als PDF
Transcrição
als PDF
Inhaltsverzeichnis • Vorwort • Repression • Abschiebepraxis und Verwaltungsehre • Kaindl-Prozeß • Abschiebehaft • Betr.: Abschiebungshaft • Flüchtlingsrat an Nds. Justizministeriurm . • Antwort Nds. Justizministerium • Das Monotone Gefängnis" • An den Rändern der Verfassung • Richter: Zellen menschenunwürdig • Aufruf zur Entzäunung" in Worms • Abschiebungen • Ein Knast ist doch kein Wartesaal • BGS im Einsatz gegen Kinder... • Erweiterte Altfallregelung gefordert • Nachträglich auftauchende Abschiebungshindernisse, • Bund und Länder: Wir sind unzuständig. • Abschiebungsstatistik. • Junge türkische Familie soll sich für ein Jahr trennen • Bürgerkriegsflüchtlinqe • Fachtagung Flüchtlinge in Europa' • Armenier • Pfarrer Wallbrecht (Jena • UNHCR-Stellungnahme • Bürgerkriegsflüchtlinge in Goslar • Länderberichte • SRI LANKA • Kirchenasyl • Broistedter Gemeinde • Kirchenasyl - wer trägt die Verantwortung • ZASten • Konzept des Nds. MI Abt.41 • Fragen des Flüchtlingsrats an Ml • Grundsatz-Artikel • Der Irrweg des Nationalismus • Nation und Republik • Der Tod eines Flüchtlings • Totenquoten gibt es nicht • Der Flüchtling - Sicherheitsrisiko Nr.1........... Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 3 Ein Wort zuvor Von kleinen Schreibtischen: Zwei Jahre lang schleppte sich die im Bürgerkrieg kriegsversehrte und beinamputierte Frau D. (s. Titelbild) mit primitiven Krücken auf einem Bein durch das niedersächsische Gastland, weil das zuständige Sozialamt die 173,- DM zur Anpassung der neuen Prothesen verweigerte. Das Sozialamt? - Nein, nicht das "Amt" hat verweigert, hinter dem Schreibtisch sitzt ein Mensch mit Namen und Adresse, dem ich ähnliche Erfahrungen mit seinesgleichen nicht wünsche. Die Primitivkrücke heißt im orthopädischen Geschichtsbuch übrigens "Deutsche Achselstütze". Frau D. wurde geholfen durch die Tatkraft einer Frau, die nicht weggesehen hat und durch den niedersächsischen Behindertenbeauftragten. Von einem anderen Herrn hinter einem Schreibtisch in einem anderen Amt hat Frau D. nun die Rückkehraufforderung in die Sicherheit des Probe-Embargos erhalten. Von großen Schreibtischen: Am 25.11.94 tagt die Innenministerkonferenz in Magdeburg. Die norddeutschen Flüchtlingsräte organisieren länderübergreifend mit PRO ASYL eine Mahnwache, um das "Kartell der Verantwortungslosigkeit" öffentlich gebührend zu begleiten. Am Tag der Menschenrechte, 10.12.94, wird der Abschiebeknast in Worms "entzäunt" (S.53ff), eine "Gefangenenbefreiung" in Fortsetzung des Tag X. Ich hoffe, wir sehen uns dort. VG Hannover: Belgien ist kein „sicheres Drittland“ Das Verwaltungsgericht Hannover hat am Samstag, den 12.11.1994 in letzter Minute die Zurückweisung zweier togolesischer Flüchtlinge Flüchtlinge nach Brüssel mit der Begründung gestoppt, in Belgien hätten die Flüchtlinge voraussichtlich kein faires Asylverfahren zu erwarten. Weitere Informationen auf S. 8. Letzte Meldung: Abschiebungen nach Rest-Jugoslawien sind trotz Aufhebung des Embargos z.Zt. nicht möglich! Die Jugoslawische Republik verweigert die Aufnahme der Flüchtlinge, solange kein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen ist. Mit herzlichen Grüßen von der Redaktion George 8 Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 Zu diesem Kapitel kann und will ich mangels Erfahrung keine Aussagen machen. Als Dachverband von Initiativen führen wir keine unmittelbare Beratung durch. Im übrigen haben lokale Gruppen aus Niedersachsen offenbar ähnlich wenig Lust und/oder große Schwierigkeiten, auf diese Frage/n zu antworten, wie wir: Unsere Anfragen bei anderen Initiativen blieben bislang ergebnislos. 5. Sonstiges Es gibt keine uns bekannten Berichte aus Niedersachsen über gewaltsam ausgetragene Konflikte zwischen den verschiedenen Flüchtlingsgruppen aus Ex-Jugoslawien. Der Bürgerkrieg hat jedoch zu einer weitgehenden Separierung der Gruppen geführt - jugoslawische Zentren o.ä. gibt es unseres Wissens nirgendwo mehr. Auf örtlicher Ebene gibt es natürlich eine Reihe von Selbstorganisationen (Behar - muslimische Gemeinde, Bosnienvereine, Hilfe für Bosnien, Kosovo-Albanische Opposition, ...), die jedoch selten öffentliches Gehör finden. Insbesondere die bosnischen Flüchtlinge aus Göttingen (Kontakt über: Beratungszentrum für Flüchtlinge, Tel. 0551-55766) beschweren sich zunehmend über ihre fehlende Perspektive (keine Anwendung des § 32a AuslG zur Schaffung eines B-Status, keine Einwanderungsperspektive, ...). In Goslar sind die aus Süddeutschland im Rahmen eines „Lastenausgleichs“ aufgenommenen ca. 300 bosnischen Flüchtlinge aus Protest gegen ihre Lebensbedingungen (ehem. ZASt-Außenstelle) in den Hungerstreik getreten. Kroatische Flüchtlinge finden sich zu unserer Überraschung weitestgehend mit ihrem Schicksal ab und verlassen in großer Zahl die Bundesrepublik. In der Hoffnung, Euch weitergeholfen zu haben, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen Kai Weber Ein Knast ist doch kein Wartesaal Belgien kein „sicheres Drittland“ / Auch am Flughafen in Hannover kommt jetzt die sog. „Drittstaatenregelung“ zur Anwendung Freitag nachmittag den 11.11.94 um 15 Uhr kam, unmittelbar vor Abschluß der neuesten Rundbrief Redaktion und damit höchst ungelegen, ein Brandanruf der Sozialarbeiterin Ingrid Frank aus der JVA Hannover beim Flüchtlingsrat: Zwei Togo-Flüchtlinge waren am Donnerstag, den 10.11.94 unmittelbar nach ihrer Ankunft am Flughafen von der Grenzschutzstelle festgenommen worden. Begründung: Die beiden Flüchtlinge, die auf ihrem Flug von Lome nach Hannover in Brüssel umgestiegen waren, hätten im „sichere Drittland“ Belgien Schutz gefunden. Zur „Sicherung der Zurückweisung“ beantragte der Grenzschutz Abschiebungshaft gemäß § 57 (1) i.V.m. § 61 (1) AuslG für drei Tage, ohne daß die betroffenen Flüchtlinge auch nur ein Wort über ihre Asylgründe sagen konnten. Dies sei notwendig, so die denkwürdige Begründung des BGS, „da der nächste Rückflug von Brüssel nach Lome erst am Sonntag, den 13.11.1994 erfolgt“. Die Zurückweisung nach Brüssel könne erst am 12.11. durchgeführt werden, da belgischen Grenzbehörden die Zurückgewiesenen vorher nicht akzeptierten. RA Schindler aus Hannover übernahm auf Bitten des Niedersächsischen Flüchtlingsrats die Vertretung der beiden Flüchtlinge, nachdem das „Netzwerk Hannover“ wegen der exemplarischen Bedeutung des Verfahrens und der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in Togo die Übernahme von Anwaltskosten in Höhe von 1.500,DM in Aussicht gestellt hatte. Unter Bezugnahme auf einen vom Bernhard Zepf vom Flughafendienst München dokumentierten Fall eines togoischen Oppositionellen, der im Juli 1993 nach einer Zurückweisung durch den BGS München innerhalb von nur wenigen Stunden aus Brüssel in den Verfolgerstaat Togo abgeschoben worden war, stoppte das Gericht vorerst die Zurückweisung nach Belgien. Die Begründung für diese Entscheidung liegt uns leider noch nicht vor - sie wird aber von uns angefordert und kann jetzt schon bestellt werden. Mittlerweile befinden sich die beiden togoischen Flüchtlinge, die der oppositionellen UFC angehören, in der Langenhagener ZASt. Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 Unabhängig vom positiven Ausgang dieses Verfahrens wirft dieses Verfahren ein Schlaglicht auf das erschreckende Ausmaß an Brutalität, mit der deutscher Beamte das Asylrecht ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit von Flüchtlingen "streng rechtsstaatlich" exekutieren: Da werden Flüchtlinge aus einem Land, in dem schlimme Menschenrechtsverletzungen zu beklagen sind, gleich nach ihrer Ankunft verhört, erkennungsdienstlich behandelt und inhaftiert. Ganz 9 selbstverständlich gehen die Grenzbeamten dabei von einer Weiterschiebung der Flüchtlinge aus Brüssel nach Lome aus, weshalb man sich rücksichtsvoll gegenüber den belgischen Behörden freundlicherweise bereit erklärt, die Flüchtlinge „in time“ kurz vor dem Flug aus Brüssel nach Lome (und nicht sofort) nach Belgien zurückzuweisen. Nur gut, daß die Gerichte nicht alles mitmachen ... Wenn die nationalen Regierungen die selbstverständliche Aufgabe, Schutz zu gewähren, bis der Krieg vorbei und eine sichere Rückkehr in Würde möglich ist, nicht erfüllen, müssen die Bürger dies tun. Zeitweiliger Schutz - halbherzige Hilfe Abschlußerklärung der Fachtagung "Flüchtlinge in Europa" vom 14.-16. Oktober 1994 in Kassel1 Angesichts eines Krieges im ehemaligen Jugoslawien, der Hunderttausende dazu gezwungen hat, in anderen europäischen Ländern Zuflucht zu suchen, vor dem Hintergrund bereits durchgeführter Zwangsrepatriierungen nach Kroatien und drohender Massenabschiebungen in andere Teile des ehemaligen Jugoslawien, trafen sich vom 14.-16. Oktober 1994 VertreterInnen von 25 Kriegsdienstverweigerungs-, Friedens- und Flüchtlingshilfsorganisationen aus der Schweiz, Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zu einer Fachtagung, um gemeinsame Strategien und Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Die 1 VertreterInnen erklärten bestehenden Situation: angesichts der M ehr als 500.000 Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten des ehem. Jugoslawien haben in den letzten Jahren in Westeuropa Zuflucht gesucht. Was die nationalen Regierungen auf die Haben-Seite einer humanitären Aufnahmepolitik buchen, erweist sich für die Flüchtlinge als eine wenig tragfähige Konstruktion. * Die Aufnahme von Flüchtlingen erfolgte unter dem Begriff des "zeitweiligen Schutzes" (temporary protection), also unter der Die Fachtagung wurde durchgeführt von Pro Asyl e.V. und Connection e.V., in Zusammenarbeit mit der Föderation grünnaher Landesstiftungen und Bildungswerke, BUNTSTIFT e.V. und Unterstützung des Helmut-Michael-Vogel Bildungswerkes. 10 Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 Vorstellung, daß nach einem relativ schnellen Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen an eine Rückkehr gedacht werden könne. Fast alle europäischen Regierungen versagen deshalb Flüchtlingen aus dem ehem. Jugoslawien einen verfestigten Aufenthaltsstatus. Die Tatsache, daß ein Ende des Konfliktes nicht absehbar und ein Groß-teil der von ihm Betroffenen nun schon jahrelang im Exil lebt, wird von den meisten europäischen Regierungen ignoriert. In der Praxis bedeutet dies, daß für die betroffenen Menschen eine Lebensplanung nicht möglich ist. So sind sie beispielsweise von Qualifikationsmaßnahmen weitgehend ausgeschlossen und haben nur einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt. Diese Situation führt zu besonderen Belastungen der Familien, deren Auswirkungen wiederum insbesondere Frauen und Kinder treffen. Ihr prekärer ausländerrechtlicher Status setzt die Flüchtlinge vielfältigen Formen behördlicher Willkür aus. Angesichts der schwierigen psychosozialen Situation, in der sich die Menschen befinden, ist diese Politik inhuman und muß den Flüchtlingen den Eindruck vermitteln, daß sie im Grunde unerwünscht sind. * Bereits kurz nach Beginn der Fluchtbewegung aus dem Krisengebiet haben die europäischen Regierungen mit einer Politik der Abschottung durch Visazwänge und anderweitige Einreisehindernisse reagiert. Der erschwerte Zugang hat drei Konsequenzen: - Viele Flüchtlinge können die Krisenregion nicht mehr verlassen und bleiben unmittelbar gefährdet. Der Großteil der Flüchtlingsaufnahme geschieht auf dem Gebiet des ehem. Jugoslawiens. - Die osteuropäischen Nachbarstaaten werden zum Vorfeld westeuropäischer Abschottungspolitik, indem sie Flüchtlinge in einem Maß aufnehmen müssen, das ihre wirtschaftlichen und administrativen Möglichkeiten übersteigt. - Es können seit dem Beginn der Einreiserestriktionen lediglich noch diejenigen Flüchtlinge einreisen, für die i.d.R. Privatleute weitgehende Garantien übernehmen. Zu erinnern ist daran, daß dem überwiegenden Teil der Flüchtlinge Unterkunft bei Verwandten, Bekannten und Landsleuten gewährt wird. Die Staaten entziehen sich ihrer menschenrechtlich begründeten Aufnahmeverpflichtung und privatisieren die entstehenden finanziellen Risiken. Dies ist ein in vielen europäischen Staaten vorhandener Trend, der geeignet ist, jede Art einer systematischen Flüchtlingsaufnahmepolitik in künftigen Krisensituationen zu unterlaufen. * Flüchtlinge in den westeuropäischen Ländern sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, daß die Behörden der Zufluchtsländer sie wiederum nach ethnischen Kriterien sortieren, die häufig entweder überhaupt nicht zutreffen oder mit denen sich zu identifizieren sie ablehnen. Es ist unerträglich, daß deutsche, österreichische oder schweizerische Behörden Flüchtlingen die Annahme oder die Beantragung bosnischer, kroatischer oder anderer Pässe aufnötigen, indem sie etwa vom Namen auf die Ethnie, von Ethnie auf die Staatsangehörigkeit schließen oder vom früheren Wohnort eine künftige Staatsangehörigkeit ableiten. Der nationalistische Irrsinn, dem viele Flüchtlinge sich gerade entziehen wollten, nämlich der Entmischung der Bevölkerung durch Vertreibung und die Überstülpung ethnischer Kategorien, wird durch diese Praxis westeuropäischer Behörden geradezu bestätigt. Obwohl viele Flüchtlinge der Wille eint, sich einem verbrecherischen Krieg entziehen zu wollen und sie auf der Basis desselben Willensaktes eigentlich dieselbe Behandlung in den Zufluchtsländern verdient hätten, werden ihnen ethnische Bekenntnisse abverlangt, die im Resultat zu einer unterschiedlichen Behandlung, in einem Fall etwa zu Duldung und im anderen zur Abschiebung führt. Der Widersinn eines solchen Verfahrens zeigt sich insbesondere im Fall der Menschen. die in sogenannten Mischehen leben. Besonders absurd ist dieses Verfahren auch im Falle der Roma, bei denen keine dieser ethnischen Zuordnungen etwas an der praktischen Heimatlosigkeit dieses Volkes ändert. * Überwiegend wird Flüchtlingen aus dem ehem. Jugoslawien weder der Schutz des jeweils Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 11 nationalen Asylrechts noch der der Genfer Konvention zuteil. Verfolgung aus politischen Gründen, wegen (angeblicher) Zugehörigkeit zu wie auch immer definierten Ethnien oder Rassen, wegen des religiösen Bekenntnisses und insbesondere auch wegen der in diesem Krieg besonders deutlichen frauenspezifischen Verfolgung werden vielfach ignoriert, großenteils aus dem zumeist an individueller Verfolgung orientiertem Asylrecht hinausdefiniert, während gleichzeitig sehr selten die Tatsache der Gruppenverfolgung anerkannt wird, mögen die Sachverhalte auch so eindeutig liegen wie im Kosovo. Nach der Teilaufhebung des Embargos sind viele Menschen, denen so der Schutz individuellen Asyls oder kollektiver Schutzregelungen versagt wird, unmittelbar von Abschiebungen bedroht. nach Restjugoslawien. Die restjugoslawische Regierung hat keinerlei Garantien abgegeben, geschweige denn eine Amnestie erlassen. Sie verletzt weiterhin massiv Menschenrechte. Die Gefahr eines offenen Krieges z.B. im Kosovo ist nicht gebannt. Auch die in Kroatien ausgesprocheneAmnestie gibt Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern in vielen Fällen keine Sicherheit. Eine erneute Beteiligung von Kroatien an kriegerischen Handlungen steht zu befürchten. * Festzuhalten ist, daß die größte Gruppe unter den Flüchtlingen Frauen und Kinder sind, die die Hauptleidtragenden des Konfliktes sind. Dieser Tatsache tragen die westeuropäischen Staaten an keiner Stelle Rechnung. Die Fluchtgründe von Frauen, z.B. Vergewaltigungen und Angst vor selbiger sowie die Sorge um das leibliche und seelische Wohl der eigenen Kinder, werden im Rahmen der Asylverfahren mit dem Argument nicht anerkannt, daß die Verfolgung nicht vom Staat ausgehe und daher kein Grund bestehe, Asyl zu gewähren. Bei der Unterbringung, der medizinischen und psychosozialen Versorgung und in anderen Bereichen erfahren die Interessen von Frauen keine adäquate Behandlung. * Widersprechen bereits die Zwangsrepatriierungen nach Kroatien Grundsätzen des internationalen Flüchtlingsschutzes (sie hätten nach dessen Maßstäben auf freiwilliger Basis, in Würde und in Sicherheit zu erfolgen) so gilt dies selbstverständlich in besonderemMaße für die drohenden Massenabschiebungen nach Serbien, Montenegro, in den Sandschak und in den Kosovo. * Die nationalen Regierungen handeln im Geiste des Nationalismus und eines nicht hinnehmbaren Verständnisses von staatlicher Souveränität, das sie übrigens mit den Regierungen der Konfliktparteien teilen, wenn sie sich weigern, den Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu folgen und Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren keinen Schutz gewähren. Obwohl die Parlamentarische Versammlung betont hat, daß Deserteure und Fahnenflüchtige "schwerwiegenden Gefahren der Verfolgung unterliegen, wenn sie zurückgekehrt sind", besteht aktuell in vielen Staaten die Gefahr einer Massenabschiebung auch von Deserteuren Statt Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in ihrer Opposition gegen den Krieg zu unterstützen, werden sie einer erneuten Rekrutierung ausgesetzt und für den Krieg verwendbar gemacht. Die Abschiebung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren in das ehem. Jugoslawien ist deshalb nicht zu verantworten. * Die bei der Fachtagung anwesenden Vertreter und Vertreterinnen von KDV, Friedens- und Flüchtlingshilfsorganisationen begrüßen deshalb die vielfältigen und phantasievollen Akte des Zivilen Ungehorsams, durch die Abschiebungen verhindert und Flüchtlinge geschützt werden sollen: - Dazu gehört das aktuelle, in mehreren hundert Fällen gewährte Kirchenasyl, das Kirchengemeinden aus ihrem Selbstverständnis christlicher Verantwortung heraus gewähren, ohne dabei immer bei den Kirchenleitungen Unterstützung zu finden. - Dazu gehören die zunehmenden Fälle, in denen auch andere gesellschaftliche Institutionen oder Bürger gefährdeten Menschen Unterschlupf gewähren und dies politisch vertreten. - Dazu gehören die Aktivitäten der Deserteursorganisationen, die in einigen Fällen von Rekrutierung bedrohte Menschen aus 12 Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 Kriegsgebieten herausholen und die Aktivitäten der Flüchtlingsorganisationen, die gefährdete Flüchtlinge, denen in den Zufluchtsländern der Schutz verwehrt wird, in andere Länder bringen, wo sie sicherer sind, oder manchmal bessere Chancen in einem Anerkennungsverfahren haben. - Dazu gehört das offensive Bekenntnis vieler europäischer Städte und Gemeinden, Deserteuren Schutz anzubieten und sie auch gegen Regierungsweisungen nicht abzuschieben. Die bei der Fachtagung anwesenden Vertreter und Vertreterinnen von KDV, Friedens- und Flüchtlingshilfsorganisationen aus der Schweiz, Österreich und der Bundesrepublik Deutschland setzen einem Europa der Abschottung die Idee eines Europas der Solidarität und der Menschenrechte entgegen. Diese wird praktisch in der Unterstützung von Menschen, die sich nationalistischem Wahnsinn und Krieg entziehen. Wenn die nationalen Regierungen die selbstverständliche Aufgabe, Schutz zu gewähren, bis der Krieg vorbei und eine sichere Rückkehr in Würde möglich ist, nicht erfüllen, müssen die Bürger dies tun. Kassel, den 16. Oktober 1994 Letzte Meldung: Wegen eines fehlenden „Rückübernahmeabkommens“ verweigert die Restrepublik Jugoslawien bis auf Weiteres die Aufnahme von Flüchtlingen aus Deutschland. Abschiebungen sind damit nach § 55 AuslG wieder „faktisch unmöglich“! Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 F ragen des Flüchtlingsrats zur von der Landesregierung geplanten Umwidmung von Teilen der ZASten in sog. „Gemeinschaftsunterkünfte“ 1. In der Kabinettsvorlage des MI vom 04.10.94 ist noch die Rede von veranschlagten Kostenreduzierungen in Höhe von 8,64 Mio. DM pro Jahr. In der Konzeption des MI, Ref. 41, vom 20.10.1994 wird der prognostizierte „Gewinn“ dagegen auf 5,76 Mio DM festgesetzt. Wie tragfähig sind diese Prognosen, und warum hat sich innerhalb von nur 3 Wochen eine derartige Veränderung der Prognose ergeben? 2. Das MI spricht davon, daß die Umwidmung der ZASten in GUs keine zusätzlichen Kosten nach sich ziehe. Gleichzeitig wird jedoch ein Betrag von 7,5 Mio DM zum Ausbau der ZASt Braunschweig (Husaren-Kaserne) für notwendig gehalten. Dieser Betrag übersteigt allein schon den Betrag, der angeblich durch die Konzeption der Landesregierung. eingespart werden soll. Wie kommt die Landesregierung. auf der Grundlage dieser Zahlen zu der Behauptung, hier würden Kosten eingespart? Auf welchen Zeitraum muß sich das Land bei der Anmietung der Husaren-Kaserne festlegen? Welche Folgekosten könnten daraus entstehen? Was passiert bspw., wenn infolge des Rückgangs der Flüchtlingszahlen das BMI beschließt, die Zahl der Bundesamt-Dependenzen zu verringern? Wäre es nicht im jedem Fall kostengünstiger und sicherer, die Verträge für die ZASt Braunschweig auslaufen zu lassen? 3. 23 Die Prognosen der Landesregierung über angebliche Einspareffekte erscheinen auch aus anderen Gründen als unseriös: a) Die angeblichen Kosten von nur 400,- DM pro Flüchtling und Monat für einen Platz in der ZASt bedürfen der weiteren Erläuterung: Welche Belegungsdichte wird hier für die Berechnung zugrunde gelegt? Wie hoch sind die Kosten pro Platz bei einer „aufgelockerten Belegungsdichte“? Welche Kosten sind in die 400,-- DM pro Platz eingerechnet? Alle bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, daß die Kosten bei einer zentralen Unterbringung aufgrund der damit einhergehenden sozialen und verwaltungstechnischen Probleme sowie einer ausufernden Bürokratie höher liegen als bei dezentralen Lösungen. Um die Zahlen des MI zu prüfen, wäre daher eine Aufschlüsselung des Kostenansatzes vonnöten. b) Zusätzliche Kosten sind im Übrigen schon deshalb zu erwarten, weil die mit einem Lagerleben einhergehenden Probleme (soziale Konflikte, Lagerkoller, Alkoholkonsum, psychische Probleme, Vandalismus etc.) sich natürlich in höheren Kosten für Therapien, Arztbesuche, Polizei- und Feuerwehreinsätze, Renovierungskosten etc. niederschlagen. c) Laut Erlaß des MI vom 11.10.1994 sollen „nicht mehr benötigte Wohnheimkapazitäten“ massiv abgebaut werden. Der Erlaß sieht nicht nur vor, daß bestehende Verträge für Flüchtlingswohnheime nicht mehr verlängert werden sollen, sondern auch, daß bestehende Verträge vorzeitig gekündigt werden sollen. Die im Rahmen solcher vorzeitiger Vertragskündigungen entstehenden „unvermeidbaren Kosten“ müssen in diesen Fällen vom Land getragen werden. Das Land zahlt hier mit anderen Worten teilweise über Jahre die Mieten und andere „unvermeidbare Kosten“ für leere, nicht genutzte Wohnheime. Diese zusätzlichen Kosten entstehen nur deshalb, weil das Land auf eine Verteilung der Flüchtlinge auf die Gemeinden verzichtet. Sie werden in der Kostenaufstellung des Landes jedoch nicht berücksichtigt. d) Weder der Kabinettsvorlage vom 04.10.94 noch dem Konzeptpapier des MI vom 20.10.1994 ist zu entnehmen, wie denn konkret die Standards der Unterbringung in den der ZASt angeschlossenen GUs sein sollen. Wie groß ist die Belegungsdichte? Wieviel Quadratmeter müssen pro Flüchtling zur Verfügung stehen? Wie viele Sozialarbeiter/innen entfallen auf wie viele Flüchtlinge? Werden die Standards für Flüchtlingswohnheime in den neuen GUs eingehalten werden? Was heißt „Auflockerung der Belegungsdichte“ konkret? Wie kommt das MI auf die Idee, daß die Umwidmung von ZASt-Plätzen zur Gemeinschaftsunterkunft keine oder nur unerhebliche Kosten verursacht? Die Vorstellungen des MI bedürfen in jedem Fall weiterhin einer Konkretisierung! 4. Praktische Probleme 24 Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 a) Trotz der vorgelegten Konzepte werden bis heute Familien mit Kindern teilweise über Monate in der ZASt festgehalten und erhalten faktisch keinen Schulunterricht. Nach Aussage von SozialarbeiterInnen gibt es Familien mit Kindern, die seit über 6 Monaten in der ZASt untergebracht sind und nicht verteilt wurden; b) Nach wie vor werden Flüchtlinge auch über drei Monate hinaus in der ZASt festgehalten, obwohl die für eine Umwidmung von Teilen der ZASten notwendigen Umbauten nicht erfolgt sind. Auch die Verteilung von Flüchtlingen aus der ZASt Oldenburg in eine Außenstelle der ZASt Langenhagen erfüllt nicht die gerichtliche Forderung nach einer wesentlichen Verbesserung des Unterbringungsstandarts! c) Werden Flüchtlinge, die sich länger als ein Jahr in der zur GU umgewidmeten ZASt entsprechend den Bestimmungen nach § 2 AsylbLG Bargeld erhalten? Wie gedenkt das MI die daraus resultierenden zusätzlichen Probleme zu lösen? Oder ist daran gedacht, wie schon bei den in der ZASt- Außenstelle in Goslar untergebrachten Flüchtlingen widerrechtlich an einer Vollverpflegung nach dem Sachleistungsprinzip festzuhalten? (K.W.) Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 25 Der folgende Text wurde wenige Tage nach der Freilassung eines Abschiebehäftlings geschrieben und drückt meines Erachtens ganz gut einige Aspekte der Haft aus: Langeweile, Rechtlosigkeit, Perspektivlosigkeit, Angst, Suizidgefahr, Rassismus etc. Ursprünglich enthielt der Text noch genaue Stundenangaben, wodurch die Beschreibung noch eindrucksvoller war. Wir haben es in Absprache mit dem Verfasser anonymisiert, da wir im Moment vermeiden müssen, daß erkenntlich wird, woher der Text kommt. Wir möchten im Moment noch unsere Spielräume im Knast nutzen; wir müssen andere Wege finden, um die Situation im Knast zu ändern, vor allem aber eine Abschiebung überhaupt zu vermeiden. (Aus dem Schreiben einer Flüchtlingsinitiative) Abschiebehaft 1: Das Monotone Gefängnis Das, wovon ich hier erzählen möchte, bezieht sich speziell auf die Situation der zu deportierenden Ausländer im Gefängnis. Es geht um ihre alltäglichen Schwierigkeiten: Von Montag bis Freitag werden die Zelltüren morgens zur Einnahme des Frühstücks geöffnet und nach der Auslieferung des Abendessens geschlossen. Während des ganzen langen Tages - nur unterbrochen durch das Mittagessen und den Hofgang von einer Stunde dreht man seine Runden auf dem Flur und zählt seine Schritte. Während des ganzen Wochenendes ist man eingesperrt. Man hat nur eine Stunde Pause für den Hofgang und langweilt sich zu Tode. Zweimal pro Woche hat man ein Besuchsrecht. Man darf jedoch nur einmal Besuch empfangen, vorausgesetzt, man hat eine Verbindung nach draußen zu jemandem, der einen besuchen kann. Nur einmal in der Woche darf man telefonieren und zwar nur einen Anruf. All dies gilt auch für diejenigen, die Gefängnisstrafen für begangene Delikte verbüßen (d.h. für Straffällige). Es gibt aber einen Unterschied bei den Zeiten der Öffnung und Schließung der Zellen. Jene haben täglich ihre Zellen um 5 Stunden länger geöffnet. Wenn man uns mit ihnen vergleicht, kann man sehen, daß sie einen Vorteil haben. Wir sind schärfer bestraft als sie. Man könnte sagen, daß wir straffälliger seien als sie. Das verstehe ich nicht mehr, und ich überlasse es kompetenteren Leuten, gut fundierte Erklärungen hierfür abzugeben. Es gibt einen Fernsehraum, den ich nicht mehr betrete seit sich ein kleiner Zwischenfall ereignete, als ich ausländische Nachrichten hörte. Ein Deutscher kam in den Raum und wechselte direkt das Programm, ohne freundlich zu fragen. Er sagte, hier sei Deutschland und man müsse deutsche Programme sehen. Ich antwortete ihm, das wisse ich sehr gut, daß ich in Deutschland sei (das versteht sich von selbst) und daß er mir nichts Neues sage. Ich sagte ihm, daß wenn es ausländische Programme gäbe, diese dafür da seien, gesehen zu werden. Er begann Kauderwelsch zu reden und ich verließ den Raum, um eine Eskalation zu vermeiden. Denn ich habe genug Sorgen, und derjenige ist der Stärkere, der im Moment der Wut sich zurückzieht. Mein Fall ist nur ein Tropfen im Ozean. Ich fragte mich, wie es sein kann, daß man uns inmitten von Straftätern setzt?! Die Beantwortung der Frage überlasse ich den dafür verantwortlichen Personen. An manchen Tagen stibt man vor Langeweile; man dreht im Kreis, macht die paar Schritte im Gang, wie im Irrenhaus. Das Schlimmste ist die Zeit nach der 26 Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 Schließung; denn hier ist die Welt auf vier Wände reduziert: ein Gitterfenster, ein Tisch, ein Stuhl, ein Schrank, der das WC und das Bett versteckt. Da kommen die teuflischen Gedanken, die hundertmal durch meinen Kopf gehen. Ich begann Selbstgespräche zu führen, über mein Los hier in Deutschland und in meiner Heimat zu sinnieren, als ob ich zwischen Himmel und Erde wäre. In meinen Augen war nichts gerechtfertigt. Ich tappte im Dunkeln. Ich fragte mich, wie lange dieser Leidensweg dauern würde. Ich fragte mich, ob ich mich noch gedulden sollte und all dieses Leiden ertragen oder ob ich jetzt die Seele von meinem Körper trennen sollte (Selbstmord). Diese Mischung von Gedanken, Ängsten Sorgen, Unruhe und Beklemmungen quälten mich psychisch, hinderten mich daran zu schlafen, mich zu konzentrieren, nachzudenken, logisch zu überlegen, lebendig und wach zu sein, wie früher ein Gesprächsthema anzugeben. Das hat meinen Geist zerfressen bis hin zum Verlust meiner intellektuellen Fähigkeiten. Ich hatte das Gefühl, nichts mehr zu können; wie ein Auto, dessen Motor kaputt ist und das nur noch auf dem Schrottplatz zu gebrauchen ist, hatte ich das Gefühl, nur noch auf dem Friedhof einen Platz zu haben. Der Tag, den alle Deportationshäftlinge haßten und fürchteten, war der vor dem Abtransport; der Tag, an dem die Namen derjenigen bekannt gegeben wurden, die am folgenden Tag zum Flughafen gebracht würden, um „nach Hause“ geflogen zu werden. Mein dargelegter Fall ist einer von mehreren tausend Fällen, die anonym sind, die keine Möglichkeit haben, laut herauszuschreien, was sie schon gelitten haben und jetzt leiden und noch leiden werden, solange sie keine Hilfe und Unterstützung finden. Mein Fall ist nur ein Tropfen im Ozean. Abschiebehaft 2: An den Rändern der Verfassung Kürzlich konnte man einer Notiz in der polnischen Presse entnehmen, daß ein in Haft genommener Abschiebungskandidat durch Gerichtsbeschluß seine Freiheit zurückerhalten hat. Es fehle, so die 1938 beispielsweise Richter, an der geschah das mittels gesetzlichen Grundlage für die der PolizeiVerhängung der Ausländerverordnun Abschiebehaft, g, in der es lapidar weshalb der „Delinquent“ nicht hieß: „Zur Sicherung länger als 48 der Abschiebung Stunden kann ein Ausländer festgehalten in Abschiebehaft werden dürfe. genommen werden.“ Diese sympathische Anordnung resultiert aus der Tatsache, daß die Polen jetzt zwar über Bruchstücke eine demokratischen Verfassung verfügen, aber noch nicht über genügend Gesetze, um sie anschließend wieder zu durchlöchern. In Deutschland war die Lage umgekehrt. Wir verfügten stets über ausreichende juristische Abschiebungsgrundlagen, selbst wenn es uns an demokratischen Verfassungsprinzipien mangelte. 1938 beispielsweise geschah das mittels der PolizeiAusländerverordnung, in der es lapidar hieß: „Zur Sicherung der Abschiebung kann ein Ausländer in Abschiebehaft genommen werden.“ 45 Jahre Rechtsstaat und intensive Bastelarbeiten am Paragraphen 57 des Ausländergesetzes, der sagt, wann Abschiebehaft verhängt werden darf, haben nichts daran ändern können: Nach wie vor bewegen Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 sich Theorie und Praxis des Abschieberechtes im vordemokratischen Rahmen. Daß die persönliche Freiheit eines der höchsten Rechtsgüter ist und nur eingeschränkt werden darf, wenn der Schutz der Allgemeinheit dies zwingend gebietet, ist auch dem Bundesverfassungsgericht schon frühzeitig aufgefallen. Daher die Konzentration auf die Verletzung von Straftatbeständen und die strengen Vorraussetzungen für den Erlaß von Haftbefehlen. Zu den freiheitssichernden Schutzbestimmungen gehört auch, daß Untersuchungshäftlinge nur einen kurz bemessenen Zeitraum unter Verschluß gehalten und ihrer Menschen- und Bürgerrechte nicht beraubt werden dürfen. Nun würde nach gewöhnlicher Logik folgen: Was für diejenigen gilt, die einer schwerwiegenden Straftat verdächtig sind, muß erst recht für diejenigen gelten, die nur gegen ausländerrechtliche Bestimmungen verstoßen haben. Ein naiver Irrtum. Während für die Untersuchungshaft in der Regel eine Obergrenze von sechs Monaten vorgeschrieben ist, kann nach Paragraph 57 Satz3 die AbschiebungsSicherheitshaft auf max. 18.Mon. ausgedehnt werden. Über ein Jahr in Abschiebehaft zu schmoren ist keine Seltenheit, wenn man auf die „spektakulären Fälle" der letzten Wochen schaut. Zwar hat in den vergangenen Jahren die Rechtsprechung mehrfach der Ausländerbehörde 27 klarzumachen versucht, daß die Abschiebehaft nicht dazu ist, die Tätigkeit dieser Behörde bequemer zu gestalten. Allein, die Kasuistik des Paragraphen57 erlaubt den Behörden gerade dieses Verfahren. So genügte kürzlich die treuherzige Bemerkung eines Ausländers, er werde nach Ablauf seiner Aufenthaltsgenehmigung nicht ausreisen, den Beamten, ihn einzusacken. Das war der „begründete Verdacht“, er werde sich der (künftigen, aber noch gar nicht verfügten) Abschiebung entziehen. Der eingangs erwähnte Entscheid des polnischen Gerichts enthält für uns zwar keine unmittelbar juristische, aber doch eine die Menschenrechte betreffende Botschaft. Ist es mit der Menschenwürde vereinbar, umstandslos Bestimmungen, die für die Untersuchungshaft in Strafverfahren gelten, auf „Abzu-schiebende“ anzuwenden? Und sind die unglaublichen Haftbedingungen für in Sicherungshaft schmorende Ausländer nicht die logische Folge eines Rechtsverständnisses, das die Rechtsgarantien dieser Häftlinge noch niedriger ansetzt als die „gewöhnli-cher“ Untersuchungshäftlinge? Nicht die Einrichtung spezieller Ausländerknäste weist hier den Ausweg, sondern ein anderes Verständnis des Art.2 unseres Grundgesetztes, der von der Freiheit der Person (und nicht nur der „Deutschen“) handelt. Christian Semler,TAZ ,24.8.94 Abschiebehaft 3: Richter: Zellen menschenunwürdig Die Zustände in der Bremer Abschiebehaft sind z.T. menschenunwürdig. Das hat die 10. Zivilkammer des Bremer Landgerichts festgestellt. Danach darf der Vollzug der Abschiebehaft im zentralen Polizeigebäude nur fortgesetzt werden, wenn die Zahl der Insassen in mehreren Arrestzellen verringert wird. Zwei Afrikaner, die seit sieben bzw. neun Monaten auf ihre Abschiebung warten, müssen nach dem Beschluß sofort in andere Zellen verlegt werden. Deren Anwälte hatten gegen die Art der Unterbringung geklagt. Wir zitieren nachfolgend Auszüge aus dem Beschluß des Landgerichts Bremen vom 5.8.94 mit dem Aktenzeichen 10T524/94 : ... „Die Zelle 18 ist mit 5 Feldbetten sowie weiterem spärlichen Mobiliar ausgestattet. Ihre Grundfläche 28 Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 beträgt 2,70m x 7m, die Zellenhöhe erreicht 2,90 m. Waschbecken und Toilette befinden sich innerhalb der Zelle. Die in einer Zellenecke angebrachte Toilette ist durch eine kaum Sichtschutz gewährende, brusthohe schmale Blechwand abgeteilt.Die beiden Zellenfenster bestehen jeweils aus 16 Glasbausteinen. Belüftet wird die Zelle allein durch zwei, aus jeweils 4 Glasbausteinen bestehenden Kippfensteröffnungen. Ein Luftschacht zum Abzug der von der Toilette ausgehenden Gerüche existiert nicht Die Zelle 18 entspricht in ihrem Aufbau und Zustand der Zelle 20. Nach Auffassung der Kammer verstößt die gemeinschaftliche Unterbringung in diesen beiden Zellen zumindest bei längerem Vollzug gegen das Recht des Betroffenen auf Achtung seiner Menschenwürde nach Art.1 Abs.1 GG. Bindende Rechtsvorschriften, anhand derer der menschenwürdige Vollzug von Abschiebehaft zu konkretisieren wäre, existieren allerdings weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Auch der vom Senator für Inneres am 15.12.89 herausgegebene „Erlaß über den Polizeigewahrsam“ (Az.: 89/001 32-11) besagt nichts über die baulichen Mindeststandards, die Belegungsstärke und die sanitären Einrichtungen. Maßstab für solche Minimalbedingungen kann aber der für den Strafvollzug geltende § 144StVollzG und die dazu ergangene Rechtssprechung sein. Dabei ist zu beachten, daß zum einen die Abschiebungshaft im Unterschied zum Strafvollzug keinen Sanktionencharakter hat und haben darf, zum anderen im Gegensatz zum Strafvollzug die Häftlinge in der Abschiebungshaft bis auf den täglichen Hofgang von 45 Minuten Dauer keine weiteren Möglichkeiten haben, ihre Zellen - etwa zwecks Arbeitsaufnahme - zu verlassen. gegebenenfalls wie lange eine kurzfristige Unterbringung anderer Häftlinge in diesen Zellen ohne Verletzung der Menschenwürde möglich ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung. Auch die sanitären Bedingungen in den Zellen 16, 22 und 24, in denen innerhalb der Zellen durch nahezu deckenhohe Trennwände ein größerer sanitärer Bereich abgetrennt, die Intimsphäre also besser geschützt ist, geben zu Bedenken Anlaß, ob hier eine langfristige Unterbringung unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde zulässig ist. Da in diesen Zellen aber jeweils neben den baugleichen Fensteröffnungen ein motorbetriebener Lüfter und ein gesondeter Abzugschacht vorhanden sind, bedarf es noch weiterer Klärung hinsichtlich deren Effizienz, z.B. bei der Unterdrückung der Geruchsverbreitung, so daß insoweit ein Verstoß gegen die Menschenwürde jedenfalls zur Zeit noch nicht festgestellt werden kann. Die Zelle 7 mit einem abgetrennten Raum für Toilette und Waschbecken genügt den gebotenen Anforderungen in sanitärer Hinsicht. Hinsichtlich der Zellen 7, 16, 22 und 24 mußte jedoch für den Fall der Unterbringung des Betroffenen in diesen Zellen angesichts der jeweiligen Raumgröße die Belegungskapazität eingeschränkt werden. Die Zellen 16, 22 und 24 werden z.Zt. jeweils mit bis zu vier Häftlingen belegt. Unter Einschluß des sanitären Bereiches haben sie eine Grundfläche von 5,29m x 2,72m bei einer Raumhöhe von 2,90m. Der eigentliche Raum für den gewöhnlichen Aufenthalt, also abzüglich des sanitären Bereichs, beträgt 3,60m x 2,72m, mithin nur etwa 9,8 qm, der durch die Betten und das sonstige Mobiliar zusätzlich verstellt ist. Bei einer Belegung mit vier Personen stehen jeder Person In den Zellen 18 und 20 führen allein der erzwungene rechnerisch nur 2,45 qm im gewöhnlichen Aufenthaltsbereich zur Verfügung. Die Zelle 7 enge körperliche Kontakt sowie die Benutzung der Toilette hinter einer kaum Sichtschutz gewährenden verfügt über eine Grundfläche von 2,70m x 7m, mithin 18,9 qm. Sie wird mit bis zu fünf Häftlingen kleinen Schamwand ohne gesonderten belegt, denen dann lediglich 3,78 qm je Person zur Abzugsschacht zu unzumutbaren gegenseitigen Verfügung stehen. Bei dieser Zelle kommt die schon Belästigungen der bis zu fünf Häftlinge. Durch die Benutzung der Toilette durch fünf Häftlinge wird die erwähnte Besonderheit eines sanitären Nebenraumes hinzu. zur Verfügung stehende Luftmenge stark beeinträchtigt. In den Zellen werden auch Mahlzeiten Diese Räume entsprechen bei ihrer jetzigen eingenommen. Im Hinblick auf diese sanitären Zustände (vgl. dazu: OLG Hamm MDR 1967, 1024; jeweiligen Höchstbelegung von vier bzw. fünf OLG Frankfurt, StV 1986, 27; von Hinüber,StV 94, Personen nicht den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung über einen längeren 212 m.w.N. ) kann es dem Betroffenen nach Überzeugung der Kammer nicht zugemutet werden, Zeitraum. Das gilt umso mehr, als die Häftlinge in in diesen Zellen untergebracht zu werden. Ob und Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 den Zellen mehr als 23 Stunden am Tag verbringen müssen. Nach den für den Strafvollzug in der Rechtssprechung entwickelten und hier heranzuziehenden Grundsätzten zu den Haftbedingungen wird die Fortbewegungsmöglichkeit und die Freizeitbeschäftigung durch eine Überbelegung der Zellen derart eingeschränkt, daß von einer menschenwürdigen Unterbringung nicht mehr die Rede sein kann. 29 So hat das OLG Frankfurt (StV 1986, 27) die Belegung eines Haftraums, der lediglich eine Grundfläche von 11,54 qm hat, mit 3 Gefangenen für rechtswidrig erklärt. Das LG Braunschweig (NStZ 1984, 286) hält in gleicher Weise einen Haftraum mit einer Grundfläche von 7,98 qm für zwei Gefangene für zu klein. Das OLG Celle (INFO 1986, 603ff., zitiert nach Huchting/Schumann, AK StrVollzG, 3.Aufl., §144 Rn 4) schließlich hält einen Haftraum mit 13,15 qm für zwei Gefangene für „gegenwärtig gerade noch hinnehmbar.“... 68 Nds. Flüchtlingsrats-Rundbrief 24/94 ”Kaindl-Prozeß” in Berlin: ”Vor Gericht gehören die, die für die rassistische Gewalt gegen Einwanderer und Flüchtlinge und andere Minderheiten verantwortlich sind.” In der Nacht vom 3. auf den 4. April 1992 trafen sich in einem China-Restaurant in Berlin-Kreuzberg sieben Kader verschiedener Naziparteien. Diese pöbelten einen Blumenverkäufer an und drohten einem Türken, der versucht hatte einzugreifen, daß sie sich sein Gesicht merken würden. Daraufhin beschlossen türkische, kurdische und deutsche AntifaschistInnen, die Nazis zu vertreiben. Bei der Auseinandersetzung im Lokal wurde der Funktionär der Deutschen Liga Gerhard Kaindl durch einen Messerstich getötet. Für den Berliner Staatsschutz stand unmittelbar danach fest, daß die vermummten TäterInnen aus dem Umfeld der ImmigrantInnenorganisation Antifasist Genclik kommen, was er auch der Nazipresse - wohl sogar mit Namen von Verdächtigen - mitteilte. Antifasist Genclik ist ein Zusammenschluß türkischer und kurdischer Jugendlicher und Erwachsener. 20 Monate später stellte sich der psychisch kranke Erkan S. den Behörden. Obwohl er nach Meinung eines Gutachters nicht in der Lage war, die Verhörsituation zu verstehen, unterschrieb er die vom Staatsschutz formulierten Aussagen. Daraufhin wurde nach insgesamt 12 Menschen gefahndet. Gegen sieben von ihnen läuft seit dem 20. September vor dem Berliner Landgericht ein Prozeß. Lautete die Anklage zunächst noch auf gemeinschaftlichen Mord, mußte sie im Laufe der Verhandlung auf Körperverletzung mit Todesfolge reduziert werden. Das Verfahren gegen Abidin wurde mittlerweile abgetrennt und durch einen Freispruch am 2.11.94 beendet. Obwohl er nachweislich in der Nacht überhaupt nicht in der Nähe des Restaurants gewesen war, hatte er 11 Monate in Untersuchungshaft verbringen müssen. Auch Fatma wurde vor kurzem aus der Untersuchungshaft entlassen. Fatma hat auf die Bedingungen hingewiesen, unter denen hier Menschen ohne deutschen Paß leben müssen, auf die mehr als 60 Ermordeten seit der Wiedervereinigung, die mehr als 10000 gewalttätigen Angriffe, die Duldung von Naziaufmärschen durch Polizei und Justiz, die große Zustimmung eines Teils der Bevölkerung zu Pogromen, das Zurückziehen einer Polizeihundertschaft in Rostock, damit der Mob das Wohnheim in Brand setzen konnte. Sie verwies auf die Reaktion dieses Staates, der Politik und Medien um Verständnis für die Äng- ste und sozialen Probleme der TäterInnen bittet, die Opfer aber allein aufgrund ihrer Anwesenheit zu den eigentlichen Tätern erklärt und auf die Tatsache, daß die etablierten Parteien solche Ereignisse zum Anlaß genommen haben, um mit Parolen wie ”Das Boot ist voll” und ”Asylantenschwemme” um Stimmen zu werben und das Asylrecht abzuschaffen. Sie erklärte dem Gericht, daß Rassismus und Gewalt gegen Minderheiten in diesem Land nur mit der Diskriminierung durch Ausländergesetze beginnt, aber mit alltäglichen Pöbeleien auf der Straße, auf Behörden, bei der Arbeit, in der Schule endet und das Leben bedroht. In diesem Klima der noch zunehmenden Gewalt und der Rechtlosigkeit hat sich Antifasist Genclik gegründet. Neben den Forderungen nach doppelter StaatsbürgerInnenschaft, Wahlrecht für ImmigrantInnen und Gesetzen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung, die auf Demonstrationen, Veranstaltungen und über eine Zeitung vertreten werden, halten sie es aber auch für wichtig, sich nicht mehr vor Naziterror zu verstecken, sondern dann gemeinsam hinzugehen und zu stören oder Veranstaltungen zu verhindern. Auch Abidin verwies auf die tägliche Angst vor körperlichen und psychischen Angriffen und die nächtlichen Alpträume. Deutschland sei auch ihr Land, deshalb sei es wichtig sich jetzt zu wehren und nicht auf Angriffe zu warten.. Durch ihre Präsenz und Aktionen haben sie es wenigstens geschafft, daß es in ihren Hauptwohngegenden im Wedding, in Schöneberg und in Kreuzberg halbwegs sicher ist, daß sie zumindest in diesen Gegenden abends spazierengehen können, ohne sich ständig umschauen und zur Flucht bereit sein zu müssen. In der Nacht zum 4. April 92 hätten sie erreichen wollen, daß Kreuzberg sicher bleibt. Deshalb hätten sie die Faschisten vertreiben, nicht aber sie töten wollen. ”Vor Gericht gehören die, die für die rassistische Gewalt gegen Einwanderer und Flüchtlinge und andere Minderheiten verantwortlich sind.” Freiheit für alle Antifas! Der Kampf gegen Rassismus und Faschismus ist notwendig und gerecht!