Nach fast 35 Jahren erneuert Linn seinen Kultplattenspieler LP12
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Nach fast 35 Jahren erneuert Linn seinen Kultplattenspieler LP12
H I F I E X K L U S I V P L AT T E N S P I E L E R Schlicht und ergreifend Nach fast 35 Jahren erneuert Linn seinen Kultplattenspieler LP12. Der kommt zwar auch als „Super Evolution“ so schlicht wie eh und je daher, hatte bei uns aber dennoch einen ergreifenden Auftritt von Matthias Böde eder Marketingstratege würde dieses Produkt für schier unverkäuflich halten. Oder glauben Sie, man könnte einen Opel Kadett vom Anfang der Siebziger selbst mit hochwertigsten Innereien heute noch an den Mann bringen? Selbst eine Niveadose sieht inzwischen anders aus als vor 35 Jahren. Doch der schottische Hersteller Linn lässt seinen legendären Subchassis- J 44 STEREO 4/2007 Plattenspieler LP12, der 1972 den Namen des Herstellers begründete und seither wie keine andere Komponente mit ihm verbunden ist, auch in seiner Neuauflage bis auf Kleinigkeiten optisch unverändert. Und während die Mitbewerber Prachtbauten aus Acryl und Chrom präsentieren, vertritt der LP12 das Ideal schlichter Schönheit. Zeitlos ist diese in jedem Fall. Über die Jahrzehnte hinweg hat Linn allen Moden zum Trotz rund 110000 LP12 weltweit verkauft. Und das von einem Gerät, das nicht erst in der aktuellen Version und bei „amtlicher“ Bestückung fast den Wert eines VW Golf darstellt. In einer solchen bekamen wir den LP12 SE in die Redaktion. Das nackte Top-Laufwerk schlägt nun mit rund 5300 Euro zu Buche, der vollkommen neue Tonarm Ekos SE kostet 4950 Euro, die überarbeitete „Trampolin“-Bodenplatte 230 Euro. Als LP12SE (Super Evolution) steht er in dieser Form zum Komplettpreis von 10 000 Euro in der Preisliste. Kommt noch der Top-MCTonabnehmer Akiva für 2975 Euro sowie das hochpräzise Lingo-Netzteil dazu, für das etwa 1460 Euro locker gemacht werden müssen. Sorgen um ihren Absatz machen wir uns ob dieser Preise nicht, genießt diese Analog-Ikone doch einen geradezu sagenumwobenen Ruf. „Wir haben nie behauptet, dass der LP12 der beste Plattenspieler der Welt ist“, sagt Uli Michalik vom hiesigen Linn-Vertrieb verschmitzt. Mag sein, aber dieser Anspruch der Unangreifbarkeit, die Selbstverständlichkeit, dass nach ihm erstmal lange nichts kommt, schwang stets im Unterton mit, und widersprochen wurde solchen Meinungen auch nicht. Es existieren tränenselige Briefe von Hörern, die der LP12 zu besseren Menschen geläutert haben soll, und viele bestätigen, dass er die wichtigste Anschaffung ihres Lebens gewesen sei. Die emotionale Bindung der Fan-Gemeinde an ihren Dreher ist eine ungeheure. Wahn oder Wahrheit? Fakt ist, dass der Mythos LP12 im Kontrast zu seiner simplen Erscheinung steht. Aber ist das bei einer Leica M3 nicht auch so? Die wichtigste Laufwerksänderung beim neuen SE-Modell ist das nun aus einem Stück Aluminium gefräste Subchassis „Keel“, das nach wie vor auf drei Spiralfedern gelagert ist und so den Teller und den Tonarm vom Gehäuse und dem Synchronmotor entkoppelt. Es soll ultimative Stabilität und Resonanzarmut bieten und dem bisherigen Stahlblechträger hinsichtlich Gewicht und Schwerpunkt bis aufs Zehntel Gramm beziehungsweise Grad entsprechen. In der Basisversion ist das Laufwerk übrigens für 2285 Euro im Programm. Bildet bei ihr das Subchassis, das mit ihm verklebte Arm-Board aus MDF und der Befestigungsflansch des Tonarms ein dreiteiliges Konglomerat, vereinigt das Keel diese Parts in einem Stück. Besitzer eines alten LP12 können diesen mit dem Keel aufrüsten, das solo allerdings mit rund 3150 Euro ins Kontor schlägt. 4/2007 STEREO 45 H I F I E X K L U S I V P L AT T E N S P I E L E R Nun aber Schluss mit dem schnöden Mammon. Stellen wir lieber den Plattenspieler auf und entdecken seine Details. Wir tun das gemeinsam mit Alexander Wabbel, Account Manager bei Linn Deutschland und ebenfalls gründlich „verstrahlt“. Er liebt den LP12 und besitzt nicht mal einen CD-Spieler. Auch keinen von Linn. Der Termin beginnt mit einer Panne. „Unser“ LP12 ist in Glasgow stehen geblieben. Wabbel baut deshalb sein Händler-Demo-Gerät auf. Das kommt aus dem kalten Auto. Macht nichts, denn die Lager des neuen Ekos SE-Arms haben einen gleichmäßigen Temperaturkoeffizienten. Ob’s warm oder kühl ist, sei deshalb egal. Ihre Toleranz soll unterhalb eines Mikrons liegen. „Ferti- LP12-Experte Alexander Wabbel hat den Spieler aufgebockt, seine Grundplatte entfernt und kontrolliert, ob das Subchassis korrekt schwingt Auch der feste Anzug der Schraube, die den Ekos-Arm im Flansch fixiert, ist für die Wiedergabequalität von entscheidender Bedeutung Zum Schluss wird der Riemen mit Pronto-Möbelpflege abgewischt. Die Dose gehört zu Wabbels Grundausstattung. Aber „Classic“ muss es sein 46 STEREO 4/2007 gen kann man das nicht mehr“, kommentiert Michalik ehrfurchtsvoll, „das schafft man nur noch durch Matching“, also die geschickte Kombination der Teile. Die einzelnen Elemente sind fein säuberlich verpackt, der Arm demontiert. Nötig wäre das nicht, so Wabbel, aber er gehe immer auf Nummer sicher. Mit geübten Griffen steckt er den Ekos SE, dessen Schaft aus Gründen der Gewichtsverteilung aus Edelstahl und einer Messinglegierung besteht, in den Flansch und zieht die seitliche Befestigungsschraube leicht an. Die ist für definierten Kontakt nun vorne abgerundet und läuft im Interesse optimaler Kraft- ST I C H WO RT wirkung leicht Infraschall schräg durch den Unhörbare, extrem tieffrequente Signale, die Flansch. beim Abtastvorgang Ruckzuck ist das entstehen. Bei korrekt zum Lieferumfang eingestelltem Subchasgehörende „T- sis werden sie kaum anCable“ eingesteckt, geregt. das Linns „Silver“NF (um 400 Euro) entspricht, aber effektiver abgeschirmt wurde und das ebenso wenig wie das Massekabel des Trampolins das Schwingen des Subchassis behindern darf. Nach wenigen Minuten steht der Plattenspieler in seiner Zarge aus abgelagertem Vollholz vor uns. Nun senkt Wabbel das eingebaute MC-System Akiva auf die stehende Platte ab, dreht die Lautstärke des angeschlossenen Vorverstärkers weit auf und tippt sacht von oben auf die Tellerachse. Das Subchassis schwingt dem Augenschein nach exakt kolbenförmig. Doch der Linn-Mann ist noch nicht zufrieden, denn erstens wackeln die Tieftöner der Lautsprecher aufgrund des durch die Anregung erzeugten Infraschalls, und zweitens ist ein leises metallisches Geräusch hörbar. „Das ist eine Feder, die anschlägt“, weiß Wabbel, holt seinen speziellen Einstelltisch, demontiert das Trampolin und kann nun von unten das Subchassis nachjustieren. Schnell findet er den Grund für das leichte Taumeln und begradigt die Sache. Jetzt ist bei schwingendem Subchassis nichts mehr Das Massekabel des Trampolins wird mit dem Chassis verbunden, wobei der Draht auf keinen Fall das Subchassis behindern darf Das Top-MC Akiva hat einen BorNadelträger und einen Diamanten mit „Fine Line“-Schliff. Das Headshell ist aus Alu, das SE-Rohr aus festem Titan Aus Gründen der Gewichtsverteilung besteht der Schaft des in aufwändiger Handarbeit gefertigten EkosSE aus unterschiedlichen Materialien Die Auflagekraft sowie die Antiskating werden am EkosSE wie gehabt per sämig laufenden Drehrädchen eingestellt aus den Boxen zu hören, und – oh Wunder – auch deren Tieftöner stehen still. So soll es sein. Wir können die erste Schallplatte auflegen. Die Ehre gebührt Earl Klughs „Finger Paintings“ in der edlen Generationen-Treff Was bringt die „Super-Evolution“ dem LP12? STEREO machte den Vergleich eine Frage, der LP12SE gehört zur absoluten Plattenspieler-Crème. Doch wie groß ist der Abstand zum bisherigen Standard wirklich? Wir machen den Praxistest bei einem LP12-Besitzer in einer kompletten Linn-Kette mit aktivierten Keltik-Boxen. Dessen Dreher ist nach alter Lesart auf dem höchsten Niveau, hat vor wenigen Wochen erst einen Akiva-Abtaster sowie eine ausführliche Justage bekommen. Und zwar von eben jenem Alexander Wabbel, der auch unser Testgerät auf den Punkt gebracht hat. Wir starten mit Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“. Eine alte Columbia-Einspielung mit Eugene Ormandy liegt auf den traditionellen Filzmatten. Schon das bisherige Modell bringt die Dynamik gut ‘rüber, lässt das Orchester kräftig durchatmen und die Pauken grollen. Mehr Druck entwickelt der SE auch nicht, doch spielt er sauberer und trennt im Fortissimo die Instrumente viel besser voneinander, während der alte LP12 deutliche Interferenzen bildet, aber sehr sonor und sympathisch erscheint. Im Zusammenhang mit Titeln von „Cash“, dem genialen letzten Album von Johnny Cash, ergeben sich ganz ähnliche Klangbilder: Die SuperEvolution spielt extrem aufgefächert, feingliedrig und trotz aller Substanz leicht, lässt Gitar- K MFSL-Fassung. Die Saiten der Gitarre müssen flirren, ihr Korpus darf nicht zu schmächtig werden. Wabbel unterbricht nach einigen Sekunden den Vortrag und stellt den Arm ein wenig höher beziehungsweise tiefer. Steht er zu hoch, ist die Wiedergabe zu dünn, bei zu tiefer Basis wird sie leicht mulmig, schwerfällig. Bald ist der Punkt gefunden, bei dem die Parameter im optimalen Verhältnis zueinander stehen. rensaiten rascheln und und gibt Cashs prägnante Stimme nicht zu fett wieder. Die Standardausführung tönt runder, kompakter und gerade im Grundtonbereich kräftiger, was Cashs dunklem Timbre durchaus entgegen kommt. Wie schon in unserem Kurzcheck während der CES in Las Vegas (STEREO 3/07) stellt sich anfänglich der Eindruck ein, dass der SE-LP12 im highfidelen Sinne besser klingt, größere Räume zaubert, klarer und aufgelöster spielt, doch der alte musikalisch verbindlicher und emotional schlüssiger ‘rüberkommt. Dass der erste Eindruck auch täuschen kann, wird bei „Nude Ants“ deutlich, wo Keith Jarrett, Jan Garbarek, Palle Danielsson sowie John Christensen ein viril aufspielendes Quartett bilden. „Haben wir etwa eine neue Aufnahme“, fragt unser Gastgeber rhetorisch, nachdem wir zum neuen LP12SE gewechselt haben. Über ihn wird das Beziehungsgeflecht der Musiker viel Nun geht’s wirklich los. Doch halt, die Höhen klingen leicht verschliffen. Wabbel zieht die noch zu lose Tonarmschraube nach. Plötzlich ist der helle Schleier weg, nimmt die Definition deutlich zu. Und noch einen Tipp hat der LP12-Kenner parat: Er nimmt eine Dose „Pronto Möbelpflege Classic“ aus der Tasche, sprüht ein wenig Schaum auf ein sauberes Tuch und zieht den flachen Antriebsriemen mehrmals sanft durch. Das Resultat ist sofort hörbar: mehr Ruhe und Gleichmäßigkeit. „Funktioniert prächtig, oder“, strahlt der Linndianer. Stimmt. Aber „Classic“ muss es sein, das Mittel ohne Zusatzstoffe. Dafür, dass der Plattenspieleraufbau beim Kunden ebenso reibungslos und kompetent wie bei uns vonstatten geht, schult Linn seine Händler zu LP12-Experten, wenn diese dem Dreher nicht ohnehin längst hörig sind. Widerstand ist beinahe deutlicher, die innere Spannung des Vortrags nimmt erheblich zu. Gegen diese inspirierte Vorstellung wirkt der alte Schotte hörbar desorientiert und deshalb in der Aussage belangloser. Die Aufnahme profitiert sehr von der Fähigkeit der Super-Evolution, ein Höchstmaß an Strukturen zu vermitteln, ohne dabei an Geschlossenheit zu verlieren. Die tritt auch in Ben Websters „In The Wee Small Hours Of The Noon“ in den Vordergrund. Ungemein zart und schattierungsreich tupft der Saxophonist die Töne in die elegische Begleitung. Diese Auffächerung gelingt dem Standard-LP12 nicht. Doch am drastischsten merkt man den Abstand bei „Time After Time“ vom Miles Davis-Album „Live Around The World“. Gegen das weite, mit kleinsten Details versehene Spektrum, gegen dieses feine Gespinst voller Leben des SE hat die „vorevolutionäre Stufe“ keine Chance. Ihre Bühne ist enger, es fehlt an Licht und Luft. Jetzt wird jedem klar: Der LP12 SE ist – schlicht und ergreifend – eine andere Klasse. Das Copulare-Rack bot den ungleichen LP12 beste Bedingungen. Oben ist die alte Ausführung H I F I E X K L U S I V P L AT T E N S P I E L E R zwecklos, denn die Verführungskraft des in über drei Jahrzehnten gereiften und zwischendurch immer wieder durch Detailverbesserungen gelifteten Analogtraums ist als „Super Evolution“ T E ST- K E TT E stärker denn je. Wer ihr PLATTENSPIELER: Brinknicht verfallen will, mann LaGrange, Linn LP12 sollte sich ihr keines(alt), VPI HRX falls aussetzen. Tut er’s (PHONO-)VORVERSTÄRKER: doch, wird er – jede Linn Linto, Nagra PL-P, SouWette – bereits nach lution 720 kürzester Frist von ENDSTUFEN: Bryston 14B Zweifeln geplagt, ob er SST, Soulution 710 tatsächlich selbst den LAUTSPRECHER: Dynaudio besten Plattenspieler Contour S5.4, KEF Ref. 205.2, im Rack hat. Und zwar Wilson Audio Sophia 2 unabhängig davon, PHONO-KABEL: HMS Gran welches Modell dort Finale, Linn T-Cable, Sun steht. Wire Phono Reference Die vom LP12 generierten Klangbilder scheinen vom technischen Objekt vollkommen gelöst. Es gibt Plattenspieler, die besonders füllig, dynamisch, offen, räumlich oder was weiß ich Das neue Subchassis-Board Keel besteht aus einem Stück Alu. Ausfräsungen auf der Unterseite halten das Gewicht gering Der Motor sitzt auf dem Grundchassis, Achse und Subteller auf dem internen Subchassis. Dessen Federn sowie der Riemen wirken entkoppelnd wie klingen. Dem Schotten ist kaum eine Tendenz nachzuweisen. Und mit Vorurteilen macht er kurzen Prozess. Wer meint, Subchassisspieler könnten keinen wirklich substanziellen Bass erzeugen, der höre sich einmal diesen Dreher an. Der paart Fülle mit tänzelnder Grazie und steht in punkto Kontur schweren Masselaufwerken in nichts nach. Dadurch wird der Konservencharakter stark zurückgedrängt. Man hört, was auf der Schallplatte ist. Es ist wie im Film: Vor einem entsteht ein lebendiges, in sich schillerndes und atmendes Abbild eines fernen Geschehens, das einen unvermittelt anspricht und in sich hineinzieht. So wie ein gestochen scharfes und extrem differenziertes optisches Bild die Grenze zwischen Realität und Fiktion fast aufzuheben vermag, versetzt uns der LP12 in die Musik, bringt ihre Botschaft ganz dicht an uns heran. Das wirkt eben nicht gemacht und konstruiert, sondern authentisch und glaubhaft. Wie nur wenige High End-Komponenten versteht es dieser Plattenspieler, HiFi und damit sich selbst vergessen zu machen. Das funktioniert praktisch immer und schon bald erscheint einem dieser Trick des LP12, sich in der Musik zu verstecken, wie seine edelste Aufgabe und sein größter Vorzug. Dabei bedient er sich seiner Fähigkeit, stoische Ruhe mit flinkester Darstellung zu verbinden, und einen beinahe beispiellosen „Instinkt“ für Rhythmik zu besitzen. Ich lege mich fest: Ein besseres Timing als vom neuen LP12 SE habe ich bislang nicht gehört. Es gibt keine Verschleppungen oder Widerhaken, alles läuft leicht, locker und stringent wie am Schnürchen. Das scheint so schlicht und ist doch absolut ergreifend! LINN LP12 SE/EKOS SE/ TRAMPOLIN/AKIVA/LINGO Komplettpreis um €14435 Maße: 44 x 16 x 35 cm (BxHxT) Garantie: 2 Jahre (registriert 5 Jahre) Vertrieb: Linn Deutschland, Tel.: 040/8906600, www.linn.co.uk Linns LP 12 ist nicht einfach nur ein Plattenspieler, sondern eine audiophile Weltanschauung. In der aktuellen SE-Version ist er besser denn je. Ist er deshalb der beste Plattenspieler der Welt? Wer will das sagen? Aber er gehört unbedingt dazu. LABOR FREQUENZGANG LINN AKIVA Nach dem Fräsen der Grundform und des Bodenreliefs arbeitet diese Maschine das TonarmBoard nebst seinem Befestigungsflansch heraus Der Frequenzgang des Linn Akiva ist linear, weist aber oberhalb von sieben Kilohertz eine zunehmende Anhebung auf, die sich in der Praxis indes kaum bemerkbar macht. Präsenter, doch niemals spitzer Klang. Hier werden zwei Keels aus einem soliden Aluminiumblock gefräst. Auf diese Weise soll höchste Stabilität gewährleistet sein 48 STEREO 4/2007