PITTI UOMO FLORENZ 15. - 18. Juni 2010: Zwischen

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PITTI UOMO FLORENZ 15. - 18. Juni 2010: Zwischen
TEXTINATION NEWSLINE
22.06.2010
PITTI UOMO FLORENZ 15. – 18. Juni 2010
Zwischen harmonischer Abstimmung und gewollten Brüchen
Die traditionelle Messe für
Männermode PITTI UOMO in
Florenz spielt als Trendinformation und Stimmungsbarometer der Branche
weiterhin eine gewichtige Rolle. Das meint
der Pitti Immagine-CEO Raffaello Napoleone.
Dabei setzt der Veranstalter immer mehr auf
die wachsende Bedeutung der kleineren kreativen Unternehmen. Das konnte der Beobachter bestätigen. Der PITTI UOMO bleibt für
die Männerwelt attraktiv. Auf 59.000 Quadratmetern wurden 890 Kollektionen (33% aus
dem Ausland) der Saison Sommer 2011 über
30.000 Fachbesuchern präsentiert.
Der soeben zu Ende gegangene 78. PITTI zeigte, dass der MenswearSommer 2011 lässig,
leicht und farbig wird.
Viele gewaschene Teile,
behandelte Stoffe, unkonstruierte Sakkos,
smarte Kombinationen, geschmackvoll aufeinander abgestimmte Farben und eine dezente Annäherung der Stile lassen von einem
Camouflage-Look sprechen. Mix ist das Motto.
Es erwächst eine Vielzahl an Möglichkeiten
des Kombinierens, auch Klassik mit Sportswear. Diese Tendenzen
ziehen sich fast durch alle Kollektionen, jedoch
unterschiedlich interpretiert. Vielfach unterscheiden sich die einzelnen
Angebote erst durch die
interessanten Details wie
farbige Paspeln, Kon© Textination GmbH
trastfutter und aufgesetzte Bänder oder das
teilweise sophisticated Innenleben, vielfältige
Taschen- und Kragenlösungen – und der gekonnten Umsetzung in die neue Art der Lässigkeit. Dazu gehört in erster Linie die richtige
Stoffwahl beziehungsweise die entsprechende Behandlung des Materials: gewaschene
Schurwolle beim klassischen Anzug, so dass
ein gebrauchter Look entsteht – eine zeitgemäße Klassik, die nicht zu perfekt aussehen
darf.
Mix mit subtiler Raffinesse
Gemischt werden nicht nur vermehrt Stoffe mit Stoffen oder
Stile mit Stilrichtungen, sondern
auch Alt mit Neu. Oder, wie es
Konfektionär Eduard Dressler
ausdrückt: Es gilt modische
Trends mit zeitlosen Werten in Einklang zu
bringen, durch subtile Raffinesse. Kurz: Die
neue Herrenmode muss authentisch sein.
Dazu der englische Konfektionär DAKS:
„Keep classic back“.
Einige interessante Kollektionen im Detail.
Karl Lagerfeld zielt beim Kombinieren zwar
auch in Richtung Mix der unterschiedlichen
Welten, kommt aber frecher daher und steht
eher für Brüche in den Outfits, ironisches
Motto: „Roter Teppich Rocker“. Sein Crossdressing setzt er fort unter der Überschrift
„Rockstar meets Savile Row“, was soviel heißen soll wie Tradition trifft Rebellion.
Dazu zeigt er einen Baumwoll/PolyacrylSmoking mit Schalkragen und bedrucktem TShirt. Ein weiteres Beispiel: BaumwollSmokingjacke mit superschmalen Spitzrevers, dazu kombiniert ein klassisches Hemd
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mit hohem Kragenaufsatz, Perlmuttknöpfen,
darüber hinaus 5-pocket-Lederjeans und
Sneaker aus Vollleder und Rahmen genäht
wie beim klassischen Herrenschuh.
Ferner erwähnenswert ist ein ungefüttertes
Seersucker-Sakko. Ein großes Thema ist
Doubleface, eine leichte Ware mit interessanter Verarbeitung. der Blazer ist außen blauweiß und innen weiß-blau. Lagerfeld empfiehlt auch einen Wendeblouson aus NylonStrick mit Kapuze oder einen Blouson in Vichy-Karo, weißem Hemd mit hohem Kragen á
la Lagerfeld und Krawatte, kombiniert mit
Blue Jeans. Bruch mit der alten Kleidungstradition! Schuhe und Lederaccessoires sind
jetzt ebenfalls in der Angebotspalette von KL.
Blau löst Schwarz ab
Was Farben anbetrifft: Lagerfeld favorisiert lila Töne im
Mix mit Schwarz. In der Tat.
Farbe kommt immer mehr ins
Spiel. Eine große Vielfalt an
neuen Blautönen, von Aqua
bis Indigo, ist zu sehen. Blau
dominiert. Der holländische Modemacher Van
Gils spricht gar von der „Power of Blues“.
Farblich richtig in die Vollen gingen die Special Guests des PITTI, die Designer Jil Sander und Haider Ackermann.
Andere wie das italienische Label Siviglia
mixt Military-Stil mit City-Look und bewirkt eine Art von Tarnung. Es bevorzugt die Farben
Maulbeere, Grün, Himmelblau und Gelb. Die
Kollektion von Henry Cotton, nicht nur in Italien Inbegriff für Casualwear, ist eine interessante Variante für den Austausch der Stile:
Aus Militäruniformen entwickelte
Outlooks zu einem Citydress
nennt man Camouflage.
Daniel Hechter bezeichnet seine
Kollektion „easy to wear“: neue
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Schnitte, gerade Schulterlinie, hohe und markante Taille und ein neuartiges Taschensystem prägen diesen Stil, der ein wenig anders
aussieht und dennoch klassisch anmutet.
„Der Anzug ist getwistet“, nennt man die Casualisierung dort. Kurz: übertriebene Korrektheit ist abgestreift. Farbaussage bei Hechter:
Navy ersetzt Schwarz.
Stoffoptik: unruhig, wie getragen
Die Münchener Designerin Doris Hartwich,
die seit Jahren auf dem PITTI UOMO ausstellt, greift das Thema „bearbeitete Stoffe“
auf, indem sie Patchwork neu interpretiert
und gleiche Materialien in Stücken anders
zusammennäht. Der Stoff wirkt wie gebraucht. In gleicher Richtung ist ein Baumwoll/Leinen-Material
oder
Baumwoll/Metallgarn zu sehen – das ergibt eine
optische Unruhe. Auch wichtig: Jersey.
Spezialitäten der Doris Hartwich: ein Sakko
mit
Mantelkragen
oder gar Dreifachkrägen, ein Blouson
mit Kapuze mit seitlichen
Reißverschlüssen zum Enger- oder Weiterstellen oder als wichtiges
Thema ein Parka mit Kapuze und vielen funktionellen Taschen, auch verschiedenen Ärmeltaschen (für den Architekten?). Wichtige
Themen sind auch hier Jersey und Leder,
das wie Jeans behandelt wird: geschrumpelt.
Eine große Überraschung war der deutsche
Konfektionär Eduard Dressler in Florenz. Die
Firma gilt als erfolgreich, aber modisch eher
dezent. Wann hat es jemals die Farbe Bougainville in der Männermode gegeben?
Dressler hat sie erstmals aufgegriffen und
beim Sakko und der Hose einzeln präsentiert,
sogar als Nadelstreifen beim Manageranzug,
ansonsten lediglich als Akzent.
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Ein Sakko in Bougainville mit
weißer Hose, auch in Verbindung mit der Trendfarbe
Navy, offenbarte eine neue
attraktive Optik. Interessant
ist auch ein Jersey-Blazer
ohne Einlagen und Polster
als Doubleface. Total neu ist
ein Sakko aus „Air Cashmere“ mit 97% Cashmere und
3% Seide. Das Teil wiegt um die 200 Gramm.
Die Seide wird um das Cashmere gezwirnt
und erhält dadurch einen unregelmäßigen Effekt.
Dressler bringt auch ein Teil heraus, das halb
Blouson, halb Sakko ist, ungefüttert aus knitterarmem Nylon, sowie Field- und Overjackets. Wichtig bei allem: die Verbindung von
Funktion, Fashion und Leichtigkeit. Die Farben zeigen hier Navy Blue/Bougainville/Weiß
und klassisches Marineblau, akzentuiert
durch sommerliches Violett und strahlendes
Weiß. Daneben sind diese Sportswear-Outfits
in Carribean Blue/Hazelnut/Anthrazit-Grey
gefertigt.
Sakko wiegt 150 Gramm
Für den italienischen Modemacher Bruno Cucinelli, der
sich der Pflege einer edlen
Kleidung des Mannes verschrieben hat, ist das Thema
Leichtigkeit am wichtigsten.
So bietet er Sakkos an, deren
Stoff nur 150 bis 180 Gramm wiegen, auch
Sportswear-Artikel aus ultra-leichter Baumwolle und Nylon, Leder so dünn wie Papier
und Strick aus „unglaublich leichtgewichtigen
Garnen“. „Da unsere Kleidungsstücke weder
stonewashed, noch Vintage verarbeitet sind,
haben wir versucht, ihnen einen gebrauchten
Look zu verpassen. So wirken sie stumpf und
weniger streng“.
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Aufgelockert sind auch seine klassischen
Baumwoll-Anzüge mit Safari-Taschen auf
dem Oberbein der Hose. Cucinelli-Anzüge
sind sehr Körper betont und sollen überall getragen werden, von jungen Männern, die eine
Universität besuchen oder eine Party und von
reiferen Herren, die an Büro-Sitzungen teilnehmen oder sonstigen geschäftlichen Anlässen.
Die Farbkombinationen gehen von mittleren
bis dunklen Farben in angestaubten Tönen,
ein bisschen Grau, fast immer in Kombination
mit Tabak oder Khaki. Blau wird sehr häufig
geboten, oft zusammen mit Militär-Farben,
Tabak und lebhaftem Blau,
wie Indigo, Denim, aber
auch Pastell. Weiterhin gibt
es viele Nuancen von Rot
(Beere, Myrte) und Grün
(von Militär über Thymian
bis Magnolie). Alles Zwischentöne, die kein krasses
Bild ergeben.
Der Firmenchef meint zuversichtlich: „Wir
sind überzeugt, dass der Anzug bald wieder
zurückkehrt in die Garderobe des Mannes jeden Alters, insbesondere in die Schränke der
jungen in den Dreißigern, die möglicherweise
nur ein Teil für offizielle Anlässe haben“.
Kurt Geisler
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