Frank Sagel Seminar Rhetorik der Audiovisualistik WS 99/00
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Frank Sagel Seminar Rhetorik der Audiovisualistik WS 99/00
Frank Sagel Seminar Rhetorik der Audiovisualistik WS 99/00 Leitung: Gui Bonsiepe Analyse von Slippery Traces Eine CD-ROM Installation von George Legrady George Legrady Ausgangsthese Inhalt und Funktionsweise Struktur (dispositio) Rhetorische Elemente Ergebnis George Legrady * 1950 in Budapest. Emigriert nach Montreal, Quebec (Canada) 1956. Loyola College, Montreal,1968-70 Goddard College in Vermont (USA) 1972-74 San Francisco Art Institute 1974-76 Masters of Fine Arts 1976. Zahlreiche Einzelausstellungen und Publikationen. Derzeit Lehraufträge an der San Francisco State University (Interactive Computer Media, Conceptual Art and Theory in Information Arts / Conceptual Design) und Merzakademie (Elektronische Medien) http://www.merz-akademie.de http://userwww.sfsu.edu/legrady/Art/ index.html Ausgangsthese Die aus der Literaturwissenschaft bekannten rhetorischen Mittel lassen sich zumindest Teilweise auch auf Audiovisuelle oder gar interaktive Medien anwenden. Die Formen der klassischen Rhetorik sind als Elementar zu bezeichnen und sollten daher nicht allein für die Texterstellung und -deutung gelten. Inhalt und Funktionsweise Slippery Traces wurde in artintact3,herausgegeben vom ZKM Karlsruhe veröffentlicht. Der Sinngehalt von Slippery Traces ist als Kunstwerk vielschichtig. Es geht um den Bedeutungskontext medialer Fundstücke, hier Postkarten. Eine Fotografie ist der zweidimensionale Ausdruck eines bestimmten,die Dauer der Belichtungszeit umfassenden Augenblicks. Der Ausschnitt aus der Realität ist das wesentliche Merkmal. Die Aufnahme ist sowohl durch die Situation wie auch besonders durch den soziokulturellen Standpunkt des Aufnehmenden geprägt. Von der Aufnahme des Motives bis zum Empfang einer Postkarte können daher bereits vielerlei (Um)Deutungen des Dargestellten erfolgen. Slippery Traces zeigt als CD-Rom Installation einige hundert Postkarten,die bereits wegen Ihres Alters vom Betrachtenden der Jetztzeit verändert rezipiert werden. Die Postkarten sind nach Kategorien sortiert und können über den auf dem Bildschirm sichtbaren Ausschnitt hinaus durch Bewegung der Maus erforscht werden. Die einzelne Szene ist mit zumeist vier oder fünf Hotspots versehen,durch die man in eine andere, dem Bildmotiv mehr oder weniger verwandte Kategorie wechseln kann. Zum Schluss kann die ge wobene Geschichte bzw. der neue Bedeutungszusammenhang auf einer Gesammtübersicht betrachtet werden. Struktur (dispositio) Wie in der klassischen Aufsatzlehre gliedert sich Slippery Traces in Einleitung, Hauptteil und Zusammenfassung. Motiv: Postkarte, unscharf, flackernd Sound:undefiniertes Rauschen Aktion::Motiv wird Scharf, nächster Screen Einleitung (exordius) Motiv: Postkarte, unscharf Text: Titel Sound:Tackern,hohes Pfeifen,tiefes Pfeifen Aktion:nächster Screen Motiv: s.o. Text Zitat (jeweils unterschiedlich) Sound: Gespr{chsfetzen Aktion:nächster Screen Hauptteil (naratio) Zusammenfassung (peroratio) Motiv: unterschiedlich,interface, Fadenkreuz Sound: Tackern,hohes Pfeifen,tiefes Pfeifen Aktion: Vollbild, nächstes Motiv, Übersicht Kategorie, Zusammenfassung Motiv: kleinformatige Übersicht Sound: Aktion: Zurück, Exit Rhetorische Elemente Unschärfe verschleiert und lässt gleichzeitig eine Ahnung aufkommen, was sich in ihr verbergen könnte. Die Zurüknahme des visuell erfahrbaren im Hauptmotiv verursacht ein Gefühl der Unzufriedenheit und Spannung. Das unterlegte Rauschen als auditive Unschärfe verstärkt die Wirkung. Es bildet sich eine multimediale Trope. Der flackernde Wechsel zur Schärfe provoziert Aktion. Das Motiv der Postkarte als Hysteron Proteron deutet auf den medialen Ursprung der später erscheinenden Bildmotive. Die Unschärfe steht im Hintergrund. Titel und Autor des Werkes erscheinen. Die jeweiligen Zeilen werden mit unterschiedlichen Soundeffekten eingeblendet. Es handelt sich um eine Vorwegnahme der später auftauchenden Geräusche, die die Mausaktionen begleiten. Der eingeblendete Text erscheint mittels Zufallsalgorithmus aus einer Reihe zum Werk passender Zitate (zumindest 3). Das unterlegte Stimmengewirr als Allegorie unterstreicht sowohl die Ausschnitthaftigkeit des Zitates wie auch die Zufälligkeit seines Erscheinens. Der Rahmen des Interface ist in Farblichkeit und Kontrast betont zurückhaltend gestaltet. Er ist ein visuelles Oxymoron,da keine eigentlichen Seitenflächen bestehen und so die Aufmerksamkeit auf die Aktionsfläche ver stärkt wird. lediglich die Schrift steht durch den starken Bunt-Unbunt-Kontrast heraus, stört jedoch nicht. Der Rahmen ist eine Allegorie auf die Ausschnitthaftigkeit der Bildmotive. Die Möglichkeit, den Ausschnitt durch Mausbewegung zu verändern kann in diesem Zusammenhang als Antithese betrachtet werden. Die Ernüchterung ist gross, wenn man an den Rand des Motives gelangt. Die beiden Balken bieten neben den dargebotenen Informationen über Kategorie, Titel des Bildmotives und Verlauf, bei Mouseover jeweils eine Übersicht des aktuellen Motives und über die Motiv e einer Kategorie sowie bei Mouseclick der bisher verknüpften Postkarten. Das Fadenkreuz ist ein Interfacezitat aus Science- fiction Filmen wie Blade Runner und Terminator. Das der Mausbewegung unterlegte tackernde Geräusch ist eine Metapher für die in Bewegung gesetzte virtuelle Maschinerie, das helle Pfeifen bedeutet den Endpunkt einer Bewegung. Hot spots werden durch eine rote Umrahmung kenntlich gemacht, die bei einem Mouseover Event erscheint. Diese abstrakte Metapher stammt aus der Frühzeit der Graphischen Internetbrowser und gehört sicherlich zum visuellen Sprachschatz der meisten Computernutzer. Ein Click Event löst ein dunkeleres Pfeifen aus und führt zum nächsten Motiv Ergebnis Die ars bene dicendi stellt dem Analysten praktikabele Werkzeuge zu Verfügung, die auch in den schwierigen Gefilden der Interaktivität ihren Dienst versehen können. Allerdings ist das vorliegende Werk in Struktur und Ausprägung nicht besonders Anspruchsvoll. Die Begriffe der klassischen Rhetorik stossen an Ihre Grenzen, wenn der Zufall oder der Rezipient eingreift. So wird die ordo naturalis der Motive in den einzelnen Kategorien zu einer ordo artificialis in der History (die Übersicht der durch den user zusammengefügten Motive). Diese Ordnung der Dinge ist jedoch eher eine ordo virtualis, da sie lediglich temporär im Arbeitsspeicher des Systems besteht und nicht nachhaltig wirkt. Der Zufall oder die Anpassung an besondere Umstände wie Datum oder Plattform waren in der klassischen Rhetorik nicht vorgesehen. Auch sind rhetorische Mittel nicht beschrieben, welche allein dem Fortgang des Geschehens dienen bzw. die Ausführung von Aktionen des Rezipienten provozieren sollen. Die Hypermedien stellen sich ohnehin quer zu der Intention der klassischen Rhetorik,den Rezipienten zu manipulieren. Der Anspruch des Rezipienten ist hier eben die Manipulation und die Selbstbestimmung des Ergebnisses.