Weitere Texte Sudbury Schools

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Weitere Texte
zu den
Sudbury Schools
zusammengestellt von
K.R.Ä.T.Z.Ä.
und der
Gründungsgruppe für eine konsequent freie und demokratische Schule (GfdS)
Vorbemerkung
Dieses Heft enthält vertiefende Texte zu den Sudbury Schools. Wer die
Grundlagen dieses Schulmodells kennenlernen will, kann sie in dem Heft
„Sudbury School – konsequent freie und demokratische Schulen (Eine Einführung)“ nachlesen. Bezugsadresse siehe Rückseite.
Alle Übersetzungen stammen von Martin Wilke.
Inhalt
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
Regeln, Respekt und Verantwortung
Aha, Ihr seid also eine Art ...
Vergleich Sudbury Schools – Summerhill
Vergleich Sudbury – Wild
Wie Kindern lernen ... und lernen ... und lernen
Freiheit, Langeweile und Motivation
Ergebnisse
Der Übergang zur Freiheit
Literatur
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I. Regeln, Respekt und Verantwortung
Warum wir keine „Schule ohne Regeln“ sind
Fairhaven School, Upper Marlboro, Maryland
Ein Artikel in einer Lokalzeitung in Massachusetts beschrieb Sudbury Valley
kürzlich als eine „Schule ohne Regeln“. Offenbar hatte der Reporter nicht das
30 Seiten umfassende Regeln-Buch gesehen, das das School Meeting (im
Laufe von 30 Jahren) entwickelt hat und an das sich alle Schüler und Lehrer
halten müssen. Warum brauchen unsere Schulen so viele Regeln? Es ist die
gleiche Frage, die man sich auch gestellt hat, als Demokratie zum ersten Mal
auftauchte. In Abwesenheit einer allumfassenden Autoritätsperson – König,
Eltern, Lehrer – sind Regeln das Rückgrat einer gerechten und geordneten
Gesellschaft. Sorgfältige Beachtung des Verfahrens der Aufstellung und
Durchsetzung von Regeln ist ein notwendiger Bestandteil jeder Demokratie.
In den Köpfen der meisten Leute gibt es im wesentlichen zwei Methoden,
Kinder großzuziehen – die autoritäre und die freizügige. In der einen werden
die Regeln vom Erwachsenen gemacht und durchgesetzt, und in der anderen
gibt es keine Regeln oder die Regeln sind immer abhängig von Verhandlun2
gen und Manipulation. Die eine Methode ist starr und diszipliniert, die andere
ist liebenswürdig und warm. Die eine bricht den Willen und fordert Widerstand heraus, die andere läßt Verantwortlichkeit außer acht und lädt zum
Sich-gehen-lassen ein.
Die Stärke der Demokratie des Sudbury-Modells ist, daß es eine Alternative
zu beiden Ansätzen, mit Kinder zu leben, bietet. Kinder an Schulen des Sudbury-Modells werden mit Respekt behandelt und keiner willkürlichen Autorität
ausgesetzt. Andererseits sind sie voll verantwortlich für ihre Taten und erfahren tatsächliche Konsequenzen, wenn sie die von der Gemeinschaft festgelegten Regeln verletzen. Die Freiheit der Bildung ist ganz klar abgewogen
gegen die Erwartung – das Erfordernis –, daß jeder den anderen mit Respekt
behandelt und Vereinbarungen verantwortlich einhält.
Dieser Ansatz hat seinen Preis. Einige Leute sind von der Anzahl der Regeln,
die eine Sudbury School erschafft, angewidert, und auch von dem großen
Zeit- und Energieaufwand, der der Durchsetzung dieser Regeln gewidmet
wird. Manchmal treffen sich die Schüler stundenlang in einem Justizkomitee,
wo sie dann Zeugen aufrufen, frühere Verstöße durchsehen, Angelegenheiten der Fairneß und des Respekts gegenüber der Gemeinschaft diskutieren.
Solche scheinbar kleinen Anlässe, wie ein zerschlagender Kürbis oder zum
dritten Mal Müll in der Bibliothek liegengelassen zu haben, kann zu ernsthaften Konsequenzen führen, wenn sie die Verantwortung verletzen, die jedes
Mitglied der Gemeinschaft gegenüber den anderen hat.
Jüngeren und anderen neuen Schülern kann schon die Zusammenkunft des
Justizkomitees an sich wie eine Strafe erscheinen. Einer Gruppe von größeren Kindern und Lehrern gegenüberzustehen, kann ziemlich einschüchternd
wirken. Aber die Botschaft, die ein Fünfjähriger erhält, wenn er den gleichen
„Erwachsenen“-Prozeß wie der Rest von uns durchläuft, ist, daß er ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft ist, voll einbezogen, voll respektiert und
voll verantwortlich. Wenn die Zeit gekommen ist, selbst im Justizkomitee tätig
zu sein, erleben sie den Prozeß von der anderen Seite. Ihnen wird klar, wie
schwierig es eigentlich ist, unvoreingenommene Fairneß anzustreben und
wie komplex Gerechtigkeit wirklich ist.
Manchmal scheinen die Konsequenzen ziemlich streng zu sein. Ein Fünfjähriger wird für zwei Tage suspendiert, weil er eine wichtige Auflage des Justizkomitees mißachtet hat; ein Lehrer darf zwei Tage lang nicht in die Küche,
weil er den Abfall von einem Back-Projekt nicht weggeräumt hat. Ein Siebenjähriger muß zwei Stunden beim School Meeting Wache stehen, weil er eine
Woche zuvor quer durch den Meeting-Raum gerannt ist; ein 16jähriger wird
mit sofortiger Wirkung und ohne zweite Chance ausgeschlossen, weil er während der Schulzeit ein Staatsgesetz verletzt hat.
Was diese „Strafen“ von jenen in traditionellen Schulen oder in den meisten
Familien unterscheidet, ist, daß sie von Gleichgestellten kommen, von der
eigenen Gemeinschaft, von einer Gemeinschaft, die danach strebt, eine At3
mosphäre von Respekt und Freiheit zu erhalten. In einer gedeihenden Sudbury School werden Freundschaften nur selten von Konsequenzen des Justizkomitees beeinträchtigt; so etwas wie Verpfeifen gibt es nicht; und von
Unehrlichkeit im Justizkomitee hört man praktisch nie. Kinder verstehen, daß
in einer Schule, die vollständige Unabhängigkeit gewährt und Kindern aufrichtig vertraut, Entscheidungen über ihr eigenes Leben und Lernen zu treffen, wirkliche Freiheit vor Nichtrespekt und Chaos geschützt werden muß.
Einige Leute weisen auf „Herr der Fliegen“ hin, wenn sie hören, daß an
Fairhaven Schüler „die Schule leiten“. Sie haben Angst, daß es einen latent
faschistischen Impuls gibt, der Kinder dazu bringen würde, grausame und
ungewöhnliche Strafen gegeneinander zu verhängen. Aber man muß sich vor
Augen halten, daß die Kinder in „Herr der Fliegen“ ja gerade von einem autoritären britischen Internat kamen. Hierarchie und brutale Gewalt waren das,
was sie kannten, und was sie in die Praxis umsetzten. Wären diese Kinder
von einer Schule des Sudbury-Modells gekommen, hätten sie auf ihrer Insel
wohl einen demokratisch-rechtsstaatlichen Prozeß nachgebildet. Kindern an
Sudbury Schools liegt die Kultur ihrer Schule und der Entscheidungsfindungsprozeß sehr am Herzen. Sie achten sehr darauf, andere mit Fairneß
und Mitgefühl zu behandeln, da sie schließlich das nächste Mal selbst vor
dem Justizkomitee stehen könnten.
Viele der „Freien Schulen“, die in den 60er und 70er Jahren gegründet wurden, waren nicht bereit, klare Richtlinien für die Entscheidungsfindung sowie
Verhaltensregeln einzuführen. Der Glaube, daß natürliche Neugier die für
wirkliches Lernen notwendige Kraft ist, wurde mit der Ablehnung von „Power
Trips“ und jeglicher Formalität verbunden. Viele dieser Schulen endeten einfach in Chaos und Verbitterung, oder einfacher Unordnung, weil sie unfähig
waren, einerseits Bildungsfreiheit und Respekt für den Einzelnen zu ermöglichen und gleichzeitig Lähmung durch Unentschlossenheit und Beliebigkeit
des Verhaltens vorzubeugen. Sudbury Valleys Erfolg und Langlebigkeit war
und ist immer noch unzweifelhaft darauf zurückzuführen, daß die Schule versteht, daß Freiheit Ordnung erfordert und daß Respekt juristischen Prozeß
unter Bedingungen konsequenter Fairneß (wie auch Sorge und Mitgefühl)
erfordert.
Indem wir sicherstellen, daß wir uns gegenseitig respektvoll behandeln und
unseren Pflichten nachkommen, praktizieren wir das, was wir predigen, wie
Menschen lernen. Wir lernen etwas über das Leben, indem wir es leben; wir
lernen etwas über Respekt, indem wir respektiert werden; wir lernen etwas
von Verantwortung, indem wir sie zugestanden bekommen, ihr Gewicht fühlen und eine Schlußfolgerung für uns daraus ziehen. Das heißt nicht, daß wir
keine Fehler machen, schließlich sind wir ja Menschen und relativ unerfahren. Aber Fehler sind ja gerade Gelegenheiten, seine Herangehensweise zu
verbessern und es noch mal zu versuchen. Indem wir Schülern mit ihren eigenen Entscheidungen und mit der demokratischen Leitung der Schulgemeinschaft vertrauen, sagen wir ihnen, daß sie Respekt verdienen, daß sie
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fähig und verantwortlich sind, und daß wir von ihnen als Einzelne und als
Schule nicht weniger erwarten.
II. Aha, Ihr seid also eine Art ...
Gemeinsamkeiten und Unterschiede gegenüber anderen Modellen
von Romey Pittman, einer Gründerin der Fairhaven School
Nachdem sie eine kurze Erklärung der Philosophie unserer Schule gehört
haben, versuchen die Leute verständlicherweise, sie mit etwas zu verbinden,
das sie schon kennen. Die am häufigsten genannten „Ihr seid also eine Art
soundso“ sind hier aufgelistet. Wir haben versucht, in dem, worin wir uns von
anderen Philosophien unterscheiden, fair aber deutlich zu sein. Wir haben
jedoch nicht alle Einzelheiten dieser Bildungs-Modelle dargelegt und Vergleiche nicht von jedem Blickwinkel aus gemacht. Wir hoffen, daß die untenstehenden Erklärungen helfen, klarzustellen, um was es im Sudbury-Modell
wirklich geht, und um was nicht.
... Montessori Schule?
In mancher Hinsicht ähnelt das Sudbury-Modell dem Montessori-Ansatz. In
beiden Umgebungen haben Kinder mehr Freiheit als in den meisten anderen
Schulen, Entscheidungen darüber zu treffen, was sie interessiert und mit
welchem Tempo sie vorankommen wollen. Beide Modelle gehen außerdem
von der Grundannahme aus, daß Kinder von Natur aus neugierig sind und
nicht zum Lernen gezwungen werden müssen.
Aber Montessori-Kinder können sich nur aus den vom Lehrer angebotenen
spezifischen Optionen etwas aussuchen, und nicht aus dem gesamten Angebot an Aktivitäten, die das Leben selbst darstellt. Montessori-Erzieher
glauben, daß alle Kinder nach bestimmten Mustern und Abfolgen lernen. Sie
bauen die Unterrichtsaktivitäten auf den Annahmen des Modells, was für die
jeweilige Altersgruppe „entwicklungsmäßig angemessen“ ist, auf, und verhindern den Zugang zu bestimmten Aktivitäten, wenn Aktivitäten, die in der vorgeplanten Abfolge früher stehen, nicht abgeschlossen sind. Das SudburyModell hat keine feste Vorstellung davon, wie einzelne Kinder in welchem Alter lernen. Es gibt nicht etwa die Erwartung, daß man Multiplizieren lernt, bevor man negative Zahlen lernt, oder daß man Kreise zeichnen vor Rechtekken lernt. Interesse ist das einzige Kriterium für jegliche Aktivität, und Befriedigung die einzige Auswertung des Erfolges.
... Waldorf-Schule?
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Wie Waldorf-Schulen kümmern sich Sudbury Schools um das ganze Kind.
Wir sind nicht nur an akademischem Erfolg interessiert, sondern auch am
Glück und am vollen menschlichen Potential jedes Einzelnen. Wie WaldorfSchulen drängen wir Kinder nicht frühzeitig dazu, Lesen zu lernen, wie traditionelle Schulen es tun. Wir halten beides für wichtig: Spielen, vor allem „tiefgründiges“ Spielen, weil es für die Entwicklung des geistigen, körperlichen,
emotionalen und spirituellen Selbsts der Kinder wichtig ist; genauso wie die
fundamentale „Arbeit“ der Kinder. Wir respektieren die intuitive Weisheit der
Kinder und wir nehmen auch ihre Weltanschauungen und Interessen ziemlich
ernst.
Aber das Sudbury-Modell tritt nicht für einen besonderen Weg spirituellen
oder emotionalen Wachstums ein. Anstatt Kindern zuzuhören, um sie besser
führen zu können, hören wir ihnen zu, um auf ihre selbstbestimmten Bedürfnisse einzugehen. Anders als Waldorfpädagogik haben wir keinen vorbestimmten Lehrplan. Wir vertrauen Kindern, daß sie ihre eigenen Fehler machen, sich durch ihre eigenen Probleme arbeiten und zu ihren eigenen Lösungen kommen – wenn nötig mit Hilfe, aber ohne die Annahme, daß wir das
beste Ergebnis wüßten.
Waldorfpädagogen bemühen sich, Kinder – und Gesellschaft im allgemeinen
– in eine bestimmte Richtung zu drängen, und versuchen, eine Umgebung zu
erschaffen, die diese gesellschaftliche Transformation begünstigt. Sudbury
Schools hingegen versuchen, eine Umgebung zu erschaffen, in der Kinder
ihren eigenen Plan finden und verfolgen können. Kinder und Erwachsene beurteilen und verändern die Kultur der Schule gemeinsam durch das School
Meeting. Der demokratische Prozeß in einer Sudbury School kann laut und
streitend sein; er beinhaltet spezielle Interessengruppen, die Politik machen,
Wähler, die sich Urteile bilden, Angeklagte, die verurteilt werden. Es ist „real“
und nicht unbedingt „aufgeheitert“ (dennoch immer respektvoll). Das Sudbury-Modell zielt einfach darauf ab, Kindern Zugang zur vollen Komplexität des
Lebens zu geben, und ihnen zu helfen, die Neugier, das Vertrauen und die
Kompetenz zu geben, damit sie in der Gesellschaft teilnehmen können – und
vielleicht auch daran, sie nach ihren eigenen Interessen, ihrer Erfahrung, ihrem Wissen und ihren Zielen, zu verändern.
... progressive Schule?
Sudbury Schools glauben – wie auch progressive Schulreformer –, daß traditionelle Schulen nicht funktionieren. Beide sehen autoritäres Lehren und autoritäre Verwaltung als Probleme an, und versuchen, die Belastung zu reduzieren, die Schüler erfahren, wenn sie zum Lernen gezwungen und durch
„objektive“ Tests bewertet werden.
Aber das Sudbury Modell lehnt auch die Auffassung ab, daß die Alternative
zu Autoritarismus Freizügigkeit sei – nette Lehrer, die den Kindern eine zweite und dritte Chance geben, sich anzupassen, die versuchen jeglicher Un6
glücklichkeit vorzubeugen und sich verbiegen, damit „Lernen Spaß macht“,
so daß Kinder lernen, ohne mitzubekommen, daß sie lernen. Wenn Kinder
freizügig/nachgiebig behandelt werden, lernen sie keine persönliche Verantwortung für ihre Taten. Erwachsene in progressiven Schulen behalten immer
noch die Autorität, diese zweite Chance zu garantieren oder nicht; einzuschreiten, um Streits zu lösen; Verhaltensregeln in ihren Schulen zu etablieren. Es kann in progressiven Schulen eine Illusion von Freiheit oder demokratischer Entscheidungsfällung geben, aber wenn Kinder schlechte Entscheidungen treffen, behalten Erwachsene immer die Macht, einzuschreiten
und die Probleme für sie zu lösen.
In Bezug auf das Lernen versuchen progressive Schule oft, daß der Lehrplan
den Interessen der Schüler folgt. Aber wenn man nach den Interessen eines
Kindes unterrichtet, ist das Ergebnis, wie Daniel Greenberg argumentiert hat,
wie wenn ein Elternteil darauf wartet, bis das Kind seinen Mund zum Sprechen öffnet, bevor das Elternteil ihm die Medizin einflößt, die es ihm geben
wollte. Kinder, die ein paar Stunden lang ein Interesse zeigen, Cowboy und
Indianer zu spielen, können sich dann sechs Wochen lang mit Amerikanischen Ureinwohnern beschäftigen müssen, unabhängig davon, ob ihr Interesse anhaltend ist oder nicht. Das Kind, dem auf diese Weise Medizin verabreicht wird, könnte lernen, niemals seinen Mund zu öffnen, wenn ein Erwachsener mit einem Löffel in der Nähe ist; der Schüler, dem auf diese Weise Bildung verabreicht wird, könnte lernen, kein Interesse zu zeigen, zumindest
nicht in der Schule.
Etwas Neues zu lernen kann harte Arbeit sein, und Kinder sind ziemlich fähig
zu harter Arbeit – wenn sie an etwas arbeiten, das sie tun wollen. Wenn ein
Schüler ein ernsthaftes Interesse hat, kann man ihn nicht stoppen; und „Spaß
daraus zu machen“, ist oftmals eine nicht hinnehmbare Ablenkung. Wir glauben, daß, wenn ein Schüler ein Interesse hat, er das Recht haben sollte, es
nur so weit zu verfolgen, wie es ihm nötig erscheint. Er kann zu einem wichtigen Gedanken später zurückkehren, um sein Interesse zu vertiefen, aber ihn
zu zwingen, es zu vertiefen, wird nur dazu führen, seine Neugier und seinen
Sinn für Selbstbestimmung zu mindern.
Einige progressive Schulen bieten eine Auswahl an Kursen an, aber verlangen keine Anwesenheit. Sudbury Schools haben keine Standard-Angebote.
Denn seinem eigenen Plan zu folgen, kann herausfordernd, manchmal
schmerzhaft und manchmal langweilig sein. Wir denken, daß Langeweile eine wertvolle Gelegenheit sein kann, um Entdeckungen an seinem Selbst zu
machen. Oft ist es einfacher, im Unterricht zu sitzen, unterhalten zu werden
(vielleicht nicht so gut, wie das Fernsehen unterhält, aber immer noch besser
als gar nichts), und Druck von Eltern zu vermeiden; als sein eigenes Leben
zu planen, mit seinen eigenen Fragen zu kämpfen, zu lernen, nach Antworten
zu suchen, und sein eigenes Ziel zu meistern.
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... Homeschooling (Heimunterricht)?
Es gibt eine besondere Philosophie des Homeschoolings, oft „unschooling“
genannt, die viele Gemeinsamkeiten mit dem Sudbury-Modell hat. John Holt
war ihr bekanntester Befürworter. Seine Schriften waren für uns unschätzbar,
um erklären zu helfen, wie Lernen gerade ohne Lehren stattfinden kann, und
warum auf Erden sich ein Kind dafür entscheiden kann, Arithmetik oder ein
anderes Fach zu lernen, von dem man annimmt, daß es schrecklich wäre.
Unschooler glauben – wie wir –, daß Kinder von Natur aus neugierig auf die
Welt sind und im Leben erfolgreich sein wollen, und daß Kinder am besten
durch Erfahrung und Ausprobieren lernen, und nicht dadurch, daß man ihnen
sagt, wie und was sie denken sollen. Mit John Holts Worten: „Wirkliches Lernen ist ein Prozeß des Entdeckens, und wenn wir wollen, daß er stattfindet,
müssen wir die Art von Bedingungen schaffen, unter denen Entdeckungen
gemacht werden ... Sie beinhalten Zeit, Freiheit und die Abwesenheit von
Druck.“
Aber Unschooler sehen, größtenteils, die Familien-Umgebung als den besten
Ort für ein Kind an, um aufzuwachsen, während das Sudbury-Modell glaubt,
wie ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Man braucht ein Dorf, um ein Kind
aufzuziehen.“ Kinder und Eltern haben komplexe Beziehungen und gegenseitige Abhängigkeiten, die es für die Kinder schwerer machen, innerhalb der
Familie wirkliche Unabhängigkeit zu entdecken. In der Umgebung einer Sudbury School werden Kinder direkt mit persönlicher Verantwortung für ihre
Handlungen konfrontiert, ohne die emotionale Last, die Verantwortung auf
Familienebene manchmal mit sich bringt. Außerdem sind Kinder in einer demokratischen Schule eher in der Lage, einige wichtige soziale Fertigkeiten zu
entwickeln – die Fähigkeit, Meinungsvielfalt zu tolerieren, gegen unangebrachtes Verhalten etwas zu sagen, und Gruppenprojekte zu entwickeln und
auszuführen, zum Beispiel. In den meisten Homeschooling-Familien sieht
sich das Elternteil als letztlich verantwortlich für die Bildung des Kindes, während die Veranwortung an Sudbury Schools beim Kind bleibt.
... Schülervertretungen in traditionellen Schulen?
Meetings in Sudbury Schools haben nur in sofern Ähnlichkeit mit Schülervertretungen, als daß sie aus Schülern bestehen. Aber das School Meeting ist
eine direkte Demokratie, in der jeder Schüler und jeder Lehrer die Möglichkeit
einer direkten Stimme in jeder getroffenen Entscheidung hat. Schülervertretungen sind repräsentativ – Schüler werden ausgewählt, um die Schülerschaft zu vertreten.
Wichtiger noch ist, daß Schülervertretungen kaum jemals wirkliche Macht
über wesentliche Angelegenheiten gegeben wird. Gewählte Positionen dienen vorrangig als Symbole von Status, Popularität und „Führungspotential“
zum Zwecke der Zulassung am College. Das School Meeting entscheidet jedes Jahr, wer das Personal (Lehrer) sein wird, wie das Schulgeld ausgege8
ben wird, wie jede einzelne Regel der Schule sein wird, und wer für die Verletzung dieser Regeln suspendiert oder zum Abgang gezwungen wird. Lehrer
sind auf gleicher Ebene eingebunden. Gern argumentieren sie für ihre Positionen. Aber sie sind genauso an die Regeln der Schule gebunden. Als eine
freie Mehrheit erfahren die Schüler wirkliche Kontrolle über ihr Leben an der
Schule, und reale Konsequenzen, wenn sie es versäumen, den Verantwortungen nachzukommen, die solche Kontrolle von ihnen erfordert. Diese Art
von Schulleitung führt zu einer Identität der Gemeinschaft und zu einem Gefühl individueller Macht, die zu erreichen von keiner Schülervertretung erwartet werden könnte.
III. Vergleich Sudbury Schools – Summerhill
von Martin Wilke
Unterschiede
• Summerhill ist eine Internatsschule, Sudbury Valley nicht. Deshalb hängt
die Kultur der Sudbury Schools sehr davon ab, was die Schüler außerhalb
der Schule machen.
• An Summerhill gibt es ständige Unterrichtsangebote, die man jedoch nicht
besuchen muß. An Sudbury Schools gibt es Unterricht nur auf ausdrückliches Verlangen der Schüler. Sudbury Schools brauchen keine eigentlichen
„Lehrer“, Summerhill schon.
• An Sudbury Schools ist die Demokratie umfassender als an Summerhill.
An Sudbury Schools entscheidet das School Meeting auch über die Einstellung der Lehrer, sowie über die Verwendung der Gelder. Lehrer werden
an Summerhill von der Schulleitung (früher A. S. Neill, heute seine Tochter
Zoë) eingestellt. Neill entschied auch selbst, ob Regelverletzungen vor das
School Meeting gebracht werden oder ob er sie persönlich klärte.
• An Summerhill werden Eltern weniger eingebunden. An Sudbury Schools
gibt es die jährliche School Assembly, die den Finanzhaushalt der Schule
beschließt, an der auch Eltern beteiligt sind.
• Summerhill betont die therapeutischen Möglichkeiten, die dem Modell innewohnen.
• Summerhill hat eine stärker international zusammengesetzte Schülerschaft.
Gemeinsamkeiten
• Die Schüler haben viele Freiheiten, was ihre Aktivitäten angeht. Niemand
wird gezwungen, bestimmte Sachen zu lernen.
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• Es gibt Schools Meetings, in denen Schüler und Lehrer jeweils eine Stimme haben und über die Regeln sowie über Alltagsangelegenheiten entscheiden.
• Die Schüler fühlen sich verantwortlich für ihre Schule.
• Ehemalige Schüler spüren viel stärker als Schüler der meisten anderen
Schultypen, daß sie die Kontrolle über ihre eigenen Lebensziele haben.
IV. Vergleich Sudbury – Wild
von Martin Wilke
Ein nicht unwesentlicher Teil der Leute im deutschsprachigen Raum, die auf
das Sudbury-Schulmodell stoßen, haben zuvor vor allem vom Konzept der
Pestalozzi-Schule („Pesta“) von Rebeca und Mauricio Wild gehört und versuchen, es als Bezugsrahmen für die Einordnung der Sudbury Schools zu verwenden. Ich hingegen habe mich vor allem mit dem Sudbury-Modell beschäftigt und kann deshalb nur sagen, was mir gemessen am Sudbury-Modell am
Konzept der Wilds auffällt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben,
möchte ich nun kurz einige grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen den
zwei Schultypen sowie eine Reihe von Unterschieden benennen.
Gemeinsamkeiten
• Zentrales Anliegen beider Schulen ist, daß die Schüler ihren Interessen
folgen können und kein Druck oder Zwang ausgeübt wird, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen.
• Die Schüler werden nicht künstlich motiviert oder zu irgendetwas überredet. In beiden Schulen gibt es keinen Lehrplan. Die Mitarbeiter haben den
Anspruch, die Schüler nicht in eine bestimmte Richtung zu lenken, sondern
sie sich selbst entfalten zu lassen. Unterricht im Sinne von Kursen sind
kaum mehr als eine Randerscheinung.
• Wenn Kinder viel Zeit mit freiem Spielen verbringen, wird das nicht bloß
toleriert, sondern auch als für sie wichtige Tätigkeit angesehen, die man
nicht als nebensächlich abtun darf.
• Es gibt keine Zensuren und keine Zeugnisse.
• Einige ältere Schüler verbringen einzelne Tage der Woche mit Praktika in
Betrieben.
• Es gibt Altersmischung.
• Ähnlich wie an Sudbury Valley reicht die Altersspanne der Schüler im Pesta vom Kindergartenalter bis 18 Jahre.
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Unterschiede
Folgende Merkmale des Pesta sind an Sudbury Valley nicht zu finden:
• Die Pesta-Schule basiert – anders als Sudbury Valley – auf der Vorstellung von Jean Piaget, daß sich die geistliche Entwicklung des Kindes in
drei Entwicklungsstufen vollzieht (zunächst entwickeln sich die Funktionen
des Stammhirns, dann die des limbischen Systems und zuletzt jene der
Hirnrinde). Kinder brauchen demzufolge eine Schulumgebung, die ihrer
Entwicklungsstufe angepaßt ist. Daraus folgen zahlreiche Merkmale, die
das Pesta von einer Sudbury School unterscheiden.
• Die Schule unterteilt sich in einen Kindergarten für Kinder bis etwa 6 oder
7 Jahre, in eine Primarstufe für Kinder bis 12 oder 13 sowie eine Sekundarstufe für Schüler bis 18. Für jeden dieser Teile gibt es eigene Räume
und Bereiche in der Schule.
• Die Schule bietet in Anlehnung an Montessori-Schulen eine „vorbereitete
Umgebung“.
• Für jedes Thema gibt es in der Schule einen eigenen Bereich.
• Zwar wird kein Schüler gedrängt, etwas bestimmtes zu lernen, aber
durchaus davon abgehalten, Dinge zu lernen, die nach Ansicht der Mitarbeiter nicht seiner Entwicklungsstufe entsprechen. Die Schüler bekommen
Zugang zu komplizierten Dingen erst, nachdem sie jeweils einfachere wirklich verstanden haben. Rein abstrakte Arbeit ist Schülern der Sekundarstufe vorbehalten. (An Sudbury Valley hingegen kommen auch kleine Kinder
mit der ganzen Komplexität des Lebens in Berührung.)
• Die vorbereitete Umgebung wird durch bestimmte Verbote geschützt:
Computer dürfen nur von jenen Kindern benutzt werden, die bereits ihre
sensomotorischen Fertigkeiten entwickelt haben. Kassettenrekorder und
Radios sind nicht zugelassen, da sie unvorbereitete Elemente sind.
• Ältere Schüler dürfen den Kindergarten-Bereich nur mit Erlaubnis betreten.
• Die Mitarbeiter beobachten die Kinder aufmerksam und dokumentieren
deren Handlungen. Anschließend werden diese in den wöchentlichen Mitarbeiter-Treffen diskutiert.
• Die Schule wird nicht demokratisch geleitet. Die Grundregeln werden
durch die Mitarbeiter vorgegeben und durchgesetzt. Die Kinder können nur
zusätzliche Regeln schaffen.
• Der Schultag dauert nur von 8 bis 12 Uhr. (In Sudbury Valley von 9 bis 17
Uhr)
• Die Teilnahme an den wöchentlichen Versammlungen der Primar- bzw.
Sekundarstufe ist Pflicht.
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• Das Arbeiten an einem Praktikums- oder Arbeitsplatz außerhalb der Schule ist jenen (mindestens 10 Jahre alten) Schülern vorbehalten, die von der
Schule eine Erlaubnis dafür erhalten. Die bloße Suche nach Abwechslung
gilt nicht als legitimer Grund. Der Schüler muß in der Lage sein, eine ernsthafte Entscheidung zu treffen und Verantwortung für seine Handlungen zu
übernehmen.
• Die Eltern der Schüler müssen sich verpflichten, den Ansatz der Schule
auch zu Hause zu beachten. Kinder dürfen keinerlei Unterrichtung erhalten
(z.B. Musikunterricht), bis sie 12 sind, und auch dann nur mit Genehmigung der Schule.
• Bevor die Schüler in die Primar- bzw. Sekundarstufe eintreten, müssen die
Eltern Pflicht-Kurse besuchen.
• Während an Sudbury Valley die jüngsten Kinder vier Jahre alt sind, gibt es
am Pesta auch zweieinhalbjährige.
• Es werden keine neuen Schüler über 12 Jahren aufgenommen.
V. Wie Kindern lernen ... und lernen ... und lernen
Fairhaven School
Die zwei grundsätzlichen Prinzipien der Fairhaven School sind, natürlich,
Freiheit und Demokratie. Da diese zwei Ideen schon von sich aus vernünftig
und anständig sind, verlieren wir aber manchmal den Blick für ihre Bedeutung
als Eckpfeiler der Bildung, für die Tatsache, daß sie die Bedingungen schaffen, unter denen wirkliches Lernen am besten geschehen kann.
In der Welt der Lern- und Psychologieforschung gibt es zwei grundsätzliche
Auffassungen davon, wie Lernen stattfindet. In traditionellen Schulen wird
Lernen als ein Prozeß der Übertragung angesehen – vom Erwachsenen zum
Kind oder vielleicht vom Buch zum Kind. Ein Kind wird im wesentlichen als
ein leeres Glas angesehen, in welches das Lernen hineingefüllt (oder gepaukt) werden muß. Vor einiger Zeit haben Forscher zu definieren begonnen,
was schon immer wahr gewesen ist – nämlich, daß Lernen tatsächlich ein
Konstruktionsvorgang ist. Kinder eignen sich Wissen nicht an, sie erschaffen
es. Sie bauen von innen nach außen ihr Verständnis von der Welt auf.
Von ihrem ersten Lebensjahr an sind Kinder kleine Mechaniker, Sprach- und
Naturwissenschaftler, die Theorien darüber entwickeln, was Dinge bedeuten
und wie sie funktionieren, die ihre Theorien in vielen verschiedenen Situationen testen und sie überarbeiten, wenn neue Erkenntnisse und neues Wissen
im Widerspruch zu ihnen stehen. Das heißt nicht, daß Kinder in einem Vakuum lernen, daß nichts, was wir sie „lehren“, eine Rolle spielen würde. Es bedeutet, daß sie das, was wir sagen (und besonders was wir tun), mitnehmen
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und zusammen mit anderen Sachen, die sie selbst herausfinden, für sich einen Sinn daraus machen. Wenn du diesen Prozeß noch nicht bemerkt hast,
schau deinen Kindern eine Weile lang genau zu. Du wirst anfangen zu sehen, daß Lernen bei jedem Gespräch mit einem Freund, bei jedem imaginären Kriegsspiel, bei jedem Spaziergang zum Kaufhaus passiert.
Die Schulen haben halbherzige Versuche unternommen, diese (für sie) neuen Forschungsergebnisse zu berücksichtigen, indem sie den Kindern erlauben, das zu „entdecken“, wovon die Lehrer bereits beschlossen haben, daß
sie wollen, daß die Kinder es lernen; oder indem sie einen „ganzsprachlichen
Ansatz“ verwenden, der den Kindern erlaubt zu lesen und zu schreiben, ohne
daß ihre Fehler korrigiert werden (bis sie dann in die zweite Klasse kommen).
Aber solange die Schulen das, was einmal bedeutende Ideen waren, in eine
Serie von winzigen (bedeutungslosen) Schritten zerteilen und darauf bestehen, daß Kindern nur das/ derart/ dann lernen, wovon/ wie/ wann die Lehrer
wollen, daß sie es lernen, solange kann der natürliche Wissensaufbauprozeß
nicht voll funktionsfähig arbeiten.
Die Beschreibung des Schulkritikers John Holt, wie Erzieher ein Baby unterrichten könnten, sprechen zu lernen, demonstriert wunderbar die Kontraproduktivität der traditionellen Unterrichtsmethoden:
Als erstes würde eine Art Expertenkomitee die Sprache analysieren und sie
in eine Anzahl von unterschiedlichen „Sprach-Schwierigkeitsstufen“ unterteilen. Da Sprache aus Geräuschen besteht, würden wir wahrscheinlich sagen,
daß ein Kind alle Geräusche der Sprache zu machen gelehrt werden muß,
bevor es darin unterrichtet werden kann, die eigentliche Sprache zu sprechen. Zweifellos würden wir die Geräusche auflisten: die einfachsten und gebräuchlichsten zuerst, die schwierigeren und selteneren danach. Dann würden wir beginnen, Kinder in diesen Geräuschen zu unterrichten, indem wir
unsere Liste von oben nach unten abarbeiten ... Alles wäre geplant und
nichts dem Zufall überlassen; es würde eine Menge Übungen, Überprüfungen und Tests geben, um sicher zu gehen, daß er nichts vergessen hat.
Stell dir vor, wie verheerend dieser Prozeß für Kinder, die gerade versuchen,
sprechen zu lernen, wäre. Die meisten Kinder in der Schule haben es satt,
immer wieder Sachen wiedergeben zu müssen, für die sie sich nicht haben
entscheiden dürfen. Wirkliches Lernen beginnt entweder, stillgelegt zu werden, oder findet dann nur noch außerhalb des Klassenzimmers statt. Neugier
wird abgetötet und Schule wird zu einem Wettkampf um Leistung oder zu einer sinnlosen Übung in Frustration, nicht zu einem Ort, an dem man lernt und
groß wird.
Wie helfen wir also Kindern zu lernen, ohne den natürlichen Wissensaufbauprozeß zu unterbrechen? John Holt sagt: „Wirkliches Lernen ist ein Prozeß
des Entdeckens, und wenn wir wollen, daß er stattfindet, müssen wir die Art
von Bedingungen schaffen, unter denen Entdeckungen gemacht werden ...
Sie beinhalten Zeit, Freiheit und die Abwesenheit von Druck.“ An der Fairha13
ven School, an der Kinder diese drei Dinge im Überfluß haben, ebenso wie
jede Menge anregender Aktivitäten um sie herum, werden sie nicht nur Fähigkeiten erlernen und Fakten und Ideen. Kinder werden lernen, ihren eigenen Wissensaufbauprozeß zu perfektionieren, genau so wie man durch Praxis lernt, wie man ein Werkzeug gut handhabt. Sie werden lernen, ihr Wissen
in Situationen des „wirklichen Lebens“ anzuwenden, quer durch akademische
„Fächer“ und darüber hinaus. Nicht jede „falsche“ Theorie wird ihnen korrigiert werden, nicht einmal bis sie die Schule verlassen. Ihre Spannweite des
Wissens entspricht vielleicht nicht genau, oder noch nicht mal ungefähr, der
eines traditionell geschulten Kindes. Aber sie werden wissen, wie sie Informationen ausfindig machen, sich Fähigkeiten aneignen und wichtigen Ideen
eine Bedeutung beimessen. Ihr Leben wird auch weiterhin einen konstanten,
intern geregelten Lernprozeß beinhalten, der ihnen helfen wird, solange ihr
Leben und die Welt sich verändern und neue Dinge von ihnen verlangen.
VI. Freiheit, Langeweile und Motivation
von Stephanie Sarantos, The Clearwater School
(www.clearwaterschool.com)
Die Schüler können frei entscheiden, was sie tun, womit sie sich beschäftigen
– an jedem einzelnen Tag des Jahres. Daher überrascht es, wenn man einen
Schüler sich lautstark beklagen hört: „Die Schule ist so langweilig! Es gibt
hier gar nichts zu tun!“ Wie können sich Schüler in einer Schule langweilen,
in der es keine Pflicht-Aufgaben, keine vorgeschriebenen Lehrinhalte oder
Stundenpläne gibt? Schüler, die von anderen Schulen zu uns wechseln, haben häufig die Erwartung, der Langeweile zu entfliehen, wissend, daß sie genau die Dinge werden tun können, die sie am meisten interessieren. Statt
dessen haben sie Gelegenheit zu entdecken, daß Clearwater-Schüler eine
völlig andere Art von Langeweile erleben. Langeweile, die zu großartigen Ergebnissen führt – so z.B. Eigeninitiative, Selbstvertrauen und die Fähigkeit,
sich selbst Ziele zu setzen und sie zu erreichen.
In traditionellen Schulen kommt Langeweile für gewöhnlich aus dem Mangel
an Freiheit. Die Schüler können kaum entscheiden, wie sie ihre Zeit verbringen. Sie können jedoch „entscheiden“, auf welche Weise sie ihre Langeweile
zum Ausdruck bringen. Die Reaktion der Lehrer, Eltern und Schulanstalten
geschieht je nach dem, welche Ausdrucksform der einzelne Schüler wählt.
Beispielsweise finden einige Schüler, die Schule sei einfach uninteressant –
vielleicht sind die Fächer zu trocken, zu einfach oder zu schwer. Die Schüler
können auf diese Gefühle reagieren, indem sie während des Unterrichts vor
sich hinträumen, zeichnen, schreiben oder über etwas anderes nachdenken.
Die Schulen reagieren, indem sie versuchen, den Unterricht unterhaltsamer
zu machen, um so mehr Schüler zu beschäftigen.
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Andere Schüler finden, daß die Schule nicht zu ihrem Temperament, ihrem
Lernstil oder persönlichen Rhythmus paßt. Sie wollen gewöhnlich gerade
dann aktiv sein, wenn sie still an ihren Schultischen sitzen müssen. Sie fangen dann oft an, „den Unterricht zu stören“, hinter ihrem Leistungspotential
zurückzubleiben und zu einem Problem für die Schulverwaltung zu werden.
Die Schulen bezeichnen häufig diese Schüler als „Problemschüler“ oder „Gefährdete Kinder“. Möglicherweise bietet man ihnen Interventionen an oder
bestraft sie. Ein weiterer Teil der von Schüler erlebt die Schularbeit als zu
einfach oder unter ihrem Niveau. Sie schöpfen vielleicht ihr Leistungspotential nicht aus, hören ganz auf mitzuarbeiten, oder sie lernen, das System zu
benutzen, und bekommen gute Zensuren – ohne ernstlich dafür zu arbeiten.
Schulen ignorieren diese Schüler oft.
An der Clearwater School wird von den Schülern nicht erwartet, daß sie verpflichtende Aktivitäten interessant finden. Sie können frei, den ganzen Tag
lang ihrem eigenen Rhythmus folgen. Die Mitarbeiter machen es sich nicht
zur Aufgabe, Schülern zu sagen, was für sie wichtig wäre zu wissen, zu tun
oder worüber sie nachdenken sollen. Die Freiheit, durch die Sudbury Schools
definiert sind, führt zu einer anderen Art von Langeweile.
Eine Art von Langeweile zum Beispiel ist: „Ich weiß genau, was ich tun will,
aber ich tue es nicht.“ Sie kann entstehen, wenn etwa ein Freund noch nicht
in der Schule eingetroffen ist, Materialien nicht verfügbar sind oder der Schüler warten muß, bis er mit einer Sache dran ist. Manchmal bedeutet Langeweile: „Ich weißt nicht, was ich tun möchte.“ Die Schüler genießen ihre Freiheit eine Zeit lang – sie verfolgen eifrig bestimmte Beschäftigungen über Tage, Wochen oder Monate – aber oft kommt dann ein Tag, an dem nichts
mehr sie mitzureißen scheint. Es gelingt ihnen nicht herauszufinden, was sie
als nächstes tun wollen. Diese Art von Langeweile zeigt sich als zielloses
Umherstreifen, als Sich-im-Kreis-drehen, oder darin, an einem Ort rumzusitzen und zuzusehen, wie andere Schüler in den Raum 'rein- und wieder 'rausströmen. Diese Langeweile ist wie eine Ruhepause, ein Raum, der sich öffnet
und leer bleibt, bis der Schüler vom nächsten Tatendrang gepackt wird.
Eine andere Art von Langeweile scheint eine Phase des Reifens und der Bildung zu sein. „Die Schule ist so langweilig“ bedeutet: „Ich bin noch nicht bereit, die Verantwortung dafür zu tragen, was ich in der Schule, und schließlich
auch mit meinem Leben, tue.“ Das ist eine Art notwendiger Langeweile. Sie
hat nichts damit zu tun, wie jemand mit einem von außen auferlegten System
von Erwartungen oder Handlungsweisen zusammenpaßt. Diese Langeweile
ist wesentlich persönlicher. Sie drückt das Bedürfnis jedes Einzelnen aus, eine Bedeutung für sein Leben zu finden.
An der Clearwater School wird Langeweile als eine Phase des Lernens angesehen. Gelangweilte Schüler werden nicht bestraft oder mit irgendwelchen
Bezeichnungen abgestempelt. Die Mitarbeiter versuchen nicht, ihnen die
Langeweile zu erleichtern, in dem sie Entertainment oder Ideen für eine pro15
duktive Nutzung der Zeit anböten. Wenn Mitarbeiter Hilfe anbieten, dann geht
es darum, den Schülern zu helfen, aus der erlebten Langeweile zu lernen
und sie zu verstehen. Mitarbeiter reden vielleicht mit Schülern, um ihre Situation und ihre Empfindungen zu verstehen oder um ihre eigenen LangeweileErfahrungen mit ihnen zu teilen. Den Mitarbeitern ist vielleicht selbst unbehaglich, wenn sie Schülern zusehen, die gerade Langeweile durchleben –
aber sie widerstehen der Versuchung einzugreifen. Die Schüler werden der
Erfahrung des vollen Ausmaßes ihrer Langeweile und der damit verbundenen
Gefühle überlassen.
Es ist letztendlich Sache eines jeden Schülers, selbst einen Weg aus der
Langeweile zu finden – die Verantwortung dafür zu übernehmen, herauszufinden, was er mit seinem Leben machen will. Hal Sadofsky ist Absolvent der
Sudbury Valley School und Mitbegründer der Blue Mountain School in Oregon. In seinem Artikel „Entertainment, Boredom and Responsibility“ im BlueMountain-School-Newsletter gibt er seine Antwort auf Klagen über Langeweile:
„Das ist das Leben! Es liegt an dir, einen Kurs einzuschlagen, den du interessant und lohnend findest. Schließlich ist es dein Leben, und das muß dir klar
werden. Das ist dein Leben; mach daraus, was du willst!“
Persönliche Verantwortung für alle eigenen Handlungen zu übernehmen ist
eines der Kennzeichen einer Clearwater-School-Bildung. Hal bemerkt dazu:
„Die grundlegendste Lektion, von der wir hoffen, daß unsere Schüler sie lernen, ist, daß sie verantwortlich für ihre eigene Bildung und eigentlich sogar
für ihr Leben sind. Dies und alles, was damit einhergeht, tatsächlich zu verinnerlichen ist die beste Lektion, die sie für ihr weiteres Leben haben können.
Ich glaube, Wissen und Fertigkeiten zu erwerben ist wichtig, aber ich glaube
nicht, daß ich jemanden dazu zwingen kann oder sollte. Für unsere Kinder ist
viel wichtiger zu lernen, daß, wenn sie etwas wertschätzen, es sich lohnt, dafür zu arbeiten, und daß, wenn sie ein Ziel haben, das ihnen wichtig ist, sie
die Verantwortung dafür übernehmen müssen, es zu erreichen.“
Die Schüler lernen, wie sie Verantwortung für ihr Leben übernehmen, indem
sie sie praktizieren. Jedes Mal, wenn Schüler entscheiden, was sie mit ihrer
Zeit anfangen, lernen sie, wie es sich anfühlt, die Verantwortung für den Verlauf des eigenen Lebens zu tragen. Für persönliche Leistungen verantwortlich zu sein kann wunderbar bestärken; für Langeweile verantwortlich zu sein
kann schmerzen. Schüler, die in Langeweile feststecken, haben noch nicht
herausgefunden, wie sie die Verantwortung für ihre nächste Handlung während des Tages übernehmen – geschweige denn für die Richtung ihres Lebens.
Der Weg aus der Langeweile heraus besteht darin, sie zu durchschreiten.
Letztendlich wird den Schülern bewußt, daß niemand anderes ihnen sagen
wird, was sie tun sollen, und sie beginnen, darüber nachzudenken, was ihnen
wichtig ist. Sie finden den Mut, Entscheidungen zu treffen, die auf ihren Inter16
essen und den Zielen, die sie für ihr Leben haben, basieren. Dieser Prozeß
kann Monate oder gar Jahre dauern. Die Fertigkeiten, die man bei der Transformation von Langeweile zu Motivation an der Schule erhält, bereiten die
Schüler auf ihr Erwachsenenleben vor. Sie praktizieren die Fertigkeit des
Entscheidungen-treffens und entwickeln Eigeninitiative und Selbstvertrauen.
Diese Eigenschaften sind die Investition von Zeit und Vertrauen wert, die die
Clearwater School bietet.
VII.Ergebnisse
von Daniel Greenberg
Seit den Anfängen, vor fast 30 Jahren, habe ich mich gefragt, als welche Art
von Menschen sich die Absolventen der Sudbury Valley School (SVS) herausstellen würden. Um es genauer zu sagen: Ich fragte mich, welche Art von
Leuten sie meiner Meinung nach sein sollten – ein sehr persönliches Urteil,
gewiß; aber etwas, das jeder an Bildung Interessierte bei seinen Erwägungen
an oberste Stelle setzt. Anders ausgedrückt: Die Frage hat mit „Ergebnissen“
zu tun, einem sehr populären Wort heutzutage: Nach welchen Ergebnissen
suchen wir, welche erwarten wir, wollen wir und bekommen wir in unseren
Schulen im allgemeinen und in der SVS im besonderen?
Jedes Frühjahr, wenn die Saison der Thesen-Verteidigung (Abschlußprüfung)
näherrückt, nimmt diese Frage erneute Dringlichkeit in meinen Kopf an. Ich
sehe Generation für Generation junger Menschen sich mit der Entscheidung
abmühen, ob sie die Schulabschluß-Prozedur dieses Jahr durchlaufen sollten
oder nicht, versuchen herauszufinden, was das alles bedeutet, sich ihren
Weg dahindurch zu arbeiten, und dann letztendlich ihren Weg in die Welt zu
finden. Jedes Frühjahr, wenn unsere Alumni News an alle ehemaligen Schüler verteilt werden, denke ich wieder an das Leben, das sie nach ihren Jahren
an der SVS geführt haben und an die Art von Erwachsenen, die sie geworden sind. Und ich frage mich immer und immer wieder: „Leistet die Sudbury
Valley School als Bildungseinrichtung gute Arbeit darin, junge Menschen
darauf vorzubereiten, hinaus in die Welt zu gehen und ein erfolgreiches Lebens zu führen?“ Dieser Aufsatz ist ein Versuch, eine Antwort auf diese Frage zu geben, auf der Grundlage meiner sehr subjektiven und persönlichen
Beobachtungen und Gedanken, die ich in den letzten drei Jahrzehnten angesammelt, verfeinert und überarbeitet habe.
Laß mich mit einem extrem weitgefaßten, qualitativen Statement beginnen,
das den Hintergrund für alles folgende schafft: Mit jedem vergehenden Jahr
ist mir mit größerer Deutlickeit klargeworden, daß, im großen und ganzen, die
Absolventen der SVS angenehme Menschen sind, die gut ausgestattet sind,
das Leben auf das intensivste zu erfahren und mit seinen Ungewißheiten zurechtzukommen. Das ist es, kurz gefaßt. Ich werde versuchen, zu erklären,
was ich mit diesem Statement wirklich meine, indem ich eine Reihe von Attri17
buten verwende, die meiner Ansicht nach die vorherrschenden Eigenschaften
unserer früheren Schüler beschreiben. Diese Attribute hängen eng miteinander zusammen und sind grundsätzlich nicht von einander trennbar. Sie vereinigen sich zu einem kohärenten Ganzen, und werden nur wegen der mir von
der Sprache aufgezwungenen Grenzen einzeln aufgeführt. Die Reihenfolge,
in der ich diese Attribute präsentiere, hat keinerlei Bedeutung; sie stehen in
keiner Rangfolge, ihre Reihenfolge ist völlig zufällig.
Hier also einige der hervorstechenden Eigenschaften von Sudbury-ValleyAbsolventen, die sich mir eingeprägt haben:
Sie sind nette Leute. Lange Zeit wunderte ich mich, wie es kam, daß ich
praktisch alle unserer Absolventen mochte, und so viele von ihnen liebte. Das
liegt daran, daß sie anständige Menschen sind. Sie sind nicht gemein, rachsüchtig, heuchlerisch, unehrlich, gewalttätig, reizbar, übellaunisch, arrogant,
intolerant oder respektlos. Sie sind offen, freundlich, vorsichtig vertrauensvoll,
relativ unbeschwert und rechtschaffen. Sie sind die Art von Menschen, mit
denen man gern abhängt, sich unterhält, arbeitet und Zeit verbringt.
Sie sind gute Freunde. Sie verstehen die Kunst der Freundschaft, mit ihresgleichen, und mit Leuten jeden Alters. Sie geben und nehmen gleichermaßen. Sie sind größtenteils ziemlich großzügig, selten habgierig. Sie sind außerordentlich loyal, durch dick und dünn. (es versetzt mich immer noch in
Staunen, wie Freundschaften, die während der gemeinsamen Jahre als
Schüler geschlossenen wurde, den Test der Zeit überstehen, trotz der vielen
einschneidenden Jahren und oftmals riesigen Entfernungen, die zwischen
den jeweiligen Leuten liegen.) Sie unterstützen in Zeiten der Sorge, feiern in
Zeiten der Freude. Sie sind Freunde in ihren Herzen, teilen tiefe Gefühle von
gegenseitiger Empathie und Verständnis.
Sie wissen, wie man mit anderen auskommt. Sudbury-Valley-Absolventen ist
bewußt, daß Menschen soziale Lebewesen sind, und daß ein wichtiger Bestandteil des Lebens die Fähigkeit ist, sich in die soziale Umgebung zu integrieren, in der man sich wiederfindet. Sie haben gelernt, wie man die feinen,
unkatalogisierten, unverkündeten Regeln herausfindet, nach denen jede
Gruppe funktioniert; wie man einen Weg findet, sich an diese Regeln anzupassen, ohne die eigene persönliche Integrität aufs Spiel zu setzen; und wie
man seinen persönlichen Zielen innerhalb des Rahmens des Gesamtstils der
Gruppe nachgeht. Sie sind ziemlich gut darin, zu bekommen, was sie wollen,
im wesentlichen weil sie wissen, wie sie ihre Bedürfnisse in einen solchen
Rahmen setzen, daß diese für die Gesellschaft um sie herum akzeptabel
sind.
18
Sie lieben das Leben. Sie sind begierig, alles zu erleben, hinauszugehen und
die Welt zu erobern, zu reisen, neue Horizonte zu entdecken, abenteuerlustig
zu sein. Sie leben nicht in einem Nebel der Angst. Sie wollen leben, und sie
finden Geschmack an den Komplexitäten des wirklichen Lebens. Sie können
erfreut, glücklich, unglücklich und niedergeschlagen sein; sie können enthusiastisch, frustriert, enttäuscht, amüsiert, begeistert und deprimiert sein. Sie
haben keine Angst vor intensiven Gefühlen, und sie genießen – und erleiden
auch gleichermaßen – die Folgen solcher Intensität.
Sie haben eine starke Selbstkenntnis. Manchmal werden viele von uns etwas
überdrüssig, SVS-Absolventen sagen zu hören: „Ich habe herausgefunden,
wer ich bin.“ Aber die Tatsache ist, daß die meisten von ihnen das tatsächlich
haben; und die meisten von ihnen haben einen Grad an Selbstkenntnis, der
wirklich beeindruckend ist, vor allem bei so jungen Leuten. SVS-Absolventen
sind keine Mitläufer. Sie haben sich mit ihren Stärken und ihren Schwächen
auseinandergesetzt; haben einen guten Start hinbekommen herauszufinden,
wie sie ihr Leben führen wollen; und haben sich ein grundlegendes System
von Werten zugelegt, das für jeden von ihnen einzigartig individuell ist, obwohl es gleichzeitig irgendwie in die Werte der Kultur paßt. Sie verstehen es
gründlich, unversehrt zu bleiben angesichts der vielen Zwänge, die jeden Tag
von der übrigen Welt auf sie ausgeübt werden.
Sie haben Selbstvertrauen. Die meisten Absolventen haben das Gefühl, daß
sie über die innere Stärke und die Fähigkeit verfügen, zu bewältigen was
auch immer das Leben ihnen in den Weg wirft; und zu tun, was auch immer
es erfordert, in jeder einzelnen Phase ihres Lebens ihre Ziele zu erreichen.
Es ist wichtig, Selbstvertrauen von Tollkühnheit zu unterscheiden. Ein
Mensch mit Selbstvertrauen hat eine gewisse innere Stimme, die ihn durch
die Aufs und Abs glücklichen Zufalls leitet, und eine beständige Absicherung
bietet, daß er irgendwie in der Lage sein wird, sich seinen Weg aus schwierigen Momenten hinauszuarbeiten. Jemand tollkühnes denkt, daß er bereits im
Besitz all der nötigen Werkzeuge ist, um mit allem fertigzuwerden, was da
kommen mag. Der Unterschied ist erheblich: Der still selbstvertrauende weiß,
daß ihm jederzeit viele Werkzeuge fehlen, weiß aber auch, daß er sich diese
Werkzeuge mit Hartnäckigkeit und Geduld aneignen kann.
Sie sind anpassungsfähig. SVS-Absolventen fürchten nicht Instabilität und
Wandel. Sie wissen, daß die sie umgebende Welt einer schnellen Transformation unterliegt, und sie akzeptieren dies als gegeben; es lähmt sie nicht,
noch bringt es sie dazu, nach einer Stabilität und Dauerhaftigkeit zu schreien,
die es nie mehr geben wird (wenn es sie überhaupt jemals gab). Sie denken
nicht in Kategorien fester lebenslanger Situationen. Sie gehen davon aus,
verschiedene Dinge zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben zu sehen,
19
und gewöhnlich begrüßen sie die dauernde Herausforderung, die dieser Fakt
darstellt.
Sie wissen, was Leidenschaft ist. Die meisten SVS-Absolventen haben das
Gefühl erlebt, von einem ausgeprägten Interesse an etwas oder an jemandem überwältigt zu sein; jeder von ihnen hat das bei jemand anderes in seiner unmittelbaren Umgebung gesehen, auch wenn es ihm selbst erst noch
bevorsteht. Letztenendes wird praktisch jeder von ihnen von einer oder mehreren Leidenschaften erfaßt. Diese besondere Begeisterung, die nur jemand
erfahren hat, der von einer Leidenschaft aufgesogen wurde, ist etwas ziemlich verbreitetes für SVS’ler. In früheren Zeiten wäre es als ein Geschenk der
Götter betrachtet worden.
Sie sind gescheit. Eines der Charakteristika von SVS’lern, das neuen Schüler
am häufigsten auffällt, ist ihre Gescheitheit, ihre angeborene Intelligenz. Gescheit zu sein – mit anderen Worten: vor Intelligenz sprühend zu sein – ist ein
Zug, mit dem alle gesunden Kleinkinder von Geburt an ausgestattet sind.
Manche behalten ihn ihr ganzes Leben hindurch, wie auch immer sie erzogen
werden; andere verlieren ihn, als Folge von irgendeiner aus einer Vielzahl
von repressiven Erfahrungen, die sie zwingt dichtzumachen. Die meisten
SVS-Absolventen haben zu dem Zeitpunkt, an dem sie bereit sind, die Schule zu verlassen, Besitz und Gebrauch ihrer angeborenen Klugheit wiedererlangt und sind in der Lage, sich gegenüber der Welt dauerhaft in einer hochintelligenten Weise zu verhalten.
Sie sind einfallsreich. SVS-Absolventen passen nur selten in eine vorbestimmte gesellschaftliche Kategorie oder kulturelle Schublade. Sie sind im
allgemeinen sehr kreativ und unabhängig in ihrem Denken, und haben wenig
Respekt vor Autoritäten als solche. Sie fühlen sich wohl, neue und unerprobte Wege zu erkunden und sogar Risiken bei der Verfolgung ungewöhnlicher
Zugänge einzugehen.
Sie sind empowered. Autorität akzeptieren sie in sozialen Situationen ebensowenig bedingungslos. Sie sind sich ihrer Rechte, ihrer Stärken und ihrer
Fähigkeit, für das zu stehen, wovon sie überzeugt sind, ungemein bewußt.
Sie tun dies, selbst wenn sie dafür Nachteile in Kauf nehmen müssen, selbst
wenn sie auf Widerstand, Aggressivität oder beleidigendes Verhalten treffen.
Sie setzen sich für sich selbst und für andere ein.
Sie sind ethisch. Natürlich meine ich nicht, daß sie immer gut sind, immer alles richtig und nie etwas falsch machen. Ich meine, daß sie – jeder von ihnen
20
– ein hochentwickeltes moralisches Gespür haben, selbst jene, die nicht immer in Übereinstimmung damit handeln. Man kann stets an das Gefühl für
richtig und falsch eines SVS-Absolventen in jeder Diskussion appellieren und
weiß, daß man gehört wird, wenn auch nicht immer Zustimmung findet.
Sie sind tolerant. SVS’ler haben tiefen Respekt vor anderen Leuten und akzeptieren all die vielen Verschiedenheiten, die uns von einander unterschieden. Sie bilden sich keine Vorurteile über andere anhand ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer politischen Ansichten, ihren sozialen Stellung, ihrer Kleidung, ihrer Haare, ihrer Sprache oder ihres Benehmens.
Sie haben einen tiefen Gerechtigkeitssinn. Sie sind hochempfindlich gegenüber gesellschaftlichen Mißständen, und gegenüber Unrecht, das anderen
zugefügt wird. Sie verstehen tief in sich drin, daß das, was eine stabile und
lebbare soziale Ordnung erschafft, ein System der Justiz ist, das mit jedem
fair umgeht, für jeden zugänglich ist und Wiedergutmachung und Berufungsmöglichkeiten vorsieht.
Sie sind äußerst neugierig. Sie sind empfänglich für das, was um sie herum
geschieht, und erkunden unaufhörlich die Winkel und Ecken ihrer Umgebung,
in physischer, sozialer und intellektueller Hinsicht. Ihre Konversationen streifen eine Vielzahl von Themen, die beinahe unvorstellbar vielfältig ist, von den
geheimnisvollsten philosophischen Fragen bis zu den nüchternen Aspekten
der täglichen Daseins.
Sie sind lebenslange Lerner. SVS-Absolventen lieben es, um seiner selbst
Willen zu lernen – je mehr, je länger sie an Sudbury Valley gewesen sind. Sie
mögen es zu lesen, genau zu untersuchen, jede menschliche oder andere
verfügbare Ressource zu nutzen, um sich mit neuen Bereichen, die ihr Interesse auf sich ziehen, bekanntzumachen und sie zu meistern.
Sie sind fähig, sich klar auszudrücken. Sie sind prächtig gewandte Unterhalter; sie wissen, wie man redet, wie man eine Idee rüberbringt. Sie sind auch
ausgezeichnete Zuhörer, und sie verstehen, daß alle Beteiligten sowohl zuhören als auch reden müssen, wenn man eine Konversation möchte, von der
alle Beteiligten etwas haben.
Sie sind politisch scharfsinnig. SVS-Absolventen verstehen, wie man das bestehende politische System nutzt, um seine eigenen Ziele voranzubringen.
Sie wissen, wie man seine Ideen präsentiert, wie man politische Anliegen
21
vorbringt, wie man debattiert, wie man unter seinen Freunden und Bekannten
Unterstützung für die eigenen Positionen aufbringt. Sie wissen, wie man politische Positionen formuliert, und wie man zurück zum Reißbrett geht und sie
in einer annehmbareren Art umformuliert, wenn es nötig ist.
Sie sind körperlich fit. Die meisten von ihnen sind mit ihrem Körper zufrieden
und sind glücklich, wenn sie körperlich aktiv sind. Sie genießen das Draußen,
sie genießen es zu klettern, zu rennen, zu spazieren und zu spielen; viele
mögen es zu tanzen, skizulaufen, Schlittschuh, Skateboard oder Fahrrad zu
fahren, allgemein ihren Körper herauszufordern. Sie sind sich des Unterschieds zwischen gutem Essen und Junk Food bewußt, zwischen gesunden
persönlichen Angewohnheiten und schädlichen – bewußt, wenn nicht praktizierend; und Bewußtsein ist schließlich der unerläßliche erste Schritt in Richtung Praktizierung.
Ich habe wahrscheinlich einige Züge vergessen, derer ich mir einmal bewußt
war, und es gibt zweifellos weitere, die anderen Leuten aufgefallen sind und
mir entgangen sind. Aber im großen und ganzen ergeben die oben genannten, wenn man sie zusammen nimmt und mit einander vereinigt, ein faires
Bild des Charakters des typischen SVS-Absolventen (bzw. früheren Schülers,
der einige Zeit an der Schule verbracht hat und sie aus welchem Grund auch
immer ohne Abschluß verlassen hat). Keiner dieser Züge ist meßbar oder
quantitativ bestimmbar. Jeder von ihnen bedeutet für verschiedene Leute etwas geringfügig verschiedenes, sogar für Leute, die im selben kulturellen
Kontext leben. Dennoch, sie repräsentieren genug gemeinsame Bedeutung
für die Leute innerhalb der Sudbury-Valley-Gemeinschaft, und für Leute innerhalb der amerikanischen Kultur, um jedem von uns zu ermöglichen, sein
eigenes Urteil darüber zu fällen, ob ich richtig liege, sie als zu den meisten
unserer Absolventen zugehörig zu identifizieren, und ob es gerechtfertigt ist
zu behaupten, daß eine Schule, deren Absolventen diese Züge aufweisen,
als erfolgreich angesehen werden kann.
Auffallend abwesend auf meiner Liste sind jene Ergebnisse, die meistens als
die für Schulen wichtigen bezeichnet werden – nämlich, die quantifizierbaren
Ergebnisse, die den Grad des Behaltens konkreter Mengen von Daten und
bestimmter Fertigkeiten, Daten zu handhaben, messen. Testergebnisse, auf
gut Deutsch. Sie fehlen aus zwei Gründen: (1) Wir haben keine Möglichkeit
zu wissen, wieviel irgendeiner unserer Absolventen über dieses oder jenes
Gebiet weiß bzw. wie gut er mit diesem oder jenem vorgegebenen Stoff umgehen kann. Es ist einer unserer Grundsätze, daß wir sie nicht testen oder
danach fragen. Wenn sie sich entscheiden, sich selbst zu testen – wie einige
von ihnen es tun, wenn sie die SATs oder Achievement Tests absolvieren
oder auf andere traditionelle Schulen wechseln – schneiden sie durchweg gut
ab (das heißt, gewiß nicht schlechter als Schüler von traditionellen Schulen,
22
und gut genug, mit dem weiterzumachen, was sie wollen, ob das nun aufs
College zu gelangen oder eine Karriere zu beginnen ist). (2) Ich halte diese
nicht für bedeutende oder nützliche Ergebnisse für junge Leute, die die postindustrielle Welt des Informationszeitalters betreten. Menschen, die glauben,
daß solche quantifizierbaren Ergebnisse wichtig sind, und die einen Grund
haben zu glauben, daß ihre Kinder diese Leistungen nicht besitzen, wird
wahrscheinlich nicht wohl dabei sein, ihre Kinder auch nur für kurze Zeit an
Sudbury Valley einzuschreiben.
Die Züge, die ich aufgelistet habe, zeichnen ein recht gutes Bild von dem
durchschnittlichen Sudbury-Valley-Absolventen. Meiner eigenen Erfahrung
nach läuft das auf eine hoch erfolgreiche Schule hinaus. Das Meiste von unserem Erfolg ist der einfachen Tatsache geschuldet, daß wir uns nicht in den
Weg gestellt haben, daß wir Hindernisse weggeräumt haben, daß wir Neigungen zugelassen haben, die der menschlichen Natur innewohnen, und deren Wesen es ist, ohne Eingriffe von außen, Beurteilung oder Unterdrückung
zu gedeihen. Im Laufe der Jahre hat die Schule eine Kultur etabliert, die zunehmend sicherstellt, daß diese Züge von allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft willkommen geheißen und respektiert werden.
Nachdruck aus The Sudbury Valley School Newsletter, Mai 1996
23
VIII.Der Übergang zur Freiheit
Deborah Lundbech
Wenn Schüler auf eine Schule des Sudbury-Typs wechseln, ist eine der
schwierigsten Herausforderungen, der sie gegenüberstehen, der Übergang
von der bisherigen Schulstruktur zu einer, in der sie selbst für ihre Bildung
verantwortlich sind. Mehr als zehn Jahre hat Deborah Lundbech als Mitarbeiterin an Red Cedar, einer Schule des Sudbury-Modells in Bristol (Vermont,
USA), gearbeitet. In dieser Zeit hat sie, deren vier Kinder ebenfalls Red Cedar besuchen, immer wieder den Kampf beobachtet, den neue Schüler und
ihre Familien durchleben, und sie sah Muster sich abzeichnen, die einander
ähneln. Hier der Nachdruck eines Artikels aus der Herbst-Ausgabe der „Red
Cedar School News“.
Dieser Artikel wurde geschrieben, um – soweit das möglich ist – den Familien
zu versichern, daß sie nicht die einzigen sind, die den Herausforderungen
und Umwälzungen des Übergangs gegenüberstehen, und es – wenn man
Geduld und Vertrauen hat – ein Licht am Ende des Tunnels gibt. Natürlich
gehen jeder Schüler und jede Familie ihren eigenen, einzigartigen Weg,
wenn der Schüler an eine Schule des Sudbury-Typs wechselt und sich auf
sie umstellt. Ob die folgenden Beispiele nun die Erfahrung einer bestimmten
Familie wiedergeben oder nicht, die Schwierigkeiten sind wohl doch vergleichbar, und vielleicht kann dies ein wenig von der Sorge nehmen.
Typischerweise wirken Schüler, die gerade zu uns gewechselt haben, glücklich und aufgeregt darüber, hier zu sein. Anfangs scheinen sie fast euphorisch – die Last ihrer früheren Schule ist abgeworfen, und sie fühlen sich frei
und unbeschwert. Während dieser ersten Wochen legen sie oft Wert darauf,
mit den Mitarbeitern Kontakt zu haben, Erlebnisse zu teilen, Dinge zu zeigen,
an denen sie gearbeitet haben, usw.
Häufig merken die Eltern in diesen ersten Wochen an, wie überraschend begierig ihr Sohn oder ihre Tochter darauf ist, zur Schule zu gehen, und wie
glücklich und entspannt sie wirken. In diesem Stadium fühlen die Eltern sich
gewöhnlich großartig, daß sie das Risiko eingegangen sind, ihre Kinder einzuschreiben, und die Leichtigkeit des Übergangs beruhigt sie. Kurzum: Alle
sind glücklich.
Dann aber, während der nächsten Phase, scheint es so, als hätten die Schüler die Arbeit eingestellt. Viele beginnen, die Mitarbeiter zu meiden, und wenn
sie unseren Weg doch kreuzen oder mit uns reden müssen, tun sie das so
kurz und kühl wie nur möglich. Sie vermeiden sorgsam jeden Blickkontakt.
Häufig entscheiden sie sich dafür, ausschließlich einer Aktivität nachzugehen
(Jungen wählen oft den Computer, Mädchen oft das Lesen), jedoch ohne jede erkennbare Leidenschaft, die zu einer wirklichen Beziehung führen könnte. In vielen Fällen betrachten die Eltern das als die schwierige Übergangs24
zeit, vor der wir sie gewarnt haben, und sind nicht weiter beunruhigt; im Laufe
der Zeit aber machen sie sich zunehmend Sorgen.
Die nächste Phase ist kaum geeignet, Eltern zu beruhigen. Genau gesagt ist
oft das der Punkt, an dem die wirkliche Herausforderung kommt. Schüler, die
einen nach meiner Meinung heldenhaften Kampf und eine Neubewertung ihrer selbst durchmachen, beginnen, ziellos umherzustreifen. Sie vertiefen sich
in gar nichts, sondern treiben vielmehr von Raum zu Raum, ständig am Rand
der Dinge. Eine häufige Bemerkung von Schülern in dieser Zeit ist: „Mir ist
langweilig. Es ist langweilig hier.“ Sie scheinen ziel- und orientierungslos, unbeteiligt und manchmal wütend. Sie meiden alles, was strukturiert ist oder
woran Mitarbeiter beteiligt sind, und sie vermeiden auch weiterhin den Blickkontakt mit Erwachsenen und jede Art von Beziehung zu den Mitarbeitern.
An diesem Punkt ist es nicht ungewöhnlich, daß diese Schüler sich an der
Schule mit wiederholten Regelverstößen und einem Austesten der Grenzen
abreagieren, was zu zahlreichen Beschwerden an das Justizkomitee führt.
Eltern erzählen uns dann häufig, daß ihr Kind zu Hause sehr grob geworden
ist und sich darüber beschwert, daß die Schule es langweilt.
Diese Periode kann eine lange Zeit andauern. Eltern (die ja gewöhnlich die
Philosophie der Schule in Frage stellen) brauchen eine gewaltige Menge Mut,
ihren Kindern in dieser Zeit beizustehen. Es ist eine sehr harte Zeit, zuzusehen, wie sein Kind sich abmüht, unglücklich ist und sich über Langeweile beklagt, und ihm dennoch die Botschaft zu geben: „Du schaffst das; ich weiß,
daß du das kannst.“
Wir können nur vermuten, was jeder Schüler durchmacht, aber sicherlich
schlagen sie sich mit einigen grundsätzlichen Fragen herum, wie: „Wer bin
ich? Was will ich tun? Worum geht es hier?“
An diesem Punkt bitten besorgte Schüler (oder Schüler, deren Eltern besorgt
sind) um einen Kurs oder Einzelunterricht. Den Mitarbeitern ist sehr klar, daß
dieser Wunsch nach Unterricht nur aus der Angst und nicht aus wirklichem
Interesse erwächst, und er die Qual, von anderen entworfenen Plänen zu genügen, nur verlängert. Nichtsdestotrotz – da diese Schüler darauf bestehen,
halten wir den Unterricht ab, auch wenn das ganze selten mehr als ein paar
Unterrichtsstunden überdauert.
Gleichzeitig machen die Eltern sich oft gewaltige Sorgen, nicht nur, weil sie
sehen, wie ihr Kind für akademische Dinge unmotiviert ist, sondern auch, weil
sie sehen, wie ihr Kind sich treiben läßt, und sich um es in sozialer Hinsicht
Sorgen machen. Dieses Stadium kann das Vertrauen der Eltern in die Fähigkeit ihres Kindes, seine eigene Bildung selbst zu bestimmen, auf eine harte
Probe stellen.
In der nächsten Phase vollzieht sich eine bemerkenswerte Wandlung.
Manchmal ist diese Wandlung langsam und vollzieht sich so allmählich, daß
wir als Mitarbeiter Monate zurückdenken müssen, um uns bei einem Schüler
25
an den dramatischen Unterschied zu erinnern. In anderen Fällen sind wir erstaunt über die Schnelligkeit der Veränderung.
Egal, welcher der beiden Wege es war: Die Schüler beginnen, Selbstvertrauen auszustrahlen. Wo sie sich zuvor dürftig und verloren gefühlt hatten,
scheinen sie nun von einem Ort zunehmender Stärke und Ruhe zu kommen.
Ihre Ruhelosigkeit verschwindet, und sie scheinen in Dinge auf eine neue
und konzentrierte Art hineingezogen zu werden.
Als Mitarbeiter bekommen wir langsam das Gefühl, daß der Schüler anfängt,
die Gleichwertigkeit der Befugnisse an der Schule zu verstehen. Im allgemeinen gehen die Beschwerden beim Justizkomitee erheblich zurück, und der
Schüler hat ein klares Gefühl dafür, was wir als Mitarbeiter tun werden und
was nicht, und zu welchen Dingen er als Mitglied der Gemeinschaft und autonomes Individuum die Freiheit hat. Er fängt an, den Mitarbeitern in die Augen zu sehen, und entwickelt eine aufrichtige, auf Interesse basierende Beziehung zu uns.
Kinder nach solchem Kampf stark und zielstrebig hervorgehen zu sehen, ist
unglaublich bewegend. Es veranschaulicht sehr schön den Mut und verbissenen Antrieb von Menschen, die, wenn sie die Freiheit dazu haben, sich
selbst unablässig herausfordern, um das beste zu erreichen, zu dem sie fähig
sind.
Für Eltern ist dieses Stadium oft aber noch immer unbehaglich. Die Schüler
beschäftigen sich nicht notwendigerweise „akademisch“, bzw. sie verbringen
ihre Zeit nicht so, wie die Eltern es für richtig halten. Tragischerweise verliert
die Schule Kinder in diesem Stadium aus einer Vielzahl von Gründen. Es ist
immer überaus traurig mitanzusehen, wie die großen Anstrengungen, die sie
durchgemacht haben, unerkannt bleiben.
Im letzten Stadium erscheinen die Schüler vollkommen sorgenfrei bei allem,
womit auch immer sie sich beschäftigen, ob wissenschaftlich oder künstlerisch, gesellig oder allein, unkonventionell oder alltäglich. Es besteht eine
Tiefgründigkeit ihres Engagements und Vertrauens, die alles, was sie tun, mit
Wert erfüllt. Sie vertiefen sich in eine große Vielfalt von Beschäftigungen.
Worin die Schüler sich jedoch bemerkenswert gleichen, ist das auffallende
Fehlen von Verlangen nach Bestätigung durch Erwachsene, das man bei traditionell beschulten Schülern so häufig sieht. Einige Schüler beteiligen sich
sehr stark an der Leitung der Schule, andere überhaupt nicht. Aber sie scheinen alle großen Respekt und Hochachtung vor dem Ort zu haben, der ihnen
erlaubte, ihren eigenen Weg wiederzuentdecken.
Zum Schluß möchte ich unterstreichen, daß alle Schüler unterschiedlich sind.
Wenn sie zu uns kommen, sind einige erheblich – andere nur geringfügig –
geschädigt von der Verplanung durch andere. Aber alle Schüler brauchen
Zeit – von einigen Wochen bis zu einigen Jahren –, um sich auf diese Art von
Schule umzustellen. Diese Zeit ist ein Geschenk für sie, und die Folge dieses
Geschenkes sind bemerkenswerte, selbstsichere Menschen.
26
IX. Literatur
Die Sudbury Valley School hat im Laufe der Jahre 15 Bücher herausgegeben. Sie
sind erhältlich unter www.sudval.org/02_book_01.html, telefonisch unter 001 508
877-3030, per Fax an 001 508 788-0674. Die Postanschrift von Sudbury Valley
School Press lautet The Sudbury Valley School Press, 2 Winch Street, Framingham, MA 01701, USA. Per e-Mail ist die Schule erreichbar unter [email protected].
Seit August 2004 ist das Buch „Endlich frei! - Leben und Lernen an der SudburyValley-Schule“ im Buchhandel erhältlich.
Daniel Greenberg
Endlich frei!
Leben und Lernen in der Sudbury-Valley-Schule
Reihe „Mit Kindern wachsen“ im Arbor-Verlag
14,90 €
ISBN 3-936855-14-5.
Das Buch "The Sudbury Valley School Experience" wurde ebenfalls bereits auf
Deutsch übersetzt, ist aber noch nicht erschienen. Wer die Vorfassung lesen (und
verbessern) will, melde sich bei uns.
Einige der englischsprachigen Sudbury-Bücher sind auch über amazon.de erhältlich (man spart das Porto).
27
Dieses Heft ist eine ergänzende und vertiefende Fortsetzung zu der einführenden Textsammlung über die Sudbury
Schools.
Neben diesem gibt es drei weitere Hefte über das Sudbury-Schulmodell:
Sudbury Schools
konsequent freie und demokratische Schulen (Eine Einführung)
An der Sudbury Valley School aufwachsen
Vier Kapitel aus “Kingdom of Childhood –
Growing Up at Sudbury Valley School”
Betrachtungen über das Sudbury-School-Konzept
Sechs Kapitel aus ”Reflections on the Sudbury School Concept”
K.R.Ä.T.Z.Ä.
Dunckerstr. 11
10437 Berlin
Tel. 030 447972-2 / Fax -0
www.kraetzae.de
[email protected]
Es gibt in Berlin eine Gründungsgruppe für eine konsequent freie
und demokratische Schule, aus der der Verein Sudbury-Schule
Berlin-Brandenburg hervorgegangen ist. Die Gründungsgruppe
sucht noch weitere Mitstreiter.
Wer mitmachen will, meldet sich bei
Sudbury-Schule Berlin-Brandenburg (SSBB)
Pappelallee 19
10437 Berlin
Tel. 030 42802302
www.sudbury.de
[email protected]
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