Von Gypsy-Gitarren über Mozart zum Dubstep: Diese

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Von Gypsy-Gitarren über Mozart zum Dubstep: Diese
FIDELITY Nr. 3
Außen schlicht,
innen nicht …
Die überraschend
preisgünstigen
Carys sind bis
unters Dach
vollgestopft mit
edlen Bauteilen
5 / 2012
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Vor-/Endverstärker
genwert der von mir favorisierten
Stromkabel im beinahe vierstelligen
Bereich ging: „Also, nur um ganz sicherzugehen, dass ich das hier richtig verstehe – wir sprechen tatsächlich über das Kabel zwischen der
Steckdose und dem Gerät, oder?“ Ja,
genau über dieses.
„Klick!“ Die mikroprozessorgesteuerte
Vorstufe bietet so
einiges an Komfort.
Unter anderem
einen Kopfhörerausgang, ein Display …
Ami-Schlitten vs. Fahrrad
Smooth power
M
made in USA
Meine erste Begegnung mit einem
Produkt des amerikanischen Herstellers Cary Audio Design in den eigenen Räumlichkeiten fand vor etwa
zehn Jahren statt. Ich wohnte damals
noch in einer Studenten-WG.
„Da kommt furchtbarer Krach aus
deinem Zimmer!“ – Zugegeben, einer meiner Mitbewohner beschrieb
die Vorgänge in meinem „Hörraum“
mit diesem Kommentar durchaus
treffend. Darum war ich in diesen
akustisch absolut unerträglichen
Stunden auch nicht zu Hause. Kein
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Von Gypsy-Gitarren über Mozart zum
Dubstep: Diese modernen Verstärker von
Cary Audio Design glänzen mit jeder Musik.
Aber warum wird die Vorstufe so heiß?
Wunder, denn was da auf Dauer-Repeat in gehobener Lautstärke sowohl
die Ohren der Wohngemeinschaft
als auch meine Anlage malträtierte,
war die infernalische Einbrenn-CD
von Purist Audio Design. Schließlich war ich zu dieser Zeit voll im
Enhancer-Fieber und sorgte WG-intern mit solchen für Außenstehende
recht skurrilen Begleiterscheinungen meines audiophilen Hobbys oft
für Verwunderung. Spannend waren
beispielsweise auch die ungläubigen Gesichter, wenn es um den Ge-
Größere Gerätschaften vom HiFiStudio zur WG zu transportieren war
mangels Auto nicht unkompliziert.
Ich behalf mir mit dem Fahrrad und
einem kleinen Anhänger, der – um
auf die eingangs erwähnte CaryPremiere bei mir zurückzukommen
– unter der Last des Einstein-CDSpielers und des Röhren-Vollverstärkers von Cary Audio Design beinahe
zusammenbrach. Aber der Aufwand
hatte sich mal wieder gelohnt: Im
abgedunkelten Raum sah der mit
freistehenden Glaskolben geradezu
übersäte Cary, nicht zuletzt dank der
herrlichen Reflexionen auf seiner
verchromten Oberfläche, einfach
fantastisch aus. Zudem klang er ungemein anrührend, wenn auch recht
sanftmütig und mittenbetont – ein
klassischer Schöntöner mit Charakter eben, der das Klischee vom
romantischen Röhren-Sound im
Gegensatz zu vielen primär auf Linearität getrimmten (Röhren-)Verstärkern perfekt verkörperte. Ich hatte
großen Spaß mit ihm.
Diese angenehmen Erinnerungen
werden wach, als ich freudig die
Vorstufe SLP 03 und die Endstufe
SA-200.2 von Cary auspacke. Doch
schnell macht sich bei mir Ernüchterung breit: Keine Röhren in Sicht.
Stattdessen: Klar gestaltete Frontplatten ohne besonderen Wiedererkennungswert, die auf mich ziemlich
kühl wirken. Überdies prangt auf
den Kartons der Firmenslogan „The
Sound of Perfection“. Fabrizieren
die mit leidenschaftlich emotional
klingenden Röhrengeräten bekannt
gewordenen Amerikaner jetzt etwa
klinischen Transistorklang ohne musikalische Seele?
Doppelmoppel, üppig
Neugierig stelle, nein, wuchte ich
Cary-Pre (12 kg) und Cary-Power
(30 kg, uff) ins Rack. Wie es sich für
amtliche Ami-Amps gehört und bereits äußerlich aufgrund der spiegelbildlich ausgelegten Anschlussfelder
zu vermuten ist, machen die Verstärker aus North Carolina intern keine
halben Sachen, sondern doppelte:
Sie betören mit ihrem Dual-MonoAufbau, der im Falle der vollsymmetrischen SLP 03 zu 2200 Euro sogar
separate R-Core-Trafos für rechten
und linken Kanal mit einschließt.
Drum verkabele ich die beiden auch
gleich über ihre XLR-Buchsen.
Der 4000-Euro-Endverstärker bietet wahrlich üppige Leistungsreserven: Pro Kanal stellt er 200 Watt an
acht Ohm zur Verfügung, an vier
Ohm liefert er gar 350 Watt. Vorsichtshalber stelle ich mich schon
einmal auf den von amerikanischen
Boliden oft gehörten bassgewaltigen bis bassbetonten Sound ein, der
sich überdies gerne ein wenig Bedenkzeit genehmigt, bis er schnellen Impulsen folgt.
Außerdem greife ich voller Schaden(vor)freude zu einer Platte, die
unter einer derartigen Abstimmung
besonders leiden würde: Élégance
von meinem derzeitigen LieblingsDuo Romane/Stochelo Rosenberg.
Sicher, dieses Studioalbum aus dem
Jahr 2000 wirkt beinahe schon brav
gegen das furiose Feuerwerk, das
die Gypsy Guitar Masters auf ihrer
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Vor-/Endverstärker
… sowie eine Fernbedienung, mit der
sich außer Eingang
und Lautstärke
auch die Balance
einstellen lässt
Musik lebt geradezu von absolut
perfektem Zeitverhalten. Obendrein
spielt auf Élégance der begleitende Kontrabass eine prominentere
Rolle – betont ihn die Elektronik jedoch über Gebühr, sumpft er schnell
die beiden Hauptdarsteller an den
Gitarren zu.
Ich drücke „Play“ und erlebe Schlag
auf Schlag, wie sehr ich mich in der
Cary-Kombi getäuscht habe.
Wahre Größe
gleichnamigen Live-Aufnahme von
2005 zünden. Aber eine Kette darf
das Timing auch bei der Wiedergabe
ihres früheren Werkes mit deutlich
besserer Aufnahmequalität nicht im
Leisesten verschleppen, denn diese
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Erstens: Obwohl die handlichen
Capriccio-Continuo-Monitore aus
der letzten FIDELITY jetzt akustisch
gefühlt mindestens doppelt so groß
sind wie optisch, ist dieses Phänomen keinem Bläh-Bass geschuldet.
Am unteren Frequenzende klingt es
zwar überaus nachdrücklich und felsenfest, aber keineswegs überzogen.
Vielmehr ist das gesamte Spektrum
nun eindeutig weiter, der Dynamikumfang größer. Gute Güte, was der
AGTi-Tiefmitteltöner jetzt bei
gehobenen Pegeln an Energie
in den Raum pumpt, hätte ich
einem 13er niemals zugetraut.
Wie durchaus erhofft – allerdings nicht unbedingt in diesem Ausmaß – ist unterdessen
auch die virtuelle Bühne der
CC in allen Dimensionen, ganz
besonders aber in der Tiefe,
via Cary merklich angewachsen gegenüber dem kleinen
Integrierten von Audia Flight.
Die Herren Romane und Rosenberg scheinen einen Schritt
von mir weg gemacht zu haben. Sofort werde ich hellhörig, ob sich parallel zu dieser
räumlichen Entfernungszunahme wie leider so oft auch
die Musik „zurücklehnt“, also
weniger direkt anspricht.
Erfreulicherweise ist – zweitens
– eher das Gegenteil der Fall: Die
enorm kräftige Cary SA-200.2 wirkt
in dieser Hinsicht vielmehr wie ein
überaus wendiger kleiner Vollverstärker. Sie ist vorbildlich souverän,
aber dennoch agil. Dadurch wird
das musikalische Geschehen auf
Élégance dem Albumtitel auch viel
besser gerecht: Anstatt sich mir ein
wenig ungestüm, beinahe tolpatschig
aufzudrängen, wahren Gitarren und
Bass jetzt die gebotene Distanz. Da
sie nun raumgreifender und gleichzeitig ansatzloser klingen, gewinnt
die herrlich lebensfrohe Atmosphäre
zusätzlich eine elegante Note.
Allerdings sind flüsterleise Pegel
nicht unbedingt die Domäne dieser Class-A/B-Endstufe, die sich
hörbar zu freuen scheint, wenn sie
ihre Muskeln ein wenig spielen lassen darf. Dann wird sie hellwach
und man sieht ihr auch gern das
leise Surren aus dem mächtigen
1500-Watt-Ringkerntrafo und den
Lautsprechern nach. Ich jedenfalls
kann mir kaum vorstellen, dass ein
Leisehörer eine solche Wuchtbrumme wie die SA-200.2 kaufen wird.
Die Farben der Röhren
Drittens: Beim ersten Inspizieren
der Carys muss mir etwas entgangen sein. Das Klangbild ist nämlich
wunderbar geschlossen und fällt
keinesfalls durch die befürchtete
Überanalytik oder grätige Höhen
auf. Natürlich existieren auch reine
Transistorverstärker, die das hinbekommen, aber fast nie erstrahlen
dort Instrumente in derart kräftigen
Farben wie etwa das Klavier im Allegretto von Mozarts C-Dur-Sonate
KV 330 auf Tacets CD Das Mikrofon.
Die Produktion ist zweifellos wunderbar gelungen, aber musikalisch
Eigentümlich
Ist die
Vorstufe an,
geht ihre LED
aus. Bei der
Endstufe ist
es genau
umgekehrt
bleibt diese Interpretation deutlich
hinter der Version der unvergleichlichen Clara Haskil zurück. Keine
Frage, die Aufnahme der Deutschen
Grammophon von 1954 ist um Längen schlechter, aber die Virtuosität der Ausnahmepianistin dringt
trotzdem unvermindert durch. Wie
nebenbei wirft Haskil die Noten hin;
traumwandlerisch sicher und trotzdem niemals forciert.
Ganz klar: So geschmeidig und nuanciert, wie es mit dem Cary-Paar
klingt, müssen hier irgendwo Röhren im Spiel sein. Angesichts der
gehörigen Wärmeentwicklung der
SLP 03 hätte ich eigentlich schon
früher darauf kommen können, dass
unter der Haube dieser Line-Vorstufe Glaskolben stecken. Also doch!
Pro Kanal verstärkt ein Paar Doppeltrioden des Typs 12AU7 (kompatibel zur ECC82) die Signale im
meistverkauften (!) Cary-Gerät, eingebettet in eine gegenkopplungsfreie
Class-A-Schaltung.
Vor-/Endverstärker
Ganz so delikat wie mit dem erwähnten Cary-Vollverstärker oder
dem in unserer Erstausgabe vorgestellten, ebenfalls betörenden Unison S6 Mk II gelingt dem HybridGespann die Darbietung zwar nicht,
aber dafür bietet es zwei Dinge,
von denen die Vollröhren ihrerseits
nur träumen können: unerschütterliches Fundament und Leistung bis
zum Abwinken.
Leistung lohnt sich
Diese Stärken kann die Kombination von Cary Audio Design an den
kompakten italienischen ZweiwegeBoxen natürlich nur bedingt ausspielen. Dennoch werden sie selbst
an bandbreitenlimitierten Lautsprechern wie diesen zumindest im Ansatz offenbar. Wieder einmal bestä-
tigt sich die Erfahrung, dass gerade
Minis viel Leistung – und insbesondere ein stabiles Endstufen-Netzteil,
was nicht notwendigerweise dasselbe ist – sehr zu schätzen wissen.
Ideales Demonstrationsmaterial für
diesen Zweck ist Musik (ja, dafür
halte ich es wirklich) von Burial. Seit
Jahren warte ich sehnsüchtig auf einen Nachfolger zu seinem grandiosen Album Untrue von 2007. Soundtechnisch experimentierfreudig und
rhythmisch einfallsreich wie nur
wenige aus der Elektro-Szene, ist der
Engländer imstande, mit spärlichen
Mitteln eine maximale emotionale
Wirkung zu erzielen. Seine diversen
Kollaborationen mit anderen Künstlern, wie etwa die mit Thom Yorke,
Massive Attack oder Kieran Hebden
aka Four Tet entstandenen Tracks,
verbuchte ich allerdings
bestenfalls unter „ganz
nett“. Mühelos auf Au-
genhöhe mit Untrue liegen dagegen
seine letzten beiden Solo-EPs Street
Halo und Kindred, die mir das Warten auf ein vollwertiges Album verkürzen und seit 2012 glücklicherweise auch gemeinsam auf einer
CD verfügbar sind. Wie von Burial
gewohnt, ist auch diese wieder exzellent produziert.
Kann ein 13er-Treiber mit seinen
Basswellen den Fußboden lupfen?
Wenn die Cary SA-200.2 die Capriccio Continuo treibt, könnte man
dieser Illusion in der Tat erliegen.
Bis an seine untere Grenzfrequenz
glasklar durchdifferenziert hämmert mir der Monitor den stellenweise überraschend clubtauglichen
Dubstep um die Ohren. Wichtig
dabei: Die Cary-Endstufe lässt ihm
seinen lebendigen, warmen, permanent modulierten Schwung. Überkontrollierte Pedanterie findet nicht
statt. Sehr schön.
Was will man mehr?
Die SLP 03 ist vollsymmetrisch aufgebaut,
beherbergt pro Kanal
zwei feine 12AU7Doppeltrioden und
bietet Anschlussmöglichkeiten en masse
Stressfreie Großmacht
Prachtkerl
Die SA-200.2 bietet
Leistung satt, setzt
diese aber immer
mit musikalischem
Gespür ein.
Wahlweise dürfen
symmetrische oder
asymmetrische
Kabel andocken
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Carys SLP 03 und SA-200.2 verweben den Burial’schen Klangkosmos
aus Myriaden zerhackstückter Beats,
Clicks und Sprachfetzen, die leicht
auseinanderdriften können, gekonnt
zu einem organischen Soundteppich. Ein wenig Röhren-Charme
ist hier definitiv heraushörbar – mir
gefällt’s. Die crisperen, prononcierteren Höhen anderer Verstärker haben gewiss auch ihre Fans, aber ob
diese ihrer Elektronik genauso lange stressfrei lauschen können, wie
es mit den stets angenehmen Carys
möglich ist, bleibt fraglich.
Sowohl Vor- als auch Endstufe reagieren übrigens recht deutlich auf
die korrekte Netzstecker-Polung,
die man per Gehör zügig ermitteln
kann. Dieses völlig kostenlose, aber
durchaus lohnende
Tuning sollte sich kein
Cary-Audio-Besitzer
entgehen lassen.
Wir ziehen Bilanz:
Das Cary-Duo bietet
beträchtliche musikalische Kompetenz auf jedem Terrain,
nahezu unerschöpfliche Leistungsreserven, enorme Anschluss- und
Funktionsvielfalt inklusive Kopfhörerausgang, Display und Fernbedienung sowie einen Materialeinsatz,
der die Bezeichnung „verschwenderisch“ wahrlich verdient. Immerhin
haben wir es hier im Grunde mit
einem auf zwei Gehäuse verteilten
42-Kilo-Verstärker mit vollsymmetrischer Röhrenvorstufe zu tun!
Und das Ganze ist auch noch
„made in USA“. Sowohl vor diesem
Hintergrund als auch im Vergleich
zur Konkurrenz erscheint der für
die klangstarken Carys aufgerufene Preis von 6200 Euro als überaus
günstig. Zugreifen!
Text: Steffen Zilles, Bilder: MEO,
IS, SZ
Cary Audio Design SLP 03
und SA-200.2
Vorverstärker SLP 03
Röhrenbestückung: 4 x 12AU7
Eingänge: 1 x symmetrisch (XLR),
6 x unsymmetrisch (Cinch)
Ausgänge: 1 x symmetrisch (XLR),
2 x unsymmetrisch (Cinch), 1 x Tape
Out (Cinch), 1 x Kopfhörer (Klinke)
Besonderheiten: vollsymmetrischer
Aufbau, dimm- und abschaltbares
Display, Fernbedienung
Maße (B/H/T): 43/11,5/33 cm
Gewicht: 12 kg
Ausführungen: Silber, Schwarz
Garantiezeit: 2 Jahre, Röhren 6 Monate
Preis: 2200 €
Endverstärker SA-200.2
Eingänge: 1 x symmetrisch (XLR),
1 x unsymmetrisch (Cinch)
Ausgänge: 1 Paar Lautsprecher
Leistung (4/8 Ω): 2 x 350/200 W
Maße (B/H/T): 45/18/50 cm
Gewicht: 30 kg
Ausführungen: Silber, Schwarz
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 4000 €
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