Der Provokateur aus der Bronx
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Der Provokateur aus der Bronx
AZ_LIF_1 33 33 LIFESTYLE MZ Freitag, 19. September 2008 Der Provokateur aus der Bronx entkorkt Memorable Humagne MODE Mit geliehenen 10 000 Dollar gründete der heute 66-jährige Calvin Klein Am nächsten Montag ist Herbstbeginn. Die Tage sind wieder kürzer als die Nächte, und es wird kühler. Einen Vorgeschmack davon haben wir ja schon gehabt. Aber jetzt ist es offiziell. Der Herbst müsste einen wirklich melancholisch stimmen, wenn es da nicht ein paar kleine Freuden gäbe: Pilze, Wild, Kastanien, Trauben – und natürlich Wein. Und weil mir schon so herbstlich zumute ist, möchte ich heute den herbstlichsten aller Weine entkorken, eine Humagne rouge aus dem Wallis. Aber nicht irgendeinen Wein, sondern die denkwürdige Cuvée des Jahrgangs 2006, welche die Starönologin Madeleine Gay von Provins Valais für ihre neuste Edition von «La Mémoire du Temps» ausgewählt hat. Das Walliser Weinhaus bringt schon seit 13 Jahren in jedem Spätsommer eine sechs Flaschen umfassende Kollektion von besonders lagerfähigen Weinen aus immer wieder anderen Rebsorten heraus. Die Etiketten, die jeweils von einem Comic-Zeichner gestaltet werden, lassen die grossen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, sportlichen, aber auch kulturellen und wissenschaftlichen Ereignisse des Jahrs Revue passieren. Für die sechs Etiketten des Jahrgangs 2006 zeichnet Henri Casal verantwortlich, dessen Karikaturen allen Lesern der Walliser Zeitung «Le Nouvelliste» vertraut sind. Die solcherart etikettierte Humagne Rouge La Mémoire du Temps 2006 leuchtet in dunklem, jugendlichem Rot, verströmt konfitürenartige Aromen von Waldbeeren mit balsamischen Noten und betört einen mit ihrem samtenen Körper, der saftigen Säure und dem geschliffenen Tannin im langen Abgang. Sie ist ein grossartiger Vertreter der autochthonen Walliser Sorte, die aus einer spontanen Kreuzung von Cornalin und einer zurzeit noch unbekannten anderen Sorte des Alpenraums entstanden ist. Jedenfalls lohnt es sich, einige Flaschen auf die Seite zu legen. Denn wie der Name der Kollektion sagt, besitzen deren Weine ein fast unglaubliches Alterungspotenzial. Ihrer memorablen Humagne gibt Madeleine Gay immerhin eine Lebenserwartung von mehreren Jahrzehnten. 1968 sein Unternehmen. Die grosse Jubiläums-Party stieg aber ohne ihn. E ST E R E L I O N O R E H A L D I M A N N An der glamourösen Party auf einem alten Schienenweg zwischen der 34. Strasse und Meatpacking waren sie im dichten Gedränge genau zu erkennen – die Schauspielerinnen Brooke Shields und Eva Mendes. Sie sind zwei der Skandalträgerinnen der Marke Calvin Klein, die an dieser Party den 40. Geburtstag des Labels feierten. Wer erinnert sich nicht an die 14jährige Brooke, als diese 1979 in einer engen CK-Jeans mit dem Satz «Weisst du, was zwischen mir und meine Calvins kommt? Nichts.» Reklame machte. Vor allem die puritanischen Amerikaner waren entsetzt, doch Klein verkaufte pro Woche mehrere zehntausend dieser ersten Designerjeans – und das auf einem Jeansmarkt, der damals mit Levy’s, Rifle und Co. bereits gesättigt war. So provokativ und innovativ war diese Werbung nicht. Brooke Shields spielte schliesslich das Jahr zuvor im Kinostreifen «Pretty Baby» eine Jungfrau im Bordell. Und dass die US-Fernsehsender die Werbung für den neuen Calvin-Klein-Duft «Secret Obsession» mit der nackten Eva Mendes nicht abspielen wollen, ist heute ebenso übertrieben. Die lasziven Bewegungen der Hollywoodschauspielerin auf dem Sofa sind mehr sinnlich als obzön. DIE HEUTIGEN BESITZER des Labels stricken damit lediglich Calvin Kleins 40-jährige Werbe-Saga weiter. Doch man darf das Talent des in der Bronx geborenen Modedesigners nicht auf dieses Schlüsselelement reduzieren. Calvin Klein hat einiges erfunden. Er machte Designermode zu Mainstream, die Feinrippunterhose mit dem Logo auf dem Gummiband zum scharfen Kultobjekt, er machte als Erster mit Schauspielern anstatt Models Werbung und gab mit «ckOne» auch das erste Unisexparfüm heraus. «The Ice-King of Madison Avenue» hatte überhaupt ein feines Gespür für Düfte mit Bestsellerpotenzial: «Obsession» (1985), «Eternity» (1988) und «ckOne» sind heute weltbekannte, noch immer aktuelle Klassiker. Klar hat Mark Wahlbergs Waschbrettbauch ebenso dazu beigetragen, dass die knackige Feinripp-Boxershorts zum Must-have wurde. Wer jedoch erinnert sich heute an den Schauspieler? Die CK-Unterwäsche ist trotzdem noch eine der meistverkauften in der Welt und massgeblich am milliardenhohen Umsatz der heutigen Besitzerin, der Philipps-van Heusen Corporation, beteiligt. Calvin Kleins erste Kollektion von 1967 bestand allerdings fast nur aus IKONE Calvin Klein revolutionierte die Mode auch mit seiner Werbung: Mark Wahlberg und Brooke Shields. KEYSTONE/EPA/HO Mänteln. Dass er einmal Kleider herstellen würde, wusste der Sohn des Lebensmittelhändlers Leo wohl schon sehr früh. Er soll bereits als 5-Jähriger Kleider für die Puppen seiner Schwester genäht haben. Obwohl die fünfköpfige Familie jüdisch-ungarischer Abstammung in bescheidenen Verhältnissen in der Bronx lebte, kleidete sich Mutter Flo mit besonderer Klasse. Sie war Calvins permanente Inspirationsquelle. «Sie mochte extravagante und dennoch unauffällige Kleider, sophisticated, weiss», sagte Sohn Calvin 1994 in einem Interview mit der britischen Tageszeitung «The Independent». Starke Farben gibt es auch in Kleins Kollektionen kaum, die fast nur aus Jeans, T-Shirts und Caban-Jacken bestehen. Alles in Weiss, Grau und Schwarz. Clean, simpel und sexy, was ihm den Titel des «Supreme Master of Minimalisme» eingebracht hat. Er wurde 1993 auch zum besten amerikanischen Designer gekürt. Klein, der an der New Yorker School of Art & Design und dem Fashion Institute of Technology studiert hatte, entwarf Anzüge, die wie Anzüge aussehen, «sich aber wie Mit der Sonne aufwachen Mit Licht sanft WECKER Pullover tragen lassen», wie er sie beschrieb. Ebenso schuf er eine Mode für aktive, viel beschäftigte Frauen, die sich darin gut und sexy fühlen sollen. SEIN IDOL WAR Chanel, und die pfiffige Einfachheit seiner Schnitte die Fortsetzung einer ihm ganz eigenen Perfektion und Reinheit. Obwohl ihm die amerikanischen Moralapostel Bisexualität und – wegen der jungen Models – gar Kinderpornografie vorwarfen, haben viele Frauen massgeblich zu Kleins Erfolg beigetragen. Seine Grossmutter brachte ihm die Bedienung einer Nähmaschine bei, seine zweite Frau Kelly legte die Richtung des Unternehmens fest – und seine Tochter Marcy hält ihn in Sachen Mode up to date. Um den reichen Designer ist es heute allerdings ruhig geworden. Er verkaufte sein Modeimperium 2003 für 430 Millionen Dollar an Philipps-van Heusen. Kurz zuvor hatte er bekannt gegeben, erneut eine Entziehungskur zu machen. Der Verkauf der Firma habe aber nichts mit seinen Drogen- und Alkoholrückfällen zu tun, erklärte der Skandalkönig mit dem romantischen Blick. Er wollte eigentlich schon 1999 verkaufen. Damals stand Konkurrent Tommy Hilfiger als potenzieller Käufer zur Diskussion. Heute entwerfen Francisco Costa (Damen) und Italo Zucchelli (Männer) Calvin Kleins Kleider, zwei Designer, die der Firmengründer bei der Geschäftsübergabe selbst ausgewählt hatte. Er gestand sich selbst auch weiterhin die Rolle als beratender, kreativer Direktor zu. Selbst wenn Kleins Rolle heute klein sein sollte, bleibt Calvin Klein eine der bekanntesten Bekleidungsfirmen der Welt. A N D R E AS K E L L E R HUMAGNE ROUGE LA MEMOIRE DU TEMPS 2006 Produzent Provins Valais, Sion Herkunft Wallis Appellation Valais AOC Rebsorte Humagne rouge Beste Trinkreife jetzt bis mindestens Ende 2016 Passende Gerichte Pilzgerichte, Kaninchen, Wild und Federwild Bewertung 17,5 Punkte Bezugsquelle Provins Valais, Rue de l’Industrie 22, Sion, Tel. 027 328 66 19, www.provins.ch, Fr. 39.– Masseinheit der Bürokratie mein lifestyle JUBILÄUM Er ist die «heilige Kuh» der Ordnungsliebenden und auch nach 100 Jahren noch ein Kultobjekt: Der Bundesordner. Laura de Weck: «Im Leben möchte man manchmal Stillleben sein» DER SOMMER ist ein angenehmer Partner, wenn es um das Aufstehen geht; klingelt der Wecker, ist die Sonne schon aufgegangen. Draussen ist es hell, die Vögel zwitschern, man kommt leichter aus den Federn. Aber jetzt macht sich morgens der Herbst bemerkbar, es ist düster, kalt und neblig, man kommt schlechter aus den Federn. Rechtzeitig zum Anfang der dunklen Jahreszeit bringt Philips nun eine neue Version seines praktischen Wake-up-LightWeckers auf den Markt. Neu leuchtet der Wecker mit einer Energiesparlampe. Der Wecker simuliert innerhalb von 30 Minuten einen Sonnenaufgang. Die Intensität des Lichts nimmt langsam zu, der Körper soll sich so auf das Aufwachen vorbereiten. Wen ein künstlicher Sonnenaufgang allein nicht aus den Träumen und dem Bett holt, findet beim Wake-up Light auch Töne wie Vogelgezwitscher, Dschungelgeräusche, ein Glockenspiel oder einen digitalen Radioempfänger. Der ovalförmige Licht-Wecker ist im Fachhandel ab Fr. 229.90 erhältlich. ( M Z ) streitig, wenn sie auf ihrer HoEs sind auf den ersten Blick viel- mepage behauptet. «Kein andeleicht keine Traummasse, aber rer Brand steht so kompromisszweifellos die Idealmasse für los für schweizerische Solidasämtliche Projekte und Gerichts- rität und Zuverlässigkeit wie die fälle: 32-28-7. Sie gehören dem Marke Bundesordner.» Bundesordner, der über die letzten 100 Jahre seiner Existenz zu DESHALB WURDE der Jubilär einer Art Masseinheit geworden gestern auch gebührend gefeiert ist. Man misst Gerichtsfälle heute – im Bundesarchiv in in Anzahl Bundesordnern. Bern in Anwesenheit eiDer Swissair-Prozess nes Bundesrates. «Ein ist bisheriger SpitKunstwerk, das seine zenreiter mit 4100 Genialität aus der EinBundesordnern. fachheit schöpft», be«Der Bundesordfand Samuel Schmid. ner ist ein Stück Das mausgraue Schweiz», meint SteBüroutensil ist freilich fan Bigler, Geerst über die Jahre zum schäftsführer der BiBundesordner geworella Schweiz AG, die seit 1908 die Ordner herstellt. Und Biella DAS ORIGINAL In schwarmacht sogar der Uhr zem Marmorpapier und mit Lorihren Spitzenplatz beer umranktem Schweizer Kreuz. HO S I LV I A S C H AU B den, und nur deshalb, weil er anfänglich hauptsächlich an Verwaltungen geliefert wurde. Die Schweizer sind der Ordnungsliebe auch im Computerzeitalter nicht überdrüssig geworden: Noch heute liefert die Firma Biella aus Brügg bei Biel jährlich 12,5 Millionen Stück solcher Ordner in der Schweiz aus, dazu 1,5 Millionen ins Ausland. Heute gibt es die Ordner in 17 verschiedenen Farben. Trotz globalisierter Welt hat der Schweizer Bundesordner noch seine Eigenheiten: Das Griffloch im Rücken beispielweise ist hierzulande höhenmässig anders platziert als in Österreich. Und manchmal werden sie auch zu Kunst – zum Beispiel beim Aargauer Beat Zoderer. Er fügt farbige Ordner so zusammen, das sie zu einem überraschend simplen, aber beeindruckenden Kunstwerk werden. SUSI BODMER aus dem Schlaf geholt «Lifestyle ist Lebensstil. Im Leben aber möchte man manchmal Stillleben sein, was auf Französisch allerdings ‹nature morte› ist, und das wiederum möchte niemand sein. Also kehren wir zum englischen Lifestyle zurück. Doch warum eigentlich immer alles auf Englisch, wo im Deutschen so viel Leben, so viel Stil ist und so viel Lebensstil sein kann?»