80 000 Deutsche mit dem Rücken zur Hitler- Tribüne
Transcrição
80 000 Deutsche mit dem Rücken zur Hitler- Tribüne
80 000 Deutsche mit dem Rücken zur HitlerTribüne Konzertveranstalter Fritz Rau über Bob Dylans Konzert in Nürnberg ALLGEMEINE ZEITUNG, Mainz, 22. Juli 1998 Von unserem Redaktionsmitglied Michael Jacobs BAD HOMBURG -- Von all den Wegbereitern der populären Musik, die Impresario Fritz Rau unter Vertrag hatte, markierten Bob Dylan‘s Auftritt 1978 in Nürnberg und die Rolling Stones-Tourneen Höhepunkte im Leben des Bad Homburger Konzertveranstalters. Nachdem es Ende der Sechziger still um den Folkrock-Poeten geworden war, machte 1975 Dylans „Rolling Thunder“-Tournee in den USA Furore. Dylan-Verehrer Fritz Rau -- „für mich die wichtigste Stimme, die man sich vorstellen kann“ -- hörte 1976, daß das einstige Sprachrohr der amerikanischen Friedens- und Bürgerrechtsbewegung auf Europatournee gehen wolle. „Da bin ich nach Los Angeles geflogen und habe mit seinem Manager Jerry Weintraub verhandelt. Und plötzlich sitzt der Dylan da ... Ich konnt‘ nimmer reden. ‚Ich habe 1963 dein American Folk Blues Festival in Kopenhagen gesehen‘, sagte Dylan, ‚ich trampte damals durch Europa, 70 spielte in den Straßen ...‘ Und so waren wir drin.“ Dylans Deutschland-Debut sollte etwas ganz Besonderes werden. „Ich hatte vor, ihn in Nürnberg auf dem Zeppelinfeld, dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände zu bringen.“ Bob Dylan alias Robert Allen Zimmermann [sic], Nachkomme jüdischer Immigranten aus dem ukrainischen Odessa, wußte um die Brisanz der Lokalität: „‘Oh, das ist Hitler‘s Feld‘, sagte er, ‚ich habe ein Video zu Hause: Leni Riefenstahl, Triumph des Willens.‘ Da waren wir uns sofort einig.“ Für das Konzert am 1. Juli 1978 wurde die Bühne gegenüber der einstigen Hitlertribüne aufgebaut. „80 000 Leute kamen. Das war ein Wahnsinn, auch für Dylan, der hat nie so gut gespielt. Nach dem Auftritt rief er mich an: ‚Fritz, 80 000 Deutsche haben Hitler den Rücken gekehrt und sich mir zugewandt.‘ Es war mir ein Bedürfnis, dieses Gelände zu ‚entweihen.‘ Es sprengt ja keiner den Beton weg. Ich war selbst Hitlerjunge und habe danach eine Wandlung durch Jazz und Swing erlebt.“ Anschließend ging es weiter durch Europa -- in Hermann Görings ehemaligen Salonwagen. „Den hat sich Dylan gemietet, weil er nicht so auf Fliegen steht.“ (…) fachen Satz: ‘This is not the way to welcome an artist in Nuremberg.’ Schon ab dem zweiten Song wurde das Publikum ruhiger und begann, sich auf die afrikanischen Rhythmen der Sängerin einzulassen. Pete Townshend, der den Makeba-Auftritt am Bühnenrand neugierig verfolgt hatte, befürchtete nach den ersten Dosenwürfen das Schlimmste. Aber selbst er musste staunen, und am Ende der Makeba-Darbietung war er von den afrikanischen Künstlern und dem Nürnberger Publikum richtig begeistert. Er kam schließlich zu mir und sagte: ‘Fritz, you’re crazy – but surprisingly good!’” (Aus: Fritz Rau, 50 Jahre Backstage) Außerdem veranstaltete Fritz Rau 1979 zusammen mit dem Mannheimer Konzertveranstalter Matthias Hoffmann ein gelungenes Open Air mit Queen, Rory Gallagher, Alvin Lee, Molly Hatchet, Lake, Voyager und Red Baron im Saarbrücker Ludwigsparkstadion. Und auch das von Rau organisierte Freiluftkonzert mit Udo Lindenberg, Eric Burdon, Scorpions, Lake, Snowball und Edo Zanki am 11. August im Stadion des 1. FC Pforzheim ging glatt über die Bühne. Woodstock Revival On Tour entgeht in Bad Segeberg knapp einer Katastrophe Um die Sicherheit seiner Bühne und seiner Künstler musste der Veranstalter Karsten Jahnke im Herbst 1979 fürchten: „Das Festival in Bad Segeberg, das ich damals gemacht habe, hing am seidenen Faden. Headliner war Cocker. Es war ein wunderbarer Septembertag, herrliches Wetter, es war auch fast ausverkauft. Ich hatte noch einen Überraschungsgast, den wir kurz vor Cocker einsetzten, und dann hieß es auf einmal: ‘Cocker kann nicht auftreten!’ Der war so weggetreten, ich weiß nicht, welche Drugs der genommen hatte. Du kannst aber nicht ein Konzert um 14 Uhr anfangen lassen und um 21 Uhr auf die Bühne gehen und sagen: ‘Leute, tut mir fürchterlich leid, aber Cocker kann nicht auftreten.’ Ich hatte damals Alexis Korner dabei, der sich mit Drogen etwas auskannte. Alexis meinte, wir flößen ihm mal jede Menge Pfefferminztee ein. Und da hat Cocker dann gekotzt wie ein Reiher. Und wir haben ihn auf die Bühne bekommen – es war grauenhaft. Aber das haben die Leute ihm nicht übel genommen. Hauptsache er war da. Das war nämlich kurz nachdem die die Bühne der Loreley abgefackelt haben, weil Grace Slick und Jefferson Starship nicht aufgetreten waren. In solchen Momenten altert man um Jahre!“ Dass Joe Cocker tatsächlich „dicht bis in die Haarwurzeln“ war, bestätigt DIE POLITISCHEN FESTIVALS auch Matthias Höllings, der mal VON DEN 70ern BIS HEUTE wieder als Zuschauer dabei war: Rock gegen Rechts 1979 „In Bad Segeberg muss Joe Cocker gerade so die Phase ge- Im Juni 1979 zeigen sich die ersten habt haben, wo er nicht immer politischen Dimensionen der Festiganz nüchtern war. Ich kann mich valkultur. Ein Bündnis aus Linken, erinnern, dass er als Headliner Umweltschützern, Gewerkschaften angekündigt wurde, aber er kam und Sozialdemokraten hatte zum und kam nicht auf die Bühne. Um Widerstand gegen das Deutschdie Pausen zu überbrücken, ist landtreffen der NPD zum damaJango Edwards mit seiner Clown- ligen Tag der Deutschen Einheit power eingesprungen. Der war aufgerufen, nachdem bereits 1977 damals im Logo und der Fabrik 3.000 Nazis skandierend durch die in Hamburg sehr erfolgreich. Er Frankfurter Innenstadt gezogen saß eigentlich im Publikum, wollte waren. In diesem Jahr wollte die sich auch den Cocker angucken, rechtsextreme Partei Frankfurt zur aber als nichts passierte, sprang „ersten nationaldemokratischen“ er auf, ging auf die Bühne und Stadt Deutschlands machen. Bei meinte, er könnte doch mal ein Rock gegen Rechts in Frankfurt trat paar kleine Sketche einstreuen. Udo Lindenberg auf. „Wir müssen die rechten Ochsenköppe stoppen, Und er hat dann diese sensatio- deshalb sind wir hier“, rief Udo nelle Nummer gebracht, auf einem Lindenberg am 16. Juni 1979 den Stuhl stehend einen Kopfsprung in 30.000 Linken und Musikfans enteinen Pappbecher voll Wasser zu gegen, die sich zum ersten Rock machen. Das hat er auch tatsäch- gegen Rechts-Festival in Franklich geschafft. Der hat die Leute furt am Main versammelt hatten. dann bestimmt eine halbe Stunde Aus Angst vor Krawallen verbot der bei Laune gehalten, bis die den damalige Oberbürgermeister WalHerrn Cocker endlich wieder auf die ter Wallmann (CDU) zunächst beiBeine gekriegt hatten. Der muss so de Veranstaltungen. Schließlich erdicht gewesen sein, dass der links laubte er unter strengen Auflagen und rechts gestützt wurde. Er wur- das „linke“ Konzert. Die Rechten de zum Mikro gebracht und die sind warteten noch den ganzen Tag auf auch auf der Bühne neben ihm ste- Parkplätzen und Raststätten außerhen geblieben. Der hat dann seine halb der Stadt, ob ihre Demonstragroßen Hits gesungen, konnte aber tion vielleicht doch noch erlaubt definitiv nicht alleine stehen. An dem wurde. Schließlich mussten sie Gesang hat man aber gar nichts zur großen Freude der Bands und gemerkt. Der hat super gesungen, Besucher von Rock gegen Rechts aber er konnte nicht alleine stehen.“ unverrichteter Dinge abziehen. 71