihre sachliche und ethische Relevanz geprüft werden (vgl. Müller 1997).
Wenn es moralisch relevante Kriterien gibt, dann sind diese nicht in der Methode an
sich, sondern in den Folgen für Mensch, Tier oder Natur zu suchen. Dabei muss
beurteilt werden, ob diese Folgen aus moralischer Sicht unerwünscht oder unerlaubt
sind. Meine Ausgangshypothese für die folgenden Überlegungen ist daher, dass
zwischen transgenen Tieren und Tieren, die mit herkömmlichen Methoden gezüchtet werden – oder nicht mit gentechnischen Methoden, sondern durch den Einsatz
von stark mutagenen Stoffen – aus ethischer Sicht zunächst einmal kein Unterschied besteht.
8.6.2
Empirische Aspekte des Leidens bei transgenen Tieren
Prinzipiell kann die gentechnische Veränderung von Tieren, so der Veterinärmediziner Broom (Broom 1997), auf deren Wohlergehen (engl.: welfare) einen positiven, neutralen oder negativen Einfluss haben. Aus pathozentrischer Sicht ist es nun
wichtig die möglichen Schäden genauer auszuleuchten.
Schäden bzw. negative Einflüsse auf Gesundheit und Wohlbefinden von transgenen
Tieren, die als "Leiden" aufgefasst werden können, können bei der gentechnischen
Veränderung durch drei verschiedene Faktoren entstehen (Reenen und Blockhius
1997):
•
durch Reproduktionsverfahren und biotechnische Veränderungen (z. B. Klonierungstechnik).
•
durch Mutationen, die bei der Insertion des Transgens auftreten können.
•
durch Genprodukte, die von dem eingebauten Genkonstrukt exprimiert werden
(Expressionsstärke, -dauer und -ort sind hierbei ausschlaggebend).
Kriterien wie Geburtsrate, Anzahl der Missgeburten, Lebensdauer und Häufigkeiten
von genetisch bedingten Krankheiten, Verletzungen, Entwicklungsschäden sowie
Verhaltensschäden müssten bestimmt werden, um Veränderungen und Einflüsse auf
das Individuum und die Population messen zu können (Broom 1997).
9 Eine Berücksichtigung des Evolutionsargumentes und auch des schöpfungstheologischen
Argumentes ist durchaus problematisch, da sie argumentativ entweder theologisch oder
biozentrisch fundiert sind. Zur weiterführenden kritischen Würdigung: Krebs (1997) bzw.
Potthast (1999). Allerdings sind evolutionstheoretische Kenntnisse im Rahmen hypothetischer
Folgerungen, was alles z. B. durch die Freisetzung eines gentechnisch veränderten Organismus im
Ökosystem geschehen kann, durchaus relevant (siehe auch Hüsing et al. 1998 S. 152)
112
Aus Studien zu transgenen Tieren sind durchaus Fälle bekannt, die mit Leiden für
die Tiere verbunden sind. So litten transgene Mäuse und Schweine, die das Gen für
das humane Wachstumshormon transferiert bekamen, unter krankhaften Organveränderungen und Schädigungen des Skeletts durch zu schnelle Gewichtszunahme
(Pursel et al. 1989, Idel 1999). Durch den ungerichteten Einbau der transgenen
Elemente kann es zu Insertionsmutationen kommen, die in Einzelfällen zur morphologischen Deformation von Beinen bei transgenen Mäusen führten (Woychik
et al. 1985).
Das Klonen von Tieren ist von großem Interesse für diesen Forschungszweig, da
einmal vorhandene transgene Tiere sich effektiv vervielfachen ließen. Inzwischen
ist bekannt, dass für diese Technik jedoch signifikante Unterschiede zu normalen
Fortpflanzungstechniken vorliegen können. So zeigen neuere Studien, dass geklonte
Säugetiere unter dem sog. Large-Calf-Syndrom leiden können. D. h., diese Tiere
sind bei der Geburt zu groß, was das Mutter- bzw. Ammentier oder auch das Jungtier selbst beim Geburtsvorgang schädigen kann (Mossmann 1998). Außerdem
wurden auch physiologische Schäden wie Blutkörperchenmangel festgestellt, der
zum Tod von geklonten Kälbern führte (Anonymus 1999). Dies sind natürlich nur
fragmentarische Aufzeichnungen eines bisher wenig untersuchten Bereiches der
Forschung. Bisher sind viel zu wenige systematische Untersuchungen vorhanden,
um hierüber ein abschließendes Bild gewinnen zu können.
Ein wichtiger Punkt, der leider häufig außer Acht gelassen wird, ist der, dass für
transgene Tiere, im Gegensatz zur gewöhnlichen Tierzucht, meist optimale Bedingungen in der Haltung gar nicht in Frage kommen. Aus gesetzlichen Gründen ist
z. B. das Optimum für normale Nutztierhaltung, nämlich Freilandhaltung, eher eingeschränkt, wobei dies insbesondere für kleinere Tiere gilt. Eine Freisetzung transgener Tiere ist z. B. in Deutschland nicht erlaubt. Das soll nicht heißen, dass normale Nutztiere anders oder besser gehalten werden, aber dort ist dies eindeutig anzustreben und die Tierhaltung hängt vor allem von ökonomischen und weniger
strengen rechtlichen Randbedingungen ab.
Auch die Gewinnung der Eizellen für die gentechnische Veränderung und das anschließende Implantieren muss mit in die Überlegungen einbezogen werden. Hierbei handelt es sich um chirurgische Eingriffe unter Anästhesie. Man kann diese
Eingriffe zwar nicht direkt als leidvolle Erfahrung, aber durchaus als Belastung für
die Tiere interpretieren.
Das Problem der bisherigen Methoden der gentechnischen Veränderung von Tieren
ist, dass die Integration neuer Gene oder das Ausschalten bestimmter Gene sehr
ungerichtet verläuft, d. h., man kann das Ergebnis nicht vorhersagen. Weiterhin
muss man bei der gentechnischen Veränderung bedenken, dass Effekte sich häufig
erst in der 2. oder 3. Generation zeigen, daher müssen diese mit einbezogen werden.
113
8.7
Weitergehende ethische Kriterien für die Beurteilung der
Erzeugung und Verwendung transgener Tiere
Bei der Beurteilung kann man die ethisch relevanten Kriterien zum einen auf das
Tier und zum anderen auch auf den Menschen beziehen. Es gibt also auch anthropozentrische Argumente, die z. B. die Erzeugung (bestimmter) transgener Tiere
verbieten, und zwar nicht um der Tiere selbst willen, sondern weil es dem Menschen bzw. der Gesellschaft schaden könnte10. Andererseits wäre es auch denkbar,
aus pathozentrischer Sicht z. B. dafür zu plädieren, bestimmte transgene Tiere zu
erzeugen. Hierbei könnte es sich beispielsweise um transgene Tiere handeln, die
krankheitsresistent wären. Aus pathozentrischer Sicht, die das Leiden von Tieren als
ethisch falsch beurteilt, wäre es daher wichtig zu wissen, ob mit einer bestimmten
Erzeugung und Verwendung transgener Tiere Leiden oder Schäden für diese Tiere
verbunden wären. Hierzu müssen folgende Punkte aus der empirischen Sicht berücksichtigt werden:
•
Sind mit dem Zuchtergebnis physiologische oder verhaltensbiologische Schäden
der Tiere verbunden?
•
Wie häufig sind Missgeburten?
•
Welche Belastungen entstehen durch chirurgische Eingriffe?
•
Welche negativen Folgen können auch in späteren Generationen auftreten?
•
Welche Einschränkungen der Tiere sind durch die Haltungsbedingungen gegeben?
Darüber hinaus kann man jedoch fragen, ob Leiden das einzig moralisch relevante
Kriterium ist, das Rücksicht gegenüber Tieren einfordert. Was wäre z. B., wenn
man schmerzempfindungsfreie Tiere züchten könnte? Nach einer rein pathozentrischen Argumentation wäre dies ethisch legitim, da die Tiere schließlich nicht mehr
in der Lage wären, Leiden zu erfahren und damit die Handlungsmaxime "Füge Tieren kein Leid zu" erfüllt wäre. Es ist jedoch durchaus fraglich, ob damit alle moralischen Überlegungen und Intuitionen abgedeckt sind.
Es sei daher an dieser Stelle erwähnt, dass biozentrische oder holistische Positionen
wieder häufiger vertreten werden, da der Pathozentrismus in den Augen vieler nicht
mehr argumentativ ausreicht, moralischen Intuitionen gerecht zu werden, die sich
gegen bestimmte Arten der Manipulation von Tier und restlicher Natur richten. Ein
solches weitergehendes Konzept ist u. a. das Konzept des Eigenwertes des Tieres,
das den Wert eines Tieres unabhängig von seiner Nützlichkeit für den Menschen
10 Für eine solch umfassende Argumentation sei auf Engels (1999b) verwiesen, die am Beispiel der
Xenotransplantation aufzeigt, dass sich anthropozentrische und tierethische Argumente
gemeinsam für den Tierschutz anführen lassen.
114
versteht (Verhoog 1992)11. Lebendigkeit, speziesspezifische Natur und der Individualisierungsgrad bestimmen in dieser Konzeption den moralischen Status der verschiedenen Lebewesen. Per definitionem besteht damit ein Prima-facie-Schutz aller
Organismen (und damit auch ihrer Lebensräume). Allerdings besteht auch hier eine
moralische Abstufung, so dass der Schutz von selbstbewussten Tieren und Menschen über dem von anderen Tieren steht und diese wiederum über den Pflanzen
stehen12. Der Prima-facie-Schutz der Tiere bedeutet für die Praxis, dass keine Manipulation oder kein Eingriff an Tieren vorgenommen werden darf, wenn nicht vernünftige oder gute Gründe vorliegen. Eine ähnliche Funktion hat auch der Begriff
"Würde der Kreatur". Beiden Begriffen, dem des "Eigenwertes des Tieres" (engl.
intrinsic value of animals) und dem der "Würde der Kreatur" ist gemeinsam, dass
sie Eingang in die gesellschaftliche Diskussion und in die Gesetzgebung (z. B. in
den Niederlanden und der Schweiz) gefunden haben. Sie sind sicher nicht immer
aus philosophischer Sicht ganz unproblematisch, da hier Wertannahmen dahinter
stehen, die nicht von jedem geteilt werden. Dennoch sind auch sie hilfreich, eine
neue Diskussion um den moralisch richtigen Umgang mit Tieren unter besonderer
Berücksichtigung der Instrumentalisierung mittels moderner Technologien in Gang
zu setzen.13
Wie bereits angedeutet, können bei einer ethischen Beurteilung natürlich nicht nur
ethische Argumente, die die Tiere betreffen, berücksichtigt werden, sondern es
müssen auch solche thematisiert werden, die den Menschen betreffen. Müller
(1995) nennt hier u. a. folgende Punkte:
•
Die Erzeugung und Verwendung transgener Tiere muss aus ethischer Sicht daraufhin geprüft werden, ob sie der menschlichen Gesundheit schadet oder förderlich ist.
•
Die Sicherung der Ernährungsgrundlage der Menschheit und auch das Nachhaltigkeitsgebot müssen in der Beurteilung berücksichtigt werden.
•
Zugleich sollten auch Aspekte der Vertrautheit (wie wir gewohnt sind, Tiere
wahrzunehmen) und ästhetische Aspekte bei der Zucht gewahrt werden.
Hierzu wäre noch zu ergänzen, dass auch die Rolle von reinem Forschungsinteresse
und Neugierde, die häufig gerade in der biologischen Forschung, wie z. B. bei der
11 Zur weiteren inhaltlichen Bearbeitung siehe auch den Sammelband von Dol et al. (1999).
12 Diese Abstufung erinnert sehr an die aristotelische ‘scala naturae’, die man als metaphysische
Konzeption einer Naturordnung verstehen kann und die damit bestimmte philosophische und
moralische Begründungslasten mit sich bringt. Andererseits mag es gerade aus der
Philosophiegeschichte heraus verständlich sein, dass dieses Konzept durch seine lange Tradition
auch heute noch in neuen Gewändern der modernen Ethik wieder auftaucht.
13 Weiterführende Literatur zum Begriff „Würde der Kreatur“ siehe Teutsch 1995; Baranzke 1996;
Praetorius und Saladin 1996; Balzer et al. 1997.
115
Erzeugung von Tierchimären angeführt werden, ebenfalls kritisch als moralischer
Wert unserer Gesellschaft zu hinterfragen ist.
Um die Relevanz dieser hier angeführten Kriterien strukturierter zu diskutieren, ist
es dienlich, die unter 8.1 erwähnte Matrix zur Strebens- und Sollensethik einzuführen. Die folgende Aufteilung verschiedener Überlegungen in diese Matrix ist durchaus idealtypisch zu betrachten und kann keine vollständige Klassifikation von Argumenten leisten, denn viele ethische Argumente liegen quer zu dieser Unterscheidung. Dennoch ist diese Matrix für eine Einführung in wissenschaftsethische Themenstellung m. E. sehr hilfreich, da gerade durch den Versuch einer Klassifikation
die jeweiligen Spannungsfelder eröffnet werden (vgl. Dietrich 1998).
So kann der Begriff "Gesundheit" zum einen aus individuell strebensethischer Perspektive beleuchtet werden: Der Einzelne will ein glückliches, gesundes Leben führen, und dies soll ihm mit Hilfe der neuen Technik ermöglicht werden. Ein strebens-ethischer Blick auf die Gesellschaft rückt vom Fokus des individuellen Wohls
ab und fragt nach dem Selbstverständnis der Gemeinschaft oder den allgemeinen
sozialen Werten, die durch die Einführung der neuen Technologie oder Therapie
verändert werden könnten. Hier stellt sich auch die Frage nach dem Mensch-TierVerhältnis: Ist eine Gesellschaftskonzeption als gelungen zu bezeichnen, in der die
Menschen Tiere fast ausschließlich instrumentalisieren und sie nur noch als Quelle
für Nahrung, Kleidung, Forschung und Organe (wie z. B. im Falle der Xenotransplantation) sehen? Die reine Instrumentalisierung von Tieren könnte aber
unseren Vorstellungen von einem guten Leben widersprechen, denn zu dieser gehört u. a. auch, dass man mit anderen Wesen und der Natur (halbwegs) in Harmonie
lebt. Mit dem breiten Einsatz von Tieren in der Forschung und in der industriellen
Landwirtschaft wird unser Bedürfnis nach Harmonie verletzt. Schließlich könnte
diese Ignoranz gegenüber tierischem Leiden auch eine "Verrohung" der menschlichen Gesellschaft mit sich bringen, denn eine Abstumpfung gegenüber dem Leid
anderer Wesen könnte auch den zwischenmenschlichen Beziehungen schaden.
Andererseits kann aus individuell sollensethischer Perspektive die Frage aufgeworfen werden, welche Rechte und Pflichten wir gegenüber anderen Individuen haben.
So wäre es denkbar, einerseits das Recht auf Selbstbestimmung beim Kauf von
gentechnisch veränderten Lebensmitteln zu thematisieren oder aber auch die Frage
zu klären, welche Pflicht der Einzelne hat, anderen leidenden Wesen (Menschen
wie Tieren) zu helfen. Der sollensethische gesellschaftliche Blickwinkel kann dagegen auf Fragen der Gerechtigkeit abzielen: Ist die derzeitige Verteilung von Lebensmitteln und Medikamenten gerecht bzw. nach welchen Kriterien ist die gerechte Verteilung von Gütern zu beurteilen? Unter diesem Punkt könnte man auch
näher behandeln, ob Tiere gleich wie Menschen zu behandeln sind oder unter welchen Umständen Andersbehandlungen erlaubt oder geboten sind.
116
8.8
Zusammenfassung und Fazit: Interdisziplinäre Bearbeitung wissenschaftsethischer Themen
Für die interdisziplinäre Bearbeitung einer wissenschaftsethischen Fragestellung
wird folgende Trennung vorgeschlagen: In der naturwissenschaftlichen Disziplin
können folgende Aspekte bearbeitet werden:
•
die möglichen Anwendungsgebiete,
•
Möglichkeiten, Grenzen ("Was kann man tatsächlich schon alles erforschen?
"Welche Alternativen gibt es?"),
•
Risiken ("Welche gesundheitlichen Schäden können durch den Verzehr des Fleisches gentechnisch veränderter Tiere entstehen?").
Dagegen wird man im Ethik- oder Religionsunterricht eher Fragen zu den grundsätzlichen ethischen Kriterien aufwerfen:
•
Welche Rolle spielen Leid/Mitleid in ethischen Überlegungen?
•
Wie kommen solche ethisch relevanten Güter wie Gesundheit, Ernährung und
Schönheit zustande?
•
Wie wägt man Güter untereinander ab? etc.
Hierbei wird wiederum deutlich, dass in die ethische Beurteilung einer neuen Technologie neben grundsätzlichen ethischen Wertannahmen (wie z. B. Gesundheit,
Gerechtigkeit, Vermeiden von Leiden etc.) auch empirisches Wissen über tatsächliche und mögliche Folgen einfließen müssen. Daher ist es meist aus didaktischen
Gründen geeigneter, solch eine ethische Bearbeitung am konkreten Anwendungsbeispiel vorzunehmen14.
Tabelle 8.1 soll abschließend noch einmal anhand einer Gegenüberstellung aufzeigen, inwiefern sich die ethische und die empirisch-wissenschaftliche Bearbeitung
auf den verschiedenen Ebenen ergänzen. Zugleich sollte die Trennung zwischen
wissenschaftlichen und ethischen Urteilen nach wie vor aufrecht erhalten werden:
Die Frage, ob der Mensch auf das Leiden von Tieren in ethischer Hinsicht Rücksicht nehmen soll, ist erst einmal unter Rekurs auf ethische Theorien zu klären. In
einem zweiten Schritt wird es im konkreten Fall dann relevant, ob durch einen Eingriff Tiere leiden, und ob dieses Leiden bei der Beurteilung dieser Technologie als
nicht wünschenswert bzw. nicht erlaubt beurteilt werden muss.
14 Als solch eine exemplarische Ausführung sei auf den Beitrag ‘Xenotransplantation: transgene
Tiere als Organquelle’ verwiesen (Schicktanz 2000).
117
Tabelle 8.1:
Mögliche Aufteilung der interdisziplinären Bearbeitung wissenschaftsethischer Fragestellungen am Beispiel transgener Tiere auf
Ethik- und naturwissenschaftlichen Unterricht
Ethische Reflexion
Wer oder was ist moralisch relevant?
Sollensethisch:
Rücksicht auf Leiden nehmen.
Bei Mensch und Tier in gleichem Maß?
Strebensethisch:
Harmonisches Mensch-Tier-Verhältnis,
Verrohung, Ästhetik
Sollensethisch:
Sind die Folgen erlaubt, verboten oder
geboten?
Sind die Risiken anderen zumutbar?
Strebensethisch:
Sind die Folgen wünschenswert?
Abwägung von Gütern
Naturwissenschaft
Wer oder was ist betroffen?
Leiden die Tiere?
Biologische (ethologische, physiologische etc.) Forschung
Welche Folgen für die Tiere (Haltung,
Nachwuchs etc.) sind noch zu erwarten?
Biologische (ethologische, physiologische etc.) Forschung
Nutzen und Risiken für den Menschen
Sind der erwartete Nutzen und die Zielsetzung realistisch?
Sind die Risiken zu regulieren? (z. B.
Schutz vor Missbrauch?)
Die Erarbeitung der vorliegenden wissenschaftlichen und ethischen Fachinhalte geschah im Rahmen meiner Dissertation zu wissenschaftlichen und ethischen Aspekten der Xenotransplantation,
welche in einem von der DFG finanzierten Projekt "Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin" am Lehrstuhl für Ethik der Biowissenschaften, Universität Tübingen verankert ist. Für hilfreiche
Kommentare zu diesem Beitrag danke ich Prof. Dr. Eve-Marie Engels und Micha H. Werner.
8.9
Literatur
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Woychik, R. P. et al. (1985): An inherited limb deformity created by insertional
mutagenesis in a transgenic mouse. Nature 318, 36-40
123
9.
Umsetzung der Fortbildungsinhalte in Unterrichtskonzepte
Als Einführung in diese Gruppenarbeitsphase stellte Frau Schatte die neuen Lehrpläne für die Fächer Biologie (2- und 4-stündig) sowie Ethik (4-stündig) in der
Kursstufe an Gymnasien vor. Inhalte der Fortbildungsveranstaltung "Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren" lassen sich im Fach Biologie in der Lehrplaneinheit 4 "Angewandte Biologie", im Fach Ethik in der Lehrplaneinheit 5 "Technik,
Wissenschaft und Verantwortung" umsetzen. Die Vorworte zu den jeweiligen
Lehrplaneinheiten machen deutlich, welche Akzente dabei gesetzt werden sollen:
"In immer stärkerem Maße wird Biologie zu einer zukunftsorientierten Grundlagenwissenschaft. Die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass Forschungen und
Erkenntnisse der Biowissenschaften zusammen mit der Entwicklung technologischer Verfahren ein Niveau erreicht haben, das es ermöglicht, manipulierend in
biologische Strukturen und Prozesse einzugreifen. Den unbestrittenen Chancen stehen andererseits Ängste vor möglichen Risiken gegenüber. Die Frage, "ob wir alles
machen dürfen, was wir machen können", führt dabei zur Diskussion ethischer Bewertung biotechnischer Entwicklungen. Den Schülerinnen und Schülern sollen in
dieser Lehrplaneinheit die fachlichen Grundlagen und Möglichkeiten beschrieben,
erklärt und durch eine Exkursion anschaulich vor Augen geführt werden. Dadurch
werden sie befähigt, sich fundiert an der Diskussion zu dieser Thematik auch in der
Öffentlichkeit zu beteiligen." (Lehrplaneinheit 4, Angewandte Biologie, Biologie 4stündig, Kursstufe Gymnasium).
"Die Forschungen und Erkenntnisse der Biowissenschaften zusammen mit der Entwicklung technologischer Verfahren ein Niveau erreicht, das es ermöglicht, manipulierend in biologische Strukturen und Prozesse einzugreifen. Damit wird es möglich, neuartige biologisch-technische Projekte und Anwendungen in Angriff zu nehmen. Diesen unbestrittenen Chancen stehen andererseits Ängste vor möglichen Risiken gegenüber. Den Schülerinnen und Schülern sollen in dieser Lehrplaneinheit
die fachlichen Grundlagen und Möglichkeiten beschrieben, erklärt und durch eine
Exkursion anschaulich vor Augen geführt werden. Dadurch werden sie befähigt,
sich fundiert an der Diskussion zu dieser Thematik auch in der Öffentlichkeit zu
beteiligen." (Lehrplaneinheit 4, Angewandte Biologie, Biologie 2-stündig, Kursstufe Gymnasium).
"Die Schülerinnen und Schüler lernen die Bedeutung von Technik und Wissenschaft
sowie deren Einfluss auf das menschliche Denken und Handeln kennen. Sie setzen
sich mit der Ambivalenz der von der modernen Wissenschaft geprägten Entwicklung
auseinander und erkennen die zentrale Bedeutung und die unterschiedlichen Dimensionen des Begriffs "Verantwortung". Bei der Darstellung gegenwärtiger
124
probleme aus den Bereichen Biologie, Medizin und Medien werden anhand von
Fallbeispielen Handlungsalternativen entwickelt und beurteilt. Über die Frage
nach der Mitverantwortung des Wissenschaftlers, des Politikers, der Öffentlichkeit
und jedes Einzelnen kommen die Schülerinnen und Schüler zur Reflexion ihres eigenen Handelns." (Lehrplaneinheit 5, Technik, Wissenschaft und Verantwortung,
Ethik 4-stündig, Kursstufe Gymnasium).
Wichtige Intentionen des neuen Lehrplans sind
•
Vernetzung von Inhalten,
•
erklärende und problemlösende Biologie sollte im Vordergrund stehen,
•
schülerzentrierte Arbeitsformen,
•
Einsatz neuer Medien,
•
Exkursionen,
•
Schülerpraktika.
Anschließend sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Inhalte der Fortbildung in Unterrichtskonzepte umsetzen. Dabei war ihnen freigestellt, in welcher
Weise sie dies tun wollten. Folgende Vorschläge standen zur Auswahl:
•
Welche Inhalte der Fortbildung eignen sich gut für die Umsetzung im Unterricht?
•
Wie könnte eine fächerverbindende Unterrichtseinheit aufgebaut sein?
•
Welche schülerzentrierten Arbeitsformen (z. B. Gruppenpuzzle, Lernzirkel)
könnte man einsetzen?
•
Welche Diskussionsthemen bieten sich an?
•
Welche Firmen oder Institute könnten besichtigt werden?
•
Welche Medien gibt es zu diesem Thema?
•
Wie können Schülerinnen und Schüler ihre Betroffenheit in Engagement umsetzen?
Auf Grund ihrer Neigungen und Interessen bildeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer drei Gruppen, die Unterrichtskonzepte zu den Themen
•
Konzeption einer fächerverbindenden Unterrichtseinheit zum Thema "Menschenzüchtung" (7 Teilnehmerinnen und Teilnehmer),
•
Einsatz schülerzentrierter Arbeitsformen in einer Lehrplaneinheit zum Thema
"Gentechnik" (4 Teilnehmerinnen und Teilnehmer)
125
•
Konzeption einer Unterrichtseinheit zum Thema "Einsatz transgener Tiere als
neues Verfahren zur Medikamentenherstellung am Beispiel der Mukoviszidose"
(3 Teilnehmerinnen und Teilnehmer)
ausarbeiteten und anschließend dem Plenum präsentierten. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen werden im Folgenden vorgestellt
9.1
Unterrichtskonzept 1: Konzeption einer fächerverbindenden Unterrichtseinheit zum Thema "Menschenzüchtung"
Die Arbeitsgruppe setzte sich zum einen mit den Hemmnissen auseinander, die der
Durchführung fächerverbindender Unterrichtseinheiten üblicherweise entgegenstehen und entwickelte Lösungsansätze. Zum anderen wurde eine konkrete fächerverbindende Unterrichtseinheit in groben Zügen konzipiert, die sich mit dem Thema
"Menschenzüchtung" befasst.
Die Gruppe strebte an, eine Unterrichtseinheit zu konzipieren, in der die vier Fächer, evangelische Religion, katholische Religion, Ethik und Biologie miteinander
verbunden werden. In der Gruppe herrschte Einigkeit, dass das "Zusammenbringen
von vier in einem Boot" schwierig ist, aber funktionieren kann, wenn die beteiligten
Fachkolleginnen und -kollegen miteinander im Austausch stehen und gut zusammenarbeiten können. Wenn auch eine Stundenzusammenlegung als unmöglich eingeschätzt wurde, sollte fächerverbindender Unterricht dennoch im Rahmen des
normalen Stundenplans organisierbar sein, da ein Großteil der Schülerinnen und
Schüler die Fächerkombination Biologie und Ethik/Religion gewählt hat. Lediglich
ein kleiner Teil der Schülerinnen und Schüler, die statt Biologie Physik bzw. Chemie belegt haben, könnten nicht an allen Elementen dieser Unterrichtseinheit teilnehmen. Wegen des Koordinationsaufwandes wurde eine langfristige Planung im
Voraus als unerlässlich angesehen. Eine "Verordnung durch die Direktion" wurde
als eine sehr hilfreiche Unterstützung bei der Überwindung von Hemmnissen angesehen. Als Alternative bietet es sich an, diese fächerverbindende Unterrichtseinheit
im Rahmen von Projekttagen durchzuführen. Auch für einen Seminarkurs erschien
den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Thema gut geeignet.
In der Vorbereitungsphase müssen die beteiligten Kolleginnen und Kollegen gemeinsam den Stundenbedarf für die Unterrichtseinheit festlegen und die Inhalte und
Zuständigkeiten verteilen, so dass jede Lehrkraft in ihrem Unterricht die entsprechenden Voraussetzungen schafft und Querverbindungen zu den anderen beteiligten
Fächern aufzeigt. Als Einstieg und "gemeinsamer Startschuss" in die Unterrichtseinheit wurde vorgeschlagen, dass sich alle beteiligten Schülerinnen und Schüler
den Film GATTACA aus dem Jahr 1998 gemeinsam anschauen. Dieser etwa 1,5stündige Spielfilm ist ein Science Fiction, in dem Designer-Menschen - aus Rea-
126
genzgläsern geboren - die Gesellschaft beherrschen. Die Gen-Struktur bestimmt die
Zukunft jedes Einzelnen. In dieser Welt stehen einem Menschen mit den richtigen
Genen alle Türen offen, nicht jedoch Personen, die auf natürlichem Weg gezeugt
und einen leichten genetischen Schaden aufweisen oder selbst nur die mögliche
Anlage zu einem genetischen Defekt. Hauptperson des Films ist ein solcher "genetischer Underdog", dem es gelingt, in die Welt der "genetisch Überlegenen" einzudringen, indem er eine andere Identität annimmt, um seinen beruflichen Traum,
Raumfahrer zu werden, zu verwirklichen. Zum einen entspinnt sich eine Liebesgeschichte, zum anderen gerät die Hauptperson unschuldig in eine Mordermittlung
und läuft Gefahr, dass seine wahre Identität erkannt wird. Nähere Informationen zu
diesem Film unter http://www.sony.at/pictures/gattaca
Aus dem Film ergibt sich zum einen die Aufgabe für den Biologieunterricht, die im
Film gezeigten visionären Anwendungen der Bio- Gentechnik beim Menschen (Reproduktionstechniken, Genanalyse und Gentests, transgene Lebewesen) näher zu
untersuchen und z. B. zu erarbeiten, was davon heute schon machbar ist. Im Ethikund Religionsunterricht könnte thematisiert werden, welche Menschenbilder dem
Film zu Grunde liegen, wie die Selektion von Menschen zu bewerten ist, und es
können Kriterien zur Bewertung des Films erarbeitet werden. Insgesamt soll die
Unterrichtseinheit so konzipiert sein, dass den Beteiligten klar wird, dass eine umfassende Behandlung des Themas nur durch eine Kombination von Biologie, Ethik
bzw. Religion möglich ist. Eine Podiumsdiskussion, an der alle Beteiligten der Unterrichtseinheit teilnehmen, könnte die gemeinsame Abschlussaktion sein.
9.2
Unterrichtskonzept 2: Einsatz schülerzentrierter Arbeitsformen in einer Lehrplaneinheit zum Thema "Gentechnik"
Die Arbeitsgruppe stellt folgende Überlegungen vor, welche schülerzentrierten Arbeitsformen für eine Unterrichtseinheit zum Thema "Gentechnik" geeignet sein
können:
Als Einstieg in eine solche Unterrichtseinheit wird vorgeschlagen, das Diskussionsspiel "Genzeit" aus dem aktuell-spiele-Verlag, erschienen im Jahr 1988 einzusetzen. Die Spieldauer beträgt etwa 1-2 Stunden. In Gruppen von 4-6 Spielern wird ein
Berliner Hearing nachgespielt. Die Spieler entscheiden nach einem Austausch der
Argumente, inwiefern Samenspende, Retortenbabys oder die Möglichkeiten der
Gentechnik gefördert oder verboten werden sollen. Die getroffenen Entscheidungen
können durch neue Ereignisse, Chancen, Risiken, Bürgerproteste oder illegale Forschung (über Ereigniskarten) umgestoßen werden (nähere Informationen zu diesem
Spiel z. B. über http://www.aktuell-spiele-verlag.de oder http://www.spielarchiv.de/
spiel/g/genzeit/genzeit.htm.
127
Durch dieses Spiel soll Problembewusstsein geschaffen werden und die Schülerinnen und Schüler werden Fragen formulieren, die einen probleminduzierten Zugang
ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt bietet sich auch an, die Schülerinnen und Schüler Mindmaps erstellen zu lassen.
Anschließend können Methoden der Gentechnik erarbeitet werden. Im Teilnehmerkreis herrschte Uneinigkeit, ob für diese Arbeitsphase schülerzentrierte Arbeitsformen geeignet sein können, da die Thematik als sehr komplex eingeschätzt wurde.
Ein Teil der Teilnehmenden würde daher in dieser Phase Informationsvermittlung
durch die Lehrkraft bevorzugen. Eine Teilnehmerin berichtete jedoch von sehr positiven Erfahren mit einem Gruppenpuzzle zu gentechnischen Methoden. Unterlagen zu einem solchen Gruppenpuzzle sind auf der CD-ROM "Biologie Kompendium" enthalten, die über das LEU erhältlich ist. Sie wurde herausgegeben von Dr.
Jürgen Braun und Thomas Dürr.
Als Schüleraktivität kann sich dann ein Praktikum anschließen. Darauf aufbauend
könnten die Schülerinnen und Schüler zum einen Kurzreferate zu den verschiedenen Reproduktionstechniken ausarbeiten, zum anderen erscheint ein Gruppenpuzzle geeignet, um verschiedene Anwendungsbeispiele der Gentechnik (z. B.
transgene Pflanzen, transgene Tiere) zu erarbeiten.
Es schließt sich eine Beurteilung der Anwendungen der Gentechnik an, wobei auch
Recherchen im Internet durchgeführt werden können, um unterschiedliche Positionen zur Gentechnik zu ermitteln.
Den Stundenbedarf für diese Unterrichtseinheit hat die Arbeitsgruppe nicht bestimmt.
9.3
Unterrichtskonzept 3: Konzeption einer Unterrichtseinheit zum Thema "Einsatz transgener Tiere als neues Verfahren zur Medikamentenherstellung am Beispiel der
Mukoviszidose"
Die Gruppe stellt eine etwa fünfstündige Unterrichtseinheit zum Thema "Einsatz
transgener Tiere als neues Verfahren zur Medikamentenherstellung am Beispiel der
Mukoviszidose" vor.
Die 1. Unterrichtsstunde dient der Einführung und der Organisation der Gruppenarbeit. Als Einstieg wird ein Fallbeispiel dargestellt, ggf. ein Ausschnitt aus dem Film
"Die zweite Evolution?" gezeigt und Leitfragen formuliert. In der 2. Stunde werden
relevante Begriffe durch ein Brainstorming gesammelt und mit Hilfe des Mindmap-
128
ping strukturiert. Daraus werden Themen für Gruppenarbeiten abgeleitet. Hier wird
eine Vorbereitung bzw. Vorgabe durch die Lehrenden als sinnvoll erachtet; zumindest ein steuerndes Eingreifen der Lehrkraft wird als unerlässlich angesehen.
In der 3. und 4. Stunde erarbeiten die Schülerinnen und Schüler in Gruppen verschiedene Themen anhand von Materialien, die von der Lehrkraft vorbereitet wurden. Als Themen für die Gruppenarbeiten bieten sich an
•
Biologische Aspekte 1, z. B. Reproduktionstechniken
•
Biologische Aspekte 2, z. B. Gentechnik, transgene Tiere
•
Medizinische Aspekte, z. B. Mukoviszidose und Behandlungsmöglichkeiten
•
Ethische Aspekte
In der 5. und 6. Stunde werden die Ergebnisse der Gruppenarbeiten zusammengeführt und gemeinsam bewertet.
In der Diskussion dieses Unterrichtskonzepts wurde angemerkt, dass es sich als
problematisch erweisen kann, dass die ethischen Aspekte durch die Gruppe erarbeitet werden sollen, ohne dass zuvor die biologischen Grundlagen vermittelt wurden.
129
10.
Hinweise zur Beschaffung weiterführender Literatur,
Materialien und Informationen zum Thema
Die nachfolgenden Hinweise zu Informationsmaterialien und –quellen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Insbesondere die Hinweise auf Internetquellen
veralten schnell; ob die entsprechenden Informationen noch existieren, muss daher
immer wieder überprüft werden.
10.1
Besonders empfehlenswerte Bücher, Zeitschriften und
Internetangebote zum Thema Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
•
Transgene Tiere in Landwirtschaft und Medizin - eine Modellveranstaltung zur
allgemeinen Weiterbildung. M. Lohner, K. Sinemus, H.G. Gassen (Hrsg.),
Neckar-Verlag GmbH, Villingen-Schwennnigen (1997), ISBN 3-7883-0881-8
Dieses Buch fasst die Ergebnisse einer Seminartagung der Pädagogischen Arbeitsstelle für Erwachsenenbildung in Baden-Württemberg zusammen. Neben Fachkapiteln zu den Themen Naturwissenschaften, Ethik, Landwirtschaft, Medizin und
Recht gibt es auch Anregungen zur fachdidaktischen Umsetzung in der Schule und
Erwachsenenbildung.
• Ammann, D.; Vogel, B. (2000): Transgene Nutztiere: Landwirtschaft – Gene
Pharming – Klonen. SAG-Studienpapier B4, März 2000
Die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie SAG steht der Gentechnik sehr
kritisch gegenüber. Die SAG wirkt als Dachorganisation von rund 20 Schweizer
Verbänden aus den Bereichen Umwelt, Naturschutz, Tierschutz, Medizin, Entwicklungszusammenarbeit, biologischer Landbau und KonsumentInnenschutz. Ihr
Studienpapier zu transgenen Nutztieren stellt eine sehr gut recherchierte und kompetent aufbereitete Zusammenstellung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur
zum Thema dar, wobei der aktuelle Wissensstand sehr kritisch interpretiert wird.
Das Arbeitspapier kann kostenlos als pdf-Datei aus dem Internet heruntergeladen
werden unter http://www.gentechnologie.ch/Studienpapiere.htm
•
Ethische Aspekte der Erzeugung und Haltung transgener Nutztiere.
A. Müller, Ferdinand Enke Verlag Stuttgart (1995).
Die Darstellungen von Müller gliedern sich in zwei Teile. Der empirische Teil gibt
einen naturwissenschaftlichen Überblick über Methoden zur Erzeugung transgener
Nutztiere, das Gene Pharming, die Steigerung der Produktivität und Veränderung
der Produktqualität, sowie die Erzeugung krankheitsresistenter Tiere. Im zweiten,
130
wertenden Teil werden Methoden zur ethischen Beurteilung vorgestellt und die Beispiele des ersten Teiles anhand dieser Kriterien bewertet.
• Beer, W., Bremekamp, E., Droste, E., Wulff, C. (1999): Gentechnik. Arbeitshilfen für die politische Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Diese Arbeitshilfen bieten allen pädagogisch Interessierten Basisinformationen zur
Gentechnik. Einleitend werden didaktisch-methodische Überlegungen und Prinzipien sowie die Bedeutung des „Themas Gentechnik“ für die politische Bildung diskutiert. Die Arbeitshilfen sind gegliedert in die Themenfelder: Humanmedizin,
Landwirtschaft, Nahrungsmittelherstellung, industrielle Produktion, Wirtschaft,
biologische Waffen. In „Sachinformationen“ werden die wichtigsten Ziele, Verfahrensweisen, Produkte sowie Diskussionslinien skizziert. Die thematisch gegliederten „Materialien“ spiegeln Fakten und Positionen in Originaltönen wider; Presseartikel, Rollen- und Planspiele, Fragebogen, Schaubilder und Folienvorlagen bieten
Beispiele und methodische Anregungen für die Konzeption von Veranstaltungen.
Ein Kapitel stellt relevante ethische Konzepte und ein Modell zur ethischen Urteilsbildung in der politischen Bildung als Argumentationshilfe für Diskussionen vor.
Die Arbeitshilfen wenden sich an pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
der außerschulischen politischen Bildung sowie der beruflichen Weiterbildung; sie
können aber auch in der Sekundarstufe oder zum Selbststudium genutzt werden. Zu
beziehen sind die Arbeitshilfen gegen eine Versandkostenpauschale bei der: Bundeszentrale für politische Bildung, Pressestelle, Berliner Freiheit 7, 53111 Bonn.
Bestellung auch über das Internet möglich; http://www.bpb.de
•
Revermann, C.; Hennen, L. (2000): TA-Projekt "Klonen von Tieren". TAB-Arbeitsbericht Nr. 65. Berlin: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Kostenlos durch schriftliche Bestellung zu beziehen beim Büro
für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Neue Schönhauser
Str. 10, 10178 Berlin, Fax 030 28491119, Email [email protected];
http://www.tab.fzk.de; oder im Buchhandel erhältlich als
•
Christoph Revermann und Leonhard Hennen: "Das maßgeschneiderte Tier. Klonen in Biomedizin und Tierzucht". Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung, Band 9. edition sigma, Berlin, Februar 2001. ISBN 3 89404 818 2
•
Die Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg bietet auf
ihrer Internetseite http://www.ta-akademie.de umfangreiche Informationen
zum Thema "Klonen", darunter die Broschüre "Klonen - Stand der Forschung,
ethische Diskussion, rechtliche Aspekte", die als Papierversion bestellt oder als
pdf-Datei heruntergeladen werden kann, Hinweise auf weiterführende Literatur,
eine Linkliste sowie ein Glossar medizinisch-naturwissenschaftlicher Fachausdrücke.
•
Die Europäische Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen
Technologie berät die Europäische Kommission zu ethischen Aspekten von
131
Wissenschaft und neuen Technologien im Zusammenhang mit der Vorbereitung
und Umsetzung von Gesetzgebung und Politik auf europäischer Ebene. Informationen über die Arbeit dieser Expertengruppe, ihre Mitglieder sowie ihre bislang
erarbeiteten
Stellungnahmen
sind
unter
http://europa.eu.int/comm/
european_group_ethics/index_en.htm abrufbar. Speziell für das Thema dieser
Fortbildung liegen folgende Stellungnahmen vor, die als pdf-Dokumente unter
http://europa.eu.int/comm/european_group_ethics/avis_old_en.htm abrufbar
sind:
Nr.
opinion n° 1
opinon n° 7
opinon n° 9
Datum
03/1993
Titel
The ethical implications of the use of performanceenhancers in agriculture and fisheries
21/05/1996 Ethical aspects of genetic modification of animals
28/05/1997 Ethical aspects of cloning techniques
•
Sehr empfehlenswert ist die Zeitschrift „Gen-ethischer Informationsdienst
(GID)“ des Genethischen Netzwerks, einer gentechnikkritischen Organisation,
die in ihrer Zeitschrift sehr aktuelle, gut recherchierte, kenntnisreiche, kritische
Informationen und Positionen zu verschiedensten Anwendungsbereichen der
Gentechnik bietet, darunter auch zum Thema Reproduktions- und Gentechnik
bei Tieren. Unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen.html stellt das Genethische Netzwerk kritische Hintergrundinformation zu den Bereichen Gen- und Reproduktionstechnik ins Netz. Über diese Adresse sind auch das Inhaltsverzeichnis und Artikel der Zeitschrift Genethischer Informationsdienst (GID) in Auszügen herunterzuladen. Links führen zu deutschen Biotechnologie- und Pharmaunternehmen und zu Forschungseinrichtungen.
•
Der Bundesverband der Tierversuchsgegner - Menschen für Tierrechte e.V.
bietet auf seiner Internetseite http://www.tierrechte.de in der Rubrik "Schwerpunkte" unter dem Punkt "Gentechnik" Informationen zum Thema Gentechnik
bei Tieren. Hier sind Übersichtsartikel zum "Stand der Dinge", zu "Transgene
Tiermodelle", "Xenotransplantation", "Gene Pharming", "Klonen von Tieren",
"Patentierung von Tieren" sowie Hinweise auf weiterführende Literatur abrufbar.
•
EIBE ist die European Initiative for Biotechnology Education. Sie wird von der
Europäischen Kommission finanziert. Auf der Startseite www.rdg.ac.uk/EIBE/
stehen dem Nutzer Unterrichtsmaterialien als Download zu verschiedenen Aspekten der Gentechnik zur Verfügung. Die Materialien setzen sich aus Hintergrundinformationen und Vorschlägen für Gruppenarbeiten zusammen. Sie sind
für Schüler von 16–19 Jahren konzipiert. Unter www.rdg.ac.uk/EIBE/
DEUTSCH/DU11.HTM findet man eine ausgearbeitete Unterrichtseinheit in
deutscher Sprache zu „Transgenen Tieren“.
•
Unter www.transgenics.com finden sich die Seiten des Biotechnologieunternehmens Genzyme Transgenics Corporation. Das Unternehmen gehört zu den
132
weltweit führenden Einrichtungen in der Entwicklung und Produktion therapeutischer Proteine in der Milch transgener Tieren.
•
Das schottische Unternehmen PPL ist ebenfalls weltweit führend in der Anwendung transgener Tiere für die Produktion von menschlichen Proteinen für Therapie und Ernährung (www.ppl-therapeutics.com).
•
Das Unternehmen Infigen bietet Genomics-Dienstleistungen für die Tierzucht,
Reproduktionstechniken sowie somatische Klonierung an (www.infigen.com).
10.2
Weiterführende Materialien und Informationsquellen
zum Thema Reproduktions- und Gentechnik bei Tieren
•
Auswirkungen biotechnischer Neuerungen in der Tierzucht
Schriftenreihe des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten, Reihe A: Angewandte Wissenschaft Heft 443, Landwirtschaftsverlag
GmbH, Münster (1995),
ISBN 3-7843-0443-5
Diese Informationsschrift des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten fasst in einem Kapitel die wichtigsten Entwicklungstrends in
der modernen Tierzucht zusammen. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit den
ökonomischen, administrativen und juristischen Auswirkungen dieser Entwicklung.
•
Biotechnologie für den Agrar- und Ernährungsbereich – Stand und Perspektiven
Schriftenreihe des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten, Reihe A: Angewandte Wissenschaft Heft 471, Köllen Druck+Verlag
GmbH (1998),
ISBN 3-88579-323-7
Diese Informationsschrift des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten listet in knapper, systematischer Form wissenschaftliche Methoden und Anwendungen der Biotechnologie im Bereich der Nutzpflanzen und
Nutztiere auf. Darüber hinaus werden die wichtigsten Instrumente zur Forschungsförderung und Technologiebewertung dargestellt und eine Einschätzung
derzeitiger Rahmenbedingungen vorgenommen.
•
Biotechnologie – Gentechnik: Eine Chance für neue Industrien
Th. von Schell, H. Mohr (Hrsg.), Springer Verlag (1994), ISBN 3-540-58651-2
Diese Veröffentlichung der Akademie für Technikfolgenabschätzung in BadenWürttemberg stellt die Ergebnisse einer mehrstufigen Untersuchung zur Biotechnologie dar. Fachgutachten zu naturwissenschaftlichen, sozioökonomischen
und ethischen Fragestellungen, Untersuchungen zum wirtschaftlichen Potential
der Biotechnologie in Baden-Württemberg sowie die Dokumentation eines Dis-
133
kursverfahrens geben einen umfassenden Überblick über alle Bereiche der Biound Gentechnik.
•
Der Deutsche Tierschutzbund ist Europas größte Tier-und Naturschutzdachorganisation. Auf seiner Internetseite http://www.tierschutzbund.de bietet er u. a.
Informationen zu Tierversuchen und Tierschutz in der landwirtschaftlichen
Nutztierhaltung.
•
Hintergrundinformationen zu bioethischen Fragestellungen bietet das Deutsche
Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE)
(www.drze.de). Aufgabe des Referenzzentrums ist die zentrale umfassende und
aktuelle Sammlung, Dokumentation, Bereitstellung und Aufbereitung national
und international relevanter Informationen, Dokumente und Literatur zur Ethik
in den Biowissenschaften und der Medizin. Dabei verfolgt es das Ziel, den Zugang zu solchen Informationen entweder zu erleichtern oder überhaupt erst zu
ermöglichen und zugleich die Präsenz der deutschen Beiträge in der internationalen Diskussion zu verstärken.
•
Das Interfakultäre Zentrum für Ethik in den Wissenschaften www.izew.unituebingen.de bietet Links zu wissenschaftsethisch tätigen Institutionen, zu Datenbanken, zu Onlineliteratur, Mailing-Listen und Tagungen. Unter „Schule und
Bildung“ werden die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Schule Ethik Technologie (SET)“ präsentiert. Nach einer Bestandsaufnahme der Rolle wissenschaftsethischer Themen in der Schule wurden Konzepte und Materialien für die
Behandlung wissenschaftsethischer Themen im Unterricht bzw. in der Aus- und
Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern entworfen und deren Praxisrelevanz in
einem Modellversuch überprüft. Außerdem befindet sich eine europäische Literaturdatenbank zur Dokumentation der Ethik der Biotechnologie (ENDEBIT) im
Aufbau.
•
Engels, E.-M. (Hrsg.) (1999): Biologie und Ethik. Philipp Reclam jun., Stuttgart.
ISBN 3 15 009727 4.
Sammelband mit Aufsätzen zu verschiedenen Themen aus dem Bereich Biologie
und Ethik. Für das Thema "Gentechnik und Tiere" sind drei Aufsätze relevant.
•
Hüsing, B.; Schicktanz, S.: Bestandsaufnahme von aktuellen FuE-Aktivitäten
und -Trends auf dem Gebiet der Xenotransplantation von Organen. Karlsruhe :
ISI, 2000, 121 S., DM 24,-. Zu beziehen über die Bibliothek des Fraunhofer ISI,
Tel. 0721-68 09-218/217; E-Mail [email protected]
•
Hüsing, B.; Engels, E.-M.; Frick, Th.; Menrad, K.; Reiß, Th.: Technikfolgenabschätzung Xenotransplantation. Bern: Schweizerischer Wissenschaftsrat,
1998, 246 S. Kostenlos zu beziehen beim Schweizerischen Wissenschafts- und
Technologierat, Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung, Inselgasse 1,
134
3003 Bern, Schweiz. Fax. 0041-31-323 36 59, Email (Sekretariat):
[email protected]
10.3
Ausgewählte Informationsangebote zum Thema Gentechnik
•
Riewenherm, S., Hoffmannn, M. (Hrsg.) (2000): Gentechnologie. Rotbuch 3000.
ISBN 3-434-53510-1.
Das Buch gibt einen kurzen Überblick über die Grundlagen und die verschiedenen
Anwendungsbereiche der Gentechnologie. Knappe Ausführungen zu den Stichworten: Gentechnik in der Medizin, Pränatal-/Präimplantationsdiagnostik, Gentechnik und Lebensmittel sowie rechtliche und ökonomische Aspekte. Randnotizen zu
aktuellen Pressezitaten, Hintergrundsinformationen und Fallbeispielen aus der Lebenspraxis. Adressen- und Literaturverzeichnis mit den wichtigsten Internetseiten
zu den Themen.
•
Schallies, M., Wellensiek, A. (1995): Biotechnologie/Gentechnik – Implikationen für das Bildungswesen. Arbeitsbericht. Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Nr. 46. ISBN 3 930241 48 X.
•
Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der Gliedkirchen in der Ev. Kirche
in Deutschland (Hrsg.) (2000): Gentechnik – Bewahrung der Schöpfung.
Gesammelte Beiträge zu den Themen Mikrobengenetik, Gen-Food, Gendiagnostik
und -therapie, Xenotransplantation, Klonierung mit einleitender Einführung in die
Grundlagen der Genetik und Gentechnik. In knapper Form präsentiert die Broschüre Nutzen und Risiken gentechnologischer Anwendungen und diskutiert sie
kritisch bezüglich ihrer ethisch-moralischen, religiösen und rechtlichen Dimensionen. Viele Abbildungen und Merkkästen informieren über derzeitige gesetzliche
Regelungen, Anwendungen und Methoden der Gentechnik, öffentliches Meinungsbild und ökonomische Daten. Im Anhang findet sich ein umfangreiches Adressenund Literaturverzeichnis und eine Liste der relevanten Rechtsetzungen. Kann gegen
eine Schutzgebühr von 8 DM angefordert werden bei: Institut für Kirche und Gesellschaft, z. Hd. Frau Weber, Berliner Platz 12, 58638 Iserlohn, E-Mail:
[email protected]
•
Beck, J., Keupp, H., Förderkreis Reutlinger Lehrerfortbildung (Hrsg.) (1998):
Leben in der Hand des Menschen – Gentechnik-Bioethik-Lebensethik. Ohne
Angst verschieden sein zu können – Förderung von Lebenssouveränität in einer
postmodernen Gesellschaft. Schriftenreihe des Förderkreises Reutlinger Lehrerfortbildung, Heft 14.
135
•
Marquart, R., Informationssekretariat Biotechnologie Dechema e.V.; Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2000): Biotechnologie – Basis
für Innovationen. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn.
Die Broschüre gibt einen Überblick über verschiedene Anwendungsfelder der Biotechnologie. Der Leser wird über die Bedeutung der Gen- und Biotechnologie in der
Medizin, der Landwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft informiert. Aufbauend
auf die Vermittlung von Grundlagenwissen zur allgemeinen Genetik, Methoden der
Gentechnik und Sicherheitsbestimmungen, wird über Nutzen, Risiken und Grenzen
in den Bereichen der Humangenomforschung, Gendiagnostik, -therapie, Genetic
Fingerprinting, innovativer Biochip-Technologien, Gene Pharming, Gen-Food, und
transgener Tiere berichtet. Die Broschüre beschäftigt sich darüber hinaus mit der
ökonomischen Dimension der Patentregelungen in der Biotechnologie und nimmt
Stellung zu den gegenwärtigen und zukünftigen sozialen und ethischen Folgen innovativer Biotechnologien. Kann kostenlos bezogen werden bei: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Pressestelle, 53170 Bonn.
•
Unter www.leu.bw.schule.de/allg/gentechnik/ können Dokumentationen von
Lehrerfortbildungen zu den Themen Gentechnik bei Pflanzen, Gentechnik bei
Tieren und Gendiagnostik in der Humanmedizin als pdf-Datei heruntergeladen
werden. Die zu Grunde liegenden Fortbildungen wurden als Pilotveranstaltung
im Rahmen der Zukunftsoffensive Junge Generation Ende 1999/ Anfang 2000
vom Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung durchgeführt.
•
Institut für Pädagogik in den Naturwissenschaften: IPN: www.ipn.uni-kiel.de
•
Ein journalistisches Internet-Magazin stellt das Internet-Angebot www.
lifescience.de dar. Tagesaktuelle Neuigkeiten, Hintergrundberichte aus Forschung und Wirtschaft, Diskussionsforen, spezielle Lehrer- und Schülermaterialien sowie Verknüpfungen zu anderen Informationsdiensten und Akteuren der
Biotechnologie-Szene sollen ein umfassendes Informationsangebot bereitstellen.
In „Bioschool“ finden sich spezielle Informationsmaterialien für Lehrer und
Schüler.
•
Aktuelle Informationen und Hintergrundberichte zu politischen und wissenschaftlichen Aspekten der Gentechnik finden sich unter www.lifegen.de Außerdem findet man dort eine Seite mit Buchneuerscheinungen aus dem Bereich
Biotechnologie und kann im Archiv nach Informationen zu grüner, roter und
Umweltbiotechnologie recherchieren.
•
Unter www.lebenswissen.de findet man Informationen, Veranstaltungshinweise
sowie Links anlässlich der Initiative „2001: Das Jahr der Lebenswissenschaften“.
Innerhalb dieser Initiative, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Stifterverband und den großen Forschungsorganisationen getragen
wird, präsentieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler "Forschung zum
136
Anfassen". Das Themenspektrum reicht von der Evolutionsbiologie über die
Genforschung bis zur Bionik.
•
In Berlin existiert seit einiger Zeit ein gläsernes Labor, das unter www.
glaesernes-labor.de Informationen zur Gentechnik sowie zu Schüler- und Lehrerfortbildungen zugänglich macht.
•
Das Biotech-Mobil, eine Gemeinschaftsaktion der Bayerischen Staatsregierung
und des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie
im
Rahmen
der
BioRegio-Projektförderung,
ist
unter
www.biotechmobil.de im Internet vertreten.
•
Die Universität Kassel bietet unter www.uni-kassel.de/fb19/genetics/hotlinks.
html eine Link-Sammlung rund um die Gen- und Biotechnologie. Unter anderem wird werden auch Links speziell für Lehrer und Lehramtskandidaten angeboten.
•
Die Website www.teachersnews.net präsentiert sich als Informationsquelle rund
um das Thema Schule. Hier findet man Informationen u. a. auch zu den Fächern
Biologie und Ethik.
•
Die Website der „Schweizer Informationsstelle des Schwerpunktprogramms
Biotechnologie“ (www.bics.ch) bietet unter „Schule und Biotechnologie“ viele
Informationen und Anregungen. Das Ziel dieses Kompendiums ist es aufzuzeigen, welche Mittel den Lehrern heute zur Verfügung stehen, um das Thema
Biotechnologie, speziell Gentechnologie, im Unterricht zu behandeln.
•
Unter www.dechema.de kommt man auf die Startseite der deutschen Gesellschaft für Chemische Apparatewesen, Chemische Technik und Biotechnologie
e. V. Auf verschiedenen Unterseiten wie dem Dechema-Schülerclub
(www.dechemax.de), den Seiten des Informationssekretariats Biotechnologie
(www.i-s-b.org/isbframe.htm) oder den Seiten der Vereinigung der Biotechnologie-Unternehmen (VBU: www.dechema.de/biotech/vbu.htm) finden sich
aktuelle Neuigkeiten, Hintergrundinformationen, Weblinks und Kurzprofile von
Unternehmen in Deutschland, welche im Bereich der Biotechnologie aktiv sind.
Alle Initiativen der Dechema e.V. sind auf der Internet-Seite
www.dechema.de/biotech/bioall.htm zusammengefasst. Unter dechema.de/
efb.htm informiert außerdem die European Federation of Biotechnology über
ihre Veranstaltungen und Informationsmaterialien.
•
Der Verband der Chemischen Industrie VCI (www.VCI.de) mit seiner Unterabteilung
der
Deutschen
Industrievereinigung
Biotechnologie
DIB
(www.vci.de/dib) fasst hauptsächlich ökonomische Daten zum Thema Biotechnologie zusammen.
•
Speziell an Schüler richtet sich die Internetadresse www.chemie-im-fokus.de
Sie zeigt, auf welchen Arbeitsgebieten Chemiker tätig werden können. Schwerpunkte von chemie-im-fokus sind das Studium an Universitäten und Fachhochschulen, die Berufsbilder des Chemikers und die vielen Facetten der Chemie, die
137
weit hineinreichen in andere Fächer wie Physik, Biologie oder Ökologie. Initiatoren sind die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und der Verband der
Chemischen Industrie (VCI).
•
Das Robert-Koch-Institut (www.rki.de) ist Ansprechpartner für sicherheitsrelevante Fragen der Bio- und Gentechnik. Hier ist die zentrale Kommission für
biologische Sicherheit (ZKBS) angesiedelt, die sicherheitsrelevante Aspekte der
Gentechnik begutachtet und ihre Stellungnahmen im Netz veröffentlicht. Außerdem finden sich auf den Seiten des Robert-Koch-Instituts Informationen zu medizinisch-biotechnologischen Fragen wie Impfungen und pathogene Mikroorganismen.
10.4
Filme, Folien, Computersoftware
Bei den Bildstellen des Landes Baden-Württemberg zu entleihende Videokassetten
42 67 906 Die zweite Evolution? Gentechniklehrfilm des Landes Baden-Württemberg 1999
42 66 674 Gene im Grünen, Gentechniklehrfilm des Landes Baden-Württemberg
1999
42 66 675 Reales Szenario, Gentechniklehrfilm des Landes Baden-Württemberg
1999
42 00488 Pflanzen nach Maß, 30 min, f, 1985/S1 (10), S2
42 80677 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 4. Tiere nach Maß, 30 min, f, 1993/S2
42 56015 Menschen nach Maß: Gen-Technologie – Glanz und Gefahr, 42 min, f,
1992/S2
42 80674 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 1. Natur – 2. Auflage, 30 min, f,
1993/S2
42 80675 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 2. Kleine Zellen – große Wirkung,
30 min, f, 1993
42 80676 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 3. Kulturpflanzen – maßgeschneidert,
30 min, f
42 80677
1993/S2
SW3: Gentechnologie – Genzeit, 4. Tiere nach Maß, 30 min, f,
42 80678 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 5. Neue Wirkstoffe – Medikamente
der 3. Generation, 30 min, f, 1993/S2
138
42 80679 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 6. Rest?Risiko, 30 min, f, 1993/S2
42 80680 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 7. Unkontrollierbare? Kontrollversuch, 30 min, f
42 81240 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 8. Mensch nach Maß, 30 min, f,
1995/S2
42 81241 SW3: Gentechnologie – Genzeit, 9. Der gläserne Mensch, 30 min, f,
1995/S2
32 50 015 Heilen durch Gentechnik
42 01 814 Gentechnik – spielen die Wissenschaftler Gott?
CD-ROM "Biologie Kompendium", herausgegeben von Dr. Jürgen Braun und
Thomas Dürr. Erhältlich über Landesinstitut für Erziehung und Unterricht
(LEU), Rotebühlstraße 131, 70197 Stuttgart, Tel. 0711/6642-0, Fax. –108, EMail-Adresse: [email protected]. Enthält unter anderem Materialien zum
Gruppenpuzzle über gentechnische Methoden
CD-ROM "Moderne Biotechnologie in der Schule", herausgegeben von Dr. Jürgen
Braun
Biotechnologie/Gentechnik
Fonds der Chemischen Industrie, Textheft 20, CD ROM Windows & Mac (das
digitale Buch enthält die vollständige Folienserie 20)
GenLab: Simulation gentechnischer Experimente, Nachfrage OSA, käuflich zu erwerben bei Fa. SYHA & SCHUBERT CONSULTING, Postfach 16 47, 61406
Oberursel
Gentechnik: Interaktiv experimentieren – Virtuell im Biozentrum der Universität
Basel, Verlag Dieter Berger, Erbprinzenstr. 16, 79098 Freiburg, Art. Nr. 306,
DM 98,50
Kompendium Gentechnologie und Lebensmittel: CD bei Shandwick Deutschland
GmbH & Co. KG, Meckenheimer Allee 67.69, 53115 Bonn
Gentechnik (Video): Bausteine des Lebens – Tierzucht – Pflanzenzüchtung –
Verbraucherschutz, aid, Konstantinstr. 124, 53179 Bonn, Best. Nr. 8435/1998,
DM 39,90, ISBN 3-89661-587-4
Genetik und Gentechnologie: CD ROM 66 00120, FWU, DM 98,-- (mit Arbeitsblättern zum Ausdrucken)
10.5
Exkursionen
Dem Wunsch nach Praxisbezug und Anschaulichkeit durch Exkursionen steht im
Schulalltag die aufwändige Vorbereitung gegenüber. Zudem sind häufig keine In-
139
stitutionen, Organisationen oder Personen bekannt, zu denen man eine Exkursion
durchführen könnte. Im Land Baden-Württemberg stellen die Biotechnologieagentur Baden-Württemberg sowie die Koordinierungsstellen der vier BioRegionen
Freiburg, Rhein/Neckar, Stuttgart/Neckar-Alb und Ulm erste Ansprechpartner dar,
die bei der Suche nach geeigneten Exkursionszielen beraten können und ggf. auch
unterstützend tätig sind. Kontaktadressen:
Biotechnologie-Agentur Baden-Württemberg
Haus der Wirtschaft
Willi-Bleicher-Str. 19
70174 Stuttgart
Tel. 0711-1839-681
Fax 0711-1839-655
Email: [email protected]
Internet: http://www.biotech-bw.de
Stiftung BioMed Freiburg
Dr. Bernd Dallmann
Dr. Thea Siegenführ
c/o Freiburg Wirtschaft und Touristik GmbH & Co KG
Rotteckring 14
79098 Freiburg
Tel 0761/ 38 81 - 826
Fax 0761/ 20 20 474
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.biovalley.com/yellowpages
BioRegion Rhein-Neckar-Dreieck e.V.
Dr. Ernst-Dieter Jarasch
Im Neuenheimer Feld 515
69120 Heidelberg
Tel: 06221/ 6 49 22 - 0
Fax: 06221/ 6 49 22 - 15
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.bioregion-rnd.de
BioRegio Stuttgart/Neckar-Alb
Herr Markus Siehr
c/o Verband Region Stuttgart
Kronenstraße 25
70174 Stuttgart
Tel: 0711/ 2 27 59-61
Fax: 0711/ 2 27 59-71
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.bio-regio.de
140
BioRegio Ulm Förderverein Biotechnologie e.V.
Koordinationsstelle
Dr. Gabriele Gröger
Albert-Einstein-Allee 5
89081 Ulm
Tel 0731/ 50 22 00 4
Fax 0731/ 50 22 01 6
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.bioregioulm.de/
Informationen über alle BioRegionen in der gesamten Bundesrepublik unter
http://www.bioregio.com
141
11.
Bewertung der Veranstaltung durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Am Ende der Veranstaltung füllten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer anonym
einen zweiseitigen Evaluierungsbogen aus. Im Folgenden werden die Ergebnisse
aufgeführt.
Thema der Veranstaltung:
ReproduktionsTieren
und
Gentechnik
bei
Dauer der Veranstaltung (von-bis):
Dozentin(nen)/Dozent(en) der
Veranstaltung:
Ort der Veranstaltung:
22./22.06.2001
Dr. Hüsing, Dr. Zimmer, Frau Schicktanz
Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und
Innovationsforschung, Karlsruhe
Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: 16
Gesamtzahl abgegebener Evaluierungsbögen 15
14 (1x nur Seite 1)
davon vollständig ausgefüllt:
Ich beurteile die Veranstaltung insgesamt mit folgender Note:
1= sehr gut bis 6= ungenügend
Note
Anzahl der
Nennungen
Durchschnitt
1
1.5
2
3
4
5
6
11
0
3
0
0
0
0
1,2
(keine Angaben: 1)
++ = sehr gut, + = gut, 0 = Durchschnitt, = schlecht, -- = sehr schlecht
++
+
0
-
--
Keine
Angabe
Umfang der Lerninhalte
Informationsgehalt
Verständlichkeit der Darstellung
Systematik der Darstellung
Dozentin(nen)/Dozent(en)
regte(n) zur Mitarbeit an
Qualität der Arbeitsunterlagen
Arbeitsklima
Organisatorischer Rahmen
Lernerfolg
Das Gelernte ist bei der jetzigen
Tätigkeit anwendbar
11
13
13
11
4
2
2
3
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
7
7
0
0
0
1
8
14
12
6
7
1
4
9
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
6
8
1
0
0
0
142
Für meine Arbeitspraxis war besonders wichtig:
Aktueller Stand der Forschung, viele neue Informationen
Mappe mit viel Material
Ethische, soziale und ökonomische Aspekte der Gentechnik
Literatur und Internetadressen
Anregung zur Betrachtung ethischer Sichtweisen
Sachgrundlage für Diskussionen
Erinnerung an Bedeutung ethischer Fragestellungen
Anregung zur Umsetzung im Unterricht
Gene Pharming
Konkrete Beispiele
Methode: Multicriteria Mapping
An dieser Veranstaltung hat mir besonders gut gefallen:
(z. B. Anmerkungen zu Themen, Dozentinnen/Dozenten, allgemeine
Organisation)
Inhalte klar strukturiert dargeboten, auf das Wesentliche reduziert
Atmosphäre und Versorgung
kompetente, sympathische Dozent(inn)en
Multicriteria Mapping
besonders gutes Übersichtsreferat "Stand und Perspektiven..."
hervorragend strukturiert und organisiert
Präsentation und Systematisierung
Konkretes Ergebnis wurde angestrebt
für Nicht-Biologen verständlich
Zusammenstellung der Themen
Eigenaktivität
methodische Abwechslung, „methodische Spielchen“
Wechsel zwischen selbsttätigen und selbstuntätigen Phasen
Austausch mit anderen Kollegen
An dieser Veranstaltung hat mir weniger gut gefallen:
(z. B. Anmerkungen zu Themen, Dozentinnen/Dozenten, allgemeine
Organisation)
Zu lange Mittagspause, lieber noch kleine Pause später
sehr große Informationsdichte am ersten Tag
Informationsvermittlung zeitlich etwas zu lang
teilweise zu viele Folien mit Diagrammen in dichter Folge
Referat "Bewertung von Anwendungen der Gentechnik durch Experten
und Laien"
Referat "Gene Pharming – Zielsetzungen, Folgewirkungen,
Kontroversen"
Anzahl der
Nennungen
6
3
2
2
2
1
1
1
1
1
1
Anzahl der
Nennungen
6
5
5
3
2
2
1
1
1
1
1
1
1
1
Anzahl der
Nennungen
2
1
1
1
1
1
143
relativ wenig Raum für Plenumsdiskussionen
Zuständigkeiten von Fr. Hüsing und Hr. Zimmer nicht geklärt; keine
gemeinsame Begrüßung/Einführung; „Einwirken“ während des Referates von Hr. Zimmer
„sportliche“ Betätigung am Beginn
1
1
1
Folgende Themen der Veranstaltung
Anzahl der
Nennungen
....sollte man künftig wegfallen lassen:
schnelle Auswertung des Multicriteria Mapping
1
Anzahl der
Nennungen
....sollte man kürzen:
einzelne Referate etwas kürzer
Referat "Bewertung von Anwendungen der Gentechnik..."
Einige Teile als Aufgaben vorgeben
Multicriteria Mapping – auf Unterricht zuschneiden, Auswertungsmöglichkeiten
3
3
1
1
Anzahl der
Nennungen
....sollte man erweitern:
Ethik-Vorträge
Unterrichtshilfen
Methoden
aktuelles Filmmaterial
Anwendungsbeispiele
Umsetzung der Betroffenheit der Schüler
4
3
2
1
1
1
Anzahl der
Nennungen
Sonstige Vorschläge:
Laborbesuch
Mitnehmen der Kaffeetasse in den Seminarraum
Ein zusätzlicher Tag
Vertiefter Einblick in Ethikaspekte für Biologen
4
2
1
1
Meine Erwartungen an die Veranstaltung wurden insgesamt......
Übertroffen
getroffen
Anzahl der
Nennungen
(keine Angaben: 1)
++
+
0
4
8
2
nicht erreicht
-
--
144
Anderen interessierten Fachkolleginnen und Fachkollegen würde ich diese Veranstaltung......
Mit Einschränkung
empfehlen
nicht empfehlen
empfehlen
Anzahl der
14
0
0
Nennungen
(keine Angaben: 1)
Sonstige Bemerkungen:
Anzahl der
Nennungen
Vielen Dank für Ihre Mühen
5
Fortbildung auf drei Tage ausweiten und gliedern in naturwissenschaft- 1
liche, ethische und lehrplanbezogene Aspekte

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