Die letzte Metro

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Die letzte Metro
Die letzte Metro
Farbig. Frankreich 1980. Produktion: du Carrosse/Andrea/S.E.D.I.F./S.F.P. Verleih: Filmverlag der Autoren.
Regie: Francois Truffaut. Buch: Francois Truffaut, Suzanne Schiffman. Kamera: Nestor Almendros. Musik:
Georges Delerue. Darsteller: Catherine Deneuve, Gerard Depardieu, Jean Poiret, Andrea Ferreol, Heinz Bennent.
131 Min. FSK: ab 12; feiertagsfrei.
Meinung des Kritikers:
Das Pariser Theater in den Jahren der deutschen Okkupation, ein noch in keiner Buchveröffentlichung gesamthaft
behandeltes Thema, hat der 1932 geborene Francis Truffaut in den Mittelpunkt seines Films gestellt. Von den Fakten
dürfte Truffaut, der beim Einmarsch der Amerikaner im August 1944 gerade zwölf Jahre alt gewesen war, nicht viel
mitbekommen haben, aber das Klima jener Zeit mit Verdunkelung und Polizeikontrollen, Schwarzmarkt und Widerstand,
mit Judenverfolgung und der abendlichen Hatz zum letzten Metro scheint er aufgenommen zu haben. Dokumentarisch
belegt ist allein die Ohrfeige, die ein Kritiker des pronazistisch-antisemitischen Blattes „Je suis parteut" von einem
Schauspieler erhalten hatte: Es war Jean Marais gewesen, der 1941 in einem Schwarzmarkt ¬Restaurant am Boulevard
des Batignolles den Theaterkritiker Alain Laubreaux angespuckt und anschließend auf der Straße mit dessen eigenem
Regenschirm blutig geschlagen hatte. Da Laubreaux einmal unter dem Pseudonym Daxiat ein Theaterstück über Stavisky
geschrieben hatte, ist ihm durch Truffaut auch im Film der Name Daxiat gegeben. Es ist die einzige Übernahme
nachweisbarer Fakten in diesem Film.
Ein Theätre Montmatre, in dem die Handlung spielen soll, gibt es nicht mehr, seit es 1922 in die Hände von Charles
Dullin übergegangen und in Théâtre de l'Atelier umbenannt wurde. Im Jahre 1941, als der Film spielt, war es bereits die
Bühne von Andrea Barsacq, einem Exilrussen, der keine Schwierigkeiten mit den deutschen Behörden hatte. Näher liegt
eine Beziehung zum Théâtre Hebertot am Boulevard des Batignolles, dicht bei dem genannten Schwarzmarktrestaurant,
in dem es damals um Jean Cocteau und sein gerade bei Hebertot gespieltes Stück.
„Die Schreibmaschine" zu jener handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Marais und Laubreaux gekommen war.
Ein Bühnenstück mit dem Titel „La disparue" (Die Vermisste) von einem norwegischen Autor, das damals dort geprobt
worden sein soll, oder auch nur irgendein ähnlicher Titel oder vergleichbarer Autor ist im Pariser Theaterleben der
Okkupationsjahre nirgendwo nachweisbar. Zwar war Louis Jouvet in dieser Zeit auf eine jahrelange Südamerikatournee
gegangen, aber dass einjüdischer Theaterdirektor angeblich dorthin ausgewandert, in Wahrheit jedoch im Theaterkeller
versteckt gewesen sei und durch einen Lüftungsschacht jedes auf der Bühne gesprochene Wort habe hören können und
seinerseits die laufenden Inszenierungen geleitet habe, scheint ja nun doch etwas allzu kintopphafte Kolportage zu sein.
Aber es ist die Zeit von Nacht und Nebel, des Zwielichts und im Untergrund, der eingeschränkten Beleuchtung und leider
allzu oft auch der verdunkelten Herzen. Diese Atmosphäre von Frankreichs schwarzen Jahren sind durch die
Ausleuchtung der Szenen, ja selbst mit der dem französischen Film in der Vichy-Zeit auferlegten Sparsamkeit mittels
weitgehendem Verzicht auf Außenaufnahmen und äußerste Zurückhaltung bei Szenenwechsel und damit kostspieligen
Atelierbauten so getroffen, wie eben nur ein eifriger Kinogänger wie Truffaut es zu rekonstruieren vermag. In den damals
von Leo Marjane oder Lucienne Delyle gesungenen Schlagern ist die Farbe der Zeit ebenso eingefangen. Unter den zehn
Cesars, der höchsten französischen Filmauszeichnung, die Truffauts Werk erhalten hat, befinden sich zu Recht auch die
für Kameraführung, Ausstattung, Ton und Schnitt, sowie auch die für die beste Schauspielerin und den besten
Schauspieler.
Zwar ist Truffaut auch der Cesar für die beste Regieleistung zuteil geworden, doch scheint für Truffauts Art bezeichnend,
dass er den Regisseur Steiner, einen vor den Nazis aus Deutschland geflüchteten Juden, für die anderen unsichtbar aus
seinem Kellerversteck agieren lässt. Die Arbeit des Regisseurs hat für die Außenwelt unsichtbar zu bleiben, und
höchstens eben die Filmkamera kann ihn bei. dieser Inszenierung einer Inszenierung sichtbar werden lassen. Es gibt in
diesem Film keine regielichen Bravourstücke, keine in eine Cine-Anthologie aufzunehmenden Paradebeispiele, sondern
eine perfekte Teamarbeit, die durch ihre Solidität, Sensibilität und künstlerische Intelligenz überzeugt. Obwohl der
Hauptdarsteller als vom Grand-Guignol ans Théâtre Montmatre verpflichtet bezeichnet wird, sind selbst heikle Szenen
wie die Hausdurchsuchung im Theater und seinem Keller durch die Gestapo oder die Verhaftung eines
Widerstandsfreundes dieses Schauspielers in einer Kirche nicht mit Grand-Guignol-Effekten gezeichnet, sondern an die
glaubhaft mögliche Wirklichkeit gehalten.
Zur zeitpolitischen Umwelt und zur Selbstdarstellung des Theaters kommt als dritter Themenkreis noch eine
Liebesgeschichte. Madame Steiner, eine Nichtjüdin, die in Abwesenheit ihres Mannes das Theater leitet, muss mit den
Deutschen auszukommen suchen und ihren Anordnungen entsprechen; nicht einmal vor der Bemerkung, sie wolle keine
jüdischen Schauspieler an ihrem Theater, schreckt sie zurück. Zu ihrem Bühnenpartner gewinnt sie ein vertrautes
Verhältnis, doch während sie den Weg einer bedingten Kollaboration geht, tritt er in die Resistance ein. Als sie sich nach
der Befreiung die Hände reichen, sind es nicht nur (ähnlich wie in „Jules und Jim") der Mann, die Ehefrau und der
Hausfreund, sondern auch der verfolgte deutsche Jude, die unter dem Druck der Situation zur Kollaborateurin gewordene
Französin und der Widerstandskämpfer.
USE
Stellungnahme der Kommission:
Während der deutschen Besetzung von Paris wird im Theater „Montmatre" ein neues Stück geprobt. Da der
Leiter, ein Deutscher und Jude, sich im Keller versteckt halten muss, versucht seine Frau, die Gefahren der
politischen Lage und menschliche Komplikationen zu meistern und das Theater weiterzuführen. In subtilem
Ausgleich von Heiterem und Tragischem greifen Spiel und Wirklichkeit ineinander und reflektieren so das
Verhältnis von Politik und Kultur. - Sehenswert.