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DER ANGLO-ARABER ALS VEREDLER
von Stephen Rasche-Hilpert
Jeder Warmblutzuchtverband ist im Laufe seiner züchterischen Arbeit auf die Zufuhr edlen Blutes
angewiesen. Die modernen warmblütigen Sportpferde wurden mithilfe von Blutpferden aus den
bodenständigen Wirtschaftspferderassen entwickelt und laufen immer wieder Gefahr, durch
mangelnden Rückgriff auf dieses Veredlerblut dessen wertvolle Eigenschaften aus ihrer Genetik zu
verdrängen.
Mancherlei Aspekte vererben sich jedoch konträr zueinander, und so kann die Verbesserung der
Linien und Partien an einen Verlust von Trab- und Springvermögen gekoppelt sein. Da sich die
Warmblutzucht in Speziallager gespalten hat und von den wenigsten Züchtern ein vielseitiges Pferd
angestrebt wird, ist die Furcht vor einem Rückschritt in den erzüchteten Errungenschaften groß.
Die allergrößte Anzahl der Züchter wählt mit Beharrlichkeit Anpaarungen, bei denen beide genutzte
Elterntiere das möglichst größte Potenzial in Hinblick auf ihr Zuchtziel aufweisen: Es wird also in
aller Regel Springer mit Springer und Bewegungswunder mit Bewegungswunder angepaart. Die
Logik dieser Praxis ist nicht von der Hand zu weisen. Die Neigung, vor den Negativfolgen die
Augen zu verschließen, ist jedoch bedenklich. Der Ruf der Zuchtleiter nach mehr Mut zum Blut
verhallt anscheinend ungehört.
Zur Angst des Verlustes der Spezialeignung kommt die Furcht vor Pferden mit Temperaments- und
Charakterfehlern, die sich hauptsächlich in mangelnder eigener Erfahrung mit Blutpferden
begründet und durch Gerüchte weiter genährt wird. Tatsache allerdings ist, dass sich in der
Vergangenheit viele Veredlungen auf Englische Vollblüter beschränkt haben, und in dieser Hinsicht
ist die Auswahl der Elterntiere eine besonders schwierige, da im Zuchtziel dieser Vollblüter die
Selektion auf Leistung im Rennsport unbedingten Vorrang gegenüber Rittigkeit und Charakter hat.
Verbindet sich das häufig lebhafte Temperament des Englischen Vollblüters nun mit dem immer
wieder vorhandenen phlegmatischen Charakter der warmblütigen Zuchtbasis, können tatschächlich
schwierige Pferde das Resultat sein: aufbrausend, nervös und schwer zu beruhigen, weil ihnen eine
ganz wichtige Eigenschaft fehlt. Und dies ist eine, die den Anglo-Araber zu Veredlungszwecken
empfiehlt: Das in aller Regel dem Menschen zugewandte und im Grunde sanfte Wesen, das er von
seinen arabischen Ahnen ererbt hat. Gepaart mit den körperlichen Vorzügen seiner englischen
Abstammung, bietet der Anglo-Araber oft die bessere Alternative zur Veredelung, weil er die
rittigeren und umgänglicheren Pferde produziert. – Der Anglo-Araber ist ein Reitpferd, und auch
wenn er in Frankreich zum Teil auf der Rennbahn eingesetzt wird, bleibt der Ursprung und die
hauptsächliche Verwendung doch eine, die der edlen Warmblutzucht in Deutschland gleichkommt.
Härte, Rittigkeit, Charakter und das bei Veredlern erwünschte „englische“ Exterieur, das (unter
anderem) Schritt, Galoppade, Wendigkeit und Geschwindigkeit verbessern soll, sind Eigenschaften,
die sich im Anglo-Araber wiederfinden. Sie treten allerdings in unterschiedlicher Gewichtung auf,
da der Anglo-Araber im Gegensatz zu vielen Warmblutpopulationen und dem Englischen Vollblut
ein weniger einheitliches Erscheindungsbild bietet. Wie bei jeder Veredlung ist also auch hier
geboten, die Elterntiere sehr umsichtig auszuwählen.
In den Zuchtregistern werden Anglo-Araber mit der Prozentangabe ihres Arabischen Blutanteils
geführt. Dies, zusammen mit dem Exterieur und der Eigenleistung, ist eine große Hilfe für den
Züchter, denn es erleichtert ihm die Aufgabe, den passenden Hengst für seine Stute oder eine
geeignete Anglo-Araberstute für die Warmblutzucht zu finden.
Landgestüte und Zuchtverbände haben in der Vergangenheit immer wieder Anglo-Araberhengste
angepachtet, gekauft oder zugelassen, um sie ihrer Züchterschaft zugänglich zu machen. Ohne
besondere Reihenfolge seien hier nur einige der berühmteren genannt, die vielleicht nicht alle aktiv
in Deutschland gewirkt haben, aber deren Namen sich in den Pedigrees vieler deutscher Pferde
finden: Kallistos, Cacir, Ramzes, Inschallah, Nithard, Emetyt, Troupier, Matcho II, Le Tigre,
Bonaparte, Katanga oder Upan la Jarthe. Darunter finden sich Pferde, die sich auf der Welt- und
Olympiabühne hervorgetan haben.
Die Zucht von Anglo-Arabern in Deutschland ist gegenüber Frankreich (dem Ursprungsland) und
Polen (mit seiner langen Tradition der Blutpferdezucht) verschwindend klein, doch wer die
Ergebnislisten der Hengstleistungsprüfungen sorgsam studiert, wird immer wieder einmal einen
deutschen Anglo-Araber entdecken. Und zwar in aller Regel nicht am unteren Ende, sondern im
Gegenteil: Sie stehen oft oben, weit oben! Es wäre ein nicht ganz korrekter Vergleich mit der
warmblütigen Konkurrenz, doch würde man die Anzahl der geprüften Hengste und deren
Abschneiden bei ihren Leistungsprüfungen auswerten, wäre leicht zu erkennen, welch hohe
Leistungsdichte und welches Potential in dieser Rasse stecken.
Zu Beginn der Anglo-Araberzucht stand das Ziel (und steht es noch heute), die besten
Eigenschaften der beiden Ausgangsrassen zu verbinden. Und es sind genau diese Eigenschaften,
die in der Veredlung der Warmblutzucht gefragt sind. Es gibt nur einen Allround-Veredler: Es ist
der Anglo-Araber.