Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion
Transcrição
Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion
Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion-Dönhoff-Förderpreis Ausgezeichnete Beiträge 2005 RO B E RT B O S C H STI F TU N G Inhalt Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Die Jury 2005 ........................................ 3 Die Preisträger 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Ausgezeichnete Beiträge ........................ 14 Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement 2005 1. Preis ...................................... 15 2. Preis ...................................... 19 3. Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Serienpreis .................................. 27 Serienpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Marion-Dönhoff-Förderpreis ................ 69 Festvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Über das Lügen und Stehlen. Was darf der Journalist? Was will der Leser? Prof. Dr. h. c. Robert Leicht Anhang Ausschreibung 2005 ................................. Preisträger 1998 bis 2004 ........................... 76 78 Programm der Preisverleihung am 3. Dezember 2005 ............................... Die Robert Bosch Stiftung ....................... 82 83 1 Vorwort Vorwort „Nur schlechte Nachrichten sind Nachrichten“ – diesen falt, Engagement und Gespür für soziale und politi- Satz hört man oft. Und leider dominieren Katastro- sche Herausforderungen überzeugt. phenmeldungen aus aller Welt in der Presse. Dem gegenüber wünschen sich freiwillig Engagierte mehr In den Beiträgen stehen richtungsweisende gesell- Anerkennung durch die Medien, so protokolliert im schaftliche Fragestellungen im Mittelpunkt. Es ist den zweiten Freiwilligensurvey des Bundesministeriums Journalisten gelungen, sie dem Leser durch sorgfäl- für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wie dies tige Recherche herausragender Beispiele einfühlsam beispielgebend bereits geschieht, dafür setzen die vor- und sprachlich überzeugend nahezubringen. Die The- liegenden preisgekrönten Beiträge Maßstäbe. men werfen Schlaglichter auf harte gesellschaftliche Fragen und Realitäten – dazu nur die beispielhaften Den Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engage- Stichworte „Integration von Migranten“, „Rechts- ment und den Marion-Dönhoff-Förderpreis verleiht extremismus“ und „Zusammenleben der Generatio- die Robert Bosch Stiftung seit dem Jahr 1998, zu- nen“. Auffallend war in diesem Jahr die höhere nächst noch unter dem Namen Journalistenpreis Aufmerksamkeit für Stiftungen als Form bürger- Ehrenamtliches Engagement. Dies bedeutet keine schaftlichen Engagements. Abkehr von der Förderung des Ehrenamts, vielmehr trägt der neue Name auch anderen Formen Mein Dank geht an die ehrenamtlich arbeitende Jury, des Engagements Rechnung. Zudem wurden erst- die wiederum hervorragend und engagiert zusammen- mals nicht nur Beiträge aus Zeitungen berücksich- gearbeitet hat. Ich wünsche mir, daß diese Auszeich- tigt, sondern auch aus Zeitschriften. Die 120 Ein- nung eine Ermutigung für die Autoren und Redaktio- sendungen diesen Jahres stellen einen nicht nur nen bildet, eine Ermutigung, auch künftig würdigend, quantitativen Höhepunkt dar. Eine besondere anstiftend und erkenntnisreich über bürgerschaftliches Freude war die durchweg hohe Qualität der Bei- Engagement zu berichten. Dies wird uns allen dabei träge zum Marion-Dönhoff-Förderpreis, der erstma- helfen, Not und Probleme klar zu erkennen und die lig als eigenständiger Preis für Volontäre und Kräfte für ihre Bewältigung zu stärken. Journalistenschüler ausgeschrieben wurde. Die angehenden Journalisten haben durch Talent, Sorg- 2 Dieter Berg Stuttgart, Dezember 2005 Die Jury 2005 Die Jury 2005 Gerd Appenzeller Dr. Warnfried (Vorsitzender) Dettling Jürgen Leinemann Sergej Lochthofen Elisabeth Niejahr Carola Schaaf-Derichs Tim Schleider Gerd Appenzeller (Vorsitzender), Jahrgang 1943, ist schloß er sein Journalistikstudium an der Leipziger seit 1999 Redaktionsdirektor des Berliner Tagesspiegel. Universität als Diplomjournalist ab und arbeitete von Nach abgeschlossenem Volontariat war der gebürtige 1977 bis 1990 als Nachrichtenredakteur bei der Tages- Berliner zunächst als Lokalredakteur tätig. 1970 wech- zeitung Das Volk. Ab Januar 1990 war er Mitglied des selte er zum Südkurier nach Konstanz und war dort Redaktionsrates der Thüringer Allgemeine und wurde seit 1988 Chefredakteur. Er war freier Journalist für im Februar zum Chefredakteur gewählt. den Südwestfunk und die Deutsche Welle und u.a. in Großbritannien, den USA, Südafrika und Israel tätig. Elisabeth Niejahr, geboren 1965, studierte Volkswirtschaft in Köln und Washington D.C., parallel dazu ver- Dr. Warnfried Dettling, geboren 1943, lebt als freier lief ihre Ausbildung an der Kölner Schule für Wirt- Publizist in Berlin und Waldviertel (Österreich). Nach schaftsjournalisten. 1993 wurde sie Korrespondentin dem Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und für den Spiegel in Bonn, seit Ende 1999 ist sie bei Die Klassischen Philologie leitet er 1973 bis 1983 die Pla- Zeit im Berliner Hauptstadtbüro und dort Berichter- nungsgruppe, später auch die Hauptabteilung Politik statterin über politische und wirtschaftliche Themen. in der CDU-Bundesgeschäftsstelle. 1983 bis 1991 war er Ministerialdirektor im Bundesministerium für Carola Schaaf-Derichs, Jahrgang 1958, ist Ge- Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. schäftsführerin der Berliner Landesfreiwilligenagentur Treffpunkt Hilfsbereitschaft. Freiberuflich ist die Jürgen Leinemann, geboren 1937, hat Geschichte, Diplomsozialpsychologin darüber hinaus Referentin Germanistik und Philosophie studiert. Er begann für Freiwilligen-Management, Beraterin und Organi- seine journalistische Karriere bei der dpa in Berlin, sationsentwicklerin. Eines ihrer Ehrenämter ist die Hamburg und Washington D.C. Seit 1971 arbeitet er Mitgliedschaft für den Spiegel. Er war Büroleiter und Reporter in Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement. im Koordinierungsausschuß des Washington D.C. und Bonn, zog 1990 nach Berlin und leitete dort von 1998 bis 2001 das Hauptstadt- Tim Schleider, geboren 1961, ist seit dem Jahr 2000 büro und das Ressort Deutsche Politik. Seit 2002 ist er Ressortleiter für Kultur bei der Stuttgarter Zeitung. Spiegel-Autor im Berliner Büro. Nach dem Studium von Geschichte, Philosophie und Kunstgeschichte begann er 1990 beim Deutschen All- Sergej Lochthofen, geboren 1953 in Workuta/ gemeinen Sonntagsblatt, zunächst als Volontär. Später Russland (Vater emigrierte in den dreißiger Jahren aus wurde er dort schließlich stellvertretender Chefred- politischen Gründen aus Deutschland), ist seit 1990 akteur. 1994/95 war er Pressesprecher der Hambur- Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen. 1977 ger Kultursenatorin Dr. Christina Weiss. 3 Die Preisträger 2005 Die Preisträger 2005 1. Preis Hedwig Gafga „Schlaue Kerle, das sind sie beide“ Chrismon, Juni 2005 studierte Weiterbildung für Journalisten und wurde freie Mit- Deutsch, Russisch und Religion an der arbeiterin beim Deutschen Allgemeinen Sonntags- Universität Marburg und legte in Ham- blatt. Als Chrismon-Redakteurin beschäftigt sie sich burg das zweite Staatsexamen ab. Nach der jetzt mit Themen aus Religion und Gesellschaft. Hedwig Gafga, 49 Jahre, Geburt ihrer Tochter übernahm sie nebenberuflich unter anderem Lehraufträge für das Fach Deutsch. 1994 absolvierte sie eine Laudatio von Tim Schleider, Leiter Kulturredaktion, Stuttgarter Zeitung, Stuttgart Die wirklich großen Geschichten sind auf den ersten evangelischen Publizistik in Deutschland. Seine Re- Blick oft unscheinbar. Jene unscheinbare Geschichte, dakteure – bis vor kurzem in Hamburg, nun in Frank- um die es nun geht, beginnt so: „Wie immer kommt furt am Main – wissen aber sehr genau, daß dieser der Junge mit einer klitzekleinen Verspätung. Mon- evangelischen Publizistik vor allem mit einem gedient tag, fünf Minuten nach 15 Uhr klingelt es an der Tür ist: nämlich diesseits aller Verkündigung mit gutem eines Antiquariats in Hannover.“ Es ist die Geschichte Journalismus. von Jan Gehlsen und von Aydin. Jan Gehlsen ist ein Akademiker, ein früherer Uni-Kanzler, der im Ruhe- Hedwig Gafgas Reportage ist nicht nur guter, sie stand in seiner kleinen Buchhandlung anspruchsvolle ist hervorragender Journalismus. Sie offenbart oder Literatur verkauft. Aydin ist der Sohn persischer Ein- verkündigt nicht, sondern sie beobachtet und be- wanderer, der mit seinen 17 Jahren immer noch in der schreibt. Beobachtet und beschreibt zwei ganz unter- neunten Hauptschulklasse sitzt, weil es mit dem Ler- schiedliche Menschen, von denen der eine hilft und nen einfach nicht gelingen will. Doch eben das kann dem anderen geholfen wird. Aber sie beschreibt auch, nun anders werden, denn jede Woche montags um wie diese Rollen beständig wechseln. Natürlich, wenn kurz nach drei kommt Aydin in das Antiquariat, um Jan Gehlsen und Aydin gemeinsam Wilhelm Raabes gemeinsam mit Jan Gehlsen Bücher zu lesen – und große Erzählung von der „schwarzen Galeere“ stu- sich so in einer fremden Welt vielleicht ganz neu, viel- dieren, dann ist es der Alte, der damit den Jungen in leicht sogar selbst zu finden. die Welt der Sprache und des Sprechens, des Ausdrucks, in die Welt der Ideen und Visionen lockt, Hedwig Gafga erzählt uns all dies in ihrer genau mehr noch: ihn dort hinein geleitet. Und natürlich bedachten, genau komponierten Reportage „Schlaue wird der Alte mit dem Jungen hinterher auch noch Kerle, das sind sie beide“. Veröffentlicht wurde Mathematikformeln und Englischvokabeln pauken. der Artikel in „Chrismon“. Dieses Monatsmagazin, Aber andererseits: wenn es hier in diesem Antiquariat das verschiedenen großen Tageszeitungen und der genau diesen Jungen nicht gäbe, womöglich hätte der Wochenzeitung „Die Zeit“ beiliegt, ist ein Teil der ehemalige Kanzler der Uni Hannover nie erfahren, 4 Die Preisträger 2005 was genau es eigentlich mit diesem Harry Potter auf Begegnung zwischen Menschen immer etwas Zartes, sich hat. Diese tausend Buchseiten hat Aydin nämlich auch etwas Zärtliches hat. Und sie bringt den Leser von ganz allein verschlungen und seinem Mentor vor- am Ende von drei Magazinseiten dazu, sich ebenso gestellt. zu fühlen wie am Schluß eines spannenden Buches: ein wenig traurig darüber, daß es wirklich schon vor- Die Geschichte von den zwei Männern, die eben bei ist. beide schlaue Kerle sind, ist still und leise. Sie möchte beim miteinander und voneinander Lernen nicht stö- Die Jury des Journalistenpreises Bürgerschaftliches ren. Sie bezeugt aber gerade so, daß es zu den großen Engagement hat in diesem Jahr unter sehr vielen Abenteuern in Deutschland zählen kann, wenn ein sehr guten Geschichten keine gefunden, der sie lieber junger persischer Mann plötzlich beschließt, nicht den 1. Preis zuerkennt. Darum geht er mit großer Fußballprofi, sondern Zahntechniker werden zu wol- Gratulation an die Reportage „Schlaue Kerle, das sind len. Sie bezeugt zudem, daß jede wirklich gelungene sie beide“ von Hedwig Gafga. 5 Die Preisträger 2005 2. Preis Michael Netzhammer „Ein herzliches Haus“ Rheinischer Merkur, 28. 4. 2005 „Trautes Heim, Glück vereint“ Badische Zeitung, 30. 7. 2005 „Oma Hubbuch mag am liebsten Remmidemmi“ Stuttgarter Zeitung, 9. 9. 2005 Michael Netzhammer, 44 Jahre, hat in Frei- che Hemisphäre und recherchiert in Südamerika und burg im Breisgau Politik, Geschichte und Asien. Zu seinen Kunden gehören Magazine wie Soziologie studiert. Seit mehr als 14 Jahren natur & kosmos, Geolino und Tageszeitungen wie arbeitet er als freier Journalist und be- Stuttgarter Zeitung, Badische Zeitung oder Neue schäftigt sich dabei vor allem mit sozialen, Osnabrücker Zeitung, aber auch Fachzeitschriften. ökologischen und entwicklungspolitischen Außerdem produziert er für Rundfunkanstalten wie Themen. Er bereist regelmäßig die südli- Deutschlandfunk und Deutsche Welle. Laudatio von Jürgen Leinemann, Der Spiegel, Berlin Wir kennen alle diese schrecklichen Meldungen, daß zeugenden Falles von generationsübergreifender „So- irgendwo in einem Mehrfamilienhaus ein Bewohner wo- zialcourage“, wie es einer der Beteiligten ausdrückt: chenlang tot in seiner Wohnung lag, bevor er – zufällig Alle Beteiligten gewinnen an Lebensqualität, indem oder notgedrungen – entdeckt wurde. Was ist das für sie helfen, ohne Opfer zu bringen. eine Welt? – fragen wir dann in einem Augenblick des Erschreckens und der Angst vor dem eigenen Ende. Michael Netzhammer erzählt diesen Akt praktizierter Und wir nehmen uns vor: So nicht. Menschlichkeit erfrischend unpathetisch, nicht belehrend und nicht betüttelnd. Der Jury gefiel, daß es dem Daß und wie es anders geht, hat Michael Netzham- Autor gelang, die Menschen des Hauses in der Freibur- mer in seiner schlichten, eindringlichen Reportage ger Bleichestraße emotional nahezubringen, ohne in über Oma Hubbuch beschrieben, die der Jury einhel- die Sozialschnulze abzurutschen. Daß bürgerschaftli- lig preiswürdig erschien. ches Engagement auch ohne organisatorischen Rahmen möglich ist – und nachahmenswert – fanden sowohl der Es ist die herzerwärmende Geschichte einer Frei- Rheinische Merkur als auch die Badische und die Stutt- burger Hausgemeinschaft, die es einer 93 Jahre alten garter Zeitung in dieser Geschichte so überzeugend dar- alleinstehenden Mitbewohnerin durch tägliche Hilfe gestellt, daß sie nacheinander Michaels Netzhammers ermöglicht, auch nach einem Herzinfarkt in ihrer Beitrag abdruckten. Wohnung bleiben zu können. Der Clou dieses über- 6 Die Preisträger 2005 3. Preis Antonie Rietzschel, Peter Stawowy Themenseite „Engagiert gegen dumpfe Parolen“ Spiesser – Die Jugendzeitschrift, Dezemberauflage 2004 Im Alter von 14 Jahren bereits Peter Stawowy ist Chefredakteur von startete Rietzschel, Spiesser und arbeitet gleichzeitig als Re- Jahrgang 1986, ihre journalisti- daktionsleiter der Zeitschrift Prinz Dres- sche Laufbahn bei der Sächsi- den. Vor diesen Tätigkeiten koordinierte schen Zeitung. Seit drei Jahren er als wissenschaftlich-pädagogischer Mit- arbeitet sie bei der Jugendzeit- arbeiter beim Adolf Grimme Institut das schrift Spiesser als freie Redak- Projekt „ Jugenddialog Hörfunk und Um- teurin. Ihr Abitur hat sie dieses welt“ und war dann, im Anschluß an ein Antonie Jahr in Heidenau abgelegt und absolviert seit Sep- Volontariat, Redakteur beim Kressreport. tember ein freiwilliges politisches Jahr im Jugendbildungsverein Sachsen. Für Spiesser.de ist sie außerdem als Chefredakteurin tätig. Laudatio von Carola Schaaf-Derichs, Geschäftsführerin, Treffpunkt Hilfsbereitschaft e.V., Berlin Was tun, wenn mancherorts bis zu 18 % der Wähler Resignation gegenüber rechten Tendenzen in der und Wählerinnen rechte Parteien wählen? Gesellschaft veranstalten, aber heute betreiben sie Lesungen, Konzerte, Gedenkstättenfahrten, Work- So geschehen als Ergebnis der Europawahlen 1998 in shops und vieles mehr, um Vorurteile erst gar nicht der Sächsischen Schweiz. Wer zeigt Zivilcourage, wer aufkommen zu lassen. traut sich, öffentlich dagegen anzugehen? Die Jury hat während ihrer Sitzung intensiv über Der „Spiesser“ – Ostdeutschlands größte Jugend- diesen Artikel diskutiert, der ihr in so vielerlei zeitschrift hat dieses Thema im Dezember 2004 Hinsicht als preiswürdig erscheint: die so allseits mutig aufgespießt (um gleich die ethymologischen präsenten, doch schwer greifbaren Themen Frem- Spielebenen des Namens zu variieren). „Engagiert denfeindlichkeit, Rassismus, Mobbing couragiert gegen dumpfe Parolen“ titelt der Beitrag von Anto- aufzugreifen und aus der Perspektive fast Gleich- nie Rietzschel, und er berichtet von der Geschichte altriger hautnah und unprätentiös zu beschreiben, von vier Jugendlichen, die nichts Geringeres als das hat auch unser Gespräch beflügelt. Zu zeigen, eine bürgerschaftliche Initiative, inzwischen sogar was Jugendliche vor Ort inspiriert hat und was einen Verein mit dem Namen „Aktion Zivilcou- sie initiieren konnten – ein wunderbares Beispiel rage“ in Pirna über die Zeit von sechs Jahren für die Entwicklungsdynamik eines bürgerschaft- aufgebaut haben. Sie wollten ursprünglich nur lichen Initialfunkens. Und journalistisch: mal weg eine Demonstration gegen Rechts und gegen die vom „Mainstream“ hin zu subkulturell geformten 7 Die Preisträger 2005 Schreib- und Sprachformen, eine witzige, spritzige Wir fanden, daß sowohl dieser Beitrag von Antonie und Layout Rietzschel und der Spiesser als Organ insgesamt und Fotografie. Der Wagemut hat Stil – und zeigen, was junge Leute mitten im „großen Jour- baut „Rechtsruck nalismus“ leisten und mithalten können. Wir freuen verhindern“ klug auf. Die Zielgruppe dankt es uns daher, auch den presserechtlichen Gesamtver- dem Spiesser durch die 200 000 Exemplare, die antwortlichen, Herrn Peter Stawowy, für dieses be- an 3000 Auslagestellen gut, erfolgreich und viel sondere Verdienst des „Spiesser“ in der deutschen gelesen weggehen. Presselandschaft heute auszeichnen zu dürfen. 8 spannende das Beitragsgestaltung schwergängige Thema in Die Preisträger 2005 Serienpreis Camilla Härtewig, Rena Lehmann „Jetzt erst recht!“ Rhein-Zeitung/Oeffentlicher Anzeiger, 10. – 24. 12. 2004 Camilla Härtewig, 30 Jahre, hat sterabschluß an der Humboldt-Universität 2002 ihr Studium der Politik- Berlin 2004 wurde sie Volontärin bei wissenschaft mit den Neben- der Rhein-Zeitung, Schwerpunktredaktion fächern Anglistik und Öffent- Bad Kreuznach. Während ihres Studiums liches Recht an der Johannes- war sie in freier Mitarbeit und als Prakti- Gutenberg-Universität in Mainz kantin bei verschiedenen Tageszeitungen mit dem Magister abgeschlos- in Deutschland und Frankreich tätig. sen. Danach arbeitete sie zu- Außerdem war sie beim „Autorenkreis der nächst als Reiseredakteurin und PR-Redakteurin. Im Bundesrepublik Deutschland“ für Organisation, Ver- Anschluß absolvierte sie ein zweijähriges Volontariat waltung und Pressearbeit zuständig. bei der Rhein-Zeitung in Koblenz. Seit Mitte des Jahres ist sie Lokalredakteurin bei der Westerwälder Aus einem sogenannten Meilensteingespräch zu der Zeitung, für die sie von 1996 – 2000 bereits als Text- Frage „Wodurch fallen den Lesern besondere Themen und Fotoreporterin tätig war. auf und was macht in diesem Zusammenhang die Qualität journalistischer Arbeit aus?“ entstand bei der Rena Lehmann, Jahrgang 1977, arbeitete nach ihrem Rhein-Zeitung das Volontärsprojekt 2004, in dessen Abitur zunächst als Pauschalistin, bevor sie sich dem Rahmen Frau Härtewig und Frau Lehmann während Studium von Neuerer Deutscher Literatur, Fran- ihres Volontariats in der Redaktion des Oeffentlichen zösisch und Publizistik widmete. Nach ihrem Magi- Anzeigers die Serie „ Jetzt erst recht!“ verfaßt haben. Laudatio von Dr. Warnfried Dettling, Publizist, Berlin Sehr geehrte Damen und Herren, Menschen, die in verschiedensten Situationen dem Wortpaar „Geben und Nehmen“ eine Bedeutung jeder Aufsatz und Artikel, jede Berichterstattung geben, von Mutigen und Engagierten. und jede Serie beginnen – logischerweise – mit einem Titel: Jetzt erst recht... – dies ist die Überschrift der Camilla Härtewig und Rena Lehmann gelingt es von der Jury einhellig für preiswürdig befundenen in diesem besonderen Volontärsprojekt, die viel- Serie zum Thema Bürgerschaftliches Engagement, fältigen Facetten bürgerschaftlichen Engagements ein Beitrag der Journalistinnen Camilla Härtewig abwechslungsreich und originell darzustellen. So und Rena Lehmann. Jetzt erst recht...? Was verbirgt begegnet uns Lesern auf der einen Seite z.B. ein sich eigentlich hinter dieser vermeintlichen Floskel? „nachbarschaftliches Netzwerk“, das in scheinbar Was erwartet den Leser, wenn diese Worthülsen mit hoffnungslosen Situationen in allen Belangen hilft; Inhalt gefüllt werden? Jetzt erst recht...! ist in diesem wir lernen ein „Herzblatt“ kennen – eine einstige Fall ein Synonym für Mut und Engagement. Für Ge- Sozialhilfeempfängerin, die inzwischen selbst zur ben und Nehmen. Für Hilfe und Hilfe empfangen. Helfenden geworden ist; uns wird ein „Ausländer- Die Serie erzählt Geschichten von Menschen, die der pfarrer“ vorgestellt, der Brücken zwischen den Hilfe bedürfen oder Hilfestellungen geben. Von Kulturen schlägt... – alles ganz selbstverständlich, 9 Die Preisträger 2005 bescheiden und ohne große Worte. Auf der anderen Rena Lehmann betrachten das weite Themenfeld Seite kreuzen in diesem Zusammenhang Menschen Bürgerschaftliches Engagement aus den verschieden- unseren Weg, die ganz eindeutig nicht auf der sten Blickwinkeln und werfen auch neue Frage- Sonnenseite des Lebens stehen und die der Hilfe stellungen auf, um sich diesem Komplex kurzweilig bedürfen. und ansprechend, aber in jedem Falle informativ, zu nähern. Die Beiträge sind journalistisch hervor- Den Autorinnen gelingt es, schwere Schicksale und ragend konzipiert und sprachlich gut komponiert. scheinbar ausweglose Situationen nachzuzeichnen, Die Gesamtkonzeption der Serie ist in sich schlüssig ohne in Sentimentalitäten abzugleiten. Die Beschrei- und die Verknüpfung der einzelnen Beiträge ge- bungen der Lebenssituationen einzelner Menschen, schieht originell und unaufdringlich. die Darstellung des nachbarschaftlichen, sozialen und bürgerschaftlichen Engagements und der aufrichtig Wir alle möchten Ihnen, liebe Frau Härtewig und gemeinten Hilfestellungen bestechen durch ihre Ehr- liebe Frau Lehmannn, herzlich zu Ihrem gelungenen lichkeit und Authentizität. Camilla Härtewig und Beitrag gratulieren. 10 Die Preisträger 2005 Serienpreis Hubert Grundner, Thomas Kronewiter, Andrea Schlaier, Wolfgang Schmidt „Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition“ Süddeutsche Zeitung, 2. 8. – 8. 9. 2005 Hubert Grundner ist 44 Jahre Nach einem Studium an der Modeschule in und hat Kommunikationswis- Sigmaringen hat sich Andrea Schlaier, 38 senschaft an der Ludwig-Maxi- Jahre, der Neueren und Neuesten Deut- milians-Universität in München schen Geschichte, der Neueren Deutschen studiert. Seine journalistische Literaturwissenschaft und der Kunstge- Tätigkeit begann er als freier schichte an der Universität Augsburg ge- Mitarbeiter bei den Erdinger widmet. Seit fünf Jahren arbeitet sie Neuesten Nachrichten, bevor als freie Journalistin in München und ist er dann zur Süddeutschen Zeitung wechselte. Dort feste freie Mitarbeiterin in der Lokalredaktion der war er zunächst Redakteur der Regionalausgaben. Süddeutschen Zeitung. Zuvor war sie Redakteurin Seit 2005 ist er bei der Stadtviertel-Redaktion. bei der Augsburger Allgemeine/Allgäuer Zeitung in den Ressorts Lokales, Politik und Feuilleton. Sein Studium der Journalistik, der Politik und des Rechts hat Wolfgang Schmidt, 51 Jahre, hat Jura in Thomas Kronewiter, Jahrgang Saarbrücken und München studiert und ar- 1968, als Diplom-Journalist ab- beitet seit 1986 als Redakteur bei der Süd- geschlossen. Bei der Schwein- deutschen Zeitung. Dort ist er Leiter der furter Volkszeitung, der Main- Stadtteilredaktion. Post-Gruppe in Würzburg und dem Münchner Stadtanzeiger, der heutigen Stadtteil-Redaktion der Süddeutschen Zeitung, war er zunächst als freier Mitarbeiter tätig. Heute arbeitet er bei der Stadtteil-Redaktion und als Pauschalist der Süddeutschen Zeitung. Die Serie „Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition“ wurde von den vier oben vorgestellten Mitarbeitern der Stadtteil-Redaktion der Süddeutschen Zeitung ins Leben gerufen und federführend umgesetzt. Weitere acht Mitarbeiter der Redaktion haben außerdem an den Beiträgen mitgewirkt. 11 Die Preisträger 2005 Laudatio von Sergej Lochthofen, Chefredakteur, Thüringer Allgemeine, Erfurt All business is local. Als ein Kollege, der selbst aus einer Regionalzeitung kommt, glaube ich zu wissen, um wie vieles schwerer Zugegeben, kein sonderlich origineller Spruch als es ist, auf der Seite 46 zu glänzen. Wenn drei in der Aufhänger. Kein Sparkassendirektor, der in seinem Redaktion krank sind, zwei im Urlaub, am Nachmit- Jahresbericht um ihn herumkommt. Kein örtlicher tag zusätzliche Seiten hereinschneien und die Zentral- Handwerksfunktionär, der nicht glaubt, so seine redaktion gerade den Aufmacher für sich reklamiert. Weltläufigkeit beweisen zu können. Dennoch, Thomas Kronewiter, Hubert Grundner, Wirtschaft, ja. Finanzen, auch. Aber was hat das eigent- Andrea Schlaier, Wolfgang Schmidt und ihre Mit- lich mit Journalismus zu tun? Zumal es um eine Reihe streiter haben es vermocht. Durch Beharrlichkeit. von Beiträgen aus der Süddeutschen Zeitung geht. Durch Dranbleiben an einem spannenden Thema. Und auch durch viel Geduld mit dem Leser. Der, Sicher sind es die verwöhnten Geschichtenerzähler von wenn es um sein unmittelbares Umfeld geht, sofort Seite drei, die sonst an solch einem Ort vielleicht sogar erkennt, ob da einer einfach nur so über die Sachen mehr oder minder gelangweilt nach vorn kommen, drüberwischt oder es wirklich ernst meint. um zustehende Huldigungen entgegenzunehmen. Von einem blühenden Bauerngarten ist die Rede. Von Umso erfreulicher, daß es heute nicht das Übliche ist. wilden Vögeln und Liebhabern mit Glücksgriff. Es ist Denn auch das Business der überregionalen Zeitung – kein Roman im Stile von Rosamunde Pilcher, der hier so sie denn gesund und proper ist – fußt auf dem Lo- erzählt wird, es sind Realitäten, Geschichten von kalen. Im Fall der SZ meint sogar manch Kenner der Großherzigkeit, von der Vielfalt des Stiftens und Ge- Szene: Es sei auch nur eine Münchner Lokalzeitung, bens in einer großen deutschen Metropole. die sich allenfalls einen üppig geschnittenen Mantel leistet. Daß es heute Journalisten aus der Stadtredak- Wohl dem, der solche Menschen hat. Wohl aber auch tion München sind, die einen der beiden Serienpreise dem, der weiß, ihre Geschichte zu erzählen. in Empfang nehmen dürfen, geht also weit über die Bedeutung des einzelnen Ereignisses hinaus. 12 München hat es gut getroffen. Die Preisträger 2005 Marion-Dönhoff-Förderpreis Daniel Boese „Das Radio, das die Mark erschüttert“ Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8. 5. 2005 Daniel Boese, 28 Jahre, schrieb leton der taz, bei Arte, Straßburg, und der New Yor- seinen ersten journalistischen ker Kunstzeitschrift Artforum. Nach einer Ausbil- Text für die Rhein-Neckar-Zei- dung zum Redakteur an der Deutschen Journalisten- tung in Heidelberg. Während schule in München schließt er zur Zeit sein Studium des Studiums der Amerikani- ab. Außerdem arbeitet Daniel Boese als freier Journa- stik und Kulturwissenschaft in list für zeitgenössische Kunst und Popmusik in Berlin, Berlin folgten Praktika im Feuil- u.a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Laudatio von Elisabeth Niejahr, Wirtschaftsredakteurin, DIE ZEIT, Berlin Sehr geehrte Damen und Herren, Der 28jährige Journalist Daniel Boese hat sich für diese brandenburgischen Verhältnisse interessiert, ge- wer im Berliner Politikbetrieb arbeitet, tut gut daran, nauer: Er hat recherchiert und beschrieben, daß am Wochenende gelegentlich ins schöne Branden- gerade unter diesen eher tristen Bedingungen ein gut burger Umland zu flüchten. Und wer gelegentlich gemachter Hörfunksender eine Menge ausrichten dorthin flüchtet, weiß auch, wo man in der Nacht kann. In diesem Fall geht es um „Radio Fritz“ und von Freitag auf Samstag oder auch von Samstag auf seine Resonanz. Er erreicht übrigens nicht nur Sonntag gegen zwei oder drei Uhr garantiert Cliquen Jugendliche, das kann ich aus meinem eigenen von Teenagern findet: In den Tankstellen. Die Berliner Umfeld berichten. Auch bei Älteren hat der Straßen sind dann bis auf vereinzelte Raser meistens Sender einen hervorragenden Ruf. leer, die Kneipen in den kleinen Orten, soweit es überhaupt welche gibt, sind längst geschlossen. Den Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge Journali- An praktisch jeder Tankstelle aber parken Autos und sten erhält Daniel Boese allerdings nicht nur des- gegen die Kotflügel lehnen sich Jugendliche, bei wegen, weil er sich ein gutes Thema gesucht hat. Das fast jeder Außentemperatur übrigens. Das sagt selbst wäre der Jury ganz sicher zu wenig gewesen. Er hat einer Durchreisenden wie mir fast alles über das einen sehr lebendigen und anschaulichen Text einge- Freizeitangebot für junge Erwachsene in den Bran- reicht, der sprachlich ganz klar über dem Durch- denburger Dörfern und Städten. Ach ja, beim letzten schnitt der eingereichten Arbeiten lag. Brandenburg-Ausflug hörte ich, daß wegen der Abwanderung junger Menschen eine alte Frotzelei Lieber Herr Boese, bitte machen Sie weiter so. Wir aus Vor-Wende-Zeiten wieder in Mode kommt: wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und „DDR – Der doofe Rest“. gratulieren herzlich zum Marion-Dönhoff-Preis. 13 Ausgezeichnete Beiträge Ausgezeichnete Beiträge 14 1. Preis Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement 2005 1. Preis Hedwig Gafga „Schlaue Kerle, das sind sie beide“ Chrismon, Juni 2005 Schlaue Kerle, das sind sie beide: Nur hat es eine Weile gedauert, bis auch der 17-jährige Hauptschüler anfing, daran zu glauben Auf die Beziehung kommt es an. Wenn Lehrer und Schüler einander mehr sind als Namen und Noten, kann Bildung gelingen. Darauf setzen Mentoren-Projekte Wie immer kommt der Junge mit einer klitzekleinen Verspätung. Montag, fünf Minuten nach 15 Uhr klingelt es an der Tür eines Antiquariats in Hannover. Aydin, ein schmaler 17-Jähriger in graublau gefleckten Jeans und dünner Lederjacke, flitzt durch die hohen Räume. Verschwindet sofort in der hintersten Ecke, setzt sich an einen Resopaltisch mit dem Gesicht zur Wand, stellt seine Plastiktüte ab. Dem großen Zimmer mit Fenstern, Bücherregalen und Besuchercouch zeigt er den Rücken. Neben ihn platziert sich ein älterer Herr im Pullover, breitschultrig, weißhaarig, mit wachen Augen. Jan Gehlsen überragt Aydin um einen Kopf, dennoch sieht es nun so aus, als säßen sie nebeneinander in einer Schulbank, der Alte und der Junge, der frühere Kanzler der Universität Hannover, ein gebildeter, intellektuell geschulter Herr, und das Einwandererkind mit den Schulproblemen. Seit einem Jahr schon geht das so. Von der Wohnung seiner persischen Familie, die an einer lauten Ausfallstraße Hannovers liegt, läuft der Junge zwei Mal die Woche hinüber ins gutbürgerliche Zooviertel, wo Gehlsen sein Antiquariat betreibt, seit er im Ruhestand ist. Es ist sachlich modern eingerichtet, Metallrollos, eine Ausziehcouch, deftige Zeichnungen von Max Beckmann an den Wänden. Ein Bild fällt aus dem Rahmen: silberne, orientalisch anmutende Pfauen und Pflanzen, ein Geschenk von Aydins Familie. Genau davor sitzt der Junge jetzt. „Du wolltest doch alles noch mal ordentlich abschreiben“, sagt der Alte. Aydin lässt seine kinnlangen dunklen Haare auf der rechten Seite vors Gesicht fallen, so dass nur Jan Gehlsen sein Gesicht sehen kann. „Das hab ich zwei Mal abgeschrieben“, erwidert er und greift in seine Tüte. Vom Alter her könnte er Gehlsens Enkel sein, in Wirklichkeit aber stammen beide aus verschiedenen Welten. Mit acht Jahren kam der Junge mit seinen Eltern aus dem Iran, das dritte Schuljahr wiederholte er gleich zwei Mal. Schulisches Scheitern programmiert. Heute, mit 17 Jahren, besucht er erst die 9. Hauptschulklasse. Erfolg kannte er nur vom Sport: Bis vor kurzem spielte er Fußball in der A-Jugend und wollte Profi werden. Bücher kamen in seiner Welt nicht vor. Bücher – Jan Gehlsens Leidenschaft. Sein Antiquariat ist spezialisiert auf deut- 15 Ausgezeichnete Beiträge sche Exilliteratur. „Ich turne am oberen Ende der Lesekultur rum“, sagt er mit trockenem Humor über sich selbst. Eines Tages blieb der literaturbegeisterte Jurist an einem Zeitungsbericht über eine „Mentor-Initiative“ hängen. Die suchte Menschen, die Kinder „aus bildungsfernen Schichten“ fürs Lesen begeistern wollten. „Da habe ich gedacht, es sei angemessen, wenn ich auch mal an der Basis rumturne.“ Junge ein. „Doch, sich wehren, das tut man.“ Der Kanzler hat gesprochen. auf. Mit solchen Fragen schlägt sich der Bücherspezialist jetzt herum. Raabes Novelle vom Befreiungskampf der Niederländer gegen die spanische Besatzung, gespickt mit komplizierten Wörtern – eigentlich sei sie viel zu schwer für den Jungen, hat Gehlsen vor der Stunde selbstkritisch gesagt. Doch jetzt lässt keiner von beiden locker oder dreht sich auch nur einmal weg von der Wand. Anfangs erwartete er, sein Schützling werde sich „in Kürze zu intellektuellen Höchstleistungen“ aufschwingen. Mit Jugendlichen hatte er nie zuvor gearbeitet. Seine eigenen Töchter hatten die Schule mühelos geschafft. Derweil rechneten Aydins Eltern damit, dass ihr Sohn nun gleich Richtung Gymnasium marschieren werde. Gehlsen lernte sie in den ersten Förderstunden kennen, die noch in der Wohnung der iranischen Familie stattfanden, den Vater, einen Musiker, der auf iranischen Festen auf dem Keyboard spielt, und die Mutter, die als Küchenhilfe arbeitet. An eine Begebenheit erinnert sich der Büchermensch dabei ganz genau: Er und der Junge hatten im Lexikon ein Wort nachschlagen wollen, es fand sich auch ein Lexikon, aber dann konnte Aydin das Persische nicht lesen. Trotzdem „hatten wir einen wunderbaren Anfang“, sagt der Mentor. „Weil der Junge schon auf ,Harry Potter‘ geeicht war.“ Und darin erwies er sich seinem Mentor sogar überlegen. Während der Mühe hatte, sich verschiedene Zauberkünste zu merken, fasste der Junge die Kapitel gut zusammen, und der Alte registrierte, dass er auch die Pointen verstand. Heißt es in der PISAStudie nicht, gerade das falle schwächeren Schülern schwer? „Er ist ein schlaues Kerlchen“, diese frühe Erkenntnis des Alten beflügelte die Arbeit. Und außerdem hatte sich mit „Harry Potter“ der erste große Erfolg eingestellt: Der im Lesen ungeübte Junge hatte mehrere tausend Buchseiten verschlungen. Allerdings, „das war nun überhaupt nicht die Lektüre, die ich bevorzuge“, sagt Gehlsen. Er beschloss, fortan zu trennen – zwischen Büchern, „die ich ihm als Vergnügen offeriere“, für zu Hause, und Büchern, die sie gemeinsam lesen. Willkommen an der Basis. Aydin quält sich gerade mit einem Roman aus dem 19. Jahrhundert, der „Schwarzen Galeere“ von Wilhelm Raabe, herum; genauer: mit deutscher Rechtschreibung. Der Alte diktiert einen Textabschnitt, der Junge hängt mit rundem Rücken über seinem Schreibheft, die Nasenspitze fast auf dem Papier, und schreibt. „Fieberwahnsinn“ mit „ie“ und „ah“, so ist es richtig, und „gewehrt“ wird kleingeschrieben, korrigiert der Alte. „Aber das tut man nicht!“, wendet der 16 Lebhaft trägt Gehlsen den nächsten Abschnitt vor: „Habt gute Wacht, habt gute Wacht!“, dabei schaut er zu Aydin, den Mund zu einem spöttischen Lächeln verzogen: „Werden sie aufpassen?“ – „Nein, die schlafen gleich alle“, gibt der Junge zurück. Beide mögen das Stück um Liebe und Freiheitskampf, das der Alte vor rund 40 Jahren schon mal gelesen hat. „Was heißt G – e – n – i – e?“ Aydin schaut aus den Augenwinkeln zu seinem Mentor Gegen vier Uhr klappt Gehlsen den Roman zu. Die Stunde wäre jetzt um. Der Junge schaut seinen Mentor an. „Wir schreiben nächste Woche eine Mathearbeit.“ „Dann rechnen wir noch ein paar Aufgaben durch“, sagt Gehlsen sofort. Schulischen Beistand im Sinne von Nachhilfe sieht die „Mentor-Initiative“ eigentlich nicht vor. Den früheren Universitätskanzler schreckt das aber nicht: „Was soll der arme Kerl nur mit Lesen anfangen, 1. Preis wiederum seine eigene Meinung. „Das geht nicht“, sagt er. „Da entsteht eine Schicksalsverbindung. Ich bin für den jetzt verantwortlich. Da kann ich machen, was ich will.“ als Aydin seine Sachen in die Tüte wirft und losflitzt. Den Schluss heben sie sich dann doch fürs nächste Mal auf. Hedwig Gafga Donnerstag, kurz nach 16 Uhr. Wieder flitzt Aydin mit seiner Plastiktüte ins Antiquariat hinein, setzt sich in Position. Der Junge murmelt etwas, so dass es nur sein Mentor verstehen kann. Anschließend wird deutlich: Er ist in Englisch in den Weisen Mentoren-Projekte wie dieses den Ausweg aus der Bildungskrise? Müssten auch die Schulen mehr tun, um die Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern zu stärken? Diskutieren Sie mit im Forum „Bildung“ auf www.chrismon.de! Dort fin- Das war nach einem Zusammenprall beim Fußball vor einigen Monaten, als er sich das Nasenbein brach. Seitdem haben sich auch seine Pläne geändert. Er möchte jetzt nicht mehr Fußballprofi, sondern Zahntechniker werden. Dazu braucht er aber den Realschulabschluss. „Ich könnt’s schaffen“, meint er. Locker, ein Knie leicht angewinkelt wie beim Training, steht er da und sagt einen Satz, der Eltern und Lehrern das Herz höher schlagen lassen würde: „Ich will ja später was erreichen.“ Seit einiger Zeit übt er mit seiner Mutter, Persisch zu schreiben. Gehlsen hat ihnen dazu geraten. A-Kurs übergewechselt. Wenn er das auch noch in Mathe schafft, dann hat er tatsächlich Chancen, den Realschulabschluss zu erreichen. den Sie auch Informationen zu MentorenProjekten in Deutschland. „Hoffentlich wecke ich keine zu hohen Erwartungen“, sinniert Jan Gehlsen später. „Zahntechniker, das ist ja ein begehrter Beruf.“ Die Mentor-Initiative rät, man solle keine allzu enge Beziehung mit den Schülern eingehen. Lieber solle man mal den Schüler wechseln. Aber dazu hat Gehlsen In der „Schwarzen Galeere“ ist die Entscheidung nah. Auf dem gekaperten Schiff nähert sich Jan, der holländische Freiheitskämpfer, um seine Braut zu retten. Wieder sitzen sie da wie zwei sehr ungleiche Schüler, der Alte und der Junge, mit dem Rücken zur Welt. Es geht schon gegen sechs Uhr, wenn er an Mathe und Englisch scheitert?“, fragt er. Aydin rechnet: eineinhalb mal x gleich zweieinhalb. „Nicht so, verdammt“, entfährt es dem Alten. Dann sagt er: „Erinner dich! Wie dividiert man durch einen Bruch?“ Der Junge probiert hin und her und macht es dann richtig. Erst beim Hinausgehen ist Aydin von vorne zu sehen, ein kleiner, sportlicher Junge mit braunen Augen und dunklen Koteletten, die in einem dünnen Streifen vom Ohr bis zur Kinnspitze hinunterlaufen. Mag er von seinen Erfahrungen mit den Förderstunden erzählen? „ Ja“, antwortet Aydin knapp. In einer nahe gelegenen Bäckerei steht er an einem Stehtisch und weigert sich strikt, etwas zu essen oder zu trinken. Auch in den Mentorstunden nimmt er nicht einmal ein Glas Wasser. Schnell zählt er auf, was der Mentor für ihn getan hat, als habe er sich das selber schon hundertmal gesagt: „ Nach dem Programm müssten wir uns nur einmal die Woche treffen. Herr Gehlsen macht es zweimal. Es ist nie langweilig. Früher hab ich nur mal eine Seite von einem Buch gelesen. Jetzt hab ich schon viele Bücher gelesen. Bei meinen Eltern sag ich: ,Morgen tu ich was.‘ Er fordert von mir: ,Mach das!‘ Und er meint das ernst.“ Und: „Herr Gehlsen hat mich nach meinem Unfall im Krankenhaus besucht.“ Was Schüler vermissen, ist die persönliche Zuwendung Bernhard Bueb leitet die private Internatsschule Schloss Salem Chrismon: Derzeit wird viel über Lernmethoden diskutiert. Sie sagen, es kommt auf die Lehrer an. Warum? 17 Ausgezeichnete Beiträge Bernhard Bueb: Jede Firma würde Reformen bei den Personen ansetzen, nicht bei den Strukturen. Der Fehler in unserer Bildungsdiskussion ist, dass wir die Lehrer außen vor lassen. Die Lehrer sind die wichtigsten Bezugspersonen für die Schüler, außer den Eltern. Auf sie kommt es an. Wenn Sie Schüler fragen, was sie am meisten an den Lehrern vermissen, dann ist es die persönliche Zuwendung. Wie passt persönliche Zuwendung in den Schulalltag ? Bueb: Die Lehrer müssen auch nachmittags da sein und mit den Schülern etwas unternehmen, von Sport über Theaterspielen bis zu den Hausaufgaben, die gemeinsam gemacht werden sollten. Ich ärgere mich darüber, dass nach der PISADebatte in erster Linie über Bildungsstandards, über das Schulsystem gesprochen wird, aber die Person des Lehrers außen vor bleibt. Dabei könnte diese Reform sofort stattfinden: Die Präsenz des Lehrers an der Schule könnte man per Verordnung herstellen – und natürlich durch Bereitstellung von Arbeitsplätzen in der Schule. Und das würde unweigerlich auch die Mentalität der Lehrer verändern. Was muss ein Lehrer können? Bueb: Er sollte sein Fach beherrschen. Aber entscheidend ist, welche Einstellung er zu Kindern und Jugendlichen hat. Ich verwende den Begriff des „pädagogischen Eros“: Er muss Kinder und Ju- 18 gendliche lieben, echte Sympathie für sie mitbringen. Und er muss Zeit für sie haben. Denn der Hauptfeind des Aufwachsenden sind heute die Medien: Fernsehen, Computerspiele, Internet. Der einzige Weg, die Jugendlichen davon wegzubringen, geht über gemeinsame Unternehmungen. Wie passt Ihr Lehrerbild zur Vorstellung vom Lehrer als Moderator, der Lernprozesse anstößt, aber sich selber stark zurücknimmt? Bueb: Das soll er durchaus. Ich will ja nicht, dass er bloß als große Autorität frontal vor der Klasse steht. Die wichtigste Komponente seines Handelns ist, dass er Kinder ermutigt, ihren Weg zu sich selber zu finden. Wie groß darf eine Lerngruppe sein? Bueb: Die Klassengröße ist nicht ausschlaggebend. Es kommt auf die Zusammensetzung der Schüler und die Lehrerpersönlichkeiten an. Die Schulen sollten Ganztagsschulen sein. Denn dann können sich Lehrer und Schüler am Nachmittag informell treffen. Die Lehrer lernen die Schüler dabei in einer anderen Weise kennen. Am Vormittag fällt ihnen der Klassenbeste auf, am Nachmittag der tolle Fußballspieler oder das Mädchen, das andere unterstützt. Mit Blick auf Mentoren-Projekte: Wie weit sollen auch Schulfremde sich engagieren? Bueb: Menschen von außerhalb der Schule sollten sich einmischen und Pro- jekte mit initiieren. Die jungen Menschen wollen viel mehr mit Erwachsenen zu tun haben, als sie zugeben. Sind private Förderprojekte eine Bankrotterklärung für die staatliche Bildung? Bueb: Solche Projekte sind hilfreich, aber sie ersetzen nicht die Reformen, die unsere Schulen brauchen. Warum sind die Lehrer heute so depressiv? Weil sie vereinsamen, unter ihrem schlechten Ruf und der Disziplinlosigkeit der Schüler leiden. Die Jugendlichen selbst haben ein Recht auf Disziplin, darauf, dass sie Lehrer und Mitschüler respektieren. Das ist bei Pubertierenden schwierig zu erreichen, aber es geht, wenn die Institution Schule dieses Ziel konsequent verfolgt. Die Institution, vertreten durch die Schulleiter, lässt die Lehrer zu sehr alleine. Die erste Maßnahme, die ich vorschlage: Dass man die Türen aushängt, damit jeder sieht, wie schwer es der andere hat, und damit die Lehrer sich gegenseitig helfen. Die Fragen stellte Hedwig Gafga 2. Preis 2. Preis Michael Netzhammer „Ein herzliches Haus“ Rheinischer Merkur, 28. 4. 2005 Eine für alle, alle für eine In Freiburg pflegen Hausbewohner eine 93jährige Mieterin. Sie muss deshalb in kein Pflegeheim. Aber auch die Helfer werden belohnt. Ein Modell für schönes Altern? „Früher als ich noch ein Kerle war“, sagt Anneliese mit badisch eingefärbtem Akzent und legt ein wenig Groll in ihre Stimme. Dann verliert sie den Anschluss, weil die Gedanken die 93 Jahre alte Frau längst fortgerissen haben. So verhallt der Satz unfertig in der warmen Stube. Als sie noch „ein ganzer Kerl“ war, da hat sie geschuftet, zwei Weltkriege miterlebt, gehungert, einen Mann lieben gelernt, ihn zu früh beerdigt, zwei Kinder groß gezogen. Und heute? „Da kann ich mir selbst nicht mal mehr kochen. Es ist zum aus der Haut fahren“, sagt sie, blickt mit gespieltem Ernst in die Runde, haut dann die Hand auf den Tisch und lacht, bis die vielen Falten in ihrem Gesicht Boogie-Woogie tanzen. Die Frau mit den weißen Haaren und der dicken Brille auf der Nase gehört zu jener Sorte Mensch, die lachen und schmunzeln, auch wenn die Gelenke schmerzen, das Herz sticht und selbst der Weg in die Küche zu einer Weltreise wird. Schließlich wohnt sie noch immer in ihren vier Wänden. „Und wer das darf, der ist Millionär“, sagt sie. Dieses Geschenk verdankt Anneliese ihrer robusten Natur und vor allem den Mitbewohnern im Haus. „Die haben versprochen, für mich zu sorgen, weil ich sonst wohl in ein Pflegeheim müsste“, sagt sie. Seit ihrem Herzinfarkt vor bald zwei Jahren hat sie ihre Selbstständigkeit eingebüßt und das ärgert die schmal gewordene Frau in ihrer weinroten Strickjacke ungemein. „Sie vergisst, ihre Tabletten zu nehmen, zu trinken oder zu essen“, sagt Detlev, der Arzt mit dem wilden Bart und der lichten Stirn. Der 45-Jährige lebt mit seiner Frau Marion und den beiden Kindern Lea und Luis ein Stockwerk über der alten Dame. Zwar hat Annelieses Tochter ihr einen Alarmknopf besorgt, mit dem sie im Notfall eine Zentrale verständigen kann, aber der Arzt hat Zweifel, ob sie ihn dann auch noch drücken kann. Deshalb schaut jeder im Haus nach ihr. Christian aus dem ersten Stock kauft ihr das Brot, die 18-jährige Lea saugt ihre Wohnung. Wenn Anneliese morgens noch schläft, bringt Krankenpfleger Alfred aus dem zweiten Stock die Tageszeitung nach oben. Seine Frau Marianne stellt eine Kanne Tee auf den Tisch, legt ein Zettelchen „Tee ist in der Kanne. Trinken nicht vergessen!“ daneben und positioniert die Tabletten so, dass die Herzkranke sie nicht übersehen kann. Klingeln müssen sie nicht, die Tür ist immer angelehnt. Marianne kennt sich in den Schränken der 93-Jährigen inzwischen besser aus als sie 19 Ausgezeichnete Beiträge selbst, weil sie regelmäßig Tischdecken und Bettwäsche wechselt, die Kleidung wäscht, Medikamente, Putzmittel, Kaffee oder Mehl einkauft. „Sie vertraut uns“, sagt die 49-jährige Frau mit den kurzen braunen Haaren, „das macht es sehr viel leichter“. „Hallo Oma, ich bin´s“, poltert Luis ins Wohnzimmer. Der Zehnjährige lässt seinen Schulranzen fallen, gibt der Oma einen Kuss und geht erst einmal zielstrebig zu dem kleinen Schränkchen an der Wohnzimmertür. Dort stibitzt er sich ein Stück Schokolade, grinst und lässt sich neben der alten Dame auf den Stuhl plumpsen. „Danke Oma“, sagt er. Das Wort kommt wie selbstverständlich über die Lippen. Sie ist seine Oma. Denn die leiblichen Großeltern wohnen weit weg. Früher als sie ihrem Spitznamen „rauchende Sohle“ noch Ehre machte, da passte sie erst auf Lea auf und dann auf ihren Bruder Luis. „Wenn ich bei der Oma war, habe ich meinen Eltern immer hinterher gerufen, `Geht, geht jetzt endlich´. Dann saßen wir auf dem Sofa, haben Fernsehen geschaut oder Reversi gespielt und ab und zu habe ich bei ihr übernachtet“, erinnert sich der aufgeweckte Junge. Diese Erlebnisse haben sich in seine Erinnerung eingebrannt. Wie auch der Schreck, als die Oma im Krankenhaus fast gestorben ist. „Da stand er fiebernd dabei“, erzählt sein Vater, „und wir haben gesehen wie viel Liebe unsere Kinder für sie empfinden.“ Sie zeigt sich, wenn Luis die Oma drängelt, ihren Tee zu trinken, oder fragt, ob sie schon etwas gefrühstückt oder ihre Tabletten genommen hat. Und wenn sie die Gängelei zu ärgern beginnt, ruft er einfach, „Du darfst noch nicht gehen oder willst du uns etwa verlassen?“ Da verpufft ihr Grummeln und mehr als ein „nein“ fällt ihr dann auch nicht ein. „Essen ist fertig“, ruft Marion von oben. Luis eilt die knarrenden Holzstufen hinauf. Nach einigen Minuten kehrt der schlaksige Junge mit einem Tablett zurück. Sofort riecht es nach geschmolzenem Käse. Luis stellt den Teller auf den Tisch, legt eine Serviette, Messer und Gabel daneben, ruft noch „Morgen bringt dir Lea das Essen“ und eilt die Stufen hinauf. Die Kässpätzle seiner Mutter will er sich nicht entgehen lassen. Diese familiären und menschlichen Begegnungen halten Anneliese genauso am Le- 20 ben wie die Herztabletten in dem Schächtelchen unter der kleinen Kuckucksuhr, der Tee in der Kanne oder die Vertrautheit ihrer eigenen vier Wände. Wenn sie das Fenster öffnet, hört sie die Freiburger Dreisam plätschern. Sie schaut auf die grünen Hügel des Schwarzwalds und die Dächer der schnell hoch gezogenen Häuserblocks in der Nachbarschaft. Als sie 1962 mit ihrem Mann Franz in der Bleichestraße die Drei-Zimmer-Wohnung mietete, stand das Haus noch auf einer grünen Wiese. Heute liegt das Viertel im Herzen der Stadt. Die Jahre sind vergangen, Wohnung und Haus zu einem Ort der Erinnerungen geworden. Sie blickt auf den verwilderten Garten, den sie so viele Jahre gepflegt hat, hört die groß gewordenen Kinder die Treppe hinunterhetzen. Und noch immer sitzt sie am gleichen Tisch, an dem ihr Mann vor mehr als 30 Jahren einfach zusammensackte. „Geht es dir nicht gut, habe ich ihn gefragt. Er hat es wohl nicht mehr gehört“, erklärt Anneliese leise und schaut zu dem Bild, das sie an der Seite eines jungen Mannes in Motorradmontur zeigt. „Ich hab in ihm den Himmel gesehen“, sagt sie über den Mann, der sie aus ihrer Familie, aus ihrer Hölle befreit hat. Als unehelich geborenes Mädchen haben die Stiefschwestern ihr übel mitgespielt. Anneliese verliert darüber nur wenige Worte. Vierzehn Tage vor ihrer Hochzeit erhängte sich ihre Mutter; „ich habe sie vom Balken abgeschnitten“, erzählt sie. Geheiratet hat sie dennoch – in einem schwarzen Kleid mit weißem Schleier. Anneliese hat in ihrem Leben viele Schicksalsschläge einstecken müssen. Sie hat sie genommen, ohne darüber zu lamentieren, ohne mit der Welt zu hadern. Stattdessen hat sie sich an den schönen Dingen festgehalten und sich engagiert. In der Kirche, im Altersheim, in der Bleichestraße, wo die Mieterin das Kommando führte, ohne jemals pedantisch oder spießig zu sein. „Wenn die Treppen schmutzig waren, dann habe ich sie halt von oben bis unten geputzt.“ Ohne ein Wort darüber zu verlieren und ohne sich die Laune darüber verderben zu lassen, wenn „wir Jungen mal wieder den Dreck übersehen haben“, erinnert sich Marion mit einem Lächeln. Als sie einzog studierte sie Sport, heute betreut sie selbst Studenten am Sportinstitut. Über 17 Jahre teilt sie mit Anneliese das gleiche Dach. „Sie hat die Handwerker rein gelassen und unsere Schlüssel verwaltet und wenn wir unseren vergessen hatten, konnten wir bei ihr klingeln“, erzählt die rothaarige 46-Jährige mit den Sommersprossen im Gesicht. „Wenn ich mich bei der Arbeit verspätet habe, wusste ich die Kinder wohl versorgt bei Oma Hubbuch auf dem Sofa. Wir hatten die unglaubliche Freiheit, weggehen zu können, ohne Organisationskram, ohne Babysitter, weil sie immer für uns da war.“ Die Rolle der Oma war ihr auf den Leib geschrieben und irgendwann nannten sie fast alle einfach „Oma Hubbuch“. Einen Teil ihrer Hilfsbereitschaft wollten ihr die Mitbewohner im Haus gerne zurückgeben. Die Gelegenheit bot sich, als Anneliese zu ihrer Tochter ziehen sollte, um dort im Notfall einfacher gepflegt werden zu können. Die Vorstellung, ihre Bleibe zu verlassen, stürzte die so tatkräftige Frau in eine schwere Krise. Damals hackte sie ihr Holz noch selbst, schleppte die Kohlen in den dritten Stock und schob Senioren, die jünger als sie waren, im Rollstuhl die Dreisam entlang. Nun aber sprach „sie nur noch vom Sterben, weil sie nicht wegziehen wollte, sich ihrer Tochter gegenüber aber verpflichtet fühlte“, erinnert sich Marion. Das Ehepaar aus dem vierten Stock machte ihr deshalb das Angebot: „Du musst nicht aus deiner Wohnung, wenn nötig sorgen wir für dich.“ Am Ende blieb sie. Hilfe braucht die einst rüstige Frau erst seit ihrem Herzinfarkt. Seither begleitet Marion Oma Hubbuch zwischen Arbeit und Kinderbetreuung zum Friseur und Arzt, holt die Post und hilft ihr beim Duschen. Täglich kocht sie eine zusätzliche Portion. Ob Spätzle mit Linsen, Karotten-Ingwersuppe, Spaghetti oder thailändisches Gemüse, Oma Hubbuch isst, was auf den Tisch kommt. „Wenn ich etwas zum Essen bekomme, ist es recht, und wenn nicht, mache ich mir auch mal ein Brot“. Ansprüche stellen ist ihre Sache nicht. Dafür freut sie sich, wenn sich die Hausbewohner in ihrer Wohnung treffen, wenn „Remmidemmi ist“, sie den Eierlikör aus dem Schrank holen, allen kräftig einschenken und mal wieder Gastgeberin sein darf. Je lauter es dann zugeht, desto wacher blinzeln ihre blauen Augen. Sie flirtet mit den Mannsbildern, lässt sich umarmen und freut sich, wenn alle über ihre Anekdoten lachen. 2. Preis In diesen Augenblicken treffen in dem geräumigen Wohnzimmer mit dem roten Sofa und den vergilbten Tapeten drei Generationen zusammen. „Wir leben die Großfamilie ohne die komplizierten familiären Bande. Seit wir intensiver nach Oma Hubbuch schauen, sind wir noch näher zusammengerückt“, schwärmt Detlev über dieses Miteinander, das Raum für Privates lässt. Dieses Zusammenrücken registrieren Nachbarn, Großeltern und Freunde: Manche etwas neidisch. Andere mit der Sehnsucht einmal selbst so Altern zu dürfen. Ein Wunsch, der bei vielen Menschen existiert. Viele Experten wiederum sehen in dieser Art von Engagement in der Nachbarschaft einen Ausweg aus der Gesellschaftskrise. Könnte das Freiburger Projekt also nicht auch ein Modell für andere sein? „Ein allgemeingültiges Modell sicherlich nicht“, sagt Alfred bedächtig. Zu viele Faktoren müssen aus der Sicht des Intensivpflegers aus dem zweiten Stock fließend ineinander greifen: Sympathie, Zeit, Grad der Pflegebedürftigkeit, Sozialcourage. Die Bewohner kommen gut miteinander aus und alle in dem Haus geben etwas von ihrer Zeit. Dafür braucht es Menschen, die wie Detlev oder Marianne bei schönem Wetter lieber zusammen an der Bierbank im Hof sitzen als nur in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Die den Mut aufbringen, auf Mitmenschen zuzu- gehen und sich auf Unbekanntes einzulassen. Die Auseinandersetzungen zu führen bereit sind und die anfallenden Reibereien ausräumen. Die Gewähr, dass aus ihrem Engagement eine Hausgemeinschaft wie die jetzige wird, hatten sie anfangs keineswegs. Wer dieses Modell leben will, benötigt zudem das nötige Stehvermögen. Denn in Notfällen gerät eine Hausgemeinschaft schnell an Grenzen. In der Bleichestraße zum Beispiel, als Anneliese im letzten Jahr an einer Lungenentzündung erkrankte. Von einem Augenblick auf den anderen musste immer jemand bei der Kranken bleiben, mussten Terminpläne erstellt und die Angehörigen um Hilfe gebeten werden. Das zehrt dann an den Nerven. „Auf Dauer könnte ich das nicht leisten“, sagt Marion. Viel schlimmer war für sie die tägliche Angst, „lebt sie noch, wenn ich reinkomme?“ Ein solches Engagement lässt sich nicht verordnen. Deshalb stellt es auch an die Hilfsbedürftigen gewisse Anforderungen. So mögen Beschwerden bei einem professionellen Pflegedienst durchaus angebracht sein, eine freiwillige Initiative können sie lähmen. „Ich wüsste nicht, ob ich jemanden lange pflegen könnte, der an allem rummäkelt oder glaubt, nie genug oder immer das Falsche zu bekommen“, sagt Marianne, die als Krankenschwester derlei Verhalten von ihrem Arbeitsplatz kennt. Da hilft eine Einstellung, wie sie Anneliese an den Tag legt. Die alte Dame jedenfalls reagiert flexibel, wenn das Essen einmal ausfällt, wenn niemand für sie Zeit hat oder der Friseurbesuch nicht klappt. Ohne falsche Demut, ohne dass sie sich verbiegen müsste. „Weil sie die Dinge so einfach und unkompliziert nimmt, macht mir das Helfen richtig Spaß“, sagt die 49Jährige. Ihr Engagement empfindet Marianne denn auch nicht als Last, sondern als Bereicherung. Wie Detlev und Marion: „Oma Hubbuch ist der ruhende Pol in unserem Haus“, sagen sie – wenn auch aus verschiedenen Gründen. Der Arzt schätzt ihre Kraft, „das Leben zu nehmen wie es kommt, ohne beleidigt zu sein, einfach mit einem Augenzwinkern“. Und Marion findet manchmal ein Stockwerk tiefer ersehnte Ruhe, wenn zuhause gerade Tohuwabohu herrscht. Oma Hubbuch kredenzt dann einen Eierlikör, setzt sich zu Marion aufs Sofa und erzählt ihrer Nachbarin wie ihr selbst auch manchmal das Leben über den Kopf gewachsen ist. „Bei Oma Hubbuch fühle ich mich einfach geborgen“, sagt die Mutter über diese innigen Momente. „Sie ist die Seele unseres Hauses. Deshalb wünsche ich mir, dass sie mindestens 100 Jahre alt wird.“ Eine für alle: eine 93-jährige Freiburgerin und ihre hilfsbereiten Nachbarn 21 Ausgezeichnete Beiträge „Trautes Heim, Glück vereint“ Badische Zeitung, 30. 7. 2005 22 2. Preis 23 Ausgezeichnete Beiträge „Oma Hubbuch mag am liebsten Remmidemmi“ Stuttgarter Zeitung, 9. 9. 2005 24 3. Preis 3. Preis Antonie Rietzschel, Peter Stawowy Themenseite „Engagiert gegen dumpfe Parolen“ Spiesser – Die Jugendzeitschrift, Dezemberauflage 2005 Was vor Jahren vier Freunde starteten, ist heute eine der aktivsten Organisationen gegen Rechtsradikalismus und Rassismus in Deutschland Sich in die Opferrolle zu fügen, ging Sebastian Reißig gegen den Strich. Zusammen mit drei Freunden gründete er 1998 einen runden Tisch, um über die Problematik rechtsradikalen Gedankenguts zu sprechen. Doch bald wollten die Vier die Probleme nicht nur einfach beim Namen nennen, sondern auch gegen die Resignation in der Bevölkerung mobil machen. Das erschreckende Ergebnis der damaligen Europawahlen, bei der rechte Parteien mancherorts in der Sächsischen Schweiz bis zu 18 Prozent der Stimmen bekamen, nutzten die Jungs und Mädchen, um endlich in Aktion zu treten. „Wir planten eine Demonstration gegen Rechts in Pirna und erwarteten nicht mehr als 300 Teilnehmer. Am Ende waren es sogar 800“, erinnert sich der 26-Jährige. Auch bei nachfolgenden Aktionen zeigten immer mehr junge Leute Gesicht gegen rechte Gewalt – und aus der Diskussionsgruppe wurde eine aktive Jugendorganisation. Heute hat der Verein „Aktion Zivilcourage“ einen festen Sitz im Herzen Pirnas. Durch die Organisation von Lesungen, Konzerten, Gedenkstättenfahrten, Workshops und Jugendbegegnungen versuchen die dreißig Mitglieder Aufklärung zu betreiben, damit Vorurteile gar nicht erst entstehen – oder aus dem Weg geräumt werden können. „Natürlich bekommt man bei solchen Veranstaltungen keinen extrem radikalen Nazi zu Gesicht, aber man trifft immer welche, die bei einem Konzert einer tschechischen Band Spaß daran haben, dumme Sprüche zu klopfen“, weiß Sebastian, „und diese Leute müssen wir erreichen, weil sie meist nicht wissen, was hinter solchen Äußerungen steht.“ Eine besonders wichtige Arbeit ist für den Verein auch die Opferhilfe. Hier steht die „Aktion Zivilcourage“ allen bei, die von Rechtsradikalen angegriffen wurden. Dazu gehört nicht nur moralischer Beistand, sondern auch aktive Hilfe. Oft bedeutet das: Anzeige erstatten und die Opfer zu Gerichtsverhandlungen beglei- ten. Die Anerkennung für diese Arbeit wächst stetig, doch spätestens seit dem Wahlerfolg der NPD in Sachsen hat sich die Situation verschlimmert, die Übergriffe nehmen wieder zu. „Man müsste eigentlich noch viel mehr machen“, sagt Sebastian, „aber wir sind zurzeit an einem Punkt, wo wir an unsere Grenzen stoßen.“ Ihr wollt eure Unterstützung anbieten? www.zivilcourage-pirna.de Bildunterschrift: Geballte Kraft: Die Jungs und Mädels der Aktion Zivilcourage im sächsischen Pirna Aufruf Schwarz auf Weiß Nur nicht hinsehen, bloß nicht zuhören und ja nichts sagen! Wer den Themen Rechtsextremismus und Rassismus auf diese Weise begegnet, bewirkt nichts. Wir wollen etwas daran ändern. Und möchten euch aufrütteln, hinzusehen, zuzuhören und mitzureden – und uns eure Geschichte zu schicken. Schreibt uns eure Erlebnisse und Erfahrungen mit Rechtsextremisten, Neonazis und Rassisten. Was ihr darüber denkt, was ihr fühlt und was euch stinkt. Aber auch, wo ihr im Alltag Zivilcourage erlebt habt und wer euer Vorbild in Sachen Toleranz ist. Aus allen Einsendungen möchten wir ein Buch zusammenstellen. Der Erlös aus dem Verkauf des Buches soll der Aktion Zivilcourage in Pirna zugute kommen, die auch außerhalb der Grenzen Sachsens für ihren Einsatz gegen Rassismus und für Toleranz bekannt ist. Schickt uns eure Geschichten auf maximal vier A4-Seiten, gern auch mit Fotos, bis zum 18. Februar 2005 an SPIESSER – die Jugendzeitschrift, Stichwort „Schwarz auf Weiß“, Postfach 210 220 in 01263 Dresden oder per Mail an [email protected] WAS TUN, WENN... ...drei Schüler in der Klasse ständig das jüdische Mädchen und den russischen Mitschüler ärgern? Die Frage beantwortete Christine Böckmann vom „Miteinander“ e.V. in Magdeburg Ich finde, es ist egal, ob jüdische oder russische oder brillentragende Mitschülerinnen und Mitschüler geärgert werden. Es sind immer Menschen – und allein deshalb sollten wir uns dagegen wehren. Am wichtigsten finde ich, dass die, die gemobbt werden, spüren, dass sie nicht allein sind. Zeigt ihnen, dass es andere Menschen gibt, die nicht wegschauen wollen. Dann könnt ihr gemeinsam überlegen, ob und was ihr alleine tun wollt oder wen ihr um Rat fragen oder um Hilfe bitten wollt. KURZINTERVIEW Hagen Kreisel über seine Arbeit bei Amal – der Hilfsorganisation für Opfer rechter Gewalt SPIESSER: Was bedeutet Amal? Hagen: Das Wort Amal ist arabisch und steht für Hoffnung. Hauptziel von Amal ist es, jungen Leuten zu helfen, die auf Grund ihres Outfits oder ihrer Hautfarbe Opfer körperlicher Gewalt werden. Das Besondere an uns ist, dass wir eine aufsuchende Beratungsstelle sind. Wir recherchieren nach Übergriffen und gehen dann direkt auf die Opfer rechtsextremer Gewalt zu. Das hat den Vorteil, dass wir mehr Leute erreichen: nämlich auch die, die von alleine keine Beratungsstelle aufsuchen würden. SPIESSER: Bei welchen Vorfällen fängt die Opferberatung an – und wo hört sie auf? Hagen: Das Spektrum reicht von Diskriminierung bis zu Übergriffen mit schweren Gewaltverbrechen. SPIESSER: Wie sieht die Hilfe konkret aus? Hagen: Oft hilft es den Opfern schon, wenn wir zusammen mit ihnen über das 25 Ausgezeichnete Beiträge Erlebte sprechen, das Geschehene verarbeiten und sie ermutigen, Anzeige zu erstatten. Wir bereiten die Opfer auch auf die Gerichtsverhandlung vor und nehmen bei Wunsch auch daran teil. Wenn wir merken, dass bei dem Opfer schwere psychische Beeinträchtigungen vorliegen, ziehen wir auch einen Psychologen zu Rate. Im Prinzip bieten wir Hilfe zur Selbsthilfe. 26 SPIESSER: Gibt es auch positive Erlebnisse? Hagen: Klar, die gibt es natürlich auch. Wir kriegen oft Rückmeldungen nach Prozessen. Viele bedanken sich für die gute Hilfe. Das gibt einem das Gefühl, dass es Sinn macht, was man tut. So was ist sehr wichtig, um weiter zu machen. Links zur Opferberatung: Sachsen: www.amal-sachsen.de, www.raa-leipzig.de; Sachsen-Anhalt: www.miteinander-ev.de; Thüringen: www.mobit.org Serienpreis Serienpreis Camilla Härtewig, Rena Lehmann „Jetzt erst recht!“ Rhein-Zeitung/Oeffentlicher Anzeiger, 10. – 24. 12. 2004 Die lachende Notgemeinschaft der Mäuse an ihrem Käse nagen, so wurden unsere Kinder an ihren Kochtöpfen mitversorgt.“ „Jetzt erst recht!“ – Teil 1 des Reigens: In der schweren Zeit ihrer Krankheit konnte Leonore Knoche auf viele Menschen zählen – Netzwerk der Freunde In der Zeit, als Kinder und Ehemann Hilfe brauchten, bildete sich ein Netzwerk, das weit über die Familie hinausreichte. Ein Netzwerk, das wohl schon immer da war, aber in diesem Moment auf besonders intensive Art Wirkung zeigte. Anderen in schwierigen Momenten ihres Lebens beizustehen, erfordert Mut und Ausdauer. Die zwölf Menschen unserer Serie haben in solchen Situationen „jetzt erst recht!“ gesagt, sind für andere da oder haben selbst Hilfe angenommen. Der Reigen beginnt mit Leonore Knoche: Als die Bad Kreuznacherin und ihre Familie in Not waren, zeigte ein Netzwerk der Freunde kompromisslos und selbstverständlich seine Wirkung. Geteilter Mittagstisch • Da war zum Beispiel Petra Stahl. Ihre Zwillingssöhne besuchten mit Leonore Knoches Sohn die Schule. Als die Mutter fehlte, hat Johann-Philipp mittags bei Stahls gegessen, öfter dort übernachtet und ist mit der Familie in Urlaub gefahren. „Das war kein Problem“, sagt Petra Stahl. Was ihr heute als Lappalie erscheint, war für Leonore Knoche damals sehr wichtig: Sie wusste ihren Sohn in den besten Händen. • Ilse und Hans-Günther Hey wohnten zu der Zeit im Stockwerk unter den Knoches. „Es bedeutete für mich große Sicherheit, dass sie da waren“, sagt Leonore Knoche. Ein Mal pro Woche gab es bei den Heys für BAD KREUZNACH. Als die Ärzte in der Mainzer Uniklinik die Diagnose stellten, „grenzte es schon an ein Wunder, dass ich noch lebte.“ Leonore Knoche litt unter einer lebensgefährlichen Erweiterung der Aorta, ausgelöst durch ein angeborenes Syndrom. Kurz nachdem sie sich erholt hatte, erschütterte eine zweite Diagnose ihr Leben und das ihrer Familie: Darmkrebs. 1993 veränderte sich das Leben der Hausfrau und Mutter von drei Kindern schlagartig. Jetzt erst recht – in der Not hielten alle zusammen: Ohne die Hilfe ihrer Freunde wäre die Zeit der Krankheiten noch viel schwerer zu ertragen gewesen. Während die Mutter in Kliniken und Rehabilitation wieder zu Kräften kam, waren ihre damals acht-, elf,- und dreizehnjährigen Kinder und ihr Mann drei Monate auf sich gestellt. Freunde und Nachbarn erledigten all das, was sonst Leonore Knoche geleistet hatte. „Damals habe ich empfunden, wie schön es ist, in einer Freundschaft aufgehoben zu sein“, sagt sie, „ich musste mir keine Gedanken machen, was zu Hause los ist.“ Zwei Mäuse aus Holz, die in ein Stück Käse beißen, erinnern sie an diese schöne Erfahrung in der grausamsten Zeit ihres Lebens. Jeder Helfer hat solche Mäuse als Dankeschön bekommen. „Wie die beiden 27 Ausgezeichnete Beiträge die Kinder ein warmes Essen, am Wochenende einen selbst gebackenen Kuchen. • Christa Mottweiler erinnert sich an eine „schöne Zeit“, als die Knoche-Kinder ein Mal pro Woche bei ihr aßen. „Es ist doch selbstverständlich, dass man hilft“, sagt auch sie. • „Wir sehen uns eigentlich gar nicht oft, aber wenn es darauf ankommt, wissen wir, dass wir uns auf einander verlassen können“, erklärt Monika Eckgold das Prinzip „Notgemeinschaft“ der helfenden Freunde. Auch bei ihr gab es ein bis zwei Mal pro Woche Essen und Hausaufgabenhilfe. Andere Freunde halfen auf die gleiche Weise. Ganz selbstverständlich. Als die Familie um die Mutter bangte, waren diese kleinen Gesten unentbehrlich. Leonore Knoche ist ein angenehmer Mensch. Sie strahlt Gelassenheit aus, selbst wenn sie von der Krankheit erzählt. „Wenn ich Angst habe, hilft es keinem“, sagt sie. Die 55-Jährige hat die Schicksalsschläge in „positive Energie“ umgewandelt. „Was ich körperlich kann, das mach’ ich auch. Ich will nicht zu Hause sitzen und mich bemitleiden“, sagt sie. Heute ist sie selten zu Hause zu erreichen. Sie selbst ist Teil eines sozialen Netzwerkes geworden. Beim Regiomarkt hilft sie, regionale Produkte bekannt zu machen und zu verkaufen. „Man muss irgendwie in den Köpfen installieren, dass nicht alles, was von weit her kommt und glatt und sauber ist, auch besser ist“, sagt sie überzeugt. Beim „Café Bunt“, das sich für wohnungslose Frauen engagiert, hütet sie das Kind einer jungen, allein erziehenden Mutter. „So hat sie mal Zeit , darüber nachzudenken, wie ihr Leben weitergehen soll“, erklärt Leonore Knoche. Auch die Morgenstern-Kirche, wo sie Gottesdienste für geistig und körperlich behinderte Menschen vorbereitet, liegt ihr am Herzen. Trotzdem fröhlich leben Nicht den Kopf in den Sand stecken, „die Zeit, die ich habe, fröhlich leben“ – Leonore Knoche gibt heute Hilfe weiter, die sie selbst einst dringend benötigte. Auch ihr Mann Karl-Heinz Knoche hätte ohne die Hilfe der Freunde die Aufgaben in Job und Familie und sein Fernstudium in Halle nicht bewältigen können. Er besuchte seine Frau trotzdem täglich in der Mainzer Uniklinik – obwohl sie schimpfte. „Er hatte doch schon so viel zu tun,“ erinnert sich Leonore Knoche. „ Jetzt erst recht“ – das Motto des ehrenamtlichen Engagements seiner Frau – hat auch für seine tägliche Arbeit Bedeutung. Er hilft Aussiedlern, sich in den deutschen Arbeitsmarkt hineinzufinden. Wie er das macht, ist morgen Thema der zweiten Folge unserer Serie. Rena Lehmann E-Mail an die Autorin: [email protected] Neue Wege gehen – auch für andere „Jetzt erst recht!“ – Teil 2 des Reigens: In der Lebenskrise seiner Frau entwarf Karl-Heinz Knoche neue Berufsperspektiven Kann man sein Schicksal in Frage stellen? Leonore Knoche tat dies, als sie schwer erkrankte. Das funktionierte, weil auch ihre Freunde die Schicksalsfrage mit Ja beantworteten. Darüber berichteten wir im ersten Teil unserer Serie „ Jetzt erst recht!“. Heute geht es um Leonore Knoches Mann Karl-Heinz. Er ist Geschäftsführer der Akademie der Diakonie und ein Paradebeispiel dafür, dass es im Leben nie zu spät ist für einen Neuanfang. BAD KREUZNACH. Wenn Karl-Heinz Knoche in Rente geht, dann wartet auf ihn eines seiner größten Projekte: Die Doktorarbeit in Pflegewissenschaft. Doch bis dahin hat der 57-jährige Geschäftsführer der Akademie für Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen der „kreuznacher diakonie“ noch viel zu tun. Dass es nie zu spät ist für neue Wege, dafür ist Knoche ein gutes Beispiel. Mit 44 Jahren begann der gelernte Krankenpfleger 1991 ein Fernsonderstudium in Halle. Warum gerade da? „Weil ich dort ohne Ab- 28 itur studieren konnte.“ Die Mittlere Reife, seine Ausbildung zum Pfleger und die langjährige Berufserfahrung reichten da- mals für die Zulassung. Neugier trieb ihn ins Studium. Außerdem wollte er für seine Arbeit an der Akademie seine Defizite in Serienpreis Pädagogik ausgleichen. „Schließlich war ich an der Akademie für pädagogische Inhalte mitverantwortlich.“ blieben in Deutschland nur schlecht bezahlte Jobs als nicht qualifizierte Hilfskräfte in der Pflege. Das berufsbegleitende Studium fiel in eine Zeit, in der es privat um Leben und Tod ging. Seine Frau musste mehrere Operationen über sich ergehen lassen und brauchte zwei Jahre, ehe sie wieder auf den Beinen war. Arbeiten, studieren, sich um die drei Kinder kümmern und jedenTag seine Frau in Mainz besuchen – so sah der anstrengende Alltag aus. „ Jetzt erst recht“ fand Karl-Heinz Knoche die Kraft, an andere zu denken. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bekam er die Probleme und Nöte der Aussiedler hautnah mit, betreute die Diakonie doch damals annähernd 1000 Deutschstämmige. Viele hatten im Gesundheitswesen gearbeitet, aber ihre Ausbildung wurde hier nicht anerkannt. Ihnen Dieses Potenzial brach liegen zu sehen, ärgerte Karl-Heinz Knoche. Er entwickelte einen neunmonatigen Kurs, bei dem die Aussiedler mit den Bedingungen und Anforderungen der Berufe sowie den Strukturen des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik vertraut gemacht werden. Der Kurs ist insbesondere für Frauen und Männer gedacht, die ihre Ausbildung in der ehemaligen Sowjetunion, in Rumänien oder in Polen gemacht haben und die staatliche Anerkennung als Krankenschwester oder Hebamme erlangen wollen. Diese Schulung ist einmalig in Rheinland-Pfalz und wird von der Agentur für Arbeit gefördert. Karl-Heinz Knoche sagt: „Anfangs wurde von den Aussiedlern nur ein Berufspraktikum verlangt. Das reicht aber nicht, denn auf der Station bleibt zu wenig Zeit, um die vielfältigen Abweichungen der Gesundheitssysteme aufzuarbeiten.“ Von zentraler Bedeutung ist für Knoche die schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit seiner Schüler. „In den bald 13 Jahren, in denen wir den Kurs anbieten, ist niemand durchgefallen.“ Mehr als 250 Pflegekräfte haben so Dank seiner Hilfe eine berufliche Zukunftsperspektive bekommen. Zu ihnen gehören auch Hebamme Maria Kaiser und Krankenschwester Alicja Kujawski, die den ersten Integrationskurs der „kreuznacher diakonie“ besuchten. Um ihre Geschichte geht es in der nächsten Folge des Reigens. Camilla Ebertshäuser E-Mail an die Autorin: [email protected] Neues Leben begann in fremder Heimat „Jetzt erst recht!“ – Teil 3 des Reigens: Sprache ist alles – das haben Maria Kaiser und Alicja Kujawski als Aussiedlerinnen in Deutschland erfahren In schwierigen Momenten den Mut nicht verlieren: Die Hauptpersonen unserer Serie sagten in solchen Situationen „ Jetzt erst recht!“, waren für andere da oder haben Hilfe angenommen. Gestern stellten wir Karl-Heinz Knoche von der Akademie der „kreuznacher diakonie“ vor. Heute geht es um zwei Frauen, die 1992 bei ihm den ersten Eingliederungskurs für Aussiedler besuchten. BAD KREUZNACH. Zwei Koffer à 20 Kilo – das war alles, was Maria Kaiser von ihrem alten Leben in Tadschikistan blieb. Wohnung, Möbel, Freunde, Haustiere, die Arbeit als Hebamme, alles hatte die damals 27-jährige Deutschstämmige 1989 für den Traum der Eltern von der Rückkehr in die Heimat aufgegeben. Auch die in Polen aufgewachsene Alicja Kujawski wagte den Schritt und fing in Deutschland ein neues Leben an. Beide Frauen bereuen ihre Entscheidung nicht, auch wenn die Ernüchterung zunächst groß war. Denn schnell wurde klar: Willkommen waren sie als Aussiedlerinnen hier nicht bei allen. Ihr ganzes Leben lang hatte Maria Kaisers Eltern die Sehnsucht nach Deutschland nicht losgelassen. Daheim wurde immer Deutsch gesprochen, obwohl es verboten war. „Mein Vater hat bestimmt 20 Ausreiseanträge gestellt. Immer wurden sie abgelehnt“, sagt die 42-Jährige. „Es war kein schlechtes Leben“, schildert die Hebamme. „Wir hatten zu essen und zu wohnen, aber ich vertraute meinen Eltern, dass wir nach Deutschland gehören.“ Nationalistische Probleme kamen hinzu: „In Tadschikistan wurden wir als Russen angesehen und gehasst.“ 29 Ausgezeichnete Beiträge Erst mit Gorbatschows Perestroika wurde der Traum von der „Heimkehr“ Wirklichkeit. Mit den Eltern, ihrem Mann und den zwei Kindern flog Maria Kaiser im Oktober 1989 nach Frankfurt. Ihre Schwester war ein paar Wochen früher ausgereist. „Alle zusammen oder gar nicht – das war die Maxime.“ An das gelobte Land erinnerte in Deutschland zunächst wenig. Die Familie kam in einem Übergangswohnheim in Osnabrück unter, später durfte sie nach Bad Kreuznach weiterreisen. Hier hatte sich die Familie ihrer Schwester niedergelassen. Im Aussiedlerwohnheim lebten sie zu sechst auf 24 Quadratmetern, und das ein halbes Jahr lang. „Anfangs habe ich viel geweint, aber ich wusste, es gibt kein Zurück mehr“, erzählt Maria Kaiser. Auch Alicja Kujawski erinnert sich an die schwere Anfangszeit: „Man gibt alles auf, was man sich aufgebaut und schwer erarbeitet hat.“ Sie kam 1987 mit 24 Jahren als Erntehelferin bei der Lese in die Kreuznacher Gegend – eigentlich nur für vier Wochen. „Ich blieb vor allem wegen der Liebe in Deutschland und aus wirtschaftlichen Gründen.“ Sie erkannte, dass sie mit der gleichen Arbeit hier viel besser leben konnte als in Polen. Da ihr Großvater Deutscher ist, konnte sie als Aussiedlerin bleiben. Die Ein Leben, wie es Gott gefällt und den Menschen „Jetzt erst recht!“ – Teil 4 des Reigens: Der Leiter des St. Marienwörth lässt sich von Etatkürzungen nicht ausbremsen – „Es gibt tausend Möglichkeiten, der Not zu begegnen“ Anderen in schwierigen Momenten beizustehen, erfordert Mut und Ausdauer. Die Helden unserer Serie haben in solchen Situationen „jetzt erst recht!“ gesagt, sind für andere da oder haben Hilfe angenommen. Gestern ging es um die Geschichte von zwei Aussiedlerinnen, die im Krankenhaus St. Marienwörth arbeiten. Der heutige Beitrag zeigt, wie ihr Chef, Bruder Bonifatius Faulhaber, auch ohne große Etats Neues auf die Beine stellt. 30 Entscheidung fiel nicht leicht, ließ sie doch die Eltern und ihre Geschwister in Danzig zurück. Bis zu einem ersten Wiedersehen vergingen zwei Jahre. Beide Frauen besuchten zunächst einen Deutschkurs, dann absolvierten sie ein halbes Jahr lang ein Praktikum in einem Krankenhaus. Noch heute denkt Maria Kaiser gerne an die Zeit im Kreißsaal der Diakonie zurück. „Ich bin so nett aufgenommen worden; die Kollegen dort haben mir damals richtig auf die Beine geholfen.“ Dann ging es an die Arbeitssuche. Dabei half ihnen der erste Integrationskurs fürAussiedler an der Akademie für Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen der „kreuznacher diakonie“. Obwohl ihre Ausbildungen als Hebamme und Krankenschwester damals anerkannt wurden, ergriffen sie gerne die Chance, die das Arbeitsamt ihnen bot und besuchten den Eingliederungskurs. „Ich konnte davon nur profitieren“, erklärt Maria Kaiser. „Auch wenn ich meine Arbeit kann, musste ich doch den Frauen mitteilen können, was ich von ihnen will. Man muss die Sprache beherrschen. Ohne geht es nicht.“ Die Betreuung durch die Akademie und die theoretischen und praktischen Einheiten empfand sie als sehr hilfreich. Vor allem die gesetzlichen und versicherungstechnischen Grundlagen hätte sie allein BAD KREUZNACH. „Wo Not ist, gibt es tausend Möglichkeiten, ihr zu begegnen.“ Dieses Motto lebt Bruder Bonifatius Faulhaber. Einsparungen, kürzere Verweildauer der Patienten, starke Reglementierung durch die Kostenträger – die Zeiten sind denkbar schlecht für Initiativen und Investitionen. Doch vor solchen Unbilden schreckt Bruder Bonifatius nicht zurück. Wo er Missstände sieht, geht der 37-Jährige sie an – unbürokratisch und schnell. Von Finanzierungsschwierigkeiten lässt er sich nicht zurückhalten. „Man sollte dem Geist freien Lauf lassen, Lösungsmöglichkeiten finden sich immer.“ Wie aber bringt Bonifatius Faulhaber seine Rolle als Krankenhausdirektor und Chef von 520 Mitarbeitern mit der Demut zusammen, die ihm als Geistlicher auferlegt durch ein Praktikum nicht gelernt. Alicja Kujawski bestätigt: „Dieser Kurs war ein Glücksfall. Und mit Herrn Knoche und seinen Mitarbeitern hatten wir immer einen Ansprechpartner.“ Beide fanden im Krankenhaus St. Marienwörth eine Arbeit und sind heute noch dort beschäftigt. Maria Kaiser war nie wieder in Tadschikistan. „Ich bin jetzt hier zu Hause.“ Alicja Kujawski aber besucht ihre Familie in Danzig mindestens ein Mal im Jahr. Dort leben möchte sie jedoch nie mehr. „Das Gefälle ist so extrem geworden. Es gibt nur noch ganz reich oder ganz arm.“ Viele Bekannte leiden Hunger, Löhne werden nicht regelmäßig ausgezahlt. Mit den beiden Töchtern spricht Alicja Kujawski polnisch. „Es schadet niemandem, mehrere Sprachen zu können. Das eröffnet den Kindern vielleicht auch bessere Berufschancen.“ Dass Ausländer und Aussiedler im Mitarbeiterkreis des Krankenhauses St. Marienwörth so nett aufgenommen werden, führen die Frauen auch auf den Führungsstil von Krankenhausdirektor Bruder Bonifatius zurück. Dem findigen Franziskanermönch ist die nächste Folge der Serie „ Jetzt erst recht!“ gewidmet. Camilla Ebertshäuser E-Mail an die Autorin: [email protected] ist? Er lacht. „Ich kann nur dann Dinge wirklich verändern, wenn ich in einer Leitungsfunktion bin“, argumentiert Bruder Bonifatius. „Und Macht kann etwas Positives sein, wenn ich mit der richtigen Wertehaltung lebe.“ Gerade für ihn als Franziskaner ist die Arbeit im Team wichtig. Er sieht sich nicht als alleiniger Macher, sondern will die Mitarbeiter in die Verantwortung nehmen. „Ich begegne den Menschen auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes und verstehe es als Auftrag zu sehen, wo bei Mitarbeitern Fähigkeiten und Talente liegen, die es zu entwickeln gilt.“ Das Gesamtziel, das er seinem Haus vorgibt, ist hochgesteckt: Den Patienten des St. Marienwörth will er Heimat und Gebor- Serienpreis genheit bieten. Jeder Kranke soll in seiner Situation wahrgenommen und geschätzt werden. „Wenn ich kein hohes Ziel habe, dann strenge ich mich auch nicht an, es zu erreichen“, sagt der Krankenhauschef. Bruder Bonifatius möchte dem St. Marienwörth durch seine Person ein Gesicht geben. Auch darum trägt er auf der Arbeit immer den Habit. „Damit symbolisiere ich, dass ich zu einer Glaubensgemeinschaft gehöre.“ Und die Sandalen schätzt der Pragmatiker, weil sie bequem sind. Mit den selbst gestrickten Socken von der Oma wird ihm auch im Winter nicht frisch um die Füße. Nur bei Schnee wechselt er zu Stiefeln. Das Leben in der Wohngemeinschaft mit sechs Glaubensbrüdern empfindet er als positives Korrektiv. Denn durch die hohe Arbeitsbelastung komme das geistliche Leben manchmal zu kurz. Er bedauert das, denn das ist „die Quelle, aus der ich schöpfe“. Drei Mal pro Tag treffen sich die Franziskaner zum Gebet. Taucht er mal nicht auf, machen ihn die anderen darauf aufmerksam. „Wir stärken und tragen uns gegenseitig und möchten Zeugnis davon ablegen, was am christlichen Glauben positiv ist. Als Single in einer Penthouse-Wohnung könnte ich meine Arbeit – glaube ich – nicht machen.“ Er genießt es, sich abends mit den Brüdern auszutauschen und ein Glas Wein zu trinken. Als ein gesellschaftliches Problem riesigen Ausmaßes hat Bruder Bonifatius die Zunahme bei Demenzerkrankungen erkannt. Alleine im Kreisgebiet gibt es 2000 Betroffene mit einer mittelschweren bis schweren Demenz. Die Politik begegnet diesem Phänomen laut Faulhaber nicht schnell genug und nicht angemessen. Viele demente Patienten werden aus dem Krankenhaus nach Hause oder ins Altenheim entlassen, wo man die wünschenswerte Pflege ohne Unterstützung kaum leisten kann. Das führe bei manchen Betroffenen zu Aggressivität, mit der Folge, dass die Dementen in die Psychiatrie eingewiesen, dort oft sediert werden und sich in der Folge eine Lungenentzündung holen können. „Dann landen sie wieder bei uns. Dieser Teufelskreis muss aufgebrochen werden“, sagt Bruder Bonifatius. Auch will er die Familien unterstützen, die einen Angehörigen daheim pflegen. Damit sie das auf Dauer leisten können, brauchen sie Momente der Ruhe. So kam die Idee einer Tagesstätte für Demenzkranke auf. Zusammen mit dem Caritasverband wurde das Projekt in kürzester Zeit umgesetzt. Zudem wurde ein Netzwerk Demenz gegründet, in dem 23 Sozialinstitutionen vertreten sind. Berührt hat den Franziskaner auch die große Trauer, die Eltern empfinden, wenn ihr Kind viel zu früh auf die Welt kommt und stirbt. Für den Mann Gottes entsteht Leben bereits beim Zeugungsakt. Nicht bestattungspflichtige Tot- und Fehlgeburten sind für ihn deshalb kein biologischer Sondermüll, sondern Menschen, die eine Bestattung verdienen. Für diese kleinen Toten hat Bruder Bonifatius einen Teil des Grabfeldes auf dem Stadtfriedhof, das für die Franziskanerbrüder und Mägde Mariens vorgesehen ist, als Ruhestätte einrichten lassen. Väter und Mütter haben seitdem einen Ort zum Abschied nehmen. „Das ist ganz wichtig, 31 Ausgezeichnete Beiträge denn viele Paare sind nach einer solchen Erfahrung traumatisiert und tun sich schwer damit, sich für ein weiteres Kind zu entscheiden“, weiß Bruder Bonifatius. Eine Mutter, deren zu früh geborenes Kind vor wenigen Wochen auf der von Bruder Bonifatius eingerichteten Ruhestätte begraben wurde, stellen wir in der morgigen Folge unserer Serie vor. Camilla Ebertshäuser E-Mail an die Autorin dieser Folge: [email protected] Trauer um das tote Kind kennt keinen Richtwert Auch ihre beiden gesunden Kinder hätten sich noch einen Bruder oder eine Schwester gewünscht. Ihr kleiner Sohn kommt in die Küche. Er versteht nicht, dass seine Mutter gerade nicht gestört werden möchte. „Als ich nach der Fehlgeburt oft geweint habe, hat er sich einfach auf meinen Schoß gesetzt und mich umarmt“, erzählt die Frau. Ihre vierjährige Tochter schimpfte auf den „lieben Gott“, der böse sei, weil er ihnen ihr Geschwisterchen weggenommen habe. Baby, und ich habe es beim Ultraschall gesehen“, sagt sie mit Nachdruck. Sie weiß gar nicht mehr, wie oft sie diesen Satz schon gesagt hat. Für das Verhalten ihrer Verwandten, die mit Unverständnis auf ihre Trauer reagiert hatten, hat sie nur noch bittere Worte übrig. „Jetzt erst recht!“ – Teil 5 des Reigens: Eine junge Mutter fand nach einer Fehlgeburt Trost an der Ruhestätte für Tot- und Fehlgeburten – Das Verständnis für ihre Trauer fehlt Eine Initiative einzelner kann vielen helfen. Im vorigen Teil unseres Reigens haben wir Bruder Bonifatius porträtiert. Er und die junge Frau, die wir heute vorstellen, kennen sich nicht. Sie sind aber auf besondere Weise miteinander verbunden. Die Frau hat ein Kind durch eine Fehlgeburt verloren; der Bruder ist Initiator einer speziellen Ruhestätte, an der sie um ihr ungeborenes Kind trauern kann. BAD KREUZNACH. Zwei Blätter, bedruckt mit Versen, liegen auf dem Küchentisch. „Ich bin eigentlich kein Mensch, der schreibt oder dichtet, aber im Krankenhaus kam es einfach von selbst“, sagt die junge Frau. Es ist ihr unangenehm, jemandem die Texte zu zeigen, die in den unvergessenen Momenten entstanden sind, in denen sie nicht wusste, wohin mit ihren Gedanken. Mein Tränenkanal ist leer, ich habe keine Tränen mehr. Mein Baby in meinem Bauch gestorben, das ist – für mich – als gäb’s kein Morgen. Es sind einfache Verse, nur für sie selbst geschrieben und Ventil für alle Gefühle, die sie seit ihrer Fehlgeburt nicht loslassen. Schon sprudelt die Geschichte um den Verlust ihres Babys wie von selbst aus ihr heraus, so, als müsste sie sie wieder und wieder erzählen. Es tut so weh, so schrecklich weh. Ich fühl mich so leer, als ob ein Teil von mir zusammen mit meinem Baby gestorben wär. 32 Die Mutter erlebte im August schon ihre zweite Fehlgeburt. Nachdem sie das erste Mal ein Kind verloren hatte, wurde sie kurz darauf wieder schwanger mit ihrem Sohn. „Nach der ersten Fehlgeburt habe ich im Krankenhaus viel geweint, aber mich nicht länger damit auseindergesetzt.“ Erst ein Jahr später, nachdem der Alltag mit den beiden Kindern eingekehrt war, wurde sie depressiv. „Ich wäre morgens gar nicht mehr aufgestanden und hätte mir die Decke über den Kopf gezogen, wenn die Kinder nicht gewesen wären“, sagt sie. Zusammen mit einer Psychologin fand sie schließlich heraus, dass ihre unverarbeitete Trauer um das verlorene Kind die Ursache war. Ich bin allein, allein mit meiner Trauer, um mich herum ist eine hohe Mauer von Unverständnis und Ignoranz anstatt Zuspruch, Mitgefühl und Akzeptanz. Als sie zum zweiten Mal ein Kind verlor, nahm sie sich das Recht zu trauern. Wie ist die Beziehung zu einem ungeborenen Kind, das man noch nicht kennt? In dieser Frage liegt vermutlich die Ursache für das Unverständnis vieler Menschen im Umgang mit trauernden Müttern. Die Reaktion der jungen Frau auf meine Frage hilft beim Verstehen. Sie wirkt gekränkt, beginnt zu weinen und wischt sich vergeblich die nicht enden wollenden Tränen aus dem Gesicht. Doch sie will weitersprechen, gerade jetzt, an diesem entscheidenden Punkt. „Es war ein fertiges Reiß Dich zusammen, schließlich hast Du ja zwei gesunde Kinder, für die Du da sein musst, die Dich brauchen: Wie können mich meine Kinder über den Verlust meines Babys hinwegsehen lassen, wo ich doch gerade an ihnen jede Sekunde sehe, was ich mit meinem Baby nie erleben werde? „Als ich beim zweiten Mal im Krankenhaus war, wollte ich mir von niemandem mehr diese Sprüche anhören. Also hat mich niemand besucht“, erzählt sie. Die fehlende Anteilnahme an dem Verlust ihres Kindes spürt sie bis heute. „Das passiert eben, und es geht weiter“, umschreibt sie die Haltung vieler. Ein Satz einer Angehörigen hat sich ihr besonders ins Gedächtnis eingebrannt: „Es ist nichts so schlimm, dass es nicht für was gut sei.“ Beim Trauern helfen Kalendersprüche wenig. Ich will den falschen Trost nicht hören, er soll meine Trauer nur stören. Er hilft nicht und ist auch nicht so gedacht, er ist nur für die Unsicherheit der anderen erbracht. Nach der zweiten Fehlgeburt wollte die Mutter keinen Kompromiss eingehen. Ihr Kind sollte wie jeder Mensch beerdigt werden. Von anderen Frauen erfuhr sie, dass es auf dem Stadtfriedhof eine Ruhestätte für Fehlgeburten und totgeborene Kinder gibt. Auch die Trauer kennt in Deutschland Richtwerte. Bei Ungeborenen liegt er bei 500 Gramm – darüber ist der Leichnam ein Kind, darunter ist er Sondermüll und wird mit dem Krankenhausabfall entsorgt. Für die junge Mutter eine unerträgliche Vorstellung. Serienpreis Auf dem besonderen Friedhof, den der Krankenhausleiter Bruder Bonifatius Faulhaber einrichten ließ, sollte nun auch ihr verlorenes Kind bestattet werden. (...) und ich will glauben und hoffen, es gibt irgendwo, irgendwas, irgendwen, der mein Baby in Liebe zu sich nehm(...) Sie fragte die Ärzte und Schwestern nach diesem Ort. Schließlich kam Krankenhausseelsorger Pfarrer Ulrich Laux zu ihr, der zusammen mit Pfarrer Martin Reese von der „kreuznacher diakonie“ zu der jährlichen Gedenkfeier an der Ruhestätte für Fehlgeburten auf dem Bad Kreuznacher Friedhof einlädt. Meine Unterhaltung mit der jungen Mutter findet nur wenige Tage vor der Bestattung ihres Kindes statt. Ihr Mann hat sich für diesen Tag frei genommen und die beiden wollen gemeinsam zur Feier gehen. „Das Abschiednehmen hat mir bei der ersten Fehlgeburt gefehlt. Jetzt habe ich einen Ort, an dem ich trauern kann“, sagt die Frau. Dafür, dass es diesen Ort gibt, haben sich mehrere Menschen engagiert: Das Seelsorgerteam um Pfarrer Laux griff Bruder Bonifatius’ Idee für die Ruhestätte auf. Die Särge für die Kinder spendet der Bad Kreuznacher Bestatter Bernd Geyer, den Grabstein stiftete das Unternehmen Kaszuba. In der nächsten Folge der Serie erklärt Ulrich Laux, wie dieses und andere Projekte Wirklichkeit wurden. Rena Lehmann 33 Ausgezeichnete Beiträge Kommentar Der Mensch, ein Status Rena Lehmann zum Umgang mit Fehlgeburten Fehlgeburten sind keine Seltenheit, und doch hört man wenige Frauen darüber sprechen. Es scheint eine Art stillschweigenden Konsens in ihrem Umfeld darüber zu geben, dass eine Fehlgeburt keine Tragödie ist. Nach dem Motto „Auf ein Neues!“ wird der Todesfall, den eine Fehlgeburt unmissverständlich bedeutet, sogar von nahen Verwandten zur Lappalie erklärt. Ob aus Unbeholfenheit oder mangelndem Verständnis entstanden, die Reaktionen haben Folgen: Betroffene leiden häufig – auch wegen der fehlenden Aussprache – unter Depressionen. Es sind die Folgen unverarbeiteter Trauer. Eine Fehlgeburt ist ein Todesfall, allen Betroffenen sollte auch die Anteilnahme zukommen, die beim Tod eines wenige Monate alten Babys selbstverständlich ist. Die Ruhestätte ist ein solches Zeichen der Anteilnahme, das den toten Ungeborenen den „Status“ Mensch verleiht. Muttergefühle „Soziale Verantwortung muss man lernen“ „Jetzt erst recht“ – Teil 6 des Reigens: Ein Interview mit Krankenhausseelsorger Ulrich Laux über soziales Engagement und die Bedeutung von Zusammenarbeit in Netzwerken Hilfe funktioniert selten im Alleingang – erst recht nicht in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen. Krankenhausseelsorger Ulrich Laux ist überzeugt, dass private Netzwerke und öffentliche Einrichtungen an einem Strang ziehen müssen, um soziales Miteinander zu ermöglichen. Mit Hilfe vieler ist auch die Ruhestätte für Fehlgeburten in Bad Kreuznach entstanden, die gestern Thema der Serie war. Dazu ein Interview mit Ulrich Laux. kennen keine Richtwerte. Für eine Frau ist das heranwachsende Geschöpf in ihrem Bauch von Anfang an ihr Kind. E-Mail an die Autorin: [email protected] Hintergrund Nicht bestattungspflichtig Eine Fehlgeburt ist nach dem Personenstandsgesetz ein totgeborenes Kind mit einem Geburtsgewicht unter 500 Gramm, es ist nicht bestattungspflichtig. Die Gewichtsgrenze ist 1994 von 1000 auf 500 Gramm gesenkt worden. Das weniger als 500 Gramm wiegende Kind wird nicht in das Personenstandsbuch des Standesamtes oder das Familienbuch eingetragen. Hat das Kind nach der Scheidung vom Mutterleib Lebensmerkmale wie Herzschläge, eine pulsierende Nabelschnur oder eine natürliche Lungenatmung gezeigt, handelt es sich – unabhängig vom Gewicht des Kindes – um eine Lebendgeburt, auch wenn das Kind kurz darauf verstirbt. Dann wird es wie jedes lebende weiteren ist es auch ein Zeichen für die Welt, in der wir leben. Die christlichen Krankenhäuser sind der Auffassung: Leben ist Leben von Anfang an. Ab 500 Gramm sind Kinder ja bestattungspflichtig. Uns interessiert das Gewicht nicht. Es ist ein Kind, ein wirkliches Kind, das auch eine Würde hat. Funktioniert Kirche noch als Träger von Werten? Insbesondere bei Ihrer Arbeit? Ich glaube, dass ein Krankenhaus, wenn es von Christen geführt und geleitet wird, eine Botschaft hat und für Werte steht. Wir lassen durch unsere persönliche Einstellung deutlich werden, dass es nicht nur ums Finanzielle geht und darum, dass der Laden läuft. Das gibt gerade in unserer heutigen, pluralen Landschaft ein Profil. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Bedeutung der Ruhestätte für Tot- und Fehlgeburten? Was sind das für Werte, für die Sie bei Ihrer Arbeit stehen? Wichtig ist, dass die Menschen einen Ort haben, an dem sie trauern können und wissen: Hier ist mein Kind begraben. Des Im Krankenhaus ist es mir wichtig, die Würde des Menschen zu achten, dem Schwachen beizustehen, Verständnis zu 34 Kind im Geburtenbuch eingetragen und auch bestattet. Der gesellschaftliche Umgang mit Totund Fehlgeburten unterliegt seit Jahren einem Wandel. Eine bundesweite Elterninitiative erreichte in den 90er-Jahren die namentliche Beurkundung von Totgeburten im Geburten- und Familienbuch. Für die Betroffenen bedeutete dies die Integration des totgeborenen Kindes in den Familienverbund. Die Forderungen der Initiative Regenbogen gehen noch weiter. Die organisierten Eltern wollen ein Bestattungsrecht für Fehl- und Totgeburten und den Mutterschutz nach einer Fehlgeburt erreichen. Außerdem setzt sich die Initiative für die Einrichtung weiterer Grabfelder ein. Größere Sensibilität für die Anliegen der trauernden Eltern hat auch Regionalvertreterin Heike Pieroth-Groß beobachtet. Ihre Gruppe trifft sich jeden dritten Donnerstag im Kolpinghaus der katholischen Kirche in Alzey, Telefon: 06731/4 58 88. Die Initiative hat auch eine Internetseite: www.initiative-regenbogen.de bewahren. Auch im Sterben sollte Würde liegen. Gibt es für Sie Momente in Ihrer Arbeit, in denen Sie sagen oder denken: „Jetzt erst recht“? Ja, da gibt es viele Beispiele. Unabhängig von der Konfession eines Patienten werde ich manchmal in schwierigen Situationen gerufen. „Nein, wir wollen den Pfarrer nicht hier haben. Wir sind aus der Kirche ausgetreten“, sagen dann manche Angehörige. Das sind Situationen, in denen ich nicht zurückweiche, sondern sage, „ Jetzt erst recht“. Ich gehe rein und die Leute erleben mich als kompetenten Gesprächspartner in einer schwierigen Situation. Das ändert oft das Bewusstsein der Menschen, weil sie ein Schema im Kopf haben, auf Grund ihrer Erfahrungen mit Kirche. Sie begegnen in Ihrer täglichen Arbeit als Krankenhausseelsorger häufig Menschen, die hoffnungslos sind. Wie vermittelt man eine positive Perspektive? Serienpreis Schon die Tatsache, dass die Menschen jemandem begegnen, der sie ernst nimmt und zuhört, hilft. In solchen Gesprächen gibt es immer einen Teil, wo jeder für sich selbst verantwortlich ist, für sein Leben und für die Zukunft. Ich bin ein Mensch, der Hoffnung hat und langen Atem – in vielen Situationen –, der Leute lange Zeit begleitet, die dann auch wieder Fuß fassen. Das Gespräch über die Ursache der Hoffnungslosigkeit verhilft oft dazu, sich neu zu sortieren und eine neue Perspektive zu sehen. Damit beginnt der Blick der Hoffnung aus der Hoffnungslosigkeit. Es ist Ihr Beruf, anderen zu helfen. Haben Sie beobachten können, dass die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement sich wandelt? Ich glaube, dass die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement da ist. Bei jenen besonders, die selber schon einmal in einer Situation waren, in der sie jemanden brauchten. Oft ist sie motiviert durch persönliche Betroffenheit und durch eigene Erfahrungen. Solche Leute gibt es. Insgesamt hat die Bereitschaft abgenommen, aber an vielen Stellen merken Leute langsam, dass sie mit dem alleine Leben und im „für sich Spaß“ und „Leben in Fülle“ haben an ein Ende kommen. Jeder beginnt darüber nachzudenken, dass es eine soziale Verantwortung gibt, die man damit nicht findet, sondern in verbindlich gelebter Freundschaft bekommt. Das wird uns allen aufgehen. Wenn ich in eine schwierige Lage komme, brauche ich verbindliche Beziehungen. Der Spruch „Der einzige Weg, einen Freund zu finden, ist der, selbst einer zu sein“ stimmt. Wie würden Sie Ihre Motivation für Ihre Tätigkeit als Krankenhausseelsorger beschreiben? Ich bin selbst krebserkrankt und weiß, wie das ist, wenn man so krank ist und nach neuen Perspektiven sucht. Ich weiß, wie sehr ein gutes Lebensfundament, das im Glauben gegründet ist, hilft. Ich lebe mein Leben so, dass ich nicht alles auf später verschiebe. Seit meiner Erkrankung versuche ich, immer mehr hier und jetzt zu leben. Welche Rolle spielen Netzwerke in Ihrer Arbeit? Ich bin für verschiedene Krankenhäuser mit verschiedenen Trägern zuständig. Das macht mich schon zum Wanderer zwischen verschiedenen Welten. Jedes System 35 Ausgezeichnete Beiträge entwickelt eine Eigendynanik. Es ist unbedingt nötig, dass es Leute gibt, die die einzelnen Systeme kennen und darüber hinaus Verbindungen schaffen. So entsteht Zusammenarbeit. Wenn man nur in einem System arbeitet, ist die Gefahr groß, dass man blind für Anderes wird. Heute haben wir in Bad Kreuznach mehrere Netzwerke. Wir brauchen sie, um gesellschaftlich angemessen auf Situationen reagieren zu können. In Zeiten knapper Kassen bedeutet das auch Energien zu bündeln ? Richtig, man muss sehen, dass nicht jedes System alles selber macht. Man muss die Arbeit anderer Gruppen nicht als Konkurrenz betrachten, sondern als bereichernd und ergänzend. In Bad Kreuznach funktionieren Netzwerke offensichtlich. Könnte noch etwas verbessert werden? Wir brauchen dieses soziale Engagement, dieses Interesse am anderen noch mehr als in der Vergangenheit. Weil es zunehmend Menschen gibt, die hierher ziehen und niemanden kennen. Es braucht ein gewisses Interesse am anderen, zum Beispiel in der Nachbarschaft. Ich nenne ein Beispiel: Wir haben in den Kirchengemeinden eine Telefonkette gebildet. Äl- Das helfende „Herzblatt“ der Armen der Stadt „Jetzt erst recht!“ – Teil 7 des Reigens: Von der Sozialhilfeempfängerin zur Helfenden – Maria Bennacer hat in der Tagesstätte Reling eine neue, berufliche Erfüllung gefunden Wenn viele Köpfe an einer Idee arbeiten, kann Außergewöhnliches entstehen. In der vorigen Folge unseres Reigens erklärte Pfarrer Ulrich Laux im Interview, wie der Treffpunkt Reling für Obdachlose und Bedürftige aufgebaut wurde. Das Projekt lebt von Spenden und der Hilfe von Menschen wie Maria Bennacer. Die ehemalige Sozialhilfeempfängerin hat in der Arbeit für andere bei der Reling Selbstverwirklichung und neuen Sinn gefunden. BAD KREUZNACH. „Spannbetttücher und dicke Pullover brauchen Sie? Das fin- 36 tere Menschen haben sich morgens angerufen und gefragt wie es geht. So hat eine einsame, ältere Dame wieder am Leben teilgenommen. Ein Netzwerk, das beinahe jeder hat, ist die Familie. Funktioniert es noch? Die Anonymität nimmt zu. Da wir in einer Zeit hoher Mobilität und Veränderung leben – das bemerkt man zum Beispiel daran, dass man häufig seine eigenen Nachbarn nicht mehr kennt – muss man sich stärker selbstverantwortlich organisieren. So wie man seine Arbeit organisiert, so braucht man auch Sozialraum-Organisation. Man braucht Freunde und dafür muss man Zeit investieren. Freunde, die wirklich beistehen. Dann können auch Menschen im Alter zufrieden und in schwierigen Lebenslagen existieren. Wie kann man Netzwerke und soziales Engagement anstoßen? Ich glaube, dass soziale Verantwortung nicht automatisch in die Wiege gelegt wird, sondern dass sie gelernt werden muss. Ich habe einen Vortrag in einer Oberstufenklasse über meine Arbeit gehalten. Die Schüler haben dann in einem Praktikum den Menschen in einem Altenheim geholfen. Das hat den jungen Leu- det sich bestimmt. Irgend etwas haben wir immer.“ Maria Bennacer legt den Hörer auf und strahlt. „Ich danke Gott, dass ich diesen Job bekommen habe.“ Seit zwei Jahren arbeitet sie im Treffpunkt Reling, dem Tagesaufenthalt für Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Über das Programm „Arbeit statt Sozialhilfe“ kam die einstige Sozialhilfeempfängerin und allein erziehende Mutter hierher. Einen Euro Lohn gab es in der Stunde, trotzdem füllte die Arbeit sie aus – und tut es noch, denn „ich helfe einfach gerne“. Der alte Mann, der soeben anrief, kann krankheitsbedingt das Haus nicht verlassen. Nach Dienstende wird Maria Bennacer zu ihm fahren und ihm die gewünschten Sachen bringen. Die 45-Jährige ist gelernte Friseurin, kann aber wegen einer Allergie nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten. Nach der Trennung ten die Augen geöffnet. Man muss einen solchen Einblick in ein anderes Leben oder System gewinnen, um überhaupt zu sehen, wie es dort ist, was die anderen brauchen und wie sie leben. Damit erweitert man nicht nur den eigenen Horizont, sondern gewinnt ein neues Gefühl für Leben und Zusammenleben. Ein Beispiel dafür, dass man auch ohne Geld und feste Strukturen helfen kann, ist die Obdachlosenhilfe Reling, die sie selbst mit aufgebaut haben. Wie stellt man so ein Projekt auf die Beine? Als ich noch Pfarrer in der Kreuzkirche war, habe ich Obdachlosen immer Päckchen mit Butterbroten gegeben. Aber das reichte nicht. Also haben wir mit vielen anderen Institutionen der Stadt 2001 die Reling gegründet. Seitdem läuft das Projekt – ohne regelmäßige Zuschüsse, allein mit Spenden. Dass soviele verschiedene Träger wie Stadt, ArbeiterSamariter-Bund und Kirchen so etwas leisten, war ein absolutes Novum. Aber es funktioniert. Die Fragen stellte Rena Lehmann Wie in der Tagesstätte für Wohnungslose geholfen wird, zeigen wir morgen in einem Porträt von Maria Bennacer. von ihrem algerischen Mann war die Not groß. Wochenlang hat sie sich mit ihrer kleinen Tochter von Nudeln ernähren müssen. Mal gab’s die mit Zimt und Zucker, mal mit Apfelmus. Kleidung hat sie günstig beim Roten Kreuz bekommen. „Wir hatten ein Dach über dem Kopf, Wasser und Strom. Es gibt andere, denen geht es viel schlechter“, relativiert Maria Bennacer ihre damaligen Probleme. „Man kann einfach nicht mehr ausgeben als man hat.“ Man merkt der resoluten Frau die Scham darüber an, dass sie für eine Übergangszeit auf Sozialhilfe angewiesen war. „Meine acht Geschwister haben alle eine abgeschlossene Berufsausbildung und Arbeit. Ich war das schwarze Schaf der Familie. Ich bin nicht so erzogen, dass man vom Staat abhängig ist.“ Obwohl sie auch eine Stelle als Bürokraft in Aussicht hatte, entschied sie sich nach einem Gespräch mit Schwester Irmgard, der Leiterin der Reling, für die Tages- Serienpreis stätte. Hier etwas für Menschen in Not tun, erschien ihr sinnvoller als am PC zu sitzen. Und: „Langeweile ist hier noch nie aufgekommen.“ Ihr angeborenes Helfersyndrom hat Maria Bennacer auf ein gesundes Maß reduziert. Sich zu distanzieren, das war ein Lernprozess: „Ich habe mich anfangs verrückt gemacht, weil mir die Probleme der Menschen so zu Herzen gingen und ich ihnen helfen wollte.“ Maria Bennacer ist ein offener Mensch und hatte von Anfang an keine Berührungsängste. Sie begegnet allen Gästen mit Respekt und einer unerschütterlichen guten Laune. Auseinandersetzungen gibt es trotzdem manchmal, „aber ich habe mir ein dickes Fell zugelegt und nehme das nicht persönlich. Ich weiß: Aus vielen spricht in solchen Momenten die Sucht.“ Frühstück vorbereiten, Essen kochen und ausgeben, Kleider sammeln, Spenden von Firmen und Bürgern annehmen – die Auf- gaben sind vielfältig. Das Wichtigste an Maria Bennacers Arbeit jedoch sind die Gespräche. „Manchmal braucht mich jemand einfach zum Zuhören.“ Die Gäste sind Drogenabhängige, Alkoholiker, Kranke, Arbeitslose oder Rentner, bei denen das Geld einfach nicht ausreicht, um auch am Ende des Monats noch einkaufen zu können. Kinder können in der Reling kostenlos essen, Erwachsene zahlen einen Euro. Von 8 bis 13 Uhr können die Besucher sich aufwärmen, reden, frühstücken oder zu Mittagessen. Am Wochenende ist der Treffpunkt geschlossen. Maria Bennacer freut sich über die große Hilfsbereitschaft von Privatleuten und Firmen zur Weihnachtszeit. Die Reling lebt ausschließlich von Spenden. „Und wir können auch wirklich alles gebrauchen, egal ob Töpfe, Geschirr, Möbel oder Kleidung.“ Der Bedarf ist groß: Bei der Lebensmittelausgabe dienstags kommen etwa 50 Personen. Maria Bennacer hat einen einjährigen Arbeitsvertrag. „Was danach ist, wird man sehen“, sagt sie. Dass sie stets auf die Füße fallen wird, davon ist sie überzeugt. „Arbeit statt Sozialhilfe“ hat ihr Glück gebracht. „Die Frau war hochmotiviert, wieder in Arbeit zu kommen“, erinnert sich Raimond Meiborg vom Sozialamt. Er lernte Maria Bennacer vor zwei Jahren kennen. Die unermüdliche Frau hat er nicht vergessen, denn ihre Geschichte macht Mut, auch für seine Arbeit. Er ist heute Koordinator für Ausbildung und Arbeit für Jugendliche. Warum bei seiner Arbeit auch im hoffnungslosesten Moment immer etwas geht, ist morgen Thema der achten Folge unseres Reigens. Camilla Ebertshäuser E-Mail an die Autorin: camilla.ebertshä[email protected] 37 Ausgezeichnete Beiträge Wege aus dem sozialen Abseits weisen „Jetzt erst recht!“ – Teil 8 des Reigens: Jugendhelfer Raimond Meiborg gibt keinen Jugendlichen auf – Für viele findet er ein Sprungbrett in die Zukunft Einige Helden unserer Serie führte das Leben in eine Sackgasse. In solchen Momenten einen neuen Weg zu finden, erfordert Kraft. Gestern erzählten wir in unserem Reigen, wie Sozialhilfeempfängerin Maria 38 Bennacer in der Reling einen Job bekam, der sich als Berufung entpuppte. Gefunden hat sie ihn mit Hilfe des Projekts „Arbeit statt Sozialhilfe“. Menschen wie Raimond Meiborg leisten dafür im Sozialamt Außergewöhnliches. KREIS BAD KREUZNACH. „ Jetzt erst recht!“ zu sagen, ist für Raimond Meiborg, Koordinator für Arbeit und Ausbildung im Sozialamt, Teil seines Jobs. Zu ihm kommen Jugendliche, die selbst oft gar keine Motivation oder den Willen mehr aufbringen, ihr Leben in die Hand zu neh- men. Sie haben nicht nur keine Arbeit und keine Ausbildung, sie können sich oft auch auf keinerlei Unterstützung ihrer Familien verlassen. Bei vielen kommen Drogenprobleme, Schulden oder Kriminalität hinzu. Perspektivlosigkeit entsteht aus dieser Kette von Ursachen. Beim immer tieferen Fall in die Ausweglosigkeit fängt Raimond Meiborg auf. „Irgendwas kriegen wir immer hin“, sagt er. Aus seinem Mund klingt das überzeugend. „Irgendwas“ ist im besten Fall ein Ausbildungsplatz. Manchmal ist aber auch Serienpreis eine Weiterbildung, ein Schulabschluss oder ein Gelegenheitsjob Sprungbrett in die berufliche Zukunft. „Es kann nicht sein, dass ein junger Mensch schon kapituliert, bevor sein Leben überhaupt richtig begonnen hat.“ Raimond Meiborg versprüht Optimismus, ist aber dennoch Realist: „Die Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär gibt es nicht.“ Die kleinen Erfolge zählen: Einen Beruf erlernen, einen Arbeitsplatz finden. Bei Aydin Gülcan ist der Koordinator optimistisch. Die 19-jährige Türkin ist zum ersten Mal bei ihm in der Beratung. „Es ist mir peinlich, zum Sozialamt zu kommen. Aber jetzt bin ich den ersten Schritt gegangen“, sagt sie. Geschichten wie die von Aydin Gülcan hört Raimond Maiborg häufig. Sie hat ihre Lehre als Bäckereifachverkäuferin in ihrer Heimatstadt abgebrochen und ist zu ihrer Schwester nach Bad Kreuznach gezogen. Ihr Betrieb hätte sie gerne behalten. Es waren familiäre Probleme, die sie flüchten ließen. „Das passiert häufiger bei türkischen jungen Frauen, die sich nicht dem Diktat ihrer Familie beugen wollen“, erklärt Meiborg. Er nennt Aydin Gülcan zunächst die für sie wichtigsten Anlaufstellen: Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur, damit sie als arbeitssuchend gemeldet ist, die Adresse einer Zeitarbeitsfirma. Und einen Tipp für einen Gelegenheitsjob. Außerdem soll sie sofort anfangen, sich bei Bäckereien zu bewerben. Sie hat gute Referenzen, ein gutes Zeugnis. „Die Frau wird ihren Weg ge- Ein einsamer Start in der Fremde „Jetzt erst recht!“ – Teil 9 des Reigens: Der Kurde Resul Celik (24) hat neun Jahre auf seine Anerkennung als Flüchtling gewartet Hilfe und Solidarität sind keine leeren Worte. Das beweisen die zwölf Menschen, die wir in unserem Reigen „ Jetzt erst recht“ vorstellen. Heute geht es um den Kurden Resul Celik, der als Kind vor Angst und Terror nach Deutschland flüchtete. Derzeit versucht Raimond Meiborg vom Sozialamt, den wir gestern porträtierten, dem 24Jährigen eine Stelle zu besorgen. Nach neun Jahren wurde jetzt dem Asylgesuch des jungen Mannes statt gegeben. hen“, sagt Raimond Meiborg schon nach dem ersten Gespräch. So sicher ist er sich allerdings selten. Häufig sind es Jugendliche mit den schwierigsten Biografien, die zu ihm kommen. Hinter einer miserablen Schulkarriere ohne Abschluss verbergen sich oft menschliche Katastrophen. „Deshalb funktioniert es nicht, einfach zu sagen: Komm, jetzt machst Du mal einen Schulabschluss“, sagt Raimond Meiborg nachdrücklich. Um wirklich zu helfen, muss er viel mehr über den Jugendlichen wissen. Den richtigen Ton für unangenehme Fragen hat er gefunden. Kleine Verbrechen, Drogenkonsum, Gewalt in der Familie – alle Umstände muss er kennen, um den Jugendlichen in sein Netzwerk einzubinden. Raimond Meiborg kennt die anderen Helfer in der Stadt. Innerhalb kürzester Zeit kann er seinen Klienten an das Ausländerpfarramt, das Frauenhaus Café Bunt, die Suchtberatung der Caritas oder die Schuldnerberatung vermitteln. Außerdem pflegt er Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern. „Wenn keine Bewerbung funktioniert hat, muss man eben versuchen, die Leute über ein Praktikum zu vermitteln.“ Viele Arbeitgeber seien bereit, sich auf diese Art auch einen Bewerber mit schlechten Schulnoten anzusehen. Der erste Schritt ist damit getan. Während eines Praktikums bleibt der Koordinator mit der Firma in Kontakt. „Ich kenne meine Jugendlichen. Wenn ich weiß, jemand schafft es nicht alleine, gehe ich auch mit.“ BAD KREUZNACH. Resul Celik wuchs in einem Dorf in der Südosttürkei auf und arbeitete schon mit sieben Jahren als Viehhirte. Eine Schule besuchte er nie. Angst und Terror dominierten seinen Alltag. Denn Resul ist Kurde, und um ihn herum wütete der Krieg zwischen türkischer Armee und der PKK. Die Zivilbevölkerung stand hilflos zwischen den Konfliktparteien. Während die PKK versuchte, Jungen und Mädchen als Kindersoldaten zwangszurekrutieren, wollten die türkischen Sicherheitskräfte die Dorfjugend wiederum zu Milizen, zu so genannten Dorfschützern, machen. Resul Celik bekam mit 13 Jahren von einem Soldaten eine Kalaschnikow in die Hand gedrückt, um die Bewohner gegen die Guerilla-Kämpfer zu verteidigen. Spielt jemand allerdings überhaupt nicht mit, schlägt Meiborg auch einmal härtere Töne an. Manchmal ist sanfte Gewalt besser als Verständnis – aber aufgeben würde er keinen. Dazu weiß er selbst viel zu gut, wie haltlos und auch einsam man sich ohne berufliche Perpektiven fühlen kann. Vor sechs Jahren musste der gelernte Kaufmann eine betriebsbedingte Kündigung hinnehmen und damals selbst einen Neuanfang aus dem Nichts wagen. Einige Monate später fing er beim Sozialamt als Obdachlosen- und Asylbewerberberater an. Vor vier Jahren hat er „Sprungbrett“ aufgebaut und will heute nichts anderes mehr machen. „Meine Arbeit gibt mir den absoluten Sinn. Ich komme von hier und kann etwas für meine Stadt tun. Wer tut das schon in seinem Job?“ Die wichtigste Qualifikation für die heutige Tätigkeit hat er als Mitarbeiter in der Vertriebsabteilung bei seinem früheren Arbeitgeber erworben: die Fähigkeit zu kommunizieren. Damit hat er sich sein dichtes Netzwerk an Helfern in der Stadt erschlossen. Mitten in diesem Netzwerk befindet sich derzeit Resul Celik. Der 24-jährige Kurde ist gerade mit Hilfe von Raimond Meiborg auf Jobsuche. Er ist die Hauptperson der nächsten Folge unseres Reigens am Montag. Rena Lehmann E-Mail an die Autorin: [email protected] „Ich wollte aber niemanden umbringen, weder Türken noch Kurden. Da muss man überlegen, was man tut.“ Die Familie legte daraufhin ihr Geld zusammen und zahlte einen Schlepper dafür, den Jugendlichen außer Landes zu bringen. Zum damaligen Zeitpunkt konnten Minderjährige ohne Visum nach Deutschland ausreisen. Noch heute merkt man Resul Celik die Panik an, die ihn am Flughafen in Istanbul erfasst: „Der Mann, der mich hingebracht hatte, war plötzlich verschwunden.“ Alleine bestieg er das Flugzeug und landete wenige Stunden später in seinem neuen Leben. Ein Bekannter der Familie holte ihn ab, Unterkunft gewähren wollte er ihm aber nicht. Stattdessen brachte er den inzwischen 14- 39 Ausgezeichnete Beiträge Jährigen in die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Ingelheim. „Es war schwer. In den ersten Wochen habe ich viel geweint und konnte nichts essen.“ Später kam er in das Kinder- und Jugendheim Niederwörresbach der „kreuznacher diakonie“. Zwei Jahre lang lebte er dort und nahm an einem Deutschkurs teil. Aber auch im Heim besuchte er keine Schule. Bis heute kann der junge Mann nur bruchstückhaft schreiben und lesen. Bei allen Formularen, die auszufüllen sind, benötigt er Hilfe. Der 24-Jährige bedauert, dass es für Asylbewerberkinder keine Schulpflicht gibt. Resul ist ein ernster und nachdenklicher junger Mann. „Ich hätte gerne eine Berufsausbildung gemacht“, sagt er. Weil sich aber sein Anerkennungsverfahren über neun Jahre hinzog, war dies nicht möglich. Erst vor wenigen Monaten wurde er offiziell als Flüchtling anerkannt. Jetzt endlich darf er eine feste Stelle annehmen. Bisher hat er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten müssen. Großen Spaß hat ihm ein Praktikum beim Service-Team Bau der „kreuznacher diakonie“ gemacht. Resul hofft, dass es jetzt aufwärts geht in seinem Leben. Seine Eltern und die fünf Geschwister hat der junge Mann seit zehn Jahren nicht gesehen. In den ersten drei Jahren hatte Resul gar keinen Kontakt zur Familie. „Wir hatten kein Telefon daheim auf dem Dorf, ich konnte nicht schreiben, und meine Eltern wussten nicht, wo ich war.“ Die Vormundschaft übernahm im Dezember 1995 Ausländerpfarrer Siegfried Pick, dessen formelle Aufgabe es war, dafür zu sorgen, dass das Asylverfahren angemessen betrieben wurde. Die eigentlich rein rechtliche Beziehung hat sich längst zu einer Freundschaft entwickelt. „Ich vertraue Sigi; ihm kann ich alles erzählen. Er ist wie Vater und Mutter für mich“, sagt Resul Celik. Mehr über Siegfried Pick gibt es in der nächsten Folge unseres Reigens. Camilla Ebertshäuser E-Mail an die Autorin dieser Folge: camilla.ebertshaeuser@ rhein-zeitung.net 40 Hintergrund Die Kurden 14 Jahre dauerte der Krieg der türkischen Armee gegen die Guerilla-Truppen der militanten kurdischen Arbeiterpartei PKK. Den Bürgerkrieg bezahlten mehr als 30 000 Menschen, darunter viele Zivilisten, mit ihrem Leben. Hunderttausende kurdische Bauern wurden zu Flüchtlingen gemacht. Ende 1997 veröffentlichte die türkische Zeitung Milliyet die Ergebnisse einer offiziellen Erhebung über die Verwüstungen entlang der Grenzen zu den Kurdengebieten im Iran, Irak und Syrien. Eine Untersuchungskommission des türkischen Parlamentes zählte 3184 zerstörte oder zwangsevakuierte kurdische Dörfer und Siedlungen. Direkt davon betroffen seien 364742 Menschen. Tatsächlich waren es weitaus mehr. Hunderttausende flohen nach Diyarbakir, an die Mittelmeerküste nach Adana oder Mersin oder in die westtürkischen Großstädte Istanbul und Ankara. Die meisten hausen dort in Elendsquartieren. Zehntausende Kurden suchten in Deutschland, Schweden, Belgien und in den Niederlanden Schutz. Quelle: Gesellschaft für bedrohte Völker Resul Celik ist als Jugendlicher alleine von der Türkei nach Deutschland geflüchtet. Seitdem hat er seine Eltern und seine Geschwister nicht mehr gesehen. Serienpreis Der Respekt vor dem Anderssein „Jetzt erst recht!“ – Teil 10 des Reigens: Im Ausländerpfarramt vermittelt Siegfried Pick zwischen den Kulturen – Er ist längst nicht mehr nur Theologe Netzwerke helfen bei der Integration. Die zwölf Helden unserer Serie haben Netzwerke gebildet oder fanden – als sie selbst Hilfe brauchten – Rückhalt in sozialen Initiativen. Der 24-jährige Kurde Resul Celik, dessen langer Weg zum Aufenthaltsrecht gestern Thema in unserem Reigen war, fand solche Hilfe bei Ausländerpfarrer Siegfried Pick. Für den Geistlichen ist Integration nur durch die Zusammenarbeit vieler Menschen möglich. BAD KREUZNACH. Das Ausländerpfarramt in der Kurhausstraße ist ein offenes Haus. Pfarrer Siegfried Pick sitzt hier in einem großen, hellen Büro. Ständig klingelt das Telefon, immer wieder kommt jemand kurz herein, stellt Fragen oder nimmt einfach Platz vor einem der zahlreichen PCs im Nebenraum. Seit einigen Monaten gibt es hier ein Internetcafé speziell für Migrantinnen, die den Umgang mit dem Computer selbstständig und unter Anleitung lernen können. Viele Menschen gehen selbstverständlich ein und aus, man kennt sich. Siegfried Pick lässt sich nicht stören, sitzt während unseres Gesprächs lässig in seinem Stuhl und sieht eigentlich überhaupt keinen Anlass dafür, dass jemand über ihn und seine Arbeit in der Stadt einen Bericht schreiben möchte. Wohl, weil das, was er tut, ihm schon so selbstverständlich erscheint, dass es keiner besonderen Erwähnung bedürfte. Schließlich macht er seine einzigartige Arbeit im Süden der Landeskirche schon 16 Jahre. Siegfried Pick ist Ausländerpfarrer und als solcher Ansprechpartner für alle Menschen, die aus fremden Ländern nach Bad Kreuznach kommen und ein neues Leben beginnen – gleichgültig welcher Konfession. Siegfried Pick hat sein ganzes Leben in der Region um Bad Kreuznach verbracht. „Eigentlich merkwürdig, als Ausländerpfarrer...“, sagt er selbst und lacht. Aber die Begeisterung für fremde Länder und Kulturen ist ihm anzumerken. Etwa, wenn er von seiner letzten Reise nach Syrien und in den Libanon erzählt. „Das waren spannende Begegnungen mit der arabischen Welt“, schwärmt er. Solche „interkulturellen Begegnungen“ sind oft schwierig, weiß der Pfarrer. Es kommt leicht zu – sprachlich bedingten – Missverständnissen. Wie man damit umgeht, hat Pick in seiner langjährigen Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen gelernt. „Das Wichtigste ist der Respekt vor dem Anderssein“, sagt er. Keiner muss sich seiner Haltung anpassen, um Hilfe zu bekommen. Siegfried Picks Verständnis von Integration ist keines, das von Leitkultur oder Assimilation geprägt ist: In seinen Augen betrifft Integration die ganze Gesellschaft, sie ist ein Wechselspiel. „Immigranten verändern unsere Gesellschaft und sie selbst verändern sich auch.“ Integration endet für ihn nicht mit dem Erlangen der deutschen Staatsbürgerschaft. „Konflikte müssen ausgetragen, Nicht-Verstandenes muss benannt werden.“ Die Bildung von Ghettos hält Pick für fatal. Zu ihm kommen verschiedene Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen. Siegfried Pick ist längst nicht mehr nur Theologe. „Es geht hier um den ganzen Menschen“, betont er. Zu seinen täglichen „Werkzeugen“ gehört das neue Zuwanderungsgesetz genauso wie die Bibel. Buddhisten, Muslime und Christen kommen zu ihm, auch weil sie sich in ihrer neuen Heimat in eine Gemeinde eingliedern möchten. Siegfried Pick vermittelt die Neuankömmlinge weiter: Etwa an die englisch- sprachige Gemeinde aus Afrika oder die kleine französische Gemeinde, die sich sogar im Ausländerpfarramt zu ihren Gottesdiensten à la française trifft. In Asylrechtsfragen ist Siegfried Pick heute Experte. Die Beratung von Migranten ist aber nur ein Teil seiner Arbeit. In der Diskussion um Islamismus trägt er mit Veranstaltungen in Bad Kreuznach zu Aufklärung und Auseinandersetzung bei. Zum Beispiel hat er einen Vortrag über die Kopftuch-Debatte organisiert. Bei aller Offenheit vertritt er klare Positionen: „Integration ist ein Prozess, den wir gestalten müssen, sonst kommen immer wieder gesellschaftliche Probleme wie in den 90er-Jahren auf.“ Nach 30 Jahren „Integrationsverweigerungspolitik“ wird, so Pick, das Zusammenleben mit Ausländern heute endlich gefördert. Dafür setzt er sich nicht nur in seiner Arbeit als Ausländerpfarrer ein: Er ist außerdem im rheinlandpfälzischen Arbeitskreis Asyl aktiv und macht dort die landesweite Öffentlichkeitsarbeit. „Die gesetzlichen Bedingungen werden verschärft und die Rechte von Flüchtlingen eingeschränkt“, meint Pick. Neben aller Ernsthaftigkeit bedeutet seine Arbeit für ihn auch Erfüllung. „Die Tätigkeit mit vielen Menschen macht mir viel Spaß“, sagt Pick. Am Ende ist es auch für einen Ausländerpfarrer gut, an einem Ort verwurzelt zu sein, meint er. Nur so entwickelt sich ein kontinuierliches Arbeiten. 41 Ausgezeichnete Beiträge Siegfried Pick ist Schnittstelle vieler Netzwerke in der Stadt. Der Pfarrer arbeitet mit Ausländerbehörden und Sozialämtern zusammen und kann so jeden zu den richtigen Stellen schicken. Der Netzwerk-Gedanke reicht bei Siegfried Pick bis in die Freizeit. Er ist Vorsitzender des Netzwerks am Turm, Mitstreiter in der Friedensarbeit und bei der Attac-Gruppe aktiv. Bei Attac lernte Siegfried Pick Christel Born kennen. Aus der Bekanntschaft entstand eine Zusammenarbeit. Gemeinsam haben die beiden einen Vortrag über „Internationale Gärten in Bad Kreuznach?“ organisiert. Bisher ist es nur eine Idee, dass Menschen aus verschiedenen Ländern in Bad Kreuznach kleine Gartenparzellen anlegen und Gemüse und Kräuter anbauen. Aber Christel Born hat in der Stadt schon vieles bewegt. Wie sie sich ehrenamtlich für ihre Überzeugungen einsetzt, ist Thema der morgigen Folge des Reigens. Rena Lehmann der Kirchenzeitung Paulinus wollte die kreative Köchin ein Fastenmenü kreieren. Vorgabe: Alle Zutaten mussten entweder aus der Region oder dem fairen Handel stammen. So fand sie vor drei Jahren den Weg in den Weltladen in der Turmstraße. an jedem Samstag vor dem Markthaus der Diakonie aufgebaut ist, organisiert sie mit großer Freude. E-Mail an die Autorin: [email protected] Christel Born macht keine halben Sachen „Jetzt erst recht!“ – Teil 11: Der Reigen schließt sich – 56-jährige Bad Kreuznacherin will ihre Arbeitskraft für sich und für andere einsetzen Heute schließt sich der Reigen unserer Serie „ Jetzt erst recht!“.Wir haben bisher elf Menschen vorgestellt, die anderen in schwierigen Momenten ihres Lebens Mut machten oder selbst Hilfe angenommen haben. Im Reigen des Gebens und Nehmens berichteten wir gestern über Pfarrer Siegfried Pick. Er engagiert sich bei Attac mit Christel Born für fairen Handel und Frieden. „Man kann mehr bewirken als man denkt“, sagt die 56-Jährige. BAD KREUZNACH. Ein großes Haus mit Garten, vier Kinder, ein viel beschäftigter Mann und die Schwiegermutter, um die es sich zu kümmern galt – Christel Born hatte ein ausgefülltes Leben. Als dann aber die drei Söhne und die Tochter groß waren und der Ehemann in Rente ging, suchte sie nach einer neuen Aufgabe. Zunächst überlegte die gelernte Krankenschwester, ob sie zurück in den Beruf gehen sollte. Doch da dies finanziell nicht notwendig war, entschied die Bad Kreuznacherin anders: „Ich will meine Zeit für mich und für andere sinnvoll einsetzen.“ Den Einstieg in das neue Leben empfand sie als schwierig. Zwei Jahre verschlang sie Bücher zu den Gefahren der Globalisierung, zur gesunden Ernährung, zu Politik und Religion. Dann stand für sie fest, dass sie sich im Kleinen in der Stadt engagieren möchte. Ein feuriges Gemüseragout mit Tofu machte den Anfang. Für einen Wettbewerb 42 Faire Preise für gute Arbeit – das wurde schnell ein Thema, das sie interessierte. Zeitgleich wurde sie auf die Lokale Agenda aufmerksam. Hier wirkt sie seither in der Gruppe „Lebensraum Stadt“ mit. Außerdem ist sie die Erste Vorsitzende des RegioMarktes, dessen Ziel es ist, die Region und ihre Produkte zu stärken und dem Verbraucher lokale, saisonale Produkte und Waren aus fairem und ökologischem Handel anzubieten. Den Marktstand, der Faire Produkte aus dem Weltladen verkaufen sie und ihre Mitstreiterinnen zudem freitags auf dem Wochenmarkt. Bewusstes Einkaufen ist Christel Born sehr wichtig, weil man durch kurze Wege für Waren und Verbraucher einen großen Beitrag zum Umweltschutz leisten kann. Doch das ist noch lange nicht alles, wofür sie sich einsetzt. Die leidenschaftliche Pazifistin ist auf Friedensdemonstrationen zu sehen, arbeitet bei Attac mit und ist Mitglied des Netzwerks am Turm. Stolz ist sie auf die Unterschriftenaktion „Gerechtig- Serienpreis keit Jetzt“ von Weltladen und Netzwerk am Turm, bei der mehr als 1000 Menschen mitgewirkt haben. Die 56-Jährige sieht sich selbst als kritischen, aber nicht parteigebundenen Geist. Sie ist überzeugt: „Es bringt nichts, nur zu meckern. Es gibt viele Stellen, wo man was erreichen kann. Ich bin oft erstaunt, wie viel man bewirken kann.“ Ihr Ausgleich ist die Musik. So findet sie die Zeit, im Heilig Kreuz Chor und in der Diakoniekantorei zu singen. Ein Hobby, das sie erst verhältnismäßig spät für sich entdeckt hat, ist das Trompetespielen. „Ein Instrument erlernen war stets mein Wunschtraum.“ Als in der Diakonie ein Posaunenchor gegründet wurde, sollte eines der vier Kinder beitreten. Doch die Lust der Sprösslinge war gering. „Und so bin ich einfach hingegangen und habe gefragt, ob ich mitmachen kann.“ Mit Ende Eine Hand hält die andere Zwölf Menschen sagten in unserer Serie „Jetzt erst recht“: Ermutigende Bilanz zum Weihnachtsfest Zu Weihnachten werden wir mit all jenen Werten und Gefühlen konfrontiert, für die im Alltag des übrigen Jahres oft viel zu wenig Zeit bleibt. Nächstenliebe, Fürsorge, Selbstlosigkeit, Zivilcourage und Güte stehen plötzlich hoch im Kurs. Wir haben in den vergangenen Wochen Menschen porträtiert, die diese Werte leben oder selbst Hilfe erhielten, als sie sie dringend benötigten. Es gibt sie also, die Helden des Alltags. BAD KREUZNACH. In den vergangenen Ausgaben des Oeffentlichen Anzeigers haben wir zwölf Menschen, die symbolisch in einem Reigen stehen, vorgestellt. Sie alle haben eine ausweglose Situation mit einem „ Jetzt erst recht!“ beantwortet und mutig neue Wege gesucht. Viele von ihnen haben anderen Hilfe gewährt, nachdem sie selbst einmal dringend auf die Stütze anderer angewiesen waren. Das Bild der sich haltenden Hände drückt das Weiterreichen der Hilfe aus. Es zeigt, dass Hilfe nicht in die Sackgasse führt, sondern wieder zu ihrem Ursprung zurückkehrt. 30 kam sie so auf die Trompete. Der Spaß am Spielen hält ungebrochen an. Wie bekommt die 56-Jährige alle Aktivitäten zeitlich unter einen Hut? Lachend sagt Christel Born: „Das frage ich mich auch manchmal. Ich bin halt keine Superhausfrau. Mir reicht es, wenn ich die Fenster ein Mal im Jahr putze.“ Die vier Kinder unterstützen ihre Mutter, ihr Mann aber hätte gern mehr von ihr. „Aber halbe Sachen gehen halt nicht.“ „Nicht den Kopf in den Sand zu stecken“, wurde für Leonore Knoche vor allem nach der Zeit ihrer schweren Krankheit am Herzen, in der sie viel Hilfe von ihren Freunden erfuhr, eine Lebensaufgabe. Leonore Knoche ist wie Christel Born in vielen Initiativen für andere Menschen aktiv. Unser Reigen der helfenden Hände schließt sich mit den beiden Frauen, die sich einst zufällig kennen lernten und heute als Freundinnen und Gleichgesinnte zusammenarbeiten. Camilla Ebertshäuser Fragt man Christel Born nach ihrem Traum, so sieht er so aus: „Ich möchte ganz viele Menschen sensibilisieren und gemeinsam anfangen, all das zu ändern, worüber man klagt.“ Einen ganz ähnlichen Standpunkt formulierte Leonore Knoche im ersten Teil unserer Serie. Die beiden Frauen arbeiten heute zusammen im RegioMarkt. E-Mail an die Autorin dieser Folge in unserer Serie: [email protected] Zwischen der ersten Folge über Leonore Knoche und der letzten über Christel Born stehen die unterschiedlichsten Menschen mit ihren Geschichten. Leonore Knoche hatte während einer schweren Krankheit außergewöhnliche Freunde, die ihr halfen. Heute engagiert sie sich selbst für andere und hilft Christel Born im RegioMarkt. „Die Verzahnung der einzelnen Geschichten hat mich sehr erstaunt“, sagte Leonore Knoche über den Reigen. Eine seiner Ideen ist die Ruhestätte für Fehl- und Totgeburten, die die „kreuznacher diakonie“ und St. Marienwörth gemeinsam verwirklichten. Auf die Geschichte der jungen Mutter, die zwei Fehlgeburten erlebt hat und durch die Bestattung ihres Kindes auf dem besonderen Friedhof Trost fand, reagierten vor allem Leserinnen: Nicole Klee aus Hüffelsheim schrieb uns, dass auch sie nach einer Fehlgeburt unter dem Unverständnis ihrer Mitmenschen litt. „Es ist schön zu lesen, dass es Menschen gibt, die Hilfe annehmen oder anderen helfen“, meinte ihr Mann Karl-Heinz Knoche. Der Geschäftsführer der Akademie der Diakonie war der Held der zweiten Folge. Mit Hilfe der Integrationskurse, die er anbietet, um Ausländern den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern, schafften die Hebamme Maria Kaiser und die Krankenschwester Alicja Kujawski den Sprung zum neuen Job im Krankenhaus St. Marienwörth. Manche Menschen unserer Serie kennen sich nicht. „Trotzdem ist eine Gemeinschaft daraus entstanden“, findet Bruder Bonifatius, Krankenhausleiter von St. Marienwörth und fünfter Akteur in unserem Reigen. Er stellt auch in Zeiten knapper Etats neue Projekte auf die Beine. Einen Überblick über den gesamten Reigen der vielen helfenden Hände im Oeffentlichen Anzeiger lesen Sie in unserer Ausgabe an Heiligabend. Krankenhausseelsorger Ulrich Laux, der die junge Frau unseres Berichts anfangs betreute, hatte mit uns über soziale Projekte in der Stadt gesprochen. „Der Reigen macht deutlich, wie viele Formen sozialer Verantwortung es in Bad Kreuznach schon gibt“, sagte er. Mit seiner und der Hilfe vieler Einrichtungen in der Stadt konnte die Tagesstätte Reling für Wohnungslose und von Wohungslosigkeit Bedrohte entstehen. Dort hat die ehemalige Sozialhilfeempfängerin Maria Bennacer einen neuen Job gefunden, der Berufung wurde. Der Reigen zieht Kreise: Nach Erscheinen des Artikels brachten viele Leser Süßigkeiten und Kleidung zur Reling. Ihre neue Arbeit hat Maria Bennacer auch dem Projekt des Sozialamtes der Stadt „Arbeit statt Sozialhilfe“ zu verdanken. 43 Ausgezeichnete Beiträge Die Erfolgsgeschichte von Maria Bennacer macht Jugendhelfer Raimond Meiborg Mut. Er ist heute Koordinator für Arbeit und Ausbildung für Jugendliche, die selbst kaum Motivation aufbringen können, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Viele Eltern haben sich nach Erscheinen des Artikels über Meiborgs Arbeit bei ihm gemeldet. Derzeit sucht er nach Arbeit für den 24-jährigen Kurden Resul Celik, der die Hauptperson der neunten Folge war. Er kam mit 13 Jahren allein nach Deutschland und fand mit Ausländerpfarrer Siegfried Pick weit mehr als nur einen Vormund. „Es gibt noch viele andere Menschen, die auch in so einer Reihe porträtiert werden könnten“, findet der Pfarrer. Er arbeitet in seiner Freizeit bei der AttacGruppe mit. Dort lernte er Christel Born kennen, die bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit entdeckt hat, wieviel sie bewirken kann. Die Menschen unseres Reigen sind Beispiele, die Mut machen. Sie zeigen, dass sich trotz knapper Etats und sozialer Umbrüche noch Solidarität findet und Ideen verwirklichen lassen. Jetzt erst recht! Rena Lehmann 44 Serienpreis Serienpreis Hubert Grundner, Thomas Kronewiter, Andrea Schlaier, Wolfgang Schmidt „Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition“ Süddeutsche Zeitung, 2. 8. – 8. 9. 2005 SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (I) Es herrscht Stiftungsfrühling im Land Allein die Landeshauptstadt hütet derzeit ein Gesamtvermögen in Höhe von 400 Millionen Euro Von Andrea Schlaier Das ist mehr als ein laues Lüftchen. Immer mehr Menschen entdecken das hierzulande bislang unterentwickelte Mäzenatentum für sich. Und dazu zählen nicht mehr allein die üblichen Verdächtigen aus den Reihen des Geldadels. Es herrscht Stiftungsfrühling im Land. In Deutschland haben sich die Neugründungen seit 1990 von 200 auf 800 pro Jahr vervierfacht. Allein die Zahl der von der Stadt München verwalteten Stiftungen stieg 2004 um 20 auf 145. Damit hütet die Kommune nun ein Gesamtvermögen von 400 Millionen Euro. Wer sind die Wohltäter, was treibt sie an und wem kommen die stattlichen Summen überhaupt zugute? Zu mancher Stiftung gibt es Geschichten zu erzählen, die kaum zu glauben sind. Am Boom hat auch die Regierung von Oberbayern teil. Vor wenigen Tagen feierte sie die Aufnahme der 1000. Stiftung in ihrem Bezirk. 61 sind allein 2004 dazugekommen. „Viele der Stifter handeln aus altruistischen Beweggründen“, sagt Ulrich Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Behörde (siehe rechts). „Die sagen, ich hatte Erfolg, mir geht’s wirtschaftlich gut und ich will was an die Gesellschaft zurückgeben.“ Motive also, die in den USA längst zur sozialen Reputation gehören. Doch wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung dokumentiert, besteht die Wohltäter-Szene nicht mehr nur aus dieser bekannten Spezies: Etliche sind zwar gut situiert, jedoch keineswegs vermögend. Die meisten haben vielmehr ein Thema, das sie bewegt und für das sie ihr Geld über den Tod hinaus einsetzen wollen. Schmetz hat die Erfahrung gemacht, dass aus den Geld-Töpfen zunehmend Aufgaben der öffentlichen Hand finanziert werden, „die diese nicht mehr leisten kann.“ Einmal sei das Kultusministerium an seine Abteilung mit der Bitte herangetreten, „ob wir nicht ein modernes Ultraschallgerät für Untersuchungen an Kindern im Herzzentrum zahlen könnten.“ Die Heinz-Nixdorf-Stiftung ist eingesprungen. „Das Gros des Vermögens“, sagt Katharina Knäusl, eine von zwei Leiterinnen der Münchner Stiftungsverwaltung, die das Geld gemeinsam mit der Stadtkämmerei anlegt, „fließt bei uns in sozial zweckgebundene Projekte, die größtenteils vom Sozialreferat betreut werden.“ Vergangenes Jahr kamen mehr als 10 000 Menschen, darunter überwiegend Senioren, Kinder, Kranke, Behinderte und Alleinerziehende, in den Genuss der Erträge. Zusätzlich wurden 80 gemeinnützige Einrichtungen unterstützt. Die kommunale Stiftungsverwaltung hat in München seit knapp 800 Jahren Tradition. Eine der ersten und größten Einrichtungen ist die „Heiliggeistspital-Stiftung“, die Herzog Ludwig I., der Kelheimer, 1208 neben der Heilig-Geist-Kirche gründete und die seither mildtätige Zwecke verfolgt. 45 Ausgezeichnete Beiträge Zu ihrem Eigentum zählt unter anderem der Forst Kasten samt eigenem Biergarten. Eine vergleichsweise private Angelegenheit ist dagegen die Unterstützung von Bruno Döllner für „arme alte Frauen in München“. Knäusl interpretiert sein Engagement so: „Deren Schicksal kannte er wohl noch aus eigener Erfahrung nach dem Zweiten Weltkrieg.“ „Oberstes Gebot“ ist für die Verwalterin der Stifterwille. Da spendet ein Heimatverbundener München schon mal Geld für einen Brunnen an seinem Lieblingsplatz in der Stadt und steuert als Anzahlung noch den eigenen Oldtimer bei. Nicht immer „zur hellen Freude der Verwandtschaft“. Im schlimmsten Fall erfahren das Knäusl und ihre zwölf Mitarbeiter bei der Beerdigung der Stifter, mit denen sie bis zum Tod in engem Kontakt gestanden haben. „Leider gibt es immer wieder unschöne Situationen, wenn Angehörige, die enttäuscht sind, weil sie nichts erben, versuchen, das Testament anzufechten.“ Gern werde damit argumentiert, dass der oder die Wohltäterin nicht mehr zurechnungsfähig gewesen sei, weil sie etwa „im Négligée auf dem Balkon gesungen hat. Das hatte nichts mit Verwirrung zu tun, so war die Frau ein Leben lang.“ Einige wenige versuchten dann übers Gericht an Geld zu kommen. „Wir hatten in den letzten 13 Jahren vielleicht zwölf solcher Prozesse geführt“, sagt Knäusl. Und keinen verloren. Wertgegenstände und Immobilien. Denn nur, wenn ausreichend Ertrag erwirtschaftet wird, kann einem Engagement dauerhaft nachgekommen werden. Schmetz rechnet vor: Grundkapital kann zurzeit für drei Prozent angelegt werden. Das macht einen Ertrag von 1500 Euro pro Jahr. „Das reicht halt nicht zur Rettung des Abendlandes.“ Hat auch nicht jeder vor. Aber eindeutig muss der Zweck von Rechts wegen sein. Steuerbegünstigt wird nur, was dem Gemeinwohl dient. Grundsätzlich kann jeder, der geschäftsfähig ist, Stifter werden. Organisatorisch schreibt der Gesetzgeber eine Stiftungsverwaltung vor, die die Belange nach außen vertritt; das kann auch der Wohltäter selbst übernehmen. Die Leiterin der Stiftungsverwaltung München, Katharina Knäusl, gibt zu bedenken: „Die Frage ist aber, wer die Aufgabe nach dem Tod des Stifters fortführt.“ Rechtsfähige Stiftungen sind selbst Träger von Rechten und Pflichten. In Abgrenzung dazu werden nicht rechtsfähige treuhänderisch verwaltet, zumeist von einer juristischen Person wie einer Kommune oder Kirche. Bei der Stadt München, die beide Bereiche abdeckt, ist die Stelle im Sozialreferat angesiedelt. Die Mitarbeiter legen das anvertraute Vermögen in Kooperation mit der Stadtkämmerei an. 2003 wurde zusammen mit zwei Kapitalgesellschaften überdies ein Stiftungsfonds in Form eines Investmentfonds aufgelegt. Dieser ermöglicht auch alternative Anlagemodelle über Darlehen und Pfandbriefe hinaus. Ansprechpartner Bundesverband Deutscher Stiftungen (www.stiftungen.org), Telefon 030/89 79 47-0; Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern (www.stiftungen.bayern.de), Telefon 2176-2707; Stiftungsverwaltung der Stadt München, Telefon 233-25 646. ands Der Spender selbst hat keinen Zugriff mehr aufs Geld. Ein Mitspracherecht kann er sich aber sichern, wenn er sich in die Stiftungsverwaltung mit einbinden lässt. Die übergeordnete Kontrolle übernimmt die staatliche Stiftungsaufsicht, die für alle rechtsfähigen Formen zuständig ist. ands Stifter kann jeder werden Der Konsul als Bettelmann Steuerbegünstigt wird nur, was dem Gemeinwohl dient Schon Otto Eckarts Vater verhalf Kindern zu Spielplätzen Man braucht keine Millionenbeträge, um eine Stiftung zu gründen. Weniger als 50000 Euro sollten es aber nicht sein, sagt Ulrich Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern. Dazu zählen auch Von Renate Winkler-Schlang einzusetzen, dass Kinder schöne Plätze zum Spielen und Toben haben, dass sie korrekt Deutsch lernen oder einfach mal in den Ferien wegfahren dürfen? Bei Otto Eckart ist das ein besonderes Erbe. Sein Vater Werner war 1961 Mitgründer des „Münchner Vereins für Kinderspielplätze und Grünanlagen“. Dies blieb in der Familie: 1990 wurde der Sohn zum neuen Vorsitzenden gewählt. Die Zeiten für Vereine seien schwieriger geworden, sagt Eckart. Stiftungen könnten mehr Publizität erreichen, würden ernster genommen, weil sie stärker der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Einer Stiftung überlasse man eher ein Vermächtnis. Staatsanwälte verhängen eher Bußen zugunsten eines guten Stiftungs-Zwecks. Stiftungen seien weniger von Personen abhängig. Der Verein aber bestehe noch: Er arbeite heute der Stiftung als Förderverein zu, erklärt Eckart. 26 Einzelpersonen und Firmen wie das Bankhaus Reuschel, Roland Berger oder Rohde und Schwarz hat Eckart 2002 zum Start jeweils 5000 Euro Einlagen abgefordert. Seitdem folgten viele weitere Bittbriefe um Geld oder Bilder und Pretiosen, die sich versteigern lassen: „Man gewöhnt sich ans Betteln“, sagt Eckart. Heuer habe er den Tsunami gespürt: „Viele Spenden flossen da hin.“ Ihm ist bewusst, dass angesichts von acht Prozent Kindern in Sozialhilfe-Haushalten die Arbeit seiner Stiftung „nur ein Mosaikstein“ sein könne, „aber ein wichtiger.“ 100 000 Euro habe man 2004 ausgegeben und nun zwei kleine Jubiläen gefeiert: Am Neudeck sei der 220. Spielplatz eingeweiht worden, zu dem die Münchner Kindl-Stiftung beigetragen hat – das ist etwa ein Drittel aller städtischen Plätze. Damit hat Eckarts Stiftung vier Millionen Euro Fördervolumen voll gemacht. Unterstützt werden etwa auch der Zirkus „Trau Dich“, das Projekt „Lichtblick“ am Hasenbergl oder der Zirkus Lilalu. Neu ist heuer das Engagement für das Ferienprogramm der Stadt. „Wir schauen genau, wem wir was geben.“ Renate Winkler-Schlang 46 Wie kommt ein Honorarkonsul von Guatemala und ehemaliger Pfanni-Knödel-Fabrikant dazu, sich in seiner Freizeit dafür Serienpreis Keiner kommt vorbei an Oberamtsrat Ulrich Schmetz heblich aus. Seither sind Ausgaben zur Förderung gemeinnütziger Stiftungen steuerlich abzugsfähig und mindern damit das steuerpflichtige Einkommen des Spenders. Wer sich einen Einblick in das Münchner Wohltäter-Spektrum verschaffen will, kommt an ihm nicht vorbei. Ulrich Schmetz sitzt seit 1988 in der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern. In der Zeit stieg die Zahl der Einrichtungen im Bezirk von knapp 300 auf 1000, die Hälfte davon mit Sitz in München. „Seit dieses Engagement mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, haben wir einen Boom.“ Die Steuerrechtsreform von 2000 wirke sich nicht ganz uner- Der Zweck heiligt dann aber doch nicht jedes Mittel. In seiner Dienstzeit sind dem Oberamtsrat nicht nur exotische Stiftungen, sondern auch „wilde Vögel“ untergekommen. Wie der „junge Mann mit der dynamischen Stimme am Telefon“. Der war zum Zeitpunkt des Anrufs 29 Jahre alt und „hatte den Anspruch, jüngster Stifter Oberbayerns zu werden.“ Der Verwaltungsakt sollte noch vor seinem 30. Geburtstag unter Dach und Fach sein. Noble Mäzene und schräge Vögel „Wir haben uns also beeilt und natürlich zur Feststellung des Stiftungsvermögens einen Kontoauszug verlangt“. Die erforderlichen 50 000 Euro, sagt Schmetz, „waren da verzeichnet“. Als die Stiftung an den Start ging und das Geld abgerufen werden sollte, war das Konto leer. Die Details hat Schmetz von der Kripo erfahren: „In der Zwischenzeit hat der junge Mann eine Vielzahl von Events veranstaltet und dafür immer mit dem Namen der Stiftung geworben.“ Vom eingenommenen Geld sicherte er seinen Lebensunterhalt. Aus dem vermeintlich jüngsten wurde der kurzfristigste Stifter Oberbayerns. ands SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (II) Der morbide Charme verliert seinen Reiz Die „Stiftung Sozialstation Berg am Laim und Trudering“ will den Bognerhof zum modernen Seniorensitz machen Von Renate Winkler-Schlang Ein üppig blühender Bauerngarten bringt Abwechslung ins Straßenbild. Die rote Kletterrose an der Südwand ist schon 80 Jahre alt, das ist unter alten Truderingern überliefert. Doch die verblichen-blauen Fensterläden hängen schief, die Fassade ist fleckig. Der historische Bognerhof hat eher morbiden Charme. Längst müsste die Eigentümerin, die „Stiftung Sozialstation Berg am Laim und Trudering“, das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert sanieren. Aber hier und da ein wenig neue Farbe, das wäre laut Helmuth Baur-Callwey, dem Vorsitzenden des Stiftungsrates, „nur Kesselflickerei“. Die Stiftung will mehr: Der Bognerhof soll zum attraktiven Wohnsitz für Truderinger Senioren werden. Altengerechte Appartements sind geplant an der Truderinger Straße 293. Einfach ist das alles nicht für Stiftungsrat und -vorstand – ein Drahtseilakt zwischen Denkmalschutz und Finanzierungsrisiken. Nur eines ist sicher: Bedarf besteht im Stadtteil. Am Anfang stand Robert Peklo. Der pensionierte Richter gründete im März 1970 den Förderverein „Krankenpflege und Sozialdienst Berg am Laim“. Die Berg am Laimer Sozialstation war der erste konkrete Erfolg. Von gemieteten Wohnungen oder Provisorien aus versorgte man schnell auch Pflegebedürftige in Trudering mit ambulanter Hilfe. Peklo war ein großer Baustein-Verkäufer: So konnte „seine“ Sozialstation 1980 eigene Räume an der Berg-am-Laim-Straße 141 beziehen. Wieder zehn Jahre später mietete der Verein den Bognerhof für eine Dependance im Nachbarbezirk. Nach drei weiteren Jahren hatte der Gründer genug Mittel zusammengebracht, um auch die- ses Domizil für den Verein kaufen zu können. Zur Sicherung des Vereinsvermögens wurden die beiden Immobilien dann 1994 als Grundstock in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht. „Das war alles vor unserer Zeit“, sagen der Verleger Helmuth Baur-Callwey, und die Vorstände der Stiftung, der WebDesigner und gelernte Sozialpädagoge Bernd Hüller und Meike Großer, im Hauptberuf Geschäftsführerin der beiden Sozialstationen. Peklo hinterließ ihnen einerseits die moralische Verpflichtung, mit dem Stiftungskapital im Sinne 47 Ausgezeichnete Beiträge des Stiftungszwecks umzugehen: „Pflege und Hilfe für kranke, ältere und sonst hilfsbedürftige Menschen“. Andererseits muss man wirtschaftlich arbeiten. Nur: Ein Teil des Vermögens – der Bognerhof – verfällt, wenn nichts geschieht. Bekannt ist das seit langem: Einsatzleiterin Anni Breiling und ihr Team aus Krankenschwestern und Pflegern trifft sich seit Jahren in den niedrigen, im Winter zugigen Räumen der Truderinger Zentrale. Sie wollen trotz aller Unbill hier bleiben, im Herzen des Stadtteils, in einem Haus, das die Senioren lieben – vielleicht, weil es sie an Zeiten erinnert, als Gebäude neben dem Gebrauchswert auch noch das Gefühl der Menschen ansprachen. Dennoch musste etwas mit dem Rest des Hauses, mit dem Stadl geschehen. Die legendären Feste des örtlichen Burschenvereins alleine reichten nicht aus, diese Holz-Hülle sinnvoll zu nutzen. Kommunalpolitiker wussten vor einigen Jahren schon Abhilfe: Trudering hat bis heute kein eigenes Alten- und ServiceZentrum, in dem Senioren sich treffen und beraten lassen können. Als für die benachbarte neue Messestadt, in die zunächst hauptsächlich junge Familien zogen, eines geplant war, gingen sie auf die Barrikaden: Der gewachsene Stadtteil warte schon so lange – und habe sicherlich mehr Alte. Die Stadtviertelpolitiker stellten fraktionsübergreifend Anträge. Die damalige FDP-Stadträtin Heidrun Kaspar sammelte einträchtig gemeinsam SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (III) Glücksgriff des Liebhabers Die „Hermann Hauser Guitar Foundation“ will der Gitarre bei Freunden der Klassik zu höherem Ansehen verhelfen Von Marco Eisenack Hermann Hauser gilt als Stradivari der Gitarrenbauer. Anfang des 20. Jahrhunderts fertigte er Gitarren, die heute im New Yorker Metropolitan Museum hinter Glas liegen. Für die Instrumente des gebürtigen Münchners werden in den USA bis zu 200000 Dollar gezahlt. „In Japan und Ame- 48 mit Hans Podiuk von der CSU Unterschriften. Doch die Stadtratsmehrheit entschied anders. Schließlich war die Messestadt ein Renommierprojekt, dem es an nichts fehlen sollte. Dann sollte im Bognerhof eine Alten-WG entstehen. Die damaligen Stiftungsräte legten ein Konzept vor, hatten aber offenbar Schwierigkeiten, genügend Fördergelder aufzutreiben. Die Idee jedenfalls scheiterte ebenso wie später die einer Pflegestation für Demente. Baur-Callwey, Hüller und Großer holten sich Rat beim Verein „Urbanes Wohnen“. Gemeinsame, offenbar tragfähige Idee: eine Hausgemeinschaft alter Menschen in jeweils eigenen Appartements. Voraussichtlich 14 solcher barrierefreier Alterswohnsitze mit angeschlossener Pflegemöglichkeit durch die Sozialstation im Haus könnte man in dem alten Gemäuer unterbringen. Die Stiftung will dabei nun nicht länger nur auf eigene und auf Fördermittel setzen, sondern auch auf eine solide Fremdfinanzierung. Derzeit wird geklärt, ob eine kleine Hypothek zur Sanierung dieser Immobilie oder Einlagen von Privaten eher stiftungskonform sind, denn „Gewinne“ dürfen Stiftungen keinesfalls machen. Ein erster Aufruf im lokalen Anzeigenblatt bestätigte inzwischen den Bedarf. Die Resonanz war riesig. Kein Wunder: Trudering hat bisher kein Seniorenheim. Die Stiftung will sich weiteres Knowhow von außen holen. Im Ge- rika gehen die Leute in die Knie, wenn sie den Namen hören“, sagt Klaus Wolfgang Wildner, „hier ist Hauser nur Eingeweihten ein Begriff“. Der Gitarrensammler Wildner versteht nicht, warum München seinen berühmten Sohn nicht würdigt: „Das ist ein Drama. Wenn wir schon so eine Tradition haben, sollten wir sie pflegen.“ Seit April nimmt Wildner die Lobbyarbeit selbst in die Hand. Gemeinsam mit dem Hauser-Enkel Hermann Hauser III., der noch heute Gitarren für Weltstars der klassischen Gitarre baut, gründete er die „Hermann Hauser Guitar Foundation“. Eine Stiftung, die sich zur Aufgabe macht, dem Instrument in der klassischen Musik einen höheren Stellenwert zu verschaffen. Vor sechs Jahren wusste auch Wildner, Geschäftsführer einer Akademie für Medien spräch ist sie derzeit mit dem Verein „Nachbarschaftliches Leben für Frauen im Alter“ und der Genossenschaft „Wogeno“. Peklo hat Baur-Callwey und Hüller zu Zeiten in die Stiftung geholt, als dieses Ehrenamt noch mit einer einzigen Sitzung im Jahr erledigt war. Nun müssen sie mit den verschiedensten Stellen verhandeln von Stadt über Architekt bis Bank und Denkmalamt und tragen eine große finanzielle Verantwortung. „Am liebsten“, sagen sie lachend, „wäre uns jetzt ein großer Stifter“. Auch Spenden sind steuerbegünstigt Nicht immer muss es eine aufwändige Zustiftung sein: Auch Spenden ist für Stiftungszwecke möglich. „Man kann auf jede Art sein Geld loswerden“, signalisiert Katharina Knäusl von der städtischen Stiftungsverwaltung. Herausfinden muss der Wohltäter nur, welche Stiftung er fördern möchte. Die Kontaktaufnahme mit der jeweiligen Stiftung, gegebenenfalls der Stiftungsverwaltung, empfiehlt sich deshalb – schon um Bank und Konto herauszufinden. Die eigentliche Spende kann als Überweisung erfolgen. Vermerken darf der Spender beispielsweise auf seinem Überweisungsträger auch, ob sein Geld dem Grundstockvermögen zugeführt oder für konkrete Projekte ausgegeben werden soll. Auch Spenden, betont Knäusl, seien besonders steuerbegünstigt. tek und Musik, nicht viel über die Münchner Instrumentenbau-Dynastie. Dann entdeckte er in einem Schaufenster eine heruntergekommene Quintbassgitarre. Der Erwerb des langhalsigen Saiteninstruments war ein Glücksgriff: Er hatte einen Hauser-Quintbass von 1922 gekauft. Ein tief klingendes Instrument, von dem Hauser in seinem Leben von 1882 bis 1952 nur drei Stück gebaut hat. Der 42-jährige Gitarrenliebhaber mit dem Ansatz zum Beatles-Pilzkopf ist ein ungewöhnlich junger Stifter. Als er bei der Regierung von Oberbayern seinen Antrag stellte, hatte er den Eindruck, „die freuten sich über ein junges Gesicht“. Auch das Ziel der Stiftung ist ungewöhnlich, „Ich bin keiner, der nach dem dritten Schlaganfall schnell noch seine Millionen unter- Serienpreis bringen muss“, sagt Wildner. In seiner Stiftung geht es nicht darum, Bedürftige finanziell zu unterstützen, sondern um Kontakte und Öffentlichkeit für junge Musiker und erfolgreiche Gitarren-Profis. „Ich will keine Millionen parken. Ich will aktivieren und vernetzen!“ Für den Stifter selbst ergeben sich Synergie-Effekte: Im Herbst 2006 will er eine private Musik-Hochschule eröffnen, bei Dozenten und Austauschprogrammen kann er auf das Netzwerk der Guitar Foundation bauen. Der dynamische Jungunternehmer steht für einen neuen Stifter-Typ, in Folge der Reform der Stiftungsgesetze, die Gründungen schon ab 50 000 Euro ermöglichen. So betont Wildner die „ politischen Gründe“, die ihn zu der Stiftung trieben. „Mir geht das ganze Gejammer hier auf den Keks. Ich will mit dem sympathischen Instrument zeigen, dass man in diesem Land etwas bewegen kann.“ Erste Erfolge kann die Stiftung bereits feiern. Im Kuratorium finden sich viele große Namen der klassischen Gitarrenmusik. Neben Stars wie Eliot Fisk und Romero Pepe beteiligen sich auch Amateure von den Seychellen an dem Projekt. Für die breite Öffentlichkeit tritt die Stiftung das erste Mal vom 22. bis 24. August in Erscheinung. Auf den Tiroler Festspielen in Erl präsentiert die Stiftung klassische Gitarrenstücke. Mit strengen Gitarren-Puristen will Wildner nichts zu tun haben. Seine Stiftung soll „undogmatisch sein – kein konservativer Klassikverein“. Zur Zeit begleitet Michael Koschorreck (Söhne Mannheims) mit einer Hauser-Gitarre aus dem Jahr 1913 seine Rap-Band. Wenn EMusiker bei dem Anblick nach Luft schnappen, freut sich Wildner. „Das gefällt mir ja besonders“, lacht der Mann, der früher Jazzrock mit der Band Extreemono machte. Mit Nostalgie habe sein Engagement nichts zu tun. „Die Gitarre klingt total modern.“ Als er in einem Musikladen seine Hauser-Gitarre vorführte, „da hat es die Metall-Fraktion umgehauen“. Hauser-Gitarren werden auch heute noch gebaut. In Reisbach bei Dingolfing, wo sich Hauser in den dreißiger Jahren vor den Nazis verstecken musste, weil die „Gitarristische Bewegung“, die er um die Jahrhundertwende mit begründet hatte, dem Regime zu international war. Die Bewegung hatte internationale Gitarrenvirtuo- sen wie den Spanier Andrés Segovia nach München gebracht. Der Pionier der klassischen Gitarre suchte bei Hauser in der Bayerstraße 33 nach einer Gitarre, mit der er ohne Verstärker in den großen Konzertsälen spielen konnte. 15 Jahre bastelte Hauser, dessen Vater als herzoglicher Zitherbauer Ruhm erlangt hatte, bis er 1920 das so genannte „Deckelpatent“ präsentierte. Die Oberflächenspannung des Holzes lässt die Gitarre voller klingen. Heute baut Hermann Hauser III., Jahrgang 1958, jährlich etwa 17 Gitarren. Ein Jahr vergeht, bis eine Gitarre fertig ist. „Im Winter der Korpus, im Frühjahr wird geleimt und so weiter“, erzählt Wildner. Musikfirmen seien schon mit Koffern voller Geld vor der Tür gestanden, um die Marke Hauser zu kaufen, doch die Familie habe alle Angebote ausgeschlagen. Privilegien gibt es nicht. In der SZ vom 7. November 1961 findet sich die Nachricht: Auch die Frau des Schahs von Persien muss sich bei Hauser an die Wartezeit halten. Bildunterschrift: Andrés Segovia (li.), 1893-1987, gehörte zu den Pionieren der klassischen Gitarrenmusik. Noch heute fühlen sich Gitarristen in der Klassik benachteiligt. Eine Stiftung, benannt nach dem weltberühmten Münchner Gitarrenbauer Hermann Hauser (re.), will das ändern. Fotomontage: Hermann Hauser Guitar Foundation Klaus Wolfgang Wildner. meck Knapp sechs Jahre dauert es, bis man eine bestellte Hauser in Händen halten darf. 49 Ausgezeichnete Beiträge Rechtsfähig, nicht rechtsfähig Grundsätzlich unterscheidet der Gesetzgeber zwei Organisationsformen: die rechtsfähige und die nicht rechtsfähige Stiftung. Erstere bedarf einer eigenen Rechtspersönlichkeit, die sich um die gesamte Verwaltung kümmert. Das kann also auch der Stifter selbst sein. Allerdings muss diese auch für die Zeit nach seinem Tod gewährleistet sein. Bei nicht rechtsfähigen oder unselbstständigen Stiftungen wird das Vermögen von einem selbstständigen Treuhänder verwaltet. Meist handelt es sich dabei um eine juristische Person, also etwa Verein, Kommune, Universität oder Kirche. Die Rechtsbeziehungen der Beteiligten unterliegen dem Schuld- oder Erbrecht, nicht dem Stiftungsrecht. Die nicht rechtsfähige Stiftung eignet sich deshalb vor allem für kleinere Vermögen, die den Aufwand einer selbstständigen Stiftung nicht rechtfertigen. Von den 145 von der Stiftungsverwaltung der Stadt München verwalteten Einrichtungen, sagt deren Leiterin Katharina Knäusl, sind etwa 80 nicht rechtsfähig. Das jeweilige Vermögen wird in allen Fällen getrennt und unabhängig vom städtischen Haushalt verwaltet und der Ertragsanteil entsprechend dem Stiftungszweck verwendet. ands schwänzt: „Selbst wenn hitzefrei war, sind sie zu mir gekommen“, freut sich LernTrainer Simon. entwickelt“. Sie wollen die Schule mit einem guten Abschlusszeugnis verlassen. SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (IV) Und immer ist der Weg das Ziel Ob Schule oder Beruf – die Münchner Kinder- und Jugend-Stiftung springt dort ein, wo es am meisten brennt Von Wally Schmidt Die Ferien haben sich Patricia, Sanela, Aladin und Baba wirklich verdient. Wenn ihre Mitschüler in den vergangenen Monaten nach Hause oder zum Basketball spielen durften, gingen die beiden Mädchen und die zwei Jungen noch einmal zum Pauken in die Schule, ganz freiwillig und ohne jeden Zwang. Denn in den Hauptschülern vom Harthof haben Lehrer und Sozialarbeiter den „Durst zum Lernen“ geweckt – das war auch das Motto eines Förderprojektes für die Hauptschule an der Bernaysstraße, das die „Münchner Kinder- und Jugend-Stiftung“ finanziert hat. Acht junge Leute trafen sich jeden Mittwoch um 15 Uhr in einem Klassenzimmer des Schulhauses. Sie übten mit dem ehemaligen Rektor Walter Simon von der Keilberth-Schule Bruchrechnen, schrieben Diktate, trainierten Fremdwörter und paukten den Arbeitslehre-Stoff im Känguru-System: Je nach Wissensstand wurden die Kartei-Kärtchen in verschiedene Schlitze eines Karteikastens, den Bauch des Kängurus, geworfen. Zwei Stunden lang wurde gebüffelt. „Das war anstrengend. Hinterher war ich kaputt“, erinnert sich die 16-jährige Sanela. Trotzdem haben sie und die anderen das ganze Schuljahr durchgehalten und kein einziges Mal das Pauken am Nachmittag ge- 50 Die jungen Leute hatten ein Ziel: den Quali zu schaffen. Einigen ist dies auch gelungen. Die anderen nehmen im nächsten Jahr noch einmal einen Anlauf. Denn „der Weg war das Ziel“, beschreibt Schulsozialarbeiter Wolfgang Maier das Förderprogramm, das er initiiert und organisiert hatte. Seine Idee hatte Erfolg: Die Acht- und Neuntklässler „haben Blut geleckt und Ehrgeiz Dazu mussten die jungen Leute erst einmal „lernen zu lernen“, sich also neue, effektive Lerntechniken aneignen. Den Stoff für das Fach Arbeitslehre schrieben sie – ähnlich wie man Fremdsprachen-Vokabeln paukt – auf 170 Kartei-Kärtchen und prüften dann selbstständig zu Hause ihr Wissen. Beim Lerntraining mit dem pensionierten Grund- und Hauptschullehrer Simon stand Mathe im Mittelpunkt: „Alles, was Serienpreis gen zukommen zu lassen, „weil es da am meisten brennt“, so Knäusl. Die Stifterin sei sofort von diesem Vorschlag „sehr überzeugt“ gewesen. Mädchen zudem Hilfe bei finanziellen und anderen sozialen Problemen: Denn „wir agieren ganzheitlich“, betont die Leiterin von „La Silhouette“. Bildunterschrift: Die Nähmaschinen sind modern und die Kleider ganz flott: Junge Frauen erlernen im Mode-Atelier „La Silhouette“ in Haidhausen die Maßschneiderei. Das Projekt ist jetzt erst einmal abgeschlossen – ob es weiterläuft, ist noch unklar. Initiator Maier will wieder versuchen, Geld locker zu machen, entweder bei der Stiftung oder bei der Schule selbst. Die Hauptschule mit ihren insgesamt 430 Mädchen und Buben bekam für einige hilfsbedürftige Familien auch schon Geld vom SZ-Adventskalender, der Spendenaktion der Leser der Süddeutschen Zeitung. Aus den Erträgen kann die Stadt als Stiftungsverwalterin in diesem Jahr insgesamt gut 10 000 Euro ausgeben. Die Evangelische Jugendhilfe der Inneren Mission München bekam bereits den dicksten Brocken, 5500 Euro. Damit wird das Projekt Stadtranderholung bezuschusst. Münchner Kinder „mit einem schwierigen sozialen, materiellen und/oder gesundheitlichen Hintergrund“ besuchen in den Sommerferien zwei bis drei Wochen lang tagsüber ein Ferienlager in Gräfelfing. Die Mädchen und Buben bauen zum Beispiel gemeinsam in einem Wald Baumhütten. Auf diese Weise sollen die Kinder spielerisch soziale Fähigkeiten entwickeln sowie Strategien zur Konfliktlösung – als Basis für ein gewaltfreies Zusammenleben. Benachteiligte junge Leute speziell fördern wollte eine Münchnerin, die im Jahre 2000 – einige Jahre vor ihrem Tod – die „Münchner Kinder- und Jugend-Stiftung“ errichtete. Die Stifterin wollte anonym bleiben. „Sie war sehr bescheiden und wollte keine Publicity“, erläutert Stiftungsverwalterin Katharina Knäusl vom städtischen Sozialreferat. Die Dame habe sich im sozialen Bereich sehr engagiert und deshalb die Stiftung gegründet – die Festlegung des genauen Zwecks aber der Stadt überlassen. Das Sozialreferat hatte vorgeschlagen, das Geld Kindern und Jugendlichen in Notla- Unterstützung bekam ferner das ModeAtelier „La Silhouette“ des Vereins „ Junge Frauen und Beruf“. Es bildet 13 Mädchen zur Damenmaßschneiderin aus, eben haben einige erfolgreich die dreijährige Lehrzeit abgeschlossen und einen Job gefunden. Mit Stiftungsgeldern konnte dieser Betrieb der berufsbezogenen Jugendhilfe zwei moderne Nähmaschinen, einen Bügelautomaten sowie Spezialscheren und Zuschnittpapier kaufen. „Die Stiftung ist grandios“, lobt Leiterin Barbara Hemauer-Volk. In dem Schneider-Atelier an der Pariser Straße in Haidhausen bekommen die SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (V) aneum“ und ist – streng genommen – als Studentenwohnheim gedacht. ich im Unterricht nicht verstanden hatte, konnte ich fragen“, freut sich der 15-jährige Aladin. Das Fazit der jungen Leute ist rundweg positiv: „Ich habe viel dazugelernt“, sagen die Mädchen und Buben. Auch Initiator Maier ist sichtlich zufrieden: „Die Stiftungsgelder sind sehr gut angelegt. Jeder Euro ist bei den Schülern gleich mehrfach angekommen.“ Sie hätten durch das Lerntraining auch mehr Selbstbewusstsein gewonnen. Der Landtag als Untermieter Seit 1874 ist das Maximilianeum Studentenwohnheim Der repräsentativste Sitz aller Münchner Stiftungen dürfte das Maximilianeum sein. Das Erstaunliche dabei: Nicht die Stiftung ist es, die beim Bayerischen Landtag untergeschlüpft ist. Ganz im Gegenteil, die Legislative des Freistaats ist nur Mieter, denn das herrschaftliche Gebäude, das inzwischen zum Synonym für den Landtag geworden ist, gehört der „Stiftung Maximili- Denn die Stiftung, die König Maximilian II. 1852 aus seiner Privatschatulle gründete, fördert die jeweils besten bayerischen Abiturienten. 1874 bezogen sie ihr neues Heim am Isarufer. Anfangs wollte der König sie damit für den höheren Staatsdienst gewinnen. Noch heute wohnen im Schnitt 45 Studenten und Studentinnen als Stipendiaten im Maximilianeum Tür an Tür mit der Politik. Dass der Landtag in den Räumen der Stiftung seine Bleibe gefunden hat, ist eine Folge von Inflation und Krieg. Denn der Währungsverfall der zwanziger Jahre ver- Foto: Wally Schmidt Der typische Münchner Stifter Es gibt ihn tatsächlich. Den typischen Münchner Stifter. Zumindest verbindet viele Wohltäter der Stadt mehr als der Wunsch, über den Tod hinaus Spuren zu hinterlassen. „Es sind überwiegend ältere Menschen, in der Regel ohne Familie, die sich vor allem ihrer Heimatstadt verbunden fühlen“. Die Charakterisierung liefert die Leiterin der Münchner Stiftungsverwaltung, Katharina Knäusl. „Die Leute haben sich hier sehr wohl gefühlt und wollen deshalb der Kommune etwas zukommen lassen.“ Die Motive: „Das reicht von Steuereinsparungen bis zur eigenen Betroffenheit und dem Wunsch, etwas bewegen zu wollen.“ Darunter seien etliche „erfolgreiche, glückliche Menschen, die etwas von dem Guten, das sie erfahren haben, an die Gesellschaft zurückgeben wollen.“ ands brauchte das Vermögen der Stiftung. Nachdem das Gebäude im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden war, fehlten ihr die Mittel zum Wiederaufbau. Die kamen von Landtag und Senat, die 1949 als neue Mieter in den Renaissancebau einzogen. Um sich für das Stipendium zu qualifizieren, müssen die Abiturienten strenge Voraussetzungen erfüllen. Ein Abischnitt von 1,0 ist Pflicht, danach durchlaufen sie weitere Prüfungen, die am Ende die sechs bis acht Besten aus den pro Jahr rund 400 Bewerbern herausfiltern sollen. Der für die Stiftung relevante Bereich ist dabei nicht auf das heutige Bayern beschränkt, sondern schließt auch die linksrheinische Pfalz mit ein. Diese gehörte bis 1945 zu Bayern. 51 Ausgezeichnete Beiträge Im Laufe der Zeit hat „die Stiftung“, wie sie von ihren Bewohnern genannt wird, verschiedene Berühmtheiten hervorgebracht. Der Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg gehört ebenso dazu wie der ehemalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Doch nicht alle haben sich den ernsten Dingen verschrieben: Auch der Schlagertexter Michael Kunze („Ein Bett im Kornfeld“) war Stipendiat. Christof Rührmair Bildunterschrift: Nachdem das Gebäude im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden war, fehlten der Studienstiftung die Mittel zum Wiederaufbau. Die kamen von Landtag und Senat, die 1949 als neue Mieter in den Renaissancebau einzogen. Foto: Christof Rührmair Ein Dickicht aus Mord, Habgier und Lügen Die düstere Vorgeschichte der „Walter Sedlmayr – Paula Rott Stiftung zur Unterstützung Münchner Bürger“ Von Florian Tempel Am Anfang war das abscheuliche Verbrechen – die brutale Ermordung des Schauspielers Walter Sedlmayr in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 1990 in seiner Wohnung in der Schwabinger Elisabethstraße. Dem Aufsehen erregenden Kriminalfall folgte ein höchst spannender Indizienprozess gegen die Täter, Sedlmayrs Ziehsohn Wolfgang Werlé und dessen Bruder Manfred Lauber, die am 23. Mai 1993 zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Nicht minder spannend als der Mordfall und seine juristische Aufarbeitung war freilich auch der Kampf um das Erbe des Schauspielers. Eine Geschichte voller Habgier, falscher Versprechen und Lügen, die mit dem Selbstmord eines einst renommierten Anwalts endete, die aber auch zur Gründung einer wohltätigen Stiftung für hilfsbedürftige alte Menschen führte: der „Walter Sedlmayr – Paula Rott Stiftung zur Unterstützung Münchner Bürger“. Da Sedlmayr kein Testament gemacht hatte, musste nach seinem Tod zunächst von Amts wegen die Erbfrage geklärt wer- 52 Serienpreis den. Die Hinterlassenschaft umfasste Immobilien, Wertpapiere, Kunstgegenstände und Antiquitäten im geschätzten Gesamtwert von 8,5 Millionen Euro. Nur drei Tage nach dem Mord – Sedlmayr war noch nicht beerdigt – hatte sich der auf Nachlassangelegenheiten spezialisierte Rechtsanwalt Aegidius Kirchner den Auftrag des Nachlassgerichts gesichert, die Erben zu ermitteln. Das war eine einfache Aufgabe. Denn „Toten-Kirchner“, wie ihn Kollegen nannten, wusste offenbar schon, wer erben würde: die Tante Sedlmayrs, die damals 91-jährige Paula Rott, und deren ebenfalls hochbetagter Bruder Fritz. Kirchner schrieb noch am gleichen Tag Paula Rott einen Brief, in dem er sie über ihre Position als Erbin informierte. Mit der Feststellung der Erben war die Amtshandlung Kirchners als Nachlasspfleger eigentlich schon wieder beendet. Doch der Anwalt, der für seinen leichten Job angeblich ein Honorar von rund 120 000 Euro berechnet haben soll, machte sich an die nunmehr Millionen schwere Tante Paula heran. Die alte Dame muss vom Charme und der scheinbaren Seriosität des damals 58 Jahre alten Juristen, der in den achtziger Jahren Vorstandsmitglied der Münchner Anwaltskammer war, sehr angetan gewesen sein. Sie stattete ihn schon bald mit einer Vollmacht aus und machte ihn zu ihrem Vermögensverwalter. Kirchners Beziehung zu Paula Rott beschränkte sich allerdings keineswegs auf eine Tätigkeit als Vermögensverwalter. Der Anwalt wurde schnell zu ihrem Liebling. In einem Brief an sie, der wie viele andere auch im Rahmen des späteren Gerichtsstreits der beiden publik wurde, formulierte er seine Vorzüge mit eigenen Worten: „Du hast gespürt, dass ich, anders als Deine Verwandten, Dich schätze, achte und für eine liebenswerte Persönlichkeit halte, die Du ja auch bist!“ Solch schöne Worte, gemeinsame Ausflüge und andere Bemühungen führten für Kirchner zum ganz offensichtlich angestrebten Erfolg. Paula Rott setzte ihn und seine Ehefrau Helma Polysius, die sich als Genealogin auf die Ermittlung von Erben spezialisiert hatte, als Erben ein. Im November 1991 verfasste Paula Rott ein entsprechendes Testament. Im August 1992 wurde dieses durch einen Erbvertrag ersetzt. Im Gegensatz zu einem Testament, das Paula Rott jederzeit hätte abändern können, war dies bei einem Erbvertrag nicht mehr so einfach möglich. Wie jeder andere Vertrag ist auch ein Erbvertrag für beide Vertragspartner verbindlich. Um ihn zu ändern oder aufzuheben, müssen beide Seiten zustimmen. das Mietshaus im Westend im Wert von zwei Millionen Euro zurück und umgerechnet 400 000 Euro Bargeld. Vor allem aber war der Erbvertrag mit Kirchner aufgehoben. Erbe Kirchner schrieb Paula Rott am 16. August 1992: „Dieses, Dein Geschenk, macht mich stolz und glücklich.“ Doch damit nicht genug. Im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ließ er sich, nachdem Paula Rotts Bruder Fritz gestorben war und sie auch ihn beerbt hatte, im Sommer 1995 ein Landhaus in Murnau, eine Eigentumswohnung in Grünwald und ein Mietshaus im Westend überschreiben. Im Prozess hatte Paula Rott erstmals öffentlich bekannt gegeben, dass sie ihr Vermögen nach ihrem Tod in eine wohltätige Stiftung einbringen wolle, „zum Gedächtnis an meinen Neffen“ und zugunsten armer Münchner. Diese Idee habe sie schon lange gehabt, doch Kirchner habe ja von einer Stiftung „nie was wissen wollen“. Paula Rott starb neun Monate nach dem Ende des Prozesses im Juli 1997 im Alter von 96 Jahren. Doch auch posthum machte sie noch einmal Schlagzeilen. Ihr neuer Vermögensverwalter und Vertrauter, der ehemalige Chauffeur von Walter Sedlmayr, Egon Handlos, hatte behauptet, von dem einst stolzen Vermögen seien kaum mehr als 50000 Euro übrig. Unter anderem, weil Handlos selbst von der Großzügigkeit der Paula Rott profitiert hatte, noch vor ihrem Tod und auch testamentarisch reich bedacht worden war. Später war sogar davon die Rede, es gebe von Paula Rott überhaupt nur Schulden zu erben. Die SZ titelte „Erbe im Eimer. Sedlmayrs Vermögen ist futsch – der Stadt bleibt nichts.“ Die Zuneigung, ja Liebe, die Kirchner der alten Dame geschworen hatte, erwies sich als falsch. Paula Rott empörte es besonders, dass sie nicht ein einziges Mal Weihnachten zusammen verbrachten. Als sie auch 1995 nicht von Kirchner unter den Christbaum eingeladen worden war, war für sie das Maß voll. Sie kündigte ihm die Freundschaft und widerrief seine Vollmacht als Vermögensverwalter. Im Februar 1996 klagte sie auf Aufhebung des Erbvertrages. Im August desselben Jahres ließ Paula Rott während des Prozesses im Münchner Justizpalast kein gutes Haar an Kirchner. „Er hat sehr viel gelogen und vorgetäuscht.“ Er habe ihr alles mögliche zum Unterschreiben vorgelegt, sie habe ihm vertraut, aber gar nicht gewusst, was sie alles abzeichnete. Selbst vom notariellen Erbvertrag wollte sie „nie ein Wort“ gewusst haben. Kirchner sagte seinerzeit der SZ: „Ich habe mir nie etwas unter den Nagel gerissen, noch habe ich Erbschleicherei begangen. Ich sehe keine Veranlassung, mich zu schämen.“ Und vor allem: „Für mich sind Verträge verbindlich.“ Hans-Lothar Graf, der Vorsitzende Richter der 29. Zivilkammer des Landgerichts München I, wertete das Verhalten Kirchners damals allerdings als „ungewöhnlich und problematisch“. Paula Rott hatte, das wurde deutlich, gute Karten. Graf sagte später, „wie dieses Gericht entschieden hätte, war ziemlich klar“. Dennoch wurde der Prozess nicht mit einem Urteil, sondern mit einem Vergleich beendet. Der war für Paula Rott ein Gewinn. Sie erhielt Bevor die Frage, wie viel oder wenig noch da war, geklärt werden konnte, setzte Aegidius Kirchner seinem Leben ein Ende. Gut zwei Wochen nach dem Tod von Paula Rott vergiftete er sich mit Autoabgasen auf dem Parkplatz des Walderlebniszentrums Grünwald. Aus einem Abschiedsbrief ging hervor, dass er sich sehr wohl Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Sedlmayr-Erbe und dem „Drumherum“ gemacht hatte. Nach einer Überprüfung des Testaments und der Hinterlassenschaften von Paula Rott trat die Stadt am Ende doch das Erbe an. Als schließlich noch ein außergerichtlicher Vergleich mit Egon Handlos geschlossen worden war, ging die „Walter Sedlmayr – Paula Rott Stiftung zur Unterstützung Münchner Bürger“ mit einem Stiftungskapital von umgerechnet 1,1 Millionen Euro im Februar 2000 an den Start. Die Stiftung hilft seitdem, gemäß des letzten Willens von Paula Rott, alten Münchnerinnen und Münchnern, „die durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder sonstige unverschuldete Umstände in Not geraten sind“. 53 Ausgezeichnete Beiträge Bildunterschrift: Walter Sedlmayr. Wenn einer stirbt, kein Testament vorhanden ist und der Nachlass die Beerdigungskosten übersteigt, setzt das Nachlassgericht in der Maxburgstraße einen Nachlasspfleger ein. Das muss zwar kein Jurist sein, ist in der Regel aber ein spezialisierter Rechtsanwalt. Die so genannte Pflegschaft eines Nachlasses ist ein Amt und der Nachlasspfleger „zu treuer und gewissenhafter Führung“ desselben verpflichtet. Seine wesentliche Aufgabe ist es, Erben zu ermitteln. Das kann recht einfach, aber auch höchst kompliziert sein. Wenn der Nachlasspfleger die Erben ermittelt hat und diesen vom Nachlassgericht Erbscheine ausgestellt sind, endet das Amt der Nachlass-Pflegschaft. Je nach Aufwand und Schwierigkeit der Erbenermittlung setzt das Gericht die Vergütung fest. Es ist jedoch auch möglich, dass sich der oder die Erben mit dem Nachlasspfleger auf einen Betrag einigen, ohne dass das Gericht eingeschaltet wird. Ist es nicht möglich, einen Erben zu finden, geht der Nachlass an den Staat. flo die herzkranke Katharina K., 70 Jahre alt, 350 Euro bekommen. Die Witwe, die allein zu Hause lebt und nicht mehr aus dem Haus kann, erhält das Geld für einen Friseurbesuch und für Medikamente. Finanziert werden ihr auch Cremes für ihre offenen Beine sowie Kleidung. Der 87-jährigen Maria P. wird in ihrem Pflegeheim für ein Jahr ein ehrenamtlicher Besuchsdienst bezahlt – ein- bis zweimal die Woche kommt eine Helferin, die die Pflegebedürftige in den Garten fährt, ihr vorliest oder etwas erzählt. Keine abrechenbare Pflegeleistung, sondern liebevolle Betreuung, für die das Pflegepersonal meist keine Zeit hat. Die Thomas wissen nicht im einzelnen, was mit ihrem Geld geschieht. Man hat Vertrauen zur Stiftungsverwaltung, die Gerd Thomas zufällig als Telefonbuch-Eintrag im Internet ausgemacht hat. Denn zunächst hatte das wohltätige Ehepaar an die Kirche gedacht. Ein Pfarrer sei auch einmal bei den Thomas zu Hause gewesen, habe sich Notizen gemacht. Danach, erzählen die beiden, habe man nichts mehr gehört. Gutes tun aber wollte das Ehepaar in jedem Fall – auch mit dem Vermögen, das nach beider Ableben einmal übrig bleibt. „Wir könnten stattdessen auch in Saus und Braus leben“, räumt Thomas ein. „Aber wissen Sie, das Erbenermittlung per Nachlasspfleger dpa/SZ-Archiv Gespräch am Rande der Trauerfeierlichkeiten für Walter Sedlmayr: der damalige Münchner OB Georg Kronawitter und Paula Rott. Foto: SV Bilderdienst SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (VI) Zwei pfiffige Kaufleute und der Lohn des Erfolgs Die 2001 errichtete „Gerd und Annemarie Thomas-Stiftung“ soll Kranken bei besonderen Notlagen Hilfe bringen Von Thomas Kronewiter Ihr Glück haben sie mit Modelleisenbahnen gemacht. Geliefert haben Gerd und Annemarie Thomas in alle Welt – die Lokomotiven aus dem Hagener Fachgeschäft Lammers fuhren und fahren in Kenia, Skandinavien, Süd- und Mitteleuropa, ja selbst in den USA und Kanada. Von Lokomotivfabriken beschaffte sich der Bastler Pläne, baute die Zugmaschinen und Waggons im Maßstab 1 : 87 nach. „Handarbeit“, betont Thomas – und Frau Annemarie ergänzt: „Alles für Sammler.“ Längst ist das betagte Ehepaar im Ruhestand, vor ein paar Jahren haben sich beide einen gemeinsamen Wunsch erfüllt: 2001 wurde die „Gerd und Annemarie Thomas-Stiftung“ errichtet. Die Stiftung soll Kranken in besonderen Notlagen Hilfe bringen. Soll – weil bislang noch kein Geld ausgezahlt worden ist. Ein Appartement des Park-Hotels in der Parkstadt Schwabing hat das Ehepaar in die Stiftung eingebracht. Das ist mittlerweile verkauft, mit dem Erlös und dessen Erträgen ist erst einmal das Grundstockvermögen aufgebaut worden. Noch in diesem Jahr will die Münchner Stiftungsverwaltung jedoch mit den Auszahlungen beginnen, zwei Fälle sind vorgemerkt: So wird 54 Serienpreis liegt uns nicht.“ Denn der 78-Jährige und seine 73-jährige Ehefrau sind in einer Generation aufgewachsen, „in der ein Stück Brot noch etwas wert war“. Gut ist es ihnen immer gegangen. 13 Kreuzfahrten haben sie gemacht. Einmal lag ihr Schiff zwischen Malaga und Mallorca auf der Seite – das war für beide die letzte Seereise. Übriges Geld haben die pfiffigen Kaufleute in Hotel-Appartements angelegt. Von den Erträgen leben sie, außerdem haben sie sich für diverse Zimmer einige Wochen Wohnrecht im Jahr reservieren lassen. Ihre finanziellen Verhältnisse ließen beiden den Spielraum, Gutes zu tun. Tier- und Kinderstiftungen, so ihre Überlegung, gebe es massenhaft. Aber einsamen Kranken, glaubt das kinderlose Paar, helfe kaum jemand. Ideen hatten die Thomas schon immer. Heimgekehrt aus britischer Gefangenschaft, baute sich der ehemalige Kriegsmarine-Angehörige Gerd Thomas mit amerikanischen Überschussgütern, die nicht mehr in die Vereinigten Staaten zurückgeschifft wurden, eine Existenz in Wiesbaden auf. Danach machte er in Antiquitäten. Als er seine spätere Frau kennen lernte, stürzte er sich auf das Geschäft mit den Eisenbahnen. Annemarie Thomas, Spross einer großbürgerlichen Familie, arbeitete sich in die Buchhaltung des 1856 gegründeten großväterlichen Geschäfts in der Kölner Straße ein. 1969 heirateten beide, übernahmen ein Jahr später die Spielwaren- und Modellbahn-Firma und sorgten immer wieder für Innovationen. Einmal haben sie einen TE-Zug nachgebaut, der in den siebziger Jahren ursprünglich von Basel nach Den Haag fuhr. Der war nach Kanada verkauft worden und musste deswegen in Schaffhausen winterfest gemacht werden. Gerd Thomas beschaffte sich Pläne und Fotos, baute den Zug als Modell in seiner Werkstatt nach. „Wir waren weltweit die einzigen, die das machten.“ Erst als der Vertreter einer großen Modellbahn-Firma den Zug entdeckte war es mit dem Monopol vorbei: Im nächsten Jahr kam eine limitierte Serie auf den Markt, denn schützen lassen hatten sich die Modellbahner den selbst gebastelten Zug nicht. Pech, sagte sich Thomas – und entwickelte die nächste Idee. Den Erfolg, zu dem auch eine Filiale in Büsingen bei Schaffhausen beitrug, bezahlte das Ehepaar mit fehlender Freizeit. Bis 22 Uhr waren sie zuletzt immer in Laden und Werkstatt gestanden, arbeiteten samstags und sonntags meist durch. Deshalb zogen die Geschäftsleute relativ früh den Schlussstrich, verkauften Geschäft und das denkmalgeschützte Haus in Hagen und zogen für zwei Jahre ins Ferienhäuschen im Tessin. Als es ihnen dort zu langweilig wurde, gründeten sie 1981 den Deutschen Club Tessin. Dessen Ehrenpräsident ist Thomas noch heute, 2006 steht die Feier des 25-jährigen Jubiläums an. 1983 übersiedelten Gerd und Annemarie Thomas schließlich in eine Stadt, die sie beide schon immer mochten: München. Bildunterschrift: Die Technikbegeisterung hat sich Gerd Thomas auch im Ruhestand bewahrt. Im Internet surft der Tüftler – hier mit Frau Annemarie – selbstverständlich in DSLGeschwindigkeit. Weiblich, katholisch, ledig . . . In den 20 000 Karteikarten der Stiftungsverwaltung der Landeshauptstadt finden sich Stichworte, hinter den man wunderbar nostalgische Lebensgeschichten vermutet. Und die dazugehörigen Menschen kennen lernen will. Etwa die Dienstboten, weiblich, katholisch und ledig, die eine mindestens 20-jährige Dienstzeit nachweisen können. Alle also, die in den Genuss der Grau-Schiestl-Familienstiftung kommen. Oder den Bewohnern des Altenheims St. Josef, die im Dienst eines Mitglieds des vormaligen Bayerischen Königshauses gestanden haben und später nicht in den Dienst des bayerischen Staates übernommen worden sind oder von solchen Bediensteten abstammen. Und dann die alten verdienten Komponisten oder Musiker, die von der Mark-Lothar-Stiftung unterstützt werden. Aber nicht einer der Begünstigten ist auszumachen. „Es ist nicht zu vermeiden“, sagt Katharina Knäusl, Leiterin der Stiftungsverwaltung der Stadt München, „dass sich ein Stiftungszweck überlebt, weil sich etwa die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern.“ Dann dürfe man die Ausrichtung und damit die Satzung ändern. „Allerdings muss man dadurch dem Stifterwillen so nah wie möglich kommen.“ Wie bei der Mark Lothar-Stiftung: Von dem Vermögen profitieren inzwischen auch Münchner Studenten, die über diesen Weg zu „hochwertigen Musikinstrumenten“ kommen. ands Foto: Kronewiter SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (VII) Das Vermächtnis der Vorväter Zwischen Oktoberfest und Bürgerheim – die Stadtgeschichte ist untrennbar mit dem Namen Dall’Armi verbunden Der Name zählt zu den klangvollsten in München überhaupt: Es gibt eine Dall’- Armi-Straße, ein Dall’Armi-Heim. Die Geschichte des Oktoberfestes ist ebenfalls mit den aus Trient stammenden Dall’Armis verknüpft, die über ihre Stiftungen zu den größten Wohltätern in München wurden. Das Erbe ihrer Vorväter bewahrt die heutige Generation. Carlheinz, Ritter und Edler von Dall’Armi (66), etwa kümmert sich seit 39 Jahren als Kuratoriumsmitglied um die Geschicke des Münchner Bürgerheims. Er hat auch die Familiengeschichte erforscht. SZ : Der Name Dall’Armi ist untrennbar mit der Münchner Geschichte verknüpft. Können Sie den Begründer der Münchner Linie, Andreas Michael von Dall’Armi, charakterisieren? Dall’Armi : Er kam aus einer streng katholischen Familie und hat das unglaubliche Glück gehabt, die Erbin des damals größten Münchner Bankhauses, Elisabeth Nockher, zu heiraten. Damit ist er sehr, sehr reich geworden, hat das Geld aber auch eingesetzt – zum Beispiel über Nockher-Stiftungen. Er stiftete das Grundstück an der Ziemssen-/Maistraße im Wert 55 Ausgezeichnete Beiträge betreibende. Sein Großvater Andreas hatte bereits eine Medaille geschaffen für Dienstboten, die 25 oder 50 Jahre bei einer Herrschaft gedient haben. So etwas gibt es heute nicht mehr. Heinrich von Dall’Armi hat dann für Dienstboten ein eigenes Heim schaffen wollen und der Stadt München eine Million zur Verfügung gestellt. Durch die Kriegsjahre hat sich der Bau dann verzögert. Heinrich bekam ebenfalls die goldene Bürgermedaille verliehen. Unsere Familie ist die einzige, die bisher zwei bekommen hat. von 15 000 Gulden für den Bau von Krankenhäusern, gab Zuschüsse für deren Einrichtung. 1790 hat er die Kornmagazine für die Stadt errichtet. Er hat Zustiftungen gemacht zur Rumford-Anstalt und zur Feiertagsschule. Er war sehr sozial eingestellt. In zweiter Ehe hat er eine Gutsbesitzer- und Weinwirtschafts-Tochter geheiratet, aus dieser Ehe stammt der so genannte Münchner Zweig. Als auch diese Frau gestorben war, hat er sich einer Frau in Nymphenburg zugewandt, die so genannte Spinnstuben eingerichtet hatte für Mädchen und Frauen, die nichts hatten. Er hat auch das sehr gefördert und nach ihrem Tod weitergeführt. SZ : Andreas von Dall’Armi hat auch das Oktoberfest mitbegründet . . . Dall’Armi : Er war Major der Nationalgarde und wollte den Gardemitgliedern unbedingt das Nähen beibringen. Das ging natürlich voll in die Hose. Als einer seiner Untergebenen, ein gewisser Baumgartl, eines Tages an ihn herantrat und auf die Idee brachte, zur Feier der Vermählung des späteren Königs Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen ein Fest abzuhalten, war er von der Sache sehr angetan. Die Wiese wurde später, auch auf seinen Vorschlag hin, Theresienwiese benannt. Er bekam vom Königshaus die Zustimmung, dieses Fest abhalten zu können, hat es finanziert und sich dafür eingesetzt, dass die- 56 ses Oktoberfest jährlich wiederholt wird. Für seine vielen Verdienste wurde er 1792 von Kurfürst Karl Theodor in den Adelsstand erhoben, als Edler von Dall’Armi, Ritter des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Die Stadt München hat ihn ebenfalls geehrt, sie hat eigens für ihn eine goldene Bürgermedaille geschaffen, er war deren erster Träger. SZ : Die Wohltaten der Familie setzte Andreas’ Enkel Heinrich später fort, der Stifter des Münchner Bürger- und des Dall’ArmiHeims. Dall’Armi : Heinrich von Dall’Armi war Kaufmann und hat in München eine Witwe namens Antonie Phillip geheiratet. Er stieg in die Firma „Carl Phillips Witwe“, die später nur mehr Dall’Armi-Firma hieß, ein. Das war ein Vertrieb von österreichischen Tabakprodukten. Aus dem anfänglich kleinen Betrieb hat er ein riesengroßes Unternehmen gemacht. Von seinem Großvater hat er die soziale Ader mitbekommen. Während des Ersten Weltkrieges hat er den Frauen seiner Mitarbeiter, die eingerückt waren, die Gehälter laufend weitergezahlt. Er hat auch sehr viel in der Region getan, sich etwa um Kirchen gekümmert. So gibt es in Starnberg, Bernried, Seeshaupt und in Freising überall Dall’Armi-Straßen. In München ist er hervorgetreten durch die Stiftung des Bürgerheims für – nach dem damaligen Zweck – selbstständige Gewer- SZ : Haben denn die heutigen Dall’Armis überhaupt noch etwas mit den großen Stiftungen ihrer Vorfahren zu tun? Dall’Armi : Für das Münchner Bürgerheim hat Heinrich von Dall’Armi ein Kuratorium bestimmt, das das Heim verwalten soll. Dem sollen auch immer zwei Dall’Armis beziehungsweise zwei von ihnen benannte Familien angehören. Ich bin seit 39 Jahren in diesem Kuratorium tätig, damit mit Abstand der Dienstälteste. Ich bin stolz, dass wir unser Bürgerheim in einer relativ guten, auch finanziell guten Verfassung haben. Unsere Planung geht dahin, dass unser Heim nach den Anforderungen der heutigen Zeit umgebaut werden soll. Das wird voraussichtlich im Jahr 2009 geschehen. SZ : Wie groß ist der Einfluss des Kuratoriums? Dall’Armi : Wir bestimmen die Sache. Das Kuratorium leitet das Heim. Die Verwaltung besorgt zwar die Münchenstift, das haben wir ihr übertragen. Aber das Kuratorium ist vollkommen selbstständig. Wir bestimmen über die Finanzen und wie das Geld angelegt wird. Wir bestimmen über Zustiftungen, auch eventuell über den Verkauf von Zustiftungen. SZ : Nun hat ja das Münchner Bürgerheim eine Zukunft, das Dall’Armi-Heim in seiner jetzigen Form nicht. Dall’Armi : Das Dall’Armi-Heim soll leider Gottes, da eine Renovierung unverhältnismäßig große Kosten verursachen würde, mit seinem Grund verkauft werden. Ich möchte aber nicht, dass der Name Dall’Armi-Heim verschwindet. Mir wurde deshalb versichert, dass ein Teil des umzubauenden Heiliggeistspitals den Namen Dall’Armi erhalten wird. SZ : Glauben Sie, dass Dall’Armis sich auch in einigen Generationen noch mit den Stiftungen ihrer Vorväter identifizieren werden? Serienpreis Dall’Armi : Ich denke schon. Wenn mein hochbetagter Vetter eines Tages ausscheidet, werde ich wieder einen Dall’Armi ins Kuratorium nehmen. In der Familie ist Interesse da, ich habe einen Neffen schon ein wenig eingeführt. Interview/Foto: Thomas Kronewiter Bildunterschrift: Carlheinz, Ritter und Edler von Dall’Armi. Schwarze Zahlen in schwieriger Zeit Wenn Renten und Sozialleistungen sinken, erfüllt die Josef & Luise Kraft-Stiftung eine umso wichtigere Funktion Von Barbara Brubacher Josef Kraft war ein Mann der Tat. Bis ins hohe Alter von über 80 Jahren verkaufte er mit seiner Sendlinger Baustofffirma von früh bis spät Mörtel, Betonringe und Rolladenkästen. Allerdings waren er und seine Frau Luise kinderlos geblieben, und das Paar hatte, je älter es wurde, ein starkes Bedürfnis, sich für ältere, kranke und mittellose Menschen einzusetzen. Kurz vor seinem Tod 1988 verfügte Kraft schließlich in seinem Testament, dass sein gesamtes Vermögen und seine Firma in eine Stiftung übergehen sollten. Bis heute fließen deshalb sämtliche Gewinne der Josef Kraft Baustoffe GmbH in der Drygalski-Allee 15 in die gemeinnützige „ Josef und Luise Kraft-Stiftung“: Rund 3,6 Millionen Euro hat die KraftStiftung bis 2003 ausgeschüttet. „Eine stolze Summe“, wie Stiftungsvorstand Harald Mosler betont. „Damit gehört die eigentlich sehr im Stillen arbeitende Stiftung zu den ganz großen in München.“ Warum nur so wenige über diesen Hintergrund der Firma Kraft Bescheid wissen? Mosler weist darauf hin, dass es die Stiftung im Gegensatz zu vielen anderen nicht nötig hat, öffentlich um Spenden zu werben. Denn auch in den gegenwärtig schwierigen Zeiten schreibt die Firma Eines der wichtigsten Themen: die Grabpflege Nach dem Zweck und der Sicherheit einer ordnungsgemäßen Verwaltung betrifft der am häufigsten geäußerte Wunsch eines (potenziellen) Stifters die Grabpflege. Ein „sehr, sehr wichtiges Thema“ hat Katharina Knäusl, Leiterin der städtischen Stiftungsverwaltung, darin ausgemacht. Mit manchem Stifter spreche sie fünf Minuten über den Zweck, aber eineinhalb Stunden über die gewünschte Blumenwahl auf dem späteren Grab. Der Standardvorschlag der Verwaltung in solchen Fällen ist eine Betreuung über eine Generation hinweg, also etwa 30 Jahre. schwarze Zahlen. „Dafür ist ein sehr engagiertes und motiviertes Firmenteam verantwortlich,“ sagt Hauptgeschäftsführer Thomas Reichenspurner stolz. Die rund 160 Mitarbeiter der Kraft-Gruppe haben dafür auch einen guten Grund: Sie sind am Erfolg der Firma beteiligt. Je mehr erwirtschaftet wird, desto höher fällt auch ihre Gewinnbeteiligung aus. Zugleich steigen die Ausschüttungen der Stiftung, freut sich Reichenspurner. Die Mitarbeiter motiviere, dass den Überschuss am Ende des Geschäftsjahrs nicht ein Investor einstecke, sondern dass das Geld bedürftigen Menschen zugute komme. Zudem dürfen auch die Mitarbeiter Vorschläge machen, wer eine Stiftungs-Zuwendung bekommen soll. Reichenspurner war noch von Kraft senior als Trainee eingestellt und angelernt worden. Seitdem leitet er die Firmengruppe. Über seinen früheren Chef kann er nur Gutes berichten: „Ein sehr fleißiger, engagierter Mann und ein sehr sozialer Arbeitgeber, der schon früh die Gewinnbeteiligung für seine Mitarbeiter eingeführt hat.“ In seinem Testament hat Kraft zudem auch eine nicht unerhebliche Summe der Marianne-Strauß-Klinik für Multiple Sklerose in Kempfenhausen vermacht. Erst vor einigen Monaten hat Harald Mosler das Ehrenamt des Vorstands der Kraft-Stiftung von Professor Ludwig Furtner, dem „geistigen Vater“ des Kraft-Stiftungskonzepts, übernommen. Hauptberuflich ist er als Rechtsanwalt und Betreuer anderer Münchner Stiftungen tätig. Mehr denn je sieht er die Unterstüt- Sondervereinbarungen sind möglich, sofern Aufwand und Stiftungsvermögen in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Denn auf einem Grab sei auch einmal ein Stein zu richten. „Und wenn am dritten Engel von links ein Flügel fehlt, müssen wir das auch richten.“ Abstand hat die Stiftungsverwaltung von der Zusage genommen, regelmäßig Requiems zu organisieren. Denn dies schlügen Kirchengemeinden wegen des Aufwands ab, wenn eine leere Kirche zu erwarten sei. Wenn man Auflagen seriös nicht erfüllen könne, verzichte man deshalb lieber auf eine Erbschaft, betont Knäusl. tek zung alter Menschen als äußerst wichtig an: „Es gibt viele Stiftungen und Vereine, die sich um Kinder kümmern, aber für alte Menschen gibt es in dieser Hinsicht leider nur wenig“, unterstreicht er. In Zeiten sinkender Renten und der Streichung vieler sozialer Leistungen habe die KraftStiftung eine umso wichtigere Funktion. Das sieht auch Ulrich Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern so: „Zwar gibt es berechtigterweise den Slogan ,Die Kinder sind unsere Zukunft’“, räumt er ein, „aber um den immer größer werdenden Anteil älterer und sozial nicht so gut gestellter Menschen in unserer Gesellschaft müssen wir uns auch kümmern“. Bisherige Nutznießer der Kraft-Stiftung gibt es viele: „Unterstützt werden regelmäßig soziale Einrichtungen im Viertel, aber auch münchenweit, mit mindestens fünfstelligen Beträgen“, erklärt Mosler. Neben vielen anderen waren bisher die Innere Mission, der Caritas-Verband, die Johanniter, Nachbarschaftshilfen im Münchner Süden, die Arbeiterwohlfahrt, das Alten- und Service-Zentrum Fürstenried-Ost sowie der Bezirksverband der Gehörlosen Empfänger finanzieller Zuwendungen. Bei vielen Einrichtungen ist die Freude darüber sehr groß: Das Alten- und Service-Zentrum Fürstenried-Ost beispielsweise hat mit bisher zwei Spenden von je 11 000 Euro schon viel Gutes tun können: zusätzliche Stunden für eine Sozialpädagogin, Ausflüge für bedürftige Senioren, außerdem Weihnachts-Präsentschachteln mit Lebensmitteln und Einkaufsgutscheinen. Noch dazu konnten mehr Haushaltshilfen bezahlt werden. 57 Ausgezeichnete Beiträge Vorschläge, wer Zuwendungen bekommen soll, nimmt die Stiftung gerne an. Danach prüft der Stiftungsrat, ob Hilfen aus dem Stiftungsvermögen gewährleistet werden können. Als Stiftungsvorstand darf Mosler auch kleinere Einzel-Soforthilfen gewähren, sofern der Stiftungszweck erfüllt ist. Besonders wichtig ist ihm auch, dass unnötiger Verwaltungsaufwand vermieden wird: „Ich möchte, dass jeder Cent bei den bedürftigen Menschen ankommt.“ Nähere Informationen über die Stiftung gibt es auf schriftliche Anfrage bei Mosler + Partner Rechtsanwälte, Baierbrunner Straße 25, 81379 München. Bildunterschrift: Stiftungsvorstand Harald Mosler. bb Der Alten Heimat schlägt das Goldene Münchner Herz Rund fünfzig Senioren und einige Kinder sitzen im Garten des Thomas-WimmerHauses in Laim. Gerade haben sie gegessen, jetzt beginnt eine Gruppe Boule zu spielen. Gelächter dringt herüber. Etwas später wird es Kaffee und Kuchen geben. Die Arbeiterwohlfahrt veranstaltet ihr jährliches Sommerfest für die Bewohner des Hauses und der Stiftungssiedlung „Alte Heimat“. Einer der Senioren will eine Radlerhalbe bezahlen, doch Sozialpädagogin Doris Kirchner winkt ab. „Das Fest wird von der Stiftung ,Goldenes Münchner Herz‘ bezahlt“, erzählt sie. „Ohne die 400 Euro der Stiftung wäre das Sommerfest nicht möglich“, sagt Kirchner, denn die Bewohner haben nicht viel Geld. „Dieses Jahr haben wir etwas mehr bekommen. Deswegen konnten wir uns sogar einen Musikanten leisten.“ Der spielt auf seinem Akkordeon, während die Senioren beisammensitzen. Genau das bezweckt die Stiftung letztlich. Als „Förderung von Gemeinschaftsveranstaltungen“ steht das in der Satzung. Wie wichtig das ist, betont auch Kirchner: „Durch das Fest kommt Kontakt zustande.“ Einige Senioren muss sie dazu aus ihren Wohnungen holen. „Wissen sie, obwohl hier so viele Senioren wohnen, sind manche von ihnen dennoch vereinsamt.“ ruc/Foto: Rührmair 58 Serienpreis Sammler und Nachwelt Der Anblick ist stattlich: 400 historische Fächer aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Ulrich Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern schwärmt von den edlen Stücken. Sie sind Teil der jüngsten Stiftung des Bezirks und erzählen von der Kultur- und Sittengeschichte ihrer Herkunftsländer. Besitzerin Ute Michaels wollte für den Erhalt der Sammlung eine eigene Stiftung gründen. Schmetz, der sie berät, hat zunächst aber den Kopf geschüttelt: „Die Fächer können einen hohen Wert haben, bringen aber kein Geld.“ Sie müssten gepflegt und versichert werden, kurzum: Um den Zweck zu erfüllen, brauchen wir gewisse Erträge.“ Dies sei vielen Sammlern, die ihr wertvolles Gut als Stiftung der Nachwelt erhalten wollen, nicht bewusst. Deshalb muss auch begleitend ein Kapital vermacht werden, das Gewinn abwirft. Ute Michaels hat den Rat beherzigt. Jetzt sucht sie nur noch nach Ausstellungsmöglichkeiten. ands Professionelle Hilfe für potenzielle Helfer Der Kinderfonds bietet 97 kleinen Stiftungen mit einem Gesamtvermögen von 6,24 Millionen Euro ein gemeinsames Dach Was steckt hinter der Stiftung Kinderfonds? „Menschen, die anderen helfen zu helfen“, erklärt Sprecher Oliver Paxmann. Der Kinderfonds an der Sollner Straße 43 bietet 97 kleinen Stiftungen mit einem Gesamtvermögen von 6,24 Millionen Euro ein Dach – und entlastet sie von Bürokratie. Der Fonds ist da für alle, die ihr finanzielles Glück teilen wollen, aber zu wenig Vermögen haben, um allein mit den Zinsen wohltätig sein zu können. Eine rechtlich unselbstständige Stiftung gründet, wer gezielte, individuelle Hilfe dem Spenden in den Topf einer großen Organisation vorzieht. Das geht mit 5000 Euro Grundstock. Dass der Kinderfonds in den zehn Jahren seines Bestehens dennoch 12,6 Millionen Euro ausschütten konnte, liegt an Zusatz-Spenden. Stiftungen mit einem Vermögen unter 25 000 Euro müssen für die ersten Jahre Spenden-Einnahmen von mindestens 5000 Euro jährlich garantieren. Das sei eine sinnvolle Vorschrift des Finanzamtes zur Vorbeugung gegen ineffektive Karteileichen, die das Amt mit hohem Aufwand prüfen müsste. Ein StiftungsBeispiel ist Musikuz: Eine Münchnerin gründete diese Stiftung, um Gewaltprävention bei Jugendlichen durch Musik verwirklichen zu können. Mit dem Programm „beats statt Schläge“ lernen „schwierige Schüler“, dass gegen Wut auch Trommeln hilft. Das Projekt wird nun vom Bayerischen Kultusministerium unterstützt. Die Idee für den Fonds hatte Gründer Phillip Hof, früher Geschäftsführer der Thomas-Gottschalk-Stiftung, aus Amerika mitgebracht. Mit dem Unternehmer Alexander Brochier bildet er die „Doppelspitze“ des Kinderfonds. Paxmann nennt die Vorteile der eigenen Stiftung: Allein steuerlich sei Stiften interessanter als Spenden. Man engagiere sich zudem mit mehr Emotion und langfristiger. Und: Wer stiftet, habe maximale Kontrolle darüber, wo sein Geld ankomme. Bleibe der Grundstock über die Jahre klein und könne man auch die Erben nicht zu guten Werken verpflichten, könne der Stifter in der Satzung exakt vermerken, wohin sein Geld gespendet werden soll, wenn der Kinderfonds die Stiftung nach dem Tod des Wohltäters auflöst. Hat aber ein potenzieller Stifter nur eine vage Idee, wird er an der Sollner Straße auch bei der Projektauswahl beraten. Der Fonds hat einige geprüft wie etwa die Arbeit des Flüchtlingshilfswerks Refugio, bietet gegen Gebühr aber auch Recherchen in aller Welt an. Der Fonds hilft dank des Partners Allianz dann kostenlos bei der Gründung und der steuerlichen Anerkennung. Gegen drei Prozent der jährlichen Stiftungseinnahmen bis maximal 1500 Euro im Jahr bietet man eine separate Buchhaltung und ähnlichen „Basis-Service“. Das sei günstig, erklärt Paxmann, weil sich vieles habe standardisieren lassen und weil man keine Agentur-Sätze verlange. Auch bei der nötigen Spenden-Aquise im Internet, auf privaten oder auf FirmenFeiern hilft die Dachorganisation. Mit entsprechendem Auftrag oranisiere man auch mehr – von der Vergabe von Stipendien bis zum Aufbau eines Kinderheims. Zudem werden die Stifter vernetzt: Auf besonderen Treffen stellen sie sich gegenseitig ihre Adressaten für die Wohltätigkeit vor und nicht selten entstehen dabei ganz neue Synergieeffekte, so Paxmann. Fazit für ihn: Der Fonds hat einen wunderbaren Multiplikatoreneffekt. Und das, obwohl man bewusst auf prominente Zugpferde verzichte. Die Idee Stifterfonds fand Nachahmer: Auch die Salesianer Don Bosco, die Malteser, die Barmherzigen Brüder oder das Kinderhilfswerk Plan International überzeugte das zentrale Konzept. Diese Orden und Organisationen greifen auf das bürokratische Know-how des Kinderfonds zurück. Weil diese Zentren die Mini-Stiftungen für einen Zweck bündeln, müssen die Klein-Stifter dafür nicht weiterspenden. Renate Winkler-Schlang Informationen zum Kinderfonds und den anderen Stifterzentren an der Sollner Straße sind erhältlich unter der Rufnummer 744 200 200. Hort der Literatur Schlecht ist die Aussicht nicht, die sich dem hemdsärmeligen Herrn von seinem Stuhl im dritten Stock bietet. Und dennoch scheint ihn mehr zu interessieren, was auf dem Tisch vor ihm liegt, denn offensichtlich liest der Mann. Damit hat die „Stiftung Buch-, Medien- und Literaturhaus München“, in deren Foyer er sitzt, bei ihm Erfolg gehabt. Seit 1993 gibt es die Einrichtung. Vier Jahre später wurde das Literaturhaus am Salvatorplatz eröffnet, saniert für zehn Millionen Euro, die Stadt und Stifter aus der Privatwirtschaft aufgebracht hatten. Seither finanziert sich die Stiftung aus den Einnahmen, die die Vermietung von Räumen bringt, und einem jährlichen Zuschuss der Stadt. Das Literaturhaus soll ein Treffpunkt für Schreibende und Verleger sein. Mit seinen zahlreichen Veranstaltungen wendet es sich aber auch an den Normalbürger. Nur Bücher sollte man mögen. ruc/Foto: motrach 59 Ausgezeichnete Beiträge SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (IX) Wenn der Tod nach dem jungen Leben greift Die „Kleinen Riesen“ wollen die noch verbleibende Zeit für alle Beteiligten so harmonisch wie möglich gestalten Von Thomas Kronewiter Sie wäre noch so gerne mit Delphinen geschwommen. Doch dieser Herzenswunsch musste unerfüllt bleiben. Marina, die im Frühjahr kaum mehr das Bett verlassen konnte, reichte die Zeit nur noch zur Adoption zweier Plüsch-Schafe. Marina, die das Leben so liebte und auch die Tiere, der 13-jährige Wirbelwind in einer vierköpfigen Familie, starb an einem frühen Montagmorgen im April – zwei Jahre, nachdem bei dem lebenslustigen Mädchen ein Hirntumor entdeckt worden war. Zurück blieben die Eltern und die jüngere Schwester. Die sei mit ihren elf Jahren „fast erwachsen geworden“, sagt Mutter Gabi. Sie trifft mit Mann Rainer an diesem Nachmittag noch einmal das Ärzte- und Betreuerteam des Schwabinger Krankenhauses. Ein Dankeschön-Termin. Mitgebracht hat sie dennoch nichts. Irgendwie erschien ihr alles unpassend. Was schenkt man auch den Menschen, die der Familie beim Sterben der eigenen Tochter zur Seite standen? Marina wurde 13 Jahre alt. Nach der Therapie und einer beglückenden Phase der Besserung ging es ihr nach Weihnachten plötzlich rapide schlechter. Diesmal war der körperliche Verfall unaufhaltsam. Irgendwann mussten die Ärzte den Gedanken an eine Heilung endgültig aufgeben. Nur ihren Wunsch, die verbleibende Zeit zu Hause zu verbringen, konnte das Team der Kinderonkologie im Schwabinger Krankenhaus noch erfüllen. Bürokratische Grenzen gab es nicht für Oberärztin Michaela Nathrath und ihre Mannschaft, dafür sorgte das Projekt „Kleine Riesen“. Am Ende schlief Marina ruhig ein, im Kreise ihrer Familie, über Wochen intensiv betreut von ihrer aus der Klinik vertrauten Krankenschwester und vom bekannten Stationsarzt. 60 Serienpreis Der Zettel der Barbara König 180 000 Euro hat Michaela Nathrath für diese Form der Sterbebegleitung gesammelt, dazu stellt Sixt ein Auto und die Agentur Serviceplan den „Kleinen Riesen“ unentgeltlich das Logo. 10 000 Euro kommen von der Bayerischen Krebsgesellschaft, 70 000 Euro vom Schwabinger Rotary-Club, mit 100 000 Euro stellt die Barbara-König-Stiftung den größten Betrag für das zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt. Das Geld finanziert, was Krankenkassen nicht mehr übernehmen. Dass Assistenzarzt Martin Schöniger auch nachts um drei aus dem Bett geklingelt werden kann, nicht bloß der diensthabende Mediziner des Ärztlichen Notdienstes. Dass Krankenschwester Sabine Zehentmeier täglich für vier Stunden zu todkranken Kindern nach Hause fährt und dort mehr tut als nur die Schmerzpumpe mit dem Morphium neu einzustellen. Sondern auch mit einer Gesichtsmassage verwöhnt oder mit der jüngeren, überforderten Schwester der Patientin einmal Einkaufen geht. Damit erfüllt sich auch Barbara Königs letzter Wunsch. Die Seniorin starb 92-jährig am Silvestertag 1993 anonym in einem Münchner Altenheim. Unter ihren Unterlagen fand sich ein handgeschriebener Zettel. „Alles was ich habe geht an Krebs u Aidskranke Kinder auch das Geld“, war dort zu lesen, unterschrieben und mit Datum versehen – formal ausreichend als Letzter Wille. Alles, was Barbara König hatte, waren 1,7 Millionen Mark in Wertpapieren. Geld, das die städtische Stiftungsverwaltung mittlerweile rentabel angelegt hat. 1996 errichtete die Stadt die BarbaraKönig-Stiftung, 1997 wollte man beginnen, Geld in gute Werke fließen zu lassen. Doch trotz unzähliger Briefe erhofften die Mitarbeiter der Stiftungsverwaltung vergebens einen Antrag auf Stiftungsgelder. Zu groß seien die Berührungsängste vor allem der Eltern aidskranker Kinder, dass die Namen ihrer Kinder aktenkundig werden – und diese dann für immer abgestempelt sind. „Wir haben daraus gelernt, dass wir in diesem sensiblen Bereich einen persönlichen Kontakt aufbauen müssen.“ Katharina Knäusl, Leiterin der Stiftungsverwaltung, griff zum Telefonhörer. Mit dem Vorsitzenden der Deutschen Aidsstiftung hat sie mittlerweile die üblicherweise stiftungsrechtlich unzulässige Vereinbarung getroffen, gegen einen anonymisierten Verwendungsnach- weis Geld auszuzahlen. Vorstand Ulrich Heide bekommt jetzt in Abständen Schecks über 5000 Euro, damit wurde schon einmal ein Kinderzimmer besonders liebevoll ausgestattet, eine Urlaubsreise zu den Großeltern ermöglicht, damit werden Kindern Perücken bezahlt. Geld bekam auch die „Schule für Kranke“, großzügig unterstützt wird seit 2003 die Arbeitsgemeinschaft Elterninitiativen Krebskranker Kinder München: Für drei Jahre gab der Stadtrat aus Stiftungsmitteln je 40 000 Euro frei, das Geld dient der Nachsorge. Auch für die 100 000 Euro zu Gunsten der „Kleinen Riesen“ war ein Stadtratsvotum nötig. Anlass für den Entschluss, mit Hilfe der Elterninitiative Krebskranke Kinder München Stiftungsmittel anzufordern, war für Oberärztin Nathrath der Tod der kleinen Sophia. Die wollte nach hoch dosierter Chemotherapie und vergeblicher Stammzellentransplantation, als weitere therapeutische Optionen nicht mehr bestanden, nur noch nach Hause. Sophia starb am Ende, nach fünf schlimmen Krisennächten, betreut von drei verschiedenen Dienst habenden Schwestern – und hinterließ dem Schwabinger Ärzte- und Schwestern-Team Betroffenheit und Ratlosigkeit. Wie sorgt man für Kontinuität in der Betreuung? Wie kann man den Wünschen sterbender Kinder nachkommen, die meist nur noch eines wollen: zu ihrer Familie? Was sagt man Eltern, die Angst haben vor dem, was sie erwartet? Wie geht man ein auf Geschwister, die das Leiden miterleben und darunter selbst leiden? „Das eigene Kind sterben zu sehen“, sagt Nathrath, „ist mit die größte Katastrophe, die sich für Eltern ergeben kann“. Deshalb ist es Anliegen der „Kleinen Riesen“, die verbleibende Zeit für alle Beteiligten so harmonisch und friedlich wie möglich zu machen. Für Eltern und Geschwister gehe das Leben ja weiter, für Nathrath ist es deshalb das Horror-Szenario schlechthin, wenn sich das Sterben so dramatisch vollzieht, dass die Verwandten unversöhnt zurückbleiben. Im umgekehrten Fall hätten die kranken Kinder in der ihnen verbleibenden Zeit noch „unglaublich viel mitzugeben“. Die ersten beiden Male hat die neu konzipierte Sterbebegleitung „sehr gut geklappt“. Wenn klar sei, dass sich das Therapieziel ändern müsse, dass es nicht mehr darum gehe, dem Leben Tage, sondern den Tagen Leben zu geben, stehe nur noch die Lebensqualität im Mittelpunkt. Dazu gehört vor allem weitgehend Schmerzfreiheit. Beim Erfüllen von Wünschen unterstützen die Hospizhelfer – etwa wenn sie Kaulquappen fürs Aquarium beim Familienausflug mit den eigenen Kindern an den Starnberger See selbst aus dem Wasser fischen. Wenn es kompliziert wird, vermittelt Barbara Neumann vom Psychosozialen Dienst der Kinderonkologie Kontakt zu Vereinen wie „Herzenswünsche“, die alle Hebel in Bewegung setzen, um an sich Unerfüllbares zu erfüllen. Der 13 Jahre alte Aaron verwirklichte so einen Traum. Einmal im Leben wollte der todkranke Patient des Schwabinger Krankenhauses Helikopter fliegen. Der Verein „Herzenswünsche“ vermittelte. Eine Woche vor seinem Tod erlebte Aaron am Steuerknüppel eines Rettungshubschraubers seinen letzten Ausflug. Mit dem Hubschrauber über München fliegen – Aaron (vorne) erfüllte der Verein „Herzenswünsche“ diesen Traum. Für den 13-Jährigen war es der letzte Ausflug. Ein Dankeschön-Termin im Krankenhaus: Gabi und Rainer Albrecht erinnern sich mit Barbara Neumann vom Psychosozialen Dienst, Oberärztin Michaela Nathrath, Krankenschwester Sabine Zehentmeier und Assistenzarzt Martin Schöniger (von li.) an die letzten Monate mit Marina. Fotos: privat/Kronewiter Die Grenzen der Großzügigkeit Unter strengen Auflagen kann der Stiftungszweck geändert werden Es waren nur ein paar Minuten der Unaufmerksamkeit, die das Leben der Familie Junges von Grund auf verändern sollten. Als die Mutter den zweijährigen Sebastian regungslos im Pool treibend fand, war es zu spät. Der Notarzt konnte ihn zwar ins Leben zurückholen – sein Gehirn hatte jedoch einen nicht wieder gut zu machenden Schaden erlitten. Krankenhäuser und Akut-Intensivstationen, in denen Beatmungsgeräte ihn am Leben erhalten, sind seither sein Zuhause. Jetzt ist Hoffnung, dass auch Sebastian bald wieder in einem beinahe richtigen Zuhause leben kann. 61 Ausgezeichnete Beiträge Denn im Herbst startet die neugegründete AtemReich GmbH ihre Arbeit. Erst einmal mit einer Gruppe, um ein neu entwickeltes Konzept zur Förderung von chronisch kranken Kindern im Vorschulalter zu erproben. Das große Ziel ist ein Neubau auf dem Gelände der ehemaligen Lachnerklinik. Hierbei kann sich die AtemReich GmbH der Unterstützung des Stiftungsamtes München sicher sein. „Ein wundervolles Projekt“, schwärmt dessen Leiterin Katharina Knäusl. Rund 50 000 Euro sollen für die beatmeten, schwerstbehinderten Kinder aus der „Franz, Therese, Isabella, Hildegunde Schulmeier-Stiftung“ zur Verfügung gestellt werden. Dass das heute überhaupt möglich ist, haben die Kinder einem anderen, weit zurückliegenden Familiendrama zu verdanken. Im Alter von fünf Jahren starb 1918 die behinderte Tochter Hildegunde von Franz und Therese Schulmeier. Bei einem Ausflug der Familie schlug das Schicksal erneut zu: Am Pfingstmontag 1926 starb die zweite Tochter Isabella im Alter von 15 Jahren bei einem Eisenbahnunglück im Ostbahnhof. Sein mit einem Klaviergeschäft gemachtes Vermögen und das von der Entschädigung gekaufte Haus in der Moosacher Dirrstraße 3 hinterließ das Ehepaar „blinden, tuberkulösen und verkrüppelten Kindern und Doppelwaisen“. Doch die so großzügig bedachten Kinder waren für das Stiftungsamt kaum noch zu finden. „Die soziale Situation war Anfang des letzten Jahrhunderts eine völlig andere. Blinde sind heutzutage gut anderweitig gefördert, tuberkulöse Kinder gibt es kaum noch und auch Waisenkinder sind meist nicht mehr bedürftig im Sinne des Steuerrechts“, sagt Helmut Fichtl, vor seiner Pension Mitarbeiter des Münchner Stiftungsamtes. Er hat die Stifterin Therese Schulmeier noch persönlich gekannt. „Gern wäre sie, alt und krank wie sie am Ende ihres Lebens war, in eine Wohnung oder Heim gegangen. Das Haus konnte sie allein nicht mehr erhalten.“ Doch die Erbfolge war mit der Stiftung notariell festgelegt und konnte einseitig von ihr allein nicht mehr geändert werden. „Da war 41 Jahre später nichts mehr zu machen.“ Geändert werden konnte jedoch der Stiftungszweck. „2001 wurde er erweitert um Kinder, die schwerkrank und behindert sind, sowie Vollwaisen und Kinder, die in Heimen unterstützt werden“, erinnert sich Fichtl. Dass es generell möglich ist, unter strengen Auflagen der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern den Stiftungszweck zu ändern, bestätigt Stiftungsreferentin Monika Schretter. Der Fall trete ein, wenn der Zweck wegfällt, weil er nicht mehr möglich ist, oder sich die Schwerpunkte verändert haben, was zum Zeitpunkt der Stiftung nicht absehbar war. „Oberste Richtschnur bleibt dabei jedoch der Stifterwille. Die Veränderung muss dem Grundgedanken des Stifters entsprechen.“ Hilfe für Kinder könne nicht einfach in Denkmalschutz umgewandelt werden. Ein zwangsläufiges Verfallsdatum hat 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel die „Dr. Alfred und Alice Ammelburg-Wohltätigkeitsstiftung“. Nach dem Willen der Stifter sollten ausschließlich Kriegsopfer die Begünstigten sein. „1990 wurde der Stiftungszweck auf ,allgemein Bedürftige’ erweitert“, sagt der mit der privaten Ammelburg-Stiftung betraute Helmut Fichtl. „Solange jedoch bedürftige Kriegsopfer gefunden werden, werden sie an erster Stelle die Nutznießer der Stifterspende bleiben.“ Erst der Rest gehe an andere Bedürftige. Frauke Biereder Bildunterschrift: Helmut Fichtl. Foto: Biereder 62 Schwerwiegender Entschluss Der Entschluss zur Gründung einer Stiftung sollte wohl überlegt sein. Denn zurücknehmen lässt er sich nicht – allenfalls an der Organisation können zu Lebzeiten des Stifters nachträglich Änderungen vorgenommen werden – etwa wenn eine private Stiftung unter städtische Verwaltung gestellt werden soll (oder umgekehrt). In diesem Fall, warnt Katharina Knäusl, Leiterin der städtischen Stiftungsverwaltung, komme ein „nicht unproblematisches Verfahren in Gang“. Beantragt werde dies bei der Stiftungsaufsicht, der Regierung von Oberbayern. Gründe müssen vorgebracht werden – etwa, dass sich der Stifter stärker selbst einbringen will. Dass ein Stifter tatsächlich ernsthaft seine Stiftung wieder auflösen will – diesen Fall hatte die städtische Stiftungsverwaltung noch nie. Auch ein zeitliches Ausschlusskriterium gibt es: Zehn Jahre nach Errichtung einer Stiftung enden alle denkbaren Ansprüche. Kompliziert wird es, wenn der Stifter später beispielsweise pflegebedürftig wird und seine Pflege nicht mehr aus eigenen Mitteln finanziert werden kann. Dann, wenn öffentliche Gelder für einen einst vermögenden Stifter aufgewandt werden müssten, sei die Rückabwicklung rechtlich möglich, räumt Knäusl ein. Nach dem Tode des Stifters können nicht bedachte Erben eine ordnungsgemäß errichtete Stiftung nur aus einem Grund zu Fall bringen: wenn die Stadt ausdrücklich gestellte Bedingungen nicht erfüllt. Unterlässt also die Stiftungsverwaltung eine vereinbarte Grabpflege oder stellt sie die jährlich vereinbarte Bestellung einer Totenmesse ein, kann erfolgreich angefochten werden. Ein Verschulden muss jedoch vorliegen – so ist etwa die Grabpflege nur bis zur Auflösung des Friedhofs möglich. tek Serienpreis Von Sabrina Ebitsch genau beziffern lässt – sie ist eine der größten und die älteste Stiftung Münchens. In drei Jahren, wenn die Stadt ihren 850. Geburtstag feiert, feiert sie ihren 800. „Sie ist ein lebendiges Beispiel für kommunale Stiftungsverwaltung“, sagt Katharina Knäusl von der Münchner Stiftungsverwaltung. Förster Josef Wöhrle pflichtet bei: „Faszinierend, dass sich die Stiftung und ihr Stiftungszweck so lange bis in unsere kurzlebige Zeit erhalten hat.“ Der Stamm der Buche ist zu dick, als dass Förster Josef Wöhrle sie mit seinen langen Armen umfassen könnte. Gut 300 Jahre hat sie gebraucht, um so groß zu werden und damit ist sie einer der ältesten Bäume im Forst Kasten, der „grünen Lunge“ Münchens im Norden des Starnberger Sees. Dabei ist die Rotbuche nicht einmal halb so alt wie ihre fast 800-jährige Eigentümerin. Sie und mit ihr der ganze Forst Kasten gehören der Heiliggeistspital-Stiftung. Wenn sich auch mit dem über 800 Hektar großen Stiftungswald der wertvollste Besitz kaum auf den Euro Hervorgegangen ist sie aus einem vom bayerischen Herzog Ludwig I., dem Kelheimer, gegründeten Pilgerhaus, das er im Jahr 1208 am Viktualienmarkt erbauen ließ. Rasch wurde das Pilgerhaus, das wie damals üblich unter den Schutz des Heiligen Geistes gestellt wurde, zu einer wichtigen Einrichtung der Armen- und Krankenpflege in der Stadt, wo von Ordensbrüdern neben Kranken auch so genannte „Pfründner auf Dauer“, wie die Altenheimbewohner des Mittelalters genannt wurden, und später auch Findelund Waisenkinder sowie geistig behinderte SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (X) Mit dem Segen des Heiligen Geistes Der Stadt älteste Stiftung kümmert sich um Alte und Kranke, ein 800 Hektar großer Forst ist ihr wertvollstes Gut Menschen in den „Kinds-“ und „Narrenstuben“ versorgt wurden. Dieses Erbe hat die Stiftung bis in unsere Tage hinein bewahrt. Sie verfolgt „ausschließlich unmittelbar gemeinützigen und mildtätige Zwecke“, heißt es in der Satzung. Seit dem 15. Jahrhundert konzentriert sich die Stiftung auf die Altenpflege und verwirklicht diesen Anspruch heute noch durch die Unterhaltung des Altenheims Heiliggeist. Es ist die dritte Generation des Spitals: Das Gebäude am Viktualienmarkt fiel ebenso wie ein Drittel Münchens dem großen Stadtbrand 1327 zum Opfer. Aber erst als das sich ausbreitende Markttreiben des Viktualienmarkts, das sich auch im Spitalhof abspielte, allzu störend wurde, zogen die Altenheimbewohner 1823 aus dem alten, baufälligen Gebäude aus, das Ende des Jahrhunderts endgültig abgerissen, während die angrenzende Heiliggeist-Kirche erweitert wurde. In der neuen Bleibe, dem inzwischen abgerissenen Kloster von St. Elisabeth in der 63 Ausgezeichnete Beiträge Mathildenstraße im heutigen Klinikviertel, wurde es auch bald zu eng. Schließlich hat man am Dom-Pedro-Platz in Neuhausen bis 1907 ein für damalige Verhältnisse höchst modernes Heim gebaut, in dem die Senioren nicht mehr in Mehrbettzimmern und nach Geschlechtern getrennt hausten. Bis vor 20 Jahren betreute es der Orden der Barmherzigen Schwestern, bis diese aus Nachwuchsmangel aufgeben mussten. Heute kümmert sich die Münchenstift GmbH um den Betrieb des Heims mit 328 Pflegeplätzen. Die laufenden Kosten trägt das Heim zwar selbst, aber für seinen Instandhaltung kommt die Stiftung auf. Ihr Vermögen setzt sich zusammen aus Erträgen aus Kapitalanlagen, Spenden und Nachlässen. Auch der Forst Kasten wird in einigen Jahren, wenn er nach seiner Umstellung mit mehr Laubbäumen neu aufgeforstet und erholt ist, durch Holznutzung und -verkauf wieder dem Stiftungszweck zu Gute kommen, wie es jetzt schon das Gasthaus und der Biergarten Forsthaus Kasten tun. Mitten im Wald versorgen die Wirte mit einem über 100 Jahre alten Bewirtungsrecht Wanderer und Radler. Die Pacht geht an die Stiftung. Nicht nur die Ausflügler, auch die Kommune weiß den Wald zu schätzen. „Das ist gerade unter erholungspolitischen Gesichtspunkten etwas ganz Besonderes, das nur wenige Stiftungen haben. Was die Heiliggeiststiftung ausmacht, ist der Forst“, erklärt Knäusl. Vor fast 700 Jahren kaufte das Spital Heinrich von Smiechen, einem Ministerialen der Grafen von Andechs, sein „Gut zu Chastel“ mit dem dazugehörigen Forst Kasten für 110 Pfund Münchner Pfennige und zehn Ellen kostbare flandrische Spitzen ab. „Bei schönem Wetter geht es ganz schön zu auf den Wegen. Der Wald ist ein stark frequentiertes Naherholungsgebiet, die Ausflügler kommen von allen Seiten“, sagt Josef Wöhrle. Das war vor Hunderten von Jahren nicht viel anders. Für den Förster erzählt der Wald Geschichten und Geschichte: Von der Hohen Jagd der Fürsten etwa, denn der Forst Kasten war „seit unfürdenklicher Zeit“ Teil des fürstlichen 64 Leibgeheges, das sich damals vom Schloss Nymphenburg die Würm entlang bis hierher erstreckte. Noch heute erinnert die Preysingsäule am Waldrand an einen Jagdunfall: Der Kurfürst ließ sie 1735 zu Ehren der Mutter Gottes errichten, als Großkanzler von Preysing sich nach einem Sturz vom Pferd wieder erholte. Oder von den Weltkriegen, als der Wald in der Nachkriegszeit wichtigste Brennholzressource für die Stadtbevölkerung war. Aber mehr noch: Der heutige Forst Kasten weist bis in die Zeit der Kelten zurück – der eigentümliche Name „Kasten“ leitet sich von einem keltischen Lager, „Chastel“, ab, das bei Buchendorf stand. Über ihren Stiftungswald, der auch „Spitalwald“ oder „Heiliger-Geist-Wald“ genannt wurde, hat die Heiliggeistspital-Stiftung ein nicht nur Jahrhunderte, sondern gar Jahrtausende altes Erbe. Bildunterschrift: Der Förster und der ruhige Forst: Josef Wöhrle begutachtet den Nachwuchs an seinem Arbeitsplatz im Stiftungswald Forst Kasten. Foto: Sabrina Ebitsch Beratung – Förderung – Kontrolle Jede rechtsfähige Stiftung untersteht der staatlichen Stiftungsaufsicht. Im Fall der Landeshauptstadt München ist die Regierung von Oberbayern zuständige Behörde. Sie ist verpflichtet, die Stiftung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben „verständnisvoll zu beraten, zu fördern und zu schützen.“ Außerdem wacht sie darüber, dass der Stifterwille umgesetzt, die Bestimmungen der Satzung eingehalten und die Gesetze nicht verletzt werden. Die von der Kommune verwalteten nichtrechtsfähigen Stiftungen werden ebenfalls von der Regierung von Oberbayern innerhalb der allgemeinen Kommunalaufsicht betreut. ands Die Fesseln des Rollstuhls Krone-Stiftung kämpft gegen Barrieren des Alltags an Treppen, Türen, Autos stehen für Vorwärtskommen und Mobilität. Für Rollstuhlfahrer bedeuten sie oft unüberwindbare Hindernisse. Barrieren abzubauen – nicht zuletzt jene im Kopf – dafür setzt sich die Heinz und Maria Krone-Stiftung ein. Sie will Menschen bei der Wiedereingliederung in den Alltag unterstützen, die sich nach Krankheit oder Unfall in einem Leben im Rollstuhl zurechtfinden müssen. Die Münchner Stiftung ist deutschlandweit die einzige, die sich dieser Problematik widmet. Hinter dem Engagement der Stifter steht eine persönliche Geschichte: Heinz Krone war nach einer Krankheit seit 1983 selbst an den Rollstuhl gefesselt und sah sich als Unternehmer im Berufsleben mit etlichen Widrigkeiten konfrontiert. Nach seinem Tod gründete seine Frau Mia 1999 die Stiftung, um jenen zu helfen, die ein ähnliches Schicksal erlitten hatten. „Das Ziel unserer Stiftung ist es, Rollstuhlfahrern auf dem Weg in ein möglichst barrierefreies und selbstständiges Leben zu helfen“, erklärt Mia Krone. Betroffene können sich mit einem Antrag an die als mildtätig anerkannte Stiftung wenden, die sie dann finanziell unterstützt, sei es bei der Anschaffung eines Treppenlifts oder eines behindertengerechten Autos. „Wir bemühen uns, unsere Antragsteller so schnell und unkompliziert wie möglich zu unterstützen“, so Carola Krone, Tochter des Stifterpaars und Geschäftsführerin der Stiftung. Außerdem strebt sie den Aufbau eines Netzwerks an, in dem Aktivitäten verschiedener Vereine und Initiativen gebündelt werden sollen. Davon verspricht man sich auch mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit – ebenso wie von einem Fotowettbewerb zum zentralen Thema der Stiftung: „Barrieren“ wird im Dezember noch einmal in der Fachhochschule München zu sehen sein. Sabrina Ebitsch Bildunterschrift: Geschäftsführerin Carola Krone. Serienpreis SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (XI) „Mich gibt es nicht mehr“ Die Herbert und Wilhelmine WagnerStiftung hilft Selbständigen, deren langes Arbeitsleben nicht belohnt wird Von Frauke Biereder Nichts ist zu bemerken von dem am Telefon angekündigten „chaotischen Zustand bei mir“. Im Gegenteil, akkurat ist jedes Stück auf Hans Noevers Schreibtisch an seinen Platz gerückt. In dessen Mitte steht einsam ein Notebook, auf dem Bildschirm flimmern die ersten Textzeilen des neuen Buches des Autors und Regisseurs. Berge von Szenenfotos bis heute bekannter Filme und ihrer Entstehung, private Erinnerungen aus zwei Ehen und den Kindertagen der beiden Söhne warten, fein säuberlich gestapelt in Kisten und Kasten, in Regalen und Truhen, auf ihre Wiederentdeckung. Ruhe und Ordnung umgeben den schlanken Mann mit den grauen Haaren, dem man das Geburtsjahr 1928 kaum glauben mag, in seiner Altbauwohnung in der Schwabinger Adelheidstraße. Vor wenigen Jahren noch genoss er den Beifall des Publikums – heute ist Hans Noever dagegen fast vergessen. „Der Jugendwahn hat mich aussortiert“, sagt er ohne Pathos. „Mich gibt es nicht mehr. Ich bin zu alt, um beschäftigt zu werden, glauben die Produktionsfirmen.“ Schon bei der zu teuren Versicherung für ältere Regisseure fange das Dilemma an. Wie ein Schatten huscht Resignation über sein Gesicht, um sofort wieder einem strahlenden Lächeln Platz zu machen. Von den schönen Zeiten erzählt er dann, als er preisgekrönte Dokumentarfilme drehte, Weltstars wie Michel Piccoli in „Der Preis fürs Überleben“ vor der Kamera dirigierte. Dreizehn Tatort-Krimis hat er gedreht, zwei mit Götz George als Schimanski. Rio Reiser, den früh verstorbenen Kult-Rocksänger, nennt er „meinen sehr seelenverwandten Freund“. Vom Grimme-Preis für die TV-Serie Reporter, dem Chicagoer „Silver Award“ über den Bayerischen Filmpreis und die tz-Rose bis hin zum Hörspielpreis der Kriegsblinden – dem „Oscar“ der Hör- spielpreise – kaum eine Auszeichnung, die das Gründungsmitglied des Filmverlags der Autoren nicht bekommen hätte. Dabei bewies Hans Noever stets ein Faible für skurrile Geschichten – sein Leben ist eine davon. In Krefeld geboren, ohne Abschluss vor dem Abitur von der Schule gegangen, die Lehre in einer Chemikalien-Großhandlung abgebrochen, hat er sich früh aus einem Land gemacht, „das nach dem Krieg voller Lügner war, weil niemand was gewusst haben wollte“. Zu Fuß nach Italien, Berlin, Paris und in die Schweiz. „In Paris hab’ ich meine Tage im Café mit den Wiener Malern Ernst Fuchs und Friedensreich Hundertwasser verbracht. Alle drei waren wir damals noch unbekannt“, erzählt Noever lachend. „ Jean Cocteau saß gewöhnlich zwei Cafés weiter.“ Seine ersten Gedichte schrieb er halb verhungert auf Klopapier, sein erstes Buch hieß „Venedig liegt bei Cleve“. Drehbücher, Erzählungen und Hörspiele folgten und er begann zu filmen. „Ich bin ein reiner Autodidakt“, sagt Noever. LowBudget-Filme waren seine Stärke, die Beschränkung beflügelte seine Kreativität. Er war erfolgreich, aber reich ist er davon nicht geworden. „Da blieb für das Hono- 65 Ausgezeichnete Beiträge rar des Regisseurs oft nicht viel übrig.“ Auch nicht für eine Alterssicherung. Wenigstens hat ihm aus so manchem finanziellen Engpass in den vergangenen Jahren ein Ehepaar geholfen, das schon lange tot ist: Vor mehr als 25 Jahren beschlossen Herbert und Wilhelmine Wagner, Inhaber des mittelständischen Gewerbebetriebes Thomas Gmach Nachfolger in der Balanstraße, Menschen zu helfen, die ein Leben lang selbständig waren, viel gearbeitet haben und im Alter dennoch kaum Rente bekommen. Nach dem Tod von Herbert Wagner wurde die Firma verkauft und abgerissen. Wohnhäuser in der Balan-, Chiemgau- und Kaganstraße entstanden dafür, die Wilhelmine Wagner später wiederum per Testament der „Herbert und Wilhelmine Wagner-Stiftung“ vermachte. „Das kinderlose Ehepaar war sehr erfolgreich“, sagt der Vorsitzende des Stiftungsbeirates, Heribert Eichhorn, der Wilhelmine Wagner noch persönlich kannte. „In ihrem Umfeld hat die Stifterin aber einige erlebt, denen es gar nicht gut ging: Unternehmer, die immer hart gearbeitet haben, im Alter dann aber im lebensfrohen München in der Ecke standen.“ Als Stiftungszweck legte sie deshalb fest: Bedürftige Münchner aus dem Mittelstand, Selbständige, Handwerker oder Kaufleute zum Beispiel ohne ausreichende Altersversorgung sind durch finanzielle Zuwendungen zu unterstützen. „Im Herbst feiert die Stiftung ihr zehnjähriges Bestehen“, freut sich der Vorsitzende des Vorstands, Helmut Fichtl. Bis Ende 2004 waren es exakt 368 870,58 Euro, die als Hilfe – stets in Form eines „Weihnachtsgeldes“ – geflossen sind. Eine Rheumaliege oder eine Kur, die die Kasse nicht übernimmt, ein Herd oder eine Wohnungsrenovierung, Brillen und Hörgeräte, Mietrückstände, Strom- oder Telefonrechnungen wurden zum Beispiel davon bezahlt, sagt Fichtls Stellvertreterin, Anja 66 Kästner. Die Wünsche sind so verschieden wie die Empfänger des Geldes: Handwerksmeister aller Berufe, Kaufmänner, Ladenbesitzer, Grafiker, Zauberkünstler, Filmemacher oder Holzbildhauer, die gerade mal so über die Runden kamen mit ihrem Verdienst. Doch eines haben sie gemeinsam: „Die Bedachten sind alle sehr dankbar und bescheiden“, sagt Kästner, „sie haben kein Anspruchsdenken.“ Alle hätten sehr viel und viele Jahre gearbeitet und geglaubt, noch länger werkeln zu können. Sie wurden aber von einem Tag auf den anderen etwa durch Krankheit oder Unfälle aus dem Arbeitsleben gerissen. Viele würden noch im hohen Alter versuchen, dazuzuverdienen, wie die 84-jährige ehemalige Boutiquebesitzerin, die jetzt Second-HandWaren anbietet. Und Hans Noever schreibt an seinem neuen Buch. Für den Dokumentarfilm über die innere und äußere Weltreise des blinden Peter Tiefenthaler – „Ich weiß, dass die Sonne ...“ – bekam Regisseur Hans Noever (links bei den Dreharbeiten) 1976 die tz-Rose verliehen. Mit „Der Preis für’s Überleben“, den Noever mit Weltstar Michel Piccoli gedreht hatte, wurde 1980 die Berlinale eröffnet. Gemeinsam nahmen sie den Beifall des Publikums entgegen. Viel Spaß mit den Darstellern Götz George und Ulrich Pleitgen gab es bei den Proben zum Schimansky-Tatort „Katja’s Schweigen“, der 1990 über die Bildschirme flimmerte. Fotos: Privatarchiv (3) Auf bedürftige Münchner fixiert Die Wagner-Stiftung basiert auf Immobilien, deren Mieten sehr gut eingehen. „Wir können noch Gelder vergeben“, sagt die stellvertretende Stiftungsvorsitzende Anja Kästner. Helfen würde man gern bedürftigen Münchner Selbständigen oder Handwerken ab 60 Jahren, die keine ausreichende Altersvorsorge haben. Durch Unfall oder Krankheit berufsunfähig gewordene Selbständige ab 50 Jahren, könnten nach dem Willen der Stifterin auch Unterstützung bekommen. Voraussetzung für alle ist jedoch, dass sie nicht erst im Alter nach München gezogen sind, sondern längere Zeit hier gearbeitet haben. Bewerbungen, über die der Stiftungsrat entscheidet, sind an Anja Kästner, Telefon 08081/955 33 74 (ab 18 Uhr), zu richten. bier Edles Tun oder Eigennutz? Vielen gilt das Stiftertum weniger als edles Tun denn als profaner Eigennutz. Der Eindruck hat sich für manchen seit dem Jahr 2000 verstärkt, dem Jahr der Steuerrechtsreform. In der Folge wurde auch das Stiftungsrecht modernisiert. Ausgaben zur Förderung mildtätiger, religiöser, wissenschaftlicher und der als besonders förderungswürdig anerkannter gemeinnütziger Zwecke können bis zu einer Höhe von fünf Prozent des steuerpflichtigen Einkommens geltend gemacht werden. Maximal 307 000 Euro, die jemand ins eigene Stiftungsvermögen fließen lässt, dürfen als Spende abgesetzt werden. Das gilt für die Zeit der Neugründung und die folgenden neun Jahre. Die Errichtung einer Stiftung ist damit steuerlich wesentlich attraktiver als eine Zuwendung an andere gemeinnützige Rechtsformen. Dahinter steht die Überlegung, dass diese Mittel auch dem Gemeinwohl zugute kommen, nur eben über einen anderen Weg als der staatlichen Umverteilung. Ulrich Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern will dennoch nicht von einem „Steuersparmodell“ sprechen: „Schließlich verschenken die Leute erstmal die Hälfte ihres Vermögens, bevor sie die andere geltend machen können.“ ands Serienpreis SZ-Serie: Eigentum verpflichtet – in München hat die Wohltätigkeit Tradition (XII und Schluss) Eisige Atmosphäre vor der Seehundbank Gert-Harro Kühn vermacht sein Vermögen „armen alten Menschen“ – die Verwandtschaft geht leer aus Von Andrea Schlaier Keiner sagt ein Wort. Nicht der Bruder des Toten, die Schwägerin schon gar nicht, kein Laut von der Lebensgefährtin, dem Nachlassverwalter und auch die Zwei von der Münchner Stiftungsverwaltung rühren sich nicht. Nur das Tuckern des Bootmotors ist zu hören, als sich die merkwürdige Gesellschaft um den kleinen Tisch in der Kajüte versammelt, in dessen Ecke die Urne steht, mit ein paar Blumen bekränzt. Die Gruppe ist auf dem Weg zur Hörnumer Bucht, im äußersten Süden von Sylt, die Seehundbank in Sichtweite. Genauso wie es Gert-Harro Kühn in seinem Testament festgelegt hat. Das kleine Schiff fährt im Kreis, die See wird spiegelglatt und in sie taucht der Kapitän die Urne, Blüten folgen den Linien des Strudels auf der Wasseroberfläche. „Es war ergreifend“, wird später GertHarro Kühns Steuerberater und Nachlassverwalter Jürgen Siehl sagen. Helmut Fichtl war weniger bewegt: „Die Familie hat sich doch noch entschlossen, gute Miene zu machen“ – nachdem er und Katharina Knäusl, die Leiterin der Stiftungsverwaltung der Stadt München, entschieden hatten, dem Bruder des Verstorbenen und seiner Frau Anreise und Hotel zur Seebestattung zu zahlen. Die Schwester hatte aus gesundheitlichen Gründen abgesagt. „Wir fanden einfach, die nahen Verwandten gehören dahin.“ Und so hat Fichtl „das Nötige organisiert“. Zur Begrüßung auf Sylt gab es dann nicht mal einen Händedruck für die Münchner. Frostige Stimmung. Schließlich hat die Verwandtschaft nicht einen Cent vom knapp Zweieinhalb-Millionen-Euro-Erbe abgekriegt. Stattdessen fließt der Großteil davon an „arme alte Menschen in München“. So wollte es Gert-Harro Kühn und vermachte sein Vermögen in der Hauptsache den „Vereinigten Wohlfahrtsstiftungen der Landeshauptstadt“, die von Knäusl und ihren Kollegen unter anderem verwaltet wird. Das hat die Behördenchefin bei einer kurzen Ansprache an Bord des Schiffes auch erläutert. Sehr schwer sei es gewesen, erinnert sie sich, der Familie klar zu machen, dass das für einen guten Zweck ist. „Kühn sah sich auf der Sonnenseite des Lebens und wollte davon etwas abgeben.“ Erst kurz vor seinem Tod hatte er sich an Fichtl gewandt, mit der Bitte, ihn in Stiftungsangelegenheiten zu beraten. Zu dem Zeitpunkt sei schon klar gewesen, „Bruder und Schwester bekommen nichts“. Kühns Steuerberater Siehl weiß, dass der Kontakt unter den Geschwistern gestört war. „Da gab es wohl Reibereien, weil Gert-Harro der einzige Nicht-Akademiker in der bildungsbürgerlichen Familie gewesen ist. Standesdünkel halt.“ Er verdiente seinen Unterhalt als Handelsvertreter von exklusiven italienischen Schuhen. Und das nicht schlecht. „Außerdem war er sehr geschickt in Geldgeschäften und äußerst sparsam.“ Von all dem wusste Helmut Fichtl noch nichts, als das Testament eröffnet wurde. „Wir müssen in solchen Fällen oft erst re- cherchieren, welches Vermögen der Stifter hatte und wie es aufgeteilt und angelegt war.“ Das versuchte der Beamte beim Bruder des Toten zu erfahren. „Ich habe ihn in Berlin angerufen; der war aber gar nicht kooperativ.“ Als er erfahren hatte, dass die Stadt alles erbt, „ist er ganz sauer geworden, wollte mit seinem Anwalt reden und überlegen, ob er und die Schwester das Testament anfechten.“ Sein Bruder sei ja schließlich krank gewesen. Der Diabetiker starb mit 67 Jahren. Es dauerte, bis Fichtl mit Hilfe von Siehl, der Lebensgefährtin und eines Freundes Geld und Immobilien, „die über ganz Deutschland und die Schweiz verstreut angelegt waren“, ausgemacht hatte. Ein ungewöhnlicher Fall auch für Fichtl mit seinen 30 Jahren Erfahrung in dem Metier. „Probleme mit enttäuschten Verwandten, die versuchen wollten, das Testament nochmals gerade zu biegen, haben wir immer gehabt.“ Doch erfolgreich seien die selten gewesen, denn: „Was nicht geschrieben ist, gilt nicht.“ Erben, die nicht bedacht wurden, „haben bei mir im Büro fast mal untereinander zu raufen angefangen.“ Der Beamte setzte sie getrennt voneinander in unterschiedliche Ecken des 67 Ausgezeichnete Beiträge Raumes. „Da werden dann ganz alte Geschichten ausgegraben, wenn einer sich beklagt, die Mutter habe ihn ja schon von klein auf benachteiligt.“ So konkret wurde es bei den Kühns nie. Die Lebensgefährtin und zwei Freunde wurden mit je 25 000 Euro, Möbeln und dem übrig gebliebenen Auto abgefunden. Vom Bruder des Stifters hat Fichtl seit der Seebestattung nichts mehr gehört. Bildunterschrift: Jedes Jahr gibt es in Deutschland mehr als 3000 Seebestattungen: Das Schiff fährt im Kreis, die See wird spiegelglatt und der Kapitän versenkt die Urne. Dann folgen Blüten den Linien des Strudels auf der Wasseroberfläche. Foto: dpa/SZ-Archiv 68 Letzter Wille, späte Ehe, zwei Zeugen War es nun der letzte oder doch der vorletzte Wille. Das ist nicht immer ganz klar. So war es auch bei der gerade genehmigten Stiftung einer Münchnerin, die auch als „juristisches Kuriosum“ durchgeht. So bezeichnet es jedenfalls Ulrich Schmetz von der Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberbayern, der mit dem Fall befasst war. „Die Frau war schwer krank und hat notariell die Stiftung zu ihrem Erben erklärt.“ So weit ein ganz gewöhnlicher Vorgang. Bis der „länger vorhandene“ Lebenspartner, der die Krebskranke zwei Wochen vor ihrem Tod geheiratet hatte, auftauchte. Mit einem Notizzettel in der Hand. „Du sollst alles haben“, stand da drauf. Und der Vorname des Partners. Aber keine Unter- schrift. Datiert war das Blatt auch. Und zwar auf einen Zeitpunkt nach der Testamentsunterzeichnung. „Mit dem Schrieb“, erinnert sich Schmetz, „dem Hausarzt und einer Pflegerin, die bezeugt haben, dass es sich dabei um die Schrift der Frau handelt, ging er zum Gericht.“ In zweiter Instanz ist der Ehemann vom Landgericht dann zum Alleinerben des Eine-Million-Euro-Vermögens bestimmt worden. Die damit kapitallose Stiftung wurde aufgelöst. ands Marion-Dönhoff-Förderpreis Marion-Dönhoff-Förderpreis Daniel Boese „Das Radio, das die Mark erschüttert“ Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8. 5. 2005 Sinnvoller wurden Rundfunkgebühren nie eingesetzt – Wie der Sender „Fritz“ das Land Brandenburg zivilisiert Mitten im Nichts der Nacht leuchtet plötzlich das Schild „Blue Magic“ und zeigt den Weg. Die Scheinwerfer haben schon eine Weile nur noch den Asphalt des Weges angestrahlt, und es schien, als ob hinter dem Ortsausgang von Seelow nichts mehr komme. Um von Berlin nach Seelow zu gelangen, ging es achtzig Kilometer über die Landstraße, immer geradeaus in Richtung Osten, erst vorbei an beleuchteten Musterhaussiedlungen, dann durch schwarze Alleen. Endlich kommt der Wegweiser und hundert Meter weiter ein voller Parkplatz vor einer Industriehalle, und vor der Metalltür stehen Mädchen ohne Jacke in der Schlange. Denn Fritz, der Jugendsender des RBB, hat es im Radio durchgesagt: „Am Samstag ist Fritz-Disco in Seelow“; es stand auf zig gelb-roten Plakaten rund um Seelow. Am Eingang versucht ein schmächtiger Türsteher, mit Bomberjacke und weißer Wollmütze Statur zu gewinnen. Drinnen, wo es sonst jeden Freitag für fünf Euro Eintritt Freibier gibt, schieben sich auf der Treppe zur Bar Menschen aneinander vorbei, für zwanzig Stufen braucht man drei Minuten. Am CD-Spieler macht Thomas Vogel von Fritz, was kein cooler DJ tun würde. Er zieht den Lautstärkeregler runter und spricht ins Mikrophon: „Ich will eure Stimmen hören!“, und während das Lied läuft, pumpt er mit dem Regler, und die Jungs und Mädchen singen mit: „Es war 'ne geile Zeit!“ Alle singen, die Abiturklasse vom Gymnasium Seelow, die Azubis, der Junge mit weißem Tank Top, Sonnenbrille und weißen Sneakers, der auf der Box von einem Fuß auf den anderen hüpft. Seit drei Jahren fährt Thomas Vogel jedes Wochenende im Herbst und im Frühjahr über die Dörfer Brandenburgs und spielt in den Dorfdiscos Musik, als gäbe es nur diesen einen Tag im Jahr zum Feiern. Der Berliner organisiert eigentlich für das Jugendradio die Off-Air-Promotion und komoderiert die Mittagssendung. Aber wenn er die Fritz-Disco ins Rollen bringt, in Seelow, Luckau, Cottbus, dann gibt er seinem Publikum mehr als eine Party, die in öden Orten das Leben pulsieren läßt, dann ist er Unesco-Sonderbotschafter für Jugendkultur in der Mark. Fritz unterstützt Projekte der Jugendlichen, die sonst keiner unterstützt. Bringt Musik im Radio, die sonst keiner bringt. Fritz macht jedem klar: Es ist cool, kein Nazi zu sein. Es ist cool, in Brandenburg zu leben. Zu bleiben. Fritz zu hören. Kein Nazi zu sein. Fritz bringt Kultur in ein Land, dem Kultur manchmal zu fehlen scheint. Vogel nennt sich „DJ T-Bird“. T-Bird, das ist natürlich der Ford Thunderbird, von dem die Beach Boys sangen: „She'll have fun, fun, fun, 'til her Daddy takes the TBird away.“ Nun lassen sich die Wellen von Oder, Spree und Dahme zwar nicht so gut surfen wie der Pazifik, aber Fritz ist der stromlinienförmige 350-PS-Flitzer, der die Jugend von Brandenburg zum Abenteuer fährt. In Seelow, der Stadt mit der zweithöchsten Arbeitslosenquote von Brandenburg, 28,6 Prozent, entgleitet allerdings Thomas Vogel gerade der Abend, sein Kopf schmerzt, es läuft „The Joker“ im Fat-Boy-Slim-Remix, und die Leute hören auf zu tanzen. Sie gehen, ein paar stecken sich eine Zigarette an und stehen am Rand, andere laufen zur Bar. Drei Meter hinter Thomas steht Ernie und hofft auf Rock. Vor einer Weile hat er sich ein Lied gewünscht von System of a Down, kalifornischen Hardcore-Rockern. Die Antwort: „So harte Sachen können wir hier nicht spielen.“ Die Stammgäste aus dem „Blue Magic“ haben sich harten Techno gewünscht, aber auch das will Vogel nicht spielen. Gut für Ernie, denn immer wenn auf Fritz Techno läuft, schaltet er seinen Lieblingssender aus. Jeden Tag, wenn er aufsteht und sich fertig macht für die Arbeit in der Autowerkstatt, hört er die „Radiofritzen am Morgen“. Ohne sein Radio hätte er heute gar nicht ins „Blue Magic“ gefunden, erzählt er: „Eigentlich gehe ich nicht in die Disco, wenn das nicht von Fritz wäre, wäre ich nicht hingegangen.“ Seine Freunde trifft er meistens zu Hause, manchmal fahren sie rüber nach Polen, weil es da einen guten Club gibt, in dem Rock läuft. DJ T-Bird spielt jetzt die Backstreet Boys, der Kaugummi-Pop rettet ihn vor der leeren Tanzfläche. „Die peinlichen Sachen sind manchmal die besten“, sagt er erleichtert. Ernie wartet weiter. Mit richtigem Namen heißt er Christian, aber schon im Gymnasium nannten ihn alle nur Ernie. Heute trifft er viele von denen wieder, die mit ihm Abitur gemacht haben. Es sind Semesterferien, und auch die, die in Dresden, Kassel oder Bremen studieren, sind zur Fritz-Disco gekommen. Man trinkt Wodka-Red-Bull, teilt Zigaretten, stößt an mit denen, die dageblieben sind. Auch Ernie wollte mit 22 schon längst weg sein aus dem Oderbruch; an der Küste in Kiel fing er als Zivi im Altenpflegeheim an. Aber eine Lehrstelle, die hat er dann doch in Eberswalde gefunden, sein Vater hat eine Autowerkstatt und kannte jemanden, so lernt Ernie jetzt KfzMechaniker. Dabei sind ihm die Autos gar nicht so wichtig, seinen Polo hat er nicht getunt – nur ein paar größere Lautsprecher hat er eingebaut. Um kurz nach drei leert sich die Disco, Thomas Vogel sagt an: „Der Bus nach Gusow fährt in genau vier Minuten ab.“ Kleinbusse fahren auf jedes Dorf, bringen die nach Hause, die nicht mehr fahren können, und die, die noch nicht dürfen. Kurz vor Schluß erfüllt Thomas Ernies Wunsch 69 Ausgezeichnete Beiträge und spielt „Thunderstruck“ von AC/DC. Wie ein Mann steht sein Publikum da und feiert, Luftgitarre, hüpfende Mädchen, Ernie lacht. Konrad Kuhnt war von Anfang an bei Fritz dabei, heute ist er Chefredakteur. „Gleichzeitig mit dem Programmstart von Fritz kam in Brandenburg der Komplettzusammenbruch der Jugendkultur, von Trägern und der Infrastruktur. 1993 gab es keine Jugendclubs, Kinos oder Discos mehr. Unser Ansatz war, die Kultur aufs Land zu bringen. Wir haben Moderatoren wie Jürgen Kuttner rausgeschickt, Bands auf Tour geschickt, im Sommer auf den Dörfern Kino im Zelt veranstaltet und natürlich alles unterstützt, was als Veranstaltungsort aufmachte. Heute müssen wir solche Basisarbeit nicht mehr machen, es gibt die Kinos, die Clubs.“ Zu den Markenzeichen von Fritz gehört der allabendliche Talk „Blue Moon“, bei dem Hörer anrufen und mitreden können, Tiefgründiges mit dem Radiophilosophen Kuttner oder einfach über den Start der Open-air-Saison. Das erste Interview mit Stephan Weidner von den Böhsen Onkelz im öffentlich-rechtlichen Radio fand hier statt. Ray Kokoschko vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Brandenburg war dazu eingeladen. Kokoschko erklärte die fremdenfeindlichen und autoritären Inhalte und diskutierte mit Weidner über ihre Distanzierung von Liedern wie „Türken Raus“. Fritz klärte auf und ordnete ein – ohne hysterisierende Aufregung. So beschreibt Kuhnt auch den Umgang mit rechter Jugendkultur und Gewalt: „Wir können als Radio nicht in den Köpfen rechtsextremer Jugendlicher Ordnung und Platz für eine demokratische Ordnung schaffen. Aber wir stärken die, die sich wehren. Und das ist im Zweifelsfall die Mehrheit.“ In Senftenberg in der Lausitz scheint man zu wissen, was man an seinem Sender hat. An einem Dienstagabend sind 600 zahlende Gäste in die Mensa der Fachhochschule Lausitz gekommen, um einen Comedy-Abend mit Tommy Wosch zu sehen. Egal ob Wosch im Radio moderiert oder auf der Bühne steht, er läßt keine noch so tiefe Pointe aus. Das Publikum besteht hauptsächlich aus Studenten, deren Semester heute beginnt. Am laute- 70 sten lacht man bei den Witzen über Neonazis und Holger Apfel, den NPD-Fraktionsvorsitzenden aus Sachsen. Wosch scherzt über den Nachbarort, der gleich über die Grenze in Sachsen liegt: „In Hoyerswerda hat Apfel die Happy Hour eingeführt, zwei Molotowcocktails zum Preis von einem.“ Ein leises Stöhnen und viel lautes Lachen im Saal. Sven und Mario, die Veranstalter, die Wosch nach Senftenberg geholt haben, sind beide in Hoyerswerda aufgewachsen, Sven direkt in einer Platte in der Nachbarschaft der „Polenblock“ genannten Häuser, wo 1991 Molotowcocktails auf ein Ausländerwohnheim flogen und Zuschauer applaudierten. Sie wissen, daß man ihre Heimatstadt nur deswegen kennt und wie die Leute gucken, wenn man sagt, man komme aus Hoyerswerda. Auch wenn man seine eigenen Probleme mit den Rechten hat; Mario brachen ein paar Skinheads nach einem Punkkonzert die Nase und schlugen ihm einen Zahn aus; Sven hofft bei jeder Party, die er organisiert, daß keine betrunkenen Rechten auftauchen und er die Polizei rufen muß. Tommy Wosch haben sie nach Senftenberg eingeladen, weil sie Fans sind. „Den hören wir hier alle“, sagt Sven. Es ist den beiden wichtig, an ihrem Wohnort in der Lausitz spannende Abende zu organisieren. Obwohl in Senftenberg der Lausitzring liegt, ist die Arbeitslosigkeit auch hier hoch, 27,6 Prozent. Es gibt eine Großraumdisco, ein Kino und im Sommer jedes Wochenende ein Dorffest mit Sangria aus dem Eimer; irgendwann haben sie kapiert, daß sie es selbst in die Hand nehmen müssen, wenn sie sich hier amüsieren wollen. Als Sven am Ende des Abends die Abrechnung macht, ist klar, daß sie richtiglagen: Besucherrekord der ganzen Tournee. Nebenan geht die Party weiter, vor dem Studentenkeller drängelt sich eine große Menschentraube. Früher hatte Sven im Sommer immer sein Radio dabei und hörte Fritz, wenn sie nach der Schule an den See fuhren, noch heute weiß er, welche seiner Lieblingsbands er zum ersten Mal im Radio hörte: Cornershop, Paula und natürlich die Sportfreunde Stiller. Er hat Glück gehabt, denn nur ein paar Kilometer südlich hört das Sendegebiet auf, in Sachsen läuft nur das Plastikradio Jump vom MDR, gegen das einige Leipziger gerade eine „Initiative gegen Radioverdummung“ gegründet haben. Seit vier Jahren organisieren Sven und Mario im Verein mit ein paar anderen das Festival Populario. Gleich im ersten Jahr fingen sie groß an, 27 Bands an drei Tagen, und träumten davon, daß Fritz für ihr Festival werben würde. Sie riefen in Potsdam an und landeten bei Thomas Vogel, doch der war hart: „Wen habt ihr denn? Die Ärzte oder die Toten Hosen? Nee? Tschüß.“ Dann kam der Regen, der die Flut brachte, und sorgte für 10 000 Euro Schulden am Ende. Statt sich zu zerstreiten, veranstalteten sie im folgenden Winter Partys, bis die Schulden weg waren. Seitdem machen sie weiter: Letztes Jahr hatten sie mit Miles und Mia die richtigen Bands gebucht und hörten im Juni den Trailer im Radio: „Lässig lockt die liebliche Lausitz, Fritz präsentiert das Populario-Festival.“ Dieses Jahr prangt auf allen Plakaten für Populario das rote F von Fritz, als Headliner haben sie die New Yorker Feministen-Dance-Band Le Tigre gebucht. Ihr Auftritt direkt am Seeufer im ehemaligen Braunkohletagebau ist das einzige Konzert, das sie auf einem Festival in Deutschland geben werden. Noch ist die Festivalwiese nur die Startbahn eines kleinen Sportflugvereins. Aber Mario und Sven zeigen mit ausgestreckten Armen, wo die Bühne hinkommt, wo der Künstlerbereich in einem kleinen Birkenwald liegen wird und wie man am besten zum Wasser zum Baden kommt. „Keine fünfzig Tage mehr, dann geht es los“, sagen sich die zwei immer wieder, als könnten sie es selbst kaum glauben. Ohne Fritz würde man auch im Juni nur das Hochfrequenz-Fiepen hören, das die Vögel von der Bahn vertreibt. Aber bald werden hier drei New Yorker Lesben vor ein paar tausend Menschen ihren Electro-Punk spielen, und der Sound des jungen Brandenburg wird weit zu hören sein. Daniel Boese Marion-Dönhoff-Förderpreis Bildunterschrift: Kruge ist ein winziges Brandenburger Kaff, zwanzig Kilometer südlich von Eberswalde. Aber am Freitag war hier im „Kulthaus“ Fritz-Disco. Foto Christian Thiel Kasten: Fritz unterstützt Projekte, die sonst keiner unterstützt. Bringt Musik, die sonst keiner bringt. Irgendwann haben sie kapiert: Wenn sie sich hier amüsieren wollen, müssen sie es selbst in die Hand nehmen. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv. 71 Festvortrag Festvortrag Prof. Dr. h.c. Robert Leicht Über das Lügen und Stehlen. Was darf der Journalist? Was will der Leser? Über das Thema „Medienethik“ habe ich noch nie aus- (privaten) Fernsehanstalten, muß den Eindruck gewin- führlich nachgedacht, vor allem nicht öffentlich darüber nen: Während ihnen hinterrücks der Taschendieb das geredet. Und dies nicht, obwohl mir damit gewiß viele Portemonnaie herauszieht, werfen die Leute sehenden teils honorarträchtige Auftritte entgangen sind, auch in Auges (und lustvoll) ihre Zeit und ihr Geld den Tagedie- evangelischen Akademien, aber nicht nur dort. Weshalb ben, gewissen Tagesschreibern, Journalisten genannt, nicht? Weil die Sache mir als Praktiker, weil zu einfach nach – mitunter und noch nicht zu selten glücklicher- gelegen, keinen komplizierten Gedanken abnötigte. Ich weise auch den Herstellern seriöser Presse-Produkte. halte es da mit Marcel Reich-Ranicki. Der sagte einmal im Zusammenhang mit der Frage, wie viel Schriftsteller Und wer wollte denn wirklich die Wahrheit lesen? Zum von Literaturtheorie und Literaturkritik verstehen müß- Beispiel als Politiker (oder als Journalist): über sich sel- ten: Die Vögel könnten schließlich auch fliegen, ohne je- ber? Die Politiker, Journalisten und Demoskopen haben mals etwas von der Ornithologie zu wissen. Ich betreibe doch gerade in diesem Jahr die wahre Stimmung im halt meinen Journalismus – ganz ohne Theorie des Jour- Lande nicht recht erfaßt. Oder wollen die Bürger tat- nalismus, naiv wie ein fliegender Vogel. Mir reichen da- sächlich die Wahrheit hören über die wirklichen Pro- bei, soviel freilich muß sein, zwei der Zehn Gebote voll- bleme im Lande und in der Welt? Aber die Wähler ha- ends aus – das siebte und das achte. „Du sollst nicht ben doch am 18. September so abgestimmt, wie sie es stehlen“ und (etwas einfacher noch als bei Luther for- getan haben, weil sie mehrheitlich dem wahren Reform- muliert) „Du sollst nicht lügen!“ Und fertig ist die Me- bedarf nicht ins Auge sehen wollten. Und schließlich: dienethik: Stiehl den Leuten nicht die Zeit durch lang- Hängt der Wert eines Journalisten für den Politiker nicht weilige und nichtssagende Artikel. Bring’ sie nicht um ihr in weit höherem Maße davon ab, daß er eher ihn selber gutes Geld, indem du ihnen dafür minderwertige Texte subjektiv, als die objektiven Probleme richtig „versteht“? lieferst. Und zuallererst: Sag’ ihnen die Wahrheit – sonst Und schätzt es nicht auch der Journalist, wenn er „ver- nichts. Was bedarf es da weiterer Worte und Gedanken? standen“ und also regelrecht geschätzt wird? Vor allem: Was ist Wahrheit? Aber wenn man nun doch aufgefordert wird, etwas näher darüber nachzudenken, um am Ende zu sagen, was Und schon stehen wir vor einem Paradox: Medienethik, Journalisten dürfen und was nicht, dann wird die schein- wie übrigens alle Ethik insgesamt, ist entweder ganz ele- bar naive Klarheit mit einem Mal recht undurchsichtig. mentar einsichtig und von unmittelbarer Plausibilität Weshalb soll dies alles genau so sein – nicht stehlen, nicht (Nicht stehlen, nicht lügen …) – oder aber, schon beim lügen? Wegen meines moralischen Selbstwertgefühls? ersten genaueren Nachdenken, eine höchst verzwickte Oder weil die Leser das von mir erwarten? Denn eines Angelegenheit. darf man doch fragen: Wollen die Leute wirklich nicht bestohlen und belogen werden? Verlangt es sie wirklich Und auch dieses gilt: Offenbar lassen sich ethische Fra- nur nach ausgezeichneten Artikeln und der reinen Wahr- gen nicht danach beantworten, was „die Leute“ wün- heit? Wer nur einmal durch den Zeitschriftenladen eines schen, entweder einzeln oder in ihrer Mehrheit wün- größeren Bahnhofs streift oder durch die Programme der schen. Das wäre ja auch ein sehr simpler Utilitarismus, 72 Festvortrag also eine billige Suche nach dem größten Glück der größ- Wahrheit als solcher, Tag und Nacht, sondern schützt ten Zahl. Übrigens: Was würde aus der Minderheit, die präzise „nur“ die Verläßlichkeit der Wahrheitsfindung unter den Tisch fällt, wenn man der Mehrheit bequem vor Gericht und entspricht also der Wahrheitspflicht des nach dem Munde redet? Wollen also unsere Leser und Zeugen in unserer Justiz, im engeren Sinne dem spezifi- Wähler die Wirklichkeit wahrhaftig wahrnehmen – oder schen Verbot des Meineides. Erst in Volksmund und von ihr abgelenkt werden? Wollen sie ihre Zeit vernünf- -Lehre wird daraus ein allgemeines, wenngleich seines tig nutzen – oder sie totschlagen, sich sammeln – oder präzisen rechtlichen Gehalts entleertes bürgerlich-sitt- sich zerstreuen? (Mancher Text wird gerade um seiner liches Schwindel-Verbot, eine Ausweitung ins Unbe- Sinnlosigkeit willen verschlungen – mitunter nicht nur in stimmte: Du sollst nicht lügen! der Yellow Press.) Wer also die ethischen Fragen bearbeiten will, die sich aus dieser vertrackten Lage ergeben, Merkwürdigerweise sagt aber der bürgerliche Mora- der kann nicht mit dem größten Behagen der größtmög- lismus nie: Du sollst immer die Wahrheit sagen! Erst lichen Zahl, also rein utilitaristisch (oder marktkonform) recht steht das so in keinem juridifizierten Kodex. Im operieren; er braucht – als Individuum Journalist für das Gegenteil, es gibt sogar regelrechte Verbote, die Wahr- Individuum Leser – vielmehr ein normativ fundiertes heit zu sagen. Jeder, der einmal als Arbeitgeber (oder als Menschenbild. Der Titel des entsprechenden Grund- Personalsachbearbeiter) Verantwortung getragen hat, lagenaufsatzes hätte zu lauten: Was kann, darf, soll und hat unter der Aufgabe gelitten, einem ausscheidenden will der Mensch unserer Zeit wissen? Mitarbeiter ein Zeugnis zu schreiben – und zwar umso heftiger, desto lieber er diesen Menschen nur noch von Aber gestatten wir uns einen kleinen Umweg und setzen hinten gesehen hätte. Denn das arbeitsrechtlich kor- wir noch einmal an jenem achten Gebot an, daß doch rekte Zeugnis soll zwei Zielen dienen: Es soll insofern jeder von uns so genau zu kennen vermeint: Du sollst wahr sein, als der Leser ein zutreffendes Bild des Men- nicht lügen! Merkwürdig – diese Formulierung: Nirgend- schen gewinnen möchte, der sich bei ihm um einen wo in unseren Rechtssystemen gibt es ein so umfassen- neuen Arbeitsplatz bewirbt; es muß aber zugleich aus des Verbot zu lügen, erst recht kein Gebot, immer und Rechtsgründen – und aus der Sicht des betreffenden immerzu die Wahrheit zu sagen. Man darf in der Tat Mitarbeiters – „berufsfördernd“ sein. Wenn man also lügen wie gedruckt – ohne daß man jemals bestraft wird: schriebe: „Dies war der dümmste Buchhalter, der mir es muß schon noch etwas anderes hinzukommen, bevor je über den Weg gelaufen ist“, so bliebe man mögli- der Staatsanwalt tätig wird. Dazu später mehr! Schauen cherweise eng bei der Wahrheit, und jeder potentielle wir also näher hin: künftige Arbeitgeber wäre auch hinreichend gewarnt; freilich, berufsfördernd und arbeitsrechtlich korrekt Das achte Gebot hatte ich in meiner Kindheit in einer ka- wäre das Zeugnis nicht. (Ganz abgesehen davon, daß tholischen Konfessions- und Volksschule im damaligen man auch noch mit einer Anklage wegen Beleidigung Südwürttemberg-Hohenzollern (also auf der Schwäbi- zu rechnen hätte.) Lobt man aber den ausscheidenden schen Alb) noch in der knappest möglichen und auf bür- Mitarbeiter über den Schellenkönig (in der Praxis wer- gerlichen Anstand zielenden Form so vorgehalten be- den solche lobhudelnden Zeugnisse sogar zur Bedin- kommen: Du sollst nicht lügen! Soll man ja auch wirklich gung von Trennungsvereinbarungen im angeblich nicht! Aber was lesen wir im 2.Mose 20, 16 – und übri- gegenseitigen, also in Wahrheit nicht vorhandenen Ein- gens wortgleich in Luthers Kleinem Katechismus? Du vernehmen gemacht), sieht man sich vielleicht recht sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. bald der Anfrage des nachfolgenden Arbeitgebers aus- (Buber/Rosenzweig übersetzen wie folgt: Aussage nicht gesetzt, weshalb man ihn denn in die Irre geführt habe. gegen deinen Genossen als Lügenzeuge.) (Wenn der sich nur in der Stille denkt, man habe selber die Schwäche des Mannes nicht entdeckt, kommt man Der Text des Alten Testaments formuliert also keines- vielleicht noch mit einem diskreten Rufschaden davon.) wegs die orts- und beziehungslose Verpflichtung zur Der Ausweg, sich einer kodierten Schleiersprache zu 73 Festvortrag bedienen (etwa „Herr M. war allzeit sehr kollegial en- wie sollst du sein?), Sozialität (Nach welchen Normen gagiert“ für „Achtung! Will unbedingt in den Betriebs- wollen wir zusammenleben?), Funktionalität (Wer darf rat gewählt werden – falls Sie schon einen haben; dann und muß was?) – diese Trias hilft uns, das konkrete Kon- unkündbar!“), ist nicht nur unwürdig, sondern auch fliktmaterial der scheinbar so unmittelbar plausiblen noch ineffizient, denn das funktioniert nur so lange, bis ethischen Grundnormen zu sortieren. das entsprechende Kürzel sich unter allen Beteiligten herumgesprochen hat. Und was heißt das nun für uns Journalisten? Offenkundig handeln wir nicht nur als Privatpersonen – als solche Aus diesen Beobachtungen ergibt sich nun eine doppelte dürften wir lügen wie der Herr Jedermann, solange er Einsicht: Weder das Verbot des Lügens noch das Gebot keine strafbare üble Nachrede oder eine Verleumdung der Wahrheit gilt moralisch abstrakt und unbedingt. oder eine andere, dann zivilrechtlich relevante Rufschä- Sondern um richtig zu verstehen, was genau die morali- digung begeht. Doch selbst dann wird nicht die Lüge als sche oder gar rechtlich präzisierte Verpflichtung ist, brau- solche bestraft, sondern eben der Schaden, den sie der chen wir nicht nur ein normativ geprägtes Menschen- Person des anderen zufügt. Wie ja auch umgekehrt die bild, nicht nur ein normativ geprüftes und reflektiertes Wahrheit als solche keinesfalls prämiert, erst recht aber Bild des individuellen Menschen, sondern auch eine nor- bestraft wird, wenn sie eine Beleidigung darstellt: „Sie mative (zum Beispiel: arbeitsrechtliche) Vorstellung von Idiot!“ – dieser Satz kann beleidigend sein und wahr zu- den sozialen Beziehungen zwischen den Menschen und gleich. Und ist dann doch strafbar, weil die Wahrheit we- den konkreten Rollen und Ämtern: Jedenfalls ist mit ei- niger zählt als die Beleidigung. Nein, sofern wir Journa- ner schlichten Ermittlung dessen, was „die Leute“ gerne listen unserem Beruf nachgehen, üben wir eine soziale hätten, erst recht dann nichts gewonnen, wenn sich de- Rolle aus, deren Bedeutung verfassungspolitisch und ren Erwartungen aus der Verschiedenheit ihrer Rollen funktional so bedeutsam ist, daß die Grundrechte der In- heraus (hier: Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zudem: bis- formations-, Meinungs- und Pressefreiheit sie schützen – heriger und künftiger) widersprechen. Und außerdem gegenüber dem Staat, das ist klar. Aber auch gegenüber kommt es in der Tat auf die konkrete Rolle oder das Amt uns – und unseren Fehlern, auch im Umgang mit der an. Ein Zeugnis zu schreiben, ist Aufgabe eines Trägers Wahrheit und der Lüge? einer bestimmten Rolle, eines bestimmten, funktional Zuständigen – eines „Amtsträgers“. Es schreiben schließ- Immerhin zeichnet sich schon eines ab: In bestimmten lich nicht alle Kollegen dem Abgänger ein Zeugnis – und sozialen Rollen ist man auf die Wahrheit regelrecht ver- der nächste Personalchef will nicht (nur) wissen, was die pflichtet – als Zeuge sogar unter dem Druck empfind- Kollegen sich so gedacht haben, sondern was der Zu- licher Sanktionen, als Journalist aus Wesen und Funk- ständige schreibt, worauf er sich festlegt und worauf er tion seines Berufes als eines Instrumentes und Amtes sich behaften läßt. Ja, die Äußerungen aller Nicht-Zu- öffentlicher Aufklärung. In diesem Zusammenhang ist ständigen stehen, mangels Verantwortung und Haftung, an Immanuel Kants kleine Schrift zu erinnern „Über unter dem Vorbehalt des Tratsches und Klatsches, was ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“. Es übrigens nicht immer ihren Wahrheitsgehalt, aber stets geht dabei um die später auch von anderen traktierte ihre Zurechenbarkeit vermindert. Frage, ob ich – wenn der Mordwillige vor der Tür steht und nach der Person fragt, die vor ihm in mein Haus Die Auslegung des Verbotes zu lügen wie der Pflicht, die geflüchtet ist – ihm die Wahrheit schulde: Ja, er ist in Wahrheit zu sagen – im Grunde: die Auslegung aller meinem Haus. Kant sagt: „ Ja!“, gegen Benjamin Con- ethischen Imperative – setzt als Minimum mithin dreier- stant, der ganz im Gegenteil dafür hält: „Kein Mensch lei voraus, nämlich ein normativ grundiertes Men- aber hat ein Recht auf eine Wahrheit, die anderen scha- schenbild, ein normativ grundiertes Gesellschaftsbild det.“ Lassen wir die Einzelheiten der ethischen Abwä- und eine Differenzierung der Rollen und Zuständigkei- gung der Pflichten zwischen den unmittelbar beteiligten ten, der „Ämter“. Individualität (Wer bist du, wer und Individuen beiseite, so bleibt als starkes Argument 74 Festvortrag Kants: Wenn ein jeder für sich entscheidet, wann er es Interessanterweise werden aber diese offenkundigen für richtig hält, die Wahrheit zu sagen oder nicht, Verstöße gegen die Wahrheit ausgerechnet deshalb to- schwindet das Vertrauen, aufgrund dessen „Aussagen leriert, in gewisser Weise sogar deshalb geschätzt, weil (Deklarationen) überhaupt“ noch öffentlichen Glauben sie objektiv betrachtet zugleich einen Verstoß gegen das finden. Kant stellt also für die Wahrheitspflicht allein ab siebte Gebot (Du sollst nicht stehlen!) darstellen – und auf den Gesichtspunkt der Sozialität. Wir können also zwar in der Variante: Stiehl’ den Leuten nicht das Geld fragen: „Wenn einer einmal lügt – und sei es aus ihm be- und die Zeit, indem Du ihnen schlechte, unnütze Arti- rechtigt erscheinenden Gründen –, wie kann man dann kel andrehst! Mundus vult decipi – die Welt will betro- noch allen immer glauben?“ Es mag also schon sein, gen sein, schreibt Sebastian Frank in seinen Paradoxa daß wir in bestimmten Zusammenhängen, etwa in einer 238. Was aber, wenn sich gerade damit gute Geschäfte Diktatur, – anders als Kant es meint – durchaus aus machen lassen – und auch hier könnten Namen ge- Menschenliebe lügen dürfen, zumal dann, wenn es im nannt werden, sollen es aber nicht. Man könnte sich ja politischen System insgesamt gar keine Wahrheit mehr in einer liberalen Marktgesellschaft auf den Standpunkt gibt, weil es auf Lügen beruht. Aber sofern der Journa- zurückziehen: Der Wert einer Sache bemißt sich allein list in seiner Rolle als Journalist handelt, ist er prinzipiell nach dem Geld, das jemand dafür auszugeben bereit ist und unausweichlich auf Wahrheit, jedenfalls auf die – und wenn es das Scherflein der Witwe ist, das den Suche nach der Wahrheit verpflichtet; gewiß darf er nie Erfinder von irgendwelchen Schein-Royalitäten und wider besseres Wissen etwas behaupten genauer: ver- deren Scheinschwangerschaften prämiert. Abgesehen öffentlichen. Das heißt: Er darf nur die Wahrheit sagen, vom äußerst abgemagerten Kulturbegriff, der einen sol- und zwar auch dann, wenn er für seine Lügen nicht zur chen Standpunkt tragen müßte: Ich fürchte inzwischen Rechenschaft gezogen werden kann, weil ihn para- die Ansteckungswirkungen, die von jenem auf leerem doxerweise auch insoweit die Pressefreiheit weitgehend Entertainment beruhenden Medienbetrieb auf die Me- schützt. Ob er aber alle Wahrheiten sagen darf, ob er dien ausgehen. Es würde sich ja durchaus lohnen, ein- alles sagen darf, wenn es nur wahr ist – das bedarf der mal nachzuzeichnen, wie sehr die privaten Fernseh- und genaueren Bestimmung, ohne daß wir diese hier vor- Rundfunk-Kanäle die Programme unserer öffentlich- nehmen könnten. Immerhin aber: Wer Staatsgeheim- rechtlichen trivialisiert und auf bloße Quote getrimmt nisse oder Privatgeheimnisse veröffentlichen will, muß haben und wie sehr diese Farb- und Klangreize sogar schon sehr gute, vor allem dem Recht überlegene bis auf die seriösen Printmedien durchschlagen. Nicht, Gründe haben – Caroline-Fall hin, Cicero-Fall her. Und daß ich dafür plädieren möchte, Zeitungen möglichst eines steht zugleich fest: Es kann jedenfalls nicht der langweilig zu gestalten; denn Langeweile ist keineswegs Journalist selbst der überlegene Gesetzgeber in eigener identisch mit Seriosität. Auch hasse ich Veteranenge- Sache sein und seine bevorzugte Kontrolle dessen, was rede, das immerzu auf die gute alte Zeit verweist. Ich in die Gazetten kommt, dazu ausnutzen, seine höchst ei- wünschte mir aber, daß auch künftige Journalisten- gennützigen Interessen selbstkritiklos als Verkörperung generationen die Chance haben, ihre Aufklärungsarbeit des Gemeinwohls auszurufen. am Gewicht der realen Probleme zu orientieren – und nicht etwa bloß an der Höhe der Quote oder am Nur die Wahrheitssuche legitimiert also die hervorgeho- Zerstreuungswert ihrer Texte. Irgendjemand muß doch bene soziale Rolle und die rollenbezogenen Privilegien des noch beides ernst nehmen – die Leser und die Sache. Journalisten. Insofern ist es ein schweres Übel – wenngleich hinzunehmen, weil sonst noch schwerere Übel drohen – Und deshalb kehre ich zum Ausgangspunkt zurück: Ihr daß ein großer Teil dessen, was unter dem Schirm der lieben Journalisten, laßt doch einfach jene so archa- Pressefreiheit geschieht, nur als Lug und Trug zu bezeich- ischen, so plausiblen, so scheinbar naiven Gebote mög- nen ist, als verbogen, erlogen und erstunken. Man sehe lichst unverstellt, plausibel und direkt auf Euch wirken: sich nur in den Kiosken um – im Abschnitt Yellow Press Ihr sollt nicht stehlen! Ihr sollt nicht lügen! Und schon und dergleichen; nähere Angaben ersparen Sie mir bitte. wißt Ihr, was Ihr dürft – und was nicht. 75 Anhang · Ausschreibung 2005 Anhang Ausschreibung 2005 Die Robert Bosch Stiftung ist eine der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland. Seit 1993 unterstützt sie bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt, um zur Entwicklung einer lebendigen Demokratie beizutragen. Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement der Robert Bosch Stiftung Ziel dieses seit 1998 als „Ehrenamtliches Engage- Die Preise sind mit 5000, 3000 und 2000 Euro ment“ ausgeschriebenen Preises ist es, mehr Öffent- dotiert, ein Sonderpreis von 5000 Euro wird für lichkeit für das freiwillige Engagement von Bürgern Serien vergeben. Teilnahmeberechtigt sind Redak- zu schaffen. Ausgezeichnet werden herausragende Be- teure aller Ressorts, besonders auch Lokalredakteure, richte, Reportagen oder Kommentare, die beispielhaft und freie Journalisten. Chefredakteure und Ressort- darstellen und hinterfragen, was die Bürgergesell- leiter sind eingeladen, Artikel vorzuschlagen. schaft ausmacht, wie und warum Menschen selbstgewählt Verantwortung übernehmen und welche Bedingungen sie dafür brauchen. Marion-Dönhoff-Förderpreis der Robert Bosch Stiftung Dieser Preis wird zum siebten Mal für Pressebeiträge in deutschsprachigen Zeitungen oder Zeitschriften vergeben, die freiwilliges Engagement und andere erschienen sein. Formen gelebter Bürgergesellschaft untersuchen. Er ist mit 3000 Euro dotiert. Teilnahmeberechtigt sind Einsendeschluß ist der 17. September 2005. Volontäre und Journalistenschüler. Detaillierte Informationen zu Teilnahmebedingungen Die Arbeiten für beide Preise müssen zwischen dem und Inhalt der Beiträge finden Sie unter www.bosch- 17. September 2004 und dem 16. September 2005 stiftung.de/journalistenpreis. ROB E RT BOSCH STI FTU NG Robert Bosch Stiftung GmbH Telefon 0711/4 60 84 - 37 Journalistenpreis Telefax 0711/4 60 84 -10 37 Heidehofstraße 31 E-Mail: [email protected] 70184 Stuttgart www.bosch-stiftung.de 76 Preisträger 1998 bis 2004 Preisträger 1998 – 2004 Preisträger 1998 Preisträger 1999 1. Preis Eric Breitinger „Ein Spiel, bei dem viele gewinnen“ Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 28. August 1998 1. Preis Rainer Jung „Der herrlichste Job der Welt“ Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 3. September 1999 2. Preis Petra Pinzler „Warme Suppe, gute Laune“ Die Zeit, 5. Dezember 1998 2. Preis Annette Jensen „Arbeitslos und doch voll beschäftigt“ Süddeutsche Zeitung, 12./13. Dezember 1998 3. Preis Kathrin Haasis „Ein Traumjob, leider unbezahlt“ Südwest Presse, 20. September 1998 3. Preis Stefan Becker „Lachen ist die beste Medizin“ Morgenpost am Sonntag, 5. Mai 1999 Juniorenpreis Kerstin Humberg „Hilfe konkret“ Kirche und Leben, Vechta, 26. Juli bis 30. August 1998 3. Preis Magnus Reitiger und andere jugendliche Autoren Sonderseite „Wir tun was!“ Weilheimer Tagblatt, 11. November 1998 Serienpreis Rainer Laubig „Türe auf für das Ehrenamt“ Esslinger Zeitung, 1. bis 24. Dezember 1997 Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge Journalisten Daniela Steffgen Beiträge zur Serie „Katholische Soziale Dienste in Wittlich“ Trierischer Volksfreund, Juli/August 1999 Serienpreis Lokalredaktion der Frankfurter Rundschau Martin Feldmann, Helga Franke, Uta Grossmann, Walter Keber, Mae von Lapp, Juliane Mroz, Jochen Notrott, Tobias Schwab, Barbara Simon, Dorothe Stuhl, Frank Tekkilic Sonderdruck/Beiträge zum Ehrenamt Frankfurter Rundschau, Juli 1999 bis September 1999 77 Anhang Preisträger 2000 Preisträger 2001 1. Preis Antje-Maria Lochthofen „Es ist Zeit“ und „Eine Liebe fürs Leben“ Thüringer Allgemeine, 12. August 2000 und 16. September 2000 1. Preis Christian Otto „Einer für alle“ Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. März 2001 2. Preis Dorothée Stöbener, Ute Eberle „Gutes tun mit Gewinn“ Die Zeit, 21. September 2000 2. Preis Bernd Hauser „Schutzengel der Savanne“ und „Kampf gegen den großen Frust“ Frankfurter Rundschau, 8. Oktober 2000 und 13. Januar 2001 3. Preis Frank Olbert „Vom Untergang der rüden Schwimmmeister“ Kölner Stadt-Anzeiger, 14. April 2000 Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge Journalisten MAZ-Jugendredaktion Doppelseite „Aktiv für Andere“ Michael Hassenberg, Christian Heinig, Philipp Hochbaum, Konstantin Görlich, Nicole Schmidt, Sylvia Schmidt, betreut von Frank Pechhold Märkische Allgemeine Zeitung, Lokalredaktion Königswusterhausen, 22. September 2000 Serienpreis Idee, Konzeption und Umsetzung: Vera Fischer „Das Ehrenamt“ Berliner Morgenpost, Februar 2000 bis Mai 2000 3. Preis Sannah Koch „ Jobs für Junkies“ Die Woche, 24. August 2001 Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge Journalisten Nachrichtenagentur Sinnflut Jugendseite „Politisch kann man auch ohne Partei sein“ Philipp Eichenhofer, Camille L`Hermitte, Cigdem Ipek, Anja Tangermann, betreut von Irmela Bittencourt Berliner Morgenpost, 26. März 2001 1. Serienpreis Idee, Konzeption und Umsetzung: Udo B. Greiner Mitarbeiter: Alexander Beckmann, Detlef Czeninga, Wolfgang Hörmann, Renate Zunke „Unser Jahr des Ehrenamtes“ Erlanger Nachrichten, Januar 2001 bis September 2001 2. Serienpreis Idee, Konzeption und Umsetzung: Martin Lugauer Mitarbeiter: Redakteure der Zeitungsgruppe Lahn-Dill „Ehrenamt? Ehrensache!“ Zeitungsgruppe Lahn-Dill, Januar 2001 bis August 2001 78 Preisträger 1998 bis 2004 3. Serienpreis Idee, Konzeption und Umsetzung: Wolfgang Hörmann Mitarbeiter: Redakteure der Lokalredaktion Kyritzer Tageblatt „Ehrenamt“ Kyritzer Tageblatt, Januar 2001 bis September 2001 Preisträger 2003 Preisträger 2002 2. Preis Johannes Fischer „Die Ehre des Homo Hormersdorf“ Freie Presse, 25. April 2003 1. Preis Peter Rutkowski „Ohne uns wäre das Mädchen heute vom Kinn abwärts gelähmt“ Frankfurter Rundschau, 15. November 2001 2. Preis Birgit Schlieper Sonderseite „Die Ehrenamtsbörse“ Lüdenscheider Nachrichten, 3. August 2002 3. Preis Hansjosef Theyssen Mehrere Artikel zum Thema „Ehrenamtliche Tätigkeit“ Neue Bildpost, November 2001 bis August 2002 Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge Journalisten Elisabeth Otte „Der Lohn besteht aus Lob und Dankbarkeit“ Lingener Tagespost, 27. Oktober 2001 1. Serienpreis Redaktionen der Braunschweiger Zeitung Chefredakteur Paul-Josef Raue „gemeinsam – Wie sich Bürger engagieren“ Braunschweiger Zeitung, Juni 2002 bis September 2002 1. Preis Sybille Thelen „Bürger vor“ Wochenendbeilage „Brücke zur Welt“, Stuttgarter Zeitung, 30. November 2002 3. Preis Renate Iffland „Fit fürs Leben und nein zur Sucht“ Saarbrücker Zeitung, Wochenzeitung für das Köllertal, 5. März 2003 Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge Journalisten Constanze Kindel „Der Tod eines Kindes ist kein Tabu“ Frankfurter Neue Presse/Höchster Kreisblatt, 6. November 2002 Serienpreis Redaktion der Ostthüringer Zeitung Ressort Thüringen/Wirtschaft vertreten durch Wolfgang Schütze (stellv. Chefredakteur) „Aktiv im Ehrenamt“ Ostthüringer Zeitung, 10. März 2003 bis 8. September 2003 2. Serienpreis Redaktion der Leonberger Kreiszeitung Chefredakteur Karl Geibel „Aktiv-Bürger“ Leonberger Kreiszeitung, September 2001 bis August 2002 79 Anhang Preisträger 2004 1. Preis Kai M. Feldhaus, Johannes Strempel „Essen ist fertig – ein Tag bei den Rittern der Tafelrunde“ Berliner Illustrirte Zeitung, Sonntagsbeilage der Berliner Morgenpost, 1. Februar 2004 2. Preis Andreas Speen „Schulprojekt Burkina Faso“ Rheinische Post, 2. Juli 2004 3. Preis Kristina Maroldt Themenseite „Helfer im Hintergrund“ Sächsische Zeitung, 15. August 2004 Marion-Dönhoff-Förderpreis für junge Journalisten Claudia Sebert „Stricken und Sammeln fürs Allgemeinwohl“ Frankenpost, 7. November 2003 Serienpreis Lutz Würbach, Heidi Pohle „Der Esel, der auf Rosen geht“ Mitteldeutsche Zeitung, Lokalredaktion Halle, 17. Januar – 22. März 2004 80 Programm Preisverleihung 3. Dezember 2005 Programm Preisverleihung 3. Dezember 2005 Die Robert Bosch Stiftung lädt ein zur Verleihung des Journalistenpreises 2005 Bürgerschaftliches Engagement und des Marion-Dönhoff-Förderpreises Begrüßung Dieter Berg Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung Samstag, 3. Dezember 2005, 11.00 Uhr Robert-Bosch-Haus Heidehofstraße 31, Stuttgart Vortrag „Über das Lügen und Stehlen. Was darf der Journalist? Was will der Leser?“ Prof. Dr. h.c. Robert Leicht Politischer Korrespondent, Die Zeit, Berlin Preisverleihung Würdigung der Preisträger durch die Mitglieder der Jury Übergabe der Preise und Urkunden Dr. Heiner Gutberlet Vorsitzender des Kuratoriums der Robert Bosch Stiftung Empfang 81 Die Robert Bosch Stiftung Die Robert Bosch Stiftung Die Robert Bosch Stiftung ist eine der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland. Sie wurde 1964 gegründet und setzt die gemeinnützigen Bestrebungen des Firmengründers und Stifters Robert Bosch (1861 bis 1942) fort. Die Stiftung beschäftigt sich vorrangig mit den Themenfeldern Völkerverständigung, Bildung und Gesundheit, darüber hinaus befaßt sie sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen. ROB E RT BOSCH STI FTU NG Seit 1992 bildet die Förderung von bürgerschaftlicher Initiative und Ehrenamt einen Schwerpunkt der Robert Bosch Stiftung. Sie hat dafür bisher mehr als 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Telefon: 07 11 / 4 60 84 - 0 Telefax: 07 11 / 4 60 84 -1094 E-Mail: [email protected] www.bosch-stiftung.de 82 Robert Bosch Stiftung GmbH Heidehofstraße 31 70184 Stuttgart Postanschrift: Postfach 10 06 28 70005 Stuttgart Notizen Notizen 83 Notizen Notizen 84