Bauten erinnern Augsburg in der NS-Zeit

Transcrição

Bauten erinnern Augsburg in der NS-Zeit
Bauten erinnern
Augsburg in der NS-Zeit
Herausgegeben für das
Architekturmuseum Schwaben
und die Arno-Buchegger-Stiftung
von Winfried Nerdinger
in Zusammenarbeit
mit Barbara Wolf
und Alexandra Schmid
Dietrich Reimer Verlag
Berlin
Inhalt
Schriften des Architekturmuseums Schwaben
Band 10
Winfried Nerdinger (Hg.) in Zusammenarbeit
mit Barbara Wolf und Alexandra Schmid
Lektorat:
Eva-Maria Müller, Augsburg
Redaktionsbüro/Kultur- und Projektmanagement
Bildredaktion:
Stefanie Engelhardt, Joachim Rudy,
Alexandra Schmid, Barbara Wolf
Umschlagabbildungen:
Sammlung Franz Häußler, Augsburg
Gestaltung, Bildbearbeitungen
und DTP-Satz:
Büro für visuelle Kommunikation, Augsburg
Bibliografische Information der Deutschen
Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek
verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Druck und Verarbeitung: Druckhaus Köthen
© 2012 by Dietrich Reimer Verlag GmbH, Berlin
www.reimer-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
Gedruckt auf alterungsbeständigem
Papier
Broschierte Ausgabe
erhältlich im Architekturmuseum Schwaben
ISBN 978-3-496-01473-7 (Buchhandelsausgabe
Hardcover)
Vorwort
7
Stadtverwaltung
Rathaus
Finanzamt Augsburg
Arbeitsamt Augsburg
Städtisches Wohlfahrtsamt
Kriegswirtschaftsstellen
Erbgesundheitsgericht
Justizgebäude
Gesundheitsamt Augsburg-Stadt
Gesundheitsamt Augsburg-Land
Städtisches Krankenhaus
Stadtmarkt
Riedingerhaus
8
11
15
17
19
20
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23
25
27
29
31
35
NSDAP-Organisationen
NSDAP-Ortsgruppen
NSDAP-Gauleitung Schwaben
Hitlerjugend (HJ)
Bund Deutscher Mädel (BDM)
NS-Mütterschule
Gauwaltung der DAF – „Haus der Deutschen Arbeit“
Sturmabteilung (SA)
Schutzstaffel (SS)
Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD)
Geheime Staatspolizei (Gestapo)
Gestapo-Gefängnis „Katzenstadel“
Der Polizist und KZ-Kommandant Hans Loritz
36
38
39
41
43
45
47
49
50
51
52
53
55
Versammlungen, Kultur und Propaganda
Neue National-Zeitung
Gauforum
Reichsbahndirektionsgebäude
Emelka-Palast
Sängerhalle
Ludwigsbau
Saalbau Herrle
Adolf-Hitler-Platz
Hotel Drei Mohren
56
59
61
62
63
65
67
69
71
73
Augsburger Stadttheater
Freilichtbühne am Roten Tor
Hauptbahnhof
Autobahnbrücke
Sieges- und Friedensdenkmal
HJ-Heim
75
79
81
85
87
89
Wohnungsbau
Siedlung Hammerschmiede
Siedlung Kleestraße
Bärenkellersiedlung
Siedlung des Volkes
Wohnanlage im Hochfeld
Messerschmitt-Siedlung
Wohnungen für Mitarbeiter der MAN
Wohnungen im Rahmen der Altstadtsanierung
Wohnblock an der Remboldstraße
Wohnhaus Gauleiter Wahl
90
93
95
97
99
101
102
103
105
107
109
Kasernenneubauten
Somme-, Arras- und Panzerjäger-Kaserne
Flak-Kaserne
Infanterie-, Luftnachrichten- und
Heeresnachrichtenkaserne
110
112
113
Rüstungsindustrie und Wehrwirtschaft
Augsburger Kammgarn-Spinnerei
Martini & Cie
Ballonfabrik Augsburg
J. P. Bemberg AG
Hans Deuter
Alpine AG Eisengießerei
und Maschinenfabrik Augsburg
Eisenwerke Gebrüder Frisch KG Augsburg
Maschinenfabrik Keller & Knappich GmbH
MAN AG
Zahnräderfabrik Augsburg
Messerschmitt AG
Michelwerke
116
119
120
121
122
123
115
124
125
127
129
133
135
139
Das Lagersystem
Zwangsarbeit
Betriebseigene Lager
Sammellager 2
Sammellager 4 und Lager
der Deutschen Arbeitsfront (DAF)
Sammellager 5
Entbindungslager für Ostarbeiterinnen
Arbeiterkrankenbaracken
Kriegsgefangenenlager der Stadt Augsburg
140
140
143
144
145
146
147
148
149
KZ-Außenlager
KZ-Außenlager Haunstetten
KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee
KZ-Außenlager Augsburg-Michelwerke
150
153
154
155
Jüdisches Leben
Synagoge Augsburg
Synagoge Kriegshaber
„Judenhäuser”
Jüdischer Friedhof Kriegshaber
Jüdischer Friedhof Hochfeld
Beth Chaluz
Israelitische Gaststätte Bollack
Ludwig Dreifuß (1883-1960)
Judenberg
156
159
161
163
165
166
167
168
169
171
„Arisierung“ von Wohn- und Geschäftshäusern
Bach & Bloch – Spinnerei & Weberei
Heinrich Kuhn – Herren- und Knabenbekleidung
Bankgeschäft August Gerstle oHG
Jüdisches Altersheim
Kahn & Arnold – Spinnerei & Weberei
am Sparrenlech
Brüder Landauer AG
Loge „Augusta“
Reiheneckhaus Alfred Stein
Emanuel Polatschek – Schuhhaus “Mercedes“
Salomon Marx – Möbel und Raumausstattung
Heinrich Grausmann – Damenkonfektionsgeschäft
172
175
177
180
181
183
185
187
189
190
191
Kaufhaus Schocken
Villa Hesselberger
Wernecker & Farnbacher – Kurz-,
Galanteriewaren und Spielzeughandlung
Geschäfts- und Wohnhaus Wimpfheimer & Cie
193
195
Widerstand
Gaststätte „Arbeiterheim“
Kino „Schauburg“
Plärrer
Michel’sche Hasenfarm
Schwäbische Volkszeitung
Wohnung Clemens Högg
Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN)
Wohnung Anna und Johann Walch
Katholisches Arbeitersekretariat und Volksbüro
Bischöfliches Jugendseelsorgeamt – Wohnung
Alphons Satzger
Wohnung Wilhelm Stuttgart
Wohnung Dr. Franz Reisert
Blindenschule
198
201
203
205
209
211
213
215
217
219
221
223
227
229
Anhang
Autoren
Abkürzungen
Literatur
Quellen
Abbildungsnachweis
Personenregister
230
230
230
232
243
247
252
196
197
Vorwort
Bauten erinnern an den Nationalsozialismus in Augsburg
Augsburg war keine Stadt wie jede andere. Die alte Arbeiterstadt wehrte sich gegen
den aufkommenden Rassismus und Rechtsradikalismus, bei den Reichstagswahlen
im Juli 1932 lag hier der Stimmenanteil für die Nationalsozialisten 14,2 Prozent, und
sogar im März 1933 noch 11,6 Prozent unter dem Landesdurchschnitt. Dann stieg
die Stadt der Metall- und Textilfabriken mit dem Aufbau der Messerschmitt-Werke und
der Produktion von Dieselmotoren für U-Boote und LKWs bei MAN zu einem Rüstungszentrum auf und wurde zur Gauhauptstadt befördert. Die Geschichte Augsburgs während der NS-Zeit ist noch nicht geschrieben, vorliegende Publikation verfolgt einen
besonderen Weg, die Erinnerung an diese Zeit im Gedächtnis zu bewahren, denn es
gilt die Mahnung von Primo Levi: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“
Wer von Eltern, Lehrern oder Zeitgenossen authentisch und ehrlich über die NS-Zeit
informiert wurde, auf den übertrug sich die Intensität des Erlebten. Diese spezifische
Vermittlung von Historie durch Zeitzeugen kann nicht übernommen und von der nächsten Generation weitergetragen werden, denn es fehlt das persönliche Erlebnis, das
Mitteilungen zu existentiellen Aussagen macht. Mit dem allmählichen Verschwinden
der Zeitzeugen geht somit unwiederbringlich auch eine Form der augenscheinlich bezeugten Vermittlung verloren, die über geschichtliche Dokumente gleich welcher Art
nicht ersetzbar ist. Auch historische Orte, Räume und Bauten können diesen Verlust
nicht kompensieren, aber als „materielle Zeitzeugen“ bilden sie ein authentisches Bindeglied zu den Ereignissen, denn ihre Substanz reicht in die Vergangenheit zurück und
somit verbürgen sie: „Hier ist es gewesen.“ Die Verortung von NS-Geschichte in Bauten
und Räumen hilft, Erinnerung zu bewahren. Der authentische Ort ermöglicht zum
einen, sich der Geschichte im Raum anzunähern, und zum anderen das Erinnern zu
intensivieren, denn mit dem Ort kann der Inhalt verknüpft und besser im Gedächtnis
verankert werden.
Orte und Bauten sprechen allerdings nicht von sich aus zu uns, sie sind stumme Zeugen; aber für wen sich einmal ein Ort mit Geschichte gefüllt hat, der wird den Inhalt
nicht mehr so leicht vergessen, der wird mit Bauten, an denen er bislang achtlos vorbeigegangen ist, in einen Dialog treten, der ihm die Vergangenheit wieder vor Augen
führt. Dies ist der methodische Ansatz vorliegender Publikation, in der an Hand von
110 exemplarisch ausgewählten Bauten die Geschichte Augsburgs im Nationalsozialismus verortet wird. Auf wenig beachtete oder verdrängte Bereiche wie beispielsweise
die Rüstungsindustrie, das Lagersystem oder der kommunistische Widerstand wurde
dabei besonderes Augenmerk gerichtet.
Ein besonderer Dank geht an die Autoren, die zumeist ehrenamtlich ihre Bereiche recherchierten und die Texte verfassten, an Franz Häußler für die Überlassung von Bildmaterial sowie an das Büro für visuelle Kommunikation für die termingerechte
eindringliche grafische Gestaltung. Ohne den unermüdlichen Einsatz und das große
Engagement von Barbara Wolf und Alexandra Schmid wäre das Projekt nicht zustande
gekommen, ihnen gebührt der größte Dank. Dieser zehnte Band der Schriftenreihe
des Architekturmuseums Schwaben ist Ernst Berschet gewidmet, dem Gründer und
stetigen Förderer des Museums, der sich die Ausstellung gewünscht hatte, die er nun
leider nicht mehr sehen kann.
Winfried Nerdinger
Architekturmuseum Schwaben
Oliver Kautz und Ulrich Wilhelm
Arno-Buchegger-Stiftung
7
Stadtverwaltung
1 Bürgermeister Kellner spricht am Jahrestag
der Machtergreifung 1934
8
Die Augsburger Stadtverwaltung war
während der NS-Diktatur eine der tragenden Säulen für das Regime. Sie
sorgte dafür, dass die Absichten der
Staatsführung um Adolf Hitler im Alltag
der Bürgerinnen und Bürger konkrete
Auswirkungen hatten: Von der Müllabfuhr über Mietwohnungen, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Kindergärten, Eheschließungen, Schwimmbäder, Theater und Museen, Straßenbahn
und Stromversorgung bis hin zu Friedhöfen – überall trat der NS-Staat den
Menschen in Gestalt der kommunalen
Ämter und Betriebe gegenüber.
In den Wochen nach der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 drängten die
Nationalsozialisten auch in den Städten
und Kommunen an die Schalthebel der
Macht. In Augsburg gab die demokratisch legitimierte Spitze der Stadtverwaltung dem Druck bald nach. Wenige nationalsozialistische Funktionäre genügten, um
das Rathaus den Zwecken des Regimes rasch dienstbar zu machen. Neuer Oberbürgermeister wurde zunächst Eduard Stoeckle, der jedoch bereits nach einem knappen
Jahr sein Amt wieder abgeben musste, weil er das Vertrauen von Gauleiter Karl Wahl
verloren hatte. Als sein Nachfolger rückte der Zweite Bürgermeister Josef Mayr nach,
dessen Stellvertreter wurde der bisherige Personalchef Matthias Kellner. Beide waren
erst durch die Machtergreifung in kommunale Spitzenpositionen gelangt und zeichneten sich sowohl durch langjährig erworbene Meriten im Dienst der NSDAP als auch
durch Verwaltungskönnen aus. Auch die wenigen neuen Referatsleiter waren keine
Nichtskönner in Uniform, sondern ebenso ideologisch überzeugt wie fachlich versiert.
Drei Referatsleiter aus der Zeit der Weimarer Republik behielten ihre Posten, mussten
aber machtpolitisch gewichtige Zuständigkeiten an ihre neuen Kollegen abgeben.
In der zweiten Reihe der Stadtverwaltung, also unter den Leitern der städtischen Ämter,
gab es kein personelles Revirement. Mayr setzte erfolgreich auf Anreize, um die Leistungsfähigkeit der Beamten in die gewünschten Bahnen zu lenken: Wer im Sinne des
„Führers“ mitdachte und in seinem Zuständigkeitsbereich die NS-Ziele konsequent
verfolgte, konnte mit Beförderung rechnen, auch wenn er erst spät oder sogar überhaupt nicht in die Partei eintrat. So wurde die Stadtverwaltung als Ganzes zu einem
effizienten Instrument, um die Ziele der NS-Politik in Augsburg zur Geltung zu bringen,
obwohl das Personal statistisch messbar nur oberflächlich „nazifiziert“ war.
Das gesellschaftspolitische Leitbild der Stadtverwaltung war die so genannte „Volksgemeinschaft“. Dieser Begriff zielte darauf ab, dass die Verbundenheit mit einer Rasseeinheit alle Standes- und Klassenunterschiede bedeutungslos werden lasse. Diese
Rasseeinheit verband sowohl die lebenden als auch bereits verstorbene Generationen;
außerdem präge sie durch Vererbung körperliche und charakterliche Eigenschaften
der Individuen. Ausgeschlossen aus der „Volksgemeinschaft“ waren Juden, so genannte „Asoziale“, körperlich und geistig behinderte Menschen und überhaupt alle
Personen, deren Verhalten und Einstellung nicht mit den nationalsozialistischen Glaubenssätzen konform ging.
Um den Menschen das neue Leitbild einzuprägen und es erfahrbar zu machen, setzte
die Stadtverwaltung alle ihr zu Gebote stehenden staatlichen Machtmittel ein. Dabei
kooperierte sie eng mit den zahlreichen Dienststellen der NSDAP. Zwar gab es oft
genug Streit mit den sehr selbstbewusst auftretenden und oft von tiefem Misstrauen
gegen die Verwaltung erfüllten Parteifunktionären auf allen Ebenen. Doch über die
Ziele nationalsozialistischer Kommunalpolitik waren sich beide Seiten stets einig. Um
diese mit maximaler Effizienz zu erreichen, passte die Stadtverwaltung Gesetze und
Verordnungen an die örtlichen Verhältnisse an. So wendete in Augsburg beispielsweise
die Jugendfürsorge den Sozialrassismus der „Volksgemeinschafts“-Ideologie schon
längst an, bevor es ein entsprechendes Reichsgesetz gab. Mit den Mitteln der Bürokratie etablierte die Stadtverwaltung auf diese Weise neue Regeln des Denkens und
wandelte die Normalität schleichend im Sinne der neuen Machthaber um. Heraus kam
eine Ordnung, die auf Gewalt gebaut war und Gewalt legitimierte, die Menschen systematisch und konsequent ausschloss, bis hin zu ihrer physischen Vernichtung.
Im Krieg übernahm die Stadtverwaltung die Aufgabe, die „Heimatfront“ zu organisieren,
das heißt sie betreute die Daseinsfürsorge der Stadtbevölkerung, deren Lage – trotz
großer Leistungsbereitschaft und Improvisationstalents – immer prekärer wurde. Als
der Luftkrieg ab 1942 das Reichsgebiet zum Kriegsschauplatz machte, bereitete sich
die Stadtverwaltung systematisch auf einen größeren Angriff vor. Doch als alliierte
Bomberverbände in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 weite Teile der Stadt
in Schutt und Asche legten, herrschte das blanke Chaos. Dennoch gelang es der Stadtverwaltung, in den folgenden Monaten eine notdürftige Ordnung aufrechtzuerhalten,
die bis in die letzten Tage des NS-Regimes hielt.
Als amerikanische Truppen am 28. April 1945 die Gauhauptstadt erreichten, verhandelten sie über den Akt der Übergabe mit Oberbürgermeister Mayr. Bis zur letzten Minute folgte die Stadtverwaltung der Maxime, zu funktionieren und die Ordnung
aufrechtzuerhalten, auch wenn das Regime, dem sie diente, zu diesem Zeitpunkt nur
noch eine Fassade war. BG
Literatur:
Gotto, Nationalsozialistische Kommunalpolitik, 2006
Cramer-Fürtig & Gotto (Hgg.), „Machtergreifung“
in Augsburg, 2008
Gruner, Die Kommunen im Nationalsozialismus,
in: Reichardt & Seibel (Hgg.): Der prekäre Staat,
2011, S. 167–211
Mecking & Wirsching (Hgg.), Stadtverwaltung
im Nationalsozialismus, 2005
9
2 Augsburg vor der Reichstagswahl im November 1933
10
Rathaus
1615 -1620, Elias Holl
1944 zerstört, Wiederaufbau
1980-1984 Rekonstruktion Fassade und Goldener Saal
Im März 1933, zwei Monate nachdem Adolf Hitler in Berlin zum Reichskanzler ernannt
worden war, rückte in Augsburg das prachtvolle Renaissance-Bauwerk von Elias Holl
ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Nationalsozialisten mussten das Rathaus symbolisch für sich einnehmen, um die „nationale Revolution“ auch in lokale Machtverhältnisse zu übersetzen. Im Stadtrat hatten sie keine Mehrheit. Deshalb verfolgten sie
ihr Ziel mit Druck und Drohungen, aber ohne revolutionäre Gewalt. Diese Strategie
führte dazu, dass am 9. März 1933, unter lahmem und folgenlosem Protest der demokratisch legitimierten Stadtspitze, die Hakenkreuzfahne vom Rathausbalkon wehte.
In den folgenden Wochen erlebten vor allem kommunistische und sozialdemokratische
Stadtverordnete, aber auch ihre Kollegen von der Bayerischen Volkspartei (BVP), Drangsalierungen und Gewalttaten der neuen Machthaber, bis der Stadtrat faktisch zu einem
Akklamationsorgan der neuen Doppelspitze der Stadtverwaltung umgeformt worden
war. Sie bestand aus Otto Bohl, seit 1930 Oberbürgermeister für die BVP, und dem
Nationalsozialisten Josef Mayr, der bis dahin in der Stadtkämmerei gearbeitet und außerdem eine Bilderbuchkarriere als NS-Funktionär im Gau Schwaben aufzuweisen
hatte. Gemeinsam stellten sie die Weichen, um die Stadtverwaltung zu einem zentralisierten und straff organisierten Exekutivapparat im Dienst der NS-Politik zu formen.
Bohls Versuch, sich den neuen Herren anzudienen, machte ihn zum Handlanger der
NS-Diktatur, rettete ihm jedoch nicht sein Amt. Er musste zurücktreten, wurde jedoch
mit einem gut dotierten Posten außerhalb Augsburgs weitaus besser abgefunden als
die große Mehrheit seiner Kollegen.
1934 trat Mayr endgültig an die Spitze der kommunalen Behörde. Er erwartete von
den ihm unterstellten Beamten und Angestellten eine verhältnismäßig geringe politische Anpassungsleistung, forderte jedoch unbedingte Leistungsbereitschaft, damit alle
städtischen Behörden die NS-Doktrin auf ihren Handlungsfeldern wirksam machten.
Das Rathaus war der symbolische Ort für die Selbstinszenierung des Regimes im städtischen Rahmen. So präsentierte sich Hitler bei seinen Besuchen in Augsburg 1935
und 1937 auf dem Rathausbalkon; im Goldenen Saal richtete ihm die Stadt einen
Empfang aus. Dort stellte Oberbürgermeister Mayr 1939 auch die Pläne für die Umgestaltung Augsburgs vor. Die Dienststellen der Stadtverwaltung selbst befanden sich
nicht im Rathaus, sondern waren dezentral in mehreren Verwaltungsgebäuden über
das Stadtgebiet verteilt. Nur zu besonderen Anlässen wie etwa dem „Jahresabschlussappell“ kamen die städtischen Bediensteten im Rathaus zusammen.
In der Nacht des 25. Februar 1944 bombardierten alliierte Luftverbände die schwäbische Gauhauptstadt und zerstörten große Teile der Stadt. Auch das Rathaus brannte
bis auf die Grundmauern nieder. BG
Literatur:
Gotto, Machtergreifung per Dienstanweisung, in: Mayrhofer & Opll (Hgg.),
Stadt und Nationalsozialismus, 2008, S. 183–216
Gotto, Stabilisierung von unten, in: Mecking & Wirsching (Hgg.),
Stadtverwaltung im Nationalsozialismus, 2005, S. 23–49
Mecking, „Immer treu“, 2003
Tüffers, Der braune Magistrat, 2004
3 Aufmarsch der SA am Tag der Machtergreifung
4 Menschenmenge vor dem Rathaus, 9.3.1933
5 Augsburger Rathaus, 2012
Abbildung nächste Seite:
6 Maximilianstraße mit Rathaus und Perlach, 1938
11
7 Verleumdung jüdischer Geschäftsleute in der NNZ, März 1933
14
Finanzamt Augsburg
Ehemals fürstbischöfliches Kastenamt
15. Jahrhundert, barockisierender Anbau um 1920
Peutingerstraße 25
Das Finanzamt Augsburg-Stadt unterstand als Teil der Reichsfinanzverwaltung dem
Landesfinanzamt beziehungsweise dem Oberfinanzpräsidium München. Die auf den
ersten Blick „unpolitische“ Behörde war jedoch ein zentraler Teil des nationalsozialistischen Unrechtssystems. Sie verweigerte Personen und Institutionen, die in der völkischen Ideologie des nationalsozialistischen Regimes keinen Platz fanden, die
wichtigsten Grundprinzipien der Finanzverwaltung: das Allgemeinheitspostulat und
Neutralitätsprinzip sowie Leistungsbezogenheit, Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit der
Besteuerung. So lautet Paragraph 1, Satz 1 im Steueranpassungsgesetz vom Oktober
1934: „Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen.“ Leitende Grundsätze der nationalsozialistischen Steuergesetzgebung waren der
Gemeinnutz- und Rassegedanke. Steuerpflichtige, die in dieses System passten – wie
kinderreiche „arische“ Familien – wurden protegiert, diejenigen, die die Kriterien nicht
erfüllten, wurden im besten Fall „nur“ schlechter gestellt, im schlechtesten Fall ausgebeutet und enteignet. So wurde mit der Realsteuerreform von 1936 für die Einstufung einer Person als „bedürftig“ nur noch die wirtschaftliche Situation herangezogen,
nicht aber die körperliche und geistige Konstitution. Steuerliche Diskriminierung traf
unter anderem ausländische „Fremd“- und Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, jüdische
Kultusgemeinden, die Zeugen Jehovas. Die Beschlagnahmung der Vermögen von
Augsburger Juden lief zunächst im Alltagsgeschäft des Augsburger Finanzamts mit,
wurde aber mit Beginn der Deportationen 1941 im Oberfinanzpräsidium München
zentralisiert. Zur Finanzierung des Krieges wurde bei der Bevölkerung Kaufkraft
abgeschöpft.
Die Finanzbeamten sind ein Musterbeispiel für die Funktion des öffentlichen Dienstes
im Dritten Reich. Wenn sie auch mit ihren Handlungen offiziell „im Recht“ waren, sorgten sie doch für Unrecht, Diskriminierung oder den „Finanztod“. Dass sie es für nötig
hielten, die Anwendung von Ermessensspielräumen als widerständiges Verhalten zu
stilisieren, zeigt, dass ihnen bewusst war, einem Unrechtsregime zu dienen. So argumentierte Otto Heerdt, von 1938 bis 1945 Vorstand des Finanzamtes Augsburg-Stadt,
in seinem Entnazifizierungsverfahren, dass er die Besteuerung katholischer Institutionen gemindert habe. Ebenso habe er versucht, die Besteuerung der Fugger’schen
Stiftungen zu verhindern. Bezeichnenderweise nahm er aber nicht für sich in Anspruch,
Juden geschützt oder Kranke und Behinderte milde besteuert zu haben. Otto Heerdt
wurde als Mitläufer eingestuft. KH
Quellen:
Einwohnerbuch, 1933–1943, 1946
StadtAA, Meldekarte Otto Heerdt
StAA, SpKA Stadt Augsburg II+IV, H 324
SuStb, AZ, 20.6.1963, 21.6.1963
8 NNZ vom 18.3.1933
9 Peutingerstraße 25, Finanzamt, 1920er-Jahre
10 Peutingerstraße 25, 2012
Literatur:
Drecoll, Der Fiskus als Verfolger, 2009
Kuller, Finanzverwaltung und
Judenverfolgung, 2008
Pausch, Von der Reichsschatzkammer; 1969
Schmid, „Finanztod“, in: Paul & Mallmann
(Hgg.), Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg,
2000, S. 141-154
Voß, Steuern im Dritten Reich, 1995
15
Personenregister
A/B
Achatz, Georg
Ackermann, Friedrich
Adlhoch, Hans (Johann)
Ammenhäuser, Erich
Arnold, Albert
Arnold, Anna
Arnold, Arthur
Arnold, Benno
Arnold, Grete
Aßhauer, Hilde
Bach, Edmund
Bach, Ralph
Baudoin, Luise
Bauer, Ludwig
Baumgarten, Paul
Becker, Dr. Willy
Bellmann, Anna
Bellmann, Kurt
Benjamin, Walter
Berger, Wally
Bernheimer, Alfred
Bernheimer, Lotte
Bernheimer, Louis
Bernheimer, Otto
Bestelmeyer, German
Bloch, Helmut (Henry)
Boecker, Franz
Bogner, Willy
Bohl, Otto
Bollack, Jette
Bollack, Josefine
Bollack, Julius
Bollack, Pauline
Bollack, Rosa
Bösch, Gottfried
Buchegger, Sebastian
Bullemer, Ludwig
Bürklein, Friedrich
Burrow, Gernot
35, 229
53
65, 219, 227
121
183
183
183
183
183
43
175
175
43
85
75
75
180
180
57
191
167
50
167
50
62
175
177
211
11
168
168
168
168
168
124
211
95
81
79
C/D/E
Cofran, Everett S.
Croneiß, Theo
Dann, Albert
169
135
157
252
Delp, Alfred
Deuter, Hans
Donner, Magda
Dreifuß, Amalie
Dreifuß, Ludwig
Dreifuß, Ida
Dreifuß, Rolf (Ralph A. Dreike)
Dreifuß, Samuel
Dreike, Ralph A. (Rolf Dreifuß)
Dürr, Hermann
Eckart, Dietrich
Ehmann, Karl
Eichmann, Adolf
Eickmann, Sofie
Eickmann, Theodor
Einstein, Gustav
Einstoß, Simon
Eisenmeier, Robert
Eitel, Friedrich
Eitel, Hans
Eitel, Karl
Eitel, Maria
Endras, Clemens
Englaender, Dr. Paul
Englaender, Hedwig
Epp, Franz von
Esser, Hermann
219, 227
123
45, 187
169
169, 189
169
169
169
169
168, 185, 195, 227
71
201
51
175
175
50
52
122
181
181
181
181
121
197
197
73
65, 81
F/G
Fabian, Dr. Julius
Farnbacher, Ernst
Farnbacher, Frieda
Farnbacher, Fritz
Farnbacher, Gertrud
Farnbacher, Matthias
Farnbacher, Otto
Farnbacher, Rudolf
Farnbacher, Simon
Feder, Gottfried
Fehn, Franz
Felder, Josef
Fellner, Ferdinand
Filser, Richard
Fischer, Christian
Fischer, Hans
Fischer, Ludwig
Fischer, Theodor
190
196
196
196
196
196
196
196
196
65
35
198, 211
75
120
121
121
185
159
Fränkl, Mathias
Freilinger, Alois
Freyberger, Walter
Frick, Wilhelm
Frieb, Hermann
Frisch, Fritz
Frisch, Nikodemus jun.
Frisch, Nikodemus sen.
Fritsch, Theodor
Gärtner, Friedrich von
Geer, Leon
Gerne, Paul
Gerstle, August
Gesswein, Hans
Giehse, Therese
Giesler, Hermann
Gift, Max
Goebbels, Joseph
Göhlert, Ernst
Golisch, Albert
Gollwitzer, (Johann) Georg
Gollwitzer, Karl Albert
Göring, Hermann
Graf, Jakob
Grausmann, Heinrich
Grill, Martin
Gunetzrhainer, Johann Baptist
Guttmann, Hermann 1
H/I/J
Hadamovsky, Eugen
Hagen, Wilhelm von
Haid, Christoph
Hausmann, Leonhard
Heerdt, Otto
Heidenkampf, Jakob
Helmer, Hermann
Heß, Rudolf
Hesse, Franz
Hesselberger, Hugo
Hesselberger, Maria
Himmler, Heinrich
Hitler, Adolf
Hitzler, Karl
Högg, Clemens
Hohenner, Richard
124
102, 153
99
65
215
125
125
125
171
161
75
129, 144, 193
180
67
185
61, 62, 81, 159
185
56/57
62
185, 185
29, 119
119
73, 97, 103, 116, 135
101
191
217
73
66
69
53
171
198, 201
15
63
75
73, 135
35
195
195
37, 150
11, 27, 36, 41, 43, 47, 57, 61,
71, 73, 75, 81, 90, 101, 223
209
53, 198, 213
93
Holl, Elias
Holzer, Otto
Hörmann, Dr. Josef
Hosp, Johann
Humann-Hainhofen, Rolf von
Huntzinger, Liesel
Immler, Wendelin
Jack, Albert
Jakob, Ernst I.
Jehle, Hans
Jenning, Luitpold
11, 19, 20
67
229
119, 129
55
43
51, 181
120, 187, 197
157
113
51, 181
K/L
Kaeppel, Adam
Kahn, Alfred
Kahn, Aron
Kahn, Berthold
Kaiser, Eduard
Kalbitz, Leopold
Katzenstein, Ernst
Katzenstein, Josephine
Keller, Adam
Keller, Jean
Kellner, Matthias
Kirchmayer, Albert
Klemm, Karl
Knappich, Jakob
Knappich, Walter
Knoeringen, Waldemar von
Koch, Ludwig
Kolbeck, Lorenz
Kollmann, Franz Joseph
Krauß, Walter
Kumpfmüller, Josef
Kunstmann, Josef
Kurz, Cornelius
Lagarde, Paul de
Lampert, Luise
Landauer, Elsbeth
Landauer, Fritz
Landauer, Hugo
Landauer, Julius
Landauer, Otto
Landauer, Paul
Lang, Josef
Lang, Dr. Rudolf
Lehnert, Hans
175
183
183
183
145
101, 125, 127
177
177
189
69, 119, 120
8
38
223
127
127
215
217
217
29
168, 185, 195, 227
221
227
101
171
45
193
159
185
185
37
193
221
35
217
253
Lentze, Dr. Carl
Lerchenthal, Dr. Robert
Ley, Robert
Leybold, Ludwig
Linder, Georg
Lloyd, Harold
Lömpel, Heinrich
Löwenheim, Walter
Loritz, Hans
M/N/O
Maendle, David
Maendle, Fanny
Manz, Philipp Jakob
Marx, Salomon
Mauder, Dr. Bruno
Mayr, Josef
185
180
219
43, 73, 221
69
73
159
215
55, 211, 213
Messerschmitt, Willy
Metzger, Dr. Max Josef
Michel, Johann
Moltke, Helmuth J. Graf von
Moninger, Johann
Motzet, Michael
Mühlhauser, Cilly
Mühlhauser, David
Müller, Hans
Mündler, Anton
Napoleon III.
Nerdinger, Eugen
Noack-Mosse, Eva
Nolan, Anna
Oberdorfer, Emma
Oberdorfer, Eugen
Oehmichen, Walter
Ohlendorf, Willi
Olsen, Resl
Ott, Wilhelm
191
190, 191
119, 120
190, 191
17
8/9, 11, 25, 35, 39, 61,
93, 109, 112, 229
135
199
139
227
161
209
189
189
205
35, 39
87
215, 227
52
198, 205
190
190
79
217
43
169
P/R
Pabst, Erich
Payot, Erna
Pezold, Lore
Pfeiffer, Dr. Philipp
Pflaunlacher, Saly
Piccard, Auguste
Polatschek, Emanuel
75, 79
177
53
189
193
73
190
254
Priester, Albert
Priester, Aloisia
Pröll, Alois
Pröll, Anna
Pröll, Friedrich
Pröll, Josef
Raff, Dr. Julius
Raff, Paula
Rehm, Hans
Reiser, Max
Reisert, Dr. Franz
Reitmayer, Ulrich
Reuter, Theodor
Riefenstahl, Leni
Riehm, Heinrich
Ritter, Gertrud
Ritter, Hans
Röhler, Albin
Röhm, Ernst
Rost, Hans
Rottmann, Eduard
Rüber, Eduard
Rüdiger, Dr. Jutta
181
181
209
205
209
205, 209
181
181
172
39
227
73, 89
23
63
116
195
195
185
36
59
101
81
43
S/T
Sachs, Hugo
Sachs, Theodore
Sailer, Xaver
Sametschek, Gottlieb
Satzger, Alphons
Schirach, Baldur von
Schlageter, Albert Leo
Schlelein, Nikolaus
Schmitt, Otto-Michael
Schneider, Gallus
Schneller, Georg
Schroff, Franz Xaver
Schuhmann, Jakob
Schulz, Heinrich
Schunck, Heinz
Schwab, Max
Schwarz, Franz-Xaver
Schweighart, Julius
Schwelle, Georg
Seiler, Dr. Hans
Setzer, Anton
Sewald, Dr. Josef
124
124
227
62, 85
221
43, 73
71
211
105
36, 187
191
59
89
43
101
190
187
129
205
19
229
59, 107
Siebert, Ludwig Georg
Simon, Georg
Sperr, Franz
Spiro, Georg
Stauffenberg,
Claus Schenk Graf von
Stein, Alfred
Stein, Berta
Stein, Ferdinand
Stein, Ilse
Stein, Lieselotte
Stein, Martha
Steinfeld, Hugo
Steinfeld, Lina
Steinhauser, Paul
Stetten, Anna Barbara von
Stoeckle, Eduard
Strauss, Richard
Stumpf, August
Sturm, Anna
Sturm, Günter
Sturm, Ilse
Sturm, Max
Sturm, Walter
Sturzenegger, Heinrich
Stuttgart, Josef
Stuttgart, Wilhelm
Teutsch, Dr. Arthur
Teutsch, Klara
U/V/W/Z
Ulrich, August
Vogg, Alois
Wager, Bebo (Josef)
Wagner, Adolf
Wagner, Josef
Wahl, Karl
Walch, Anna
Walch, Johann
Wanner, Maximilian
Wassermann, Karl
Wechs, Thomas
Weichenberger, Anna
Wenzel, Anton
Wernecker, Alexander
Wernthaler, Karl
95
211, 213
227
193
Wichtendahl, Wilhelm
Wiedemann, Emil
Wimpfheimer, Jakob
Zimmermann, Xaver
Zumbusch, C. K. Ritter von
129, 135
197
197
209
87
227
189
189
189
189
189
189
197
197
90, 109
45
8
73, 79
107
197
197
197
197
197
47, 103, 201
223
223
190
190
211, 213
229
198, 213, 215, 227
55
198, 203
8, 25, 35, 36, 39, 59, 61,
81, 97, 99, 109, 135
217
217
120, 187
190
91
209
145
196
53
255

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