Bauten erinnern Augsburg in der NS-Zeit
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Bauten erinnern Augsburg in der NS-Zeit
Bauten erinnern Augsburg in der NS-Zeit Herausgegeben für das Architekturmuseum Schwaben und die Arno-Buchegger-Stiftung von Winfried Nerdinger in Zusammenarbeit mit Barbara Wolf und Alexandra Schmid Dietrich Reimer Verlag Berlin Inhalt Schriften des Architekturmuseums Schwaben Band 10 Winfried Nerdinger (Hg.) in Zusammenarbeit mit Barbara Wolf und Alexandra Schmid Lektorat: Eva-Maria Müller, Augsburg Redaktionsbüro/Kultur- und Projektmanagement Bildredaktion: Stefanie Engelhardt, Joachim Rudy, Alexandra Schmid, Barbara Wolf Umschlagabbildungen: Sammlung Franz Häußler, Augsburg Gestaltung, Bildbearbeitungen und DTP-Satz: Büro für visuelle Kommunikation, Augsburg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Druck und Verarbeitung: Druckhaus Köthen © 2012 by Dietrich Reimer Verlag GmbH, Berlin www.reimer-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Broschierte Ausgabe erhältlich im Architekturmuseum Schwaben ISBN 978-3-496-01473-7 (Buchhandelsausgabe Hardcover) Vorwort 7 Stadtverwaltung Rathaus Finanzamt Augsburg Arbeitsamt Augsburg Städtisches Wohlfahrtsamt Kriegswirtschaftsstellen Erbgesundheitsgericht Justizgebäude Gesundheitsamt Augsburg-Stadt Gesundheitsamt Augsburg-Land Städtisches Krankenhaus Stadtmarkt Riedingerhaus 8 11 15 17 19 20 21 23 25 27 29 31 35 NSDAP-Organisationen NSDAP-Ortsgruppen NSDAP-Gauleitung Schwaben Hitlerjugend (HJ) Bund Deutscher Mädel (BDM) NS-Mütterschule Gauwaltung der DAF – „Haus der Deutschen Arbeit“ Sturmabteilung (SA) Schutzstaffel (SS) Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) Geheime Staatspolizei (Gestapo) Gestapo-Gefängnis „Katzenstadel“ Der Polizist und KZ-Kommandant Hans Loritz 36 38 39 41 43 45 47 49 50 51 52 53 55 Versammlungen, Kultur und Propaganda Neue National-Zeitung Gauforum Reichsbahndirektionsgebäude Emelka-Palast Sängerhalle Ludwigsbau Saalbau Herrle Adolf-Hitler-Platz Hotel Drei Mohren 56 59 61 62 63 65 67 69 71 73 Augsburger Stadttheater Freilichtbühne am Roten Tor Hauptbahnhof Autobahnbrücke Sieges- und Friedensdenkmal HJ-Heim 75 79 81 85 87 89 Wohnungsbau Siedlung Hammerschmiede Siedlung Kleestraße Bärenkellersiedlung Siedlung des Volkes Wohnanlage im Hochfeld Messerschmitt-Siedlung Wohnungen für Mitarbeiter der MAN Wohnungen im Rahmen der Altstadtsanierung Wohnblock an der Remboldstraße Wohnhaus Gauleiter Wahl 90 93 95 97 99 101 102 103 105 107 109 Kasernenneubauten Somme-, Arras- und Panzerjäger-Kaserne Flak-Kaserne Infanterie-, Luftnachrichten- und Heeresnachrichtenkaserne 110 112 113 Rüstungsindustrie und Wehrwirtschaft Augsburger Kammgarn-Spinnerei Martini & Cie Ballonfabrik Augsburg J. P. Bemberg AG Hans Deuter Alpine AG Eisengießerei und Maschinenfabrik Augsburg Eisenwerke Gebrüder Frisch KG Augsburg Maschinenfabrik Keller & Knappich GmbH MAN AG Zahnräderfabrik Augsburg Messerschmitt AG Michelwerke 116 119 120 121 122 123 115 124 125 127 129 133 135 139 Das Lagersystem Zwangsarbeit Betriebseigene Lager Sammellager 2 Sammellager 4 und Lager der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Sammellager 5 Entbindungslager für Ostarbeiterinnen Arbeiterkrankenbaracken Kriegsgefangenenlager der Stadt Augsburg 140 140 143 144 145 146 147 148 149 KZ-Außenlager KZ-Außenlager Haunstetten KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee KZ-Außenlager Augsburg-Michelwerke 150 153 154 155 Jüdisches Leben Synagoge Augsburg Synagoge Kriegshaber „Judenhäuser” Jüdischer Friedhof Kriegshaber Jüdischer Friedhof Hochfeld Beth Chaluz Israelitische Gaststätte Bollack Ludwig Dreifuß (1883-1960) Judenberg 156 159 161 163 165 166 167 168 169 171 „Arisierung“ von Wohn- und Geschäftshäusern Bach & Bloch – Spinnerei & Weberei Heinrich Kuhn – Herren- und Knabenbekleidung Bankgeschäft August Gerstle oHG Jüdisches Altersheim Kahn & Arnold – Spinnerei & Weberei am Sparrenlech Brüder Landauer AG Loge „Augusta“ Reiheneckhaus Alfred Stein Emanuel Polatschek – Schuhhaus “Mercedes“ Salomon Marx – Möbel und Raumausstattung Heinrich Grausmann – Damenkonfektionsgeschäft 172 175 177 180 181 183 185 187 189 190 191 Kaufhaus Schocken Villa Hesselberger Wernecker & Farnbacher – Kurz-, Galanteriewaren und Spielzeughandlung Geschäfts- und Wohnhaus Wimpfheimer & Cie 193 195 Widerstand Gaststätte „Arbeiterheim“ Kino „Schauburg“ Plärrer Michel’sche Hasenfarm Schwäbische Volkszeitung Wohnung Clemens Högg Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) Wohnung Anna und Johann Walch Katholisches Arbeitersekretariat und Volksbüro Bischöfliches Jugendseelsorgeamt – Wohnung Alphons Satzger Wohnung Wilhelm Stuttgart Wohnung Dr. Franz Reisert Blindenschule 198 201 203 205 209 211 213 215 217 219 221 223 227 229 Anhang Autoren Abkürzungen Literatur Quellen Abbildungsnachweis Personenregister 230 230 230 232 243 247 252 196 197 Vorwort Bauten erinnern an den Nationalsozialismus in Augsburg Augsburg war keine Stadt wie jede andere. Die alte Arbeiterstadt wehrte sich gegen den aufkommenden Rassismus und Rechtsradikalismus, bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 lag hier der Stimmenanteil für die Nationalsozialisten 14,2 Prozent, und sogar im März 1933 noch 11,6 Prozent unter dem Landesdurchschnitt. Dann stieg die Stadt der Metall- und Textilfabriken mit dem Aufbau der Messerschmitt-Werke und der Produktion von Dieselmotoren für U-Boote und LKWs bei MAN zu einem Rüstungszentrum auf und wurde zur Gauhauptstadt befördert. Die Geschichte Augsburgs während der NS-Zeit ist noch nicht geschrieben, vorliegende Publikation verfolgt einen besonderen Weg, die Erinnerung an diese Zeit im Gedächtnis zu bewahren, denn es gilt die Mahnung von Primo Levi: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Wer von Eltern, Lehrern oder Zeitgenossen authentisch und ehrlich über die NS-Zeit informiert wurde, auf den übertrug sich die Intensität des Erlebten. Diese spezifische Vermittlung von Historie durch Zeitzeugen kann nicht übernommen und von der nächsten Generation weitergetragen werden, denn es fehlt das persönliche Erlebnis, das Mitteilungen zu existentiellen Aussagen macht. Mit dem allmählichen Verschwinden der Zeitzeugen geht somit unwiederbringlich auch eine Form der augenscheinlich bezeugten Vermittlung verloren, die über geschichtliche Dokumente gleich welcher Art nicht ersetzbar ist. Auch historische Orte, Räume und Bauten können diesen Verlust nicht kompensieren, aber als „materielle Zeitzeugen“ bilden sie ein authentisches Bindeglied zu den Ereignissen, denn ihre Substanz reicht in die Vergangenheit zurück und somit verbürgen sie: „Hier ist es gewesen.“ Die Verortung von NS-Geschichte in Bauten und Räumen hilft, Erinnerung zu bewahren. Der authentische Ort ermöglicht zum einen, sich der Geschichte im Raum anzunähern, und zum anderen das Erinnern zu intensivieren, denn mit dem Ort kann der Inhalt verknüpft und besser im Gedächtnis verankert werden. Orte und Bauten sprechen allerdings nicht von sich aus zu uns, sie sind stumme Zeugen; aber für wen sich einmal ein Ort mit Geschichte gefüllt hat, der wird den Inhalt nicht mehr so leicht vergessen, der wird mit Bauten, an denen er bislang achtlos vorbeigegangen ist, in einen Dialog treten, der ihm die Vergangenheit wieder vor Augen führt. Dies ist der methodische Ansatz vorliegender Publikation, in der an Hand von 110 exemplarisch ausgewählten Bauten die Geschichte Augsburgs im Nationalsozialismus verortet wird. Auf wenig beachtete oder verdrängte Bereiche wie beispielsweise die Rüstungsindustrie, das Lagersystem oder der kommunistische Widerstand wurde dabei besonderes Augenmerk gerichtet. Ein besonderer Dank geht an die Autoren, die zumeist ehrenamtlich ihre Bereiche recherchierten und die Texte verfassten, an Franz Häußler für die Überlassung von Bildmaterial sowie an das Büro für visuelle Kommunikation für die termingerechte eindringliche grafische Gestaltung. Ohne den unermüdlichen Einsatz und das große Engagement von Barbara Wolf und Alexandra Schmid wäre das Projekt nicht zustande gekommen, ihnen gebührt der größte Dank. Dieser zehnte Band der Schriftenreihe des Architekturmuseums Schwaben ist Ernst Berschet gewidmet, dem Gründer und stetigen Förderer des Museums, der sich die Ausstellung gewünscht hatte, die er nun leider nicht mehr sehen kann. Winfried Nerdinger Architekturmuseum Schwaben Oliver Kautz und Ulrich Wilhelm Arno-Buchegger-Stiftung 7 Stadtverwaltung 1 Bürgermeister Kellner spricht am Jahrestag der Machtergreifung 1934 8 Die Augsburger Stadtverwaltung war während der NS-Diktatur eine der tragenden Säulen für das Regime. Sie sorgte dafür, dass die Absichten der Staatsführung um Adolf Hitler im Alltag der Bürgerinnen und Bürger konkrete Auswirkungen hatten: Von der Müllabfuhr über Mietwohnungen, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Kindergärten, Eheschließungen, Schwimmbäder, Theater und Museen, Straßenbahn und Stromversorgung bis hin zu Friedhöfen – überall trat der NS-Staat den Menschen in Gestalt der kommunalen Ämter und Betriebe gegenüber. In den Wochen nach der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 drängten die Nationalsozialisten auch in den Städten und Kommunen an die Schalthebel der Macht. In Augsburg gab die demokratisch legitimierte Spitze der Stadtverwaltung dem Druck bald nach. Wenige nationalsozialistische Funktionäre genügten, um das Rathaus den Zwecken des Regimes rasch dienstbar zu machen. Neuer Oberbürgermeister wurde zunächst Eduard Stoeckle, der jedoch bereits nach einem knappen Jahr sein Amt wieder abgeben musste, weil er das Vertrauen von Gauleiter Karl Wahl verloren hatte. Als sein Nachfolger rückte der Zweite Bürgermeister Josef Mayr nach, dessen Stellvertreter wurde der bisherige Personalchef Matthias Kellner. Beide waren erst durch die Machtergreifung in kommunale Spitzenpositionen gelangt und zeichneten sich sowohl durch langjährig erworbene Meriten im Dienst der NSDAP als auch durch Verwaltungskönnen aus. Auch die wenigen neuen Referatsleiter waren keine Nichtskönner in Uniform, sondern ebenso ideologisch überzeugt wie fachlich versiert. Drei Referatsleiter aus der Zeit der Weimarer Republik behielten ihre Posten, mussten aber machtpolitisch gewichtige Zuständigkeiten an ihre neuen Kollegen abgeben. In der zweiten Reihe der Stadtverwaltung, also unter den Leitern der städtischen Ämter, gab es kein personelles Revirement. Mayr setzte erfolgreich auf Anreize, um die Leistungsfähigkeit der Beamten in die gewünschten Bahnen zu lenken: Wer im Sinne des „Führers“ mitdachte und in seinem Zuständigkeitsbereich die NS-Ziele konsequent verfolgte, konnte mit Beförderung rechnen, auch wenn er erst spät oder sogar überhaupt nicht in die Partei eintrat. So wurde die Stadtverwaltung als Ganzes zu einem effizienten Instrument, um die Ziele der NS-Politik in Augsburg zur Geltung zu bringen, obwohl das Personal statistisch messbar nur oberflächlich „nazifiziert“ war. Das gesellschaftspolitische Leitbild der Stadtverwaltung war die so genannte „Volksgemeinschaft“. Dieser Begriff zielte darauf ab, dass die Verbundenheit mit einer Rasseeinheit alle Standes- und Klassenunterschiede bedeutungslos werden lasse. Diese Rasseeinheit verband sowohl die lebenden als auch bereits verstorbene Generationen; außerdem präge sie durch Vererbung körperliche und charakterliche Eigenschaften der Individuen. Ausgeschlossen aus der „Volksgemeinschaft“ waren Juden, so genannte „Asoziale“, körperlich und geistig behinderte Menschen und überhaupt alle Personen, deren Verhalten und Einstellung nicht mit den nationalsozialistischen Glaubenssätzen konform ging. Um den Menschen das neue Leitbild einzuprägen und es erfahrbar zu machen, setzte die Stadtverwaltung alle ihr zu Gebote stehenden staatlichen Machtmittel ein. Dabei kooperierte sie eng mit den zahlreichen Dienststellen der NSDAP. Zwar gab es oft genug Streit mit den sehr selbstbewusst auftretenden und oft von tiefem Misstrauen gegen die Verwaltung erfüllten Parteifunktionären auf allen Ebenen. Doch über die Ziele nationalsozialistischer Kommunalpolitik waren sich beide Seiten stets einig. Um diese mit maximaler Effizienz zu erreichen, passte die Stadtverwaltung Gesetze und Verordnungen an die örtlichen Verhältnisse an. So wendete in Augsburg beispielsweise die Jugendfürsorge den Sozialrassismus der „Volksgemeinschafts“-Ideologie schon längst an, bevor es ein entsprechendes Reichsgesetz gab. Mit den Mitteln der Bürokratie etablierte die Stadtverwaltung auf diese Weise neue Regeln des Denkens und wandelte die Normalität schleichend im Sinne der neuen Machthaber um. Heraus kam eine Ordnung, die auf Gewalt gebaut war und Gewalt legitimierte, die Menschen systematisch und konsequent ausschloss, bis hin zu ihrer physischen Vernichtung. Im Krieg übernahm die Stadtverwaltung die Aufgabe, die „Heimatfront“ zu organisieren, das heißt sie betreute die Daseinsfürsorge der Stadtbevölkerung, deren Lage – trotz großer Leistungsbereitschaft und Improvisationstalents – immer prekärer wurde. Als der Luftkrieg ab 1942 das Reichsgebiet zum Kriegsschauplatz machte, bereitete sich die Stadtverwaltung systematisch auf einen größeren Angriff vor. Doch als alliierte Bomberverbände in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 weite Teile der Stadt in Schutt und Asche legten, herrschte das blanke Chaos. Dennoch gelang es der Stadtverwaltung, in den folgenden Monaten eine notdürftige Ordnung aufrechtzuerhalten, die bis in die letzten Tage des NS-Regimes hielt. Als amerikanische Truppen am 28. April 1945 die Gauhauptstadt erreichten, verhandelten sie über den Akt der Übergabe mit Oberbürgermeister Mayr. Bis zur letzten Minute folgte die Stadtverwaltung der Maxime, zu funktionieren und die Ordnung aufrechtzuerhalten, auch wenn das Regime, dem sie diente, zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Fassade war. BG Literatur: Gotto, Nationalsozialistische Kommunalpolitik, 2006 Cramer-Fürtig & Gotto (Hgg.), „Machtergreifung“ in Augsburg, 2008 Gruner, Die Kommunen im Nationalsozialismus, in: Reichardt & Seibel (Hgg.): Der prekäre Staat, 2011, S. 167–211 Mecking & Wirsching (Hgg.), Stadtverwaltung im Nationalsozialismus, 2005 9 2 Augsburg vor der Reichstagswahl im November 1933 10 Rathaus 1615 -1620, Elias Holl 1944 zerstört, Wiederaufbau 1980-1984 Rekonstruktion Fassade und Goldener Saal Im März 1933, zwei Monate nachdem Adolf Hitler in Berlin zum Reichskanzler ernannt worden war, rückte in Augsburg das prachtvolle Renaissance-Bauwerk von Elias Holl ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Nationalsozialisten mussten das Rathaus symbolisch für sich einnehmen, um die „nationale Revolution“ auch in lokale Machtverhältnisse zu übersetzen. Im Stadtrat hatten sie keine Mehrheit. Deshalb verfolgten sie ihr Ziel mit Druck und Drohungen, aber ohne revolutionäre Gewalt. Diese Strategie führte dazu, dass am 9. März 1933, unter lahmem und folgenlosem Protest der demokratisch legitimierten Stadtspitze, die Hakenkreuzfahne vom Rathausbalkon wehte. In den folgenden Wochen erlebten vor allem kommunistische und sozialdemokratische Stadtverordnete, aber auch ihre Kollegen von der Bayerischen Volkspartei (BVP), Drangsalierungen und Gewalttaten der neuen Machthaber, bis der Stadtrat faktisch zu einem Akklamationsorgan der neuen Doppelspitze der Stadtverwaltung umgeformt worden war. Sie bestand aus Otto Bohl, seit 1930 Oberbürgermeister für die BVP, und dem Nationalsozialisten Josef Mayr, der bis dahin in der Stadtkämmerei gearbeitet und außerdem eine Bilderbuchkarriere als NS-Funktionär im Gau Schwaben aufzuweisen hatte. Gemeinsam stellten sie die Weichen, um die Stadtverwaltung zu einem zentralisierten und straff organisierten Exekutivapparat im Dienst der NS-Politik zu formen. Bohls Versuch, sich den neuen Herren anzudienen, machte ihn zum Handlanger der NS-Diktatur, rettete ihm jedoch nicht sein Amt. Er musste zurücktreten, wurde jedoch mit einem gut dotierten Posten außerhalb Augsburgs weitaus besser abgefunden als die große Mehrheit seiner Kollegen. 1934 trat Mayr endgültig an die Spitze der kommunalen Behörde. Er erwartete von den ihm unterstellten Beamten und Angestellten eine verhältnismäßig geringe politische Anpassungsleistung, forderte jedoch unbedingte Leistungsbereitschaft, damit alle städtischen Behörden die NS-Doktrin auf ihren Handlungsfeldern wirksam machten. Das Rathaus war der symbolische Ort für die Selbstinszenierung des Regimes im städtischen Rahmen. So präsentierte sich Hitler bei seinen Besuchen in Augsburg 1935 und 1937 auf dem Rathausbalkon; im Goldenen Saal richtete ihm die Stadt einen Empfang aus. Dort stellte Oberbürgermeister Mayr 1939 auch die Pläne für die Umgestaltung Augsburgs vor. Die Dienststellen der Stadtverwaltung selbst befanden sich nicht im Rathaus, sondern waren dezentral in mehreren Verwaltungsgebäuden über das Stadtgebiet verteilt. Nur zu besonderen Anlässen wie etwa dem „Jahresabschlussappell“ kamen die städtischen Bediensteten im Rathaus zusammen. In der Nacht des 25. Februar 1944 bombardierten alliierte Luftverbände die schwäbische Gauhauptstadt und zerstörten große Teile der Stadt. Auch das Rathaus brannte bis auf die Grundmauern nieder. BG Literatur: Gotto, Machtergreifung per Dienstanweisung, in: Mayrhofer & Opll (Hgg.), Stadt und Nationalsozialismus, 2008, S. 183–216 Gotto, Stabilisierung von unten, in: Mecking & Wirsching (Hgg.), Stadtverwaltung im Nationalsozialismus, 2005, S. 23–49 Mecking, „Immer treu“, 2003 Tüffers, Der braune Magistrat, 2004 3 Aufmarsch der SA am Tag der Machtergreifung 4 Menschenmenge vor dem Rathaus, 9.3.1933 5 Augsburger Rathaus, 2012 Abbildung nächste Seite: 6 Maximilianstraße mit Rathaus und Perlach, 1938 11 7 Verleumdung jüdischer Geschäftsleute in der NNZ, März 1933 14 Finanzamt Augsburg Ehemals fürstbischöfliches Kastenamt 15. Jahrhundert, barockisierender Anbau um 1920 Peutingerstraße 25 Das Finanzamt Augsburg-Stadt unterstand als Teil der Reichsfinanzverwaltung dem Landesfinanzamt beziehungsweise dem Oberfinanzpräsidium München. Die auf den ersten Blick „unpolitische“ Behörde war jedoch ein zentraler Teil des nationalsozialistischen Unrechtssystems. Sie verweigerte Personen und Institutionen, die in der völkischen Ideologie des nationalsozialistischen Regimes keinen Platz fanden, die wichtigsten Grundprinzipien der Finanzverwaltung: das Allgemeinheitspostulat und Neutralitätsprinzip sowie Leistungsbezogenheit, Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit der Besteuerung. So lautet Paragraph 1, Satz 1 im Steueranpassungsgesetz vom Oktober 1934: „Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen.“ Leitende Grundsätze der nationalsozialistischen Steuergesetzgebung waren der Gemeinnutz- und Rassegedanke. Steuerpflichtige, die in dieses System passten – wie kinderreiche „arische“ Familien – wurden protegiert, diejenigen, die die Kriterien nicht erfüllten, wurden im besten Fall „nur“ schlechter gestellt, im schlechtesten Fall ausgebeutet und enteignet. So wurde mit der Realsteuerreform von 1936 für die Einstufung einer Person als „bedürftig“ nur noch die wirtschaftliche Situation herangezogen, nicht aber die körperliche und geistige Konstitution. Steuerliche Diskriminierung traf unter anderem ausländische „Fremd“- und Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, jüdische Kultusgemeinden, die Zeugen Jehovas. Die Beschlagnahmung der Vermögen von Augsburger Juden lief zunächst im Alltagsgeschäft des Augsburger Finanzamts mit, wurde aber mit Beginn der Deportationen 1941 im Oberfinanzpräsidium München zentralisiert. Zur Finanzierung des Krieges wurde bei der Bevölkerung Kaufkraft abgeschöpft. Die Finanzbeamten sind ein Musterbeispiel für die Funktion des öffentlichen Dienstes im Dritten Reich. Wenn sie auch mit ihren Handlungen offiziell „im Recht“ waren, sorgten sie doch für Unrecht, Diskriminierung oder den „Finanztod“. Dass sie es für nötig hielten, die Anwendung von Ermessensspielräumen als widerständiges Verhalten zu stilisieren, zeigt, dass ihnen bewusst war, einem Unrechtsregime zu dienen. So argumentierte Otto Heerdt, von 1938 bis 1945 Vorstand des Finanzamtes Augsburg-Stadt, in seinem Entnazifizierungsverfahren, dass er die Besteuerung katholischer Institutionen gemindert habe. Ebenso habe er versucht, die Besteuerung der Fugger’schen Stiftungen zu verhindern. Bezeichnenderweise nahm er aber nicht für sich in Anspruch, Juden geschützt oder Kranke und Behinderte milde besteuert zu haben. Otto Heerdt wurde als Mitläufer eingestuft. KH Quellen: Einwohnerbuch, 1933–1943, 1946 StadtAA, Meldekarte Otto Heerdt StAA, SpKA Stadt Augsburg II+IV, H 324 SuStb, AZ, 20.6.1963, 21.6.1963 8 NNZ vom 18.3.1933 9 Peutingerstraße 25, Finanzamt, 1920er-Jahre 10 Peutingerstraße 25, 2012 Literatur: Drecoll, Der Fiskus als Verfolger, 2009 Kuller, Finanzverwaltung und Judenverfolgung, 2008 Pausch, Von der Reichsschatzkammer; 1969 Schmid, „Finanztod“, in: Paul & Mallmann (Hgg.), Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg, 2000, S. 141-154 Voß, Steuern im Dritten Reich, 1995 15 Personenregister A/B Achatz, Georg Ackermann, Friedrich Adlhoch, Hans (Johann) Ammenhäuser, Erich Arnold, Albert Arnold, Anna Arnold, Arthur Arnold, Benno Arnold, Grete Aßhauer, Hilde Bach, Edmund Bach, Ralph Baudoin, Luise Bauer, Ludwig Baumgarten, Paul Becker, Dr. Willy Bellmann, Anna Bellmann, Kurt Benjamin, Walter Berger, Wally Bernheimer, Alfred Bernheimer, Lotte Bernheimer, Louis Bernheimer, Otto Bestelmeyer, German Bloch, Helmut (Henry) Boecker, Franz Bogner, Willy Bohl, Otto Bollack, Jette Bollack, Josefine Bollack, Julius Bollack, Pauline Bollack, Rosa Bösch, Gottfried Buchegger, Sebastian Bullemer, Ludwig Bürklein, Friedrich Burrow, Gernot 35, 229 53 65, 219, 227 121 183 183 183 183 183 43 175 175 43 85 75 75 180 180 57 191 167 50 167 50 62 175 177 211 11 168 168 168 168 168 124 211 95 81 79 C/D/E Cofran, Everett S. Croneiß, Theo Dann, Albert 169 135 157 252 Delp, Alfred Deuter, Hans Donner, Magda Dreifuß, Amalie Dreifuß, Ludwig Dreifuß, Ida Dreifuß, Rolf (Ralph A. Dreike) Dreifuß, Samuel Dreike, Ralph A. (Rolf Dreifuß) Dürr, Hermann Eckart, Dietrich Ehmann, Karl Eichmann, Adolf Eickmann, Sofie Eickmann, Theodor Einstein, Gustav Einstoß, Simon Eisenmeier, Robert Eitel, Friedrich Eitel, Hans Eitel, Karl Eitel, Maria Endras, Clemens Englaender, Dr. Paul Englaender, Hedwig Epp, Franz von Esser, Hermann 219, 227 123 45, 187 169 169, 189 169 169 169 169 168, 185, 195, 227 71 201 51 175 175 50 52 122 181 181 181 181 121 197 197 73 65, 81 F/G Fabian, Dr. Julius Farnbacher, Ernst Farnbacher, Frieda Farnbacher, Fritz Farnbacher, Gertrud Farnbacher, Matthias Farnbacher, Otto Farnbacher, Rudolf Farnbacher, Simon Feder, Gottfried Fehn, Franz Felder, Josef Fellner, Ferdinand Filser, Richard Fischer, Christian Fischer, Hans Fischer, Ludwig Fischer, Theodor 190 196 196 196 196 196 196 196 196 65 35 198, 211 75 120 121 121 185 159 Fränkl, Mathias Freilinger, Alois Freyberger, Walter Frick, Wilhelm Frieb, Hermann Frisch, Fritz Frisch, Nikodemus jun. Frisch, Nikodemus sen. Fritsch, Theodor Gärtner, Friedrich von Geer, Leon Gerne, Paul Gerstle, August Gesswein, Hans Giehse, Therese Giesler, Hermann Gift, Max Goebbels, Joseph Göhlert, Ernst Golisch, Albert Gollwitzer, (Johann) Georg Gollwitzer, Karl Albert Göring, Hermann Graf, Jakob Grausmann, Heinrich Grill, Martin Gunetzrhainer, Johann Baptist Guttmann, Hermann 1 H/I/J Hadamovsky, Eugen Hagen, Wilhelm von Haid, Christoph Hausmann, Leonhard Heerdt, Otto Heidenkampf, Jakob Helmer, Hermann Heß, Rudolf Hesse, Franz Hesselberger, Hugo Hesselberger, Maria Himmler, Heinrich Hitler, Adolf Hitzler, Karl Högg, Clemens Hohenner, Richard 124 102, 153 99 65 215 125 125 125 171 161 75 129, 144, 193 180 67 185 61, 62, 81, 159 185 56/57 62 185, 185 29, 119 119 73, 97, 103, 116, 135 101 191 217 73 66 69 53 171 198, 201 15 63 75 73, 135 35 195 195 37, 150 11, 27, 36, 41, 43, 47, 57, 61, 71, 73, 75, 81, 90, 101, 223 209 53, 198, 213 93 Holl, Elias Holzer, Otto Hörmann, Dr. Josef Hosp, Johann Humann-Hainhofen, Rolf von Huntzinger, Liesel Immler, Wendelin Jack, Albert Jakob, Ernst I. Jehle, Hans Jenning, Luitpold 11, 19, 20 67 229 119, 129 55 43 51, 181 120, 187, 197 157 113 51, 181 K/L Kaeppel, Adam Kahn, Alfred Kahn, Aron Kahn, Berthold Kaiser, Eduard Kalbitz, Leopold Katzenstein, Ernst Katzenstein, Josephine Keller, Adam Keller, Jean Kellner, Matthias Kirchmayer, Albert Klemm, Karl Knappich, Jakob Knappich, Walter Knoeringen, Waldemar von Koch, Ludwig Kolbeck, Lorenz Kollmann, Franz Joseph Krauß, Walter Kumpfmüller, Josef Kunstmann, Josef Kurz, Cornelius Lagarde, Paul de Lampert, Luise Landauer, Elsbeth Landauer, Fritz Landauer, Hugo Landauer, Julius Landauer, Otto Landauer, Paul Lang, Josef Lang, Dr. Rudolf Lehnert, Hans 175 183 183 183 145 101, 125, 127 177 177 189 69, 119, 120 8 38 223 127 127 215 217 217 29 168, 185, 195, 227 221 227 101 171 45 193 159 185 185 37 193 221 35 217 253 Lentze, Dr. Carl Lerchenthal, Dr. Robert Ley, Robert Leybold, Ludwig Linder, Georg Lloyd, Harold Lömpel, Heinrich Löwenheim, Walter Loritz, Hans M/N/O Maendle, David Maendle, Fanny Manz, Philipp Jakob Marx, Salomon Mauder, Dr. Bruno Mayr, Josef 185 180 219 43, 73, 221 69 73 159 215 55, 211, 213 Messerschmitt, Willy Metzger, Dr. Max Josef Michel, Johann Moltke, Helmuth J. Graf von Moninger, Johann Motzet, Michael Mühlhauser, Cilly Mühlhauser, David Müller, Hans Mündler, Anton Napoleon III. Nerdinger, Eugen Noack-Mosse, Eva Nolan, Anna Oberdorfer, Emma Oberdorfer, Eugen Oehmichen, Walter Ohlendorf, Willi Olsen, Resl Ott, Wilhelm 191 190, 191 119, 120 190, 191 17 8/9, 11, 25, 35, 39, 61, 93, 109, 112, 229 135 199 139 227 161 209 189 189 205 35, 39 87 215, 227 52 198, 205 190 190 79 217 43 169 P/R Pabst, Erich Payot, Erna Pezold, Lore Pfeiffer, Dr. Philipp Pflaunlacher, Saly Piccard, Auguste Polatschek, Emanuel 75, 79 177 53 189 193 73 190 254 Priester, Albert Priester, Aloisia Pröll, Alois Pröll, Anna Pröll, Friedrich Pröll, Josef Raff, Dr. Julius Raff, Paula Rehm, Hans Reiser, Max Reisert, Dr. Franz Reitmayer, Ulrich Reuter, Theodor Riefenstahl, Leni Riehm, Heinrich Ritter, Gertrud Ritter, Hans Röhler, Albin Röhm, Ernst Rost, Hans Rottmann, Eduard Rüber, Eduard Rüdiger, Dr. Jutta 181 181 209 205 209 205, 209 181 181 172 39 227 73, 89 23 63 116 195 195 185 36 59 101 81 43 S/T Sachs, Hugo Sachs, Theodore Sailer, Xaver Sametschek, Gottlieb Satzger, Alphons Schirach, Baldur von Schlageter, Albert Leo Schlelein, Nikolaus Schmitt, Otto-Michael Schneider, Gallus Schneller, Georg Schroff, Franz Xaver Schuhmann, Jakob Schulz, Heinrich Schunck, Heinz Schwab, Max Schwarz, Franz-Xaver Schweighart, Julius Schwelle, Georg Seiler, Dr. Hans Setzer, Anton Sewald, Dr. Josef 124 124 227 62, 85 221 43, 73 71 211 105 36, 187 191 59 89 43 101 190 187 129 205 19 229 59, 107 Siebert, Ludwig Georg Simon, Georg Sperr, Franz Spiro, Georg Stauffenberg, Claus Schenk Graf von Stein, Alfred Stein, Berta Stein, Ferdinand Stein, Ilse Stein, Lieselotte Stein, Martha Steinfeld, Hugo Steinfeld, Lina Steinhauser, Paul Stetten, Anna Barbara von Stoeckle, Eduard Strauss, Richard Stumpf, August Sturm, Anna Sturm, Günter Sturm, Ilse Sturm, Max Sturm, Walter Sturzenegger, Heinrich Stuttgart, Josef Stuttgart, Wilhelm Teutsch, Dr. Arthur Teutsch, Klara U/V/W/Z Ulrich, August Vogg, Alois Wager, Bebo (Josef) Wagner, Adolf Wagner, Josef Wahl, Karl Walch, Anna Walch, Johann Wanner, Maximilian Wassermann, Karl Wechs, Thomas Weichenberger, Anna Wenzel, Anton Wernecker, Alexander Wernthaler, Karl 95 211, 213 227 193 Wichtendahl, Wilhelm Wiedemann, Emil Wimpfheimer, Jakob Zimmermann, Xaver Zumbusch, C. K. Ritter von 129, 135 197 197 209 87 227 189 189 189 189 189 189 197 197 90, 109 45 8 73, 79 107 197 197 197 197 197 47, 103, 201 223 223 190 190 211, 213 229 198, 213, 215, 227 55 198, 203 8, 25, 35, 36, 39, 59, 61, 81, 97, 99, 109, 135 217 217 120, 187 190 91 209 145 196 53 255