Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion

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Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion
Journalistenpreis
Bürgerschaftliches Engagement
Marion-Dönhoff-Förderpreis
Ausgezeichnete Beiträge 2005
RO B E RT B O S C H STI F TU N G
Inhalt
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Die Jury 2005
........................................
3
Die Preisträger 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Ausgezeichnete Beiträge
........................
14
Journalistenpreis
Bürgerschaftliches Engagement 2005
1. Preis
......................................
15
2. Preis
......................................
19
3. Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Serienpreis
..................................
27
Serienpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Marion-Dönhoff-Förderpreis
................
69
Festvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Über das Lügen und Stehlen.
Was darf der Journalist? Was will der Leser?
Prof. Dr. h. c. Robert Leicht
Anhang
Ausschreibung 2005
.................................
Preisträger 1998 bis 2004
...........................
76
78
Programm der Preisverleihung
am 3. Dezember 2005
...............................
Die Robert Bosch Stiftung
.......................
82
83
1
Vorwort
Vorwort
„Nur schlechte Nachrichten sind Nachrichten“ – diesen
falt, Engagement und Gespür für soziale und politi-
Satz hört man oft. Und leider dominieren Katastro-
sche Herausforderungen überzeugt.
phenmeldungen aus aller Welt in der Presse. Dem
gegenüber wünschen sich freiwillig Engagierte mehr
In den Beiträgen stehen richtungsweisende gesell-
Anerkennung durch die Medien, so protokolliert im
schaftliche Fragestellungen im Mittelpunkt. Es ist den
zweiten Freiwilligensurvey des Bundesministeriums
Journalisten gelungen, sie dem Leser durch sorgfäl-
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wie dies
tige Recherche herausragender Beispiele einfühlsam
beispielgebend bereits geschieht, dafür setzen die vor-
und sprachlich überzeugend nahezubringen. Die The-
liegenden preisgekrönten Beiträge Maßstäbe.
men werfen Schlaglichter auf harte gesellschaftliche
Fragen und Realitäten – dazu nur die beispielhaften
Den Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engage-
Stichworte „Integration von Migranten“, „Rechts-
ment und den Marion-Dönhoff-Förderpreis verleiht
extremismus“ und „Zusammenleben der Generatio-
die Robert Bosch Stiftung seit dem Jahr 1998, zu-
nen“. Auffallend war in diesem Jahr die höhere
nächst noch unter dem Namen Journalistenpreis
Aufmerksamkeit für Stiftungen als Form bürger-
Ehrenamtliches Engagement. Dies bedeutet keine
schaftlichen Engagements.
Abkehr von der Förderung des Ehrenamts, vielmehr trägt der neue Name auch anderen Formen
Mein Dank geht an die ehrenamtlich arbeitende Jury,
des Engagements Rechnung. Zudem wurden erst-
die wiederum hervorragend und engagiert zusammen-
mals nicht nur Beiträge aus Zeitungen berücksich-
gearbeitet hat. Ich wünsche mir, daß diese Auszeich-
tigt, sondern auch aus Zeitschriften. Die 120 Ein-
nung eine Ermutigung für die Autoren und Redaktio-
sendungen diesen Jahres stellen einen nicht nur
nen bildet, eine Ermutigung, auch künftig würdigend,
quantitativen Höhepunkt dar. Eine besondere
anstiftend und erkenntnisreich über bürgerschaftliches
Freude war die durchweg hohe Qualität der Bei-
Engagement zu berichten. Dies wird uns allen dabei
träge zum Marion-Dönhoff-Förderpreis, der erstma-
helfen, Not und Probleme klar zu erkennen und die
lig als eigenständiger Preis für Volontäre und
Kräfte für ihre Bewältigung zu stärken.
Journalistenschüler ausgeschrieben wurde. Die angehenden Journalisten haben durch Talent, Sorg-
2
Dieter Berg
Stuttgart, Dezember 2005
Die Jury 2005
Die Jury 2005
Gerd Appenzeller Dr. Warnfried
(Vorsitzender)
Dettling
Jürgen
Leinemann
Sergej
Lochthofen
Elisabeth
Niejahr
Carola
Schaaf-Derichs
Tim
Schleider
Gerd Appenzeller (Vorsitzender), Jahrgang 1943, ist
schloß er sein Journalistikstudium an der Leipziger
seit 1999 Redaktionsdirektor des Berliner Tagesspiegel.
Universität als Diplomjournalist ab und arbeitete von
Nach abgeschlossenem Volontariat war der gebürtige
1977 bis 1990 als Nachrichtenredakteur bei der Tages-
Berliner zunächst als Lokalredakteur tätig. 1970 wech-
zeitung Das Volk. Ab Januar 1990 war er Mitglied des
selte er zum Südkurier nach Konstanz und war dort
Redaktionsrates der Thüringer Allgemeine und wurde
seit 1988 Chefredakteur. Er war freier Journalist für
im Februar zum Chefredakteur gewählt.
den Südwestfunk und die Deutsche Welle und u.a. in
Großbritannien, den USA, Südafrika und Israel tätig.
Elisabeth Niejahr, geboren 1965, studierte Volkswirtschaft in Köln und Washington D.C., parallel dazu ver-
Dr. Warnfried Dettling, geboren 1943, lebt als freier
lief ihre Ausbildung an der Kölner Schule für Wirt-
Publizist in Berlin und Waldviertel (Österreich). Nach
schaftsjournalisten. 1993 wurde sie Korrespondentin
dem Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und
für den Spiegel in Bonn, seit Ende 1999 ist sie bei Die
Klassischen Philologie leitet er 1973 bis 1983 die Pla-
Zeit im Berliner Hauptstadtbüro und dort Berichter-
nungsgruppe, später auch die Hauptabteilung Politik
statterin über politische und wirtschaftliche Themen.
in der CDU-Bundesgeschäftsstelle. 1983 bis 1991
war er Ministerialdirektor im Bundesministerium für
Carola Schaaf-Derichs, Jahrgang 1958, ist Ge-
Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.
schäftsführerin der Berliner Landesfreiwilligenagentur Treffpunkt Hilfsbereitschaft. Freiberuflich ist die
Jürgen Leinemann, geboren 1937, hat Geschichte,
Diplomsozialpsychologin darüber hinaus Referentin
Germanistik und Philosophie studiert. Er begann
für Freiwilligen-Management, Beraterin und Organi-
seine journalistische Karriere bei der dpa in Berlin,
sationsentwicklerin. Eines ihrer Ehrenämter ist die
Hamburg und Washington D.C. Seit 1971 arbeitet er
Mitgliedschaft
für den Spiegel. Er war Büroleiter und Reporter in
Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement.
im
Koordinierungsausschuß
des
Washington D.C. und Bonn, zog 1990 nach Berlin
und leitete dort von 1998 bis 2001 das Hauptstadt-
Tim Schleider, geboren 1961, ist seit dem Jahr 2000
büro und das Ressort Deutsche Politik. Seit 2002 ist er
Ressortleiter für Kultur bei der Stuttgarter Zeitung.
Spiegel-Autor im Berliner Büro.
Nach dem Studium von Geschichte, Philosophie und
Kunstgeschichte begann er 1990 beim Deutschen All-
Sergej Lochthofen, geboren 1953 in Workuta/
gemeinen Sonntagsblatt, zunächst als Volontär. Später
Russland (Vater emigrierte in den dreißiger Jahren aus
wurde er dort schließlich stellvertretender Chefred-
politischen Gründen aus Deutschland), ist seit 1990
akteur. 1994/95 war er Pressesprecher der Hambur-
Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen. 1977
ger Kultursenatorin Dr. Christina Weiss.
3
Die Preisträger 2005
Die Preisträger 2005
1. Preis
Hedwig Gafga
„Schlaue Kerle, das sind sie beide“
Chrismon, Juni 2005
studierte
Weiterbildung für Journalisten und wurde freie Mit-
Deutsch, Russisch und Religion an der
arbeiterin beim Deutschen Allgemeinen Sonntags-
Universität Marburg und legte in Ham-
blatt. Als Chrismon-Redakteurin beschäftigt sie sich
burg das zweite Staatsexamen ab. Nach der
jetzt mit Themen aus Religion und Gesellschaft.
Hedwig
Gafga,
49
Jahre,
Geburt ihrer Tochter übernahm sie nebenberuflich unter anderem Lehraufträge für
das Fach Deutsch. 1994 absolvierte sie eine
Laudatio von Tim Schleider, Leiter Kulturredaktion, Stuttgarter Zeitung, Stuttgart
Die wirklich großen Geschichten sind auf den ersten
evangelischen Publizistik in Deutschland. Seine Re-
Blick oft unscheinbar. Jene unscheinbare Geschichte,
dakteure – bis vor kurzem in Hamburg, nun in Frank-
um die es nun geht, beginnt so: „Wie immer kommt
furt am Main – wissen aber sehr genau, daß dieser
der Junge mit einer klitzekleinen Verspätung. Mon-
evangelischen Publizistik vor allem mit einem gedient
tag, fünf Minuten nach 15 Uhr klingelt es an der Tür
ist: nämlich diesseits aller Verkündigung mit gutem
eines Antiquariats in Hannover.“ Es ist die Geschichte
Journalismus.
von Jan Gehlsen und von Aydin. Jan Gehlsen ist ein
Akademiker, ein früherer Uni-Kanzler, der im Ruhe-
Hedwig Gafgas Reportage ist nicht nur guter, sie
stand in seiner kleinen Buchhandlung anspruchsvolle
ist hervorragender Journalismus. Sie offenbart oder
Literatur verkauft. Aydin ist der Sohn persischer Ein-
verkündigt nicht, sondern sie beobachtet und be-
wanderer, der mit seinen 17 Jahren immer noch in der
schreibt. Beobachtet und beschreibt zwei ganz unter-
neunten Hauptschulklasse sitzt, weil es mit dem Ler-
schiedliche Menschen, von denen der eine hilft und
nen einfach nicht gelingen will. Doch eben das kann
dem anderen geholfen wird. Aber sie beschreibt auch,
nun anders werden, denn jede Woche montags um
wie diese Rollen beständig wechseln. Natürlich, wenn
kurz nach drei kommt Aydin in das Antiquariat, um
Jan Gehlsen und Aydin gemeinsam Wilhelm Raabes
gemeinsam mit Jan Gehlsen Bücher zu lesen – und
große Erzählung von der „schwarzen Galeere“ stu-
sich so in einer fremden Welt vielleicht ganz neu, viel-
dieren, dann ist es der Alte, der damit den Jungen in
leicht sogar selbst zu finden.
die Welt der Sprache und des Sprechens, des Ausdrucks, in die Welt der Ideen und Visionen lockt,
Hedwig Gafga erzählt uns all dies in ihrer genau
mehr noch: ihn dort hinein geleitet. Und natürlich
bedachten, genau komponierten Reportage „Schlaue
wird der Alte mit dem Jungen hinterher auch noch
Kerle, das sind sie beide“. Veröffentlicht wurde
Mathematikformeln und Englischvokabeln pauken.
der Artikel in „Chrismon“. Dieses Monatsmagazin,
Aber andererseits: wenn es hier in diesem Antiquariat
das verschiedenen großen Tageszeitungen und der
genau diesen Jungen nicht gäbe, womöglich hätte der
Wochenzeitung „Die Zeit“ beiliegt, ist ein Teil der
ehemalige Kanzler der Uni Hannover nie erfahren,
4
Die Preisträger 2005
was genau es eigentlich mit diesem Harry Potter auf
Begegnung zwischen Menschen immer etwas Zartes,
sich hat. Diese tausend Buchseiten hat Aydin nämlich
auch etwas Zärtliches hat. Und sie bringt den Leser
von ganz allein verschlungen und seinem Mentor vor-
am Ende von drei Magazinseiten dazu, sich ebenso
gestellt.
zu fühlen wie am Schluß eines spannenden Buches:
ein wenig traurig darüber, daß es wirklich schon vor-
Die Geschichte von den zwei Männern, die eben
bei ist.
beide schlaue Kerle sind, ist still und leise. Sie möchte
beim miteinander und voneinander Lernen nicht stö-
Die Jury des Journalistenpreises Bürgerschaftliches
ren. Sie bezeugt aber gerade so, daß es zu den großen
Engagement hat in diesem Jahr unter sehr vielen
Abenteuern in Deutschland zählen kann, wenn ein
sehr guten Geschichten keine gefunden, der sie lieber
junger persischer Mann plötzlich beschließt, nicht
den 1. Preis zuerkennt. Darum geht er mit großer
Fußballprofi, sondern Zahntechniker werden zu wol-
Gratulation an die Reportage „Schlaue Kerle, das sind
len. Sie bezeugt zudem, daß jede wirklich gelungene
sie beide“ von Hedwig Gafga.
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Die Preisträger 2005
2. Preis
Michael Netzhammer
„Ein herzliches Haus“
Rheinischer Merkur, 28. 4. 2005
„Trautes Heim, Glück vereint“
Badische Zeitung, 30. 7. 2005
„Oma Hubbuch mag am liebsten Remmidemmi“
Stuttgarter Zeitung, 9. 9. 2005
Michael Netzhammer, 44 Jahre, hat in Frei-
che Hemisphäre und recherchiert in Südamerika und
burg im Breisgau Politik, Geschichte und
Asien. Zu seinen Kunden gehören Magazine wie
Soziologie studiert. Seit mehr als 14 Jahren
natur & kosmos, Geolino und Tageszeitungen wie
arbeitet er als freier Journalist und be-
Stuttgarter Zeitung, Badische Zeitung oder Neue
schäftigt sich dabei vor allem mit sozialen,
Osnabrücker Zeitung, aber auch Fachzeitschriften.
ökologischen und entwicklungspolitischen
Außerdem produziert er für Rundfunkanstalten wie
Themen. Er bereist regelmäßig die südli-
Deutschlandfunk und Deutsche Welle.
Laudatio von Jürgen Leinemann, Der Spiegel, Berlin
Wir kennen alle diese schrecklichen Meldungen, daß
zeugenden Falles von generationsübergreifender „So-
irgendwo in einem Mehrfamilienhaus ein Bewohner wo-
zialcourage“, wie es einer der Beteiligten ausdrückt:
chenlang tot in seiner Wohnung lag, bevor er – zufällig
Alle Beteiligten gewinnen an Lebensqualität, indem
oder notgedrungen – entdeckt wurde. Was ist das für
sie helfen, ohne Opfer zu bringen.
eine Welt? – fragen wir dann in einem Augenblick des
Erschreckens und der Angst vor dem eigenen Ende.
Michael Netzhammer erzählt diesen Akt praktizierter
Und wir nehmen uns vor: So nicht.
Menschlichkeit erfrischend unpathetisch, nicht belehrend und nicht betüttelnd. Der Jury gefiel, daß es dem
Daß und wie es anders geht, hat Michael Netzham-
Autor gelang, die Menschen des Hauses in der Freibur-
mer in seiner schlichten, eindringlichen Reportage
ger Bleichestraße emotional nahezubringen, ohne in
über Oma Hubbuch beschrieben, die der Jury einhel-
die Sozialschnulze abzurutschen. Daß bürgerschaftli-
lig preiswürdig erschien.
ches Engagement auch ohne organisatorischen Rahmen
möglich ist – und nachahmenswert – fanden sowohl der
Es ist die herzerwärmende Geschichte einer Frei-
Rheinische Merkur als auch die Badische und die Stutt-
burger Hausgemeinschaft, die es einer 93 Jahre alten
garter Zeitung in dieser Geschichte so überzeugend dar-
alleinstehenden Mitbewohnerin durch tägliche Hilfe
gestellt, daß sie nacheinander Michaels Netzhammers
ermöglicht, auch nach einem Herzinfarkt in ihrer
Beitrag abdruckten.
Wohnung bleiben zu können. Der Clou dieses über-
6
Die Preisträger 2005
3. Preis
Antonie Rietzschel, Peter Stawowy
Themenseite „Engagiert gegen dumpfe Parolen“
Spiesser – Die Jugendzeitschrift, Dezemberauflage 2004
Im Alter von 14 Jahren bereits
Peter Stawowy ist Chefredakteur von
startete
Rietzschel,
Spiesser und arbeitet gleichzeitig als Re-
Jahrgang 1986, ihre journalisti-
daktionsleiter der Zeitschrift Prinz Dres-
sche Laufbahn bei der Sächsi-
den. Vor diesen Tätigkeiten koordinierte
schen Zeitung. Seit drei Jahren
er als wissenschaftlich-pädagogischer Mit-
arbeitet sie bei der Jugendzeit-
arbeiter beim Adolf Grimme Institut das
schrift Spiesser als freie Redak-
Projekt „ Jugenddialog Hörfunk und Um-
teurin. Ihr Abitur hat sie dieses
welt“ und war dann, im Anschluß an ein
Antonie
Jahr in Heidenau abgelegt und absolviert seit Sep-
Volontariat, Redakteur beim Kressreport.
tember ein freiwilliges politisches Jahr im Jugendbildungsverein Sachsen. Für Spiesser.de ist sie außerdem
als Chefredakteurin tätig.
Laudatio von Carola Schaaf-Derichs, Geschäftsführerin, Treffpunkt Hilfsbereitschaft e.V., Berlin
Was tun, wenn mancherorts bis zu 18 % der Wähler
Resignation gegenüber rechten Tendenzen in der
und Wählerinnen rechte Parteien wählen?
Gesellschaft veranstalten, aber heute betreiben sie
Lesungen, Konzerte, Gedenkstättenfahrten, Work-
So geschehen als Ergebnis der Europawahlen 1998 in
shops und vieles mehr, um Vorurteile erst gar nicht
der Sächsischen Schweiz. Wer zeigt Zivilcourage, wer
aufkommen zu lassen.
traut sich, öffentlich dagegen anzugehen?
Die Jury hat während ihrer Sitzung intensiv über
Der „Spiesser“ – Ostdeutschlands größte Jugend-
diesen Artikel diskutiert, der ihr in so vielerlei
zeitschrift hat dieses Thema im Dezember 2004
Hinsicht als preiswürdig erscheint: die so allseits
mutig aufgespießt (um gleich die ethymologischen
präsenten, doch schwer greifbaren Themen Frem-
Spielebenen des Namens zu variieren). „Engagiert
denfeindlichkeit, Rassismus, Mobbing couragiert
gegen dumpfe Parolen“ titelt der Beitrag von Anto-
aufzugreifen und aus der Perspektive fast Gleich-
nie Rietzschel, und er berichtet von der Geschichte
altriger hautnah und unprätentiös zu beschreiben,
von vier Jugendlichen, die nichts Geringeres als
das hat auch unser Gespräch beflügelt. Zu zeigen,
eine bürgerschaftliche Initiative, inzwischen sogar
was Jugendliche vor Ort inspiriert hat und was
einen Verein mit dem Namen „Aktion Zivilcou-
sie initiieren konnten – ein wunderbares Beispiel
rage“ in Pirna über die Zeit von sechs Jahren
für die Entwicklungsdynamik eines bürgerschaft-
aufgebaut haben. Sie wollten ursprünglich nur
lichen Initialfunkens. Und journalistisch: mal weg
eine Demonstration gegen Rechts und gegen die
vom „Mainstream“ hin zu subkulturell geformten
7
Die Preisträger 2005
Schreib- und Sprachformen, eine witzige, spritzige
Wir fanden, daß sowohl dieser Beitrag von Antonie
und
Layout
Rietzschel und der Spiesser als Organ insgesamt
und Fotografie. Der Wagemut hat Stil – und
zeigen, was junge Leute mitten im „großen Jour-
baut
„Rechtsruck
nalismus“ leisten und mithalten können. Wir freuen
verhindern“ klug auf. Die Zielgruppe dankt es
uns daher, auch den presserechtlichen Gesamtver-
dem Spiesser durch die 200 000 Exemplare, die
antwortlichen, Herrn Peter Stawowy, für dieses be-
an 3000 Auslagestellen gut, erfolgreich und viel
sondere Verdienst des „Spiesser“ in der deutschen
gelesen weggehen.
Presselandschaft heute auszeichnen zu dürfen.
8
spannende
das
Beitragsgestaltung
schwergängige
Thema
in
Die Preisträger 2005
Serienpreis
Camilla Härtewig, Rena Lehmann
„Jetzt erst recht!“
Rhein-Zeitung/Oeffentlicher Anzeiger, 10. – 24. 12. 2004
Camilla Härtewig, 30 Jahre, hat
sterabschluß an der Humboldt-Universität
2002 ihr Studium der Politik-
Berlin 2004 wurde sie Volontärin bei
wissenschaft mit den Neben-
der Rhein-Zeitung, Schwerpunktredaktion
fächern Anglistik und Öffent-
Bad Kreuznach. Während ihres Studiums
liches Recht an der Johannes-
war sie in freier Mitarbeit und als Prakti-
Gutenberg-Universität in Mainz
kantin bei verschiedenen Tageszeitungen
mit dem Magister abgeschlos-
in Deutschland und Frankreich tätig.
sen. Danach arbeitete sie zu-
Außerdem war sie beim „Autorenkreis der
nächst als Reiseredakteurin und PR-Redakteurin. Im
Bundesrepublik Deutschland“ für Organisation, Ver-
Anschluß absolvierte sie ein zweijähriges Volontariat
waltung und Pressearbeit zuständig.
bei der Rhein-Zeitung in Koblenz. Seit Mitte des
Jahres ist sie Lokalredakteurin bei der Westerwälder
Aus einem sogenannten Meilensteingespräch zu der
Zeitung, für die sie von 1996 – 2000 bereits als Text-
Frage „Wodurch fallen den Lesern besondere Themen
und Fotoreporterin tätig war.
auf und was macht in diesem Zusammenhang die
Qualität journalistischer Arbeit aus?“ entstand bei der
Rena Lehmann, Jahrgang 1977, arbeitete nach ihrem
Rhein-Zeitung das Volontärsprojekt 2004, in dessen
Abitur zunächst als Pauschalistin, bevor sie sich dem
Rahmen Frau Härtewig und Frau Lehmann während
Studium von Neuerer Deutscher Literatur, Fran-
ihres Volontariats in der Redaktion des Oeffentlichen
zösisch und Publizistik widmete. Nach ihrem Magi-
Anzeigers die Serie „ Jetzt erst recht!“ verfaßt haben.
Laudatio von Dr. Warnfried Dettling, Publizist, Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
Menschen, die in verschiedensten Situationen dem
Wortpaar „Geben und Nehmen“ eine Bedeutung
jeder Aufsatz und Artikel, jede Berichterstattung
geben, von Mutigen und Engagierten.
und jede Serie beginnen – logischerweise – mit einem
Titel: Jetzt erst recht... – dies ist die Überschrift der
Camilla Härtewig und Rena Lehmann gelingt es
von der Jury einhellig für preiswürdig befundenen
in diesem besonderen Volontärsprojekt, die viel-
Serie zum Thema Bürgerschaftliches Engagement,
fältigen Facetten bürgerschaftlichen Engagements
ein Beitrag der Journalistinnen Camilla Härtewig
abwechslungsreich und originell darzustellen. So
und Rena Lehmann. Jetzt erst recht...? Was verbirgt
begegnet uns Lesern auf der einen Seite z.B. ein
sich eigentlich hinter dieser vermeintlichen Floskel?
„nachbarschaftliches Netzwerk“, das in scheinbar
Was erwartet den Leser, wenn diese Worthülsen mit
hoffnungslosen Situationen in allen Belangen hilft;
Inhalt gefüllt werden? Jetzt erst recht...! ist in diesem
wir lernen ein „Herzblatt“ kennen – eine einstige
Fall ein Synonym für Mut und Engagement. Für Ge-
Sozialhilfeempfängerin, die inzwischen selbst zur
ben und Nehmen. Für Hilfe und Hilfe empfangen.
Helfenden geworden ist; uns wird ein „Ausländer-
Die Serie erzählt Geschichten von Menschen, die der
pfarrer“ vorgestellt, der Brücken zwischen den
Hilfe bedürfen oder Hilfestellungen geben. Von
Kulturen schlägt... – alles ganz selbstverständlich,
9
Die Preisträger 2005
bescheiden und ohne große Worte. Auf der anderen
Rena Lehmann betrachten das weite Themenfeld
Seite kreuzen in diesem Zusammenhang Menschen
Bürgerschaftliches Engagement aus den verschieden-
unseren Weg, die ganz eindeutig nicht auf der
sten Blickwinkeln und werfen auch neue Frage-
Sonnenseite des Lebens stehen und die der Hilfe
stellungen auf, um sich diesem Komplex kurzweilig
bedürfen.
und ansprechend, aber in jedem Falle informativ,
zu nähern. Die Beiträge sind journalistisch hervor-
Den Autorinnen gelingt es, schwere Schicksale und
ragend konzipiert und sprachlich gut komponiert.
scheinbar ausweglose Situationen nachzuzeichnen,
Die Gesamtkonzeption der Serie ist in sich schlüssig
ohne in Sentimentalitäten abzugleiten. Die Beschrei-
und die Verknüpfung der einzelnen Beiträge ge-
bungen der Lebenssituationen einzelner Menschen,
schieht originell und unaufdringlich.
die Darstellung des nachbarschaftlichen, sozialen und
bürgerschaftlichen Engagements und der aufrichtig
Wir alle möchten Ihnen, liebe Frau Härtewig und
gemeinten Hilfestellungen bestechen durch ihre Ehr-
liebe Frau Lehmannn, herzlich zu Ihrem gelungenen
lichkeit und Authentizität. Camilla Härtewig und
Beitrag gratulieren.
10
Die Preisträger 2005
Serienpreis
Hubert Grundner, Thomas Kronewiter, Andrea Schlaier, Wolfgang Schmidt
„Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit Tradition“
Süddeutsche Zeitung, 2. 8. – 8. 9. 2005
Hubert Grundner ist 44 Jahre
Nach einem Studium an der Modeschule in
und hat Kommunikationswis-
Sigmaringen hat sich Andrea Schlaier, 38
senschaft an der Ludwig-Maxi-
Jahre, der Neueren und Neuesten Deut-
milians-Universität in München
schen Geschichte, der Neueren Deutschen
studiert. Seine journalistische
Literaturwissenschaft und der Kunstge-
Tätigkeit begann er als freier
schichte an der Universität Augsburg ge-
Mitarbeiter bei den Erdinger
widmet. Seit fünf Jahren arbeitet sie
Neuesten Nachrichten, bevor
als freie Journalistin in München und ist
er dann zur Süddeutschen Zeitung wechselte. Dort
feste freie Mitarbeiterin in der Lokalredaktion der
war er zunächst Redakteur der Regionalausgaben.
Süddeutschen Zeitung. Zuvor war sie Redakteurin
Seit 2005 ist er bei der Stadtviertel-Redaktion.
bei der Augsburger Allgemeine/Allgäuer Zeitung in
den Ressorts Lokales, Politik und Feuilleton.
Sein Studium der Journalistik,
der Politik und des Rechts hat
Wolfgang Schmidt, 51 Jahre, hat Jura in
Thomas Kronewiter, Jahrgang
Saarbrücken und München studiert und ar-
1968, als Diplom-Journalist ab-
beitet seit 1986 als Redakteur bei der Süd-
geschlossen. Bei der Schwein-
deutschen Zeitung. Dort ist er Leiter der
furter Volkszeitung, der Main-
Stadtteilredaktion.
Post-Gruppe in Würzburg und
dem Münchner Stadtanzeiger,
der heutigen Stadtteil-Redaktion der Süddeutschen
Zeitung, war er zunächst als freier Mitarbeiter tätig.
Heute arbeitet er bei der Stadtteil-Redaktion und als
Pauschalist der Süddeutschen Zeitung.
Die Serie „Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition“ wurde von den vier oben vorgestellten Mitarbeitern der Stadtteil-Redaktion der Süddeutschen Zeitung ins Leben gerufen und federführend
umgesetzt. Weitere acht Mitarbeiter der Redaktion haben außerdem an den Beiträgen mitgewirkt.
11
Die Preisträger 2005
Laudatio von Sergej Lochthofen, Chefredakteur, Thüringer Allgemeine, Erfurt
All business is local.
Als ein Kollege, der selbst aus einer Regionalzeitung
kommt, glaube ich zu wissen, um wie vieles schwerer
Zugegeben, kein sonderlich origineller Spruch als
es ist, auf der Seite 46 zu glänzen. Wenn drei in der
Aufhänger. Kein Sparkassendirektor, der in seinem
Redaktion krank sind, zwei im Urlaub, am Nachmit-
Jahresbericht um ihn herumkommt. Kein örtlicher
tag zusätzliche Seiten hereinschneien und die Zentral-
Handwerksfunktionär, der nicht glaubt, so seine
redaktion gerade den Aufmacher für sich reklamiert.
Weltläufigkeit beweisen zu können.
Dennoch, Thomas Kronewiter, Hubert Grundner,
Wirtschaft, ja. Finanzen, auch. Aber was hat das eigent-
Andrea Schlaier, Wolfgang Schmidt und ihre Mit-
lich mit Journalismus zu tun? Zumal es um eine Reihe
streiter haben es vermocht. Durch Beharrlichkeit.
von Beiträgen aus der Süddeutschen Zeitung geht.
Durch Dranbleiben an einem spannenden Thema.
Und auch durch viel Geduld mit dem Leser. Der,
Sicher sind es die verwöhnten Geschichtenerzähler von
wenn es um sein unmittelbares Umfeld geht, sofort
Seite drei, die sonst an solch einem Ort vielleicht sogar
erkennt, ob da einer einfach nur so über die Sachen
mehr oder minder gelangweilt nach vorn kommen,
drüberwischt oder es wirklich ernst meint.
um zustehende Huldigungen entgegenzunehmen.
Von einem blühenden Bauerngarten ist die Rede. Von
Umso erfreulicher, daß es heute nicht das Übliche ist.
wilden Vögeln und Liebhabern mit Glücksgriff. Es ist
Denn auch das Business der überregionalen Zeitung –
kein Roman im Stile von Rosamunde Pilcher, der hier
so sie denn gesund und proper ist – fußt auf dem Lo-
erzählt wird, es sind Realitäten, Geschichten von
kalen. Im Fall der SZ meint sogar manch Kenner der
Großherzigkeit, von der Vielfalt des Stiftens und Ge-
Szene: Es sei auch nur eine Münchner Lokalzeitung,
bens in einer großen deutschen Metropole.
die sich allenfalls einen üppig geschnittenen Mantel
leistet. Daß es heute Journalisten aus der Stadtredak-
Wohl dem, der solche Menschen hat. Wohl aber auch
tion München sind, die einen der beiden Serienpreise
dem, der weiß, ihre Geschichte zu erzählen.
in Empfang nehmen dürfen, geht also weit über die
Bedeutung des einzelnen Ereignisses hinaus.
12
München hat es gut getroffen.
Die Preisträger 2005
Marion-Dönhoff-Förderpreis
Daniel Boese
„Das Radio, das die Mark erschüttert“
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8. 5. 2005
Daniel Boese, 28 Jahre, schrieb
leton der taz, bei Arte, Straßburg, und der New Yor-
seinen ersten journalistischen
ker Kunstzeitschrift Artforum. Nach einer Ausbil-
Text für die Rhein-Neckar-Zei-
dung zum Redakteur an der Deutschen Journalisten-
tung in Heidelberg. Während
schule in München schließt er zur Zeit sein Studium
des Studiums der Amerikani-
ab. Außerdem arbeitet Daniel Boese als freier Journa-
stik und Kulturwissenschaft in
list für zeitgenössische Kunst und Popmusik in Berlin,
Berlin folgten Praktika im Feuil-
u.a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
Laudatio von Elisabeth Niejahr, Wirtschaftsredakteurin, DIE ZEIT, Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
Der 28jährige Journalist Daniel Boese hat sich für
diese brandenburgischen Verhältnisse interessiert, ge-
wer im Berliner Politikbetrieb arbeitet, tut gut daran,
nauer: Er hat recherchiert und beschrieben, daß
am Wochenende gelegentlich ins schöne Branden-
gerade unter diesen eher tristen Bedingungen ein gut
burger Umland zu flüchten. Und wer gelegentlich
gemachter Hörfunksender eine Menge ausrichten
dorthin flüchtet, weiß auch, wo man in der Nacht
kann. In diesem Fall geht es um „Radio Fritz“ und
von Freitag auf Samstag oder auch von Samstag auf
seine Resonanz. Er erreicht übrigens nicht nur
Sonntag gegen zwei oder drei Uhr garantiert Cliquen
Jugendliche, das kann ich aus meinem eigenen
von Teenagern findet: In den Tankstellen. Die
Berliner Umfeld berichten. Auch bei Älteren hat der
Straßen sind dann bis auf vereinzelte Raser meistens
Sender einen hervorragenden Ruf.
leer, die Kneipen in den kleinen Orten, soweit es
überhaupt welche gibt, sind längst geschlossen.
Den Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge Journali-
An praktisch jeder Tankstelle aber parken Autos und
sten erhält Daniel Boese allerdings nicht nur des-
gegen die Kotflügel lehnen sich Jugendliche, bei
wegen, weil er sich ein gutes Thema gesucht hat. Das
fast jeder Außentemperatur übrigens. Das sagt selbst
wäre der Jury ganz sicher zu wenig gewesen. Er hat
einer Durchreisenden wie mir fast alles über das
einen sehr lebendigen und anschaulichen Text einge-
Freizeitangebot für junge Erwachsene in den Bran-
reicht, der sprachlich ganz klar über dem Durch-
denburger Dörfern und Städten. Ach ja, beim letzten
schnitt der eingereichten Arbeiten lag.
Brandenburg-Ausflug hörte ich, daß wegen der
Abwanderung junger Menschen eine alte Frotzelei
Lieber Herr Boese, bitte machen Sie weiter so. Wir
aus Vor-Wende-Zeiten wieder in Mode kommt:
wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und
„DDR – Der doofe Rest“.
gratulieren herzlich zum Marion-Dönhoff-Preis.
13
Ausgezeichnete Beiträge
Ausgezeichnete Beiträge
14
1. Preis
Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement 2005
1. Preis
Hedwig Gafga
„Schlaue Kerle, das sind sie beide“
Chrismon, Juni 2005
Schlaue Kerle, das sind sie beide:
Nur hat es eine Weile gedauert, bis
auch der 17-jährige Hauptschüler
anfing, daran zu glauben
Auf die Beziehung kommt es an. Wenn
Lehrer und Schüler einander mehr sind als
Namen und Noten, kann Bildung gelingen. Darauf setzen Mentoren-Projekte
Wie immer kommt der Junge mit einer
klitzekleinen Verspätung. Montag, fünf
Minuten nach 15 Uhr klingelt es an
der Tür eines Antiquariats in Hannover.
Aydin, ein schmaler 17-Jähriger in graublau gefleckten Jeans und dünner Lederjacke, flitzt durch die hohen Räume. Verschwindet sofort in der hintersten Ecke,
setzt sich an einen Resopaltisch mit dem
Gesicht zur Wand, stellt seine Plastiktüte
ab. Dem großen Zimmer mit Fenstern,
Bücherregalen und Besuchercouch zeigt
er den Rücken.
Neben ihn platziert sich ein älterer Herr
im Pullover, breitschultrig, weißhaarig,
mit wachen Augen. Jan Gehlsen überragt
Aydin um einen Kopf, dennoch sieht es
nun so aus, als säßen sie nebeneinander in
einer Schulbank, der Alte und der Junge,
der frühere Kanzler der Universität Hannover, ein gebildeter, intellektuell geschulter Herr, und das Einwandererkind mit
den Schulproblemen.
Seit einem Jahr schon geht das so. Von der
Wohnung seiner persischen Familie, die
an einer lauten Ausfallstraße Hannovers
liegt, läuft der Junge zwei Mal die Woche
hinüber ins gutbürgerliche Zooviertel, wo
Gehlsen sein Antiquariat betreibt, seit er
im Ruhestand ist. Es ist sachlich modern
eingerichtet, Metallrollos, eine Ausziehcouch, deftige Zeichnungen von Max
Beckmann an den Wänden. Ein Bild fällt
aus dem Rahmen: silberne, orientalisch
anmutende Pfauen und Pflanzen, ein Geschenk von Aydins Familie.
Genau davor sitzt der Junge jetzt. „Du
wolltest doch alles noch mal ordentlich abschreiben“, sagt der Alte. Aydin lässt seine
kinnlangen dunklen Haare auf der rechten
Seite vors Gesicht fallen, so dass nur Jan
Gehlsen sein Gesicht sehen kann. „Das
hab ich zwei Mal abgeschrieben“, erwidert
er und greift in seine Tüte.
Vom Alter her könnte er Gehlsens Enkel
sein, in Wirklichkeit aber stammen beide
aus verschiedenen Welten. Mit acht Jahren
kam der Junge mit seinen Eltern aus dem
Iran, das dritte Schuljahr wiederholte er
gleich zwei Mal. Schulisches Scheitern programmiert. Heute, mit 17 Jahren, besucht
er erst die 9. Hauptschulklasse. Erfolg
kannte er nur vom Sport: Bis vor kurzem
spielte er Fußball in der A-Jugend und
wollte Profi werden. Bücher kamen in seiner Welt nicht vor.
Bücher – Jan Gehlsens Leidenschaft.
Sein Antiquariat ist spezialisiert auf deut-
15
Ausgezeichnete Beiträge
sche Exilliteratur. „Ich turne am oberen
Ende der Lesekultur rum“, sagt er mit
trockenem Humor über sich selbst. Eines
Tages blieb der literaturbegeisterte Jurist
an einem Zeitungsbericht über eine
„Mentor-Initiative“ hängen. Die suchte
Menschen, die Kinder „aus bildungsfernen Schichten“ fürs Lesen begeistern
wollten. „Da habe ich gedacht, es sei
angemessen, wenn ich auch mal an der
Basis rumturne.“
Junge ein. „Doch, sich wehren, das tut
man.“ Der Kanzler hat gesprochen.
auf. Mit solchen Fragen schlägt sich der
Bücherspezialist jetzt herum.
Raabes Novelle vom Befreiungskampf der
Niederländer gegen die spanische Besatzung, gespickt mit komplizierten Wörtern
– eigentlich sei sie viel zu schwer für den
Jungen, hat Gehlsen vor der Stunde selbstkritisch gesagt. Doch jetzt lässt keiner von
beiden locker oder dreht sich auch nur einmal weg von der Wand.
Anfangs erwartete er, sein Schützling
werde sich „in Kürze zu intellektuellen
Höchstleistungen“ aufschwingen. Mit Jugendlichen hatte er nie zuvor gearbeitet.
Seine eigenen Töchter hatten die Schule
mühelos geschafft. Derweil rechneten Aydins Eltern damit, dass ihr Sohn nun gleich
Richtung Gymnasium marschieren werde.
Gehlsen lernte sie in den ersten Förderstunden kennen, die noch in der Wohnung
der iranischen Familie stattfanden, den
Vater, einen Musiker, der auf iranischen
Festen auf dem Keyboard spielt, und die
Mutter, die als Küchenhilfe arbeitet.
An eine Begebenheit erinnert sich der
Büchermensch dabei ganz genau: Er und
der Junge hatten im Lexikon ein Wort
nachschlagen wollen, es fand sich auch ein
Lexikon, aber dann konnte Aydin das
Persische nicht lesen.
Trotzdem „hatten wir einen wunderbaren
Anfang“, sagt der Mentor. „Weil der Junge
schon auf ,Harry Potter‘ geeicht war.“ Und
darin erwies er sich seinem Mentor sogar
überlegen. Während der Mühe hatte, sich
verschiedene Zauberkünste zu merken,
fasste der Junge die Kapitel gut zusammen,
und der Alte registrierte, dass er auch die
Pointen verstand. Heißt es in der PISAStudie nicht, gerade das falle schwächeren
Schülern schwer? „Er ist ein schlaues Kerlchen“, diese frühe Erkenntnis des Alten
beflügelte die Arbeit. Und außerdem hatte
sich mit „Harry Potter“ der erste große
Erfolg eingestellt: Der im Lesen ungeübte
Junge hatte mehrere tausend Buchseiten
verschlungen. Allerdings, „das war nun
überhaupt nicht die Lektüre, die ich bevorzuge“, sagt Gehlsen. Er beschloss,
fortan zu trennen – zwischen Büchern, „die
ich ihm als Vergnügen offeriere“, für zu
Hause, und Büchern, die sie gemeinsam
lesen.
Willkommen an der Basis. Aydin quält
sich gerade mit einem Roman aus dem 19.
Jahrhundert, der „Schwarzen Galeere“
von Wilhelm Raabe, herum; genauer: mit
deutscher Rechtschreibung. Der Alte diktiert einen Textabschnitt, der Junge hängt
mit rundem Rücken über seinem Schreibheft, die Nasenspitze fast auf dem Papier,
und schreibt. „Fieberwahnsinn“ mit „ie“
und „ah“, so ist es richtig, und „gewehrt“
wird kleingeschrieben, korrigiert der Alte.
„Aber das tut man nicht!“, wendet der
16
Lebhaft trägt Gehlsen den nächsten
Abschnitt vor: „Habt gute Wacht, habt
gute Wacht!“, dabei schaut er zu
Aydin, den Mund zu einem spöttischen
Lächeln verzogen: „Werden sie aufpassen?“ – „Nein, die schlafen gleich
alle“, gibt der Junge zurück. Beide mögen
das Stück um Liebe und Freiheitskampf, das der Alte vor rund 40 Jahren
schon mal gelesen hat. „Was heißt
G – e – n – i – e?“ Aydin schaut aus
den Augenwinkeln zu seinem Mentor
Gegen vier Uhr klappt Gehlsen den Roman zu. Die Stunde wäre jetzt um. Der
Junge schaut seinen Mentor an. „Wir
schreiben nächste Woche eine Mathearbeit.“ „Dann rechnen wir noch ein paar
Aufgaben durch“, sagt Gehlsen sofort.
Schulischen Beistand im Sinne von Nachhilfe sieht die „Mentor-Initiative“ eigentlich nicht vor. Den früheren Universitätskanzler schreckt das aber nicht: „Was soll
der arme Kerl nur mit Lesen anfangen,
1. Preis
wiederum seine eigene Meinung. „Das geht
nicht“, sagt er. „Da entsteht eine Schicksalsverbindung. Ich bin für den jetzt verantwortlich. Da kann ich machen, was ich will.“
als Aydin seine Sachen in die Tüte wirft
und losflitzt. Den Schluss heben sie sich
dann doch fürs nächste Mal auf.
Hedwig Gafga
Donnerstag, kurz nach 16 Uhr. Wieder
flitzt Aydin mit seiner Plastiktüte ins Antiquariat hinein, setzt sich in Position. Der
Junge murmelt etwas, so dass es nur sein
Mentor verstehen kann. Anschließend
wird deutlich: Er ist in Englisch in den
Weisen Mentoren-Projekte wie dieses den
Ausweg aus der Bildungskrise? Müssten
auch die Schulen mehr tun, um die Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern zu
stärken? Diskutieren Sie mit im Forum
„Bildung“ auf www.chrismon.de! Dort fin-
Das war nach einem Zusammenprall beim
Fußball vor einigen Monaten, als er sich
das Nasenbein brach. Seitdem haben sich
auch seine Pläne geändert. Er möchte jetzt
nicht mehr Fußballprofi, sondern Zahntechniker werden. Dazu braucht er aber
den Realschulabschluss. „Ich könnt’s
schaffen“, meint er. Locker, ein Knie leicht
angewinkelt wie beim Training, steht er da
und sagt einen Satz, der Eltern und Lehrern das Herz höher schlagen lassen
würde: „Ich will ja später was erreichen.“
Seit einiger Zeit übt er mit seiner Mutter,
Persisch zu schreiben. Gehlsen hat ihnen
dazu geraten.
A-Kurs übergewechselt. Wenn er das auch
noch in Mathe schafft, dann hat er tatsächlich Chancen, den Realschulabschluss zu
erreichen.
den Sie auch Informationen zu MentorenProjekten in Deutschland.
„Hoffentlich wecke ich keine zu hohen Erwartungen“, sinniert Jan Gehlsen später.
„Zahntechniker, das ist ja ein begehrter Beruf.“ Die Mentor-Initiative rät, man solle
keine allzu enge Beziehung mit den Schülern eingehen. Lieber solle man mal den
Schüler wechseln. Aber dazu hat Gehlsen
In der „Schwarzen Galeere“ ist die Entscheidung nah. Auf dem gekaperten Schiff
nähert sich Jan, der holländische Freiheitskämpfer, um seine Braut zu retten. Wieder
sitzen sie da wie zwei sehr ungleiche Schüler, der Alte und der Junge, mit dem Rücken
zur Welt. Es geht schon gegen sechs Uhr,
wenn er an Mathe und Englisch scheitert?“, fragt er. Aydin rechnet: eineinhalb
mal x gleich zweieinhalb. „Nicht so, verdammt“, entfährt es dem Alten. Dann sagt
er: „Erinner dich! Wie dividiert man durch
einen Bruch?“ Der Junge probiert hin und
her und macht es dann richtig.
Erst beim Hinausgehen ist Aydin von
vorne zu sehen, ein kleiner, sportlicher
Junge mit braunen Augen und dunklen
Koteletten, die in einem dünnen Streifen
vom Ohr bis zur Kinnspitze hinunterlaufen. Mag er von seinen Erfahrungen mit
den Förderstunden erzählen? „ Ja“, antwortet Aydin knapp.
In einer nahe gelegenen Bäckerei steht er
an einem Stehtisch und weigert sich strikt,
etwas zu essen oder zu trinken. Auch in
den Mentorstunden nimmt er nicht einmal
ein Glas Wasser.
Schnell zählt er auf, was der Mentor für
ihn getan hat, als habe er sich das selber
schon hundertmal gesagt: „ Nach dem
Programm müssten wir uns nur einmal die
Woche treffen. Herr Gehlsen macht es
zweimal. Es ist nie langweilig. Früher hab
ich nur mal eine Seite von einem Buch gelesen. Jetzt hab ich schon viele Bücher gelesen. Bei meinen Eltern sag ich: ,Morgen
tu ich was.‘ Er fordert von mir: ,Mach das!‘
Und er meint das ernst.“ Und: „Herr Gehlsen hat mich nach meinem Unfall im Krankenhaus besucht.“
Was Schüler vermissen, ist die persönliche Zuwendung
Bernhard Bueb leitet die private Internatsschule Schloss Salem
Chrismon: Derzeit wird viel über Lernmethoden diskutiert. Sie sagen, es kommt auf die
Lehrer an. Warum?
17
Ausgezeichnete Beiträge
Bernhard Bueb: Jede Firma würde Reformen bei den Personen ansetzen, nicht bei
den Strukturen. Der Fehler in unserer Bildungsdiskussion ist, dass wir die Lehrer
außen vor lassen. Die Lehrer sind die wichtigsten Bezugspersonen für die Schüler, außer den Eltern. Auf sie kommt es an. Wenn
Sie Schüler fragen, was sie am meisten an
den Lehrern vermissen, dann ist es die persönliche Zuwendung.
Wie passt persönliche Zuwendung in den
Schulalltag ?
Bueb: Die Lehrer müssen auch nachmittags da sein und mit den Schülern etwas
unternehmen, von Sport über Theaterspielen bis zu den Hausaufgaben, die gemeinsam gemacht werden sollten. Ich
ärgere mich darüber, dass nach der PISADebatte in erster Linie über Bildungsstandards, über das Schulsystem gesprochen wird, aber die Person des Lehrers
außen vor bleibt. Dabei könnte diese Reform sofort stattfinden: Die Präsenz des
Lehrers an der Schule könnte man per
Verordnung herstellen – und natürlich
durch Bereitstellung von Arbeitsplätzen
in der Schule. Und das würde unweigerlich auch die Mentalität der Lehrer verändern.
Was muss ein Lehrer können?
Bueb: Er sollte sein Fach beherrschen.
Aber entscheidend ist, welche Einstellung
er zu Kindern und Jugendlichen hat. Ich
verwende den Begriff des „pädagogischen Eros“: Er muss Kinder und Ju-
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gendliche lieben, echte Sympathie für sie
mitbringen. Und er muss Zeit für sie haben. Denn der Hauptfeind des Aufwachsenden sind heute die Medien: Fernsehen, Computerspiele, Internet. Der
einzige Weg, die Jugendlichen davon
wegzubringen, geht über gemeinsame
Unternehmungen.
Wie passt Ihr Lehrerbild zur Vorstellung vom
Lehrer als Moderator, der Lernprozesse anstößt, aber sich selber stark zurücknimmt?
Bueb: Das soll er durchaus. Ich will ja
nicht, dass er bloß als große Autorität
frontal vor der Klasse steht. Die wichtigste Komponente seines Handelns ist, dass
er Kinder ermutigt, ihren Weg zu sich
selber zu finden.
Wie groß darf eine Lerngruppe sein?
Bueb: Die Klassengröße ist nicht ausschlaggebend. Es kommt auf die Zusammensetzung der Schüler und die Lehrerpersönlichkeiten an. Die Schulen
sollten Ganztagsschulen sein. Denn dann
können sich Lehrer und Schüler am
Nachmittag informell treffen. Die Lehrer
lernen die Schüler dabei in einer anderen
Weise kennen. Am Vormittag fällt ihnen
der Klassenbeste auf, am Nachmittag der
tolle Fußballspieler oder das Mädchen,
das andere unterstützt.
Mit Blick auf Mentoren-Projekte: Wie weit
sollen auch Schulfremde sich engagieren?
Bueb: Menschen von außerhalb der
Schule sollten sich einmischen und Pro-
jekte mit initiieren. Die jungen Menschen
wollen viel mehr mit Erwachsenen zu tun
haben, als sie zugeben.
Sind private Förderprojekte eine Bankrotterklärung für die staatliche Bildung?
Bueb: Solche Projekte sind hilfreich, aber
sie ersetzen nicht die Reformen, die unsere
Schulen brauchen. Warum sind die Lehrer
heute so depressiv? Weil sie vereinsamen,
unter ihrem schlechten Ruf und der Disziplinlosigkeit der Schüler leiden. Die Jugendlichen selbst haben ein Recht auf
Disziplin, darauf, dass sie Lehrer und Mitschüler respektieren. Das ist bei Pubertierenden schwierig zu erreichen, aber es
geht, wenn die Institution Schule dieses
Ziel konsequent verfolgt. Die Institution,
vertreten durch die Schulleiter, lässt die
Lehrer zu sehr alleine. Die erste Maßnahme, die ich vorschlage: Dass man die
Türen aushängt, damit jeder sieht, wie
schwer es der andere hat, und damit die
Lehrer sich gegenseitig helfen.
Die Fragen stellte Hedwig Gafga
2. Preis
2. Preis
Michael Netzhammer
„Ein herzliches Haus“
Rheinischer Merkur, 28. 4. 2005
Eine für alle, alle für eine
In Freiburg pflegen Hausbewohner eine 93jährige Mieterin. Sie muss deshalb in kein
Pflegeheim. Aber auch die Helfer werden
belohnt. Ein Modell für schönes Altern?
„Früher als ich noch ein Kerle war“, sagt
Anneliese mit badisch eingefärbtem Akzent und legt ein wenig Groll in ihre
Stimme. Dann verliert sie den Anschluss,
weil die Gedanken die 93 Jahre alte Frau
längst fortgerissen haben. So verhallt der
Satz unfertig in der warmen Stube.
Als sie noch „ein ganzer Kerl“ war, da hat
sie geschuftet, zwei Weltkriege miterlebt,
gehungert, einen Mann lieben gelernt, ihn
zu früh beerdigt, zwei Kinder groß gezogen.
Und heute? „Da kann ich mir selbst nicht
mal mehr kochen. Es ist zum aus der Haut
fahren“, sagt sie, blickt mit gespieltem Ernst
in die Runde, haut dann die Hand auf den
Tisch und lacht, bis die vielen Falten in ihrem Gesicht Boogie-Woogie tanzen.
Die Frau mit den weißen Haaren und der
dicken Brille auf der Nase gehört zu jener
Sorte Mensch, die lachen und schmunzeln,
auch wenn die Gelenke schmerzen, das
Herz sticht und selbst der Weg in die Küche zu einer Weltreise wird. Schließlich
wohnt sie noch immer in ihren vier Wänden. „Und wer das darf, der ist Millionär“,
sagt sie.
Dieses Geschenk verdankt Anneliese ihrer
robusten Natur und vor allem den Mitbewohnern im Haus. „Die haben versprochen, für mich zu sorgen, weil ich sonst
wohl in ein Pflegeheim müsste“, sagt sie.
Seit ihrem Herzinfarkt vor bald zwei Jahren hat sie ihre Selbstständigkeit eingebüßt
und das ärgert die schmal gewordene Frau
in ihrer weinroten Strickjacke ungemein.
„Sie vergisst, ihre Tabletten zu nehmen, zu
trinken oder zu essen“, sagt Detlev, der
Arzt mit dem wilden Bart und der lichten
Stirn. Der 45-Jährige lebt mit seiner Frau
Marion und den beiden Kindern Lea und
Luis ein Stockwerk über der alten Dame.
Zwar hat Annelieses Tochter ihr einen
Alarmknopf besorgt, mit dem sie im Notfall eine Zentrale verständigen kann, aber
der Arzt hat Zweifel, ob sie ihn dann auch
noch drücken kann.
Deshalb schaut jeder im Haus nach ihr.
Christian aus dem ersten Stock kauft ihr
das Brot, die 18-jährige Lea saugt ihre
Wohnung. Wenn Anneliese morgens noch
schläft, bringt Krankenpfleger Alfred aus
dem zweiten Stock die Tageszeitung nach
oben. Seine Frau Marianne stellt eine
Kanne Tee auf den Tisch, legt ein Zettelchen „Tee ist in der Kanne. Trinken nicht
vergessen!“ daneben und positioniert die
Tabletten so, dass die Herzkranke sie nicht
übersehen kann. Klingeln müssen sie
nicht, die Tür ist immer angelehnt.
Marianne kennt sich in den Schränken der
93-Jährigen inzwischen besser aus als sie
19
Ausgezeichnete Beiträge
selbst, weil sie regelmäßig Tischdecken und
Bettwäsche wechselt, die Kleidung wäscht,
Medikamente, Putzmittel, Kaffee oder
Mehl einkauft. „Sie vertraut uns“, sagt die
49-jährige Frau mit den kurzen braunen
Haaren, „das macht es sehr viel leichter“.
„Hallo Oma, ich bin´s“, poltert Luis ins
Wohnzimmer. Der Zehnjährige lässt seinen Schulranzen fallen, gibt der Oma einen Kuss und geht erst einmal zielstrebig
zu dem kleinen Schränkchen an der Wohnzimmertür. Dort stibitzt er sich ein Stück
Schokolade, grinst und lässt sich neben der
alten Dame auf den Stuhl plumpsen.
„Danke Oma“, sagt er. Das Wort kommt
wie selbstverständlich über die Lippen. Sie
ist seine Oma. Denn die leiblichen Großeltern wohnen weit weg.
Früher als sie ihrem Spitznamen „rauchende Sohle“ noch Ehre machte, da passte sie erst auf Lea auf und dann auf ihren
Bruder Luis. „Wenn ich bei der Oma war,
habe ich meinen Eltern immer hinterher
gerufen, `Geht, geht jetzt endlich´. Dann
saßen wir auf dem Sofa, haben Fernsehen
geschaut oder Reversi gespielt und ab und
zu habe ich bei ihr übernachtet“, erinnert
sich der aufgeweckte Junge. Diese Erlebnisse haben sich in seine Erinnerung eingebrannt. Wie auch der Schreck, als die
Oma im Krankenhaus fast gestorben ist.
„Da stand er fiebernd dabei“, erzählt sein
Vater, „und wir haben gesehen wie viel
Liebe unsere Kinder für sie empfinden.“
Sie zeigt sich, wenn Luis die Oma drängelt,
ihren Tee zu trinken, oder fragt, ob sie
schon etwas gefrühstückt oder ihre Tabletten genommen hat. Und wenn sie die Gängelei zu ärgern beginnt, ruft er einfach,
„Du darfst noch nicht gehen oder willst du
uns etwa verlassen?“ Da verpufft ihr
Grummeln und mehr als ein „nein“ fällt
ihr dann auch nicht ein.
„Essen ist fertig“, ruft Marion von oben.
Luis eilt die knarrenden Holzstufen hinauf.
Nach einigen Minuten kehrt der schlaksige
Junge mit einem Tablett zurück. Sofort
riecht es nach geschmolzenem Käse. Luis
stellt den Teller auf den Tisch, legt eine
Serviette, Messer und Gabel daneben, ruft
noch „Morgen bringt dir Lea das Essen“
und eilt die Stufen hinauf. Die Kässpätzle
seiner Mutter will er sich nicht entgehen
lassen.
Diese familiären und menschlichen Begegnungen halten Anneliese genauso am Le-
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ben wie die Herztabletten in dem Schächtelchen unter der kleinen Kuckucksuhr,
der Tee in der Kanne oder die Vertrautheit
ihrer eigenen vier Wände. Wenn sie das
Fenster öffnet, hört sie die Freiburger Dreisam plätschern. Sie schaut auf die grünen
Hügel des Schwarzwalds und die Dächer
der schnell hoch gezogenen Häuserblocks
in der Nachbarschaft. Als sie 1962 mit ihrem Mann Franz in der Bleichestraße die
Drei-Zimmer-Wohnung mietete, stand das
Haus noch auf einer grünen Wiese. Heute
liegt das Viertel im Herzen der Stadt.
Die Jahre sind vergangen, Wohnung und
Haus zu einem Ort der Erinnerungen geworden. Sie blickt auf den verwilderten
Garten, den sie so viele Jahre gepflegt hat,
hört die groß gewordenen Kinder die
Treppe hinunterhetzen. Und noch immer
sitzt sie am gleichen Tisch, an dem ihr
Mann vor mehr als 30 Jahren einfach zusammensackte. „Geht es dir nicht gut, habe
ich ihn gefragt. Er hat es wohl nicht mehr
gehört“, erklärt Anneliese leise und schaut
zu dem Bild, das sie an der Seite eines jungen Mannes in Motorradmontur zeigt.
„Ich hab in ihm den Himmel gesehen“,
sagt sie über den Mann, der sie aus ihrer
Familie, aus ihrer Hölle befreit hat. Als unehelich geborenes Mädchen haben die
Stiefschwestern ihr übel mitgespielt. Anneliese verliert darüber nur wenige Worte.
Vierzehn Tage vor ihrer Hochzeit erhängte
sich ihre Mutter; „ich habe sie vom Balken
abgeschnitten“, erzählt sie. Geheiratet hat
sie dennoch – in einem schwarzen Kleid
mit weißem Schleier.
Anneliese hat in ihrem Leben viele
Schicksalsschläge einstecken müssen. Sie
hat sie genommen, ohne darüber zu lamentieren, ohne mit der Welt zu hadern.
Stattdessen hat sie sich an den schönen
Dingen festgehalten und sich engagiert. In
der Kirche, im Altersheim, in der Bleichestraße, wo die Mieterin das Kommando
führte, ohne jemals pedantisch oder spießig zu sein. „Wenn die Treppen schmutzig
waren, dann habe ich sie halt von oben bis
unten geputzt.“ Ohne ein Wort darüber zu
verlieren und ohne sich die Laune darüber
verderben zu lassen, wenn „wir Jungen mal
wieder den Dreck übersehen haben“, erinnert sich Marion mit einem Lächeln.
Als sie einzog studierte sie Sport, heute betreut sie selbst Studenten am Sportinstitut.
Über 17 Jahre teilt sie mit Anneliese das
gleiche Dach. „Sie hat die Handwerker rein
gelassen und unsere Schlüssel verwaltet
und wenn wir unseren vergessen hatten,
konnten wir bei ihr klingeln“, erzählt die
rothaarige 46-Jährige mit den Sommersprossen im Gesicht. „Wenn ich mich bei
der Arbeit verspätet habe, wusste ich die
Kinder wohl versorgt bei Oma Hubbuch
auf dem Sofa. Wir hatten die unglaubliche
Freiheit, weggehen zu können, ohne Organisationskram, ohne Babysitter, weil sie immer für uns da war.“
Die Rolle der Oma war ihr auf den Leib geschrieben und irgendwann nannten sie fast
alle einfach „Oma Hubbuch“. Einen Teil ihrer Hilfsbereitschaft wollten ihr die Mitbewohner im Haus gerne zurückgeben. Die
Gelegenheit bot sich, als Anneliese zu ihrer
Tochter ziehen sollte, um dort im Notfall
einfacher gepflegt werden zu können. Die
Vorstellung, ihre Bleibe zu verlassen,
stürzte die so tatkräftige Frau in eine
schwere Krise. Damals hackte sie ihr Holz
noch selbst, schleppte die Kohlen in den
dritten Stock und schob Senioren, die jünger als sie waren, im Rollstuhl die Dreisam
entlang. Nun aber sprach „sie nur noch
vom Sterben, weil sie nicht wegziehen
wollte, sich ihrer Tochter gegenüber aber
verpflichtet fühlte“, erinnert sich Marion.
Das Ehepaar aus dem vierten Stock machte
ihr deshalb das Angebot: „Du musst nicht
aus deiner Wohnung, wenn nötig sorgen
wir für dich.“ Am Ende blieb sie.
Hilfe braucht die einst rüstige Frau erst seit
ihrem Herzinfarkt. Seither begleitet Marion Oma Hubbuch zwischen Arbeit und
Kinderbetreuung zum Friseur und Arzt,
holt die Post und hilft ihr beim Duschen.
Täglich kocht sie eine zusätzliche Portion.
Ob Spätzle mit Linsen, Karotten-Ingwersuppe, Spaghetti oder thailändisches Gemüse, Oma Hubbuch isst, was auf den
Tisch kommt. „Wenn ich etwas zum Essen
bekomme, ist es recht, und wenn nicht,
mache ich mir auch mal ein Brot“.
Ansprüche stellen ist ihre Sache nicht. Dafür freut sie sich, wenn sich die Hausbewohner in ihrer Wohnung treffen, wenn
„Remmidemmi ist“, sie den Eierlikör aus
dem Schrank holen, allen kräftig einschenken und mal wieder Gastgeberin sein darf.
Je lauter es dann zugeht, desto wacher blinzeln ihre blauen Augen. Sie flirtet mit den
Mannsbildern, lässt sich umarmen und
freut sich, wenn alle über ihre Anekdoten
lachen.
2. Preis
In diesen Augenblicken treffen in dem geräumigen Wohnzimmer mit dem roten Sofa
und den vergilbten Tapeten drei Generationen zusammen. „Wir leben die Großfamilie
ohne die komplizierten familiären Bande.
Seit wir intensiver nach Oma Hubbuch
schauen, sind wir noch näher zusammengerückt“, schwärmt Detlev über dieses Miteinander, das Raum für Privates lässt.
Dieses Zusammenrücken registrieren Nachbarn, Großeltern und Freunde: Manche etwas neidisch. Andere mit der Sehnsucht einmal selbst so Altern zu dürfen. Ein Wunsch,
der bei vielen Menschen existiert.
Viele Experten wiederum sehen in dieser
Art von Engagement in der Nachbarschaft
einen Ausweg aus der Gesellschaftskrise.
Könnte das Freiburger Projekt also nicht
auch ein Modell für andere sein?
„Ein allgemeingültiges Modell sicherlich
nicht“, sagt Alfred bedächtig. Zu viele Faktoren müssen aus der Sicht des Intensivpflegers aus dem zweiten Stock fließend ineinander greifen: Sympathie, Zeit, Grad
der Pflegebedürftigkeit, Sozialcourage.
Die Bewohner kommen gut miteinander
aus und alle in dem Haus geben etwas
von ihrer Zeit. Dafür braucht es Menschen, die wie Detlev oder Marianne bei
schönem Wetter lieber zusammen an der
Bierbank im Hof sitzen als nur in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Die den
Mut aufbringen, auf Mitmenschen zuzu-
gehen und sich auf Unbekanntes einzulassen. Die Auseinandersetzungen zu führen bereit sind und die anfallenden Reibereien ausräumen. Die Gewähr, dass aus
ihrem Engagement eine Hausgemeinschaft wie die jetzige wird, hatten sie anfangs keineswegs.
Wer dieses Modell leben will, benötigt zudem das nötige Stehvermögen. Denn in
Notfällen gerät eine Hausgemeinschaft
schnell an Grenzen. In der Bleichestraße
zum Beispiel, als Anneliese im letzten Jahr
an einer Lungenentzündung erkrankte.
Von einem Augenblick auf den anderen
musste immer jemand bei der Kranken
bleiben, mussten Terminpläne erstellt und
die Angehörigen um Hilfe gebeten werden.
Das zehrt dann an den Nerven. „Auf
Dauer könnte ich das nicht leisten“, sagt
Marion. Viel schlimmer war für sie die tägliche Angst, „lebt sie noch, wenn ich reinkomme?“
Ein solches Engagement lässt sich nicht
verordnen. Deshalb stellt es auch an die
Hilfsbedürftigen gewisse Anforderungen.
So mögen Beschwerden bei einem professionellen Pflegedienst durchaus angebracht sein, eine freiwillige Initiative können sie lähmen. „Ich wüsste nicht, ob ich
jemanden lange pflegen könnte, der an allem rummäkelt oder glaubt, nie genug
oder immer das Falsche zu bekommen“,
sagt Marianne, die als Krankenschwester
derlei Verhalten von ihrem Arbeitsplatz
kennt.
Da hilft eine Einstellung, wie sie Anneliese an den Tag legt. Die alte Dame jedenfalls reagiert flexibel, wenn das Essen
einmal ausfällt, wenn niemand für sie Zeit
hat oder der Friseurbesuch nicht klappt.
Ohne falsche Demut, ohne dass sie sich
verbiegen müsste. „Weil sie die Dinge so
einfach und unkompliziert nimmt, macht
mir das Helfen richtig Spaß“, sagt die 49Jährige.
Ihr Engagement empfindet Marianne denn
auch nicht als Last, sondern als Bereicherung. Wie Detlev und Marion: „Oma
Hubbuch ist der ruhende Pol in unserem
Haus“, sagen sie – wenn auch aus verschiedenen Gründen. Der Arzt schätzt ihre
Kraft, „das Leben zu nehmen wie es
kommt, ohne beleidigt zu sein, einfach mit
einem Augenzwinkern“.
Und Marion findet manchmal ein Stockwerk tiefer ersehnte Ruhe, wenn zuhause
gerade Tohuwabohu herrscht. Oma Hubbuch kredenzt dann einen Eierlikör, setzt
sich zu Marion aufs Sofa und erzählt ihrer
Nachbarin wie ihr selbst auch manchmal
das Leben über den Kopf gewachsen ist.
„Bei Oma Hubbuch fühle ich mich einfach geborgen“, sagt die Mutter über
diese innigen Momente. „Sie ist die Seele
unseres Hauses. Deshalb wünsche ich
mir, dass sie mindestens 100 Jahre alt
wird.“
Eine für alle: eine 93-jährige Freiburgerin
und ihre hilfsbereiten Nachbarn
21
Ausgezeichnete Beiträge
„Trautes Heim, Glück vereint“
Badische Zeitung, 30. 7. 2005
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2. Preis
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Ausgezeichnete Beiträge
„Oma Hubbuch mag am liebsten Remmidemmi“
Stuttgarter Zeitung, 9. 9. 2005
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3. Preis
3. Preis
Antonie Rietzschel, Peter Stawowy
Themenseite „Engagiert gegen dumpfe Parolen“
Spiesser – Die Jugendzeitschrift, Dezemberauflage 2005
Was vor Jahren vier Freunde starteten,
ist heute eine der aktivsten Organisationen gegen Rechtsradikalismus
und Rassismus in Deutschland
Sich in die Opferrolle zu fügen, ging Sebastian Reißig gegen den Strich. Zusammen
mit drei Freunden gründete er 1998 einen
runden Tisch, um über die Problematik
rechtsradikalen Gedankenguts zu sprechen. Doch bald wollten die Vier die Probleme nicht nur einfach beim Namen nennen, sondern auch gegen die Resignation
in der Bevölkerung mobil machen. Das erschreckende Ergebnis der damaligen Europawahlen, bei der rechte Parteien mancherorts in der Sächsischen Schweiz bis zu
18 Prozent der Stimmen bekamen, nutzten
die Jungs und Mädchen, um endlich in Aktion zu treten. „Wir planten eine Demonstration gegen Rechts in Pirna und erwarteten nicht mehr als 300 Teilnehmer. Am
Ende waren es sogar 800“, erinnert sich
der 26-Jährige. Auch bei nachfolgenden
Aktionen zeigten immer mehr junge Leute
Gesicht gegen rechte Gewalt – und aus der
Diskussionsgruppe wurde eine aktive Jugendorganisation. Heute hat der Verein
„Aktion Zivilcourage“ einen festen Sitz im
Herzen Pirnas. Durch die Organisation
von Lesungen, Konzerten, Gedenkstättenfahrten, Workshops und Jugendbegegnungen versuchen die dreißig Mitglieder Aufklärung zu betreiben, damit Vorurteile gar
nicht erst entstehen – oder aus dem Weg
geräumt werden können. „Natürlich bekommt man bei solchen Veranstaltungen
keinen extrem radikalen Nazi zu Gesicht,
aber man trifft immer welche, die bei einem Konzert einer tschechischen Band
Spaß daran haben, dumme Sprüche zu
klopfen“, weiß Sebastian, „und diese Leute
müssen wir erreichen, weil sie meist nicht
wissen, was hinter solchen Äußerungen
steht.“ Eine besonders wichtige Arbeit ist
für den Verein auch die Opferhilfe. Hier
steht die „Aktion Zivilcourage“ allen bei,
die von Rechtsradikalen angegriffen wurden. Dazu gehört nicht nur moralischer
Beistand, sondern auch aktive Hilfe. Oft
bedeutet das: Anzeige erstatten und die
Opfer zu Gerichtsverhandlungen beglei-
ten. Die Anerkennung für diese Arbeit
wächst stetig, doch spätestens seit dem
Wahlerfolg der NPD in Sachsen hat sich
die Situation verschlimmert, die Übergriffe
nehmen wieder zu. „Man müsste eigentlich
noch viel mehr machen“, sagt Sebastian,
„aber wir sind zurzeit an einem Punkt, wo
wir an unsere Grenzen stoßen.“
Ihr wollt eure Unterstützung anbieten?
www.zivilcourage-pirna.de
Bildunterschrift:
Geballte Kraft: Die Jungs und Mädels der
Aktion Zivilcourage im sächsischen Pirna
Aufruf
Schwarz auf Weiß
Nur nicht hinsehen, bloß nicht zuhören
und ja nichts sagen! Wer den Themen
Rechtsextremismus und Rassismus auf
diese Weise begegnet, bewirkt nichts. Wir
wollen etwas daran ändern. Und möchten
euch aufrütteln, hinzusehen, zuzuhören
und mitzureden – und uns eure Geschichte
zu schicken. Schreibt uns eure Erlebnisse
und Erfahrungen mit Rechtsextremisten,
Neonazis und Rassisten. Was ihr darüber
denkt, was ihr fühlt und was euch stinkt.
Aber auch, wo ihr im Alltag Zivilcourage
erlebt habt und wer euer Vorbild in Sachen
Toleranz ist. Aus allen Einsendungen
möchten wir ein Buch zusammenstellen.
Der Erlös aus dem Verkauf des Buches soll
der Aktion Zivilcourage in Pirna zugute
kommen, die auch außerhalb der Grenzen
Sachsens für ihren Einsatz gegen Rassismus und für Toleranz bekannt ist.
Schickt uns eure Geschichten auf maximal
vier A4-Seiten, gern auch mit Fotos, bis
zum 18. Februar 2005 an SPIESSER – die
Jugendzeitschrift, Stichwort „Schwarz auf
Weiß“, Postfach 210 220 in 01263 Dresden
oder per Mail an [email protected]
WAS TUN, WENN...
...drei Schüler in der Klasse ständig
das jüdische Mädchen und den russischen Mitschüler ärgern?
Die Frage beantwortete Christine Böckmann vom „Miteinander“ e.V. in Magdeburg
Ich finde, es ist egal, ob jüdische oder russische oder brillentragende Mitschülerinnen und Mitschüler geärgert werden. Es
sind immer Menschen – und allein deshalb
sollten wir uns dagegen wehren. Am wichtigsten finde ich, dass die, die gemobbt
werden, spüren, dass sie nicht allein sind.
Zeigt ihnen, dass es andere Menschen gibt,
die nicht wegschauen wollen. Dann könnt
ihr gemeinsam überlegen, ob und was ihr
alleine tun wollt oder wen ihr um Rat fragen oder um Hilfe bitten wollt.
KURZINTERVIEW
Hagen Kreisel über seine Arbeit bei
Amal – der Hilfsorganisation für Opfer rechter Gewalt
SPIESSER: Was bedeutet Amal?
Hagen: Das Wort Amal ist arabisch und
steht für Hoffnung. Hauptziel von Amal ist
es, jungen Leuten zu helfen, die auf Grund
ihres Outfits oder ihrer Hautfarbe Opfer
körperlicher Gewalt werden. Das Besondere an uns ist, dass wir eine aufsuchende
Beratungsstelle sind. Wir recherchieren
nach Übergriffen und gehen dann direkt
auf die Opfer rechtsextremer Gewalt zu.
Das hat den Vorteil, dass wir mehr Leute
erreichen: nämlich auch die, die von alleine keine Beratungsstelle aufsuchen würden.
SPIESSER: Bei welchen Vorfällen fängt
die Opferberatung an – und wo hört sie
auf?
Hagen: Das Spektrum reicht von Diskriminierung bis zu Übergriffen mit schweren
Gewaltverbrechen.
SPIESSER: Wie sieht die Hilfe konkret
aus?
Hagen: Oft hilft es den Opfern schon,
wenn wir zusammen mit ihnen über das
25
Ausgezeichnete Beiträge
Erlebte sprechen, das Geschehene verarbeiten und sie ermutigen, Anzeige zu erstatten. Wir bereiten die Opfer auch auf
die Gerichtsverhandlung vor und nehmen
bei Wunsch auch daran teil. Wenn wir
merken, dass bei dem Opfer schwere psychische Beeinträchtigungen vorliegen, ziehen wir auch einen Psychologen zu Rate.
Im Prinzip bieten wir Hilfe zur Selbsthilfe.
26
SPIESSER: Gibt es auch positive Erlebnisse?
Hagen: Klar, die gibt es natürlich auch.
Wir kriegen oft Rückmeldungen nach Prozessen. Viele bedanken sich für die gute
Hilfe. Das gibt einem das Gefühl, dass es
Sinn macht, was man tut. So was ist sehr
wichtig, um weiter zu machen.
Links zur Opferberatung:
Sachsen: www.amal-sachsen.de,
www.raa-leipzig.de;
Sachsen-Anhalt: www.miteinander-ev.de;
Thüringen: www.mobit.org
Serienpreis
Serienpreis
Camilla Härtewig, Rena Lehmann
„Jetzt erst recht!“
Rhein-Zeitung/Oeffentlicher Anzeiger, 10. – 24. 12. 2004
Die lachende Notgemeinschaft der
Mäuse
an ihrem Käse nagen, so wurden unsere
Kinder an ihren Kochtöpfen mitversorgt.“
„Jetzt erst recht!“ – Teil 1 des Reigens:
In der schweren Zeit ihrer Krankheit
konnte Leonore Knoche auf viele
Menschen zählen – Netzwerk der
Freunde
In der Zeit, als Kinder und Ehemann Hilfe
brauchten, bildete sich ein Netzwerk, das
weit über die Familie hinausreichte. Ein
Netzwerk, das wohl schon immer da war,
aber in diesem Moment auf besonders intensive Art Wirkung zeigte.
Anderen in schwierigen Momenten ihres Lebens beizustehen, erfordert Mut und Ausdauer. Die zwölf Menschen unserer Serie haben in solchen Situationen „jetzt erst recht!“
gesagt, sind für andere da oder haben selbst
Hilfe angenommen. Der Reigen beginnt mit
Leonore Knoche: Als die Bad Kreuznacherin und ihre Familie in Not waren, zeigte ein
Netzwerk der Freunde kompromisslos und
selbstverständlich seine Wirkung.
Geteilter Mittagstisch
• Da war zum Beispiel Petra Stahl. Ihre
Zwillingssöhne besuchten mit Leonore
Knoches Sohn die Schule. Als die Mutter
fehlte, hat Johann-Philipp mittags bei Stahls
gegessen, öfter dort übernachtet und ist mit
der Familie in Urlaub gefahren. „Das war
kein Problem“, sagt Petra Stahl. Was ihr
heute als Lappalie erscheint, war für Leonore Knoche damals sehr wichtig: Sie wusste ihren Sohn in den besten Händen.
• Ilse und Hans-Günther Hey wohnten zu
der Zeit im Stockwerk unter den Knoches.
„Es bedeutete für mich große Sicherheit,
dass sie da waren“, sagt Leonore Knoche.
Ein Mal pro Woche gab es bei den Heys für
BAD KREUZNACH. Als die Ärzte in der
Mainzer Uniklinik die Diagnose stellten,
„grenzte es schon an ein Wunder, dass ich
noch lebte.“ Leonore Knoche litt unter
einer lebensgefährlichen Erweiterung der
Aorta, ausgelöst durch ein angeborenes
Syndrom. Kurz nachdem sie sich erholt
hatte, erschütterte eine zweite Diagnose ihr
Leben und das ihrer Familie: Darmkrebs.
1993 veränderte sich das Leben der Hausfrau und Mutter von drei Kindern schlagartig. Jetzt erst recht – in der Not hielten
alle zusammen: Ohne die Hilfe ihrer
Freunde wäre die Zeit der Krankheiten
noch viel schwerer zu ertragen gewesen.
Während die Mutter in Kliniken und Rehabilitation wieder zu Kräften kam, waren ihre
damals acht-, elf,- und dreizehnjährigen Kinder und ihr Mann drei Monate auf sich gestellt. Freunde und Nachbarn erledigten all
das, was sonst Leonore Knoche geleistet
hatte. „Damals habe ich empfunden, wie
schön es ist, in einer Freundschaft aufgehoben zu sein“, sagt sie, „ich musste mir keine
Gedanken machen, was zu Hause los ist.“
Zwei Mäuse aus Holz, die in ein Stück
Käse beißen, erinnern sie an diese schöne
Erfahrung in der grausamsten Zeit ihres
Lebens. Jeder Helfer hat solche Mäuse als
Dankeschön bekommen. „Wie die beiden
27
Ausgezeichnete Beiträge
die Kinder ein warmes Essen, am Wochenende einen selbst gebackenen Kuchen.
• Christa Mottweiler erinnert sich an eine
„schöne Zeit“, als die Knoche-Kinder ein
Mal pro Woche bei ihr aßen. „Es ist doch
selbstverständlich, dass man hilft“, sagt
auch sie.
• „Wir sehen uns eigentlich gar nicht oft,
aber wenn es darauf ankommt, wissen wir,
dass wir uns auf einander verlassen
können“, erklärt Monika Eckgold das
Prinzip „Notgemeinschaft“ der helfenden
Freunde. Auch bei ihr gab es ein bis zwei
Mal pro Woche Essen und Hausaufgabenhilfe. Andere Freunde halfen auf die gleiche Weise. Ganz selbstverständlich. Als die
Familie um die Mutter bangte, waren diese
kleinen Gesten unentbehrlich.
Leonore Knoche ist ein angenehmer
Mensch. Sie strahlt Gelassenheit aus, selbst
wenn sie von der Krankheit erzählt. „Wenn
ich Angst habe, hilft es keinem“, sagt sie.
Die 55-Jährige hat die Schicksalsschläge in
„positive Energie“ umgewandelt. „Was ich
körperlich kann, das mach’ ich auch. Ich
will nicht zu Hause sitzen und mich bemitleiden“, sagt sie.
Heute ist sie selten zu Hause zu erreichen.
Sie selbst ist Teil eines sozialen Netzwerkes
geworden. Beim Regiomarkt hilft sie, regionale Produkte bekannt zu machen und
zu verkaufen. „Man muss irgendwie in den
Köpfen installieren, dass nicht alles, was
von weit her kommt und glatt und sauber
ist, auch besser ist“, sagt sie überzeugt.
Beim „Café Bunt“, das sich für wohnungslose Frauen engagiert, hütet sie das Kind
einer jungen, allein erziehenden Mutter.
„So hat sie mal Zeit , darüber nachzudenken, wie ihr Leben weitergehen soll“, erklärt Leonore Knoche. Auch die Morgenstern-Kirche, wo sie Gottesdienste für
geistig und körperlich behinderte Menschen vorbereitet, liegt ihr am Herzen.
Trotzdem fröhlich leben
Nicht den Kopf in den Sand stecken, „die
Zeit, die ich habe, fröhlich leben“ – Leonore
Knoche gibt heute Hilfe weiter, die sie selbst
einst dringend benötigte. Auch ihr Mann
Karl-Heinz Knoche hätte ohne die Hilfe der
Freunde die Aufgaben in Job und Familie
und sein Fernstudium in Halle nicht bewältigen können. Er besuchte seine Frau trotzdem täglich in der Mainzer Uniklinik – obwohl sie schimpfte. „Er hatte doch schon so
viel zu tun,“ erinnert sich Leonore Knoche.
„ Jetzt erst recht“ – das Motto des ehrenamtlichen Engagements seiner Frau – hat
auch für seine tägliche Arbeit Bedeutung.
Er hilft Aussiedlern, sich in den deutschen
Arbeitsmarkt hineinzufinden. Wie er das
macht, ist morgen Thema der zweiten
Folge unserer Serie.
Rena Lehmann
E-Mail an die Autorin:
[email protected]
Neue Wege gehen – auch für andere
„Jetzt erst recht!“ – Teil 2 des Reigens:
In der Lebenskrise seiner Frau entwarf Karl-Heinz Knoche neue Berufsperspektiven
Kann man sein Schicksal in Frage stellen?
Leonore Knoche tat dies, als sie schwer erkrankte. Das funktionierte, weil auch ihre
Freunde die Schicksalsfrage mit Ja beantworteten. Darüber berichteten wir im
ersten Teil unserer Serie „ Jetzt erst recht!“.
Heute geht es um Leonore Knoches Mann
Karl-Heinz. Er ist Geschäftsführer der
Akademie der Diakonie und ein Paradebeispiel dafür, dass es im Leben nie zu spät
ist für einen Neuanfang.
BAD KREUZNACH. Wenn Karl-Heinz
Knoche in Rente geht, dann wartet auf ihn
eines seiner größten Projekte: Die Doktorarbeit in Pflegewissenschaft. Doch bis dahin hat der 57-jährige Geschäftsführer der
Akademie für Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen der „kreuznacher diakonie“ noch viel zu tun.
Dass es nie zu spät ist für neue Wege, dafür ist Knoche ein gutes Beispiel. Mit 44
Jahren begann der gelernte Krankenpfleger 1991 ein Fernsonderstudium in Halle.
Warum gerade da? „Weil ich dort ohne Ab-
28
itur studieren konnte.“ Die Mittlere Reife,
seine Ausbildung zum Pfleger und die
langjährige Berufserfahrung reichten da-
mals für die Zulassung. Neugier trieb ihn
ins Studium. Außerdem wollte er für seine
Arbeit an der Akademie seine Defizite in
Serienpreis
Pädagogik ausgleichen. „Schließlich war
ich an der Akademie für pädagogische Inhalte mitverantwortlich.“
blieben in Deutschland nur schlecht bezahlte Jobs als nicht qualifizierte Hilfskräfte
in der Pflege.
Das berufsbegleitende Studium fiel in eine
Zeit, in der es privat um Leben und Tod
ging. Seine Frau musste mehrere Operationen über sich ergehen lassen und brauchte
zwei Jahre, ehe sie wieder auf den Beinen
war. Arbeiten, studieren, sich um die drei
Kinder kümmern und jedenTag seine Frau
in Mainz besuchen – so sah der anstrengende Alltag aus. „ Jetzt erst recht“ fand
Karl-Heinz Knoche die Kraft, an andere zu
denken. Nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion bekam er die Probleme und
Nöte der Aussiedler hautnah mit, betreute
die Diakonie doch damals annähernd 1000
Deutschstämmige. Viele hatten im Gesundheitswesen gearbeitet, aber ihre Ausbildung wurde hier nicht anerkannt. Ihnen
Dieses Potenzial brach liegen zu sehen, ärgerte Karl-Heinz Knoche. Er entwickelte
einen neunmonatigen Kurs, bei dem die
Aussiedler mit den Bedingungen und Anforderungen der Berufe sowie den Strukturen des Gesundheitswesens in der
Bundesrepublik vertraut gemacht werden.
Der Kurs ist insbesondere für Frauen und
Männer gedacht, die ihre Ausbildung in
der ehemaligen Sowjetunion, in Rumänien
oder in Polen gemacht haben und die staatliche Anerkennung als Krankenschwester
oder Hebamme erlangen wollen. Diese
Schulung ist einmalig in Rheinland-Pfalz
und wird von der Agentur für Arbeit gefördert.
Karl-Heinz Knoche sagt: „Anfangs wurde
von den Aussiedlern nur ein Berufspraktikum verlangt. Das reicht aber nicht, denn
auf der Station bleibt zu wenig Zeit, um die
vielfältigen Abweichungen der Gesundheitssysteme aufzuarbeiten.“ Von zentraler
Bedeutung ist für Knoche die schriftliche
und mündliche Ausdrucksfähigkeit seiner
Schüler. „In den bald 13 Jahren, in denen
wir den Kurs anbieten, ist niemand durchgefallen.“ Mehr als 250 Pflegekräfte haben
so Dank seiner Hilfe eine berufliche Zukunftsperspektive bekommen. Zu ihnen
gehören auch Hebamme Maria Kaiser und
Krankenschwester Alicja Kujawski, die
den ersten Integrationskurs der „kreuznacher diakonie“ besuchten. Um ihre Geschichte geht es in der nächsten Folge des
Reigens.
Camilla Ebertshäuser
E-Mail an die Autorin:
[email protected]
Neues Leben begann in fremder
Heimat
„Jetzt erst recht!“ – Teil 3 des Reigens:
Sprache ist alles – das haben Maria
Kaiser und Alicja Kujawski als Aussiedlerinnen in Deutschland erfahren
In schwierigen Momenten den Mut nicht
verlieren: Die Hauptpersonen unserer Serie sagten in solchen Situationen „ Jetzt erst
recht!“, waren für andere da oder haben
Hilfe angenommen. Gestern stellten wir
Karl-Heinz Knoche von der Akademie der
„kreuznacher diakonie“ vor. Heute geht es
um zwei Frauen, die 1992 bei ihm den ersten Eingliederungskurs für Aussiedler besuchten.
BAD KREUZNACH. Zwei Koffer à 20
Kilo – das war alles, was Maria Kaiser von
ihrem alten Leben in Tadschikistan blieb.
Wohnung, Möbel, Freunde, Haustiere, die
Arbeit als Hebamme, alles hatte die damals 27-jährige Deutschstämmige 1989 für
den Traum der Eltern von der Rückkehr
in die Heimat aufgegeben. Auch die in Polen aufgewachsene Alicja Kujawski wagte
den Schritt und fing in Deutschland ein
neues Leben an. Beide Frauen bereuen
ihre Entscheidung nicht, auch wenn die
Ernüchterung zunächst groß war. Denn
schnell wurde klar: Willkommen waren
sie als Aussiedlerinnen hier nicht bei allen.
Ihr ganzes Leben lang hatte Maria Kaisers
Eltern die Sehnsucht nach Deutschland
nicht losgelassen. Daheim wurde immer
Deutsch gesprochen, obwohl es verboten
war. „Mein Vater hat bestimmt 20 Ausreiseanträge gestellt. Immer wurden sie abgelehnt“, sagt die 42-Jährige. „Es war kein
schlechtes Leben“, schildert die Hebamme. „Wir hatten zu essen und zu wohnen, aber ich vertraute meinen Eltern,
dass wir nach Deutschland gehören.“ Nationalistische Probleme kamen hinzu: „In
Tadschikistan wurden wir als Russen angesehen und gehasst.“
29
Ausgezeichnete Beiträge
Erst mit Gorbatschows Perestroika wurde
der Traum von der „Heimkehr“ Wirklichkeit. Mit den Eltern, ihrem Mann und den
zwei Kindern flog Maria Kaiser im Oktober 1989 nach Frankfurt. Ihre Schwester
war ein paar Wochen früher ausgereist.
„Alle zusammen oder gar nicht – das war
die Maxime.“
An das gelobte Land erinnerte in Deutschland zunächst wenig. Die Familie kam in einem Übergangswohnheim in Osnabrück
unter, später durfte sie nach Bad Kreuznach weiterreisen. Hier hatte sich die Familie ihrer Schwester niedergelassen. Im
Aussiedlerwohnheim lebten sie zu sechst
auf 24 Quadratmetern, und das ein halbes
Jahr lang. „Anfangs habe ich viel geweint,
aber ich wusste, es gibt kein Zurück
mehr“, erzählt Maria Kaiser.
Auch Alicja Kujawski erinnert sich an die
schwere Anfangszeit: „Man gibt alles auf,
was man sich aufgebaut und schwer erarbeitet hat.“ Sie kam 1987 mit 24 Jahren als
Erntehelferin bei der Lese in die Kreuznacher Gegend – eigentlich nur für vier Wochen. „Ich blieb vor allem wegen der Liebe
in Deutschland und aus wirtschaftlichen
Gründen.“
Sie erkannte, dass sie mit der gleichen Arbeit hier viel besser leben konnte als in Polen. Da ihr Großvater Deutscher ist,
konnte sie als Aussiedlerin bleiben. Die
Ein Leben, wie es Gott gefällt und
den Menschen
„Jetzt erst recht!“ – Teil 4 des Reigens:
Der Leiter des St. Marienwörth lässt
sich von Etatkürzungen nicht ausbremsen – „Es gibt tausend Möglichkeiten, der Not zu begegnen“
Anderen in schwierigen Momenten beizustehen, erfordert Mut und Ausdauer. Die
Helden unserer Serie haben in solchen Situationen „jetzt erst recht!“ gesagt, sind für
andere da oder haben Hilfe angenommen.
Gestern ging es um die Geschichte von
zwei Aussiedlerinnen, die im Krankenhaus
St. Marienwörth arbeiten. Der heutige Beitrag zeigt, wie ihr Chef, Bruder Bonifatius
Faulhaber, auch ohne große Etats Neues
auf die Beine stellt.
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Entscheidung fiel nicht leicht, ließ sie doch
die Eltern und ihre Geschwister in Danzig
zurück. Bis zu einem ersten Wiedersehen
vergingen zwei Jahre.
Beide Frauen besuchten zunächst einen
Deutschkurs, dann absolvierten sie ein halbes Jahr lang ein Praktikum in einem Krankenhaus. Noch heute denkt Maria Kaiser
gerne an die Zeit im Kreißsaal der Diakonie zurück. „Ich bin so nett aufgenommen
worden; die Kollegen dort haben mir damals richtig auf die Beine geholfen.“
Dann ging es an die Arbeitssuche. Dabei
half ihnen der erste Integrationskurs fürAussiedler an der Akademie für Berufe im
Sozial- und Gesundheitswesen der „kreuznacher diakonie“. Obwohl ihre Ausbildungen als Hebamme und Krankenschwester
damals anerkannt wurden, ergriffen sie
gerne die Chance, die das Arbeitsamt ihnen bot und besuchten den Eingliederungskurs. „Ich konnte davon nur profitieren“, erklärt Maria Kaiser. „Auch wenn ich
meine Arbeit kann, musste ich doch den
Frauen mitteilen können, was ich von ihnen will. Man muss die Sprache beherrschen. Ohne geht es nicht.“
Die Betreuung durch die Akademie und
die theoretischen und praktischen Einheiten empfand sie als sehr hilfreich. Vor allem die gesetzlichen und versicherungstechnischen Grundlagen hätte sie allein
BAD KREUZNACH. „Wo Not ist, gibt es
tausend Möglichkeiten, ihr zu begegnen.“
Dieses Motto lebt Bruder Bonifatius Faulhaber. Einsparungen, kürzere Verweildauer der Patienten, starke Reglementierung durch die Kostenträger – die Zeiten
sind denkbar schlecht für Initiativen und
Investitionen. Doch vor solchen Unbilden
schreckt Bruder Bonifatius nicht zurück.
Wo er Missstände sieht, geht der 37-Jährige sie an – unbürokratisch und schnell.
Von Finanzierungsschwierigkeiten lässt er
sich nicht zurückhalten. „Man sollte dem
Geist freien Lauf lassen, Lösungsmöglichkeiten finden sich immer.“
Wie aber bringt Bonifatius Faulhaber seine
Rolle als Krankenhausdirektor und Chef
von 520 Mitarbeitern mit der Demut zusammen, die ihm als Geistlicher auferlegt
durch ein Praktikum nicht gelernt. Alicja
Kujawski bestätigt: „Dieser Kurs war ein
Glücksfall. Und mit Herrn Knoche und
seinen Mitarbeitern hatten wir immer einen Ansprechpartner.“ Beide fanden im
Krankenhaus St. Marienwörth eine Arbeit
und sind heute noch dort beschäftigt.
Maria Kaiser war nie wieder in Tadschikistan. „Ich bin jetzt hier zu Hause.“ Alicja
Kujawski aber besucht ihre Familie in
Danzig mindestens ein Mal im Jahr. Dort
leben möchte sie jedoch nie mehr. „Das
Gefälle ist so extrem geworden. Es gibt nur
noch ganz reich oder ganz arm.“ Viele Bekannte leiden Hunger, Löhne werden nicht
regelmäßig ausgezahlt. Mit den beiden
Töchtern spricht Alicja Kujawski polnisch.
„Es schadet niemandem, mehrere Sprachen zu können. Das eröffnet den Kindern
vielleicht auch bessere Berufschancen.“
Dass Ausländer und Aussiedler im Mitarbeiterkreis des Krankenhauses St. Marienwörth so nett aufgenommen werden, führen die Frauen auch auf den Führungsstil
von Krankenhausdirektor Bruder Bonifatius zurück. Dem findigen Franziskanermönch ist die nächste Folge der Serie „ Jetzt
erst recht!“ gewidmet.
Camilla Ebertshäuser
E-Mail an die Autorin:
[email protected]
ist? Er lacht. „Ich kann nur dann Dinge
wirklich verändern, wenn ich in einer Leitungsfunktion bin“, argumentiert Bruder
Bonifatius. „Und Macht kann etwas Positives sein, wenn ich mit der richtigen Wertehaltung lebe.“
Gerade für ihn als Franziskaner ist die Arbeit im Team wichtig. Er sieht sich nicht als
alleiniger Macher, sondern will die Mitarbeiter in die Verantwortung nehmen. „Ich
begegne den Menschen auf der Grundlage
eines christlichen Menschenbildes und verstehe es als Auftrag zu sehen, wo bei Mitarbeitern Fähigkeiten und Talente liegen,
die es zu entwickeln gilt.“
Das Gesamtziel, das er seinem Haus vorgibt, ist hochgesteckt: Den Patienten des St.
Marienwörth will er Heimat und Gebor-
Serienpreis
genheit bieten. Jeder Kranke soll in seiner
Situation wahrgenommen und geschätzt
werden. „Wenn ich kein hohes Ziel habe,
dann strenge ich mich auch nicht an, es zu
erreichen“, sagt der Krankenhauschef.
Bruder Bonifatius möchte dem St. Marienwörth durch seine Person ein Gesicht
geben. Auch darum trägt er auf der Arbeit
immer den Habit. „Damit symbolisiere
ich, dass ich zu einer Glaubensgemeinschaft gehöre.“ Und die Sandalen schätzt
der Pragmatiker, weil sie bequem sind.
Mit den selbst gestrickten Socken von der
Oma wird ihm auch im Winter nicht
frisch um die Füße. Nur bei Schnee wechselt er zu Stiefeln.
Das Leben in der Wohngemeinschaft mit
sechs Glaubensbrüdern empfindet er als
positives Korrektiv. Denn durch die hohe
Arbeitsbelastung komme das geistliche Leben manchmal zu kurz. Er bedauert das,
denn das ist „die Quelle, aus der ich
schöpfe“. Drei Mal pro Tag treffen sich die
Franziskaner zum Gebet. Taucht er mal
nicht auf, machen ihn die anderen darauf
aufmerksam. „Wir stärken und tragen uns
gegenseitig und möchten Zeugnis davon
ablegen, was am christlichen Glauben positiv ist. Als Single in einer Penthouse-Wohnung könnte ich meine Arbeit – glaube ich
– nicht machen.“ Er genießt es, sich abends
mit den Brüdern auszutauschen und ein
Glas Wein zu trinken.
Als ein gesellschaftliches Problem riesigen
Ausmaßes hat Bruder Bonifatius die Zunahme bei Demenzerkrankungen erkannt. Alleine im Kreisgebiet gibt es 2000
Betroffene mit einer mittelschweren bis
schweren Demenz. Die Politik begegnet
diesem Phänomen laut Faulhaber nicht
schnell genug und nicht angemessen.
Viele demente Patienten werden aus dem
Krankenhaus nach Hause oder ins Altenheim entlassen, wo man die wünschenswerte Pflege ohne Unterstützung kaum
leisten kann. Das führe bei manchen Betroffenen zu Aggressivität, mit der Folge,
dass die Dementen in die Psychiatrie eingewiesen, dort oft sediert werden und sich
in der Folge eine Lungenentzündung holen können. „Dann landen sie wieder bei
uns. Dieser Teufelskreis muss aufgebrochen werden“, sagt Bruder Bonifatius.
Auch will er die Familien unterstützen, die
einen Angehörigen daheim pflegen. Damit sie das auf Dauer leisten können,
brauchen sie Momente der Ruhe. So kam
die Idee einer Tagesstätte für Demenzkranke auf. Zusammen mit dem Caritasverband wurde das Projekt in kürzester
Zeit umgesetzt. Zudem wurde ein Netzwerk Demenz gegründet, in dem 23 Sozialinstitutionen vertreten sind.
Berührt hat den Franziskaner auch die
große Trauer, die Eltern empfinden, wenn
ihr Kind viel zu früh auf die Welt kommt
und stirbt. Für den Mann Gottes entsteht
Leben bereits beim Zeugungsakt. Nicht
bestattungspflichtige Tot- und Fehlgeburten sind für ihn deshalb kein biologischer
Sondermüll, sondern Menschen, die eine
Bestattung verdienen.
Für diese kleinen Toten hat Bruder Bonifatius einen Teil des Grabfeldes auf dem
Stadtfriedhof, das für die Franziskanerbrüder und Mägde Mariens vorgesehen ist, als
Ruhestätte einrichten lassen. Väter und
Mütter haben seitdem einen Ort zum Abschied nehmen. „Das ist ganz wichtig,
31
Ausgezeichnete Beiträge
denn viele Paare sind nach einer solchen
Erfahrung traumatisiert und tun sich
schwer damit, sich für ein weiteres Kind zu
entscheiden“, weiß Bruder Bonifatius.
Eine Mutter, deren zu früh geborenes Kind
vor wenigen Wochen auf der von Bruder
Bonifatius eingerichteten Ruhestätte begraben wurde, stellen wir in der morgigen
Folge unserer Serie vor.
Camilla Ebertshäuser
E-Mail an die Autorin dieser Folge:
[email protected]
Trauer um das tote Kind kennt
keinen Richtwert
Auch ihre beiden gesunden Kinder hätten
sich noch einen Bruder oder eine Schwester gewünscht. Ihr kleiner Sohn kommt in
die Küche. Er versteht nicht, dass seine
Mutter gerade nicht gestört werden
möchte. „Als ich nach der Fehlgeburt oft
geweint habe, hat er sich einfach auf meinen Schoß gesetzt und mich umarmt“, erzählt die Frau. Ihre vierjährige Tochter
schimpfte auf den „lieben Gott“, der böse
sei, weil er ihnen ihr Geschwisterchen
weggenommen habe.
Baby, und ich habe es beim Ultraschall gesehen“, sagt sie mit Nachdruck. Sie weiß
gar nicht mehr, wie oft sie diesen Satz
schon gesagt hat. Für das Verhalten ihrer
Verwandten, die mit Unverständnis auf
ihre Trauer reagiert hatten, hat sie nur
noch bittere Worte übrig.
„Jetzt erst recht!“ – Teil 5 des Reigens:
Eine junge Mutter fand nach einer
Fehlgeburt Trost an der Ruhestätte
für Tot- und Fehlgeburten – Das
Verständnis für ihre Trauer fehlt
Eine Initiative einzelner kann vielen helfen.
Im vorigen Teil unseres Reigens haben wir
Bruder Bonifatius porträtiert. Er und die
junge Frau, die wir heute vorstellen, kennen sich nicht. Sie sind aber auf besondere
Weise miteinander verbunden. Die Frau
hat ein Kind durch eine Fehlgeburt verloren; der Bruder ist Initiator einer speziellen
Ruhestätte, an der sie um ihr ungeborenes
Kind trauern kann.
BAD KREUZNACH. Zwei Blätter, bedruckt mit Versen, liegen auf dem Küchentisch. „Ich bin eigentlich kein Mensch,
der schreibt oder dichtet, aber im Krankenhaus kam es einfach von selbst“, sagt
die junge Frau. Es ist ihr unangenehm, jemandem die Texte zu zeigen, die in den unvergessenen Momenten entstanden sind,
in denen sie nicht wusste, wohin mit ihren
Gedanken.
Mein Tränenkanal ist leer,
ich habe keine Tränen mehr.
Mein Baby in meinem Bauch gestorben,
das ist – für mich – als gäb’s kein Morgen.
Es sind einfache Verse, nur für sie selbst geschrieben und Ventil für alle Gefühle, die
sie seit ihrer Fehlgeburt nicht loslassen.
Schon sprudelt die Geschichte um den Verlust ihres Babys wie von selbst aus ihr heraus, so, als müsste sie sie wieder und wieder erzählen.
Es tut so weh, so schrecklich weh.
Ich fühl mich so leer,
als ob ein Teil von mir
zusammen mit meinem Baby gestorben wär.
32
Die Mutter erlebte im August schon ihre
zweite Fehlgeburt. Nachdem sie das erste
Mal ein Kind verloren hatte, wurde sie kurz
darauf wieder schwanger mit ihrem Sohn.
„Nach der ersten Fehlgeburt habe ich im
Krankenhaus viel geweint, aber mich nicht
länger damit auseindergesetzt.“ Erst ein
Jahr später, nachdem der Alltag mit den beiden Kindern eingekehrt war, wurde sie depressiv. „Ich wäre morgens gar nicht mehr
aufgestanden und hätte mir die Decke über
den Kopf gezogen, wenn die Kinder nicht
gewesen wären“, sagt sie. Zusammen mit
einer Psychologin fand sie schließlich heraus, dass ihre unverarbeitete Trauer um das
verlorene Kind die Ursache war.
Ich bin allein, allein mit meiner Trauer,
um mich herum ist eine hohe Mauer
von Unverständnis und Ignoranz
anstatt Zuspruch, Mitgefühl und Akzeptanz.
Als sie zum zweiten Mal ein Kind verlor,
nahm sie sich das Recht zu trauern. Wie
ist die Beziehung zu einem ungeborenen
Kind, das man noch nicht kennt? In dieser Frage liegt vermutlich die Ursache für
das Unverständnis vieler Menschen im
Umgang mit trauernden Müttern. Die Reaktion der jungen Frau auf meine Frage
hilft beim Verstehen. Sie wirkt gekränkt,
beginnt zu weinen und wischt sich vergeblich die nicht enden wollenden Tränen
aus dem Gesicht. Doch sie will weitersprechen, gerade jetzt, an diesem entscheidenden Punkt. „Es war ein fertiges
Reiß Dich zusammen, schließlich hast Du ja
zwei gesunde Kinder, für die Du da sein
musst, die Dich brauchen: Wie können mich
meine Kinder über den Verlust meines Babys
hinwegsehen lassen, wo ich doch gerade an ihnen jede Sekunde sehe, was ich mit meinem
Baby nie erleben werde?
„Als ich beim zweiten Mal im Krankenhaus war, wollte ich mir von niemandem
mehr diese Sprüche anhören. Also hat
mich niemand besucht“, erzählt sie. Die
fehlende Anteilnahme an dem Verlust ihres Kindes spürt sie bis heute. „Das passiert
eben, und es geht weiter“, umschreibt sie
die Haltung vieler. Ein Satz einer Angehörigen hat sich ihr besonders ins Gedächtnis
eingebrannt: „Es ist nichts so schlimm,
dass es nicht für was gut sei.“ Beim Trauern helfen Kalendersprüche wenig.
Ich will den falschen Trost nicht hören, er soll
meine Trauer nur stören. Er hilft nicht und ist
auch nicht so gedacht, er ist nur für die Unsicherheit der anderen erbracht.
Nach der zweiten Fehlgeburt wollte die
Mutter keinen Kompromiss eingehen. Ihr
Kind sollte wie jeder Mensch beerdigt
werden. Von anderen Frauen erfuhr sie,
dass es auf dem Stadtfriedhof eine Ruhestätte für Fehlgeburten und totgeborene
Kinder gibt.
Auch die Trauer kennt in Deutschland
Richtwerte. Bei Ungeborenen liegt er bei
500 Gramm – darüber ist der Leichnam
ein Kind, darunter ist er Sondermüll und
wird mit dem Krankenhausabfall entsorgt.
Für die junge Mutter eine unerträgliche
Vorstellung.
Serienpreis
Auf dem besonderen Friedhof, den der
Krankenhausleiter Bruder Bonifatius Faulhaber einrichten ließ, sollte nun auch ihr
verlorenes Kind bestattet werden.
(...) und ich will glauben und hoffen, es gibt
irgendwo, irgendwas, irgendwen, der mein
Baby in Liebe zu sich nehm(...)
Sie fragte die Ärzte und Schwestern nach
diesem Ort. Schließlich kam Krankenhausseelsorger Pfarrer Ulrich Laux zu ihr,
der zusammen mit Pfarrer Martin Reese
von der „kreuznacher diakonie“ zu der
jährlichen Gedenkfeier an der Ruhestätte
für Fehlgeburten auf dem Bad Kreuznacher Friedhof einlädt.
Meine Unterhaltung mit der jungen Mutter findet nur wenige Tage vor der Bestattung ihres Kindes statt. Ihr Mann hat sich
für diesen Tag frei genommen und die beiden wollen gemeinsam zur Feier gehen.
„Das Abschiednehmen hat mir bei der ersten Fehlgeburt gefehlt. Jetzt habe ich einen Ort, an dem ich trauern kann“, sagt
die Frau.
Dafür, dass es diesen Ort gibt, haben sich
mehrere Menschen engagiert: Das Seelsorgerteam um Pfarrer Laux griff Bruder Bonifatius’ Idee für die Ruhestätte auf. Die
Särge für die Kinder spendet der Bad
Kreuznacher Bestatter Bernd Geyer, den
Grabstein stiftete das Unternehmen Kaszuba. In der nächsten Folge der Serie erklärt Ulrich Laux, wie dieses und andere
Projekte Wirklichkeit wurden.
Rena Lehmann
33
Ausgezeichnete Beiträge
Kommentar
Der Mensch, ein Status
Rena Lehmann zum Umgang mit Fehlgeburten
Fehlgeburten sind keine Seltenheit, und
doch hört man wenige Frauen darüber
sprechen. Es scheint eine Art stillschweigenden Konsens in ihrem Umfeld darüber
zu geben, dass eine Fehlgeburt keine Tragödie ist. Nach dem Motto „Auf ein
Neues!“ wird der Todesfall, den eine Fehlgeburt unmissverständlich bedeutet, sogar
von nahen Verwandten zur Lappalie erklärt. Ob aus Unbeholfenheit oder mangelndem Verständnis entstanden, die Reaktionen haben Folgen: Betroffene leiden
häufig – auch wegen der fehlenden Aussprache – unter Depressionen. Es sind die
Folgen unverarbeiteter Trauer. Eine Fehlgeburt ist ein Todesfall, allen Betroffenen
sollte auch die Anteilnahme zukommen,
die beim Tod eines wenige Monate alten
Babys selbstverständlich ist. Die Ruhestätte ist ein solches Zeichen der Anteilnahme, das den toten Ungeborenen den
„Status“ Mensch verleiht. Muttergefühle
„Soziale Verantwortung muss man
lernen“
„Jetzt erst recht“ – Teil 6 des Reigens:
Ein Interview mit Krankenhausseelsorger Ulrich Laux über soziales
Engagement und die Bedeutung
von Zusammenarbeit in Netzwerken
Hilfe funktioniert selten im Alleingang –
erst recht nicht in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen. Krankenhausseelsorger
Ulrich Laux ist überzeugt, dass private
Netzwerke und öffentliche Einrichtungen
an einem Strang ziehen müssen, um soziales Miteinander zu ermöglichen. Mit Hilfe
vieler ist auch die Ruhestätte für Fehlgeburten in Bad Kreuznach entstanden, die
gestern Thema der Serie war. Dazu ein
Interview mit Ulrich Laux.
kennen keine Richtwerte. Für eine Frau ist
das heranwachsende Geschöpf in ihrem
Bauch von Anfang an ihr Kind.
E-Mail an die Autorin:
[email protected]
Hintergrund
Nicht bestattungspflichtig
Eine Fehlgeburt ist nach dem Personenstandsgesetz ein totgeborenes Kind mit einem Geburtsgewicht unter 500 Gramm,
es ist nicht bestattungspflichtig. Die Gewichtsgrenze ist 1994 von 1000 auf 500
Gramm gesenkt worden. Das weniger als
500 Gramm wiegende Kind wird nicht in
das Personenstandsbuch des Standesamtes oder das Familienbuch eingetragen.
Hat das Kind nach der Scheidung vom
Mutterleib Lebensmerkmale wie Herzschläge, eine pulsierende Nabelschnur
oder eine natürliche Lungenatmung gezeigt, handelt es sich – unabhängig vom
Gewicht des Kindes – um eine Lebendgeburt, auch wenn das Kind kurz darauf verstirbt. Dann wird es wie jedes lebende
weiteren ist es auch ein Zeichen für die
Welt, in der wir leben. Die christlichen
Krankenhäuser sind der Auffassung: Leben ist Leben von Anfang an. Ab 500
Gramm sind Kinder ja bestattungspflichtig. Uns interessiert das Gewicht nicht. Es
ist ein Kind, ein wirkliches Kind, das auch
eine Würde hat.
Funktioniert Kirche noch als Träger von Werten? Insbesondere bei Ihrer Arbeit?
Ich glaube, dass ein Krankenhaus, wenn
es von Christen geführt und geleitet wird,
eine Botschaft hat und für Werte steht.
Wir lassen durch unsere persönliche Einstellung deutlich werden, dass es nicht
nur ums Finanzielle geht und darum,
dass der Laden läuft. Das gibt gerade in
unserer heutigen, pluralen Landschaft
ein Profil.
Worin liegt Ihrer Meinung nach die Bedeutung der Ruhestätte für Tot- und Fehlgeburten?
Was sind das für Werte, für die Sie bei Ihrer
Arbeit stehen?
Wichtig ist, dass die Menschen einen Ort
haben, an dem sie trauern können und
wissen: Hier ist mein Kind begraben. Des
Im Krankenhaus ist es mir wichtig, die
Würde des Menschen zu achten, dem
Schwachen beizustehen, Verständnis zu
34
Kind im Geburtenbuch eingetragen und
auch bestattet.
Der gesellschaftliche Umgang mit Totund Fehlgeburten unterliegt seit Jahren einem Wandel. Eine bundesweite Elterninitiative erreichte in den 90er-Jahren die namentliche Beurkundung von Totgeburten
im Geburten- und Familienbuch. Für die
Betroffenen bedeutete dies die Integration
des totgeborenen Kindes in den Familienverbund.
Die Forderungen der Initiative Regenbogen gehen noch weiter. Die organisierten
Eltern wollen ein Bestattungsrecht für
Fehl- und Totgeburten und den Mutterschutz nach einer Fehlgeburt erreichen.
Außerdem setzt sich die Initiative für die
Einrichtung weiterer Grabfelder ein. Größere Sensibilität für die Anliegen der trauernden Eltern hat auch Regionalvertreterin Heike Pieroth-Groß beobachtet. Ihre
Gruppe trifft sich jeden dritten Donnerstag
im Kolpinghaus der katholischen Kirche in
Alzey, Telefon: 06731/4 58 88. Die Initiative hat auch eine Internetseite: www.initiative-regenbogen.de
bewahren. Auch im Sterben sollte Würde
liegen.
Gibt es für Sie Momente in Ihrer Arbeit, in
denen Sie sagen oder denken: „Jetzt erst
recht“?
Ja, da gibt es viele Beispiele. Unabhängig
von der Konfession eines Patienten
werde ich manchmal in schwierigen Situationen gerufen. „Nein, wir wollen den
Pfarrer nicht hier haben. Wir sind aus der
Kirche ausgetreten“, sagen dann manche
Angehörige. Das sind Situationen, in denen ich nicht zurückweiche, sondern
sage, „ Jetzt erst recht“. Ich gehe rein und
die Leute erleben mich als kompetenten
Gesprächspartner in einer schwierigen Situation. Das ändert oft das Bewusstsein
der Menschen, weil sie ein Schema im
Kopf haben, auf Grund ihrer Erfahrungen mit Kirche.
Sie begegnen in Ihrer täglichen Arbeit als
Krankenhausseelsorger häufig Menschen, die
hoffnungslos sind. Wie vermittelt man eine positive Perspektive?
Serienpreis
Schon die Tatsache, dass die Menschen jemandem begegnen, der sie ernst nimmt
und zuhört, hilft. In solchen Gesprächen
gibt es immer einen Teil, wo jeder für sich
selbst verantwortlich ist, für sein Leben
und für die Zukunft. Ich bin ein Mensch,
der Hoffnung hat und langen Atem – in
vielen Situationen –, der Leute lange Zeit
begleitet, die dann auch wieder Fuß fassen.
Das Gespräch über die Ursache der Hoffnungslosigkeit verhilft oft dazu, sich neu zu
sortieren und eine neue Perspektive zu sehen. Damit beginnt der Blick der Hoffnung aus der Hoffnungslosigkeit.
Es ist Ihr Beruf, anderen zu helfen. Haben Sie
beobachten können, dass die Bereitschaft zu
ehrenamtlichem Engagement sich wandelt?
Ich glaube, dass die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement da ist. Bei jenen
besonders, die selber schon einmal in einer
Situation waren, in der sie jemanden
brauchten. Oft ist sie motiviert durch persönliche Betroffenheit und durch eigene Erfahrungen. Solche Leute gibt es. Insgesamt
hat die Bereitschaft abgenommen, aber an
vielen Stellen merken Leute langsam, dass
sie mit dem alleine Leben und im „für sich
Spaß“ und „Leben in Fülle“ haben an ein
Ende kommen. Jeder beginnt darüber nachzudenken, dass es eine soziale Verantwortung gibt, die man damit nicht findet, sondern in verbindlich gelebter Freundschaft
bekommt. Das wird uns allen aufgehen.
Wenn ich in eine schwierige Lage komme,
brauche ich verbindliche Beziehungen. Der
Spruch „Der einzige Weg, einen Freund zu
finden, ist der, selbst einer zu sein“ stimmt.
Wie würden Sie Ihre Motivation für Ihre Tätigkeit als Krankenhausseelsorger beschreiben?
Ich bin selbst krebserkrankt und weiß,
wie das ist, wenn man so krank ist und
nach neuen Perspektiven sucht. Ich weiß,
wie sehr ein gutes Lebensfundament, das
im Glauben gegründet ist, hilft. Ich lebe
mein Leben so, dass ich nicht alles auf
später verschiebe. Seit meiner Erkrankung versuche ich, immer mehr hier und
jetzt zu leben.
Welche Rolle spielen Netzwerke in Ihrer Arbeit?
Ich bin für verschiedene Krankenhäuser
mit verschiedenen Trägern zuständig. Das
macht mich schon zum Wanderer zwischen verschiedenen Welten. Jedes System
35
Ausgezeichnete Beiträge
entwickelt eine Eigendynanik. Es ist unbedingt nötig, dass es Leute gibt, die die
einzelnen Systeme kennen und darüber
hinaus Verbindungen schaffen. So entsteht Zusammenarbeit. Wenn man nur in
einem System arbeitet, ist die Gefahr groß,
dass man blind für Anderes wird. Heute
haben wir in Bad Kreuznach mehrere
Netzwerke. Wir brauchen sie, um gesellschaftlich angemessen auf Situationen reagieren zu können.
In Zeiten knapper Kassen bedeutet das auch
Energien zu bündeln ?
Richtig, man muss sehen, dass nicht jedes
System alles selber macht. Man muss die
Arbeit anderer Gruppen nicht als Konkurrenz betrachten, sondern als bereichernd
und ergänzend.
In Bad Kreuznach funktionieren Netzwerke
offensichtlich. Könnte noch etwas verbessert
werden?
Wir brauchen dieses soziale Engagement,
dieses Interesse am anderen noch mehr
als in der Vergangenheit. Weil es zunehmend Menschen gibt, die hierher ziehen
und niemanden kennen. Es braucht ein
gewisses Interesse am anderen, zum Beispiel in der Nachbarschaft. Ich nenne ein
Beispiel: Wir haben in den Kirchengemeinden eine Telefonkette gebildet. Äl-
Das helfende „Herzblatt“ der Armen
der Stadt
„Jetzt erst recht!“ – Teil 7 des Reigens:
Von der Sozialhilfeempfängerin zur
Helfenden – Maria Bennacer hat in
der Tagesstätte Reling eine neue,
berufliche Erfüllung gefunden
Wenn viele Köpfe an einer Idee arbeiten,
kann Außergewöhnliches entstehen. In
der vorigen Folge unseres Reigens erklärte
Pfarrer Ulrich Laux im Interview, wie der
Treffpunkt Reling für Obdachlose und Bedürftige aufgebaut wurde. Das Projekt lebt
von Spenden und der Hilfe von Menschen
wie Maria Bennacer. Die ehemalige Sozialhilfeempfängerin hat in der Arbeit für
andere bei der Reling Selbstverwirklichung und neuen Sinn gefunden.
BAD KREUZNACH. „Spannbetttücher
und dicke Pullover brauchen Sie? Das fin-
36
tere Menschen haben sich morgens angerufen und gefragt wie es geht. So hat eine
einsame, ältere Dame wieder am Leben
teilgenommen.
Ein Netzwerk, das beinahe jeder hat, ist die
Familie. Funktioniert es noch?
Die Anonymität nimmt zu. Da wir in einer Zeit hoher Mobilität und Veränderung leben – das bemerkt man zum Beispiel daran, dass man häufig seine
eigenen Nachbarn nicht mehr kennt –
muss man sich stärker selbstverantwortlich organisieren. So wie man seine Arbeit organisiert, so braucht man auch Sozialraum-Organisation. Man braucht
Freunde und dafür muss man Zeit investieren. Freunde, die wirklich beistehen.
Dann können auch Menschen im Alter
zufrieden und in schwierigen Lebenslagen existieren.
Wie kann man Netzwerke und soziales Engagement anstoßen?
Ich glaube, dass soziale Verantwortung
nicht automatisch in die Wiege gelegt
wird, sondern dass sie gelernt werden
muss. Ich habe einen Vortrag in einer
Oberstufenklasse über meine Arbeit gehalten. Die Schüler haben dann in einem
Praktikum den Menschen in einem Altenheim geholfen. Das hat den jungen Leu-
det sich bestimmt. Irgend etwas haben wir
immer.“ Maria Bennacer legt den Hörer
auf und strahlt. „Ich danke Gott, dass ich
diesen Job bekommen habe.“
Seit zwei Jahren arbeitet sie im Treffpunkt
Reling, dem Tagesaufenthalt für Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit
bedrohte Menschen. Über das Programm
„Arbeit statt Sozialhilfe“ kam die einstige
Sozialhilfeempfängerin und allein erziehende Mutter hierher. Einen Euro Lohn
gab es in der Stunde, trotzdem füllte die
Arbeit sie aus – und tut es noch, denn „ich
helfe einfach gerne“. Der alte Mann, der
soeben anrief, kann krankheitsbedingt das
Haus nicht verlassen. Nach Dienstende
wird Maria Bennacer zu ihm fahren und
ihm die gewünschten Sachen bringen.
Die 45-Jährige ist gelernte Friseurin, kann
aber wegen einer Allergie nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten. Nach der Trennung
ten die Augen geöffnet. Man muss einen
solchen Einblick in ein anderes Leben
oder System gewinnen, um überhaupt zu
sehen, wie es dort ist, was die anderen
brauchen und wie sie leben. Damit erweitert man nicht nur den eigenen Horizont, sondern gewinnt ein neues Gefühl
für Leben und Zusammenleben.
Ein Beispiel dafür, dass man auch ohne Geld
und feste Strukturen helfen kann, ist die Obdachlosenhilfe Reling, die sie selbst mit aufgebaut haben. Wie stellt man so ein Projekt auf
die Beine?
Als ich noch Pfarrer in der Kreuzkirche
war, habe ich Obdachlosen immer Päckchen mit Butterbroten gegeben. Aber
das reichte nicht. Also haben wir mit vielen anderen Institutionen der Stadt 2001
die Reling gegründet. Seitdem läuft das
Projekt – ohne regelmäßige Zuschüsse,
allein mit Spenden. Dass soviele verschiedene Träger wie Stadt, ArbeiterSamariter-Bund und Kirchen so etwas
leisten, war ein absolutes Novum. Aber
es funktioniert.
Die Fragen stellte Rena Lehmann
Wie in der Tagesstätte für Wohnungslose
geholfen wird, zeigen wir morgen in einem
Porträt von Maria Bennacer.
von ihrem algerischen Mann war die Not
groß. Wochenlang hat sie sich mit ihrer
kleinen Tochter von Nudeln ernähren müssen. Mal gab’s die mit Zimt und Zucker,
mal mit Apfelmus. Kleidung hat sie günstig
beim Roten Kreuz bekommen. „Wir hatten
ein Dach über dem Kopf, Wasser und
Strom. Es gibt andere, denen geht es viel
schlechter“, relativiert Maria Bennacer ihre
damaligen Probleme. „Man kann einfach
nicht mehr ausgeben als man hat.“ Man
merkt der resoluten Frau die Scham darüber an, dass sie für eine Übergangszeit auf
Sozialhilfe angewiesen war. „Meine acht
Geschwister haben alle eine abgeschlossene
Berufsausbildung und Arbeit. Ich war das
schwarze Schaf der Familie. Ich bin nicht so
erzogen, dass man vom Staat abhängig ist.“
Obwohl sie auch eine Stelle als Bürokraft
in Aussicht hatte, entschied sie sich nach
einem Gespräch mit Schwester Irmgard,
der Leiterin der Reling, für die Tages-
Serienpreis
stätte. Hier etwas für Menschen in Not
tun, erschien ihr sinnvoller als am PC zu
sitzen. Und: „Langeweile ist hier noch nie
aufgekommen.“ Ihr angeborenes Helfersyndrom hat Maria Bennacer auf ein gesundes Maß reduziert. Sich zu distanzieren, das war ein Lernprozess: „Ich habe
mich anfangs verrückt gemacht, weil mir
die Probleme der Menschen so zu Herzen
gingen und ich ihnen helfen wollte.“
Maria Bennacer ist ein offener Mensch
und hatte von Anfang an keine Berührungsängste. Sie begegnet allen Gästen mit
Respekt und einer unerschütterlichen guten Laune. Auseinandersetzungen gibt es
trotzdem manchmal, „aber ich habe mir
ein dickes Fell zugelegt und nehme das
nicht persönlich. Ich weiß: Aus vielen
spricht in solchen Momenten die Sucht.“
Frühstück vorbereiten, Essen kochen und
ausgeben, Kleider sammeln, Spenden von
Firmen und Bürgern annehmen – die Auf-
gaben sind vielfältig. Das Wichtigste an
Maria Bennacers Arbeit jedoch sind die
Gespräche. „Manchmal braucht mich jemand einfach zum Zuhören.“ Die Gäste
sind Drogenabhängige, Alkoholiker,
Kranke, Arbeitslose oder Rentner, bei denen das Geld einfach nicht ausreicht, um
auch am Ende des Monats noch einkaufen zu können. Kinder können in der Reling kostenlos essen, Erwachsene zahlen
einen Euro. Von 8 bis 13 Uhr können die
Besucher sich aufwärmen, reden, frühstücken oder zu Mittagessen. Am Wochenende ist der Treffpunkt geschlossen.
Maria Bennacer freut sich über die große
Hilfsbereitschaft von Privatleuten und Firmen zur Weihnachtszeit. Die Reling lebt
ausschließlich von Spenden. „Und wir
können auch wirklich alles gebrauchen,
egal ob Töpfe, Geschirr, Möbel oder Kleidung.“ Der Bedarf ist groß: Bei der Lebensmittelausgabe dienstags kommen
etwa 50 Personen.
Maria Bennacer hat einen einjährigen Arbeitsvertrag. „Was danach ist, wird man sehen“, sagt sie. Dass sie stets auf die Füße
fallen wird, davon ist sie überzeugt.
„Arbeit statt Sozialhilfe“ hat ihr Glück
gebracht. „Die Frau war hochmotiviert,
wieder in Arbeit zu kommen“, erinnert
sich Raimond Meiborg vom Sozialamt. Er
lernte Maria Bennacer vor zwei Jahren
kennen. Die unermüdliche Frau hat er
nicht vergessen, denn ihre Geschichte
macht Mut, auch für seine Arbeit. Er ist
heute Koordinator für Ausbildung und
Arbeit für Jugendliche. Warum bei seiner
Arbeit auch im hoffnungslosesten Moment
immer etwas geht, ist morgen Thema der
achten Folge unseres Reigens.
Camilla Ebertshäuser
E-Mail an die Autorin:
camilla.ebertshä[email protected]
37
Ausgezeichnete Beiträge
Wege aus dem sozialen Abseits
weisen
„Jetzt erst recht!“ – Teil 8 des Reigens:
Jugendhelfer Raimond Meiborg gibt
keinen Jugendlichen auf – Für viele
findet er ein Sprungbrett in die Zukunft
Einige Helden unserer Serie führte das Leben in eine Sackgasse. In solchen Momenten einen neuen Weg zu finden, erfordert
Kraft. Gestern erzählten wir in unserem
Reigen, wie Sozialhilfeempfängerin Maria
38
Bennacer in der Reling einen Job bekam,
der sich als Berufung entpuppte. Gefunden
hat sie ihn mit Hilfe des Projekts „Arbeit
statt Sozialhilfe“. Menschen wie Raimond
Meiborg leisten dafür im Sozialamt Außergewöhnliches.
KREIS BAD KREUZNACH.
„ Jetzt erst recht!“ zu sagen, ist für Raimond
Meiborg, Koordinator für Arbeit und Ausbildung im Sozialamt, Teil seines Jobs. Zu
ihm kommen Jugendliche, die selbst oft gar
keine Motivation oder den Willen mehr
aufbringen, ihr Leben in die Hand zu neh-
men. Sie haben nicht nur keine Arbeit und
keine Ausbildung, sie können sich oft auch
auf keinerlei Unterstützung ihrer Familien
verlassen. Bei vielen kommen Drogenprobleme, Schulden oder Kriminalität hinzu.
Perspektivlosigkeit entsteht aus dieser
Kette von Ursachen.
Beim immer tieferen Fall in die Ausweglosigkeit fängt Raimond Meiborg auf.
„Irgendwas kriegen wir immer hin“, sagt
er. Aus seinem Mund klingt das überzeugend. „Irgendwas“ ist im besten Fall ein
Ausbildungsplatz. Manchmal ist aber auch
Serienpreis
eine Weiterbildung, ein Schulabschluss
oder ein Gelegenheitsjob Sprungbrett in
die berufliche Zukunft. „Es kann nicht
sein, dass ein junger Mensch schon kapituliert, bevor sein Leben überhaupt richtig
begonnen hat.“ Raimond Meiborg versprüht Optimismus, ist aber dennoch Realist: „Die Karriere vom Tellerwäscher zum
Millionär gibt es nicht.“ Die kleinen Erfolge zählen: Einen Beruf erlernen, einen
Arbeitsplatz finden.
Bei Aydin Gülcan ist der Koordinator optimistisch. Die 19-jährige Türkin ist zum
ersten Mal bei ihm in der Beratung. „Es
ist mir peinlich, zum Sozialamt zu kommen. Aber jetzt bin ich den ersten Schritt
gegangen“, sagt sie. Geschichten wie die
von Aydin Gülcan hört Raimond Maiborg häufig. Sie hat ihre Lehre als Bäckereifachverkäuferin in ihrer Heimatstadt
abgebrochen und ist zu ihrer Schwester
nach Bad Kreuznach gezogen. Ihr Betrieb
hätte sie gerne behalten. Es waren familiäre Probleme, die sie flüchten ließen.
„Das passiert häufiger bei türkischen jungen Frauen, die sich nicht dem Diktat ihrer Familie beugen wollen“, erklärt Meiborg. Er nennt Aydin Gülcan zunächst
die für sie wichtigsten Anlaufstellen:
Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur, damit sie als arbeitssuchend gemeldet ist, die Adresse einer Zeitarbeitsfirma. Und einen Tipp für einen
Gelegenheitsjob. Außerdem soll sie sofort
anfangen, sich bei Bäckereien zu bewerben. Sie hat gute Referenzen, ein gutes
Zeugnis. „Die Frau wird ihren Weg ge-
Ein einsamer Start in der Fremde
„Jetzt erst recht!“ – Teil 9 des Reigens: Der Kurde Resul Celik (24)
hat neun Jahre auf seine Anerkennung als Flüchtling gewartet
Hilfe und Solidarität sind keine leeren
Worte. Das beweisen die zwölf Menschen,
die wir in unserem Reigen „ Jetzt erst recht“
vorstellen. Heute geht es um den Kurden
Resul Celik, der als Kind vor Angst und
Terror nach Deutschland flüchtete. Derzeit
versucht Raimond Meiborg vom Sozialamt, den wir gestern porträtierten, dem 24Jährigen eine Stelle zu besorgen. Nach
neun Jahren wurde jetzt dem Asylgesuch
des jungen Mannes statt gegeben.
hen“, sagt Raimond Meiborg schon nach
dem ersten Gespräch. So sicher ist er sich
allerdings selten.
Häufig sind es Jugendliche mit den
schwierigsten Biografien, die zu ihm kommen. Hinter einer miserablen Schulkarriere ohne Abschluss verbergen sich oft
menschliche Katastrophen. „Deshalb
funktioniert es nicht, einfach zu sagen:
Komm, jetzt machst Du mal einen Schulabschluss“, sagt Raimond Meiborg nachdrücklich. Um wirklich zu helfen, muss er
viel mehr über den Jugendlichen wissen.
Den richtigen Ton für unangenehme Fragen hat er gefunden. Kleine Verbrechen,
Drogenkonsum, Gewalt in der Familie –
alle Umstände muss er kennen, um den
Jugendlichen in sein Netzwerk einzubinden. Raimond Meiborg kennt die anderen Helfer in der Stadt. Innerhalb kürzester Zeit kann er seinen Klienten an das
Ausländerpfarramt, das Frauenhaus Café
Bunt, die Suchtberatung der Caritas oder
die Schuldnerberatung vermitteln. Außerdem pflegt er Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern. „Wenn keine Bewerbung
funktioniert hat, muss man eben versuchen, die Leute über ein Praktikum zu
vermitteln.“ Viele Arbeitgeber seien bereit, sich auf diese Art auch einen Bewerber mit schlechten Schulnoten anzusehen.
Der erste Schritt ist damit getan. Während
eines Praktikums bleibt der Koordinator
mit der Firma in Kontakt. „Ich kenne
meine Jugendlichen. Wenn ich weiß, jemand schafft es nicht alleine, gehe ich
auch mit.“
BAD KREUZNACH. Resul Celik wuchs
in einem Dorf in der Südosttürkei auf und
arbeitete schon mit sieben Jahren als Viehhirte. Eine Schule besuchte er nie. Angst
und Terror dominierten seinen Alltag.
Denn Resul ist Kurde, und um ihn herum
wütete der Krieg zwischen türkischer Armee und der PKK. Die Zivilbevölkerung
stand hilflos zwischen den Konfliktparteien.
Während die PKK versuchte, Jungen und
Mädchen als Kindersoldaten zwangszurekrutieren, wollten die türkischen Sicherheitskräfte die Dorfjugend wiederum zu
Milizen, zu so genannten Dorfschützern,
machen. Resul Celik bekam mit 13 Jahren
von einem Soldaten eine Kalaschnikow in
die Hand gedrückt, um die Bewohner gegen die Guerilla-Kämpfer zu verteidigen.
Spielt jemand allerdings überhaupt nicht
mit, schlägt Meiborg auch einmal härtere
Töne an. Manchmal ist sanfte Gewalt besser als Verständnis – aber aufgeben würde
er keinen. Dazu weiß er selbst viel zu gut,
wie haltlos und auch einsam man sich
ohne berufliche Perpektiven fühlen kann.
Vor sechs Jahren musste der gelernte Kaufmann eine betriebsbedingte Kündigung
hinnehmen und damals selbst einen Neuanfang aus dem Nichts wagen. Einige Monate später fing er beim Sozialamt als Obdachlosen- und Asylbewerberberater an.
Vor vier Jahren hat er „Sprungbrett“ aufgebaut und will heute nichts anderes mehr
machen. „Meine Arbeit gibt mir den absoluten Sinn. Ich komme von hier und kann
etwas für meine Stadt tun. Wer tut das
schon in seinem Job?“
Die wichtigste Qualifikation für die heutige
Tätigkeit hat er als Mitarbeiter in der Vertriebsabteilung bei seinem früheren Arbeitgeber erworben: die Fähigkeit zu kommunizieren. Damit hat er sich sein dichtes
Netzwerk an Helfern in der Stadt erschlossen.
Mitten in diesem Netzwerk befindet sich
derzeit Resul Celik. Der 24-jährige Kurde
ist gerade mit Hilfe von Raimond Meiborg
auf Jobsuche. Er ist die Hauptperson der
nächsten Folge unseres Reigens am Montag.
Rena Lehmann
E-Mail an die Autorin:
[email protected]
„Ich wollte aber niemanden umbringen,
weder Türken noch Kurden. Da muss man
überlegen, was man tut.“
Die Familie legte daraufhin ihr Geld zusammen und zahlte einen Schlepper dafür, den
Jugendlichen außer Landes zu bringen. Zum
damaligen Zeitpunkt konnten Minderjährige ohne Visum nach Deutschland ausreisen. Noch heute merkt man Resul Celik die
Panik an, die ihn am Flughafen in Istanbul
erfasst: „Der Mann, der mich hingebracht
hatte, war plötzlich verschwunden.“ Alleine
bestieg er das Flugzeug und landete wenige
Stunden später in seinem neuen Leben. Ein
Bekannter der Familie holte ihn ab, Unterkunft gewähren wollte er ihm aber nicht.
Stattdessen brachte er den inzwischen 14-
39
Ausgezeichnete Beiträge
Jährigen in die Erstaufnahmeeinrichtung für
Asylsuchende in Ingelheim. „Es war schwer.
In den ersten Wochen habe ich viel geweint
und konnte nichts essen.“
Später kam er in das Kinder- und Jugendheim Niederwörresbach der „kreuznacher
diakonie“. Zwei Jahre lang lebte er dort und
nahm an einem Deutschkurs teil. Aber auch
im Heim besuchte er keine Schule. Bis heute
kann der junge Mann nur bruchstückhaft
schreiben und lesen. Bei allen Formularen,
die auszufüllen sind, benötigt er Hilfe. Der
24-Jährige bedauert, dass es für Asylbewerberkinder keine Schulpflicht gibt.
Resul ist ein ernster und nachdenklicher
junger Mann. „Ich hätte gerne eine Berufsausbildung gemacht“, sagt er. Weil sich
aber sein Anerkennungsverfahren über
neun Jahre hinzog, war dies nicht möglich.
Erst vor wenigen Monaten wurde er offiziell als Flüchtling anerkannt. Jetzt endlich
darf er eine feste Stelle annehmen. Bisher
hat er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten müssen. Großen Spaß hat ihm
ein Praktikum beim Service-Team Bau der
„kreuznacher diakonie“ gemacht. Resul
hofft, dass es jetzt aufwärts geht in seinem
Leben. Seine Eltern und die fünf Geschwister hat der junge Mann seit zehn Jahren
nicht gesehen. In den ersten drei Jahren
hatte Resul gar keinen Kontakt zur Familie. „Wir hatten kein Telefon daheim auf
dem Dorf, ich konnte nicht schreiben, und
meine Eltern wussten nicht, wo ich war.“
Die Vormundschaft übernahm im Dezember 1995 Ausländerpfarrer Siegfried Pick,
dessen formelle Aufgabe es war, dafür zu
sorgen, dass das Asylverfahren angemessen
betrieben wurde. Die eigentlich rein rechtliche Beziehung hat sich längst zu einer
Freundschaft entwickelt. „Ich vertraue
Sigi; ihm kann ich alles erzählen. Er ist wie
Vater und Mutter für mich“, sagt Resul Celik. Mehr über Siegfried Pick gibt es in der
nächsten Folge unseres Reigens.
Camilla Ebertshäuser
E-Mail an die Autorin dieser Folge:
camilla.ebertshaeuser@ rhein-zeitung.net
40
Hintergrund
Die Kurden
14 Jahre dauerte der Krieg der türkischen
Armee gegen die Guerilla-Truppen der militanten kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Den Bürgerkrieg bezahlten mehr als
30 000 Menschen, darunter viele Zivilisten, mit ihrem Leben. Hunderttausende
kurdische Bauern wurden zu Flüchtlingen
gemacht. Ende 1997 veröffentlichte die türkische Zeitung Milliyet die Ergebnisse einer offiziellen Erhebung über die Verwüstungen entlang der Grenzen zu den
Kurdengebieten im Iran, Irak und Syrien.
Eine Untersuchungskommission des türkischen Parlamentes zählte 3184 zerstörte
oder zwangsevakuierte kurdische Dörfer
und Siedlungen. Direkt davon betroffen
seien 364742 Menschen. Tatsächlich waren es weitaus mehr. Hunderttausende flohen nach Diyarbakir, an die Mittelmeerküste nach Adana oder Mersin oder in die
westtürkischen Großstädte Istanbul und
Ankara. Die meisten hausen dort in
Elendsquartieren. Zehntausende Kurden
suchten in Deutschland, Schweden, Belgien und in den Niederlanden Schutz.
Quelle: Gesellschaft für bedrohte Völker
Resul Celik ist als Jugendlicher alleine von
der Türkei nach Deutschland geflüchtet.
Seitdem hat er seine Eltern und seine Geschwister nicht mehr gesehen.
Serienpreis
Der Respekt vor dem Anderssein
„Jetzt erst recht!“ – Teil 10 des Reigens:
Im Ausländerpfarramt vermittelt
Siegfried Pick zwischen den Kulturen
– Er ist längst nicht mehr nur Theologe
Netzwerke helfen bei der Integration. Die
zwölf Helden unserer Serie haben Netzwerke gebildet oder fanden – als sie selbst
Hilfe brauchten – Rückhalt in sozialen Initiativen. Der 24-jährige Kurde Resul Celik,
dessen langer Weg zum Aufenthaltsrecht
gestern Thema in unserem Reigen war,
fand solche Hilfe bei Ausländerpfarrer
Siegfried Pick. Für den Geistlichen ist Integration nur durch die Zusammenarbeit
vieler Menschen möglich.
BAD KREUZNACH. Das Ausländerpfarramt in der Kurhausstraße ist ein offenes
Haus. Pfarrer Siegfried Pick sitzt hier in einem großen, hellen Büro. Ständig klingelt
das Telefon, immer wieder kommt jemand
kurz herein, stellt Fragen oder nimmt einfach Platz vor einem der zahlreichen PCs im
Nebenraum. Seit einigen Monaten gibt es
hier ein Internetcafé speziell für Migrantinnen, die den Umgang mit dem Computer
selbstständig und unter Anleitung lernen
können. Viele Menschen gehen selbstverständlich ein und aus, man kennt sich.
Siegfried Pick lässt sich nicht stören, sitzt
während unseres Gesprächs lässig in seinem Stuhl und sieht eigentlich überhaupt
keinen Anlass dafür, dass jemand über ihn
und seine Arbeit in der Stadt einen Bericht
schreiben möchte. Wohl, weil das, was er
tut, ihm schon so selbstverständlich erscheint, dass es keiner besonderen Erwähnung bedürfte. Schließlich macht er seine
einzigartige Arbeit im Süden der Landeskirche schon 16 Jahre. Siegfried Pick ist
Ausländerpfarrer und als solcher Ansprechpartner für alle Menschen, die aus
fremden Ländern nach Bad Kreuznach
kommen und ein neues Leben beginnen –
gleichgültig welcher Konfession.
Siegfried Pick hat sein ganzes Leben in der
Region um Bad Kreuznach verbracht. „Eigentlich merkwürdig, als Ausländerpfarrer...“, sagt er selbst und lacht. Aber die Begeisterung für fremde Länder und Kulturen
ist ihm anzumerken. Etwa, wenn er von seiner letzten Reise nach Syrien und in den Libanon erzählt. „Das waren spannende Begegnungen mit der arabischen Welt“,
schwärmt er. Solche „interkulturellen Begegnungen“ sind oft schwierig, weiß der Pfarrer.
Es kommt leicht zu – sprachlich bedingten –
Missverständnissen. Wie man damit umgeht, hat Pick in seiner langjährigen Arbeit
mit Menschen aus anderen Kulturen gelernt.
„Das Wichtigste ist der Respekt vor dem Anderssein“, sagt er. Keiner muss sich seiner
Haltung anpassen, um Hilfe zu bekommen.
Siegfried Picks Verständnis von Integration
ist keines, das von Leitkultur oder Assimilation geprägt ist: In seinen Augen betrifft Integration die ganze Gesellschaft, sie ist ein
Wechselspiel. „Immigranten verändern unsere Gesellschaft und sie selbst verändern
sich auch.“ Integration endet für ihn nicht mit
dem Erlangen der deutschen Staatsbürgerschaft. „Konflikte müssen ausgetragen,
Nicht-Verstandenes muss benannt werden.“
Die Bildung von Ghettos hält Pick für fatal.
Zu ihm kommen verschiedene Menschen
aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Siegfried Pick ist längst nicht mehr nur
Theologe. „Es geht hier um den ganzen
Menschen“, betont er. Zu seinen täglichen
„Werkzeugen“ gehört das neue Zuwanderungsgesetz genauso wie die Bibel. Buddhisten, Muslime und Christen kommen zu
ihm, auch weil sie sich in ihrer neuen
Heimat in eine Gemeinde eingliedern
möchten. Siegfried Pick vermittelt die Neuankömmlinge weiter: Etwa an die englisch-
sprachige Gemeinde aus Afrika oder die
kleine französische Gemeinde, die sich sogar im Ausländerpfarramt zu ihren Gottesdiensten à la française trifft. In Asylrechtsfragen ist Siegfried Pick heute Experte. Die
Beratung von Migranten ist aber nur ein
Teil seiner Arbeit. In der Diskussion um Islamismus trägt er mit Veranstaltungen in
Bad Kreuznach zu Aufklärung und Auseinandersetzung bei. Zum Beispiel hat er einen
Vortrag über die Kopftuch-Debatte organisiert. Bei aller Offenheit vertritt er klare Positionen: „Integration ist ein Prozess, den
wir gestalten müssen, sonst kommen immer wieder gesellschaftliche Probleme wie
in den 90er-Jahren auf.“ Nach 30 Jahren
„Integrationsverweigerungspolitik“ wird,
so Pick, das Zusammenleben mit Ausländern heute endlich gefördert. Dafür setzt er
sich nicht nur in seiner Arbeit als Ausländerpfarrer ein: Er ist außerdem im rheinlandpfälzischen Arbeitskreis Asyl aktiv und
macht dort die landesweite Öffentlichkeitsarbeit. „Die gesetzlichen Bedingungen werden verschärft und die Rechte von Flüchtlingen eingeschränkt“, meint Pick. Neben
aller Ernsthaftigkeit bedeutet seine Arbeit
für ihn auch Erfüllung. „Die Tätigkeit mit
vielen Menschen macht mir viel Spaß“,
sagt Pick. Am Ende ist es auch für einen
Ausländerpfarrer gut, an einem Ort verwurzelt zu sein, meint er. Nur so entwickelt
sich ein kontinuierliches Arbeiten.
41
Ausgezeichnete Beiträge
Siegfried Pick ist Schnittstelle vieler Netzwerke in der Stadt. Der Pfarrer arbeitet mit
Ausländerbehörden und Sozialämtern zusammen und kann so jeden zu den richtigen Stellen schicken. Der Netzwerk-Gedanke reicht bei Siegfried Pick bis in die
Freizeit. Er ist Vorsitzender des Netzwerks
am Turm, Mitstreiter in der Friedensarbeit
und bei der Attac-Gruppe aktiv.
Bei Attac lernte Siegfried Pick Christel
Born kennen. Aus der Bekanntschaft entstand eine Zusammenarbeit. Gemeinsam
haben die beiden einen Vortrag über
„Internationale Gärten in Bad Kreuznach?“
organisiert. Bisher ist es nur eine Idee, dass
Menschen aus verschiedenen Ländern in
Bad Kreuznach kleine Gartenparzellen anlegen und Gemüse und Kräuter anbauen.
Aber Christel Born hat in der Stadt schon
vieles bewegt. Wie sie sich ehrenamtlich für
ihre Überzeugungen einsetzt, ist Thema
der morgigen Folge des Reigens.
Rena Lehmann
der Kirchenzeitung Paulinus wollte die kreative Köchin ein Fastenmenü kreieren.
Vorgabe: Alle Zutaten mussten entweder
aus der Region oder dem fairen Handel
stammen. So fand sie vor drei Jahren den
Weg in den Weltladen in der Turmstraße.
an jedem Samstag vor dem Markthaus der
Diakonie aufgebaut ist, organisiert sie mit
großer Freude.
E-Mail an die Autorin:
[email protected]
Christel Born macht keine halben
Sachen
„Jetzt erst recht!“ – Teil 11: Der Reigen
schließt sich – 56-jährige Bad
Kreuznacherin will ihre Arbeitskraft
für sich und für andere einsetzen
Heute schließt sich der Reigen unserer Serie „ Jetzt erst recht!“.Wir haben bisher elf
Menschen vorgestellt, die anderen in
schwierigen Momenten ihres Lebens Mut
machten oder selbst Hilfe angenommen
haben. Im Reigen des Gebens und Nehmens berichteten wir gestern über Pfarrer
Siegfried Pick. Er engagiert sich bei Attac
mit Christel Born für fairen Handel und
Frieden. „Man kann mehr bewirken als
man denkt“, sagt die 56-Jährige.
BAD KREUZNACH. Ein großes Haus
mit Garten, vier Kinder, ein viel beschäftigter Mann und die Schwiegermutter, um
die es sich zu kümmern galt – Christel
Born hatte ein ausgefülltes Leben. Als
dann aber die drei Söhne und die Tochter
groß waren und der Ehemann in Rente
ging, suchte sie nach einer neuen Aufgabe.
Zunächst überlegte die gelernte Krankenschwester, ob sie zurück in den Beruf gehen sollte. Doch da dies finanziell nicht
notwendig war, entschied die Bad Kreuznacherin anders: „Ich will meine Zeit für
mich und für andere sinnvoll einsetzen.“
Den Einstieg in das neue Leben empfand
sie als schwierig. Zwei Jahre verschlang sie
Bücher zu den Gefahren der Globalisierung, zur gesunden Ernährung, zu Politik
und Religion. Dann stand für sie fest, dass
sie sich im Kleinen in der Stadt engagieren
möchte.
Ein feuriges Gemüseragout mit Tofu
machte den Anfang. Für einen Wettbewerb
42
Faire Preise für gute Arbeit – das wurde
schnell ein Thema, das sie interessierte.
Zeitgleich wurde sie auf die Lokale Agenda
aufmerksam. Hier wirkt sie seither in der
Gruppe „Lebensraum Stadt“ mit. Außerdem ist sie die Erste Vorsitzende des RegioMarktes, dessen Ziel es ist, die Region
und ihre Produkte zu stärken und dem
Verbraucher lokale, saisonale Produkte
und Waren aus fairem und ökologischem
Handel anzubieten. Den Marktstand, der
Faire Produkte aus dem Weltladen verkaufen sie und ihre Mitstreiterinnen zudem
freitags auf dem Wochenmarkt. Bewusstes
Einkaufen ist Christel Born sehr wichtig,
weil man durch kurze Wege für Waren und
Verbraucher einen großen Beitrag zum
Umweltschutz leisten kann.
Doch das ist noch lange nicht alles, wofür
sie sich einsetzt. Die leidenschaftliche Pazifistin ist auf Friedensdemonstrationen zu
sehen, arbeitet bei Attac mit und ist Mitglied des Netzwerks am Turm. Stolz ist sie
auf die Unterschriftenaktion „Gerechtig-
Serienpreis
keit Jetzt“ von Weltladen und Netzwerk
am Turm, bei der mehr als 1000 Menschen
mitgewirkt haben.
Die 56-Jährige sieht sich selbst als kritischen, aber nicht parteigebundenen Geist.
Sie ist überzeugt: „Es bringt nichts, nur zu
meckern. Es gibt viele Stellen, wo man
was erreichen kann. Ich bin oft erstaunt,
wie viel man bewirken kann.“ Ihr Ausgleich ist die Musik. So findet sie die Zeit,
im Heilig Kreuz Chor und in der Diakoniekantorei zu singen. Ein Hobby, das sie
erst verhältnismäßig spät für sich entdeckt hat, ist das Trompetespielen. „Ein
Instrument erlernen war stets mein
Wunschtraum.“ Als in der Diakonie ein
Posaunenchor gegründet wurde, sollte eines der vier Kinder beitreten. Doch die
Lust der Sprösslinge war gering. „Und so
bin ich einfach hingegangen und habe gefragt, ob ich mitmachen kann.“ Mit Ende
Eine Hand hält die andere
Zwölf Menschen sagten in unserer
Serie „Jetzt erst recht“: Ermutigende
Bilanz zum Weihnachtsfest
Zu Weihnachten werden wir mit all jenen
Werten und Gefühlen konfrontiert, für
die im Alltag des übrigen Jahres oft viel zu
wenig Zeit bleibt. Nächstenliebe, Fürsorge, Selbstlosigkeit, Zivilcourage und
Güte stehen plötzlich hoch im Kurs. Wir
haben in den vergangenen Wochen Menschen porträtiert, die diese Werte leben
oder selbst Hilfe erhielten, als sie sie dringend benötigten. Es gibt sie also, die Helden des Alltags.
BAD KREUZNACH. In den vergangenen Ausgaben des Oeffentlichen Anzeigers haben wir zwölf Menschen, die symbolisch in einem Reigen stehen,
vorgestellt. Sie alle haben eine ausweglose
Situation mit einem „ Jetzt erst recht!“ beantwortet und mutig neue Wege gesucht.
Viele von ihnen haben anderen Hilfe gewährt, nachdem sie selbst einmal dringend auf die Stütze anderer angewiesen
waren. Das Bild der sich haltenden
Hände drückt das Weiterreichen der Hilfe
aus. Es zeigt, dass Hilfe nicht in die Sackgasse führt, sondern wieder zu ihrem Ursprung zurückkehrt.
30 kam sie so auf die Trompete. Der Spaß
am Spielen hält ungebrochen an.
Wie bekommt die 56-Jährige alle Aktivitäten zeitlich unter einen Hut? Lachend sagt
Christel Born: „Das frage ich mich auch
manchmal. Ich bin halt keine Superhausfrau. Mir reicht es, wenn ich die Fenster ein
Mal im Jahr putze.“ Die vier Kinder unterstützen ihre Mutter, ihr Mann aber hätte
gern mehr von ihr. „Aber halbe Sachen gehen halt nicht.“
„Nicht den Kopf in den Sand zu stecken“,
wurde für Leonore Knoche vor allem nach
der Zeit ihrer schweren Krankheit am Herzen, in der sie viel Hilfe von ihren Freunden erfuhr, eine Lebensaufgabe. Leonore
Knoche ist wie Christel Born in vielen Initiativen für andere Menschen aktiv. Unser
Reigen der helfenden Hände schließt sich
mit den beiden Frauen, die sich einst
zufällig kennen lernten und heute als
Freundinnen und Gleichgesinnte zusammenarbeiten.
Camilla Ebertshäuser
Fragt man Christel Born nach ihrem
Traum, so sieht er so aus: „Ich möchte
ganz viele Menschen sensibilisieren und
gemeinsam anfangen, all das zu ändern,
worüber man klagt.“ Einen ganz ähnlichen Standpunkt formulierte Leonore
Knoche im ersten Teil unserer Serie. Die
beiden Frauen arbeiten heute zusammen
im RegioMarkt.
E-Mail an die Autorin dieser Folge in unserer Serie:
[email protected]
Zwischen der ersten Folge über Leonore
Knoche und der letzten über Christel
Born stehen die unterschiedlichsten Menschen mit ihren Geschichten. Leonore
Knoche hatte während einer schweren
Krankheit außergewöhnliche Freunde, die
ihr halfen. Heute engagiert sie sich selbst
für andere und hilft Christel Born im
RegioMarkt. „Die Verzahnung der einzelnen Geschichten hat mich sehr erstaunt“,
sagte Leonore Knoche über den Reigen.
Eine seiner Ideen ist die Ruhestätte für
Fehl- und Totgeburten, die die „kreuznacher diakonie“ und St. Marienwörth gemeinsam verwirklichten. Auf die Geschichte der jungen Mutter, die zwei
Fehlgeburten erlebt hat und durch die Bestattung ihres Kindes auf dem besonderen
Friedhof Trost fand, reagierten vor allem
Leserinnen: Nicole Klee aus Hüffelsheim
schrieb uns, dass auch sie nach einer Fehlgeburt unter dem Unverständnis ihrer
Mitmenschen litt.
„Es ist schön zu lesen, dass es Menschen
gibt, die Hilfe annehmen oder anderen
helfen“, meinte ihr Mann Karl-Heinz
Knoche. Der Geschäftsführer der Akademie der Diakonie war der Held der zweiten Folge. Mit Hilfe der Integrationskurse, die er anbietet, um Ausländern
den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern, schafften die Hebamme Maria Kaiser und die Krankenschwester Alicja Kujawski den Sprung
zum neuen Job im Krankenhaus St. Marienwörth.
Manche Menschen unserer Serie kennen
sich nicht. „Trotzdem ist eine Gemeinschaft daraus entstanden“, findet Bruder
Bonifatius, Krankenhausleiter von St.
Marienwörth und fünfter Akteur in unserem Reigen. Er stellt auch in Zeiten knapper Etats neue Projekte auf die Beine.
Einen Überblick über den gesamten Reigen der vielen helfenden Hände im Oeffentlichen Anzeiger lesen Sie in unserer
Ausgabe an Heiligabend.
Krankenhausseelsorger Ulrich Laux, der
die junge Frau unseres Berichts anfangs
betreute, hatte mit uns über soziale Projekte in der Stadt gesprochen. „Der Reigen macht deutlich, wie viele Formen sozialer Verantwortung es in Bad
Kreuznach schon gibt“, sagte er. Mit seiner und der Hilfe vieler Einrichtungen in
der Stadt konnte die Tagesstätte Reling
für Wohnungslose und von Wohungslosigkeit Bedrohte entstehen. Dort hat die
ehemalige Sozialhilfeempfängerin Maria
Bennacer einen neuen Job gefunden, der
Berufung wurde. Der Reigen zieht
Kreise: Nach Erscheinen des Artikels
brachten viele Leser Süßigkeiten und
Kleidung zur Reling. Ihre neue Arbeit hat
Maria Bennacer auch dem Projekt des Sozialamtes der Stadt „Arbeit statt Sozialhilfe“ zu verdanken.
43
Ausgezeichnete Beiträge
Die Erfolgsgeschichte von Maria Bennacer macht Jugendhelfer Raimond Meiborg Mut. Er ist heute Koordinator für
Arbeit und Ausbildung für Jugendliche,
die selbst kaum Motivation aufbringen
können, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Viele Eltern haben sich nach Erscheinen des Artikels über Meiborgs Arbeit bei ihm gemeldet. Derzeit sucht er
nach Arbeit für den 24-jährigen Kurden
Resul Celik, der die Hauptperson der
neunten Folge war. Er kam mit 13 Jahren
allein nach Deutschland und fand mit
Ausländerpfarrer Siegfried Pick weit
mehr als nur einen Vormund. „Es gibt
noch viele andere Menschen, die auch in
so einer Reihe porträtiert werden könnten“, findet der Pfarrer.
Er arbeitet in seiner Freizeit bei der AttacGruppe mit. Dort lernte er Christel Born
kennen, die bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit
entdeckt hat, wieviel sie bewirken kann.
Die Menschen unseres Reigen sind Beispiele, die Mut machen. Sie zeigen, dass
sich trotz knapper Etats und sozialer Umbrüche noch Solidarität findet und Ideen
verwirklichen lassen. Jetzt erst recht!
Rena Lehmann
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Serienpreis
Serienpreis
Hubert Grundner, Thomas Kronewiter, Andrea Schlaier, Wolfgang Schmidt
„Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit Tradition“
Süddeutsche Zeitung, 2. 8. – 8. 9. 2005
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (I)
Es herrscht Stiftungsfrühling im Land
Allein die Landeshauptstadt hütet
derzeit ein Gesamtvermögen in
Höhe von 400 Millionen Euro
Von Andrea Schlaier
Das ist mehr als ein laues Lüftchen. Immer
mehr Menschen entdecken das hierzulande bislang unterentwickelte Mäzenatentum für sich. Und dazu zählen nicht mehr
allein die üblichen Verdächtigen aus den
Reihen des Geldadels. Es herrscht Stiftungsfrühling im Land.
In Deutschland haben sich die Neugründungen seit 1990 von 200 auf 800 pro Jahr
vervierfacht. Allein die Zahl der von der
Stadt München verwalteten Stiftungen
stieg 2004 um 20 auf 145. Damit hütet die
Kommune nun ein Gesamtvermögen von
400 Millionen Euro. Wer sind die Wohltäter, was treibt sie an und wem kommen die
stattlichen Summen überhaupt zugute? Zu
mancher Stiftung gibt es Geschichten zu erzählen, die kaum zu glauben sind.
Am Boom hat auch die Regierung von
Oberbayern teil. Vor wenigen Tagen
feierte sie die Aufnahme der 1000. Stiftung
in ihrem Bezirk. 61 sind allein 2004 dazugekommen. „Viele der Stifter handeln aus
altruistischen Beweggründen“, sagt Ulrich
Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Behörde (siehe rechts). „Die sagen, ich hatte
Erfolg, mir geht’s wirtschaftlich gut und
ich will was an die Gesellschaft zurückgeben.“ Motive also, die in den USA längst
zur sozialen Reputation gehören.
Doch wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung dokumentiert, besteht die
Wohltäter-Szene nicht mehr nur aus dieser
bekannten Spezies: Etliche sind zwar gut
situiert, jedoch keineswegs vermögend.
Die meisten haben vielmehr ein Thema,
das sie bewegt und für das sie ihr Geld
über den Tod hinaus einsetzen wollen.
Schmetz hat die Erfahrung gemacht, dass
aus den Geld-Töpfen zunehmend Aufgaben der öffentlichen Hand finanziert werden, „die diese nicht mehr leisten kann.“
Einmal sei das Kultusministerium an seine
Abteilung mit der Bitte herangetreten, „ob
wir nicht ein modernes Ultraschallgerät
für Untersuchungen an Kindern im Herzzentrum zahlen könnten.“ Die Heinz-Nixdorf-Stiftung ist eingesprungen.
„Das Gros des Vermögens“, sagt Katharina
Knäusl, eine von zwei Leiterinnen der
Münchner Stiftungsverwaltung, die das
Geld gemeinsam mit der Stadtkämmerei anlegt, „fließt bei uns in sozial zweckgebundene Projekte, die größtenteils vom Sozialreferat betreut werden.“ Vergangenes Jahr
kamen mehr als 10 000 Menschen, darunter überwiegend Senioren, Kinder, Kranke,
Behinderte und Alleinerziehende, in den
Genuss der Erträge. Zusätzlich wurden 80
gemeinnützige Einrichtungen unterstützt.
Die kommunale Stiftungsverwaltung hat
in München seit knapp 800 Jahren Tradition. Eine der ersten und größten Einrichtungen ist die „Heiliggeistspital-Stiftung“,
die Herzog Ludwig I., der Kelheimer, 1208
neben der Heilig-Geist-Kirche gründete
und die seither mildtätige Zwecke verfolgt.
45
Ausgezeichnete Beiträge
Zu ihrem Eigentum zählt unter anderem
der Forst Kasten samt eigenem Biergarten.
Eine vergleichsweise private Angelegenheit ist dagegen die Unterstützung von
Bruno Döllner für „arme alte Frauen in
München“. Knäusl interpretiert sein Engagement so: „Deren Schicksal kannte er
wohl noch aus eigener Erfahrung nach
dem Zweiten Weltkrieg.“
„Oberstes Gebot“ ist für die Verwalterin
der Stifterwille. Da spendet ein Heimatverbundener München schon mal Geld
für einen Brunnen an seinem Lieblingsplatz in der Stadt und steuert als Anzahlung noch den eigenen Oldtimer bei.
Nicht immer „zur hellen Freude der Verwandtschaft“. Im schlimmsten Fall erfahren das Knäusl und ihre zwölf Mitarbeiter
bei der Beerdigung der Stifter, mit denen
sie bis zum Tod in engem Kontakt gestanden haben.
„Leider gibt es immer wieder unschöne Situationen, wenn Angehörige, die enttäuscht sind, weil sie nichts erben, versuchen, das Testament anzufechten.“ Gern
werde damit argumentiert, dass der oder
die Wohltäterin nicht mehr zurechnungsfähig gewesen sei, weil sie etwa „im Négligée
auf dem Balkon gesungen hat. Das hatte
nichts mit Verwirrung zu tun, so war die
Frau ein Leben lang.“ Einige wenige versuchten dann übers Gericht an Geld zu
kommen. „Wir hatten in den letzten 13 Jahren vielleicht zwölf solcher Prozesse geführt“, sagt Knäusl. Und keinen verloren.
Wertgegenstände und Immobilien. Denn
nur, wenn ausreichend Ertrag erwirtschaftet
wird, kann einem Engagement dauerhaft
nachgekommen werden. Schmetz rechnet
vor: Grundkapital kann zurzeit für drei Prozent angelegt werden. Das macht einen Ertrag von 1500 Euro pro Jahr. „Das reicht
halt nicht zur Rettung des Abendlandes.“
Hat auch nicht jeder vor. Aber eindeutig
muss der Zweck von Rechts wegen sein.
Steuerbegünstigt wird nur, was dem Gemeinwohl dient. Grundsätzlich kann jeder,
der geschäftsfähig ist, Stifter werden. Organisatorisch schreibt der Gesetzgeber eine
Stiftungsverwaltung vor, die die Belange
nach außen vertritt; das kann auch der
Wohltäter selbst übernehmen. Die Leiterin
der Stiftungsverwaltung München, Katharina Knäusl, gibt zu bedenken: „Die Frage
ist aber, wer die Aufgabe nach dem Tod
des Stifters fortführt.“
Rechtsfähige Stiftungen sind selbst Träger
von Rechten und Pflichten. In Abgrenzung
dazu werden nicht rechtsfähige treuhänderisch verwaltet, zumeist von einer juristischen Person wie einer Kommune oder
Kirche. Bei der Stadt München, die beide
Bereiche abdeckt, ist die Stelle im Sozialreferat angesiedelt. Die Mitarbeiter legen das
anvertraute Vermögen in Kooperation mit
der Stadtkämmerei an. 2003 wurde zusammen mit zwei Kapitalgesellschaften
überdies ein Stiftungsfonds in Form eines
Investmentfonds aufgelegt. Dieser ermöglicht auch alternative Anlagemodelle über
Darlehen und Pfandbriefe hinaus.
Ansprechpartner Bundesverband Deutscher Stiftungen (www.stiftungen.org),
Telefon 030/89 79 47-0; Stiftungsaufsicht
der Regierung von Oberbayern (www.stiftungen.bayern.de), Telefon 2176-2707;
Stiftungsverwaltung der Stadt München,
Telefon 233-25 646.
ands
Der Spender selbst hat keinen Zugriff
mehr aufs Geld. Ein Mitspracherecht kann
er sich aber sichern, wenn er sich in die
Stiftungsverwaltung mit einbinden lässt.
Die übergeordnete Kontrolle übernimmt
die staatliche Stiftungsaufsicht, die für alle
rechtsfähigen Formen zuständig ist. ands
Stifter kann jeder werden
Der Konsul als Bettelmann
Steuerbegünstigt wird nur, was dem
Gemeinwohl dient
Schon Otto Eckarts Vater verhalf
Kindern zu Spielplätzen
Man braucht keine Millionenbeträge, um
eine Stiftung zu gründen. Weniger als 50000
Euro sollten es aber nicht sein, sagt Ulrich
Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern. Dazu zählen auch
Von Renate Winkler-Schlang
einzusetzen, dass Kinder schöne Plätze
zum Spielen und Toben haben, dass sie
korrekt Deutsch lernen oder einfach mal in
den Ferien wegfahren dürfen? Bei Otto
Eckart ist das ein besonderes Erbe. Sein
Vater Werner war 1961 Mitgründer des
„Münchner Vereins für Kinderspielplätze
und Grünanlagen“. Dies blieb in der Familie: 1990 wurde der Sohn zum neuen Vorsitzenden gewählt.
Die Zeiten für Vereine seien schwieriger
geworden, sagt Eckart. Stiftungen könnten
mehr Publizität erreichen, würden ernster
genommen, weil sie stärker der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Einer Stiftung
überlasse man eher ein Vermächtnis.
Staatsanwälte verhängen eher Bußen zugunsten eines guten Stiftungs-Zwecks. Stiftungen seien weniger von Personen abhängig. Der Verein aber bestehe noch: Er
arbeite heute der Stiftung als Förderverein
zu, erklärt Eckart.
26 Einzelpersonen und Firmen wie das
Bankhaus Reuschel, Roland Berger oder
Rohde und Schwarz hat Eckart 2002 zum
Start jeweils 5000 Euro Einlagen abgefordert. Seitdem folgten viele weitere Bittbriefe um Geld oder Bilder und Pretiosen,
die sich versteigern lassen: „Man gewöhnt
sich ans Betteln“, sagt Eckart. Heuer habe
er den Tsunami gespürt: „Viele Spenden
flossen da hin.“
Ihm ist bewusst, dass angesichts von acht
Prozent Kindern in Sozialhilfe-Haushalten die Arbeit seiner Stiftung „nur ein Mosaikstein“ sein könne, „aber ein wichtiger.“ 100 000 Euro habe man 2004
ausgegeben und nun zwei kleine Jubiläen
gefeiert: Am Neudeck sei der 220. Spielplatz eingeweiht worden, zu dem die
Münchner Kindl-Stiftung beigetragen hat
– das ist etwa ein Drittel aller städtischen
Plätze. Damit hat Eckarts Stiftung vier
Millionen Euro Fördervolumen voll gemacht. Unterstützt werden etwa auch der
Zirkus „Trau Dich“, das Projekt „Lichtblick“ am Hasenbergl oder der Zirkus Lilalu. Neu ist heuer das Engagement für
das Ferienprogramm der Stadt. „Wir
schauen genau, wem wir was geben.“
Renate Winkler-Schlang
46
Wie kommt ein Honorarkonsul von Guatemala und ehemaliger Pfanni-Knödel-Fabrikant dazu, sich in seiner Freizeit dafür
Serienpreis
Keiner kommt vorbei an Oberamtsrat
Ulrich Schmetz
heblich aus. Seither sind Ausgaben zur Förderung gemeinnütziger Stiftungen steuerlich
abzugsfähig und mindern damit das steuerpflichtige Einkommen des Spenders.
Wer sich einen Einblick in das Münchner
Wohltäter-Spektrum
verschaffen
will,
kommt an ihm nicht vorbei. Ulrich Schmetz
sitzt seit 1988 in der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern. In der Zeit stieg
die Zahl der Einrichtungen im Bezirk von
knapp 300 auf 1000, die Hälfte davon mit
Sitz in München. „Seit dieses Engagement
mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht,
haben wir einen Boom.“ Die Steuerrechtsreform von 2000 wirke sich nicht ganz uner-
Der Zweck heiligt dann aber doch nicht jedes Mittel. In seiner Dienstzeit sind dem
Oberamtsrat nicht nur exotische Stiftungen,
sondern auch „wilde Vögel“ untergekommen. Wie der „junge Mann mit der dynamischen Stimme am Telefon“. Der war zum
Zeitpunkt des Anrufs 29 Jahre alt und „hatte
den Anspruch, jüngster Stifter Oberbayerns
zu werden.“ Der Verwaltungsakt sollte noch
vor seinem 30. Geburtstag unter Dach und
Fach sein.
Noble Mäzene und schräge Vögel
„Wir haben uns also beeilt und natürlich
zur Feststellung des Stiftungsvermögens einen Kontoauszug verlangt“. Die erforderlichen 50 000 Euro, sagt Schmetz, „waren
da verzeichnet“. Als die Stiftung an den
Start ging und das Geld abgerufen werden
sollte, war das Konto leer. Die Details hat
Schmetz von der Kripo erfahren: „In der
Zwischenzeit hat der junge Mann eine
Vielzahl von Events veranstaltet und dafür
immer mit dem Namen der Stiftung geworben.“ Vom eingenommenen Geld sicherte er seinen Lebensunterhalt. Aus dem
vermeintlich jüngsten wurde der kurzfristigste Stifter Oberbayerns.
ands
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (II)
Der morbide Charme verliert seinen
Reiz
Die „Stiftung Sozialstation Berg am
Laim und Trudering“ will den Bognerhof zum modernen Seniorensitz
machen
Von Renate Winkler-Schlang
Ein üppig blühender Bauerngarten bringt
Abwechslung ins Straßenbild. Die rote
Kletterrose an der Südwand ist schon 80
Jahre alt, das ist unter alten Truderingern
überliefert. Doch die verblichen-blauen
Fensterläden hängen schief, die Fassade
ist fleckig. Der historische Bognerhof hat
eher morbiden Charme. Längst müsste
die Eigentümerin, die „Stiftung Sozialstation Berg am Laim und Trudering“, das
Gebäude aus dem 18. Jahrhundert sanieren. Aber hier und da ein wenig neue
Farbe, das wäre laut Helmuth Baur-Callwey, dem Vorsitzenden des Stiftungsrates,
„nur Kesselflickerei“. Die Stiftung will
mehr: Der Bognerhof soll zum attraktiven
Wohnsitz für Truderinger Senioren werden. Altengerechte Appartements sind geplant an der Truderinger Straße 293. Einfach ist das alles nicht für Stiftungsrat und
-vorstand – ein Drahtseilakt zwischen
Denkmalschutz und Finanzierungsrisiken. Nur eines ist sicher: Bedarf besteht
im Stadtteil.
Am Anfang stand Robert Peklo. Der pensionierte Richter gründete im März 1970
den Förderverein „Krankenpflege und Sozialdienst Berg am Laim“. Die Berg am
Laimer Sozialstation war der erste konkrete Erfolg. Von gemieteten Wohnungen
oder Provisorien aus versorgte man
schnell auch Pflegebedürftige in Trudering mit ambulanter Hilfe. Peklo war ein
großer Baustein-Verkäufer: So konnte
„seine“ Sozialstation 1980 eigene Räume
an der Berg-am-Laim-Straße 141 beziehen. Wieder zehn Jahre später mietete der
Verein den Bognerhof für eine Dependance im Nachbarbezirk. Nach drei weiteren Jahren hatte der Gründer genug
Mittel zusammengebracht, um auch die-
ses Domizil für den Verein kaufen zu
können. Zur Sicherung des Vereinsvermögens wurden die beiden Immobilien
dann 1994 als Grundstock in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht.
„Das war alles vor unserer Zeit“, sagen
der Verleger Helmuth Baur-Callwey, und
die Vorstände der Stiftung, der WebDesigner und gelernte Sozialpädagoge
Bernd Hüller und Meike Großer,
im Hauptberuf Geschäftsführerin der
beiden Sozialstationen. Peklo hinterließ
ihnen einerseits die moralische Verpflichtung, mit dem Stiftungskapital im Sinne
47
Ausgezeichnete Beiträge
des Stiftungszwecks umzugehen: „Pflege
und Hilfe für kranke, ältere und sonst
hilfsbedürftige Menschen“. Andererseits
muss man wirtschaftlich arbeiten. Nur:
Ein Teil des Vermögens – der Bognerhof
– verfällt, wenn nichts geschieht. Bekannt
ist das seit langem: Einsatzleiterin Anni
Breiling und ihr Team aus Krankenschwestern und Pflegern trifft sich seit
Jahren in den niedrigen, im Winter zugigen Räumen der Truderinger Zentrale.
Sie wollen trotz aller Unbill hier bleiben,
im Herzen des Stadtteils, in einem Haus,
das die Senioren lieben – vielleicht, weil
es sie an Zeiten erinnert, als Gebäude neben dem Gebrauchswert auch noch das
Gefühl der Menschen ansprachen. Dennoch musste etwas mit dem Rest des
Hauses, mit dem Stadl geschehen. Die legendären Feste des örtlichen Burschenvereins alleine reichten nicht aus, diese
Holz-Hülle sinnvoll zu nutzen.
Kommunalpolitiker wussten vor einigen
Jahren schon Abhilfe: Trudering hat bis
heute kein eigenes Alten- und ServiceZentrum, in dem Senioren sich treffen
und beraten lassen können. Als für die
benachbarte neue Messestadt, in die zunächst hauptsächlich junge Familien zogen, eines geplant war, gingen sie auf die
Barrikaden: Der gewachsene Stadtteil
warte schon so lange – und habe sicherlich mehr Alte. Die Stadtviertelpolitiker
stellten fraktionsübergreifend Anträge.
Die damalige FDP-Stadträtin Heidrun
Kaspar sammelte einträchtig gemeinsam
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (III)
Glücksgriff des Liebhabers
Die „Hermann Hauser Guitar Foundation“ will der Gitarre bei Freunden
der Klassik zu höherem Ansehen
verhelfen
Von Marco Eisenack
Hermann Hauser gilt als Stradivari der Gitarrenbauer. Anfang des 20. Jahrhunderts
fertigte er Gitarren, die heute im New Yorker Metropolitan Museum hinter Glas liegen. Für die Instrumente des gebürtigen
Münchners werden in den USA bis zu
200000 Dollar gezahlt. „In Japan und Ame-
48
mit Hans Podiuk von der CSU Unterschriften. Doch die Stadtratsmehrheit entschied anders. Schließlich war die Messestadt ein Renommierprojekt, dem es an
nichts fehlen sollte.
Dann sollte im Bognerhof eine Alten-WG
entstehen. Die damaligen Stiftungsräte legten ein Konzept vor, hatten aber offenbar
Schwierigkeiten, genügend Fördergelder
aufzutreiben. Die Idee jedenfalls scheiterte
ebenso wie später die einer Pflegestation
für Demente.
Baur-Callwey, Hüller und Großer holten
sich Rat beim Verein „Urbanes Wohnen“.
Gemeinsame, offenbar tragfähige Idee:
eine Hausgemeinschaft alter Menschen in
jeweils eigenen Appartements. Voraussichtlich 14 solcher barrierefreier Alterswohnsitze mit angeschlossener Pflegemöglichkeit durch die Sozialstation im
Haus könnte man in dem alten Gemäuer
unterbringen. Die Stiftung will dabei nun
nicht länger nur auf eigene und auf Fördermittel setzen, sondern auch auf eine
solide Fremdfinanzierung. Derzeit wird
geklärt, ob eine kleine Hypothek zur Sanierung dieser Immobilie oder Einlagen
von Privaten eher stiftungskonform sind,
denn „Gewinne“ dürfen Stiftungen keinesfalls machen. Ein erster Aufruf im lokalen Anzeigenblatt bestätigte inzwischen
den Bedarf. Die Resonanz war riesig.
Kein Wunder: Trudering hat bisher kein
Seniorenheim. Die Stiftung will sich weiteres Knowhow von außen holen. Im Ge-
rika gehen die Leute in die Knie, wenn sie
den Namen hören“, sagt Klaus Wolfgang
Wildner, „hier ist Hauser nur Eingeweihten ein Begriff“. Der Gitarrensammler
Wildner versteht nicht, warum München
seinen berühmten Sohn nicht würdigt:
„Das ist ein Drama. Wenn wir schon so
eine Tradition haben, sollten wir sie pflegen.“ Seit April nimmt Wildner die Lobbyarbeit selbst in die Hand. Gemeinsam mit
dem Hauser-Enkel Hermann Hauser III.,
der noch heute Gitarren für Weltstars der
klassischen Gitarre baut, gründete er die
„Hermann Hauser Guitar Foundation“.
Eine Stiftung, die sich zur Aufgabe macht,
dem Instrument in der klassischen Musik
einen höheren Stellenwert zu verschaffen.
Vor sechs Jahren wusste auch Wildner, Geschäftsführer einer Akademie für Medien
spräch ist sie derzeit mit dem Verein
„Nachbarschaftliches Leben für Frauen
im Alter“ und der Genossenschaft „Wogeno“.
Peklo hat Baur-Callwey und Hüller zu Zeiten in die Stiftung geholt, als dieses Ehrenamt noch mit einer einzigen Sitzung im
Jahr erledigt war. Nun müssen sie mit den
verschiedensten Stellen verhandeln von
Stadt über Architekt bis Bank und Denkmalamt und tragen eine große finanzielle
Verantwortung. „Am liebsten“, sagen sie
lachend, „wäre uns jetzt ein großer Stifter“.
Auch Spenden sind steuerbegünstigt
Nicht immer muss es eine aufwändige Zustiftung sein: Auch Spenden ist für Stiftungszwecke möglich. „Man kann auf jede
Art sein Geld loswerden“, signalisiert Katharina Knäusl von der städtischen Stiftungsverwaltung. Herausfinden muss der
Wohltäter nur, welche Stiftung er fördern
möchte. Die Kontaktaufnahme mit der jeweiligen Stiftung, gegebenenfalls der Stiftungsverwaltung, empfiehlt sich deshalb –
schon um Bank und Konto herauszufinden. Die eigentliche Spende kann als Überweisung erfolgen. Vermerken darf der
Spender beispielsweise auf seinem Überweisungsträger auch, ob sein Geld dem
Grundstockvermögen zugeführt oder für
konkrete Projekte ausgegeben werden soll.
Auch Spenden, betont Knäusl, seien besonders steuerbegünstigt.
tek
und Musik, nicht viel über die Münchner
Instrumentenbau-Dynastie. Dann entdeckte er in einem Schaufenster eine heruntergekommene Quintbassgitarre. Der Erwerb
des langhalsigen Saiteninstruments war ein
Glücksgriff: Er hatte einen Hauser-Quintbass von 1922 gekauft. Ein tief klingendes
Instrument, von dem Hauser in seinem
Leben von 1882 bis 1952 nur drei Stück
gebaut hat.
Der 42-jährige Gitarrenliebhaber mit dem
Ansatz zum Beatles-Pilzkopf ist ein ungewöhnlich junger Stifter. Als er bei der Regierung von Oberbayern seinen Antrag
stellte, hatte er den Eindruck, „die freuten
sich über ein junges Gesicht“. Auch das
Ziel der Stiftung ist ungewöhnlich, „Ich
bin keiner, der nach dem dritten Schlaganfall schnell noch seine Millionen unter-
Serienpreis
bringen muss“, sagt Wildner. In seiner
Stiftung geht es nicht darum, Bedürftige finanziell zu unterstützen, sondern um Kontakte und Öffentlichkeit für junge Musiker
und erfolgreiche Gitarren-Profis. „Ich will
keine Millionen parken. Ich will aktivieren
und vernetzen!“ Für den Stifter selbst ergeben sich Synergie-Effekte: Im Herbst
2006 will er eine private Musik-Hochschule eröffnen, bei Dozenten und Austauschprogrammen kann er auf das Netzwerk der Guitar Foundation bauen.
Der dynamische Jungunternehmer steht
für einen neuen Stifter-Typ, in Folge der
Reform der Stiftungsgesetze, die Gründungen schon ab 50 000 Euro ermöglichen. So betont Wildner die „ politischen
Gründe“, die ihn zu der Stiftung trieben.
„Mir geht das ganze Gejammer hier auf
den Keks. Ich will mit dem sympathischen
Instrument zeigen, dass man in diesem
Land etwas bewegen kann.“
Erste Erfolge kann die Stiftung bereits
feiern. Im Kuratorium finden sich viele
große Namen der klassischen Gitarrenmusik. Neben Stars wie Eliot Fisk und Romero Pepe beteiligen sich auch Amateure
von den Seychellen an dem Projekt. Für
die breite Öffentlichkeit tritt die Stiftung
das erste Mal vom 22. bis 24. August in
Erscheinung. Auf den Tiroler Festspielen
in Erl präsentiert die Stiftung klassische
Gitarrenstücke. Mit strengen Gitarren-Puristen will Wildner nichts zu tun haben.
Seine Stiftung soll „undogmatisch sein –
kein konservativer Klassikverein“. Zur
Zeit begleitet Michael Koschorreck (Söhne
Mannheims) mit einer Hauser-Gitarre aus
dem Jahr 1913 seine Rap-Band. Wenn EMusiker bei dem Anblick nach Luft
schnappen, freut sich Wildner. „Das gefällt mir ja besonders“, lacht der Mann,
der früher Jazzrock mit der Band Extreemono machte. Mit Nostalgie habe sein Engagement nichts zu tun. „Die Gitarre
klingt total modern.“ Als er in einem Musikladen seine Hauser-Gitarre vorführte,
„da hat es die Metall-Fraktion umgehauen“.
Hauser-Gitarren werden auch heute noch
gebaut. In Reisbach bei Dingolfing, wo
sich Hauser in den dreißiger Jahren vor
den Nazis verstecken musste, weil die „Gitarristische Bewegung“, die er um die Jahrhundertwende mit begründet hatte, dem
Regime zu international war. Die Bewegung hatte internationale Gitarrenvirtuo-
sen wie den Spanier Andrés Segovia nach
München gebracht. Der Pionier der klassischen Gitarre suchte bei Hauser in der
Bayerstraße 33 nach einer Gitarre, mit der
er ohne Verstärker in den großen Konzertsälen spielen konnte. 15 Jahre bastelte
Hauser, dessen Vater als herzoglicher Zitherbauer Ruhm erlangt hatte, bis er 1920
das so genannte „Deckelpatent“ präsentierte. Die Oberflächenspannung des Holzes lässt die Gitarre voller klingen. Heute
baut Hermann Hauser III., Jahrgang 1958,
jährlich etwa 17 Gitarren. Ein Jahr vergeht,
bis eine Gitarre fertig ist. „Im Winter der
Korpus, im Frühjahr wird geleimt und so
weiter“, erzählt Wildner. Musikfirmen
seien schon mit Koffern voller Geld vor
der Tür gestanden, um die Marke Hauser
zu kaufen, doch die Familie habe alle Angebote ausgeschlagen.
Privilegien gibt es nicht. In der SZ vom 7.
November 1961 findet sich die Nachricht: Auch die Frau des Schahs von Persien muss sich bei Hauser an die Wartezeit halten.
Bildunterschrift:
Andrés Segovia (li.), 1893-1987, gehörte zu
den Pionieren der klassischen Gitarrenmusik. Noch heute fühlen sich Gitarristen in
der Klassik benachteiligt. Eine Stiftung, benannt nach dem weltberühmten Münchner Gitarrenbauer Hermann Hauser (re.),
will das ändern.
Fotomontage:
Hermann Hauser Guitar Foundation
Klaus Wolfgang Wildner.
meck
Knapp sechs Jahre dauert es, bis man eine
bestellte Hauser in Händen halten darf.
49
Ausgezeichnete Beiträge
Rechtsfähig, nicht rechtsfähig
Grundsätzlich unterscheidet der Gesetzgeber zwei Organisationsformen: die rechtsfähige und die nicht rechtsfähige Stiftung.
Erstere bedarf einer eigenen Rechtspersönlichkeit, die sich um die gesamte Verwaltung kümmert. Das kann also auch der
Stifter selbst sein. Allerdings muss diese
auch für die Zeit nach seinem Tod gewährleistet sein. Bei nicht rechtsfähigen
oder unselbstständigen Stiftungen wird das
Vermögen von einem selbstständigen
Treuhänder verwaltet. Meist handelt es
sich dabei um eine juristische Person, also
etwa Verein, Kommune, Universität oder
Kirche. Die Rechtsbeziehungen der Beteiligten unterliegen dem Schuld- oder Erbrecht, nicht dem Stiftungsrecht. Die nicht
rechtsfähige Stiftung eignet sich deshalb
vor allem für kleinere Vermögen, die den
Aufwand einer selbstständigen Stiftung
nicht rechtfertigen. Von den 145 von der
Stiftungsverwaltung der Stadt München
verwalteten Einrichtungen, sagt deren Leiterin Katharina Knäusl, sind etwa 80 nicht
rechtsfähig. Das jeweilige Vermögen wird
in allen Fällen getrennt und unabhängig
vom städtischen Haushalt verwaltet und
der Ertragsanteil entsprechend dem Stiftungszweck verwendet.
ands
schwänzt: „Selbst wenn hitzefrei war, sind
sie zu mir gekommen“, freut sich LernTrainer Simon.
entwickelt“. Sie wollen die Schule mit einem guten Abschlusszeugnis verlassen.
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (IV)
Und immer ist der Weg das Ziel
Ob Schule oder Beruf – die Münchner
Kinder- und Jugend-Stiftung springt
dort ein, wo es am meisten brennt
Von Wally Schmidt
Die Ferien haben sich Patricia, Sanela, Aladin und Baba wirklich verdient. Wenn
ihre Mitschüler in den vergangenen Monaten nach Hause oder zum Basketball
spielen durften, gingen die beiden Mädchen und die zwei Jungen noch einmal
zum Pauken in die Schule, ganz freiwillig
und ohne jeden Zwang. Denn in den
Hauptschülern vom Harthof haben Lehrer und Sozialarbeiter den „Durst zum
Lernen“ geweckt – das war auch das
Motto eines Förderprojektes für die
Hauptschule an der Bernaysstraße, das die
„Münchner Kinder- und Jugend-Stiftung“
finanziert hat.
Acht junge Leute trafen sich jeden Mittwoch um 15 Uhr in einem Klassenzimmer des Schulhauses. Sie übten mit dem
ehemaligen Rektor Walter Simon von der
Keilberth-Schule Bruchrechnen, schrieben Diktate, trainierten Fremdwörter
und paukten den Arbeitslehre-Stoff im
Känguru-System: Je nach Wissensstand
wurden die Kartei-Kärtchen in verschiedene Schlitze eines Karteikastens, den
Bauch des Kängurus, geworfen. Zwei
Stunden lang wurde gebüffelt. „Das war
anstrengend. Hinterher war ich kaputt“,
erinnert sich die 16-jährige Sanela. Trotzdem haben sie und die anderen das ganze
Schuljahr durchgehalten und kein einziges Mal das Pauken am Nachmittag ge-
50
Die jungen Leute hatten ein Ziel: den Quali
zu schaffen. Einigen ist dies auch gelungen.
Die anderen nehmen im nächsten Jahr
noch einmal einen Anlauf. Denn „der Weg
war das Ziel“, beschreibt Schulsozialarbeiter Wolfgang Maier das Förderprogramm,
das er initiiert und organisiert hatte. Seine
Idee hatte Erfolg: Die Acht- und Neuntklässler „haben Blut geleckt und Ehrgeiz
Dazu mussten die jungen Leute erst einmal
„lernen zu lernen“, sich also neue, effektive
Lerntechniken aneignen. Den Stoff für das
Fach Arbeitslehre schrieben sie – ähnlich
wie man Fremdsprachen-Vokabeln paukt –
auf 170 Kartei-Kärtchen und prüften dann
selbstständig zu Hause ihr Wissen. Beim
Lerntraining mit dem pensionierten
Grund- und Hauptschullehrer Simon
stand Mathe im Mittelpunkt: „Alles, was
Serienpreis
gen zukommen zu lassen, „weil es da am
meisten brennt“, so Knäusl. Die Stifterin
sei sofort von diesem Vorschlag „sehr
überzeugt“ gewesen.
Mädchen zudem Hilfe bei finanziellen und
anderen sozialen Problemen: Denn „wir
agieren ganzheitlich“, betont die Leiterin
von „La Silhouette“.
Bildunterschrift:
Die Nähmaschinen sind modern und die
Kleider ganz flott: Junge Frauen erlernen
im Mode-Atelier „La Silhouette“ in Haidhausen die Maßschneiderei.
Das Projekt ist jetzt erst einmal abgeschlossen – ob es weiterläuft, ist noch unklar. Initiator Maier will wieder versuchen, Geld
locker zu machen, entweder bei der Stiftung oder bei der Schule selbst. Die Hauptschule mit ihren insgesamt 430 Mädchen
und Buben bekam für einige hilfsbedürftige Familien auch schon Geld vom SZ-Adventskalender, der Spendenaktion der Leser der Süddeutschen Zeitung.
Aus den Erträgen kann die Stadt als Stiftungsverwalterin in diesem Jahr insgesamt
gut 10 000 Euro ausgeben. Die Evangelische Jugendhilfe der Inneren Mission
München bekam bereits den dicksten
Brocken, 5500 Euro. Damit wird das Projekt
Stadtranderholung
bezuschusst.
Münchner Kinder „mit einem schwierigen
sozialen, materiellen und/oder gesundheitlichen Hintergrund“ besuchen in den
Sommerferien zwei bis drei Wochen lang
tagsüber ein Ferienlager in Gräfelfing. Die
Mädchen und Buben bauen zum Beispiel
gemeinsam in einem Wald Baumhütten.
Auf diese Weise sollen die Kinder spielerisch soziale Fähigkeiten entwickeln sowie
Strategien zur Konfliktlösung – als Basis
für ein gewaltfreies Zusammenleben.
Benachteiligte junge Leute speziell fördern
wollte eine Münchnerin, die im Jahre 2000
– einige Jahre vor ihrem Tod – die
„Münchner Kinder- und Jugend-Stiftung“
errichtete. Die Stifterin wollte anonym bleiben. „Sie war sehr bescheiden und wollte
keine Publicity“, erläutert Stiftungsverwalterin Katharina Knäusl vom städtischen
Sozialreferat. Die Dame habe sich im sozialen Bereich sehr engagiert und deshalb
die Stiftung gegründet – die Festlegung des
genauen Zwecks aber der Stadt überlassen.
Das Sozialreferat hatte vorgeschlagen, das
Geld Kindern und Jugendlichen in Notla-
Unterstützung bekam ferner das ModeAtelier „La Silhouette“ des Vereins „ Junge
Frauen und Beruf“. Es bildet 13 Mädchen
zur Damenmaßschneiderin aus, eben haben einige erfolgreich die dreijährige Lehrzeit abgeschlossen und einen Job gefunden.
Mit Stiftungsgeldern konnte dieser Betrieb
der berufsbezogenen Jugendhilfe zwei moderne Nähmaschinen, einen Bügelautomaten sowie Spezialscheren und Zuschnittpapier kaufen. „Die Stiftung ist grandios“,
lobt Leiterin Barbara Hemauer-Volk. In
dem Schneider-Atelier an der Pariser
Straße in Haidhausen bekommen die
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (V)
aneum“ und ist – streng genommen – als
Studentenwohnheim gedacht.
ich im Unterricht nicht verstanden hatte,
konnte ich fragen“, freut sich der 15-jährige Aladin.
Das Fazit der jungen Leute ist rundweg positiv: „Ich habe viel dazugelernt“, sagen die
Mädchen und Buben. Auch Initiator Maier
ist sichtlich zufrieden: „Die Stiftungsgelder
sind sehr gut angelegt. Jeder Euro ist bei
den Schülern gleich mehrfach angekommen.“ Sie hätten durch das Lerntraining
auch mehr Selbstbewusstsein gewonnen.
Der Landtag als Untermieter
Seit 1874 ist das Maximilianeum
Studentenwohnheim
Der repräsentativste Sitz aller Münchner
Stiftungen dürfte das Maximilianeum sein.
Das Erstaunliche dabei: Nicht die Stiftung
ist es, die beim Bayerischen Landtag untergeschlüpft ist. Ganz im Gegenteil, die Legislative des Freistaats ist nur Mieter, denn
das herrschaftliche Gebäude, das inzwischen zum Synonym für den Landtag geworden ist, gehört der „Stiftung Maximili-
Denn die Stiftung, die König Maximilian
II. 1852 aus seiner Privatschatulle gründete, fördert die jeweils besten bayerischen
Abiturienten. 1874 bezogen sie ihr neues
Heim am Isarufer. Anfangs wollte der König sie damit für den höheren Staatsdienst
gewinnen. Noch heute wohnen im Schnitt
45 Studenten und Studentinnen als Stipendiaten im Maximilianeum Tür an Tür mit
der Politik.
Dass der Landtag in den Räumen der Stiftung seine Bleibe gefunden hat, ist eine
Folge von Inflation und Krieg. Denn der
Währungsverfall der zwanziger Jahre ver-
Foto: Wally Schmidt
Der typische Münchner Stifter
Es gibt ihn tatsächlich. Den typischen
Münchner Stifter. Zumindest verbindet
viele Wohltäter der Stadt mehr als der
Wunsch, über den Tod hinaus Spuren zu
hinterlassen. „Es sind überwiegend ältere
Menschen, in der Regel ohne Familie, die
sich vor allem ihrer Heimatstadt verbunden fühlen“. Die Charakterisierung liefert
die Leiterin der Münchner Stiftungsverwaltung, Katharina Knäusl. „Die Leute haben sich hier sehr wohl gefühlt und wollen
deshalb der Kommune etwas zukommen
lassen.“ Die Motive: „Das reicht von Steuereinsparungen bis zur eigenen Betroffenheit und dem Wunsch, etwas bewegen zu
wollen.“ Darunter seien etliche „erfolgreiche, glückliche Menschen, die etwas von
dem Guten, das sie erfahren haben, an die
Gesellschaft zurückgeben wollen.“
ands
brauchte das Vermögen der Stiftung. Nachdem das Gebäude im Zweiten Weltkrieg
schwer beschädigt worden war, fehlten ihr
die Mittel zum Wiederaufbau. Die kamen
von Landtag und Senat, die 1949 als neue
Mieter in den Renaissancebau einzogen.
Um sich für das Stipendium zu qualifizieren, müssen die Abiturienten strenge Voraussetzungen erfüllen. Ein Abischnitt von
1,0 ist Pflicht, danach durchlaufen sie weitere Prüfungen, die am Ende die sechs bis
acht Besten aus den pro Jahr rund 400 Bewerbern herausfiltern sollen. Der für die
Stiftung relevante Bereich ist dabei nicht
auf das heutige Bayern beschränkt, sondern schließt auch die linksrheinische Pfalz
mit ein. Diese gehörte bis 1945 zu Bayern.
51
Ausgezeichnete Beiträge
Im Laufe der Zeit hat „die Stiftung“, wie sie
von ihren Bewohnern genannt wird, verschiedene Berühmtheiten hervorgebracht.
Der Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg gehört ebenso dazu wie der ehemalige Ministerpräsident Franz Josef
Strauß. Doch nicht alle haben sich den ernsten Dingen verschrieben: Auch der Schlagertexter Michael Kunze („Ein Bett im
Kornfeld“) war Stipendiat.
Christof Rührmair
Bildunterschrift:
Nachdem das Gebäude im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden war, fehlten der Studienstiftung die Mittel zum
Wiederaufbau. Die kamen von Landtag
und Senat, die 1949 als neue Mieter in den
Renaissancebau einzogen.
Foto: Christof Rührmair
Ein Dickicht aus Mord, Habgier und
Lügen
Die düstere Vorgeschichte der „Walter
Sedlmayr – Paula Rott Stiftung zur
Unterstützung Münchner Bürger“
Von Florian Tempel
Am Anfang war das abscheuliche Verbrechen – die brutale Ermordung des Schauspielers Walter Sedlmayr in der Nacht vom
14. auf den 15. Juli 1990 in seiner Wohnung in der Schwabinger Elisabethstraße.
Dem Aufsehen erregenden Kriminalfall
folgte ein höchst spannender Indizienprozess gegen die Täter, Sedlmayrs Ziehsohn
Wolfgang Werlé und dessen Bruder Manfred Lauber, die am 23. Mai 1993 zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Nicht
minder spannend als der Mordfall und
seine juristische Aufarbeitung war freilich
auch der Kampf um das Erbe des Schauspielers. Eine Geschichte voller Habgier,
falscher Versprechen und Lügen, die mit
dem Selbstmord eines einst renommierten
Anwalts endete, die aber auch zur Gründung einer wohltätigen Stiftung für hilfsbedürftige alte Menschen führte: der „Walter Sedlmayr – Paula Rott Stiftung zur
Unterstützung Münchner Bürger“.
Da Sedlmayr kein Testament gemacht
hatte, musste nach seinem Tod zunächst
von Amts wegen die Erbfrage geklärt wer-
52
Serienpreis
den. Die Hinterlassenschaft umfasste Immobilien, Wertpapiere, Kunstgegenstände
und Antiquitäten im geschätzten Gesamtwert von 8,5 Millionen Euro. Nur drei
Tage nach dem Mord – Sedlmayr war
noch nicht beerdigt – hatte sich der
auf Nachlassangelegenheiten spezialisierte
Rechtsanwalt Aegidius Kirchner den Auftrag des Nachlassgerichts gesichert, die Erben zu ermitteln. Das war eine einfache
Aufgabe. Denn „Toten-Kirchner“, wie ihn
Kollegen nannten, wusste offenbar schon,
wer erben würde: die Tante Sedlmayrs,
die damals 91-jährige Paula Rott, und deren ebenfalls hochbetagter Bruder Fritz.
Kirchner schrieb noch am gleichen Tag
Paula Rott einen Brief, in dem er sie über
ihre Position als Erbin informierte.
Mit der Feststellung der Erben war die
Amtshandlung Kirchners als Nachlasspfleger eigentlich schon wieder beendet. Doch
der Anwalt, der für seinen leichten Job angeblich ein Honorar von rund 120 000
Euro berechnet haben soll, machte sich an
die nunmehr Millionen schwere Tante
Paula heran. Die alte Dame muss vom
Charme und der scheinbaren Seriosität des
damals 58 Jahre alten Juristen, der in den
achtziger Jahren Vorstandsmitglied der
Münchner Anwaltskammer war, sehr angetan gewesen sein. Sie stattete ihn schon
bald mit einer Vollmacht aus und machte
ihn zu ihrem Vermögensverwalter.
Kirchners Beziehung zu Paula Rott beschränkte sich allerdings keineswegs auf
eine Tätigkeit als Vermögensverwalter.
Der Anwalt wurde schnell zu ihrem Liebling. In einem Brief an sie, der wie viele
andere auch im Rahmen des späteren Gerichtsstreits der beiden publik wurde, formulierte er seine Vorzüge mit eigenen
Worten: „Du hast gespürt, dass ich, anders als Deine Verwandten, Dich schätze,
achte und für eine liebenswerte Persönlichkeit halte, die Du ja auch bist!“ Solch
schöne Worte, gemeinsame Ausflüge und
andere Bemühungen führten für Kirchner
zum ganz offensichtlich angestrebten Erfolg. Paula Rott setzte ihn und seine Ehefrau Helma Polysius, die sich als Genealogin auf die Ermittlung von Erben
spezialisiert hatte, als Erben ein. Im November 1991 verfasste Paula Rott ein entsprechendes Testament. Im August 1992
wurde dieses durch einen Erbvertrag ersetzt. Im Gegensatz zu einem Testament,
das Paula Rott jederzeit hätte abändern
können, war dies bei einem Erbvertrag
nicht mehr so einfach möglich. Wie jeder
andere Vertrag ist auch ein Erbvertrag für
beide Vertragspartner verbindlich. Um
ihn zu ändern oder aufzuheben, müssen
beide Seiten zustimmen.
das Mietshaus im Westend im Wert von
zwei Millionen Euro zurück und umgerechnet 400 000 Euro Bargeld. Vor allem
aber war der Erbvertrag mit Kirchner aufgehoben.
Erbe Kirchner schrieb Paula Rott am 16.
August 1992: „Dieses, Dein Geschenk,
macht mich stolz und glücklich.“ Doch damit nicht genug. Im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ließ er sich, nachdem Paula Rotts Bruder Fritz gestorben
war und sie auch ihn beerbt hatte, im
Sommer 1995 ein Landhaus in Murnau,
eine Eigentumswohnung in Grünwald
und ein Mietshaus im Westend überschreiben.
Im Prozess hatte Paula Rott erstmals öffentlich bekannt gegeben, dass sie ihr Vermögen nach ihrem Tod in eine wohltätige
Stiftung einbringen wolle, „zum Gedächtnis an meinen Neffen“ und zugunsten armer Münchner. Diese Idee habe sie schon
lange gehabt, doch Kirchner habe ja von
einer Stiftung „nie was wissen wollen“.
Paula Rott starb neun Monate nach dem
Ende des Prozesses im Juli 1997 im Alter
von 96 Jahren. Doch auch posthum
machte sie noch einmal Schlagzeilen. Ihr
neuer Vermögensverwalter und Vertrauter, der ehemalige Chauffeur von Walter
Sedlmayr, Egon Handlos, hatte behauptet,
von dem einst stolzen Vermögen seien
kaum mehr als 50000 Euro übrig. Unter
anderem, weil Handlos selbst von der
Großzügigkeit der Paula Rott profitiert
hatte, noch vor ihrem Tod und auch testamentarisch reich bedacht worden war.
Später war sogar davon die Rede, es gebe
von Paula Rott überhaupt nur Schulden
zu erben. Die SZ titelte „Erbe im Eimer.
Sedlmayrs Vermögen ist futsch – der Stadt
bleibt nichts.“
Die Zuneigung, ja Liebe, die Kirchner der
alten Dame geschworen hatte, erwies sich
als falsch. Paula Rott empörte es besonders, dass sie nicht ein einziges Mal
Weihnachten zusammen verbrachten. Als
sie auch 1995 nicht von Kirchner unter
den Christbaum eingeladen worden war,
war für sie das Maß voll. Sie kündigte ihm
die Freundschaft und widerrief seine Vollmacht als Vermögensverwalter. Im Februar
1996 klagte sie auf Aufhebung des Erbvertrages.
Im August desselben Jahres ließ Paula
Rott während des Prozesses im Münchner
Justizpalast kein gutes Haar an Kirchner.
„Er hat sehr viel gelogen und vorgetäuscht.“ Er habe ihr alles mögliche zum
Unterschreiben vorgelegt, sie habe ihm
vertraut, aber gar nicht gewusst, was sie
alles abzeichnete. Selbst vom notariellen
Erbvertrag wollte sie „nie ein Wort“ gewusst haben.
Kirchner sagte seinerzeit der SZ: „Ich habe
mir nie etwas unter den Nagel gerissen,
noch habe ich Erbschleicherei begangen.
Ich sehe keine Veranlassung, mich zu schämen.“ Und vor allem: „Für mich sind Verträge verbindlich.“
Hans-Lothar Graf, der Vorsitzende Richter der 29. Zivilkammer des Landgerichts
München I, wertete das Verhalten Kirchners damals allerdings als „ungewöhnlich
und problematisch“. Paula Rott hatte, das
wurde deutlich, gute Karten. Graf sagte
später, „wie dieses Gericht entschieden
hätte, war ziemlich klar“. Dennoch wurde
der Prozess nicht mit einem Urteil, sondern mit einem Vergleich beendet. Der
war für Paula Rott ein Gewinn. Sie erhielt
Bevor die Frage, wie viel oder wenig noch
da war, geklärt werden konnte, setzte Aegidius Kirchner seinem Leben ein Ende.
Gut zwei Wochen nach dem Tod von Paula
Rott vergiftete er sich mit Autoabgasen auf
dem Parkplatz des Walderlebniszentrums
Grünwald. Aus einem Abschiedsbrief ging
hervor, dass er sich sehr wohl Vorwürfe im
Zusammenhang mit dem Sedlmayr-Erbe
und dem „Drumherum“ gemacht hatte.
Nach einer Überprüfung des Testaments
und der Hinterlassenschaften von Paula
Rott trat die Stadt am Ende doch das Erbe
an. Als schließlich noch ein außergerichtlicher Vergleich mit Egon Handlos geschlossen worden war, ging die „Walter
Sedlmayr – Paula Rott Stiftung zur Unterstützung Münchner Bürger“ mit einem
Stiftungskapital von umgerechnet 1,1
Millionen Euro im Februar 2000 an den
Start. Die Stiftung hilft seitdem, gemäß des
letzten Willens von Paula Rott, alten
Münchnerinnen und Münchnern, „die
durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder
sonstige unverschuldete Umstände in Not
geraten sind“.
53
Ausgezeichnete Beiträge
Bildunterschrift:
Walter Sedlmayr.
Wenn einer stirbt, kein Testament vorhanden ist und der Nachlass die Beerdigungskosten übersteigt, setzt das Nachlassgericht
in der Maxburgstraße einen Nachlasspfleger ein. Das muss zwar kein Jurist sein, ist
in der Regel aber ein spezialisierter Rechtsanwalt. Die so genannte Pflegschaft eines
Nachlasses ist ein Amt und der Nachlasspfleger „zu treuer und gewissenhafter Führung“ desselben verpflichtet. Seine wesentliche Aufgabe ist es, Erben zu ermitteln.
Das kann recht einfach, aber auch höchst
kompliziert sein. Wenn der Nachlasspfleger die Erben ermittelt hat und diesen vom
Nachlassgericht Erbscheine ausgestellt
sind, endet das Amt der Nachlass-Pflegschaft. Je nach Aufwand und Schwierigkeit
der Erbenermittlung setzt das Gericht die
Vergütung fest. Es ist jedoch auch möglich,
dass sich der oder die Erben mit dem
Nachlasspfleger auf einen Betrag einigen,
ohne dass das Gericht eingeschaltet wird.
Ist es nicht möglich, einen Erben zu finden,
geht der Nachlass an den Staat.
flo
die herzkranke Katharina K., 70 Jahre alt,
350 Euro bekommen. Die Witwe, die allein zu Hause lebt und nicht mehr aus dem
Haus kann, erhält das Geld für einen Friseurbesuch und für Medikamente. Finanziert werden ihr auch Cremes für ihre offenen Beine sowie Kleidung. Der 87-jährigen
Maria P. wird in ihrem Pflegeheim für ein
Jahr ein ehrenamtlicher Besuchsdienst bezahlt – ein- bis zweimal die Woche kommt
eine Helferin, die die Pflegebedürftige in
den Garten fährt, ihr vorliest oder etwas
erzählt. Keine abrechenbare Pflegeleistung,
sondern liebevolle Betreuung, für die das
Pflegepersonal meist keine Zeit hat.
Die Thomas wissen nicht im einzelnen, was
mit ihrem Geld geschieht. Man hat Vertrauen zur Stiftungsverwaltung, die Gerd
Thomas zufällig als Telefonbuch-Eintrag
im Internet ausgemacht hat. Denn zunächst
hatte das wohltätige Ehepaar an die Kirche
gedacht. Ein Pfarrer sei auch einmal bei den
Thomas zu Hause gewesen, habe sich Notizen gemacht. Danach, erzählen die beiden, habe man nichts mehr gehört. Gutes
tun aber wollte das Ehepaar in jedem Fall –
auch mit dem Vermögen, das nach beider
Ableben einmal übrig bleibt. „Wir könnten
stattdessen auch in Saus und Braus leben“,
räumt Thomas ein. „Aber wissen Sie, das
Erbenermittlung per Nachlasspfleger
dpa/SZ-Archiv
Gespräch am Rande der Trauerfeierlichkeiten für Walter Sedlmayr: der damalige
Münchner OB Georg Kronawitter und
Paula Rott.
Foto: SV Bilderdienst
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (VI)
Zwei pfiffige Kaufleute und der Lohn
des Erfolgs
Die 2001 errichtete „Gerd und
Annemarie Thomas-Stiftung“ soll
Kranken bei besonderen Notlagen
Hilfe bringen
Von Thomas Kronewiter
Ihr Glück haben sie mit Modelleisenbahnen
gemacht. Geliefert haben Gerd und Annemarie Thomas in alle Welt – die Lokomotiven aus dem Hagener Fachgeschäft Lammers fuhren und fahren in Kenia,
Skandinavien, Süd- und Mitteleuropa, ja
selbst in den USA und Kanada. Von Lokomotivfabriken beschaffte sich der Bastler
Pläne, baute die Zugmaschinen und Waggons im Maßstab 1 : 87 nach. „Handarbeit“,
betont Thomas – und Frau Annemarie ergänzt: „Alles für Sammler.“ Längst ist das
betagte Ehepaar im Ruhestand, vor ein paar
Jahren haben sich beide einen gemeinsamen
Wunsch erfüllt: 2001 wurde die „Gerd und
Annemarie Thomas-Stiftung“ errichtet.
Die Stiftung soll Kranken in besonderen
Notlagen Hilfe bringen. Soll – weil bislang
noch kein Geld ausgezahlt worden ist. Ein
Appartement des Park-Hotels in der Parkstadt Schwabing hat das Ehepaar in die
Stiftung eingebracht. Das ist mittlerweile
verkauft, mit dem Erlös und dessen Erträgen ist erst einmal das Grundstockvermögen aufgebaut worden. Noch in diesem
Jahr will die Münchner Stiftungsverwaltung jedoch mit den Auszahlungen beginnen, zwei Fälle sind vorgemerkt: So wird
54
Serienpreis
liegt uns nicht.“ Denn der 78-Jährige und
seine 73-jährige Ehefrau sind in einer Generation aufgewachsen, „in der ein Stück
Brot noch etwas wert war“.
Gut ist es ihnen immer gegangen. 13
Kreuzfahrten haben sie gemacht. Einmal
lag ihr Schiff zwischen Malaga und Mallorca auf der Seite – das war für beide die
letzte Seereise. Übriges Geld haben die pfiffigen Kaufleute in Hotel-Appartements angelegt. Von den Erträgen leben sie, außerdem haben sie sich für diverse Zimmer
einige Wochen Wohnrecht im Jahr reservieren lassen. Ihre finanziellen Verhältnisse
ließen beiden den Spielraum, Gutes zu tun.
Tier- und Kinderstiftungen, so ihre Überlegung, gebe es massenhaft. Aber einsamen Kranken, glaubt das kinderlose Paar,
helfe kaum jemand.
Ideen hatten die Thomas schon immer.
Heimgekehrt aus britischer Gefangenschaft,
baute sich der ehemalige Kriegsmarine-Angehörige Gerd Thomas mit amerikanischen
Überschussgütern, die nicht mehr in die
Vereinigten Staaten zurückgeschifft wurden,
eine Existenz in Wiesbaden auf. Danach
machte er in Antiquitäten. Als er seine spätere Frau kennen lernte, stürzte er sich auf
das Geschäft mit den Eisenbahnen. Annemarie Thomas, Spross einer großbürgerlichen Familie, arbeitete sich in die Buchhaltung des 1856 gegründeten großväterlichen
Geschäfts in der Kölner Straße ein. 1969 heirateten beide, übernahmen ein Jahr später
die Spielwaren- und Modellbahn-Firma und
sorgten immer wieder für Innovationen.
Einmal haben sie einen TE-Zug nachgebaut, der in den siebziger Jahren ursprünglich von Basel nach Den Haag fuhr. Der
war nach Kanada verkauft worden und
musste deswegen in Schaffhausen winterfest gemacht werden. Gerd Thomas beschaffte sich Pläne und Fotos, baute den
Zug als Modell in seiner Werkstatt nach.
„Wir waren weltweit die einzigen, die das
machten.“ Erst als der Vertreter einer großen Modellbahn-Firma den Zug entdeckte
war es mit dem Monopol vorbei: Im nächsten Jahr kam eine limitierte Serie auf den
Markt, denn schützen lassen hatten sich
die Modellbahner den selbst gebastelten
Zug nicht. Pech, sagte sich Thomas – und
entwickelte die nächste Idee.
Den Erfolg, zu dem auch eine Filiale in Büsingen bei Schaffhausen beitrug, bezahlte
das Ehepaar mit fehlender Freizeit. Bis 22
Uhr waren sie zuletzt immer in Laden und
Werkstatt gestanden, arbeiteten samstags
und sonntags meist durch. Deshalb zogen
die Geschäftsleute relativ früh den Schlussstrich, verkauften Geschäft und das denkmalgeschützte Haus in Hagen und zogen
für zwei Jahre ins Ferienhäuschen im Tessin.
Als es ihnen dort zu langweilig wurde,
gründeten sie 1981 den Deutschen Club
Tessin. Dessen Ehrenpräsident ist Thomas
noch heute, 2006 steht die Feier des 25-jährigen Jubiläums an. 1983 übersiedelten
Gerd und Annemarie Thomas schließlich
in eine Stadt, die sie beide schon immer
mochten: München.
Bildunterschrift:
Die Technikbegeisterung hat sich Gerd
Thomas auch im Ruhestand bewahrt. Im
Internet surft der Tüftler – hier mit Frau
Annemarie – selbstverständlich in DSLGeschwindigkeit.
Weiblich, katholisch, ledig . . .
In den 20 000 Karteikarten der Stiftungsverwaltung der Landeshauptstadt finden
sich Stichworte, hinter den man wunderbar nostalgische Lebensgeschichten vermutet. Und die dazugehörigen Menschen
kennen lernen will. Etwa die Dienstboten,
weiblich, katholisch und ledig, die eine
mindestens 20-jährige Dienstzeit nachweisen können. Alle also, die in den Genuss
der Grau-Schiestl-Familienstiftung kommen. Oder den Bewohnern des Altenheims St. Josef, die im Dienst eines Mitglieds des vormaligen Bayerischen
Königshauses gestanden haben und später
nicht in den Dienst des bayerischen Staates
übernommen worden sind oder von solchen Bediensteten abstammen. Und dann
die alten verdienten Komponisten oder
Musiker, die von der Mark-Lothar-Stiftung
unterstützt werden. Aber nicht einer der
Begünstigten ist auszumachen.
„Es ist nicht zu vermeiden“, sagt Katharina
Knäusl, Leiterin der Stiftungsverwaltung
der Stadt München, „dass sich ein Stiftungszweck überlebt, weil sich etwa die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern.“
Dann dürfe man die Ausrichtung und damit die Satzung ändern. „Allerdings muss
man dadurch dem Stifterwillen so nah wie
möglich kommen.“ Wie bei der Mark Lothar-Stiftung: Von dem Vermögen profitieren inzwischen auch Münchner Studenten,
die über diesen Weg zu „hochwertigen
Musikinstrumenten“ kommen.
ands
Foto: Kronewiter
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (VII)
Das Vermächtnis der Vorväter
Zwischen Oktoberfest und Bürgerheim – die Stadtgeschichte ist
untrennbar mit dem Namen Dall’Armi
verbunden
Der Name zählt zu den klangvollsten in
München überhaupt: Es gibt eine Dall’-
Armi-Straße, ein Dall’Armi-Heim. Die Geschichte des Oktoberfestes ist ebenfalls mit
den aus Trient stammenden Dall’Armis
verknüpft, die über ihre Stiftungen zu den
größten Wohltätern in München wurden.
Das Erbe ihrer Vorväter bewahrt die heutige Generation. Carlheinz, Ritter und Edler von Dall’Armi (66), etwa kümmert sich
seit 39 Jahren als Kuratoriumsmitglied um
die Geschicke des Münchner Bürgerheims. Er hat auch die Familiengeschichte
erforscht.
SZ : Der Name Dall’Armi ist untrennbar mit
der Münchner Geschichte verknüpft. Können
Sie den Begründer der Münchner Linie, Andreas Michael von Dall’Armi, charakterisieren?
Dall’Armi : Er kam aus einer streng katholischen Familie und hat das unglaubliche Glück gehabt, die Erbin des damals
größten Münchner Bankhauses, Elisabeth
Nockher, zu heiraten. Damit ist er sehr,
sehr reich geworden, hat das Geld
aber auch eingesetzt – zum Beispiel über
Nockher-Stiftungen. Er stiftete das Grundstück an der Ziemssen-/Maistraße im Wert
55
Ausgezeichnete Beiträge
betreibende. Sein Großvater Andreas hatte
bereits eine Medaille geschaffen für Dienstboten, die 25 oder 50 Jahre bei einer Herrschaft gedient haben. So etwas gibt es heute
nicht mehr. Heinrich von Dall’Armi hat
dann für Dienstboten ein eigenes Heim
schaffen wollen und der Stadt München
eine Million zur Verfügung gestellt. Durch
die Kriegsjahre hat sich der Bau dann verzögert. Heinrich bekam ebenfalls die goldene Bürgermedaille verliehen. Unsere Familie ist die einzige, die bisher zwei
bekommen hat.
von 15 000 Gulden für den Bau von Krankenhäusern, gab Zuschüsse für deren Einrichtung. 1790 hat er die Kornmagazine
für die Stadt errichtet. Er hat Zustiftungen
gemacht zur Rumford-Anstalt und zur
Feiertagsschule. Er war sehr sozial eingestellt. In zweiter Ehe hat er eine Gutsbesitzer- und Weinwirtschafts-Tochter geheiratet, aus dieser Ehe stammt der so genannte
Münchner Zweig. Als auch diese Frau gestorben war, hat er sich einer Frau in Nymphenburg zugewandt, die so genannte
Spinnstuben eingerichtet hatte für Mädchen und Frauen, die nichts hatten. Er hat
auch das sehr gefördert und nach ihrem
Tod weitergeführt.
SZ : Andreas von Dall’Armi hat auch das
Oktoberfest mitbegründet . . .
Dall’Armi : Er war Major der Nationalgarde und wollte den Gardemitgliedern
unbedingt das Nähen beibringen. Das ging
natürlich voll in die Hose. Als einer seiner
Untergebenen, ein gewisser Baumgartl, eines Tages an ihn herantrat und auf die Idee
brachte, zur Feier der Vermählung des späteren Königs Ludwig mit Therese von
Sachsen-Hildburghausen ein Fest abzuhalten, war er von der Sache sehr angetan.
Die Wiese wurde später, auch auf seinen
Vorschlag hin, Theresienwiese benannt. Er
bekam vom Königshaus die Zustimmung,
dieses Fest abhalten zu können, hat es finanziert und sich dafür eingesetzt, dass die-
56
ses Oktoberfest jährlich wiederholt wird.
Für seine vielen Verdienste wurde er 1792
von Kurfürst Karl Theodor in den Adelsstand erhoben, als Edler von Dall’Armi,
Ritter des Heiligen Römischen Reiches
Deutscher Nation. Die Stadt München hat
ihn ebenfalls geehrt, sie hat eigens für ihn
eine goldene Bürgermedaille geschaffen, er
war deren erster Träger.
SZ : Die Wohltaten der Familie setzte Andreas’ Enkel Heinrich später fort, der Stifter
des Münchner Bürger- und des Dall’ArmiHeims.
Dall’Armi : Heinrich von Dall’Armi war
Kaufmann und hat in München eine
Witwe namens Antonie Phillip geheiratet.
Er stieg in die Firma „Carl Phillips Witwe“,
die später nur mehr Dall’Armi-Firma hieß,
ein. Das war ein Vertrieb von österreichischen Tabakprodukten. Aus dem anfänglich kleinen Betrieb hat er ein riesengroßes
Unternehmen gemacht. Von seinem Großvater hat er die soziale Ader mitbekommen.
Während des Ersten Weltkrieges hat er den
Frauen seiner Mitarbeiter, die eingerückt
waren, die Gehälter laufend weitergezahlt.
Er hat auch sehr viel in der Region getan,
sich etwa um Kirchen gekümmert. So gibt
es in Starnberg, Bernried, Seeshaupt und in
Freising überall Dall’Armi-Straßen. In
München ist er hervorgetreten durch die
Stiftung des Bürgerheims für – nach dem
damaligen Zweck – selbstständige Gewer-
SZ : Haben denn die heutigen Dall’Armis
überhaupt noch etwas mit den großen Stiftungen ihrer Vorfahren zu tun?
Dall’Armi : Für das Münchner Bürgerheim hat Heinrich von Dall’Armi ein Kuratorium bestimmt, das das Heim verwalten soll. Dem sollen auch immer zwei
Dall’Armis beziehungsweise zwei von ihnen benannte Familien angehören. Ich bin
seit 39 Jahren in diesem Kuratorium tätig,
damit mit Abstand der Dienstälteste. Ich
bin stolz, dass wir unser Bürgerheim in einer relativ guten, auch finanziell guten Verfassung haben. Unsere Planung geht dahin, dass unser Heim nach den
Anforderungen der heutigen Zeit umgebaut werden soll. Das wird voraussichtlich
im Jahr 2009 geschehen.
SZ : Wie groß ist der Einfluss des Kuratoriums?
Dall’Armi : Wir bestimmen die Sache. Das
Kuratorium leitet das Heim. Die Verwaltung besorgt zwar die Münchenstift, das
haben wir ihr übertragen. Aber das Kuratorium ist vollkommen selbstständig. Wir
bestimmen über die Finanzen und wie das
Geld angelegt wird. Wir bestimmen über
Zustiftungen, auch eventuell über den Verkauf von Zustiftungen.
SZ : Nun hat ja das Münchner Bürgerheim
eine Zukunft, das Dall’Armi-Heim in seiner
jetzigen Form nicht.
Dall’Armi : Das Dall’Armi-Heim soll leider Gottes, da eine Renovierung unverhältnismäßig große Kosten verursachen
würde, mit seinem Grund verkauft werden. Ich möchte aber nicht, dass der Name
Dall’Armi-Heim verschwindet. Mir wurde
deshalb versichert, dass ein Teil des umzubauenden Heiliggeistspitals den Namen
Dall’Armi erhalten wird.
SZ : Glauben Sie, dass Dall’Armis sich auch
in einigen Generationen noch mit den Stiftungen ihrer Vorväter identifizieren werden?
Serienpreis
Dall’Armi : Ich denke schon. Wenn mein
hochbetagter Vetter eines Tages ausscheidet, werde ich wieder einen Dall’Armi ins
Kuratorium nehmen. In der Familie ist
Interesse da, ich habe einen Neffen schon
ein wenig eingeführt.
Interview/Foto: Thomas Kronewiter
Bildunterschrift:
Carlheinz, Ritter und Edler von Dall’Armi.
Schwarze Zahlen in schwieriger Zeit
Wenn Renten und Sozialleistungen
sinken, erfüllt die Josef & Luise
Kraft-Stiftung eine umso wichtigere
Funktion
Von Barbara Brubacher
Josef Kraft war ein Mann der Tat. Bis ins
hohe Alter von über 80 Jahren verkaufte
er mit seiner Sendlinger Baustofffirma von
früh bis spät Mörtel, Betonringe und
Rolladenkästen. Allerdings waren er und
seine Frau Luise kinderlos geblieben, und
das Paar hatte, je älter es wurde, ein starkes Bedürfnis, sich für ältere, kranke und
mittellose Menschen einzusetzen. Kurz
vor seinem Tod 1988 verfügte Kraft
schließlich in seinem Testament, dass sein
gesamtes Vermögen und seine Firma in
eine Stiftung übergehen sollten.
Bis heute fließen deshalb sämtliche Gewinne der Josef Kraft Baustoffe GmbH in
der Drygalski-Allee 15 in die gemeinnützige „ Josef und Luise Kraft-Stiftung“:
Rund 3,6 Millionen Euro hat die KraftStiftung bis 2003 ausgeschüttet. „Eine
stolze Summe“, wie Stiftungsvorstand Harald Mosler betont. „Damit gehört die eigentlich sehr im Stillen arbeitende Stiftung zu den ganz großen in München.“
Warum nur so wenige über diesen Hintergrund der Firma Kraft Bescheid wissen?
Mosler weist darauf hin, dass es die Stiftung im Gegensatz zu vielen anderen
nicht nötig hat, öffentlich um Spenden zu
werben. Denn auch in den gegenwärtig
schwierigen Zeiten schreibt die Firma
Eines der wichtigsten Themen: die
Grabpflege
Nach dem Zweck und der Sicherheit einer
ordnungsgemäßen Verwaltung betrifft der
am häufigsten geäußerte Wunsch eines
(potenziellen) Stifters die Grabpflege. Ein
„sehr, sehr wichtiges Thema“ hat Katharina Knäusl, Leiterin der städtischen Stiftungsverwaltung, darin ausgemacht. Mit
manchem Stifter spreche sie fünf Minuten
über den Zweck, aber eineinhalb Stunden
über die gewünschte Blumenwahl auf dem
späteren Grab. Der Standardvorschlag der
Verwaltung in solchen Fällen ist eine Betreuung über eine Generation hinweg, also
etwa 30 Jahre.
schwarze Zahlen. „Dafür ist ein sehr engagiertes und motiviertes Firmenteam
verantwortlich,“ sagt Hauptgeschäftsführer Thomas Reichenspurner stolz. Die
rund 160 Mitarbeiter der Kraft-Gruppe
haben dafür auch einen guten Grund: Sie
sind am Erfolg der Firma beteiligt. Je
mehr erwirtschaftet wird, desto höher
fällt auch ihre Gewinnbeteiligung aus. Zugleich steigen die Ausschüttungen der
Stiftung, freut sich Reichenspurner. Die
Mitarbeiter motiviere, dass den Überschuss am Ende des Geschäftsjahrs nicht
ein Investor einstecke, sondern dass das
Geld bedürftigen Menschen zugute
komme. Zudem dürfen auch die Mitarbeiter Vorschläge machen, wer eine Stiftungs-Zuwendung bekommen soll.
Reichenspurner war noch von Kraft senior
als Trainee eingestellt und angelernt worden. Seitdem leitet er die Firmengruppe.
Über seinen früheren Chef kann er nur
Gutes berichten: „Ein sehr fleißiger, engagierter Mann und ein sehr sozialer Arbeitgeber, der schon früh die Gewinnbeteiligung für seine Mitarbeiter eingeführt hat.“
In seinem Testament hat Kraft zudem auch
eine nicht unerhebliche Summe der Marianne-Strauß-Klinik für Multiple Sklerose
in Kempfenhausen vermacht.
Erst vor einigen Monaten hat Harald
Mosler das Ehrenamt des Vorstands der
Kraft-Stiftung von Professor Ludwig Furtner, dem „geistigen Vater“ des Kraft-Stiftungskonzepts, übernommen. Hauptberuflich ist er als Rechtsanwalt und
Betreuer anderer Münchner Stiftungen tätig. Mehr denn je sieht er die Unterstüt-
Sondervereinbarungen sind möglich, sofern Aufwand und Stiftungsvermögen in
einem sinnvollen Verhältnis stehen. Denn
auf einem Grab sei auch einmal ein Stein
zu richten. „Und wenn am dritten Engel
von links ein Flügel fehlt, müssen wir das
auch richten.“ Abstand hat die Stiftungsverwaltung von der Zusage genommen, regelmäßig Requiems zu organisieren. Denn
dies schlügen Kirchengemeinden wegen
des Aufwands ab, wenn eine leere Kirche
zu erwarten sei. Wenn man Auflagen seriös
nicht erfüllen könne, verzichte man deshalb lieber auf eine Erbschaft, betont
Knäusl.
tek
zung alter Menschen als äußerst wichtig
an: „Es gibt viele Stiftungen und Vereine,
die sich um Kinder kümmern, aber für
alte Menschen gibt es in dieser Hinsicht
leider nur wenig“, unterstreicht er. In Zeiten sinkender Renten und der Streichung
vieler sozialer Leistungen habe die KraftStiftung eine umso wichtigere Funktion.
Das sieht auch Ulrich Schmetz von der
Stiftungsaufsicht der Regierung von
Oberbayern so: „Zwar gibt es berechtigterweise den Slogan ,Die Kinder sind unsere Zukunft’“, räumt er ein, „aber um
den immer größer werdenden Anteil älterer und sozial nicht so gut gestellter Menschen in unserer Gesellschaft müssen wir
uns auch kümmern“.
Bisherige Nutznießer der Kraft-Stiftung
gibt es viele: „Unterstützt werden regelmäßig soziale Einrichtungen im Viertel, aber
auch münchenweit, mit mindestens fünfstelligen Beträgen“, erklärt Mosler. Neben
vielen anderen waren bisher die Innere
Mission, der Caritas-Verband, die Johanniter, Nachbarschaftshilfen im Münchner Süden, die Arbeiterwohlfahrt, das Alten- und
Service-Zentrum Fürstenried-Ost sowie der
Bezirksverband der Gehörlosen Empfänger finanzieller Zuwendungen. Bei vielen
Einrichtungen ist die Freude darüber sehr
groß: Das Alten- und Service-Zentrum Fürstenried-Ost beispielsweise hat mit bisher
zwei Spenden von je 11 000 Euro schon viel
Gutes tun können: zusätzliche Stunden für
eine Sozialpädagogin, Ausflüge für bedürftige Senioren, außerdem Weihnachts-Präsentschachteln mit Lebensmitteln und Einkaufsgutscheinen. Noch dazu konnten
mehr Haushaltshilfen bezahlt werden.
57
Ausgezeichnete Beiträge
Vorschläge, wer Zuwendungen bekommen soll, nimmt die Stiftung gerne an. Danach prüft der Stiftungsrat, ob Hilfen aus
dem Stiftungsvermögen gewährleistet werden können. Als Stiftungsvorstand darf
Mosler auch kleinere Einzel-Soforthilfen
gewähren, sofern der Stiftungszweck erfüllt ist. Besonders wichtig ist ihm auch,
dass unnötiger Verwaltungsaufwand vermieden wird: „Ich möchte, dass jeder Cent
bei den bedürftigen Menschen ankommt.“
Nähere Informationen über die Stiftung
gibt es auf schriftliche Anfrage bei Mosler
+ Partner Rechtsanwälte, Baierbrunner
Straße 25, 81379 München.
Bildunterschrift:
Stiftungsvorstand Harald Mosler.
bb
Der Alten Heimat schlägt das
Goldene Münchner Herz
Rund fünfzig Senioren und einige Kinder
sitzen im Garten des Thomas-WimmerHauses in Laim. Gerade haben sie gegessen, jetzt beginnt eine Gruppe Boule zu
spielen. Gelächter dringt herüber. Etwas
später wird es Kaffee und Kuchen geben.
Die Arbeiterwohlfahrt veranstaltet ihr
jährliches Sommerfest für die Bewohner
des Hauses und der Stiftungssiedlung
„Alte Heimat“.
Einer der Senioren will eine Radlerhalbe
bezahlen, doch Sozialpädagogin Doris
Kirchner winkt ab. „Das Fest wird von der
Stiftung ,Goldenes Münchner Herz‘ bezahlt“, erzählt sie. „Ohne die 400 Euro der
Stiftung wäre das Sommerfest nicht möglich“, sagt Kirchner, denn die Bewohner
haben nicht viel Geld. „Dieses Jahr haben
wir etwas mehr bekommen. Deswegen
konnten wir uns sogar einen Musikanten
leisten.“ Der spielt auf seinem Akkordeon,
während die Senioren beisammensitzen.
Genau das bezweckt die Stiftung letztlich.
Als „Förderung von Gemeinschaftsveranstaltungen“ steht das in der Satzung. Wie
wichtig das ist, betont auch Kirchner:
„Durch das Fest kommt Kontakt zustande.“ Einige Senioren muss sie dazu aus
ihren Wohnungen holen. „Wissen sie, obwohl hier so viele Senioren wohnen, sind
manche von ihnen dennoch vereinsamt.“
ruc/Foto: Rührmair
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Serienpreis
Sammler und Nachwelt
Der Anblick ist stattlich: 400 historische
Fächer aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Ulrich Schmetz von der Stiftungsaufsicht der
Regierung von Oberbayern schwärmt von
den edlen Stücken. Sie sind Teil der jüngsten Stiftung des Bezirks und erzählen von
der Kultur- und Sittengeschichte ihrer Herkunftsländer. Besitzerin Ute Michaels
wollte für den Erhalt der Sammlung eine
eigene Stiftung gründen. Schmetz, der sie
berät, hat zunächst aber den Kopf geschüttelt: „Die Fächer können einen hohen
Wert haben, bringen aber kein Geld.“ Sie
müssten gepflegt und versichert werden,
kurzum: Um den Zweck zu erfüllen, brauchen wir gewisse Erträge.“ Dies sei vielen
Sammlern, die ihr wertvolles Gut als Stiftung der Nachwelt erhalten wollen, nicht
bewusst. Deshalb muss auch begleitend
ein Kapital vermacht werden, das Gewinn
abwirft. Ute Michaels hat den Rat beherzigt. Jetzt sucht sie nur noch nach Ausstellungsmöglichkeiten.
ands
Professionelle Hilfe für potenzielle
Helfer
Der Kinderfonds bietet 97 kleinen
Stiftungen mit einem Gesamtvermögen von 6,24 Millionen Euro ein
gemeinsames Dach
Was steckt hinter der Stiftung Kinderfonds? „Menschen, die anderen helfen zu
helfen“, erklärt Sprecher Oliver Paxmann. Der Kinderfonds an der Sollner
Straße 43 bietet 97 kleinen Stiftungen mit
einem Gesamtvermögen von 6,24 Millionen Euro ein Dach – und entlastet sie von
Bürokratie. Der Fonds ist da für alle, die
ihr finanzielles Glück teilen wollen, aber
zu wenig Vermögen haben, um allein mit
den Zinsen wohltätig sein zu können.
Eine rechtlich unselbstständige Stiftung
gründet, wer gezielte, individuelle Hilfe
dem Spenden in den Topf einer großen
Organisation vorzieht. Das geht mit 5000
Euro Grundstock. Dass der Kinderfonds
in den zehn Jahren seines Bestehens dennoch 12,6 Millionen Euro ausschütten
konnte, liegt an Zusatz-Spenden. Stiftungen mit einem Vermögen unter 25 000
Euro müssen für die ersten Jahre Spenden-Einnahmen von mindestens 5000
Euro jährlich garantieren.
Das sei eine sinnvolle Vorschrift des Finanzamtes zur Vorbeugung gegen ineffektive Karteileichen, die das Amt mit hohem
Aufwand prüfen müsste. Ein StiftungsBeispiel ist Musikuz: Eine Münchnerin
gründete diese Stiftung, um Gewaltprävention bei Jugendlichen durch Musik
verwirklichen zu können. Mit dem Programm „beats statt Schläge“ lernen
„schwierige Schüler“, dass gegen Wut
auch Trommeln hilft. Das Projekt wird
nun vom Bayerischen Kultusministerium
unterstützt.
Die Idee für den Fonds hatte Gründer
Phillip Hof, früher Geschäftsführer der
Thomas-Gottschalk-Stiftung, aus Amerika mitgebracht. Mit dem Unternehmer
Alexander Brochier bildet er die „Doppelspitze“ des Kinderfonds. Paxmann nennt
die Vorteile der eigenen Stiftung: Allein
steuerlich sei Stiften interessanter als Spenden. Man engagiere sich zudem mit mehr
Emotion und langfristiger. Und: Wer stiftet, habe maximale Kontrolle darüber, wo
sein Geld ankomme. Bleibe der Grundstock über die Jahre klein und könne man
auch die Erben nicht zu guten Werken verpflichten, könne der Stifter in der Satzung
exakt vermerken, wohin sein Geld gespendet werden soll, wenn der Kinderfonds die Stiftung nach dem Tod des
Wohltäters auflöst.
Hat aber ein potenzieller Stifter nur eine
vage Idee, wird er an der Sollner Straße
auch bei der Projektauswahl beraten. Der
Fonds hat einige geprüft wie etwa die Arbeit des Flüchtlingshilfswerks Refugio,
bietet gegen Gebühr aber auch Recherchen in aller Welt an. Der Fonds hilft
dank des Partners Allianz dann kostenlos
bei der Gründung und der steuerlichen
Anerkennung. Gegen drei Prozent der
jährlichen Stiftungseinnahmen bis maximal 1500 Euro im Jahr bietet man eine separate Buchhaltung und ähnlichen „Basis-Service“. Das sei günstig, erklärt
Paxmann, weil sich vieles habe standardisieren lassen und weil man keine Agentur-Sätze verlange.
Auch bei der nötigen Spenden-Aquise im
Internet, auf privaten oder auf FirmenFeiern hilft die Dachorganisation. Mit entsprechendem Auftrag oranisiere man
auch mehr – von der Vergabe von Stipendien bis zum Aufbau eines Kinderheims.
Zudem werden die Stifter vernetzt: Auf
besonderen Treffen stellen sie sich gegenseitig ihre Adressaten für die Wohltätigkeit vor und nicht selten entstehen dabei
ganz neue Synergieeffekte, so Paxmann.
Fazit für ihn: Der Fonds hat einen wunderbaren Multiplikatoreneffekt. Und das,
obwohl man bewusst auf prominente
Zugpferde verzichte.
Die Idee Stifterfonds fand Nachahmer:
Auch die Salesianer Don Bosco, die Malteser, die Barmherzigen Brüder oder das
Kinderhilfswerk Plan International überzeugte das zentrale Konzept. Diese Orden und Organisationen greifen auf das
bürokratische Know-how des Kinderfonds zurück. Weil diese Zentren die
Mini-Stiftungen für einen Zweck bündeln, müssen die Klein-Stifter dafür nicht
weiterspenden.
Renate Winkler-Schlang
Informationen zum Kinderfonds und den
anderen Stifterzentren an der Sollner
Straße sind erhältlich unter der Rufnummer 744 200 200.
Hort der Literatur
Schlecht ist die Aussicht nicht, die sich
dem hemdsärmeligen Herrn von seinem
Stuhl im dritten Stock bietet. Und dennoch scheint ihn mehr zu interessieren,
was auf dem Tisch vor ihm liegt, denn offensichtlich liest der Mann. Damit hat die
„Stiftung Buch-, Medien- und Literaturhaus München“, in deren Foyer er sitzt,
bei ihm Erfolg gehabt. Seit 1993 gibt es
die Einrichtung. Vier Jahre später wurde
das Literaturhaus am Salvatorplatz eröffnet, saniert für zehn Millionen Euro, die
Stadt und Stifter aus der Privatwirtschaft
aufgebracht hatten. Seither finanziert sich
die Stiftung aus den Einnahmen, die die
Vermietung von Räumen bringt, und einem jährlichen Zuschuss der Stadt. Das
Literaturhaus soll ein Treffpunkt für
Schreibende und Verleger sein. Mit seinen zahlreichen Veranstaltungen wendet
es sich aber auch an den Normalbürger.
Nur Bücher sollte man mögen.
ruc/Foto: motrach
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Ausgezeichnete Beiträge
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (IX)
Wenn der Tod nach dem jungen
Leben greift
Die „Kleinen Riesen“ wollen die
noch verbleibende Zeit für alle
Beteiligten so harmonisch wie
möglich gestalten
Von Thomas Kronewiter
Sie wäre noch so gerne mit Delphinen geschwommen. Doch dieser Herzenswunsch musste unerfüllt bleiben. Marina,
die im Frühjahr kaum mehr das Bett verlassen konnte, reichte die Zeit nur noch
zur Adoption zweier Plüsch-Schafe. Marina, die das Leben so liebte und auch die
Tiere, der 13-jährige Wirbelwind in einer
vierköpfigen Familie, starb an einem frühen Montagmorgen im April – zwei Jahre,
nachdem bei dem lebenslustigen Mädchen ein Hirntumor entdeckt worden
war. Zurück blieben die Eltern und die
jüngere Schwester. Die sei mit ihren elf
Jahren „fast erwachsen geworden“, sagt
Mutter Gabi. Sie trifft mit Mann Rainer
an diesem Nachmittag noch einmal das
Ärzte- und Betreuerteam des Schwabinger
Krankenhauses. Ein Dankeschön-Termin.
Mitgebracht hat sie dennoch nichts.
Irgendwie erschien ihr alles unpassend.
Was schenkt man auch den Menschen,
die der Familie beim Sterben der eigenen
Tochter zur Seite standen?
Marina wurde 13 Jahre alt. Nach der Therapie und einer beglückenden Phase der
Besserung ging es ihr nach Weihnachten
plötzlich rapide schlechter. Diesmal war
der körperliche Verfall unaufhaltsam.
Irgendwann mussten die Ärzte den Gedanken an eine Heilung endgültig aufgeben. Nur ihren Wunsch, die verbleibende
Zeit zu Hause zu verbringen, konnte das
Team der Kinderonkologie im Schwabinger Krankenhaus noch erfüllen. Bürokratische Grenzen gab es nicht für Oberärztin
Michaela Nathrath und ihre Mannschaft,
dafür sorgte das Projekt „Kleine Riesen“.
Am Ende schlief Marina ruhig ein, im
Kreise ihrer Familie, über Wochen intensiv betreut von ihrer aus der Klinik vertrauten Krankenschwester und vom bekannten Stationsarzt.
60
Serienpreis
Der Zettel der Barbara König
180 000 Euro hat Michaela Nathrath für
diese Form der Sterbebegleitung gesammelt, dazu stellt Sixt ein Auto und die
Agentur Serviceplan den „Kleinen Riesen“
unentgeltlich das Logo. 10 000 Euro kommen von der Bayerischen Krebsgesellschaft, 70 000 Euro vom Schwabinger Rotary-Club, mit 100 000 Euro stellt die
Barbara-König-Stiftung den größten Betrag für das zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt. Das Geld finanziert, was
Krankenkassen nicht mehr übernehmen.
Dass Assistenzarzt Martin Schöniger auch
nachts um drei aus dem Bett geklingelt
werden kann, nicht bloß der diensthabende Mediziner des Ärztlichen Notdienstes. Dass Krankenschwester Sabine Zehentmeier täglich für vier Stunden zu
todkranken Kindern nach Hause fährt und
dort mehr tut als nur die Schmerzpumpe
mit dem Morphium neu einzustellen. Sondern auch mit einer Gesichtsmassage verwöhnt oder mit der jüngeren, überforderten Schwester der Patientin einmal
Einkaufen geht.
Damit erfüllt sich auch Barbara Königs letzter Wunsch. Die Seniorin starb 92-jährig
am Silvestertag 1993 anonym in einem
Münchner Altenheim. Unter ihren Unterlagen fand sich ein handgeschriebener Zettel. „Alles was ich habe geht an Krebs u
Aidskranke Kinder auch das Geld“, war
dort zu lesen, unterschrieben und mit Datum versehen – formal ausreichend als
Letzter Wille. Alles, was Barbara König
hatte, waren 1,7 Millionen Mark in Wertpapieren. Geld, das die städtische Stiftungsverwaltung mittlerweile rentabel angelegt
hat. 1996 errichtete die Stadt die BarbaraKönig-Stiftung, 1997 wollte man beginnen,
Geld in gute Werke fließen zu lassen. Doch
trotz unzähliger Briefe erhofften die Mitarbeiter der Stiftungsverwaltung vergebens
einen Antrag auf Stiftungsgelder. Zu groß
seien die Berührungsängste vor allem der
Eltern aidskranker Kinder, dass die Namen
ihrer Kinder aktenkundig werden – und
diese dann für immer abgestempelt sind.
„Wir haben daraus gelernt, dass wir in diesem sensiblen Bereich einen persönlichen
Kontakt aufbauen müssen.“ Katharina
Knäusl, Leiterin der Stiftungsverwaltung,
griff zum Telefonhörer. Mit dem Vorsitzenden der Deutschen Aidsstiftung hat sie mittlerweile die üblicherweise stiftungsrechtlich
unzulässige Vereinbarung getroffen, gegen
einen anonymisierten Verwendungsnach-
weis Geld auszuzahlen. Vorstand Ulrich
Heide bekommt jetzt in Abständen Schecks
über 5000 Euro, damit wurde schon einmal
ein Kinderzimmer besonders liebevoll ausgestattet, eine Urlaubsreise zu den Großeltern ermöglicht, damit werden Kindern Perücken bezahlt. Geld bekam auch die
„Schule für Kranke“, großzügig unterstützt
wird seit 2003 die Arbeitsgemeinschaft Elterninitiativen Krebskranker Kinder München: Für drei Jahre gab der Stadtrat aus
Stiftungsmitteln je 40 000 Euro frei, das
Geld dient der Nachsorge. Auch für die
100 000 Euro zu Gunsten der „Kleinen
Riesen“ war ein Stadtratsvotum nötig.
Anlass für den Entschluss, mit Hilfe der Elterninitiative Krebskranke Kinder München Stiftungsmittel anzufordern, war für
Oberärztin Nathrath der Tod der kleinen
Sophia. Die wollte nach hoch dosierter
Chemotherapie und vergeblicher Stammzellentransplantation, als weitere therapeutische Optionen nicht mehr bestanden, nur
noch nach Hause. Sophia starb am Ende,
nach fünf schlimmen Krisennächten, betreut von drei verschiedenen Dienst habenden Schwestern – und hinterließ dem
Schwabinger Ärzte- und Schwestern-Team
Betroffenheit und Ratlosigkeit. Wie sorgt
man für Kontinuität in der Betreuung?
Wie kann man den Wünschen sterbender
Kinder nachkommen, die meist nur noch
eines wollen: zu ihrer Familie? Was sagt
man Eltern, die Angst haben vor dem, was
sie erwartet? Wie geht man ein auf Geschwister, die das Leiden miterleben und
darunter selbst leiden?
„Das eigene Kind sterben zu sehen“, sagt
Nathrath, „ist mit die größte Katastrophe,
die sich für Eltern ergeben kann“. Deshalb
ist es Anliegen der „Kleinen Riesen“, die
verbleibende Zeit für alle Beteiligten so
harmonisch und friedlich wie möglich zu
machen. Für Eltern und Geschwister gehe
das Leben ja weiter, für Nathrath ist es deshalb das Horror-Szenario schlechthin,
wenn sich das Sterben so dramatisch vollzieht, dass die Verwandten unversöhnt zurückbleiben. Im umgekehrten Fall hätten
die kranken Kinder in der ihnen verbleibenden Zeit noch „unglaublich viel mitzugeben“.
Die ersten beiden Male hat die neu konzipierte Sterbebegleitung „sehr gut geklappt“. Wenn klar sei, dass sich das Therapieziel ändern müsse, dass es nicht mehr
darum gehe, dem Leben Tage, sondern
den Tagen Leben zu geben, stehe nur noch
die Lebensqualität im Mittelpunkt. Dazu
gehört vor allem weitgehend Schmerzfreiheit. Beim Erfüllen von Wünschen unterstützen die Hospizhelfer – etwa wenn sie
Kaulquappen fürs Aquarium beim Familienausflug mit den eigenen Kindern an
den Starnberger See selbst aus dem Wasser
fischen. Wenn es kompliziert wird, vermittelt Barbara Neumann vom Psychosozialen Dienst der Kinderonkologie Kontakt zu Vereinen wie „Herzenswünsche“,
die alle Hebel in Bewegung setzen, um an
sich Unerfüllbares zu erfüllen.
Der 13 Jahre alte Aaron verwirklichte so einen Traum. Einmal im Leben wollte der
todkranke Patient des Schwabinger Krankenhauses Helikopter fliegen. Der Verein
„Herzenswünsche“ vermittelte. Eine Woche vor seinem Tod erlebte Aaron am Steuerknüppel eines Rettungshubschraubers
seinen letzten Ausflug.
Mit dem Hubschrauber über München
fliegen – Aaron (vorne) erfüllte der Verein
„Herzenswünsche“ diesen Traum. Für den
13-Jährigen war es der letzte Ausflug. Ein
Dankeschön-Termin im Krankenhaus:
Gabi und Rainer Albrecht erinnern sich
mit Barbara Neumann vom Psychosozialen Dienst, Oberärztin Michaela Nathrath,
Krankenschwester Sabine Zehentmeier
und Assistenzarzt Martin Schöniger (von
li.) an die letzten Monate mit Marina.
Fotos: privat/Kronewiter
Die Grenzen der Großzügigkeit
Unter strengen Auflagen kann der
Stiftungszweck geändert werden
Es waren nur ein paar Minuten der Unaufmerksamkeit, die das Leben der Familie Junges von Grund auf verändern sollten. Als die Mutter den zweijährigen
Sebastian regungslos im Pool treibend
fand, war es zu spät. Der Notarzt konnte
ihn zwar ins Leben zurückholen – sein
Gehirn hatte jedoch einen nicht wieder
gut zu machenden Schaden erlitten. Krankenhäuser und Akut-Intensivstationen, in
denen Beatmungsgeräte ihn am Leben erhalten, sind seither sein Zuhause. Jetzt ist
Hoffnung, dass auch Sebastian bald wieder in einem beinahe richtigen Zuhause
leben kann.
61
Ausgezeichnete Beiträge
Denn im Herbst startet die neugegründete
AtemReich GmbH ihre Arbeit. Erst einmal
mit einer Gruppe, um ein neu entwickeltes
Konzept zur Förderung von chronisch
kranken Kindern im Vorschulalter zu erproben. Das große Ziel ist ein Neubau auf
dem Gelände der ehemaligen Lachnerklinik. Hierbei kann sich die AtemReich
GmbH der Unterstützung des Stiftungsamtes München sicher sein. „Ein wundervolles Projekt“, schwärmt dessen Leiterin
Katharina Knäusl. Rund 50 000 Euro sollen für die beatmeten, schwerstbehinderten Kinder aus der „Franz, Therese, Isabella, Hildegunde Schulmeier-Stiftung“
zur Verfügung gestellt werden.
Dass das heute überhaupt möglich ist, haben die Kinder einem anderen, weit zurückliegenden Familiendrama zu verdanken. Im Alter von fünf Jahren starb 1918
die behinderte Tochter Hildegunde von
Franz und Therese Schulmeier. Bei einem
Ausflug der Familie schlug das Schicksal
erneut zu: Am Pfingstmontag 1926 starb
die zweite Tochter Isabella im Alter von 15
Jahren bei einem Eisenbahnunglück im
Ostbahnhof. Sein mit einem Klaviergeschäft gemachtes Vermögen und das von
der Entschädigung gekaufte Haus in der
Moosacher Dirrstraße 3 hinterließ das
Ehepaar „blinden, tuberkulösen und verkrüppelten Kindern und Doppelwaisen“.
Doch die so großzügig bedachten Kinder
waren für das Stiftungsamt kaum noch zu
finden. „Die soziale Situation war Anfang
des letzten Jahrhunderts eine völlig andere.
Blinde sind heutzutage gut anderweitig gefördert, tuberkulöse Kinder gibt es kaum
noch und auch Waisenkinder sind meist
nicht mehr bedürftig im Sinne des Steuerrechts“, sagt Helmut Fichtl, vor seiner Pension Mitarbeiter des Münchner Stiftungsamtes. Er hat die Stifterin Therese
Schulmeier noch persönlich gekannt.
„Gern wäre sie, alt und krank wie sie am
Ende ihres Lebens war, in eine Wohnung
oder Heim gegangen. Das Haus konnte sie
allein nicht mehr erhalten.“
Doch die Erbfolge war mit der Stiftung notariell festgelegt und konnte einseitig von ihr
allein nicht mehr geändert werden. „Da war
41 Jahre später nichts mehr zu machen.“ Geändert werden konnte jedoch der Stiftungszweck. „2001 wurde er erweitert um Kinder,
die schwerkrank und behindert sind, sowie
Vollwaisen und Kinder, die in Heimen
unterstützt werden“, erinnert sich Fichtl.
Dass es generell möglich ist, unter strengen Auflagen der Stiftungsaufsicht der
Regierung von Oberbayern den Stiftungszweck zu ändern, bestätigt Stiftungsreferentin Monika Schretter. Der Fall trete
ein, wenn der Zweck wegfällt, weil er
nicht mehr möglich ist, oder sich die
Schwerpunkte verändert haben, was zum
Zeitpunkt der Stiftung nicht absehbar
war. „Oberste Richtschnur bleibt dabei jedoch der Stifterwille. Die Veränderung
muss dem Grundgedanken des Stifters
entsprechen.“ Hilfe für Kinder könne
nicht einfach in Denkmalschutz umgewandelt werden.
Ein zwangsläufiges Verfallsdatum hat 60
Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zum
Beispiel die „Dr. Alfred und Alice Ammelburg-Wohltätigkeitsstiftung“. Nach dem
Willen der Stifter sollten ausschließlich
Kriegsopfer die Begünstigten sein. „1990
wurde der Stiftungszweck auf ,allgemein
Bedürftige’ erweitert“, sagt der mit der privaten Ammelburg-Stiftung betraute Helmut Fichtl. „Solange jedoch bedürftige
Kriegsopfer gefunden werden, werden sie
an erster Stelle die Nutznießer der Stifterspende bleiben.“ Erst der Rest gehe an andere Bedürftige. Frauke Biereder
Bildunterschrift:
Helmut Fichtl.
Foto: Biereder
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Schwerwiegender Entschluss
Der Entschluss zur Gründung einer Stiftung sollte wohl überlegt sein. Denn zurücknehmen lässt er sich nicht – allenfalls
an der Organisation können zu Lebzeiten
des Stifters nachträglich Änderungen vorgenommen werden – etwa wenn eine private Stiftung unter städtische Verwaltung
gestellt werden soll (oder umgekehrt). In
diesem Fall, warnt Katharina Knäusl, Leiterin der städtischen Stiftungsverwaltung,
komme ein „nicht unproblematisches Verfahren in Gang“. Beantragt werde dies bei
der Stiftungsaufsicht, der Regierung von
Oberbayern. Gründe müssen vorgebracht
werden – etwa, dass sich der Stifter stärker
selbst einbringen will. Dass ein Stifter tatsächlich ernsthaft seine Stiftung wieder
auflösen will – diesen Fall hatte die städtische Stiftungsverwaltung noch nie. Auch
ein zeitliches Ausschlusskriterium gibt es:
Zehn Jahre nach Errichtung einer Stiftung
enden alle denkbaren Ansprüche.
Kompliziert wird es, wenn der Stifter später beispielsweise pflegebedürftig wird und
seine Pflege nicht mehr aus eigenen Mitteln finanziert werden kann. Dann, wenn
öffentliche Gelder für einen einst vermögenden Stifter aufgewandt werden müssten, sei die Rückabwicklung rechtlich
möglich, räumt Knäusl ein. Nach dem
Tode des Stifters können nicht bedachte
Erben eine ordnungsgemäß errichtete Stiftung nur aus einem Grund zu Fall bringen:
wenn die Stadt ausdrücklich gestellte Bedingungen nicht erfüllt. Unterlässt also die
Stiftungsverwaltung eine vereinbarte
Grabpflege oder stellt sie die jährlich vereinbarte Bestellung einer Totenmesse ein,
kann erfolgreich angefochten werden. Ein
Verschulden muss jedoch vorliegen – so ist
etwa die Grabpflege nur bis zur Auflösung
des Friedhofs möglich.
tek
Serienpreis
Von Sabrina Ebitsch
genau beziffern lässt – sie ist eine der
größten und die älteste Stiftung Münchens. In drei Jahren, wenn die Stadt ihren 850. Geburtstag feiert, feiert sie ihren
800. „Sie ist ein lebendiges Beispiel für
kommunale Stiftungsverwaltung“, sagt
Katharina Knäusl von der Münchner Stiftungsverwaltung. Förster Josef Wöhrle
pflichtet bei: „Faszinierend, dass sich die
Stiftung und ihr Stiftungszweck so lange
bis in unsere kurzlebige Zeit erhalten
hat.“
Der Stamm der Buche ist zu dick, als dass
Förster Josef Wöhrle sie mit seinen langen
Armen umfassen könnte. Gut 300 Jahre
hat sie gebraucht, um so groß zu werden
und damit ist sie einer der ältesten Bäume
im Forst Kasten, der „grünen Lunge“
Münchens im Norden des Starnberger
Sees. Dabei ist die Rotbuche nicht einmal
halb so alt wie ihre fast 800-jährige Eigentümerin. Sie und mit ihr der ganze
Forst Kasten gehören der Heiliggeistspital-Stiftung. Wenn sich auch mit dem
über 800 Hektar großen Stiftungswald
der wertvollste Besitz kaum auf den Euro
Hervorgegangen ist sie aus einem vom
bayerischen Herzog Ludwig I., dem Kelheimer, gegründeten Pilgerhaus, das er im
Jahr 1208 am Viktualienmarkt erbauen
ließ. Rasch wurde das Pilgerhaus, das wie
damals üblich unter den Schutz des Heiligen Geistes gestellt wurde, zu einer wichtigen Einrichtung der Armen- und Krankenpflege in der Stadt, wo von
Ordensbrüdern neben Kranken auch so
genannte „Pfründner auf Dauer“, wie die
Altenheimbewohner des Mittelalters genannt wurden, und später auch Findelund Waisenkinder sowie geistig behinderte
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (X)
Mit dem Segen des Heiligen Geistes
Der Stadt älteste Stiftung kümmert
sich um Alte und Kranke, ein 800
Hektar großer Forst ist ihr wertvollstes Gut
Menschen in den „Kinds-“ und „Narrenstuben“ versorgt wurden.
Dieses Erbe hat die Stiftung bis in unsere
Tage hinein bewahrt. Sie verfolgt „ausschließlich unmittelbar gemeinützigen
und mildtätige Zwecke“, heißt es in der
Satzung. Seit dem 15. Jahrhundert konzentriert sich die Stiftung auf die Altenpflege und verwirklicht diesen Anspruch
heute noch durch die Unterhaltung des
Altenheims Heiliggeist. Es ist die dritte
Generation des Spitals: Das Gebäude am
Viktualienmarkt fiel ebenso wie ein Drittel Münchens dem großen Stadtbrand
1327 zum Opfer. Aber erst als das sich
ausbreitende Markttreiben des Viktualienmarkts, das sich auch im Spitalhof abspielte, allzu störend wurde, zogen die Altenheimbewohner 1823 aus dem alten,
baufälligen Gebäude aus, das Ende des
Jahrhunderts endgültig abgerissen, während die angrenzende Heiliggeist-Kirche
erweitert wurde.
In der neuen Bleibe, dem inzwischen abgerissenen Kloster von St. Elisabeth in der
63
Ausgezeichnete Beiträge
Mathildenstraße im heutigen Klinikviertel, wurde es auch bald zu eng. Schließlich
hat man am Dom-Pedro-Platz in Neuhausen bis 1907 ein für damalige Verhältnisse
höchst modernes Heim gebaut, in dem
die Senioren nicht mehr in Mehrbettzimmern und nach Geschlechtern getrennt
hausten. Bis vor 20 Jahren betreute es der
Orden der Barmherzigen Schwestern, bis
diese aus Nachwuchsmangel aufgeben
mussten.
Heute kümmert sich die Münchenstift
GmbH um den Betrieb des Heims mit 328
Pflegeplätzen. Die laufenden Kosten trägt
das Heim zwar selbst, aber für seinen Instandhaltung kommt die Stiftung auf. Ihr
Vermögen setzt sich zusammen aus Erträgen aus Kapitalanlagen, Spenden und
Nachlässen. Auch der Forst Kasten wird in
einigen Jahren, wenn er nach seiner Umstellung mit mehr Laubbäumen neu aufgeforstet und erholt ist, durch Holznutzung
und -verkauf wieder dem Stiftungszweck
zu Gute kommen, wie es jetzt schon das
Gasthaus und der Biergarten Forsthaus
Kasten tun.
Mitten im Wald versorgen die Wirte mit
einem über 100 Jahre alten Bewirtungsrecht Wanderer und Radler. Die Pacht
geht an die Stiftung. Nicht nur die Ausflügler, auch die Kommune weiß den
Wald zu schätzen. „Das ist gerade unter
erholungspolitischen Gesichtspunkten etwas ganz Besonderes, das nur wenige Stiftungen haben. Was die Heiliggeiststiftung
ausmacht, ist der Forst“, erklärt Knäusl.
Vor fast 700 Jahren kaufte das Spital Heinrich von Smiechen, einem Ministerialen
der Grafen von Andechs, sein „Gut zu
Chastel“ mit dem dazugehörigen Forst
Kasten für 110 Pfund Münchner Pfennige
und zehn Ellen kostbare flandrische Spitzen ab.
„Bei schönem Wetter geht es ganz schön
zu auf den Wegen. Der Wald ist ein stark
frequentiertes Naherholungsgebiet, die
Ausflügler kommen von allen Seiten“, sagt
Josef Wöhrle. Das war vor Hunderten von
Jahren nicht viel anders. Für den Förster
erzählt der Wald Geschichten und Geschichte: Von der Hohen Jagd der Fürsten
etwa, denn der Forst Kasten war „seit unfürdenklicher Zeit“ Teil des fürstlichen
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Leibgeheges, das sich damals vom Schloss
Nymphenburg die Würm entlang bis hierher erstreckte. Noch heute erinnert die
Preysingsäule am Waldrand an einen
Jagdunfall: Der Kurfürst ließ sie 1735 zu
Ehren der Mutter Gottes errichten, als
Großkanzler von Preysing sich nach einem Sturz vom Pferd wieder erholte. Oder
von den Weltkriegen, als der Wald in der
Nachkriegszeit wichtigste Brennholzressource für die Stadtbevölkerung war.
Aber mehr noch: Der heutige Forst Kasten
weist bis in die Zeit der Kelten zurück – der
eigentümliche Name „Kasten“ leitet sich
von einem keltischen Lager, „Chastel“, ab,
das bei Buchendorf stand. Über ihren Stiftungswald, der auch „Spitalwald“ oder
„Heiliger-Geist-Wald“ genannt wurde, hat
die Heiliggeistspital-Stiftung ein nicht nur
Jahrhunderte, sondern gar Jahrtausende
altes Erbe.
Bildunterschrift:
Der Förster und der ruhige Forst: Josef
Wöhrle begutachtet den Nachwuchs an
seinem Arbeitsplatz im Stiftungswald Forst
Kasten.
Foto: Sabrina Ebitsch
Beratung – Förderung – Kontrolle
Jede rechtsfähige Stiftung untersteht der
staatlichen Stiftungsaufsicht. Im Fall der
Landeshauptstadt München ist die Regierung von Oberbayern zuständige Behörde.
Sie ist verpflichtet, die Stiftung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben „verständnisvoll zu
beraten, zu fördern und zu schützen.“
Außerdem wacht sie darüber, dass der Stifterwille umgesetzt, die Bestimmungen der
Satzung eingehalten und die Gesetze nicht
verletzt werden. Die von der Kommune
verwalteten nichtrechtsfähigen Stiftungen
werden ebenfalls von der Regierung von
Oberbayern innerhalb der allgemeinen
Kommunalaufsicht betreut.
ands
Die Fesseln des Rollstuhls
Krone-Stiftung kämpft gegen
Barrieren des Alltags an
Treppen, Türen, Autos stehen für Vorwärtskommen und Mobilität. Für Rollstuhlfahrer bedeuten sie oft unüberwindbare Hindernisse. Barrieren abzubauen –
nicht zuletzt jene im Kopf – dafür setzt sich
die Heinz und Maria Krone-Stiftung ein. Sie
will Menschen bei der Wiedereingliederung
in den Alltag unterstützen, die sich nach
Krankheit oder Unfall in einem Leben
im Rollstuhl zurechtfinden müssen. Die
Münchner Stiftung ist deutschlandweit die
einzige, die sich dieser Problematik widmet.
Hinter dem Engagement der Stifter steht
eine persönliche Geschichte: Heinz Krone
war nach einer Krankheit seit 1983 selbst
an den Rollstuhl gefesselt und sah sich als
Unternehmer im Berufsleben mit etlichen
Widrigkeiten konfrontiert. Nach seinem
Tod gründete seine Frau Mia 1999 die Stiftung, um jenen zu helfen, die ein ähnliches
Schicksal erlitten hatten. „Das Ziel unserer
Stiftung ist es, Rollstuhlfahrern auf dem
Weg in ein möglichst barrierefreies und
selbstständiges Leben zu helfen“, erklärt
Mia Krone. Betroffene können sich mit einem Antrag an die als mildtätig anerkannte
Stiftung wenden, die sie dann finanziell
unterstützt, sei es bei der Anschaffung eines Treppenlifts oder eines behindertengerechten Autos.
„Wir bemühen uns, unsere Antragsteller so
schnell und unkompliziert wie möglich zu
unterstützen“, so Carola Krone, Tochter
des Stifterpaars und Geschäftsführerin der
Stiftung. Außerdem strebt sie den Aufbau
eines Netzwerks an, in dem Aktivitäten
verschiedener Vereine und Initiativen gebündelt werden sollen. Davon verspricht
man sich auch mehr Aufmerksamkeit in
der Öffentlichkeit – ebenso wie von einem
Fotowettbewerb zum zentralen Thema der
Stiftung: „Barrieren“ wird im Dezember
noch einmal in der Fachhochschule München zu sehen sein.
Sabrina Ebitsch
Bildunterschrift:
Geschäftsführerin Carola Krone.
Serienpreis
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (XI)
„Mich gibt es nicht mehr“
Die Herbert und Wilhelmine WagnerStiftung hilft Selbständigen, deren
langes Arbeitsleben nicht belohnt
wird
Von Frauke Biereder
Nichts ist zu bemerken von dem am Telefon angekündigten „chaotischen Zustand
bei mir“. Im Gegenteil, akkurat ist jedes
Stück auf Hans Noevers Schreibtisch an
seinen Platz gerückt. In dessen Mitte steht
einsam ein Notebook, auf dem Bildschirm flimmern die ersten Textzeilen des
neuen Buches des Autors und Regisseurs.
Berge von Szenenfotos bis heute bekannter Filme und ihrer Entstehung, private
Erinnerungen aus zwei Ehen und den
Kindertagen der beiden Söhne warten,
fein säuberlich gestapelt in Kisten und Kasten, in Regalen und Truhen, auf ihre
Wiederentdeckung. Ruhe und Ordnung
umgeben den schlanken Mann mit den
grauen Haaren, dem man das Geburtsjahr 1928 kaum glauben mag, in seiner
Altbauwohnung in der Schwabinger Adelheidstraße.
Vor wenigen Jahren noch genoss er den
Beifall des Publikums – heute ist Hans
Noever dagegen fast vergessen. „Der Jugendwahn hat mich aussortiert“, sagt er
ohne Pathos. „Mich gibt es nicht mehr.
Ich bin zu alt, um beschäftigt zu werden,
glauben die Produktionsfirmen.“ Schon
bei der zu teuren Versicherung für ältere
Regisseure fange das Dilemma an. Wie
ein Schatten huscht Resignation über sein
Gesicht, um sofort wieder einem strahlenden Lächeln Platz zu machen. Von den
schönen Zeiten erzählt er dann, als er
preisgekrönte Dokumentarfilme drehte,
Weltstars wie Michel Piccoli in „Der Preis
fürs Überleben“ vor der Kamera dirigierte. Dreizehn Tatort-Krimis hat er gedreht, zwei mit Götz George als Schimanski.
Rio
Reiser,
den
früh
verstorbenen Kult-Rocksänger, nennt er
„meinen sehr seelenverwandten Freund“.
Vom Grimme-Preis für die TV-Serie Reporter, dem Chicagoer „Silver Award“
über den Bayerischen Filmpreis und die
tz-Rose bis hin zum Hörspielpreis der
Kriegsblinden – dem „Oscar“ der Hör-
spielpreise – kaum eine Auszeichnung, die
das Gründungsmitglied des Filmverlags
der Autoren nicht bekommen hätte.
Dabei bewies Hans Noever stets ein Faible für skurrile Geschichten – sein Leben
ist eine davon. In Krefeld geboren, ohne
Abschluss vor dem Abitur von der Schule
gegangen, die Lehre in einer Chemikalien-Großhandlung abgebrochen, hat er
sich früh aus einem Land gemacht, „das
nach dem Krieg voller Lügner war, weil
niemand was gewusst haben wollte“. Zu
Fuß nach Italien, Berlin, Paris und in die
Schweiz. „In Paris hab’ ich meine Tage im
Café mit den Wiener Malern Ernst Fuchs
und Friedensreich Hundertwasser verbracht. Alle drei waren wir damals noch
unbekannt“, erzählt Noever lachend.
„ Jean Cocteau saß gewöhnlich zwei Cafés
weiter.“ Seine ersten Gedichte schrieb er
halb verhungert auf Klopapier, sein erstes
Buch hieß „Venedig liegt bei Cleve“.
Drehbücher, Erzählungen und Hörspiele
folgten und er begann zu filmen. „Ich bin
ein reiner Autodidakt“, sagt Noever. LowBudget-Filme waren seine Stärke, die Beschränkung beflügelte seine Kreativität.
Er war erfolgreich, aber reich ist er davon
nicht geworden. „Da blieb für das Hono-
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Ausgezeichnete Beiträge
rar des Regisseurs oft nicht viel übrig.“
Auch nicht für eine Alterssicherung.
Wenigstens hat ihm aus so manchem finanziellen Engpass in den vergangenen
Jahren ein Ehepaar geholfen, das schon
lange tot ist: Vor mehr als 25 Jahren beschlossen Herbert und Wilhelmine Wagner, Inhaber des mittelständischen Gewerbebetriebes Thomas Gmach Nachfolger in
der Balanstraße, Menschen zu helfen, die
ein Leben lang selbständig waren, viel gearbeitet haben und im Alter dennoch
kaum Rente bekommen. Nach dem Tod
von Herbert Wagner wurde die Firma verkauft und abgerissen. Wohnhäuser in der
Balan-, Chiemgau- und Kaganstraße entstanden dafür, die Wilhelmine Wagner
später wiederum per Testament der „Herbert und Wilhelmine Wagner-Stiftung“
vermachte.
„Das kinderlose Ehepaar war sehr erfolgreich“, sagt der Vorsitzende des Stiftungsbeirates, Heribert Eichhorn, der Wilhelmine Wagner noch persönlich kannte. „In
ihrem Umfeld hat die Stifterin aber einige
erlebt, denen es gar nicht gut ging: Unternehmer, die immer hart gearbeitet haben,
im Alter dann aber im lebensfrohen München in der Ecke standen.“ Als Stiftungszweck legte sie deshalb fest: Bedürftige
Münchner aus dem Mittelstand, Selbständige, Handwerker oder Kaufleute zum Beispiel ohne ausreichende Altersversorgung
sind durch finanzielle Zuwendungen zu
unterstützen. „Im Herbst feiert die Stiftung
ihr zehnjähriges Bestehen“, freut sich der
Vorsitzende des Vorstands, Helmut Fichtl.
Bis Ende 2004 waren es exakt 368 870,58
Euro, die als Hilfe – stets in Form eines
„Weihnachtsgeldes“ – geflossen sind. Eine
Rheumaliege oder eine Kur, die die Kasse
nicht übernimmt, ein Herd oder eine Wohnungsrenovierung, Brillen und Hörgeräte,
Mietrückstände, Strom- oder Telefonrechnungen wurden zum Beispiel davon bezahlt, sagt Fichtls Stellvertreterin, Anja
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Kästner. Die Wünsche sind so verschieden
wie die Empfänger des Geldes: Handwerksmeister aller Berufe, Kaufmänner,
Ladenbesitzer, Grafiker, Zauberkünstler,
Filmemacher oder Holzbildhauer, die gerade mal so über die Runden kamen mit
ihrem Verdienst.
Doch eines haben sie gemeinsam: „Die Bedachten sind alle sehr dankbar und bescheiden“, sagt Kästner, „sie haben kein
Anspruchsdenken.“ Alle hätten sehr viel
und viele Jahre gearbeitet und geglaubt,
noch länger werkeln zu können. Sie wurden aber von einem Tag auf den anderen
etwa durch Krankheit oder Unfälle aus
dem Arbeitsleben gerissen. Viele würden
noch im hohen Alter versuchen, dazuzuverdienen, wie die 84-jährige ehemalige
Boutiquebesitzerin, die jetzt Second-HandWaren anbietet. Und Hans Noever
schreibt an seinem neuen Buch.
Für den Dokumentarfilm über die innere
und äußere Weltreise des blinden Peter
Tiefenthaler – „Ich weiß, dass die Sonne ...“
– bekam Regisseur Hans Noever (links bei
den Dreharbeiten) 1976 die tz-Rose verliehen. Mit „Der Preis für’s Überleben“,
den Noever mit Weltstar Michel Piccoli gedreht hatte, wurde 1980 die Berlinale eröffnet. Gemeinsam nahmen sie den Beifall
des Publikums entgegen. Viel Spaß mit
den Darstellern Götz George und Ulrich
Pleitgen gab es bei den Proben zum Schimansky-Tatort „Katja’s Schweigen“, der
1990 über die Bildschirme flimmerte.
Fotos: Privatarchiv (3)
Auf bedürftige Münchner fixiert
Die Wagner-Stiftung basiert auf Immobilien,
deren Mieten sehr gut eingehen. „Wir können noch Gelder vergeben“, sagt die stellvertretende Stiftungsvorsitzende Anja Kästner. Helfen würde man gern bedürftigen
Münchner Selbständigen oder Handwerken
ab 60 Jahren, die keine ausreichende Altersvorsorge haben. Durch Unfall oder Krankheit berufsunfähig gewordene Selbständige
ab 50 Jahren, könnten nach dem Willen der
Stifterin auch Unterstützung bekommen.
Voraussetzung für alle ist jedoch, dass sie
nicht erst im Alter nach München gezogen
sind, sondern längere Zeit hier gearbeitet haben. Bewerbungen, über die der Stiftungsrat
entscheidet, sind an Anja Kästner, Telefon
08081/955 33 74 (ab 18 Uhr), zu richten.
bier
Edles Tun oder Eigennutz?
Vielen gilt das Stiftertum weniger als edles
Tun denn als profaner Eigennutz. Der Eindruck hat sich für manchen seit dem Jahr
2000 verstärkt, dem Jahr der Steuerrechtsreform. In der Folge wurde auch das Stiftungsrecht modernisiert. Ausgaben zur
Förderung mildtätiger, religiöser, wissenschaftlicher und der als besonders förderungswürdig anerkannter gemeinnütziger
Zwecke können bis zu einer Höhe von fünf
Prozent des steuerpflichtigen Einkommens
geltend gemacht werden. Maximal 307 000
Euro, die jemand ins eigene Stiftungsvermögen fließen lässt, dürfen als Spende abgesetzt werden. Das gilt für die Zeit der Neugründung und die folgenden neun Jahre.
Die Errichtung einer Stiftung ist damit steuerlich wesentlich attraktiver als eine Zuwendung an andere gemeinnützige Rechtsformen. Dahinter steht die Überlegung, dass
diese Mittel auch dem Gemeinwohl zugute
kommen, nur eben über einen anderen Weg
als der staatlichen Umverteilung. Ulrich
Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern will dennoch nicht
von einem „Steuersparmodell“ sprechen:
„Schließlich verschenken die Leute erstmal
die Hälfte ihres Vermögens, bevor sie die
andere geltend machen können.“
ands
Serienpreis
SZ-Serie: Eigentum verpflichtet –
in München hat die Wohltätigkeit
Tradition (XII und Schluss)
Eisige Atmosphäre vor der Seehundbank
Gert-Harro Kühn vermacht sein
Vermögen „armen alten Menschen“ –
die Verwandtschaft geht leer aus
Von Andrea Schlaier
Keiner sagt ein Wort. Nicht der Bruder
des Toten, die Schwägerin schon gar nicht,
kein Laut von der Lebensgefährtin, dem
Nachlassverwalter und auch die Zwei von
der Münchner Stiftungsverwaltung rühren sich nicht. Nur das Tuckern des Bootmotors ist zu hören, als sich die merkwürdige Gesellschaft um den kleinen Tisch in
der Kajüte versammelt, in dessen Ecke die
Urne steht, mit ein paar Blumen bekränzt.
Die Gruppe ist auf dem Weg zur Hörnumer Bucht, im äußersten Süden von Sylt,
die Seehundbank in Sichtweite. Genauso
wie es Gert-Harro Kühn in seinem Testament festgelegt hat. Das kleine Schiff fährt
im Kreis, die See wird spiegelglatt und in
sie taucht der Kapitän die Urne, Blüten
folgen den Linien des Strudels auf der
Wasseroberfläche.
„Es war ergreifend“, wird später GertHarro Kühns Steuerberater und Nachlassverwalter Jürgen Siehl sagen. Helmut
Fichtl war weniger bewegt: „Die Familie
hat sich doch noch entschlossen, gute
Miene zu machen“ – nachdem er und Katharina Knäusl, die Leiterin der Stiftungsverwaltung der Stadt München, entschieden hatten, dem Bruder des Verstorbenen
und seiner Frau Anreise und Hotel zur
Seebestattung zu zahlen. Die Schwester
hatte aus gesundheitlichen Gründen abgesagt. „Wir fanden einfach, die nahen
Verwandten gehören dahin.“ Und so hat
Fichtl „das Nötige organisiert“.
Zur Begrüßung auf Sylt gab es dann nicht
mal einen Händedruck für die Münchner.
Frostige Stimmung. Schließlich hat die
Verwandtschaft nicht einen Cent vom
knapp Zweieinhalb-Millionen-Euro-Erbe
abgekriegt. Stattdessen fließt der Großteil
davon an „arme alte Menschen in München“. So wollte es Gert-Harro Kühn und
vermachte sein Vermögen in der Hauptsache den „Vereinigten Wohlfahrtsstiftungen der Landeshauptstadt“, die von
Knäusl und ihren Kollegen unter anderem verwaltet wird.
Das hat die Behördenchefin bei einer kurzen Ansprache an Bord des Schiffes auch
erläutert. Sehr schwer sei es gewesen, erinnert sie sich, der Familie klar zu machen, dass das für einen guten Zweck ist.
„Kühn sah sich auf der Sonnenseite des
Lebens und wollte davon etwas abgeben.“
Erst kurz vor seinem Tod hatte er sich an
Fichtl gewandt, mit der Bitte, ihn in Stiftungsangelegenheiten zu beraten. Zu dem
Zeitpunkt sei schon klar gewesen, „Bruder und Schwester bekommen nichts“.
Kühns Steuerberater Siehl weiß, dass der
Kontakt unter den Geschwistern gestört
war. „Da gab es wohl Reibereien, weil
Gert-Harro der einzige Nicht-Akademiker
in der bildungsbürgerlichen Familie gewesen ist. Standesdünkel halt.“ Er verdiente
seinen Unterhalt als Handelsvertreter von
exklusiven italienischen Schuhen. Und
das nicht schlecht. „Außerdem war er
sehr geschickt in Geldgeschäften und äußerst sparsam.“
Von all dem wusste Helmut Fichtl noch
nichts, als das Testament eröffnet wurde.
„Wir müssen in solchen Fällen oft erst re-
cherchieren, welches Vermögen der Stifter
hatte und wie es aufgeteilt und angelegt
war.“ Das versuchte der Beamte beim Bruder des Toten zu erfahren. „Ich habe ihn in
Berlin angerufen; der war aber gar nicht
kooperativ.“ Als er erfahren hatte, dass die
Stadt alles erbt, „ist er ganz sauer geworden, wollte mit seinem Anwalt reden und
überlegen, ob er und die Schwester das Testament anfechten.“ Sein Bruder sei ja
schließlich krank gewesen. Der Diabetiker
starb mit 67 Jahren. Es dauerte, bis Fichtl
mit Hilfe von Siehl, der Lebensgefährtin
und eines Freundes Geld und Immobilien,
„die über ganz Deutschland und die
Schweiz verstreut angelegt waren“, ausgemacht hatte.
Ein ungewöhnlicher Fall auch für Fichtl
mit seinen 30 Jahren Erfahrung in dem
Metier. „Probleme mit enttäuschten Verwandten, die versuchen wollten, das Testament nochmals gerade zu biegen, haben
wir immer gehabt.“ Doch erfolgreich seien
die selten gewesen, denn: „Was nicht geschrieben ist, gilt nicht.“ Erben, die nicht
bedacht wurden, „haben bei mir im Büro
fast mal untereinander zu raufen angefangen.“ Der Beamte setzte sie getrennt voneinander in unterschiedliche Ecken des
67
Ausgezeichnete Beiträge
Raumes. „Da werden dann ganz alte Geschichten ausgegraben, wenn einer sich beklagt, die Mutter habe ihn ja schon von
klein auf benachteiligt.“
So konkret wurde es bei den Kühns nie.
Die Lebensgefährtin und zwei Freunde
wurden mit je 25 000 Euro, Möbeln und
dem übrig gebliebenen Auto abgefunden.
Vom Bruder des Stifters hat Fichtl seit der
Seebestattung nichts mehr gehört.
Bildunterschrift:
Jedes Jahr gibt es in Deutschland mehr als
3000 Seebestattungen: Das Schiff fährt im
Kreis, die See wird spiegelglatt und der Kapitän versenkt die Urne. Dann folgen Blüten den Linien des Strudels auf der Wasseroberfläche.
Foto: dpa/SZ-Archiv
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Letzter Wille, späte Ehe, zwei Zeugen
War es nun der letzte oder doch der vorletzte Wille. Das ist nicht immer ganz klar.
So war es auch bei der gerade genehmigten
Stiftung einer Münchnerin, die auch als
„juristisches Kuriosum“ durchgeht. So bezeichnet es jedenfalls Ulrich Schmetz von
der Stiftungsaufsicht der Regierung von
Oberbayern, der mit dem Fall befasst war.
„Die Frau war schwer krank und hat notariell die Stiftung zu ihrem Erben erklärt.“
So weit ein ganz gewöhnlicher Vorgang.
Bis der „länger vorhandene“ Lebenspartner, der die Krebskranke zwei Wochen vor
ihrem Tod geheiratet hatte, auftauchte. Mit
einem Notizzettel in der Hand. „Du sollst
alles haben“, stand da drauf. Und der Vorname des Partners. Aber keine Unter-
schrift. Datiert war das Blatt auch. Und
zwar auf einen Zeitpunkt nach der Testamentsunterzeichnung. „Mit dem Schrieb“,
erinnert sich Schmetz, „dem Hausarzt und
einer Pflegerin, die bezeugt haben, dass es
sich dabei um die Schrift der Frau handelt,
ging er zum Gericht.“ In zweiter Instanz ist
der Ehemann vom Landgericht dann zum
Alleinerben des Eine-Million-Euro-Vermögens bestimmt worden. Die damit kapitallose Stiftung wurde aufgelöst.
ands
Marion-Dönhoff-Förderpreis
Marion-Dönhoff-Förderpreis
Daniel Boese
„Das Radio, das die Mark erschüttert“
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8. 5. 2005
Sinnvoller wurden Rundfunkgebühren
nie eingesetzt – Wie der Sender „Fritz“
das Land Brandenburg zivilisiert
Mitten im Nichts der Nacht leuchtet plötzlich das Schild „Blue Magic“ und zeigt
den Weg. Die Scheinwerfer haben schon
eine Weile nur noch den Asphalt des Weges angestrahlt, und es schien, als ob hinter dem Ortsausgang von Seelow nichts
mehr komme. Um von Berlin nach Seelow zu gelangen, ging es achtzig Kilometer über die Landstraße, immer geradeaus
in Richtung Osten, erst vorbei an beleuchteten Musterhaussiedlungen, dann
durch schwarze Alleen. Endlich kommt
der Wegweiser und hundert Meter weiter
ein voller Parkplatz vor einer Industriehalle, und vor der Metalltür stehen Mädchen ohne Jacke in der Schlange. Denn
Fritz, der Jugendsender des RBB, hat es
im Radio durchgesagt: „Am Samstag ist
Fritz-Disco in Seelow“; es stand auf zig
gelb-roten Plakaten rund um Seelow. Am
Eingang versucht ein schmächtiger Türsteher, mit Bomberjacke und weißer Wollmütze Statur zu gewinnen. Drinnen, wo
es sonst jeden Freitag für fünf Euro Eintritt Freibier gibt, schieben sich auf der
Treppe zur Bar Menschen aneinander
vorbei, für zwanzig Stufen braucht man
drei Minuten. Am CD-Spieler macht
Thomas Vogel von Fritz, was kein cooler
DJ tun würde. Er zieht den Lautstärkeregler runter und spricht ins Mikrophon:
„Ich will eure Stimmen hören!“, und während das Lied läuft, pumpt er mit dem
Regler, und die Jungs und Mädchen singen mit: „Es war 'ne geile Zeit!“ Alle singen, die Abiturklasse vom Gymnasium
Seelow, die Azubis, der Junge mit weißem
Tank Top, Sonnenbrille und weißen Sneakers, der auf der Box von einem Fuß auf
den anderen hüpft.
Seit drei Jahren fährt Thomas Vogel jedes
Wochenende im Herbst und im Frühjahr
über die Dörfer Brandenburgs und spielt
in den Dorfdiscos Musik, als gäbe es nur
diesen einen Tag im Jahr zum Feiern. Der
Berliner organisiert eigentlich für das Jugendradio die Off-Air-Promotion und komoderiert die Mittagssendung. Aber wenn
er die Fritz-Disco ins Rollen bringt, in Seelow, Luckau, Cottbus, dann gibt er seinem
Publikum mehr als eine Party, die in öden
Orten das Leben pulsieren läßt, dann ist er
Unesco-Sonderbotschafter für Jugendkultur in der Mark.
Fritz unterstützt Projekte der Jugendlichen, die sonst keiner unterstützt. Bringt
Musik im Radio, die sonst keiner bringt.
Fritz macht jedem klar: Es ist cool, kein
Nazi zu sein. Es ist cool, in Brandenburg
zu leben. Zu bleiben. Fritz zu hören. Kein
Nazi zu sein. Fritz bringt Kultur in ein
Land, dem Kultur manchmal zu fehlen
scheint.
Vogel nennt sich „DJ T-Bird“. T-Bird, das
ist natürlich der Ford Thunderbird, von
dem die Beach Boys sangen: „She'll have
fun, fun, fun, 'til her Daddy takes the TBird away.“ Nun lassen sich die Wellen von
Oder, Spree und Dahme zwar nicht so gut
surfen wie der Pazifik, aber Fritz ist der
stromlinienförmige 350-PS-Flitzer, der die
Jugend von Brandenburg zum Abenteuer
fährt.
In Seelow, der Stadt mit der zweithöchsten
Arbeitslosenquote von Brandenburg, 28,6
Prozent, entgleitet allerdings Thomas Vogel gerade der Abend, sein Kopf schmerzt,
es läuft „The Joker“ im Fat-Boy-Slim-Remix, und die Leute hören auf zu tanzen. Sie
gehen, ein paar stecken sich eine Zigarette
an und stehen am Rand, andere laufen zur
Bar. Drei Meter hinter Thomas steht Ernie
und hofft auf Rock. Vor einer Weile hat er
sich ein Lied gewünscht von System of a
Down, kalifornischen Hardcore-Rockern.
Die Antwort: „So harte Sachen können wir
hier nicht spielen.“ Die Stammgäste aus
dem „Blue Magic“ haben sich harten
Techno gewünscht, aber auch das will Vogel nicht spielen.
Gut für Ernie, denn immer wenn auf Fritz
Techno läuft, schaltet er seinen Lieblingssender aus. Jeden Tag, wenn er aufsteht
und sich fertig macht für die Arbeit in der
Autowerkstatt, hört er die „Radiofritzen
am Morgen“. Ohne sein Radio hätte er
heute gar nicht ins „Blue Magic“ gefunden, erzählt er: „Eigentlich gehe ich nicht
in die Disco, wenn das nicht von Fritz
wäre, wäre ich nicht hingegangen.“ Seine
Freunde trifft er meistens zu Hause,
manchmal fahren sie rüber nach Polen,
weil es da einen guten Club gibt, in dem
Rock läuft.
DJ T-Bird spielt jetzt die Backstreet Boys,
der Kaugummi-Pop rettet ihn vor der leeren Tanzfläche. „Die peinlichen Sachen
sind manchmal die besten“, sagt er erleichtert. Ernie wartet weiter.
Mit richtigem Namen heißt er Christian,
aber schon im Gymnasium nannten ihn
alle nur Ernie. Heute trifft er viele von denen wieder, die mit ihm Abitur gemacht
haben. Es sind Semesterferien, und auch
die, die in Dresden, Kassel oder Bremen
studieren, sind zur Fritz-Disco gekommen.
Man trinkt Wodka-Red-Bull, teilt Zigaretten, stößt an mit denen, die dageblieben
sind. Auch Ernie wollte mit 22 schon
längst weg sein aus dem Oderbruch; an
der Küste in Kiel fing er als Zivi im Altenpflegeheim an. Aber eine Lehrstelle, die
hat er dann doch in Eberswalde gefunden,
sein Vater hat eine Autowerkstatt und
kannte jemanden, so lernt Ernie jetzt KfzMechaniker. Dabei sind ihm die Autos gar
nicht so wichtig, seinen Polo hat er nicht
getunt – nur ein paar größere Lautsprecher
hat er eingebaut.
Um kurz nach drei leert sich die Disco,
Thomas Vogel sagt an: „Der Bus nach Gusow fährt in genau vier Minuten ab.“ Kleinbusse fahren auf jedes Dorf, bringen die
nach Hause, die nicht mehr fahren können, und die, die noch nicht dürfen. Kurz
vor Schluß erfüllt Thomas Ernies Wunsch
69
Ausgezeichnete Beiträge
und spielt „Thunderstruck“ von AC/DC.
Wie ein Mann steht sein Publikum da und
feiert, Luftgitarre, hüpfende Mädchen, Ernie lacht.
Konrad Kuhnt war von Anfang an bei
Fritz dabei, heute ist er Chefredakteur.
„Gleichzeitig mit dem Programmstart
von Fritz kam in Brandenburg der Komplettzusammenbruch der Jugendkultur,
von Trägern und der Infrastruktur. 1993
gab es keine Jugendclubs, Kinos oder Discos mehr. Unser Ansatz war, die Kultur
aufs Land zu bringen. Wir haben Moderatoren wie Jürgen Kuttner rausgeschickt, Bands auf Tour geschickt, im
Sommer auf den Dörfern Kino im Zelt
veranstaltet und natürlich alles unterstützt, was als Veranstaltungsort aufmachte. Heute müssen wir solche Basisarbeit nicht mehr machen, es gibt die
Kinos, die Clubs.“
Zu den Markenzeichen von Fritz gehört
der allabendliche Talk „Blue Moon“, bei
dem Hörer anrufen und mitreden können, Tiefgründiges mit dem Radiophilosophen Kuttner oder einfach über den
Start der Open-air-Saison. Das erste
Interview mit Stephan Weidner von den
Böhsen Onkelz im öffentlich-rechtlichen
Radio fand hier statt. Ray Kokoschko
vom Mobilen Beratungsteam gegen
Rechtsextremismus in Brandenburg war
dazu eingeladen. Kokoschko erklärte die
fremdenfeindlichen und autoritären Inhalte und diskutierte mit Weidner über
ihre Distanzierung von Liedern wie „Türken Raus“. Fritz klärte auf und ordnete
ein – ohne hysterisierende Aufregung. So
beschreibt Kuhnt auch den Umgang mit
rechter Jugendkultur und Gewalt: „Wir
können als Radio nicht in den Köpfen
rechtsextremer Jugendlicher Ordnung
und Platz für eine demokratische Ordnung schaffen. Aber wir stärken die, die
sich wehren. Und das ist im Zweifelsfall
die Mehrheit.“
In Senftenberg in der Lausitz scheint man
zu wissen, was man an seinem Sender hat.
An einem Dienstagabend sind 600 zahlende Gäste in die Mensa der Fachhochschule Lausitz gekommen, um einen Comedy-Abend mit Tommy Wosch zu
sehen. Egal ob Wosch im Radio moderiert oder auf der Bühne steht, er läßt
keine noch so tiefe Pointe aus. Das Publikum besteht hauptsächlich aus Studenten,
deren Semester heute beginnt. Am laute-
70
sten lacht man bei den Witzen über Neonazis und Holger Apfel, den NPD-Fraktionsvorsitzenden aus Sachsen. Wosch
scherzt über den Nachbarort, der gleich
über die Grenze in Sachsen liegt: „In Hoyerswerda hat Apfel die Happy Hour eingeführt, zwei Molotowcocktails zum Preis
von einem.“ Ein leises Stöhnen und viel
lautes Lachen im Saal.
Sven und Mario, die Veranstalter, die
Wosch nach Senftenberg geholt haben,
sind beide in Hoyerswerda aufgewachsen, Sven direkt in einer Platte in der
Nachbarschaft der „Polenblock“ genannten Häuser, wo 1991 Molotowcocktails
auf ein Ausländerwohnheim flogen und
Zuschauer applaudierten. Sie wissen, daß
man ihre Heimatstadt nur deswegen
kennt und wie die Leute gucken, wenn
man sagt, man komme aus Hoyerswerda.
Auch wenn man seine eigenen Probleme
mit den Rechten hat; Mario brachen ein
paar Skinheads nach einem Punkkonzert
die Nase und schlugen ihm einen Zahn
aus; Sven hofft bei jeder Party, die er organisiert, daß keine betrunkenen Rechten auftauchen und er die Polizei rufen
muß.
Tommy Wosch haben sie nach Senftenberg eingeladen, weil sie Fans sind. „Den
hören wir hier alle“, sagt Sven. Es ist den
beiden wichtig, an ihrem Wohnort in der
Lausitz spannende Abende zu organisieren. Obwohl in Senftenberg der Lausitzring liegt, ist die Arbeitslosigkeit auch
hier hoch, 27,6 Prozent. Es gibt eine
Großraumdisco, ein Kino und im Sommer jedes Wochenende ein Dorffest mit
Sangria aus dem Eimer; irgendwann haben sie kapiert, daß sie es selbst in die
Hand nehmen müssen, wenn sie sich
hier amüsieren wollen. Als Sven am
Ende des Abends die Abrechnung
macht, ist klar, daß sie richtiglagen: Besucherrekord der ganzen Tournee.
Nebenan geht die Party weiter, vor dem
Studentenkeller drängelt sich eine große
Menschentraube.
Früher hatte Sven im Sommer immer sein
Radio dabei und hörte Fritz, wenn sie
nach der Schule an den See fuhren, noch
heute weiß er, welche seiner Lieblingsbands er zum ersten Mal im Radio hörte:
Cornershop, Paula und natürlich die
Sportfreunde Stiller. Er hat Glück gehabt,
denn nur ein paar Kilometer südlich hört
das Sendegebiet auf, in Sachsen läuft nur
das Plastikradio Jump vom MDR, gegen
das einige Leipziger gerade eine „Initiative gegen Radioverdummung“ gegründet haben.
Seit vier Jahren organisieren Sven und
Mario im Verein mit ein paar anderen
das Festival Populario. Gleich im ersten
Jahr fingen sie groß an, 27 Bands an drei
Tagen, und träumten davon, daß Fritz
für ihr Festival werben würde. Sie riefen
in Potsdam an und landeten bei Thomas
Vogel, doch der war hart: „Wen habt ihr
denn? Die Ärzte oder die Toten Hosen?
Nee? Tschüß.“ Dann kam der Regen, der
die Flut brachte, und sorgte für 10 000
Euro Schulden am Ende. Statt sich zu
zerstreiten, veranstalteten sie im folgenden Winter Partys, bis die Schulden weg
waren. Seitdem machen sie weiter: Letztes Jahr hatten sie mit Miles und Mia die
richtigen Bands gebucht und hörten im
Juni den Trailer im Radio: „Lässig lockt
die liebliche Lausitz, Fritz präsentiert das
Populario-Festival.“ Dieses Jahr prangt
auf allen Plakaten für Populario das rote
F von Fritz, als Headliner haben sie
die New Yorker Feministen-Dance-Band
Le Tigre gebucht. Ihr Auftritt direkt am
Seeufer im ehemaligen Braunkohletagebau ist das einzige Konzert, das sie auf
einem Festival in Deutschland geben
werden.
Noch ist die Festivalwiese nur die Startbahn eines kleinen Sportflugvereins.
Aber Mario und Sven zeigen mit ausgestreckten Armen, wo die Bühne hinkommt, wo der Künstlerbereich in einem
kleinen Birkenwald liegen wird und wie
man am besten zum Wasser zum Baden
kommt. „Keine fünfzig Tage mehr, dann
geht es los“, sagen sich die zwei immer
wieder, als könnten sie es selbst kaum
glauben. Ohne Fritz würde man auch im
Juni nur das Hochfrequenz-Fiepen hören,
das die Vögel von der Bahn vertreibt.
Aber bald werden hier drei New Yorker
Lesben vor ein paar tausend Menschen
ihren Electro-Punk spielen, und der
Sound des jungen Brandenburg wird weit
zu hören sein.
Daniel Boese
Marion-Dönhoff-Förderpreis
Bildunterschrift:
Kruge ist ein winziges Brandenburger
Kaff, zwanzig Kilometer südlich von
Eberswalde. Aber am Freitag war hier im
„Kulthaus“ Fritz-Disco.
Foto Christian Thiel
Kasten:
Fritz unterstützt Projekte, die sonst keiner
unterstützt. Bringt Musik, die sonst keiner
bringt. Irgendwann haben sie kapiert:
Wenn sie sich hier amüsieren wollen, müssen sie es selbst in die Hand nehmen.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter
Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.
Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter
Allgemeine Archiv.
71
Festvortrag
Festvortrag
Prof. Dr. h.c. Robert Leicht
Über das Lügen und Stehlen.
Was darf der Journalist? Was will der Leser?
Über das Thema „Medienethik“ habe ich noch nie aus-
(privaten) Fernsehanstalten, muß den Eindruck gewin-
führlich nachgedacht, vor allem nicht öffentlich darüber
nen: Während ihnen hinterrücks der Taschendieb das
geredet. Und dies nicht, obwohl mir damit gewiß viele
Portemonnaie herauszieht, werfen die Leute sehenden
teils honorarträchtige Auftritte entgangen sind, auch in
Auges (und lustvoll) ihre Zeit und ihr Geld den Tagedie-
evangelischen Akademien, aber nicht nur dort. Weshalb
ben, gewissen Tagesschreibern, Journalisten genannt,
nicht? Weil die Sache mir als Praktiker, weil zu einfach
nach – mitunter und noch nicht zu selten glücklicher-
gelegen, keinen komplizierten Gedanken abnötigte. Ich
weise auch den Herstellern seriöser Presse-Produkte.
halte es da mit Marcel Reich-Ranicki. Der sagte einmal
im Zusammenhang mit der Frage, wie viel Schriftsteller
Und wer wollte denn wirklich die Wahrheit lesen? Zum
von Literaturtheorie und Literaturkritik verstehen müß-
Beispiel als Politiker (oder als Journalist): über sich sel-
ten: Die Vögel könnten schließlich auch fliegen, ohne je-
ber? Die Politiker, Journalisten und Demoskopen haben
mals etwas von der Ornithologie zu wissen. Ich betreibe
doch gerade in diesem Jahr die wahre Stimmung im
halt meinen Journalismus – ganz ohne Theorie des Jour-
Lande nicht recht erfaßt. Oder wollen die Bürger tat-
nalismus, naiv wie ein fliegender Vogel. Mir reichen da-
sächlich die Wahrheit hören über die wirklichen Pro-
bei, soviel freilich muß sein, zwei der Zehn Gebote voll-
bleme im Lande und in der Welt? Aber die Wähler ha-
ends aus – das siebte und das achte. „Du sollst nicht
ben doch am 18. September so abgestimmt, wie sie es
stehlen“ und (etwas einfacher noch als bei Luther for-
getan haben, weil sie mehrheitlich dem wahren Reform-
muliert) „Du sollst nicht lügen!“ Und fertig ist die Me-
bedarf nicht ins Auge sehen wollten. Und schließlich:
dienethik: Stiehl den Leuten nicht die Zeit durch lang-
Hängt der Wert eines Journalisten für den Politiker nicht
weilige und nichtssagende Artikel. Bring’ sie nicht um ihr
in weit höherem Maße davon ab, daß er eher ihn selber
gutes Geld, indem du ihnen dafür minderwertige Texte
subjektiv, als die objektiven Probleme richtig „versteht“?
lieferst. Und zuallererst: Sag’ ihnen die Wahrheit – sonst
Und schätzt es nicht auch der Journalist, wenn er „ver-
nichts. Was bedarf es da weiterer Worte und Gedanken?
standen“ und also regelrecht geschätzt wird? Vor allem:
Was ist Wahrheit?
Aber wenn man nun doch aufgefordert wird, etwas näher darüber nachzudenken, um am Ende zu sagen, was
Und schon stehen wir vor einem Paradox: Medienethik,
Journalisten dürfen und was nicht, dann wird die schein-
wie übrigens alle Ethik insgesamt, ist entweder ganz ele-
bar naive Klarheit mit einem Mal recht undurchsichtig.
mentar einsichtig und von unmittelbarer Plausibilität
Weshalb soll dies alles genau so sein – nicht stehlen, nicht
(Nicht stehlen, nicht lügen …) – oder aber, schon beim
lügen? Wegen meines moralischen Selbstwertgefühls?
ersten genaueren Nachdenken, eine höchst verzwickte
Oder weil die Leser das von mir erwarten? Denn eines
Angelegenheit.
darf man doch fragen: Wollen die Leute wirklich nicht
bestohlen und belogen werden? Verlangt es sie wirklich
Und auch dieses gilt: Offenbar lassen sich ethische Fra-
nur nach ausgezeichneten Artikeln und der reinen Wahr-
gen nicht danach beantworten, was „die Leute“ wün-
heit? Wer nur einmal durch den Zeitschriftenladen eines
schen, entweder einzeln oder in ihrer Mehrheit wün-
größeren Bahnhofs streift oder durch die Programme der
schen. Das wäre ja auch ein sehr simpler Utilitarismus,
72
Festvortrag
also eine billige Suche nach dem größten Glück der größ-
Wahrheit als solcher, Tag und Nacht, sondern schützt
ten Zahl. Übrigens: Was würde aus der Minderheit, die
präzise „nur“ die Verläßlichkeit der Wahrheitsfindung
unter den Tisch fällt, wenn man der Mehrheit bequem
vor Gericht und entspricht also der Wahrheitspflicht des
nach dem Munde redet? Wollen also unsere Leser und
Zeugen in unserer Justiz, im engeren Sinne dem spezifi-
Wähler die Wirklichkeit wahrhaftig wahrnehmen – oder
schen Verbot des Meineides. Erst in Volksmund und
von ihr abgelenkt werden? Wollen sie ihre Zeit vernünf-
-Lehre wird daraus ein allgemeines, wenngleich seines
tig nutzen – oder sie totschlagen, sich sammeln – oder
präzisen rechtlichen Gehalts entleertes bürgerlich-sitt-
sich zerstreuen? (Mancher Text wird gerade um seiner
liches Schwindel-Verbot, eine Ausweitung ins Unbe-
Sinnlosigkeit willen verschlungen – mitunter nicht nur in
stimmte: Du sollst nicht lügen!
der Yellow Press.) Wer also die ethischen Fragen bearbeiten will, die sich aus dieser vertrackten Lage ergeben,
Merkwürdigerweise sagt aber der bürgerliche Mora-
der kann nicht mit dem größten Behagen der größtmög-
lismus nie: Du sollst immer die Wahrheit sagen! Erst
lichen Zahl, also rein utilitaristisch (oder marktkonform)
recht steht das so in keinem juridifizierten Kodex. Im
operieren; er braucht – als Individuum Journalist für das
Gegenteil, es gibt sogar regelrechte Verbote, die Wahr-
Individuum Leser – vielmehr ein normativ fundiertes
heit zu sagen. Jeder, der einmal als Arbeitgeber (oder als
Menschenbild. Der Titel des entsprechenden Grund-
Personalsachbearbeiter) Verantwortung getragen hat,
lagenaufsatzes hätte zu lauten: Was kann, darf, soll und
hat unter der Aufgabe gelitten, einem ausscheidenden
will der Mensch unserer Zeit wissen?
Mitarbeiter ein Zeugnis zu schreiben – und zwar umso
heftiger, desto lieber er diesen Menschen nur noch von
Aber gestatten wir uns einen kleinen Umweg und setzen
hinten gesehen hätte. Denn das arbeitsrechtlich kor-
wir noch einmal an jenem achten Gebot an, daß doch
rekte Zeugnis soll zwei Zielen dienen: Es soll insofern
jeder von uns so genau zu kennen vermeint: Du sollst
wahr sein, als der Leser ein zutreffendes Bild des Men-
nicht lügen! Merkwürdig – diese Formulierung: Nirgend-
schen gewinnen möchte, der sich bei ihm um einen
wo in unseren Rechtssystemen gibt es ein so umfassen-
neuen Arbeitsplatz bewirbt; es muß aber zugleich aus
des Verbot zu lügen, erst recht kein Gebot, immer und
Rechtsgründen – und aus der Sicht des betreffenden
immerzu die Wahrheit zu sagen. Man darf in der Tat
Mitarbeiters – „berufsfördernd“ sein. Wenn man also
lügen wie gedruckt – ohne daß man jemals bestraft wird:
schriebe: „Dies war der dümmste Buchhalter, der mir
es muß schon noch etwas anderes hinzukommen, bevor
je über den Weg gelaufen ist“, so bliebe man mögli-
der Staatsanwalt tätig wird. Dazu später mehr! Schauen
cherweise eng bei der Wahrheit, und jeder potentielle
wir also näher hin:
künftige Arbeitgeber wäre auch hinreichend gewarnt;
freilich, berufsfördernd und arbeitsrechtlich korrekt
Das achte Gebot hatte ich in meiner Kindheit in einer ka-
wäre das Zeugnis nicht. (Ganz abgesehen davon, daß
tholischen Konfessions- und Volksschule im damaligen
man auch noch mit einer Anklage wegen Beleidigung
Südwürttemberg-Hohenzollern (also auf der Schwäbi-
zu rechnen hätte.) Lobt man aber den ausscheidenden
schen Alb) noch in der knappest möglichen und auf bür-
Mitarbeiter über den Schellenkönig (in der Praxis wer-
gerlichen Anstand zielenden Form so vorgehalten be-
den solche lobhudelnden Zeugnisse sogar zur Bedin-
kommen: Du sollst nicht lügen! Soll man ja auch wirklich
gung von Trennungsvereinbarungen im angeblich
nicht! Aber was lesen wir im 2.Mose 20, 16 – und übri-
gegenseitigen, also in Wahrheit nicht vorhandenen Ein-
gens wortgleich in Luthers Kleinem Katechismus? Du
vernehmen gemacht), sieht man sich vielleicht recht
sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
bald der Anfrage des nachfolgenden Arbeitgebers aus-
(Buber/Rosenzweig übersetzen wie folgt: Aussage nicht
gesetzt, weshalb man ihn denn in die Irre geführt habe.
gegen deinen Genossen als Lügenzeuge.)
(Wenn der sich nur in der Stille denkt, man habe selber
die Schwäche des Mannes nicht entdeckt, kommt man
Der Text des Alten Testaments formuliert also keines-
vielleicht noch mit einem diskreten Rufschaden davon.)
wegs die orts- und beziehungslose Verpflichtung zur
Der Ausweg, sich einer kodierten Schleiersprache zu
73
Festvortrag
bedienen (etwa „Herr M. war allzeit sehr kollegial en-
wie sollst du sein?), Sozialität (Nach welchen Normen
gagiert“ für „Achtung! Will unbedingt in den Betriebs-
wollen wir zusammenleben?), Funktionalität (Wer darf
rat gewählt werden – falls Sie schon einen haben; dann
und muß was?) – diese Trias hilft uns, das konkrete Kon-
unkündbar!“), ist nicht nur unwürdig, sondern auch
fliktmaterial der scheinbar so unmittelbar plausiblen
noch ineffizient, denn das funktioniert nur so lange, bis
ethischen Grundnormen zu sortieren.
das entsprechende Kürzel sich unter allen Beteiligten
herumgesprochen hat.
Und was heißt das nun für uns Journalisten? Offenkundig handeln wir nicht nur als Privatpersonen – als solche
Aus diesen Beobachtungen ergibt sich nun eine doppelte
dürften wir lügen wie der Herr Jedermann, solange er
Einsicht: Weder das Verbot des Lügens noch das Gebot
keine strafbare üble Nachrede oder eine Verleumdung
der Wahrheit gilt moralisch abstrakt und unbedingt.
oder eine andere, dann zivilrechtlich relevante Rufschä-
Sondern um richtig zu verstehen, was genau die morali-
digung begeht. Doch selbst dann wird nicht die Lüge als
sche oder gar rechtlich präzisierte Verpflichtung ist, brau-
solche bestraft, sondern eben der Schaden, den sie der
chen wir nicht nur ein normativ geprägtes Menschen-
Person des anderen zufügt. Wie ja auch umgekehrt die
bild, nicht nur ein normativ geprüftes und reflektiertes
Wahrheit als solche keinesfalls prämiert, erst recht aber
Bild des individuellen Menschen, sondern auch eine nor-
bestraft wird, wenn sie eine Beleidigung darstellt: „Sie
mative (zum Beispiel: arbeitsrechtliche) Vorstellung von
Idiot!“ – dieser Satz kann beleidigend sein und wahr zu-
den sozialen Beziehungen zwischen den Menschen und
gleich. Und ist dann doch strafbar, weil die Wahrheit we-
den konkreten Rollen und Ämtern: Jedenfalls ist mit ei-
niger zählt als die Beleidigung. Nein, sofern wir Journa-
ner schlichten Ermittlung dessen, was „die Leute“ gerne
listen unserem Beruf nachgehen, üben wir eine soziale
hätten, erst recht dann nichts gewonnen, wenn sich de-
Rolle aus, deren Bedeutung verfassungspolitisch und
ren Erwartungen aus der Verschiedenheit ihrer Rollen
funktional so bedeutsam ist, daß die Grundrechte der In-
heraus (hier: Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zudem: bis-
formations-, Meinungs- und Pressefreiheit sie schützen –
heriger und künftiger) widersprechen. Und außerdem
gegenüber dem Staat, das ist klar. Aber auch gegenüber
kommt es in der Tat auf die konkrete Rolle oder das Amt
uns – und unseren Fehlern, auch im Umgang mit der
an. Ein Zeugnis zu schreiben, ist Aufgabe eines Trägers
Wahrheit und der Lüge?
einer bestimmten Rolle, eines bestimmten, funktional
Zuständigen – eines „Amtsträgers“. Es schreiben schließ-
Immerhin zeichnet sich schon eines ab: In bestimmten
lich nicht alle Kollegen dem Abgänger ein Zeugnis – und
sozialen Rollen ist man auf die Wahrheit regelrecht ver-
der nächste Personalchef will nicht (nur) wissen, was die
pflichtet – als Zeuge sogar unter dem Druck empfind-
Kollegen sich so gedacht haben, sondern was der Zu-
licher Sanktionen, als Journalist aus Wesen und Funk-
ständige schreibt, worauf er sich festlegt und worauf er
tion seines Berufes als eines Instrumentes und Amtes
sich behaften läßt. Ja, die Äußerungen aller Nicht-Zu-
öffentlicher Aufklärung. In diesem Zusammenhang ist
ständigen stehen, mangels Verantwortung und Haftung,
an Immanuel Kants kleine Schrift zu erinnern „Über
unter dem Vorbehalt des Tratsches und Klatsches, was
ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“. Es
übrigens nicht immer ihren Wahrheitsgehalt, aber stets
geht dabei um die später auch von anderen traktierte
ihre Zurechenbarkeit vermindert.
Frage, ob ich – wenn der Mordwillige vor der Tür steht
und nach der Person fragt, die vor ihm in mein Haus
Die Auslegung des Verbotes zu lügen wie der Pflicht, die
geflüchtet ist – ihm die Wahrheit schulde: Ja, er ist in
Wahrheit zu sagen – im Grunde: die Auslegung aller
meinem Haus. Kant sagt: „ Ja!“, gegen Benjamin Con-
ethischen Imperative – setzt als Minimum mithin dreier-
stant, der ganz im Gegenteil dafür hält: „Kein Mensch
lei voraus, nämlich ein normativ grundiertes Men-
aber hat ein Recht auf eine Wahrheit, die anderen scha-
schenbild, ein normativ grundiertes Gesellschaftsbild
det.“ Lassen wir die Einzelheiten der ethischen Abwä-
und eine Differenzierung der Rollen und Zuständigkei-
gung der Pflichten zwischen den unmittelbar beteiligten
ten, der „Ämter“. Individualität (Wer bist du, wer und
Individuen beiseite, so bleibt als starkes Argument
74
Festvortrag
Kants: Wenn ein jeder für sich entscheidet, wann er es
Interessanterweise werden aber diese offenkundigen
für richtig hält, die Wahrheit zu sagen oder nicht,
Verstöße gegen die Wahrheit ausgerechnet deshalb to-
schwindet das Vertrauen, aufgrund dessen „Aussagen
leriert, in gewisser Weise sogar deshalb geschätzt, weil
(Deklarationen) überhaupt“ noch öffentlichen Glauben
sie objektiv betrachtet zugleich einen Verstoß gegen das
finden. Kant stellt also für die Wahrheitspflicht allein ab
siebte Gebot (Du sollst nicht stehlen!) darstellen – und
auf den Gesichtspunkt der Sozialität. Wir können also
zwar in der Variante: Stiehl’ den Leuten nicht das Geld
fragen: „Wenn einer einmal lügt – und sei es aus ihm be-
und die Zeit, indem Du ihnen schlechte, unnütze Arti-
rechtigt erscheinenden Gründen –, wie kann man dann
kel andrehst! Mundus vult decipi – die Welt will betro-
noch allen immer glauben?“ Es mag also schon sein,
gen sein, schreibt Sebastian Frank in seinen Paradoxa
daß wir in bestimmten Zusammenhängen, etwa in einer
238. Was aber, wenn sich gerade damit gute Geschäfte
Diktatur, – anders als Kant es meint – durchaus aus
machen lassen – und auch hier könnten Namen ge-
Menschenliebe lügen dürfen, zumal dann, wenn es im
nannt werden, sollen es aber nicht. Man könnte sich ja
politischen System insgesamt gar keine Wahrheit mehr
in einer liberalen Marktgesellschaft auf den Standpunkt
gibt, weil es auf Lügen beruht. Aber sofern der Journa-
zurückziehen: Der Wert einer Sache bemißt sich allein
list in seiner Rolle als Journalist handelt, ist er prinzipiell
nach dem Geld, das jemand dafür auszugeben bereit ist
und unausweichlich auf Wahrheit, jedenfalls auf die
– und wenn es das Scherflein der Witwe ist, das den
Suche nach der Wahrheit verpflichtet; gewiß darf er nie
Erfinder von irgendwelchen Schein-Royalitäten und
wider besseres Wissen etwas behaupten genauer: ver-
deren Scheinschwangerschaften prämiert. Abgesehen
öffentlichen. Das heißt: Er darf nur die Wahrheit sagen,
vom äußerst abgemagerten Kulturbegriff, der einen sol-
und zwar auch dann, wenn er für seine Lügen nicht zur
chen Standpunkt tragen müßte: Ich fürchte inzwischen
Rechenschaft gezogen werden kann, weil ihn para-
die Ansteckungswirkungen, die von jenem auf leerem
doxerweise auch insoweit die Pressefreiheit weitgehend
Entertainment beruhenden Medienbetrieb auf die Me-
schützt. Ob er aber alle Wahrheiten sagen darf, ob er
dien ausgehen. Es würde sich ja durchaus lohnen, ein-
alles sagen darf, wenn es nur wahr ist – das bedarf der
mal nachzuzeichnen, wie sehr die privaten Fernseh- und
genaueren Bestimmung, ohne daß wir diese hier vor-
Rundfunk-Kanäle die Programme unserer öffentlich-
nehmen könnten. Immerhin aber: Wer Staatsgeheim-
rechtlichen trivialisiert und auf bloße Quote getrimmt
nisse oder Privatgeheimnisse veröffentlichen will, muß
haben und wie sehr diese Farb- und Klangreize sogar
schon sehr gute, vor allem dem Recht überlegene
bis auf die seriösen Printmedien durchschlagen. Nicht,
Gründe haben – Caroline-Fall hin, Cicero-Fall her. Und
daß ich dafür plädieren möchte, Zeitungen möglichst
eines steht zugleich fest: Es kann jedenfalls nicht der
langweilig zu gestalten; denn Langeweile ist keineswegs
Journalist selbst der überlegene Gesetzgeber in eigener
identisch mit Seriosität. Auch hasse ich Veteranenge-
Sache sein und seine bevorzugte Kontrolle dessen, was
rede, das immerzu auf die gute alte Zeit verweist. Ich
in die Gazetten kommt, dazu ausnutzen, seine höchst ei-
wünschte mir aber, daß auch künftige Journalisten-
gennützigen Interessen selbstkritiklos als Verkörperung
generationen die Chance haben, ihre Aufklärungsarbeit
des Gemeinwohls auszurufen.
am Gewicht der realen Probleme zu orientieren – und
nicht etwa bloß an der Höhe der Quote oder am
Nur die Wahrheitssuche legitimiert also die hervorgeho-
Zerstreuungswert ihrer Texte. Irgendjemand muß doch
bene soziale Rolle und die rollenbezogenen Privilegien des
noch beides ernst nehmen – die Leser und die Sache.
Journalisten. Insofern ist es ein schweres Übel – wenngleich
hinzunehmen, weil sonst noch schwerere Übel drohen –
Und deshalb kehre ich zum Ausgangspunkt zurück: Ihr
daß ein großer Teil dessen, was unter dem Schirm der
lieben Journalisten, laßt doch einfach jene so archa-
Pressefreiheit geschieht, nur als Lug und Trug zu bezeich-
ischen, so plausiblen, so scheinbar naiven Gebote mög-
nen ist, als verbogen, erlogen und erstunken. Man sehe
lichst unverstellt, plausibel und direkt auf Euch wirken:
sich nur in den Kiosken um – im Abschnitt Yellow Press
Ihr sollt nicht stehlen! Ihr sollt nicht lügen! Und schon
und dergleichen; nähere Angaben ersparen Sie mir bitte.
wißt Ihr, was Ihr dürft – und was nicht.
75
Anhang · Ausschreibung 2005
Anhang
Ausschreibung 2005
Die Robert Bosch Stiftung ist eine der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland. Seit 1993
unterstützt sie bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt, um zur Entwicklung einer lebendigen Demokratie beizutragen.
Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement
der Robert Bosch Stiftung
Ziel dieses seit 1998 als „Ehrenamtliches Engage-
Die Preise sind mit 5000, 3000 und 2000 Euro
ment“ ausgeschriebenen Preises ist es, mehr Öffent-
dotiert, ein Sonderpreis von 5000 Euro wird für
lichkeit für das freiwillige Engagement von Bürgern
Serien vergeben. Teilnahmeberechtigt sind Redak-
zu schaffen. Ausgezeichnet werden herausragende Be-
teure aller Ressorts, besonders auch Lokalredakteure,
richte, Reportagen oder Kommentare, die beispielhaft
und freie Journalisten. Chefredakteure und Ressort-
darstellen und hinterfragen, was die Bürgergesell-
leiter sind eingeladen, Artikel vorzuschlagen.
schaft ausmacht, wie und warum Menschen selbstgewählt Verantwortung übernehmen und welche
Bedingungen sie dafür brauchen.
Marion-Dönhoff-Förderpreis der Robert Bosch Stiftung
Dieser Preis wird zum siebten Mal für Pressebeiträge
in deutschsprachigen Zeitungen oder Zeitschriften
vergeben, die freiwilliges Engagement und andere
erschienen sein.
Formen gelebter Bürgergesellschaft untersuchen. Er
ist mit 3000 Euro dotiert. Teilnahmeberechtigt sind
Einsendeschluß ist der 17. September 2005.
Volontäre und Journalistenschüler.
Detaillierte Informationen zu Teilnahmebedingungen
Die Arbeiten für beide Preise müssen zwischen dem
und Inhalt der Beiträge finden Sie unter www.bosch-
17. September 2004 und dem 16. September 2005
stiftung.de/journalistenpreis.
ROB E RT BOSCH STI FTU NG
Robert Bosch Stiftung GmbH
Telefon 0711/4 60 84 - 37
Journalistenpreis
Telefax 0711/4 60 84 -10 37
Heidehofstraße 31
E-Mail: [email protected]
70184 Stuttgart
www.bosch-stiftung.de
76
Preisträger 1998 bis 2004
Preisträger 1998 – 2004
Preisträger 1998
Preisträger 1999
1. Preis
Eric Breitinger
„Ein Spiel, bei dem viele gewinnen“
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt,
28. August 1998
1. Preis
Rainer Jung
„Der herrlichste Job der Welt“
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt,
3. September 1999
2. Preis
Petra Pinzler
„Warme Suppe, gute Laune“
Die Zeit, 5. Dezember 1998
2. Preis
Annette Jensen
„Arbeitslos und doch voll beschäftigt“
Süddeutsche Zeitung, 12./13. Dezember 1998
3. Preis
Kathrin Haasis
„Ein Traumjob, leider unbezahlt“
Südwest Presse, 20. September 1998
3. Preis
Stefan Becker
„Lachen ist die beste Medizin“
Morgenpost am Sonntag, 5. Mai 1999
Juniorenpreis
Kerstin Humberg
„Hilfe konkret“
Kirche und Leben, Vechta,
26. Juli bis 30. August 1998
3. Preis
Magnus Reitiger und andere jugendliche Autoren
Sonderseite „Wir tun was!“
Weilheimer Tagblatt, 11. November 1998
Serienpreis
Rainer Laubig
„Türe auf für das Ehrenamt“
Esslinger Zeitung, 1. bis 24. Dezember 1997
Marion-Dönhoff-Förderpreis
für junge Journalisten
Daniela Steffgen
Beiträge zur Serie „Katholische Soziale Dienste
in Wittlich“
Trierischer Volksfreund, Juli/August 1999
Serienpreis
Lokalredaktion der Frankfurter Rundschau
Martin Feldmann, Helga Franke, Uta Grossmann,
Walter Keber, Mae von Lapp, Juliane Mroz,
Jochen Notrott, Tobias Schwab, Barbara Simon,
Dorothe Stuhl, Frank Tekkilic
Sonderdruck/Beiträge zum Ehrenamt
Frankfurter Rundschau, Juli 1999 bis
September 1999
77
Anhang
Preisträger 2000
Preisträger 2001
1. Preis
Antje-Maria Lochthofen
„Es ist Zeit“ und „Eine Liebe fürs Leben“
Thüringer Allgemeine, 12. August 2000 und
16. September 2000
1. Preis
Christian Otto
„Einer für alle“
Hannoversche Allgemeine Zeitung,
31. März 2001
2. Preis
Dorothée Stöbener, Ute Eberle
„Gutes tun mit Gewinn“
Die Zeit, 21. September 2000
2. Preis
Bernd Hauser
„Schutzengel der Savanne“ und „Kampf gegen
den großen Frust“
Frankfurter Rundschau, 8. Oktober 2000
und 13. Januar 2001
3. Preis
Frank Olbert
„Vom Untergang der rüden Schwimmmeister“
Kölner Stadt-Anzeiger, 14. April 2000
Marion-Dönhoff-Förderpreis
für junge Journalisten
MAZ-Jugendredaktion
Doppelseite „Aktiv für Andere“
Michael Hassenberg, Christian Heinig, Philipp
Hochbaum, Konstantin Görlich, Nicole Schmidt,
Sylvia Schmidt, betreut
von Frank Pechhold
Märkische Allgemeine Zeitung, Lokalredaktion
Königswusterhausen, 22. September 2000
Serienpreis
Idee, Konzeption und Umsetzung: Vera Fischer
„Das Ehrenamt“
Berliner Morgenpost,
Februar 2000 bis Mai 2000
3. Preis
Sannah Koch
„ Jobs für Junkies“
Die Woche, 24. August 2001
Marion-Dönhoff-Förderpreis
für junge Journalisten
Nachrichtenagentur Sinnflut
Jugendseite „Politisch kann man auch ohne Partei sein“
Philipp Eichenhofer, Camille L`Hermitte,
Cigdem Ipek, Anja Tangermann, betreut von
Irmela Bittencourt
Berliner Morgenpost, 26. März 2001
1. Serienpreis
Idee, Konzeption und Umsetzung: Udo B. Greiner
Mitarbeiter: Alexander Beckmann, Detlef
Czeninga, Wolfgang Hörmann, Renate Zunke
„Unser Jahr des Ehrenamtes“
Erlanger Nachrichten,
Januar 2001 bis September 2001
2. Serienpreis
Idee, Konzeption und Umsetzung:
Martin Lugauer
Mitarbeiter: Redakteure der Zeitungsgruppe Lahn-Dill
„Ehrenamt? Ehrensache!“
Zeitungsgruppe Lahn-Dill,
Januar 2001 bis August 2001
78
Preisträger 1998 bis 2004
3. Serienpreis
Idee, Konzeption und Umsetzung:
Wolfgang Hörmann
Mitarbeiter: Redakteure der Lokalredaktion
Kyritzer Tageblatt
„Ehrenamt“
Kyritzer Tageblatt, Januar 2001 bis September 2001
Preisträger 2003
Preisträger 2002
2. Preis
Johannes Fischer
„Die Ehre des Homo Hormersdorf“
Freie Presse, 25. April 2003
1. Preis
Peter Rutkowski
„Ohne uns wäre das Mädchen heute vom
Kinn abwärts gelähmt“
Frankfurter Rundschau, 15. November 2001
2. Preis
Birgit Schlieper
Sonderseite „Die Ehrenamtsbörse“
Lüdenscheider Nachrichten, 3. August 2002
3. Preis
Hansjosef Theyssen
Mehrere Artikel zum Thema
„Ehrenamtliche Tätigkeit“
Neue Bildpost, November 2001 bis August 2002
Marion-Dönhoff-Förderpreis
für junge Journalisten
Elisabeth Otte
„Der Lohn besteht aus Lob und Dankbarkeit“
Lingener Tagespost, 27. Oktober 2001
1. Serienpreis
Redaktionen der Braunschweiger Zeitung
Chefredakteur Paul-Josef Raue
„gemeinsam – Wie sich Bürger engagieren“
Braunschweiger Zeitung,
Juni 2002 bis September 2002
1. Preis
Sybille Thelen
„Bürger vor“
Wochenendbeilage „Brücke zur Welt“,
Stuttgarter Zeitung, 30. November 2002
3. Preis
Renate Iffland
„Fit fürs Leben und nein zur Sucht“
Saarbrücker Zeitung, Wochenzeitung für das
Köllertal,
5. März 2003
Marion-Dönhoff-Förderpreis
für junge Journalisten
Constanze Kindel
„Der Tod eines Kindes ist kein Tabu“
Frankfurter Neue Presse/Höchster Kreisblatt,
6. November 2002
Serienpreis
Redaktion der Ostthüringer Zeitung
Ressort Thüringen/Wirtschaft
vertreten durch Wolfgang Schütze
(stellv. Chefredakteur)
„Aktiv im Ehrenamt“
Ostthüringer Zeitung, 10. März 2003 bis
8. September 2003
2. Serienpreis
Redaktion der Leonberger Kreiszeitung
Chefredakteur Karl Geibel
„Aktiv-Bürger“
Leonberger Kreiszeitung,
September 2001 bis August 2002
79
Anhang
Preisträger 2004
1. Preis
Kai M. Feldhaus, Johannes Strempel
„Essen ist fertig – ein Tag bei den Rittern
der Tafelrunde“
Berliner Illustrirte Zeitung, Sonntagsbeilage
der Berliner Morgenpost, 1. Februar 2004
2. Preis
Andreas Speen
„Schulprojekt Burkina Faso“
Rheinische Post, 2. Juli 2004
3. Preis
Kristina Maroldt
Themenseite „Helfer im Hintergrund“
Sächsische Zeitung, 15. August 2004
Marion-Dönhoff-Förderpreis
für junge Journalisten
Claudia Sebert
„Stricken und Sammeln fürs Allgemeinwohl“
Frankenpost, 7. November 2003
Serienpreis
Lutz Würbach, Heidi Pohle
„Der Esel, der auf Rosen geht“
Mitteldeutsche Zeitung, Lokalredaktion Halle,
17. Januar – 22. März 2004
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Programm Preisverleihung 3. Dezember 2005
Programm Preisverleihung 3. Dezember 2005
Die Robert Bosch Stiftung lädt ein zur
Verleihung des Journalistenpreises 2005
Bürgerschaftliches Engagement und
des Marion-Dönhoff-Förderpreises
Begrüßung
Dieter Berg
Vorsitzender der Geschäftsführung der
Robert Bosch Stiftung
Samstag, 3. Dezember 2005, 11.00 Uhr
Robert-Bosch-Haus
Heidehofstraße 31, Stuttgart
Vortrag
„Über das Lügen und Stehlen.
Was darf der Journalist? Was will der Leser?“
Prof. Dr. h.c. Robert Leicht
Politischer Korrespondent, Die Zeit, Berlin
Preisverleihung
Würdigung der Preisträger durch
die Mitglieder der Jury
Übergabe der Preise und Urkunden
Dr. Heiner Gutberlet
Vorsitzender des Kuratoriums der
Robert Bosch Stiftung
Empfang
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Die Robert Bosch Stiftung
Die Robert Bosch Stiftung
Die Robert Bosch Stiftung ist eine der großen
unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland.
Sie wurde 1964 gegründet und setzt die gemeinnützigen Bestrebungen des Firmengründers und
Stifters Robert Bosch (1861 bis 1942) fort. Die
Stiftung beschäftigt sich vorrangig mit den Themenfeldern Völkerverständigung, Bildung und Gesundheit, darüber hinaus befaßt sie sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen.
ROB E RT BOSCH STI FTU NG
Seit 1992 bildet die Förderung von bürgerschaftlicher Initiative und Ehrenamt einen Schwerpunkt
der Robert Bosch Stiftung. Sie hat dafür bisher
mehr als 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Telefon: 07 11 / 4 60 84 - 0
Telefax: 07 11 / 4 60 84 -1094
E-Mail: [email protected]
www.bosch-stiftung.de
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Robert Bosch Stiftung GmbH
Heidehofstraße 31
70184 Stuttgart
Postanschrift:
Postfach 10 06 28
70005 Stuttgart
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