Keine Einkommensanrechnung bei Ehen ohne Trauschein

Transcrição

Keine Einkommensanrechnung bei Ehen ohne Trauschein
Keine Einkommensanrechnung bei Ehen ohne Trauschein! – Das Sozialgericht Düsseldorf problematisiert die Zwangsvergemeinschaftung heterosexueller Paare
Sabine Berghahn und Maria Wersig
Es hatte so kommen müssen! Soziologen beschreiben unsere Gesellschaft als eine mit zunehmender Individualisierung und Pluralisierung. Die Zahl der vorfindbaren Lebensformen
nimmt zu. Auf der einen Seite wächst der Anteil der Alleinlebenden, auf der anderen beschreibt der Begriff Patchwork-Familien einen expansiven Teil der Wirklichkeit, in der Kinder aufwachsen. Anerkannt sind neben der Ehe und klassischen Kleinfamilie auch einstmals
stigmatisierte „wilde Ehen“ und homosexuelle bzw. lesbische Paare. Damit haben sich die
Vorstellungen von der Legitimität selbst gewählter Lebensformen und von der Gerechtigkeit
ihrer Behandlung durch den Staat gewandelt. Für gleichgeschlechtliche Paare hat sich zudem
die Rechtslage verändert. Im Jahre 2001 wurde ihnen – auch zur Wiedergutmachung des vergangenen diskriminierenden Unrechts - ein eigenes Rechtsinstitut als amtliche Manifestation
ihrer Beziehung samt Rechten und Pflichten eingeräumt. Die eingetragene Lebenspartnerschaft ähnelt der Ehe weitgehend, zumal die Gesetzgebung jüngst auch noch erweiterte
Adoptionsmöglichkeiten und einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente für den überlebenden
Partner vorgesehen hat. Homosexuelle Partner oder Partnerinnen können wählen, ob sie eine
Rechtsbindung eingehen wollen oder nicht. Genau diese rechtsgestaltende Wahlmöglichkeit
steht unverheirateten Partnern und Partnerinnen in heterosexueller Lebensgemeinschaft nicht
offen. Das macht sich vor allem im Sozialrecht bemerkbar, wenn eine Frau oder ein Mann
eine „subsidiäre“ (= gegenüber privatem Unterhalt nachrangige) Sozialleistung beantragt.
Hauptknackpunkt für den „Pluralismus der Lebensformen“: die „subsidiäre“ Sozialleistung des ALG II
Die häufigste Form dessen ist bekanntlich das Arbeitslosengeld II (ALG II), das seit Januar
2005 einheitlich anstelle der Sozialhilfe und der einstigen Arbeitslosenhilfe an erwerbsfähige
Arbeitslose nach dem „Gesetz über die Grundsicherung für Arbeitssuchende“ (Sozialgesetzbuch Nr. II) gezahlt wird. Wer kein eigenes Einkommen hat und in einer Ehe, einer eingetragenen Partnerschaft oder aber in einer heterosexuellen, als „eheähnlich“ eingestuften Konstellation zusammenlebt, erhält das ALG II nur nach Anrechnung von Partnereinkommen und
Vermögen. Oftmals bleibt der „hilfebedürftigen“ Person dann von der Pauschalleistung ALG
II gar nichts mehr; auch der Sozialversicherungsschutz entfällt.
Genau diese Rechtsregelung und Praxis, die derzeit in Deutschland millionenfach erlebt und
erlitten wird, stellt eine kürzlich ergangene Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf (Az.:
2
S 35 SO 28/05 ER) in Frage, zumindest für die Gruppe der „eheähnlich“ zusammenlebenden,
verschiedengeschlechtlichen Paare. In ihrer rechtspolitischen Dimension geht die Bedeutung
der gerichtlichen Aussage sogar noch weit darüber hinaus. Sie ist geradezu geeignet, die
Grundfesten der deutschen „Ehezentrierung“ im System der Existenzsicherung zu
erschüttern!
Sozialgericht Düsseldorf zum Ersten: Keine Einstandspflicht ohne Nachweis „eheähnlicher“ Bindung
Worum geht es? Das Sozialgericht Düsseldorf ist dem Antrag einer Frau auf Erlass einer
Einstweiligen Anordnung gefolgt und hat dafür gesorgt, dass die Frau ihren ALG IIAnspruch bis auf weiteres weitgehend (zu 80%) ausgezahlt bekommt. In diesem Verfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes hatten sich die Frau und der Mann dagegen gewehrt, als
„Bedarfsgemeinschaft“ eingestuft zu werden, was die Anrechnung von wesentlichen Teilen
des Einkommens und eventuell Vermögens des Mannes zur Folge gehabt hätte. Diese
Anrechnung trifft nach Sozialgesetzbuch (SGB) II - wie auch schon nach den bis Dezember
2004 geltenden früheren Bestimmungen zur Arbeitslosenhilfe gemäß SGB III und
Bundessozialhilfegesetz
gleichgeschlechtlichen
-
nicht
nur
Eheleute
Lebensgemeinschaft,
und
sondern
eingetragene
auch
Partner
einer
verschiedengeschlechtliche
Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, wenn diese als „eheähnlich“ eingestuft
wird.
Die im konkreten Fall betroffenen Personen bestritten jedoch, dass sie in „eheähnlicher Lebensgemeinschaft“ lebten, es sei vielmehr ein Miet- oder Untermietverhältnis gewesen, das
inzwischen auch durch den Umzug der Frau zu ihrer Schwester beendet worden sei. Der Außendienst des Sozialamts hatte bei einem Hausbesuch im Jahre 2004 jedoch eine „eheähnliche“ Lebensgemeinschaft festgestellt, weil der Mann „nur mit Unterwäsche bekleidet“ in der
Wohnung der Frau angetroffen worden war; zudem hatte sich im Schlafzimmer „ein für zwei
Personen hergerichtetes Doppelbett“ befunden. Daraus zog das Sozialamt den Schluss, dass
zwischen dem Mann und der Frau eine „häusliche“ und „wirtschaftliche“ Gemeinschaft bestehe. Daher rechnete es Einkommen des Mannes auf den ALG II-Anspruch der Frau (ab
1.1.2005) an, der Anspruch reduzierte sich auf Null.
Eine solche Konstellation, in der die Behörde eine eheähnliche Gemeinschaft annimmt, die
Betroffenen sie aber bestreiten, kommt in der Praxis häufig vor und wäre insofern kaum berichtenswert, zumal das Sozialgericht Düsseldorf hier in erster Linie darauf verwies, dass die
vorgebrachten Tatsachen (spärlich bekleideter Mann, bereitstehendes Doppelbett) für die Annahme einer „eheähnlichen Lebensgemeinschaft“ nicht ausreichten. Eine eheähnliche Ge-
3
meinschaft setzt nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus,
dass die Beziehung über eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Es müssen
so enge persönliche Bindungen bestehen, dass von der Frau und dem Mann „ein
gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden“ kann.
Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Anforderungen in seinem „Arbeitslosenhilfeurteil“
vom 17. November 1992 (1 BvL 8/87) formuliert und damit den Kreis der
Einstandspflichtigen enger gezogen, als die Sozial- und Arbeitsämter ihn bis dahin definiert
hatten. Es hat dies jüngst in seinem Beschluss vom 2. September 2004 (1 BvR 1962/04), der
auch die Datenerhebung einschränkt, bekräftigt.
Sozialgericht Düsseldorf zum Zweiten: Einstandspflicht des „eheähnlichen“ Partners
verstößt gegen allgemeinen Gleichheitsgrundsatz!
Wie gesagt, das ist nicht die Besonderheit der sozialgerichtlichen Entscheidung, denn es
kommt häufig vor, dass Betroffene sich gegen die kurzschlüssigen Mutmaßungen des
Arbeits-
oder
Sozialamts
unter
Berufung
auf
die
Grenzziehung
durch
das
Bundesverfassungsgericht wehren, soweit es um das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen einer
„eheähnlichen“ Lebensgemeinschaft geht. Die Bedeutung der Entscheidung liegt vielmehr
darin, dass das Sozialgericht hier auch die verfassungsrechtliche Legitimität der
Gesetzesbestimmungen in Frage gestellt hat, die die Ausweitung der Einstandspflichten von
Eheleuten und eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnern auf nicht verheiratete
heterosexuelle Paare anordnen. Verfahrensrechtlich und entscheidungslogisch kam es auf
diese Beurteilung nicht an, weil das Sozialgericht schon die Annahme einer eheähnlichen
Beziehung im konkreten Fall aus tatsächlichen Gründen für unzulässig hielt. Deshalb
brauchte das Gericht das konkrete Verfahren nicht auszusetzen und konnte die Frage der
Verfassungswidrigkeit dem Bundesverfassungsgericht nicht vorlegen. Dies wäre nämlich
normalerweise der Gang der Dinge bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von
Gesetzesbestimmungen, weil nur das Bundesverfassungsgericht gesetzliche Normen für
verfassungswidrig erklären darf, nicht aber ein normales Fachgericht. Daher handelt es sich
hier nur um eine Rechtsmeinung der 35. Kammer des Düsseldorfer Sozialgerichts. Es ist aber
zu erwarten,
dass sie eine (fach-)öffentliche Debatte
anregt und zu weiteren
Gerichtsverfahren führt. Auf diese Weise könnte die Infragestellung der gesetzlichen
Gleichbehandlung von heterosexuellen Ehen und Nicht-Ehen irgendwann dann doch zur
Überprüfung in Karlsruhe landen.
Mit welchem Argument wird nun die gesetzliche Gleichbehandlung von verheirateten und
„eheähnlichen“ Paaren bezüglich der Anrechnung von Partnereinkommen in Frage gestellt?
4
Ist nicht gerade durch das Bundesverfassungsgericht bereits 1992 entschieden worden, dass
diese Gleichbehandlung mit dem Grundgesetz vereinbar und sogar geboten ist, damit nicht
Eheleute gegenüber Unverheirateten benachteiligt werden? Dies war nämlich das Argument,
weshalb der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts damals die entsprechende Gleichbehandlungsklausel Klausel im Arbeitsförderungsgesetz für verfassungsgemäß hielt. Das Verfassungsgericht bezog sich auf seine langjährige und bis heute „herrschende“ Interpretation
des Art. 6 Abs. 1 GG: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen
Ordnung“. Weil nach dem Verfassungswortlaut nur die Ehe diesen Schutz genießt, dürfe sie
nicht dadurch institutionell demontiert werden, dass es rechtlich und faktisch in bestimmten
Situationen günstiger gemacht werde, nicht verheiratet zusammen zu leben.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem „Arbeitslosenhilfeurteil“ vom 17. November
1992 auch keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 Abs. 1 GG
in dem Umstand gesehen, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht von der Anrechnung von
Partnereinkommen betroffen waren. Da die „eheähnliche“ Gemeinschaft in der Realität
häufiger
vorkommt
als
Bundesverfassungsgericht,
die
dürfe
homosexuelle
Gemeinschaft,
der Gesetzgeber
so
argumentierte
die heterosexuelle
Variante
das
als
ausgeprägten „sozialen Typus“ regeln und die andere Lebensform ungeregelt lassen.
Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt noch kein formales Rechtsinstitut, das den
gleichgeschlechtlichen Partnern offen gestanden hätte, so dass es an einer Parallelisierung der
homosexuellen Konstellationen (mit und ohne amtliche Registrierung) im Vergleich zu den
Konstellationen von Ehe und eheähnlicher Gemeinschaft fehlte.
Maßstäbe gegen die Überforderung der Partnersolidarität: Das „Arbeitslosenhilfeurteil“ des Bundesverfassungsgerichts
Obwohl das Bundesverfassungsgericht 1992 in erster Linie den Status Quo im Hinblick auf
die Anrechnung von Partnereinkommen und die Gleichbehandlung von Ehen und nichtehelichen Paaren bezüglich der Lasten bestätigt hat, bedeutete das Urteil dennoch eine Einschränkung der Anrechnungspraxis der Arbeitsämter: Wenn nichteheliche Paarbeziehungen der Ehe
in den Pflichten gleichgestellt werden, so argumentierte das Bundesverfassungsgericht, müssen diese der Ehe zumindest ähneln. Eine eheähnliche Gemeinschaft besteht nicht notwendigerweise, wenn Menschen zusammen leben oder in einem Bett schlafen. Maßgeblich ist dagegen, ob die Personen eine so enge Beziehung führen, dass von ihnen erwartet wird, dass sie
„in den Not- und Wechselfällen des Lebens“ für einander einstehen.
5
Auch für das Ausmaß der Anrechnung verordnete das Bundesverfassungsgericht 1992 eine
Korrektur: Es erklärte die bis dahin gültigen, sehr geringen Freibeträge für die Anrechnung
von Partnereinkommen – wegen des dadurch ausgeübten Zwangs zur „Alleinverdienerehe“ für verfassungswidrig und ordnete an, dass der Selbstbehalt mindestens in Höhe der eigenen
hypothetischen Arbeitslosenhilfe des verdienenden Partners anzusetzen sei. Das bedeutete,
dass in vielen Fällen weniger angerechnet wurde und der arbeitslosen Partnerin –
mehrheitlich handelt es sich um Frauen – mehr von ihrem Sozialleistungsanspruch verblieb.
Entsprechend wurde das Gesetz geändert und die Berechnung des Selbstbehalts umgestellt.
Nur noch der über die hypothetische Arbeitslosenhilfe hinausgehende Teil des Partnereinkommens durfte angerechnet werden, wobei weitere Freibeträge für Kindesunterhalt und
Werbungskosten hinzu kamen und ein Mindestselbstbehalt in Höhe des steuerlichen und sozialrechtlichen Existenzminimums angesetzt wurde. Dieser Regelungszustand hielt an bis Ende
2002. Zum 1. Januar 2003 reduzierte die Gesetzgebung im Zuge von „Hartz I“ den Selbstbehalt auf 80%, ähnliches geschah mit der Vermögensanrechnung. Die jüngste Umstellung auf
das ALG II vollzog schließlich einen vollständigen Systemwechsel, da die Arbeitslosenhilfe,
berechnet als Prozentsatz des früheren Nettoerwerbseinkommens, von einem einheitlichen,
nur nach Ost und West differenzierten Pauschalbetrag abgelöst wurde. Hier kann es keine
dynamische Berechnung des Selbstbehalts für den verdienenden Partner mehr geben,
nunmehr wird alles angerechnet, was den eigenen hypothetischen Regelsatz des Partners
samt Mietanteil und eventuellen Zuschlägen übersteigt.
Was hat sich seit 1992 verändert?
Zusammenfassend lässt sich also resümieren, dass sich die rechtliche und tatsächliche gesellschaftliche Situation seit dem Arbeitslosenhilfeurteil des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich verändert hat und die Widersprüche in den Regelungen der verschiedenen hetero- und
homosexuellen Formen des Zusammenlebens eine Generalrevision der Rechte und Pflichten
erforderlich machen. Dies bringt das Sozialgericht Düsseldorf zum Ausdruck. Durch die
Schaffung des neuen Rechtsinstituts der „Homoehe“, der eingetragenen Lebenspartnerschaft
für gleichgeschlechtliche Personen, ist die Situation zusammenlebender Männer und Frauen
auf der gleichgeschlechtlichen Seite gegenüber der Situation auf der verschiedengeschlechtlichen Seite parallelisiert worden und damit ist, im Tonfall des Bundesverfassungsgericht, eine
soziale Lebensform „typisiert“ worden. Nun gibt es für beide sexuelle Orientierungen die
Möglichkeit der amtlich und rechtsförmig manifestierten Partnerschaft mit einhergehenden
Rechten und Pflichten. Männer und Frauen, die sich in Zweisamkeit binden wollen, haben
somit die Wahl, einerseits zwischen der sexuellen Orientierung und andererseits zwischen
Rechtsbindung oder rechtlicher Unverbindlichkeit. Damit aber muss der Gleichheitsgrundsatz
6
des Art. 3 Abs. 1 GG beachtet werden. Er besagt, dass wesentlich gleiche Situationen auch
rechtlich gleich behandelt werden müssen.
Auswege aus dem Gleichbehandlungsdilemma?
Was folgt nun aus dem vom Sozialgericht Düsseldorf behaupteten verfassungsrechtlichen
Widerspruch, aus der gesellschaftspolitischen Gleichsetzung von Ehe und Homoehe und der
Verknüpfung mit der Frage der Einstandspflicht? Welche politischen Lösungen für das beschriebene verfassungsrechtliche Dilemma sind denkbar?
Das konservative Lager
Konservative Politiker und Juristen werden sich sicherlich darin bestätigt sehen, dass die Einrichtung der „Homoehe“ der Anfang des Übels gewesen sei. Sie würden in einer legislativen
Diskussion die Gleichbehandlung der echten, gottgewollten heterosexuellen Ehe mit der trotz
rechtlicher Anerkennung doch weiterhin „auf Abstand“ zu haltenden homosexuellen Lebenspartnerschaft ablehnen und bekämpfen. Jedenfalls aber würden sie geltend machen, dass der
Ausweg aus dem durch Rot-Grün geschaffenen Dilemma nicht dazu führen dürfe, dass ordnungsgemäß Verheiratete gegenüber verschiedengeschlechtlichen „wilden Ehen“ ins Hintertreffen geraten. Den konservativen Kreisen mag auf diese Weise ein weiteres Mal der Untergang des Abendlandes vor Augen stehen, wenn sich Partner „eheähnlicher“ Konkubinate als
Konsequenz der Institutionalisierung von homosexuellen Partnerschaften finanziell besser
stünden als brave Eheleute. Das widerspräche dem Verfassungsrang der Ehe (Art. 6 Abs. 1
GG). Es wäre der Supergau, die glatte Aushöhlung der Ehe zugunsten anderer
Lebensformen!
Die Pragmatiker der geordneten Finanzen
Realpolitisch eingestellte Akteure und allen voran der Bundesfinanzminister, egal von welcher Partei er gestellt wird, würden sich angesichts des Gleichbehandlungsdilemmas vermutlich auf die logisch andere Seite schlagen und als Ausweg dann eben die Gleichbehandlung
der nicht eingetragenen „Homoehen“ mit den heterosexuellen „eheähnlichen“ Beziehungen
propagieren. Denn Realpolitiker hätten – ganz unideologisch - in erster die Finanzierung der
subsidiären Sozialleistungen im Auge. Als Begründung würden sie anführen, dass die Zahlungen von der Gesamtheit der Steuerzahler aufgebracht werden müssten. Da wäre die
Verringerung der Anspruchsberechtigten nur willkommen.
Wenn aber nun auch gleichgeschlechtliche Partner, die zwar auch keinerlei Rechte beanspruchen können, bislang aber wenigstens ohne gegenseitige Einstandspflichten zusammen leben
durften, ebenfalls ihre arbeits- oder erwerbslosen Mitbewohner oder Mitbewohnerinnen,
7
soweit diese das Millionenschicksal der Langzeitarbeitslosigkeit teilen, „durchfüttern“ müssten, dann läge vielleicht auch bald eine Ausweitung auf reine Wohngemeinschaften nahe.
Fazit: Einstands- und Unterhaltspflichten ohne triftigen Rechtsgrund
Spätestens an dieser Stelle drängt sich die generelle Frage auf, worin der Rechtsgrund für die
ausgeweitete Einstandspflicht, die eine faktische Unterhaltspflicht ist, bei den genannten
Gruppen bestehen soll. In der Sexualität, in der Liebe oder im schlichten Zusammenwohnen?
Sexualität würde ausscheiden wegen des Schutzes der Intimsphäre als Teil des Persönlichkeitsrechts, schon jetzt gilt laut Bundesverfassungsgericht, dass das Bestehen sexueller Beziehungen nicht als Kriterium herangezogen werden darf, schon gar nicht für Nachforschungen
von Behörden. Eine Herleitung aus der Liebe kann nur auf bestehende Bindungen und deren
freiwillige finanzielle Konsequenzen bezogen werden, Unterhalt wird aber weit darüber
hinaus gesetzlich angeordnet; und das Zusammenwohnen schließlich trägt auch keine so
weitgehenden Kürzungen des staatlich für das bedürftige Individuum garantierten
Existenzminimums, denn die Ersparnis des gemeinsamen Wirtschaftens ist wesentlich geringer.
Es wird also deutlich, dass die Suche nach dem rechtsethischen Grund für die
Einstandspflicht des Partners einer eheähnlichen Beziehung genauso scheitert wie das
kreative Nachdenken über originäre Gründe für die weitere Ausdehnung der faktischen
Unterhaltspflicht. Denn der eigentliche Grund für die Einstandspflicht ist die Ehe bzw. die
eheliche Unterhaltspflicht, und genau sie liegt in den beschriebenen Fällen nicht vor. Wenn
es die Rechtsform der Ehe nicht gäbe, gäbe es auch keine Einstandspflicht für unverheiratete
Paare, da diese lediglich aus dem verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe und dem Verbot, sie
als Institution zu benachteiligen, abgeleitet wird. Wie aber sieht es mit dem Rechtsgrund für
die eheliche Unterhaltspflicht aus?
8
Woher kommt die eheliche Unterhaltspflicht?
Das deutsche Ehe- und Familienrecht baut genau wie das System der Sozialversicherung und
der subsidiären sozialen Hilfen auf den gesellschaftlichen und geschlechterpolitischen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts auf. Die Beziehung zwischen Männern und Frauen war entsprechend den Vorstellungen von den polaren Geschlechtscharakteren hierarchisch und patriarchalisch geprägt. Frauen waren in der bürgerlichen Gesellschaft zur Erledigung der Hauswirtschaft und Kindererziehung bestimmt, Männer hatten Erwerbsarbeit zu leisten sowie Frau
und Kinder zu ernähren. Die Wirklichkeit der breiten Masse der Bevölkerung entsprach dem
nicht, das tat dem bürgerlichen Ideal jedoch keinen Abbruch. In der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts wurden die Rechtsstrukturen formal dem Grundsatz der Gleichberechtigung der
Geschlechter angepasst, indem man die zivilrechtlichen und sozialrechtlichen Ansprüche von
Männern und Frauen geschlechtsneutral fasste. Die faktischen Strukturen der geschlechtsspezifischen Benachteiligung von Frauen beim Zugang zu existenzsichernder Berufsarbeit
haben sich jedoch nicht gleichermaßen gewandelt, die strukturellen Anreize im Steuer- und
Sozialsystem blieben an der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und Existenzsicherung
orientiert (für Männer: Erwerbstätigkeit und Sozialversicherungsansprüche, für Frauen:
Unterhalt, abgeleitete Sozialversicherungsansprüche und subsidiäre soziale Hilfen, wenn der
Ernährer ausfällt). Hier also wäre zur „tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung“
von Erwerbsleben und Sozialsystemen die Individualisierung der Ansprüche und Leistungen
konsequent zu Ende zu führen.
Denn die weiter existierende Zwangsvergemeinschaftung der Ehepartner führt zu einem
Double-Bind-Effekt, einer systematischen Widersprüchlichkeit: Nach wie vor werden Frauen
nicht als gleichberechtigte Erwerbsbürgerinnen gesehen, sondern primär als für die Familienarbeit Zuständige und daher nur eingeschränkt verfügbare Arbeitskräfte. Das hat
generelle Folgen für alle Frauen, selbst wenn sie keine Kinder und keinen Ehemann haben.
Potentiell ist jede Frau, zumindest in jüngeren Jahren, eine mögliche Mutter und
Heiratskandidatin. Denn jeder weiß, dass sie dann durch den jeweiligen Ehemann oder
„eheähnlichen“ Partner, wenn vorhanden, „ernährt“ werden muss, wenn sie kein eigenes
Einkommen hat. Also braucht der Staat sich um diese Personen arbeitsmarkt- und
sozialpolitisch nicht zu kümmern, sie gelten als „versorgt“. Formalrechtlich gilt dies auch für
einkommenslose Ehemänner, soweit die Frau ausreichend Geld verdient, tatsächlich ist diese
Konstellation jedoch selten. Männer gelten zumindest im Erwerbsleben noch als primär
verfügbare Arbeitskräfte, bei denen sich eine Investition in ihr Humankapital eher „rechnet“
als bei Frauen. Sie fallen bislang nur in Ausnahmefällen vereinzelter „neuer Väter“ aus der
ihnen zugeschriebenen Rolle.
9
Der Ehegattenunterhalt verweist so auf eine private Verantwortung, auch wenn es vielfach
rein strukturelle Risiken (namentlich die Risiken der Langzeitarbeitslosigkeit, geschlechtsspezifischen Diskriminierung und entsprechender Folgen im Alter) sind, die der Unterhalt
ausgleichen soll und auch wenn diese private Versorgung immer weniger funktioniert.
Entsprechende Anreize in Form des Ehegattensplittings und anderer Bevorzugungen des
(meist männlichen) Ernährers sollen die Zuweisung von privater Verantwortung für die
Existenzsicherung erwachsener Individuen abmildern. Auch das mag ein Grund sein, warum
das Ehegattensplitting noch nicht abgeschafft oder wenigstens abgebaut wurde. Ähnlich
funktioniert die Arbeitsmarktpolitik: Nicht umsonst war in der ersten Fassung der HartzVorschläge ganz selbstverständlich von der forcierten Vermittlung der „Familienväter“ die
Rede.
Private Haftung für die strukturellen Mängel des Systems der Existenzsicherung?
Zurück zur sozialrechtlichen Einstandspflicht der eheähnlichen Partner: Sie leitet sich also
aus der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht der Ehegatten ab, und auch diese gerät durch die
Frage nach ihrem rechtsethischen Grund in die Legitimationskrise. Zivilrechtlich gelten
nämlich strengere Begründungsanforderungen für die Statuierung einer gesetzlichen
Zahlungspflicht als im öffentlichen Recht (Steuer- und Sozialrecht), wo vernünftige Gründe
des
Gemeinwohls
und
die
Beachtung
des
Gleichheits-
und
des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes meist ausreichen, um im Zuge eines solidarischen
Abgabesystems, etwa durch Steuern oder Sozialversicherung, Finanzierungsbeiträge für
Sozialleistungen zu erheben. Im Zivilrecht sieht die Sache anders aus, wenn A den
Lebensunterhalt für B zahlen soll. Hier hängt der Rechtsgrund einer gesetzlichen Haftung
meist mit dem Verursacherprinzip zusammen. Davon kann man zwar bei der
Unterhaltspflicht für minderjährige Kinder ausgehen, weil diese sich nicht selbst ernähren
können, im Fall der ehelichen Unterhaltspflicht ist dieser Haftungsgrund jedoch heute nicht
mehr einschlägig. Die Fälle, in denen der Mann seiner Ehefrau die Erwerbstätigkeit verbietet,
weil es angeblich seinem Ansehen als Familienernährer schadet, dürften äußerst selten geworden sein.
Die konservative Interpretation nimmt als Rechtsgrund die „Schicksalsgemeinschaft“ der
Eheleute an. Was dies konkret bedeuten könnte und wie es sich mit den Grundsätzen zivilrechtlicher Verantwortungszurechnung verträgt, wird immer unklarer. Fest steht, dass das
Rechte- und Pflichtenpaket staatlich vorformuliert ist und damit – auch durch Eheverträge –
kaum von den Betroffenen beeinflusst werden kann; auch steht keine metaphysische
Schicksalsmacht dahinter, die Regelungen sind vielmehr durch Politik, d.h. demokratisches
Aushandeln, gesetzt worden. Ausgedient hat auch das „Wesen der Ehe“, da die Definition
10
dieser den beteiligten Personen obliegt und sich allmählich in rein emotionaler Bindung
erschöpft. Die ausgehandelten Regelungen müssen sich jedoch an die Verpflichtungslogik
des Zivilrechts halten, sonst wird über kurz oder lang ihre Legitimität angezweifelt. Das heißt
also, dass sich der Rechtsgrund für die eheliche Unterhaltspflicht kaum noch rational
begründen lässt.
Der längerfristige Ausweg aus dem Gleichbehandlungsdilemma
Dagegen ergibt sich ein Recht auf eine eigenständige Existenzsicherung für das Individuum
aus dem gleichen Staatsbürgerstatus der Männer und Frauen. Entsprechend ist es Aufgabe
demokratischer Politik, das Erwerbs- und Sozialsystem so zu gestalten, dass sich die
längerfristigen Sicherungschancen der Person nicht durch die – in der Regel nur für
Zeitabschnitte kalkulierbare – Form des Zusammenlebens mit einer anderen erwachsenen
Person verschlechtern.
Auch die Funktionsdefizite des Systems Ehegattenunterhalt, die sich insbesondere bei Trennung und Scheidung zeigen, die aber ebenso während des Zusammenlebens dazu führen, dass
die Erwerbsintegration von Frauen gesellschaftlich nicht vorankommt, legen eine Umstellung
auf ein öffentlich-rechtlich organisiertes System der staatsbürgerlichen Solidarität nahe. Wie
könnte dies aussehen? Hierzu wären nicht nur die rechtlichen Schnittstellen zum Sozialrecht,
sondern auch die zum Steuerrecht und Arbeitsrecht einer Überprüfung zu unterziehen.
Überkommene Zwangsvergemeinschaftungen, die für Frauen den Anreiz zur Erwerbstätigkeit reduzieren, sind abzuschaffen, offenkundig auf der „Abschussliste“ steht dabei
sicherlich das steuerliche Ehegattensplitting. Mehr Einkommensgerechtigkeit durch den
Abbau von mittelbarer Diskriminierung in den Tarifverträgen und Lohnfindungssystemen
könnte ebenso wie der Abbau von Benachteiligung gegenüber Frauen beim Zugang zu
attraktiveren Berufspositionen dazu beitragen, dass Frauen gleichrangige Verdiener in ihren
Partnerschaften werden und damit die Notwendigkeit der Alimentation durch Unterhalt
entfällt oder gemindert wird. Wichtig sind dabei flankierende Maßnahmen der Schaffung von
funktionierender Kinder- und Altenbetreuung sowie eine Arbeitszeitpolitik, die auch
Männern und Vätern die Übernahme ihrer Hälfte der Haus- und Familienarbeit ermöglicht
und attraktiv macht.
Im Bereich der Sozialleistungen sollten daher möglichst Lohnersatzleistungen konzipiert
werden, z.B. für die Elternzeit; zu erwägen wären auch gezieltere Leistungen für bestimmte
Bedarfslagen im Zusammenhang mit der Familienarbeit und dem Vereinbarkeitsrisiko
(Stichwort: Familienkasse). Für das gesellschaftliche Hauptrisiko „Arbeitslosigkeit“ sollte
ernst gemacht werden mit dem zweiten Teil des Slogans „Fordern und Fördern“. Das
bedeutet eine effektivere Förderung zur Wiederbeschäftigung, Weiterqualifizierung, zur
11
Erleichterung
flexibler
Arbeitszeitmodelle,
von
Jobrotationen
und
Statuswechsel.
Skandinavische Länder, aber auch die Niederlande scheinen mehr Erfolg mit solcherlei
Beschäftigungspolitik zu haben, insbesondere Schweden, Dänemark und Finnland haben aber
auch
beizeiten
die
Erwerbstätigkeit
von
Frauen
ausgeweitet
und
unterstützen
am
Werke. Die
Gleichstellungsmaßnahmen auch in der Privatwirtschaft.
In
Deutschland
dagegen
ist derzeit
kein
Beschäftigungsmotor
Binnennachfrage geht immer weiter zurück, die Löhne und „Arbeitskosten“ werden
zugunsten des Exports nach unten gedrückt. Die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts vollzieht
sich im Sozialstaatsabbau. Das kann wohl kaum erfolgreich sein. Die aktuellen Erfahrungen
mit Hartz IV weisen darauf hin, dass sich ohne eine Belebung der Binnennachfrage und
Binnenkaufkraft fast nichts von dem hohen Anspruch der Mobilisierung der Arbeitslosen
verwirklichen lässt. Es fehlen schlicht die Arbeitsplätze und es ist auch nicht ersichtlich,
woher sie kommen sollen, wenn selbst die Billigjobs noch vom Ein-Euro-Sektor verdrängt
werden.
Sollte eine Erfolg versprechende Arbeitsmarktpolitik dennoch auf Touren kommen, so
müssten von sinnvollen Förder- und Strukturmodernisierungsmaßnahmen aber auch
scheinbar „versorgte“ Ehefrauen von verdienenden Männern profitieren können. Gleichwohl
werden viele Menschen längere Zeit arbeitslos bleiben und somit zeitweise ALG II oder
ähnliche, grundsätzlich subsidiäre Sozialleistungen beziehen. Hier wäre ein Übergang zur
Gewährung der Leistung ohne Anrechnung von Partnereinkommen sicherlich nicht von heute
auf morgen zu finanzieren. Aber ein Nachdenken über eine geschlechteregalitär und
sozialstaatlich gestaltete Individualisierung der sozialen Sicherung sollte auch für die
subsidiären Leistungen einsetzen und vor dem Verfassungsdogma der vermeintlich unter
allen Umständen zu privilegierenden Ehe nicht Halt machen. Die Interpretation der Ehe lässt
sich durchaus modernisieren, Einstands- und Unterhaltspflichten lassen sich schrittweise verringern, so dass möglicherweise Ressourcen für solidarische Unterstützungssysteme auf der
staatsbürgerlichen Ebene frei werden.
23.2.05

Documentos relacionados