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Vorwort
Am Anfang seines Berufsweges hat Abraham P. ten Cate, den wir mit dieser
Festschrift ehren wollen, „Linguistische Perspektiven“ eröffnet, als er 1972 zusammen mit seinem Kollegen Peter Jordens in Nijmegen das 7. Linguistische
Kolloquium organisiert und schon im folgenden Jahr die Beiträge unter diesem
Titel publiziert hat. Im Vorwort beriefen sich die Herausgeber nicht nur auf
Noam Chomsky und seine „Aspects“ von 1965, sondern hoben auch die Vielseitigkeit und Interdisziplinarität der modernen Linguistik hervor.
Es fällt schwer zu glauben, dass seitdem fast vierzig Jahre vergangen sind.
Noch immer gilt das Programm von damals: einerseits steht die Linguistik
vielerorts noch immer in der Chomsky-Tradition, andererseits gibt es eine Fülle
interessanter alternativer Fragestellungen und Lösungen, wie sie nicht zuletzt bei
den Linguistischen Kolloquien ihr Forum gefunden haben.
Wir, die Herausgeber dieser Festschrift, häufige und regelmäßige Teilnehmer und frühere Organisatoren des Linguistischen Kolloquiums, wollen mit dem
Titel „Neue linguistische Perspektiven“ den Jubilar nicht nur wegen des hellsichtigen Anfangs seiner Tätigkeit, sondern auch wegen seiner langjährigen
Leistungen in Lehre, Forschung und Organisation würdigen.
Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis des Bandes zeigt, dass die Vielfalt der Fragestellungen und Methoden nach wie vor ein Kennzeichen der Linguistik ist.
Die Autoren der Beiträge stammen aus mindestens zehn nicht nur europäischen
Ländern. Neben grammatischen und semantischen Untersuchungen gibt es Beiträge zur kognitiven Linguistik, zum Sprachvergleich, zum Spracherwerb und
zum Sprachunterricht. Der Band wird eröffnet mit einer Laudatio des Jubilars;
am Ende steht ein Verzeichnis seiner Schriften.
Wir wünschen Bram für den neuen Lebensabschnitt Glück, Gesundheit und
– ohne die Verpflichtungen des Amtes – eine ertragreiche Fortsetzung seiner
wissenschaftlichen Tätigkeit.
Wilfried Kürschner
Reinhard Rapp
Jürg Strässler
Maurice Vliegen
Heinrich Weber
Vechta
Leeds
Aarau
Amsterdam
Kirchentellinsfurt
am 22. Juni 2011
Inhalt
Vorwort.................................................................................................................. 7
HENK HARBERS, MAURICE VLIEGEN, HEINRICH WEBER
Abraham P. ten Cate: Universitätslehrer – Reformer und Organisator –
Sprachforscher..................................................................................................... 13
Grammatik
PER BÆRENTZEN
Vollständige und unvollständige Anhebungen im Deutschen ............................ 23
STOJAN BRAČIČ
Zur textkohäsiven Potenz von Wortbildungsprodukten...................................... 35
IOANA-NARCISA CREŢU
Die Sprachkompetenz am Beispiel der rumänischen Strukturen
pahar de apă – pahar cu apă .............................................................................. 43
NORIO SHIMA
Ergebnisobjekte im Deutschen: Ein Erklärungsversuch ihrer Genese ............... 55
OLGA SOULEIMANOVA
Russian Impersonal Infinitive Sentences in Cognitive Perspective.................... 67
KAZIMIERZ A. SROKA
Synthetic and Analytic Formatives in Languages. A Revision .......................... 77
HEINRICH WEBER
Zeitloses Deutsch? Überlegungen zum historischen Präsens ............................. 91
Semantik
KARIN EBELING
Homeland – Studies in Meaning and Use ......................................................... 109
MARINA FOMINA
Configurative Components of Word Meaning.................................................. 121
10
Inhalt
ELISABETH RUDOLPH
Wörter und Sätze in semantischer Analyse. Betrachtung von Beispielen
aus der Wissenschafts- und Pressesprache........................................................ 127
VALENTINA STEPANENKO
Die Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele. Soul“ ........................... 139
IMRE SZIGETI
Präfixbedeutung................................................................................................. 151
Kontrastive Linguistik
KÄTHI DORFMÜLLER-KARPUSA
Stereotype und Multikulturalität ....................................................................... 165
TATIANA D. SHABANOVA, YULIA R. YUSUPOVA
Space Localization at a Distance in Russian and English................................. 171
DANUTA STANULEWICZ
The Use of the Kashubian Language from the Perspective
of Young People Aged 16–19: Settings and Participants ................................. 191
JÓZSEF TÓTH
Abbildung konzeptueller Ereignisschemata durch die sprachliche Struktur.
Ein deutsch-ungarischer Vergleich ................................................................... 205
BÄRBEL TREICHEL
Interkulturelle Kommunikation aus der Erfahrungsperspektive moderner
Europäer ............................................................................................................ 217
MAURICE VLIEGEN
Scheinbar identisch: Niederländisch schijnen, deutsch scheinen ..................... 231
Spracherwerb/Sprachunterricht
HUUB VAN DEN BERGH, LISANNE KLEIN GUNNEWIEK, WOLFGANG HERRLITZ
Effekte der Schulgrammatik.............................................................................. 247
KLAUS-DIETER GOTTSCHALK
Zur Evaluation von Zweitspracherwerb Englisch............................................. 261
Inhalt
11
WILFRIED KÜRSCHNER
Wider Vielsprachigkeit ..................................................................................... 273
JÖRG MEIER
Textmuster und Textstrukturen im DaF-Unterricht.
Lernen von und mit Texten ............................................................................... 283
HARUKO MIYAKODA
Phonological Markedness, Acquisition and Disorders:
Evidence from Japanese .................................................................................... 295
JÜRG STRÄSSLER
Pros and Cons of Vocabulary Teaching and Testing........................................ 307
MARJON TAMMENGA-HELMANTEL
Wie uns zu helfen ist – zur Abstimmung des Grammatikunterrichts
in den Niederlanden........................................................................................... 317
Sprach- und Kommunikationstheorie
REINHARD RAPP
Speculations on the Basic Principles of Language ........................................... 323
MANFRED UESSELER
Diskurs und Wirklichkeit – Diskurs und Macht (Teil 1) .................................. 341
Anhang
Abraham P. ten Cate: Publikationen ................................................................. 353
Beiträger ............................................................................................................ 361
Abraham P. ten Cate:
Universitätslehrer – Reformer und Organisator –
Sprachforscher
Henk Harbers, Maurice Vliegen, Heinrich Weber
1
Vorbemerkung
Um Abraham P. ten Cate1 gerecht zu werden, muss man ihn unter verschiedenen
Aspekten betrachten. Unser Jubilar, der am 14. März dieses Jahres 65 Jahre alt
geworden ist, war nicht nur von 1973 bis 2011 Universitätsdozent für deutsche
Sprache an der niederländischen Reichsuniversität Groningen, sondern hat dort
auch Wesentliches zur Reform und Verwaltung der Abteilung Deutsch geleistet.
Henk Harbers, sein langjähriger Groninger Kollege, stellt diese Tätigkeiten dar.
Die Lehr- und Verwaltungstätigkeit wurde ergänzt und gefördert durch eine
kontinuierliche Forschungstätigkeit, deren Ergebnisse in einigen Monographien
und einer großen Zahl von Aufsätzen publiziert wurden. Über das wissenschaftliche Werk berichten Henk Harbers und Maurice Vliegen.
Über Groningen hinaus ist Bram P. ten Cate vor allem durch sein Engagement für das Linguistische Kolloquium bekannt geworden, vor dessen Hintergrund auch die vorliegende Festschrift entstanden ist. Die Bemerkungen dazu –
wie auch die Gesamtredaktion der Laudatio – stammen von Heinrich Weber.
2
Universitätsreform und Universitätsverwaltung
Man muss weit in der Zeit zurückgehen, wenn man über die Verdienste von
Bram P. ten Cate schreiben will, die er sich um die Germanistik in der Literarischen Fakultät der Universität Groningen erworben hat, die zunächst im „Germanistischen Institut“ und dann in der „Sektion Deutsche Sprache und Literatur“
und der „Abteilung Deutsche Sprache und Kultur“ organisiert war. Sein Engagement für die Universität begann in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre,
als er und H. Harbers noch Studierende in Groningen waren – er zwei Jahrgänge
weiter, aus subjektiver Sicht schon um Welten voraus.
Es waren noch die Jahre der alten Professorenuniversität, in der der Unterricht zu einem wichtigen Teil aus Vorlesungen bestand – in den späteren Semestern gab es dann auch einige Seminare. Es kam dann aber auch die Zeit der
68er Studentenbewegung, mit dem Versuch einer Revolution in Paris, mit den
1
Im Folgenden gebrauchen wir statt Abraham P. die Vornamen-Kurzform Bram, wie sie
im Freundeskreis üblich ist.
14
Henk Harbers, Maurice Vliegen, Heinrich Weber
Provos und der ersten Universitätsbesetzung in Amsterdam (der „maagdenhuisbezetting“, 1969), mit der Forderung nach studentischer Mitbestimmung in allen
akademischen Angelegenheiten. So auch in Groningen.
Der damalige Professor für moderne deutsche Literatur – und die bestimmende Person im Germanistischen Institut –, Hans Elema, hielt, milde gesagt,
nicht viel von solchen Forderungen, wollte aber doch einigermaßen dem Zeitgeist entgegenkommen und berief erstmals in der Geschichte des Instituts am
Anfang des akademischen Jahres, Ende September 1969, eine Plenarversammlung von Dozenten und Studenten ein, um dort das Studienprogramm für das
kommende Jahr zu präsentieren. Studenten benutzten diese Gelegenheit, um ihre
Wünsche nach Erneuerungen im Unterrichtsprogramm und nach aktiver Mitbestimmung zu äußern. Der Sprecher der Studenten hieß Bram ten Cate. Er hatte
den Mut, diese Forderungen in einem ruhigen Ton, aber durchaus insistierend
vorzutragen. Er bekam dabei die volle Unterstützung nicht nur der Studierenden,
sondern auch der – größtenteils noch jungen – Dozenten. Die Versammlung kam
ins Stocken, und nach einer Unterbrechung machten Studenten und Dozenten
das Angebot, innerhalb eines Monats ausgearbeitete Vorschläge für ein komplett
neues Studienprogramm und eine neue Verwaltungsstruktur vorzulegen. Jugendliche Hybris natürlich, aber es funktionierte. Nach einem Monat mit fieberhafter Aktivität, wobei Bram ten Cate eine wichtige koordinierende Rolle
spielte, wurde ein neues, nun vor allem aus Seminaren bestehendes Curriculum
präsentiert, in dem Studenten nicht länger passive Zuhörer, sondern vor allem
aktive Teilnehmer sein sollten. Zugleich wurde ein parlamentarisches Verwaltungsmodell mit paritätischer Mitbestimmung vorgeschlagen. Ein Jahr mit
manchmal erhitzten Diskussionen folgte. Am Ende des Jahres hatte Hans Elema
seinen Hut genommen, und die Fakultät genehmigte in großen Zügen das neue
Programm und die neue Selbstverwaltung.
Diese demokratisierte Verwaltungsstruktur funktionierte recht gut und blieb
bis weit in die achtziger Jahre bestehen, bis dann in den Niederlanden die Demokratisierung der Universitäten allmählich rückgängig gemacht und immer
mehr durch ein Top-down-Managementmodell ersetzt wurde. Auch das Studienprogramm wurde im Laufe der Zeit mehrmals geändert. In den ersten Jahren
wurde es ausgebaut und an die modernen Entwicklungen angepasst: die neue
Linguistik ersetzte mehr und mehr die ältere historische Sprachwissenschaft,
neue literaturwissenschaftliche Theorien wurden in das Programm integriert.
Dann wurde die Regelstudienzeit von sechs auf vier Jahre verkürzt, danach kam
das Bachelor-Master-System. Aber einige Überreste des damals neu konzipierten Curriculums gibt es bis heute. Und damit ist die Abteilung durch die Jahre
hindurch gut gefahren. Seit in den neunziger Jahren das System einer regelmäßigen Evaluierung der universitären Studienprogramme eingeführt wurde, hat
Abraham P. ten Cate: Universitätslehrer – Reformer und Organisator – Sprachforscher 15
die Groninger germanistische Abteilung gute bis teilweise sehr gute Ergebnisse
erzielt.
So etwas ist nur möglich, wenn es eine Abteilung gibt, die organisatorisch
gut funktioniert und ein Studienprogramm praktiziert, das sich nach Inhalt und
Durchführung sehen lassen kann. Dazu braucht es im Dozenten- und Professorenkollegium mindestens einige Personen, die das Ganze wirklich tragen können
und wollen. Solch eine Person war Bram ten Cate. Sowohl zu der Organisation
von Abteilung und Fakultät als zum Curriculum hat er Entscheidendes beigetragen.2
Als Student hatte Bram ten Cate also schon wesentlich zu einer neuen Verwaltungsstruktur der Abteilung Deutsch beigetragen. Und dieser Einsatz für das
Organisatorische – im Großen wie im Kleinen – hat sich in all den 38 Jahren
eigentlich nicht mehr geändert. Von Anfang an hat er sich sowohl für einen
technisch reibungslosen Ablauf der Dinge als auch für demokratische Entscheidungsprozeduren eingesetzt. Er hat immer ein gutes Auge dafür gehabt, dass
eine akademische Gemeinschaft nur dann optimal funktioniert, wenn alle Beteiligten, Professoren, Mittelbau und Studenten, wirklich gehört und ernst genommen werden. Erst so entsteht ein dynamisches und fruchtbares Engagement. Es
ist kaum möglich, hier alle akademischen Ämter, Funktionen und Posten zu
nennen, die Bram ten Cate im Laufe seiner Groninger Tätigkeit erfüllt hat. Er
war mehrmals Verwalter der Abteilung Deutsch, war manchmal Sekretär,
manchmal Vorsitzender des Abteilungsvorstands, ebenso Vorsitzender oder
Sekretär der wechselnden Unterrichtskommissionen in der Abteilung, in denen
Dozenten und Studenten gemeinsam das Studienprogramm besprechen. Auf Fakultätsebene war er von 1991 bis 1994 Vorsitzender des Fakultätsrats, von 1994
bis 1997 Mitglied der Haushaltskommission, davon zwei Jahre als Vorsitzender,
von 1997 bis 2003 Unterrichtsdirektor für die Moderne-Sprachen-Abteilungen
der Fakultät, wobei er an verschiedenen internationalen Konferenzen über das
akademische Sprachstudium in Europa teilgenommen hat. Besonders in dieser
letzten Funktion (aber auch durchweg in seiner Arbeit) hat er sich unermüdlich
für die Qualität der Sprachausbildung eingesetzt, ausgehend von dem Standpunkt – der heute leider immer mehr unter Druck gerät –, dass sowohl eine gute
Lehrerausbildung als auch ein hohes akademisches Niveau auf dem Gebiet der
Sprach- und Literaturwissenschaft nur möglich sind auf der Basis einer exzellenten Beherrschung der jeweiligen Sprache.
2
Seit unserer Studentenzeit waren unsere akademischen Wege auseinander gegangen;
Bram hatte sich für die Sprachwissenschaft entschieden, die Literatur war mein Teil geworden. Deshalb wird hier über die (Forschungs-)Verdienste Bram ten Cates für die Linguistik nichts gesagt. (H. Harbers) – Zu Brams Forschungstätigkeit s. Abschnitt 4.
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Henk Harbers, Maurice Vliegen, Heinrich Weber
Bis 2010 war er auch Mitglied des Vorstandes der VGNU, des Vereins der
Germanisten an niederländischen Universitäten, wo er sich unter anderem für
eine Formulierung von Minimalanforderungen für ein akademisch-germanistisches Programm in den Niederlanden eingesetzte. Auch war er an der in den
letzten Jahren einmal jährlich abgehaltenen Studentenkonferenz beteiligt, bei der
guten Studenten und Studentinnen der Germanistik in den Niederlanden die
Gelegenheit geboten wird, ihre Arbeiten einem Fachpublikum zu präsentieren.
3
Lehrtätigkeit
Wieder vom Anfang seiner Dozententätigkeit an hat Bram ten Cate zur Erneuerung und Verbesserung des akademischen Unterrichts beigetragen. Als jüngster
Dozent durfte er in den siebziger Jahren Material sammeln und Programme entwerfen für das damals Allerneueste und Allerhöchste auf dem Gebiet des
Fremdsprachenerwerbs: das Sprachlabor. Es wurde eine Sammlung von Übungen für die Aussprache – die bis heute, nun in digitalisierter Form, benutzt wird.
Studierende können damit selbstständig oder im Seminarkontext vorgesprochene Wörter und Sätze nachsprechen und sich selbst abhören und korrigieren.
Die Beispielsätze kamen damals teilweise aus einem schon seit Jahrzehnten benutzten Aussprache-Übungsbuch, sodass unsere Studierenden heute noch so
schöne Wortkombinationen sprechen dürfen, wie die aus Humperdincks Oper
Hänsel und Gretel: „Griesgram, gräulicher Wicht, griesiges, grämiges Galgengesicht“ oder auch so schöne Weisheiten wie „Lustig gelebt und selig gestorben,
heißt dem Teufel die Rechnung verdorben“.
Auf dem Gebiet des Spracherwerbs wusste Bram ten Cate seine wissenschaftlichen linguistischen Kenntnisse mit den Erfordernissen eines praktischen
Unterrichts zu verbinden. Das führte zu einigen Publikationen, mit denen Groninger Traditionen aufs schönste fortgesetzt wurden. Die theoretische Komponente des Unterrichts in der Aussprache ist gleichzeitig ein wichtiger Teil der
Sprachwissenschaft: Phonologie und Phonetik. Eine Einführung auf diesem Gebiet für Erstsemester gehörte zum festen Unterrichtsanteil Bram ten Cates. Für
den praktischen Gebrauch im Fremdsprachenunterricht sind dabei kontrastive
Beschreibungen von großer Bedeutung. Noch aus den sechziger Jahren des 20.
Jahrhunderts stammte eine Praktische deutsche Lautlehre (Zutphen 1961) von
dem Groninger Germanisten P. E. Boonstra und seinem Kollegen P. Kieft, aus
der uns als Studenten die ersten Anfänge der Klangbildung im Deutschen und
die phonetische Beschreibung beigebracht wurden. Zusammen mit seinen Germanistikkollegen Peter Jordens und W. U. S. van Lessen Kloeke arbeitete Bram
ten Cate nun, auf neuer wissenschaftlicher Basis, eine Deutsche Phonetik. Lautund Aussprachelehre für Niederländer (Groningen 1976) aus, später mit Peter
Abraham P. ten Cate: Universitätslehrer – Reformer und Organisator – Sprachforscher 17
Jordens noch einmal umgearbeitet als Phonetik des Deutschen. Eine kontrastiv
deutsch-niederländische Beschreibung für den Zweitspracherwerb (Dordrecht
1990).
War Bram ten Cate schon der Dozent, der seit den siebziger Jahren die Studierenden in den ersten Semestern in verschiedene Gebiete der Sprachwissenschaft – neben der Phonetik und Phonologie auch in die Morphologie, Semantik,
Syntax und in die Geschichte der deutschen Sprache – einführte, so wurde er in
den letzten Jahrzehnten auch immer mehr derjenige, der im Rahmen des Spracherwerb-Unterrichts für den Grammatikunterricht verantwortlich war. Und wieder wusste er hier seine linguistischen Kompetenzen mit der Unterrichtspraxis
zu verbinden. Und wieder wurde eine Groninger Tradition fortgesetzt. In den
siebziger Jahren war das Standardwerk auf dem Gebiet der kontrastiv deutschniederländischen Schulgrammatik die Hochdeutsche Sprachlehre von W. K.
Postma (Groningen 1970), wieder von einem Groninger Universitätsdozenten
(der uns gründliche Kenntnisse der deutschen Grammatik vermittelt hatte). Danach war der Grammatikunterricht jahrelang in den Händen von A. K. Kootte,
der dazu ausführliches Übungsmaterial entwickelt hatte. Nach dessen Abschied
entwickelte Bram ten Cate, zusammen mit seinem Groninger Kollegen Hans
Lodder, auf der Basis dieses Materials eine völlig neue, wieder auf den neuesten
wissenschaftlichen Stand gebrachte kontrastiv deutsch-niederländische Schulgrammatik, die Deutsche Grammatik. Eine kontrastiv deutsch-niederländische
Beschreibung für den Zweitspracherwerb (Bussum 1998). Es ist momentan das
Standardwerk, benutzt an fast allen niederländischen (und teils auch belgischen)
Universitäten und Hochschulen.
Die Abteilung Deutsche Sprache und Kultur an der Universität Groningen
macht weiter ohne Bram ten Cate. Das ist gut so, denn er hat seinen Ruhestand
mehr als verdient. Das ist aber zugleich nicht einfach – denn gerade in dieser
Zeit, in der in den Niederlanden das universitäre Sprachstudium zunehmend
unter Druck steht, sind Sprachwissenschaftler und -dozenten wie Bram ten Cate,
die für die Qualität dieses Sprachstudiums geradestehen, unentbehrlich.
4
Sprachwissenschaftliche Forschung
Neben seiner umfangreichen Lehr- und Verwaltungstätigkeit hat Bram ten Cate
die Forschung nicht vernachlässigt.3 Die weit verbreiteten Lehrbücher zur Phonetik und zur Grammatik, die er zusammen mit Kollegen verfasst hat, sind oben
im Zusammenhang mit der Lehre schon gewürdigt worden.
3
Ein Verzeichnis der Publikationen von Bram ten Cate findet sich am Ende dieses Bandes.
18
Henk Harbers, Maurice Vliegen, Heinrich Weber
Die Dissertation, unter dem Titel „Aspektualität und Nominalisierung. Zur
Bedeutung satzsemantischer Beziehungen für die Beschreibung der Nominalisierung im Deutschen und im Niederländischen“ 1985 im Lang-Verlag erschienen, untersucht die aspektualen Kategorien Aspekt, Aktionsart und Phasenaktionsart. Der Verfasser diskutiert die in sich widersprüchliche bisherige Forschung und zeigt, wie Aspektualität zu definieren und in Unterarten zu differenzieren ist. Die so gewonnene Begrifflichkeit wird auf die Nominalisierungen
angewandt, insbesondere auf die Bildungen mit -en und -ung im Deutschen bzw.
-en und -ing im Niederländischen. Das Verdienst dieser umfassenden Arbeit ist
bis heute unbestritten, wie auch ihre Erwähnung in Literaturangaben neuesten
Datums dokumentiert.
Die Forschungstätigkeit, die in zahlreichen Aufsätzen dokumentiert ist, hat
aber schon lange vor der Dissertation begonnen. Den Anfang bilden einige Veröffentlichungen zur damals viel diskutierten Kasusgrammatik Fillmores, die
zwischen 1971 und 1976 erschienen sind. Ein neues Thema tritt mit zwei Beiträgen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre auf: die Frauensprache. Woher das
Interesse an diesem Thema kam, ist nicht geklärt. Da Bram ten Cate aber mit
seiner Ehefrau und drei Töchtern unter einem Dach wohnte, ist anzunehmen,
dass er sich hier als „ervaringsdeskundige“4 einmischte. Schon zu dieser Zeit
werden aber auch schon die Anfänge eines Themas sichtbar, um das sich Bram
ten Cate bis auf den heutigen Tag verdient macht, ein Thema, dem nur einsichtige und behutsame, d. h. die talentiertesten Linguisten gewachsen sind, nämlich
Tempus und Aspekt.
Bram ten Cate wendet sich zunächst dem Bereich des Aspekts zu. Im Vorfeld befasste er sich mit semantischen und syntaktischen Eigenheiten von Adverbien, an denen er bereits aspektuelle Unterschiede erkennt. Auf diesem Gebiet entsteht zunächst ein Beitrag über die semantischen Aspekte von Verbalabstrakta und dann die bereits besprochene Dissertation.
Das Interesse an Aspektphänomenen lässt nicht nach, wird aber danach immer mehr von Beiträgen zu Tempus und Modus im Deutschen und Niederländischen überlagert. Schaut man sich einige der Titel näher an, so erkennt man einen brodelnden Themenkomplex: Die Zahl der Tempora ist unsicher, es ist – um
Beispiele zu nennen – zu untersuchen, ob beim historischen Präsens zwei
Sprechzeitpunkte zu unterscheiden sind, nämlich der der historischen Person
und der des realen Autors, ob das Perfekt ein Aspekt sein kann oder eher ein
Gegenwarts- oder Vergangenheitstempus ist, oder welche Folgen der Präteritumsschwund im Deutschen für das Plusquamperfekt hat. Viele dieser Beiträge
4
Die lexikalische Lücke auszufüllen, die sich bei der Übersetzung dieses niederländischen
Begriffes ins Deutsche auftut, ist nach wie vor ein Desiderat.
Abraham P. ten Cate: Universitätslehrer – Reformer und Organisator – Sprachforscher 19
sind aus Referaten an den unterschiedlichsten Austragungsorten des Linguistischen Kolloquiums hervorgegangen. Ihren Ursprung dürften sie nicht zuletzt in
der akademischen Lehre haben, die Bram ten Cate eng mit seiner Forschung
verzahnt hat.
Inzwischen hat sich Bram ten Cate einem neuen Thema zugewandt, bei dem
er Lehre und Forschung verbinden kann: dem Passiv im Deutschen und Niederländischen. Seine Referate dazu sind aber noch nicht veröffentlicht. Man darf
gespannt sein, was er zu diesem und zu weiteren Themen in Zukunft noch zu
sagen hat.
5
Linguistisches Kolloquium
Jede Würdigung Bram ten Cates wäre unvollständig, wenn sie sein Engagement
für das Linguistische Kolloquium unberücksichtigt lassen würde. Die Herausgeber dieses Bandes haben ihn gerade bei dieser jährlichen Tagung, die 2011
zum 46. Mal stattfindet, kennen und schätzen gelernt. Wie oft er dabei war, lässt
sich gar nicht mehr genau feststellen. Jedenfalls hat er 1972, gerade einmal 26
Jahre alt, zusammen mit seinem Kollegen Peter Jordens das 7. Kolloquium an
der Katholischen Universität Nimwegen organisiert und schon im darauf folgenden Jahr die Referate unter dem Titel „Linguistische Perspektiven“ im Tübinger Niemeyer-Verlag veröffentlicht. Die Herausgeber haben damit eine Tradition vorbereitet: Nach einem weniger befriedigenden Zwischenspiel sind vom
10. bis zum 31. Kolloquium alle Aktenbände in den „Linguistischen Arbeiten“
des Niemeyer-Verlags erschienen; danach hat der Peter-Lang-Verlag die Akten
weitergeführt.
In diesen Bänden hat Bram ten Cate von 1976 bis 2010 zwanzig Beiträge zu
den oben genannten Themen publiziert; weitere Aufsätze warten noch auf ihre
Veröffentlichung.
Auch seine Verdienste um die Kontinuität des Kolloquiums sind besonders
hervorzuheben. Von Anfang an gehört er dem „Internationalen Komitee für das
Linguistische Kolloquium“ an. Es wurde 1991 zur Sicherung der Kontinuität
gegründet, als es der Vollversammlung des 26. Kolloquiums in Posen (Polen)
nicht gelang, Organisatoren für das nächste Jahr zu verpflichten – sie wurden
dann bald in Münster gefunden. Bram ten Cate gehört auch zum Herausgeberkreis der Reihe „Linguistik International“ im Peter Lang Verlag, in der seit dem
32. Kolloquium die Kolloquiumsakten und andere wissenschaftliche Schriften
veröffentlicht werden.
Wenn es darum ging, kurzfristig einen Festredner beim Kolloquium zu finden, war Bram ten Cate immer zur Stelle. Unvergessen sind die improvisierten,
aber dennoch wohlformulierten und humorvollen Reden, mit denen er viele
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Henk Harbers, Maurice Vliegen, Heinrich Weber
Male am Ende des Kolloquiums den Organisatoren und ihren Helfern den Dank
der Kolloquiumsteilnehmer abstattete.
Die Herausgeber dieses Bandes hoffen und wünschen, dass er das beim
Kolloquium und bei anderen Gelegenheiten noch viele Male tun kann.
Grammatik
Vollständige und unvollständige Anhebungen
im Deutschen
Per Bærentzen
1
Einleitung
Als Anhebungen werden Transformationen bezeichnet, die einen verbabhängigen Ausdruck einer tieferen Strukturebene in eine höhere bewegen. Es gibt
vollständige und unvollständige Anhebungen sowie solche, bei denen sich nicht
entscheiden lässt, ob sie als vollständig oder als unvollständig zu interpretieren
sind. Zur Beschreibung dieser Phänomene werden die folgenden Siglen benutzt:
V1 = das maximal übergeordnete Verb
V2 = das von V1 unmittelbar abhängige Verb
Ny = grammatisches (und zugleich logisches) Subjekt des Verbs Vy
ny = logisches (nicht aber grammatisches) Subjekt des Verbs Vy
Ay = grammatisches (und zugleich logisches) Akkusativobjekt des Verbs Vy
ay = logisches (nicht aber grammatisches) Akkusativobjekt des Verbs Vy
Dy = grammatisches (und zugleich logisches) Dativobjekt des Verbs Vy
UOy = unspezifiziertes grammatisches Objekt des Verbs Vy
AP = präpositional regierte akkusativische Größe
DP = präpositional regierte dativische Größe
Außerdem soll die folgende zweiteilige Reflexivregel gelten: Ein Reflexivum,
das als Objekt funktioniert, ist Objekt desjenigen Verbs, (a) auf dessen logisches
(evtl. zugleich grammatisches) Subjekt sein pronominaler Hinweis gerichtet ist
und (b) von dem das Reflexivum seinen Kasus zugewiesen bekommt.
Der vor der Anhebung bestehende Satz wird als der Ausgangssatz, der durch
die Transformation geschaffene Satz als der transformierte Satz bezeichnet.
Als vollständig lassen sich die Subjekt-zu-Subjekt-, Objekt-zu-Subjekt- und
Subjekt-zu-Objekt-Anhebungen bezeichnen. Bei einer vollständigen Anhebung
wird V1 des Ausgangssatzes zu V2 des transformierten Satzes verschoben und es
kommt im transformierten Satz ein neues V1 hinzu. Zugleich wird ein abhängiges Element grammatisch vom ursprünglichen V1 losgelöst und vom neuen V1
beschlagnahmt (vgl. Abschnitt 2).
Als unvollständig sind gewisse Objekt-zu-Objekt-Anhebungen zu bezeichnen, bei denen das betroffene Objekt grammatisch nicht voll vom ursprüngli-
24
Per Bærentzen
chen V1 losgelöst und auch nicht voll vom neuen V1 beschlagnahmt wird, sondern im transformierten Satz grammatisches Objekt sowohl von V1 als auch von
V2 ist und sich somit als janusköpfiges Objekt bezeichnen lässt. Außerdem
kommt in einigen Fällen bei der Transformation kein neues Verb hinzu, sondern
die Anhebung besteht allein in der grammatischen Verschiebung der Elemente
um zwei schon im Ausgangssatz vorhandene Verben V1 und V2 herum (vgl. Abschnitt 3).
Schließlich gibt es gewisse Objekt-zu-Objekt-Anhebungen, bei denen sich
nicht entscheiden lässt, ob sie als vollständig oder als unvollständig zu interpretieren sind (vgl. Abschnitt 4).
2
Vollständige Anhebungen
Als vollständig ist eine Anhebung zu bezeichnen, wenn der transformierte Satz
ein Element enthält, das vom ursprünglichen V1 losgelöst worden und allein
vom neuen V1 grammatisch abhängig ist.
2.1
Subjekt-zu-Subjekt-Anhebung N1 → N1+n2
Bei der Anhebung in (1) wird das Subjekt Der WirtN1 des ursprünglichen Verbs
schliefV1 zum Subjekt des neu hinzukommenden Anhebungsverbs schienV1 verschoben und gleichzeitig wird das ursprüngliche V1 in eine tiefere Strukturebene
bewegt und erscheint als V2. Im transformierten Satz ist Der Wirt zwar logisches
Subjekt von zu schlafenV2, grammatisch aber von diesem Verb losgelöst, da ein
Infinitiv kein Subjekt selektiert.
(1)
Der WirtN1 schliefV1 → Der WirtN1+n2 schienV1 zu schlafenV2
Als Anhebungsverben einer Subjekt-zu-Subjekt-Anhebung lassen sich zahlreiche Verben betrachten, die, wenn sie einen Infinitiv regieren, nicht zugleich eine
Kasusgröße regieren können. Der Infinitiv kann ein Ø-Infinitiv (2) oder ein zuInfinitiv (3) sein. Als Anhebungsverb einer Subjekt-zu-Subjekt-Anhebung lässt
sich auch kommen betrachten, wenn es ein Partizip Perfekt (4) oder einen zu-Infinitiv (5) regiert. In (5) enthält der Ausgangssatz das statische Adverbialglied
neben den Kindern, das beim Hinzukommen des dynamischen Anhebungsverbs
kommen im transformierten Satz durch das dynamische Adverbialglied neben
die Kinder ersetzt wird. Das Adverbialglied dürfte dann von beiden Verben abhängig sein, da die Wahl der Präposition neben von sitzenV2, die Akkusativrektion der Präposition von kamV1 herrührt (vgl. Bech 1955: 128 f.).
(2)
Das KindN1 schläftV1 → Das KindN1+n2 mussV1 schlafenV2
(3)
Die MutterN1 schläftV1 → Die MutterN1+n2 versuchtV1 zu schlafenV2
Vollständige und unvollständige Anhebungen im Deutschen
2.2
25
(4)
Der VaterN1 fuhrV1 um die Ecke → Der VaterN1+n2 kamV1 um die Ecke gefahrenV2
(5)
Der VaterN1 saßV1 neben den Kindern → Der VaterN1+n2 kamV1 neben die Kinder zu sitzenV2
Objekt-zu-Subjekt-Anhebung A1 → N1+a2
Aus dieser Anhebung resultieren u. a. Passivkonstruktionen wie das Handlungspassiv (6), das Zustandspassiv (7) und das modale Passiv (8) mit den Anhebungsverben werden und sein sowie die gehören-Konstruktion (9). Bei der Anhebung wird das Akkusativobjekt des ursprünglichen V1 zum Subjekt des neu
hinzukommenden Anhebungsverbs V1 verschoben und gleichzeitig wird das ursprüngliche V1 in eine tiefere Strukturebene bewegt und erscheint als V2. Im
transformierten Satz ist das grammatische Subjekt zwar logisches Akkusativobjekt des V2, grammatisch aber von diesem Verb losgelöst, da eine infinite
Verbform kein Subjekt selektiert.
2.3
(6)
Der StudentN1 übersetztV1 den TextA1 ins Deutsche → Der TextN1+a2 wirdV1
vom StudentenDP+n2 ins Deutsche übersetztV2
(7)
Der StudentN1 übersetzteV1 den TextA1 ins Deutsche → Der TextN1+a2 istV1 ins
Deutsche übersetztV2
(8)
Der StudentN1 übersetztV1 den TextA1 sofort ins Deutsche → Der TextN1+a2
istV1 sofort ins Deutsche zu übersetzenV2
(9)
ManN1 sperrtV1 den VerbrecherA1 ein → Der VerbrecherN1+a2 gehörtV1 eingesperrtV2
Subjekt-zu-Objekt-Anhebung N1 → A1+n2
Aus dieser Anhebung resultieren u. a. die sogenannte AcI-Konstruktion mit einem Verbum sentiendi als Anhebungsverb (10, 11) und die Konstruktion mit
lassen als Anhebungsverb, die eine kausative (12) bzw. permissive (13) Lesart
aufweist. Das Verb, das in der AcI-Konstruktion als V2 erscheint, kann ein
Intransitivum wie in (10), (12) und (13) oder ein Transitivum wie in (11) und
(14) sein. Bei der Anhebung wird das Subjekt des ursprünglichen V1 zum Akkusativobjekt des neu hinzukommenden Anhebungsverbs V1 verschoben und
gleichzeitig wird das ursprüngliche V1 in eine tiefere Strukturebene bewegt und
erscheint als V2. Im transformierten Satz ist ein neues grammatisches Subjekt
hinzugekommen, das keine grammatische oder logische Beziehung zu V2 hat.
Im transformierten Satz ist das zu A1 verschobene Element zwar logisches Subjekt des V2, grammatisch aber von diesem Verb losgelöst, da V2 entweder ein
Intransitivum ist, wie in (10), (12) und (13), und sich deshalb nicht mit einem
Akkusativobjekt verbindet, oder ein Transitivum, das ein anderes im Satz vor-
26
Per Bærentzen
handenes Akkusativobjekt regiert, wie es in (11) und (14) der Fall ist, wo aufhebenV2 das Objekt das GeldstückA2 und abräumenV2 das Objekt den TischA2 regiert.
(10)
Der NachbarN1 kamV1 nach Hause → IchN1 hörteV1 den NachbarnA1+n2 nach
Hause kommenV2
(11)
Der BettlerN1 hobV1 das GeldstückA1 vom Boden auf → WirN1 sahenV1 den
BettlerA1+n2 das GeldstückA2 vom Boden aufhebenV2
(12)
Der SteinN1 fielV1 ins Wasser → ErN1 ließV1 den SteinA1+n2 ins Wasser fallenV2
(13)
Der SohnN1 schliefV1 bis Mittag → Die MutterN1 ließV1 den SohnA1+n2 bis Mittag schlafenV2
(14)
Der KellnerN1 räumteV1 den TischA1 ab → Der WirtN1 ließV1 den KellnerA1+n2
den TischA2 abräumenV2
Die AcI-Konstruktion mit lassen als Anhebungsverb kann als Grundlage für
zwei weitere Anhebungen dienen.
Wenn V2 ein Intransitivum ist, lässt sich die lassen-Konstruktion durch eine
Objekt-zu-Subjekt-Anhebung (vgl. Abschnitt 2.2) in eine Passivkonstruktion
transformieren, wie in (15).
(15)
ErN1 ließV1 den BriefA1+n2 auf dem Tisch liegenV2 → Der BriefN1+a2+n3 wurdeV1
auf dem Tisch liegenV3 gelassenV2
Wenn V2 ein Transitivum ist, lässt sich die lassen-Konstruktion, ohne dass ein
weiteres Verb hinzukommt, mittels einer Objekt-zu-Objekt-Anhebung in eine
Konstruktion mit passivischem V2 transformieren. Da sich nicht entscheiden
lässt, ob die Objekt-zu-Objekt-Anhebung in diesem Fall als vollständig oder unvollständig zu interpretieren ist, wird sie in Abschnitt 4 beschrieben.
3
Unvollständige Anhebungen
Als unvollständig ist eine Anhebung zu bezeichnen, wenn der transformierte
Satz ein Element enthält, das nachweisbar von zwei Verben grammatisch abhängig ist. Diese Interpretation ergibt sich zwangsläufig in Fällen, in denen bei
der Transformation ein Personalpronomen durch ein Reflexivum ersetzt wird, da
für die Verwendung eines Reflexivums als Objekt die in der Einleitung formulierte Reflexivregel gilt. Es handelt sich um Fälle, in denen im transformierten
Satz ein von V2 regiertes Dativobjekt in Gestalt eines Reflexivums vorhanden
ist, das zugleich als unspezifiziertes grammatisches Objekt des V1 interpretiert
werden muss. Es werden im Folgenden zwei Varianten beschrieben.
Vollständige und unvollständige Anhebungen im Deutschen
3.1
27
Unvollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung D1 → UO1+D2 neben
vollständiger Subjekt-zu-Objekt-Anhebung N1 → A1+n2
In dieser Variante finden mit lassen als Anhebungsverb eine vollständige Subjekt-zu-Objekt-Anhebung (vgl. Abschnitt 2.3) und eine unvollständige Objektzu-Objekt-Anhebung statt. In (16) wird neben der vollständigen Subjekt-zuObjekt-Anhebung Der KussN1 zu den KussA1+n2 die unvollständige Objekt-zuObjekt-Anhebung ihmD1 zu sichUO1+D2 realisiert. Wie das Personalpronomen im
Ausgangssatz steht das Reflexivum im transformierten Satz im Dativ, wie der
Parallelsatz (16′) zeigt. Das Reflexivum bekommt also seinen Kasus von gefallenV2 zugewiesen und ist somit gemäß Teil (a) der Reflexivregel Objekt des
Verbs V2. Gleichzeitig ist der pronominale Hinweis des Reflexivums auf das
grammatische Subjekt ErN1 des Verbs ließV1 gerichtet, und somit ist das Reflexivum gemäß Teil (b) der Reflexivregel Objekt des Verbs V1. Die Siglen
UO1+D2 geben die grammatische Doppelfunktion des Reflexivums als janusköpfiges Objekt an, einerseits als unspezifiziertes grammatisches Objekt des
Verbs ließV1, andererseits als grammatisches Dativobjekt des Verbs gefallenV2.
3.2
(16)
Der KussN1 gefielV1 ihmD1 → ErN1 ließV1 sichUO1+D2 den KussA1+n2 gefallenV2
(16′)
Der KussN1 gefielV1 mirD1 → IchN1 ließV1 mirUO1+D2 den KussA1+n2 gefallenV2
Unvollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung D2 → UO1+D2 in der lassenKonstruktion mit passivierbarem V2
Die mit lassen als Anhebungsverb gebildete AcI-Konstruktion kann, wenn das
von lassen abhängige Verb ein Intransitivum ist und ein Dativobjekt regiert, als
Grundlage für eine weitere Anhebung dienen, und zwar kann sie, ohne dass ein
weiteres Verb hinzukommt, mittels einer unvollständigen Objekt-zu-ObjektAnhebung in eine Konstruktion mit passivischem V2 transformiert werden, wie
aus (17) zu ersehen ist.
(17)
Der WirtN1 ließV1 die FrauA1+n2 ihmD2 bei der Arbeit helfenV2 → Der WirtN1
ließV1 sichUO1+D2 bei der Arbeit (von der FrauDP+a1+n2) helfenV2
(17′)
IchN1 ließV1 die FrauA1+n2 mirD2 bei der Arbeit helfenV2 → IchN1 ließV1
mirUO1+D2 bei der Arbeit (von der FrauDP+a1+n2) helfenV2
(18)
Die FrauN1 halfV1 ihmD1 bei der Arbeit → IhmD2 wurdeV1 bei der Arbeit von
der FrauDP+n2 geholfenV2
Die Analyse der Transformation in (17) ist aus den Siglen ersichtlich. Vor und
nach der Transformation ist ließ V1 und helfen V2, und somit bleibt der hierarchische Status der Verben unverändert. Das gleiche gilt für das grammatische
Subjekt Der WirtN1. Dagegen werden beide Objekte des Ausgangssatzes verschoben.
28
Per Bærentzen
Zum einen wird die FrauA1+n2, das logisches Subjekt des Infinitivs helfenV2
ist, zu von der FrauDP+a1+n2 verschoben. Diese Verschiebung ist eine Parallele zu
der Verschiebung des ursprünglichen Subjekts beim Übergang vom Aktivsatz
zum Handlungspassiv in (18) und somit ein Indiz für die passivische Lesart des
Infinitivs im transformierten Satz. Da helfen ein Intransitivum ist, liegt hier ein
unpersönliches Passiv vor.
Zum anderen findet in (17) die unvollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung
D2
ihm zu sichUO1+D2 statt. Wie das Personalpronomen im Ausgangssatz steht das
Reflexivum im transformierten Satz im Dativ, wie der Parallelsatz (17′) zeigt.
Das Reflexivum bekommt also seinen Kasus von helfenV2 zugewiesen und ist
somit gemäß Teil (a) der Reflexivregel Objekt des Verbs V2. Gleichzeitig ist der
pronominale Hinweis des Reflexivums auf das grammatische Subjekt Der
WirtN1 des Verbs ließV1 gerichtet, und somit ist das Reflexivum gemäß Teil (b)
der Reflexivregel Objekt des Verbs V1. Die Siglen UO1+D2 geben die Doppelfunktion des Reflexivums als janusköpfiges Objekt an, einerseits als unspezifiziertes grammatisches Objekt des Verbs ließV1, andererseits als grammatisches
Dativobjekt des Verbs helfenV2.
Nur in Fällen wie (17) mit Reflexivum als Dativobjekt im transformierten
Satz kommt die unvollständige Anhebung in der sprachlichen Oberfläche zum
Vorschein, aber nichts spricht gegen die Generalisierung, dass auch in Fällen
wie (19) und (20), wo die äußere Gestalt des Dativobjekts unverändert bleibt,
eine unvollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung und somit ein janusköpfiges
Objekt vorliegt.
4
(19)
Der ChefN1 ließV1 die BüroleiterinA1+n2 den beiden ArbeiternD2 kündigenV2 →
Der ChefN1 ließV1 durch die BüroleiterinAP+a1+n2 den beiden ArbeiternUO1+D2
kündigenV2
(20)
Der ChefN1 ließV1 die BüroleiterinA1+n2 ihnenD2 kündigenV2 → Der ChefN1
ließV1 ihnenUO1+D2 durch die BüroleiterinAP+a1+n2 kündigenV2
Vollständige oder unvollständige Anhebungen
Wie in Abschnitt 2.3 erwähnt wurde, kann die mit lassen als Anhebungsverb
gebildete AcI-Konstruktion mit transitivem V2 mittels einer Objekt-zu-ObjektAnhebung und ohne dass ein weiteres Verb hinzukommt, in eine Konstruktion
mit passivischem V2 transformiert werden, wie in (21).
(21)
Der Vater lässt den Sohn ihn rasieren (= der Sohn rasiert den Vater) → Der
Vater lässt sich (von dem Sohn) rasieren (= der Vater wird von dem Sohn
rasiert)
In diesem Fall lässt sich aber nicht entscheiden, ob die Objekt-zu-Objekt-Anhebung als vollständig (A2 → A1+a2) oder als unvollständig (A2 → UO1+A2) zu
Vollständige und unvollständige Anhebungen im Deutschen
29
interpretieren ist. Die beiden Interpretationsmöglichkeiten werden in Abschnitt
4.1 bzw. 4.2 näher ausgeführt.
4.1
Interpretation als vollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung A2 → A1+a2
(21a)
Der VaterN1 lässtV1 den SohnA1+n2 ihnA2 rasierenV2 (= der Sohn rasiert den Vater) → Der VaterN1 lässtV1 sichA1+a2 (von dem SohnDP+a1+n2) rasierenV2 (= der
Vater wird von dem Sohn rasiert)
Die Interpretation als vollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung A2 → A1+a2 ist
aus den Siglen in (21a) ersichtlich. Vor und nach der Transformation ist lässt V1
und rasieren V2, und somit bleibt der hierarchische Status der Verben unverändert. Das Gleiche gilt für das grammatische Subjekt Der VaterN1. Dagegen werden beide Akkusativobjekte des Ausgangssatzes verschoben.
Zum einen wird den SohnA1+n2, das logisches Subjekt des Infinitivs rasierenV2 ist, zu von dem SohnDP+a1+n2 verschoben, was ein Indiz für die passivische
Lesart des Infinitivs im transformierten Satz ist. Diese Verschiebung ist eine Parallele zu der Verschiebung des ursprünglichen Subjekts beim Übergang vom
Aktivsatz zum Handlungspassiv, wie aus Beispiel (6) in Abschnitt 2.2 zu ersehen ist.
Zum anderen wird ihnA2 zu sichA1+a2 angehoben. Die Siglen geben an, dass
bei der Interpretation als vollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung das Personalpronomen ihnA2 im Ausgangssatz seinen Kasus von rasierenV2 zugewiesen
bekommt, während das Reflexivum sichA1+a2 im transformierten Satz seinen Kasus von lässtV1 zugewiesen bekommt. Da dieses Element vor und nach der
Transformation im Akkusativ steht, ist seine Verschiebung nicht am Kasus zu
erkennen. Für beide Pronomina gilt aber, dass ihr pronominaler Hinweis auf Der
VaterN1 gerichtet ist, und der Wechsel vom Personalpronomen zum Reflexivum
lässt sich dadurch erklären, dass das Pronomen im transformierten Satz zum
grammatischen Objekt von lässtV1 angehoben worden ist. Diese Interpretation
stimmt mit beiden Teilen der Reflexivregel überein. Das Reflexivum ist
zugleich logisches Akkusativobjekt des V2.
Der Wechsel vom Personalpronomen zum Reflexivum setzt voraus, dass das
Pronomen ihnA2 des Ausgangssatzes sich auf das Subjekt Der VaterN1 bezieht.
Falls gemeint ist, dass der Sohn nicht den Vater, sondern eine dritte Person, z. B.
den Nachbarn, rasiert, tritt bei der Transformation der Wechsel zum Reflexivum
nicht ein, weil der pronominale Hinweis dann nicht auf das grammatische Subjekt Der VaterN1 gerichtet ist, wie in (22) gezeigt wird. Falls gemeint ist, dass
der Sohn nicht den Vater, sondern sich selbst rasiert, muss gemäß der Reflexivregel als A2 von vornherein das Reflexivum stehen, da sein pronominaler Hin-
30
Per Bærentzen
weis auf das logische Subjekt von rasierenV2, also auf den SohnA1+n2 gerichtet
ist, wie es in (23) der Fall ist; dieser Satz lässt sich dann nicht transformieren.
4.2
(22)
Der VaterN1 lässtV1 den SohnA1+n2 ihnA2 rasierenV2 (= der Sohn rasiert den
Nachbarn) → Der VaterN1 lässtV1 ihnA1+a2 (von dem SohnDP+a1+n2) rasierenV2
(= der Nachbar wird von dem Sohn rasiert)
(23)
Der VaterN1 lässtV1 den SohnA1+n2 sichA2 rasierenV2 (= der Sohn rasiert sich
selbst)
Interpretation als unvollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung
A2 → UO1+A2
(21b)
Der VaterN1 lässtV1 den SohnA1+n2 ihnA2 rasierenV2 (= der Sohn rasiert den Vater) → Der VaterN1 lässtV1 sichUO1+A2 (von dem SohnDP+a1+n2) rasierenV2 (= der
Vater wird von dem Sohn rasiert)
Die Interpretation als unvollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung A2 →
UO1+A2 ist aus den Siglen in (21b) ersichtlich.
Der einzige Unterschied zu der in 4.1 gegebenen Interpretation besteht in
der Angabe, dass ihnA2 zu sichUO1+A2 angehoben wird. Die Siglen geben an, dass
bei der Interpretation als unvollständige Objekt-zu-Objekt-Anhebung nicht nur
das Personalpronomen ihnA2 im Ausgangssatz, sondern auch das Reflexivum
sichUO1+A2 im transformierten Satz seinen Kasus von rasierenV2 zugewiesen bekommt und beide Pronomina somit gemäß Teil (b) der Reflexivregel als grammatisches Akkusativobjekt des V2 zu interpretieren sind. Zugleich aber ist der
Wechsel vom Personalpronomen zum Reflexivum ein Indiz dafür, dass der pronominale Hinweis auf Der VaterN1 gerichtet ist und das Reflexivum somit gemäß Teil (a) der Reflexivregel als ein unspezifiziertes grammatisches Objekt
von lässtV1 zu interpretieren ist. Die Siglen UO1+A2 geben die Doppelfunktion
des Reflexivums als janusköpfiges Objekt an, einerseits als unspezifiziertes
grammatisches Objekt des Verbs lässtV1, andererseits als grammatisches Akkusativobjekt des Verbs rasierenV2.
Zwischen der Annahme, dass der Infinitiv rasierenV2 im transformierten
Satz passivisch ist, und der Annahme, dass das akkusativische Reflexivum seinen Kasus von eben diesem Transitivum zugewiesen bekommt, scheint ein Widerspruch zu bestehen. Die passivische Interpretation des Infinitivs wird jedoch
dadurch unterstützt, dass den SohnA1+n2, das logisches Subjekt des Infinitivs rasierenV2 ist, zu von dem SohnDP+a1+n2 verschoben wird. Auch ist das Reflexivum
nur zur Hälfte Objekt des Infinitivs, da es zugleich (unspezifiziertes) Objekt von
lässtV1 ist.
Vollständige und unvollständige Anhebungen im Deutschen
4.3
31
Generalisierung der Doppelinterpretation der akkusativischen Objekt-zuObjekt-Anhebung
Nur in Fällen wie (21) mit Reflexivum als Akkusativobjekt im transformierten
Satz kommt die doppelt interpretierbare Anhebung in der sprachlichen Oberfläche zum Vorschein, aber nichts spricht gegen die Generalisierung, dass auch in
Fällen wie (24), wo die äußere Gestalt des Akkusativobjekts unverändert bleibt,
die Objekt-zu-Objekt-Anhebung sich als vollständig (24a) und als unvollständig
(24b) interpretieren lässt.
5
(24)
Der Wirt ließ den Kellner den Tisch abräumen → Der Wirt ließ den Tisch
(von dem Kellner) abräumen
(24a)
Der WirtN1 ließV1 den KellnerA1+n2 den TischA2 abräumenV2 → Der WirtN1
ließV1 den TischA1+a2 (von dem KellnerDP+a1+n2) abräumenV2
(24b)
Der WirtN1 ließV1 den KellnerA1+n2 den TischA2 abräumenV2 → Der WirtN1
ließV1 den TischUO1+A2 (von dem KellnerDP+a1+n2) abräumenV2
Das Anhebungsverb lassen mit unvollständiger Objekt-zuObjekt-Anhebung als amalgamierter Verbalkomplex
In den in den Abschnitten 3 und 4 beschriebenen Konstruktionen mit dem Anhebungsverb lassen und unvollständiger Objekt-zu-Objekt-Anhebung wurde das
unvollständig angehobene Element als janusköpfiges Objekt bezeichnet. Es
bietet sich jedoch auch eine andere Beschreibung an, nach der die Verben V1
und V2 einen amalgamierten Verbalkomplex bilden. Damit ist gemeint, dass das
Anhebungsverb und der davon abhängige Infinitiv so eng miteinander verbunden sind, dass sie zusammen als ein Einzelverb zu betrachten sind. Die übrigen
Satzelemente lassen sich dann als vom amalgamierten Verbalkomplex abhängige Elemente beschreiben und der Begriff des janusköpfigen Objekts entfällt.
Demgemäß lassen sich die transformierten Sätze (25) aus Abschnitt 3.1, (26) aus
Abschnitt 3.2 und (27) aus Abschnitt 4, wenn wir von der Wortstellung abstrahieren, wie in (25′), (26′) und (27′) beschreiben.
(25)
ErN1 ließV1 sichUO1+D2 den KussA1+n2 gefallenV2
(26)
Der WirtN1 ließV1 sichUO1+D2 bei der Arbeit (von der FrauDP+a1+n2) helfenV2
(27)
Der VaterN1 lässtV1 sichUO1+A2 (von dem SohnDP+a1+n2) rasierenV2
(25′)
ErN1 [ließgefallen]V1 sichD1 den KussA1
(26′)
Der WirtN1 [ließhelfen]V1 sichD1 bei der Arbeit (von der FrauDP)
(27′)
Der VaterN1 [lässtrasieren]V1 sichA1 (von dem SohnDP)
Nicht selten begegnen Fälle mit dem Anhebungsverb lassen, in denen die in Abschnitt 3 beschriebene unvollständige dativische Objekt-zu-Objekt-Anhebung
32
Per Bærentzen
und die in Abschnitt 4 beschriebene doppelt interpretierbare akkusativische Objekt-zu-Objekt-Anhebung nebeneinander vorkommen, wie in (28) und (29). In
diesen Fällen ist V2 ein passivischer Infinitiv. Unter dem Gesichtspunkt des
amalgamierten Verbalkomplexes und ohne Berücksichtigung der Wortstellung
sind die Sätze wie in (28′) und (29′) zu beschreiben.
6
(28)
HollatzN1 […] ließV1 sichUO1+D2 immer wieder von MamaDP+a1+n2 meinen
SturzA1+a2/UO1+A2 von der Kellertreppe erzählenV2 und beruhigte sie, wenn sie
Matzerath, der die Falltür offen gelassen hatte, hemmungslos beschimpfte und
für alle Zeiten schuldig sprach (Grass 1962: 55)
(29)
Einige Sätze des Buches haben schon vor seinem Erscheinen die Runde gemacht, Dokumente der seelischen Kälte eines nur mit der Politik verheirateten
Vaters, derN1 dem SohnUO1+D2 den TodA1+a2/UO1+A2 der Mutter durch die BüroleiterinAP+a1+n2 mitteilenV2 lässtV1 und seine erneute HeiratA1+a2/UO1+A2 per Telegramm (Die ZEIT 03.02.2011: 45)
(28′)
HollatzN1 […] [ließerzählen]V1 sichD1 immer wieder von MamaDP meinen
SturzA1 von der Kellertreppe und beruhigte sie ...
(29′)
Einige Sätze des Buches haben schon vor seinem Erscheinen die Runde gemacht, Dokumente der seelischen Kälte eines nur mit der Politik verheirateten
Vaters, derN1 dem SohnD1 den TodA1 der Mutter durch die BüroleiterinAP
[mitteilenlässt]V1 und seine erneute HeiratA1 per Telegramm
Ausblick
Die hier beschriebenen Phänomene des janusköpfigen Objekts bzw. des amalgamierten Verbalkomplexes kommen nicht nur bei der lassen-Konstruktion vor.
Ich habe an anderer Stelle (Bærentzen 2002) gezeigt, dass das sogenannte bekommen-Passiv (30) und die Konstruktion mit bekommen + zu-Infinitiv (31) sowie die Konstruktion mit geben + zu-Infinitiv (32) sich als Konstruktionen mit
janusköpfigem Objekt (bzw. amalgamiertem Verbalkomplex) interpretieren lassen.
(30)
ErN1 bekamV1 den BriefA1+A2 zugeschicktV2
(31)
ErN1 bekamV1 ihren ZornA1+A2 zu spürenV2
(32)
ErN1 gabV1 dem KindD1+a2 einen KuchenA1+A2 zu essenV2
Die Begriffe des janusköpfigen Objekts bzw. des amalgamierten Verbalkomplexes sind gewissermaßen terminologische Paradoxe, aber sie ermöglichen die
adäquate Beschreibung einiger Konstruktionen, deren Analyse seit langem umstritten ist.
Vollständige und unvollständige Anhebungen im Deutschen
33
Literatur
Bærentzen, Per (2002): Das janusköpfige Objekt zweier Verben. In: Wiesinger, Peter (Hrsg.):
Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. „Zeitenwende – Die
Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert“. Band 2. Bern: Lang, 95–100.
Bech, Gunnar (1955): Studien über das deutsche Verbum infinitum. København: Ejnar
Munksgaard.
Grass, Günter (1962): Die Blechtrommel. Frankfurt am Main: Fischer Verlag.
Zur textkohäsiven Potenz von Wortbildungsprodukten
Stojan Bračič
1
Einführung
Die Rekurrenz als eines der Grundprinzipien der Textgestaltung kennt zahlreiche Spielarten. Neben der grammatischen und stilistischen ist vor allem auch die
semantische Rekurrenz durch verschiedene Varianten vertreten, wobei ein semantisches Merkmal im Textverlauf mehrfach auftaucht. Semantische Rekurrenz kann auch so gestiftet werden, dass in einem Text unterschiedliche Wortbildungsprodukte vorkommen, „die aufgrund eines invarianten strukturellen und
semantischen oder nur semantischen Merkmals zusammengefasst werden“
(Barz/Schröder/Hämmer/Poethe 2002: 183). In diesem Fall entstehen Wortbildungsparadigmen. Zu den Wortbildungsparadigmen können mit Fleischer/Barz
(1992: 68 f.) die Wortbildungsreihe, die Wortbildungsgruppe, das Wortbildungsnest sowie die Wortbildungssynonymie und -antonymie gezählt werden.
Im Folgenden soll das Wortbildungsparadigma „Wortbildungsnest“ unter
die Lupe genommen werden. Dabei wird so vorgegangen, dass nach einer theoretischen Darstellung der Problematik (Definition mit vom Text isolierten Beispielen, Wortbildungsnest und Wortbildungsaktivität von Kernwörtern) an drei
verschiedenen Texten (aus einer Zeitschrift, einer Zeitung und einem Auszug
aus einem literarischen Text) die Hauptcharakteristika des Wortbildungsnestes
erläutert werden. Anhand des letzten Textes wird ein Aspekt der Textkondensation berührt, die mithilfe von Wortbildungsprodukten herbeigeführt werden
kann.
2
Das Wortbildungsnest
2.1
Definition und Beispiele
„Als Glieder eines Wortbildungsnestes werden Wortbildungsprodukte bezeichnet,
die in ihrer Struktur über ein formal und semantisch identisches Grundmorphem verfügen, das das Kernwort des Nestes darstellt: klug, Klugheit, ausklügeln ...“ (Flei1
scher/Barz 1992: 71; Kursivschrift im Original).
1
Beim Wortbildungsnest handelt es sich im Prinzip um eine Wortfamilie. Der Unterschied
besteht darin, dass bei der Wortfamilie die etymologische Verwandtschaft im Vordergrund steht, was den diachronen Gesichtspunkt impliziert, also auf den ersten Blick auch
nicht mehr transparente Beziehungen zwischen Wörtern wie z. B. ziehen, Zeuge, züchten,
Zaum, die sich auf dieselbe Wurzel zurückführen lassen. Diese lexikalischen Einheiten
36
Stojan Bračič
Weitere Beispiele könnten sein (vgl. ebd.):
Kopf, köpfen, Dummkopf, Kopfverletzung
kaufen, abkaufen, käuflich, kauflustig
Grundschulzeit, Schulsystem, Schulformen
Das jeweilige Kernwort ist eine unmittelbare Konstituente der Wortbildungskonstruktion oder Teil einer unmittelbaren Konstituente des komplexen Wortes.
2.2 Wortbildungsnest und Wortbildungsaktivität
2.2.1 Wortbildungsaktivität bei unterschiedlicher Komplexität des Kernwortes
Einfache Kernwörter (Simplizia) neigen zur Derivation, z. B.:
krank: Krankheit, kränklich, erkranken, krankhaft, kranken …
Komplexe Kernwörter zeigen eher eine Affinität zur Komposition, z. B.:
Krankheit: Kinder-, Hautkrankheit; Krankheitserreger, -ursache, -bild; Krankheitsphase
…
2.2.2 Wortbildungsaktivität bei Polysemie des Kernwortes
Die meisten Lexeme, so auch die Kernwörter in Wortbildungsnestern, sind
mehrdeutig. Nicht alle Sememe von Kernwörtern sind jedoch gleich aktiv. Am
aktivsten ist in der Regel die jeweilige Hauptbedeutung.
So weist beispielsweise das polysemantische Kernwort grau (nach Wahrig:
Deutsches Wörterbuch) folgende Bedeutungsvarianten auf:
Semem 1 (Hauptbedeutung): ‚farbig aus einer Mischung zwischen schwarz und
weiß‘
Semem 2 (Nebenbedeutung1): ‚unbestimmt‘ (Vorstellung)
Semem 3 (Nebenbedeutung2): ‚trostlos, öde, eintönig‘(Stimmung).
Semem 1 (Hauptbedeutung) ist wortbildungsaktiv, vgl.:
grauhaarig, Graukopf, graumeliert, Graugans, ergrauen…
Semem 2 (Nebenbedeutung1) ist kaum wortbildungsaktiv. Das Wort Grauzone
ist eines der wenigen Komposita mit einer Nebenbedeutung.
sind in der Gegenwartssprache formal und semantisch nicht mehr an das Kernwort anzuschließen. Beim Wortbildungsnest geht es hingegen um die morphematische Motiviertheit von Wortbildungsprodukten auf gegenwartssprachlicher Ebene. Die lexikalische Bedeutung ist aus der Motivationsbedeutung erschließbar (ebd.: 72).
Zur textkohäsiven Potenz von Wortbildungsprodukten
37
Ausnahmen von dieser Tendenz sind wohl mit besonderen stilistischen
Funktionen verbunden. Darauf soll anhand eines Auszugs aus dem Text mit dem
Titel „Leben unterm Grauschleier“ eingegangen werden.
2.3
Textbeispiel 1
Leben unterm Grauschleier
Absatz 1: […] Hunderttausende in Deutschland leiden unter Dysthymie, einer
leichten chronischen Depression. Viele von ihnen ahnen nicht, dass eine heilbare
Krankheit sie zu notorischen Pessimisten macht. […]
Absatz 2: Die Welt, wie sie sie sehen, war schon immer grau in grau. […]
Absatz 3: Mindestens ein Mensch von hundert betrachtet die Welt seit Jahren, vielleicht sogar schon sein ganzes Erwachsenenleben lang durch die graue Brille der
Depression. […]
Absatz 5: Wenn die heftigen Symptome beseitigt sind, haben die Patienten oft das
Gefühl, sie seien genesen, weil sie die Welt wieder so gewohnt trüb wie vorher sehen. […]
Absatz 9: Sehr häufig muss der Grauseher von diesem Schritt2 erst überzeugt werden, weil er seinen Gemütszustand ja seit Jahren für normal hält.[…]
Absatz 13 [Textende, S. B.]: Das lässt sich ändern. Aber nur, wenn der Grauseher
sein Verhalten ändert.
(Werner Hinzpeter: Gesund Leben, Stern 5/2010: 56 f.; Fettdruck im Original behoben, Absatznummerierung von S. B.).
Vor dem Hintergrund der oben angeführten theoretischen Prämissen drängen
sich im Zusammenhang mit dem obigen Text die folgenden Fragen auf:
1. In welcher Bedeutungsvariante wird im obigen Text das Lexem grau grundsätzlich verwendet?
2. Das Kompositum Grauschleier ist doppeldeutig. Welche Bedeutungen lassen sich unterscheiden? Ist die Bedeutung in diesem Text lexikalisiert oder
ist das Lexem Grauschleier hier ein Textwort/Okkasionalismus (vgl.
Barz/Schröder/Hämmer/Poethe 2002: 181)?
3. Ist das Syntagma die graue Brille im Satz „Mindestens ein Mensch von hundert betrachtet die Welt seit Jahren, vielleicht sogar schon sein ganzes Erwachsenenleben lang durch die graue Brille der Depression“ eine Kollokation? Gibt es eine feste Wortverbindung mit Brille und einer Farbbezeichnung, die hier (text-)antonymisch zu grau aufzufassen ist?
4. Kommt im Text neben Grauschleier ein anderer Okkasionalismus vor?
2
Bezieht sich auf das empfohlene Heilverfahren im Prätext.
38
Stojan Bračič
5. Um welche Sememe von grau handelt es sich in Ulla Hahns Roman „Das
verborgene Wort“? (S. Abschnitt 2.5.)
Mögliche Antworten auf diese Fragen wären:
1. Bei dem Lexem grau geht es hier um die Realisierung des Semems 3, also
der Nebenbedeutung2, deren Synonym auch im 5. Absatz vorkommt: trüb.
2. Grauschleier weist zwei Bedeutungsvarianten auf:
konkret: ‚Einschlag ins Schmutziggraue (beim Wäschewaschen)‘ (Duden Universalwörterbuch)
figurativ: ‚besonderer psychischer Zustand leicht Depressiver‘
Diese letzte Bedeutung ist auch im Text gemeint; das Lexem ist hier ein
Textwort.
3. Das Syntagma die graue Brille ist keine Kollokation. Eine feste Wortverbindung ist nur rosarote Brille in alles durch eine rosarote Brille sehen (Wahrig, Deutsches Wörterbuch).
4. Im Text kommt neben Grauschleier auch eine andere Ad-hoc-Bildung vor,
nämlich das Lexem Grauseher. Vgl. schwarz sehen und Ulla Fix’ Erklärung
des Begriffs „kühne Metapher“ in Bračič/Fix/Greule (2011: 124).
5. In Ulla Hahns Roman ist im Lexem Graubrot das Semem 1 vertreten.
2.4
Textbeispiel 2
Bildungsbaustellen
Deutschlands Bildungslandschaft wird übersichtlicher. Auch wenn immer noch
kaum eines der 16 Schulsysteme einem anderen gleicht, lassen sich doch ein paar
Reformtrends erkennen. Erstens: Die Grundschulzeit wird ausgeweitet. In Berlin
und Brandenburg dauert sie traditionell sechs Jahre, in Hamburg sollen es jetzt auch
sechs werden und im Saarland immerhin fünf. Zweitens: Immer mehr Bundesländer
schaffen die Haupt- und Realschule als eigenständige Schulformen ab. Nur Bayern,
Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wollen derzeit noch am klassischen dreigliedrigen Schulsystem festhalten. In den übrigen Ländern findet sich, traditionell oder neu eingeführt, neben dem Gymnasium die Sekundarschule, die je nach Bundesland auch Oberschule, Realschule plus, Gemeinschaftsschule, Regelschule, Mittelschule, Stadtteilschule oder Regionale Schule
heißt. Oft können hier sämtliche Abschlüsse bis hin zum Abitur erworben werden.
Bildungssackgassen sollen so ausgeschlossen sein. Drittens: Bei den Sekundarschulkonzepten herrschen zwei unterschiedliche Philosophien. Die neuen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sehen unter einem gemeinsamen
Dach getrennte Bildungsgänge für Haupt- und Realschüler vor, auch in SchleswigHolstein und in Rheinland-Pfalz können sich Schulträger für dieses Modell entscheiden. Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Bremen, Hamburg und
Zur textkohäsiven Potenz von Wortbildungsprodukten
39
das Saarland dagegen wollen alle Schüler integriert beschulen. Viertens: In Berlin,
Bremen, Hamburg und dem Saarland sollen sogar die Gesamtschulen unter dem
Dach der Sekundarschulen mitfusionieren, in den übrigen Ländern bleiben sie auch
bei Einführung einer Sekundarschule bestehen. Einen umstrittenen Sonderweg plant
Thüringen mit der Einführung einer Gemeinschaftsschule auf freiwilliger Basis, an
der die Schüler im Extremfall sogar von der 1. bis zur 12. Klasse gemeinsam lernen
können.
Wichtig ist schließlich der Hinweis, dass in der Grafik3 sowohl bereits realisierte Reformen berücksichtigt sind als auch derzeit bekannte Reformpläne: In Berlin und Schleswig-Holstein läuft der Umbau, in Hamburg hängt die Umsetzung vom
Ergebnis des Volksentscheids nächsten Monat ab. In Bremen steht die Schulfusion
2011 an, im Saarland erst 2013.
Jan-Martin Wiarda, in: Chancen. Die Zeit Nr. 25/17. Juni 2010: 68 (Fettdruck im
Original behoben)
Zum Text lassen sich folgende Beobachtungen anstellen:
Im Text kommt als Kernwort von Wortbildungsprodukten am häufigsten das
Grundmorphem schule und dessen Varianten (Allomorphe) schul und schül vor.
Das Allomorph schul ist an die Erstgliedposition gebunden und ist auch die Derivationsstammform des Grundmorphems. (Fleischer/Barz 1992: 30)
Wenn man aus dem Text alle Wortbildungsprodukte herausschreibt, in denen das Kernwort schul-/-schule vorkommt, kann man dazu eine Übersichtstabelle (vgl. ebd.: 77) erstellen:
GrundHaupt-und Real-
SekundarOberRealGemeinschaftsRegelMittelStadtteilRegionale
3
Schul
schul
schule
Schul
Schul
schule
schule
schule
schule
schule
schule
schule
Schule
-systeme
-zeit
-formen
-system
plus
Bezieht sich auf die schematische Wiedergabe „Unter vielen Dächern“ auf derselben
Zeitungsseite, in der gezeigt wird, wie „sich die Schulsysteme der einzelnen Bundesländer unterscheiden und welche Reformen geplant sind“.
40
Stojan Bračič
Sekundar- schul
Haupt-und Real- schül
Schul
Schül
be- schul
Gesamt- schulen
Sekundar- schulen
Sekundar- schule
Gemeinschafts- schule
Schül
Schul
-konzepten
-er
-träger
-er
-en
-er
-fusion
Tabelle: Wortbildungsnest mit schule im Text „Bildungsbaustellen“
Es zeigt sich, dass in den Wortbildungsprodukten im Text die Grundmorphemvariante schule häufiger vertreten ist als schul bzw. schül.
Das Kernwort schul-/-schule kommt interessanterweise auch in dreimorphemischen Komposita vor, das sind Grundschulzeit, Stadtteilschule, Sekundarschulkonzept (vgl. ebd.: 98). Das Kernwort schul-/-schule kommt jedoch nicht
nur in Komposita vor, sondern auch in anderen Wortbildungsarten. Wir haben
im obigen Text z. B. auch substantivische Derivate (Schüler, Haupt- und Realschüler) und ein verbales Derivat (beschulen). Dadurch kommt es zum Wechsel
der semantischen Klassen (und der Wortarten) – vgl. den Begriff Transposition
in Barz/Schröder/Hämmer/Poethe 2002: 182. Das Wortbildungsnest rund um
das Kernwort schul-/-schule enthält 24 Wortbildungen.
Neben diesem umfangreichsten Wortbildungsnest mit dem Kernwort schul-/
-schule gibt es im Text noch einige andere Wortbildungsnester, die nicht so differenziert ausgebaut sind, z. B. mit den Kernwörtern bildung-, bau-, sekundar-,
gemein-, haupt-, real-, fusion-, reform- und -land. Die Komponenten der Wortbildungsnester zu jedem dieser Kernwörter sind die folgenden.
bildung-: Bildungsbaustellen, Bildungslandschaft, Bildungssackgassen, Bildungsgänge
bau-: Bildungsbaustellen, Umbau
sekundar-4: Sekundarschule, Sekundarschulkonzept, Sekundarschulen, Sekundarschule
gemein-: Gemeinschaftsschule, gemeinsam (zweimal)
haupt-: Haupt- und Realschule, Haupt- und Realschüler
4
sekundar- ist ein Allomorph zum frei vorkommenden Wort sekundär. Es ist an einen
Wortkontext gebunden (vgl. Fleischer/Barz 1992: 31).
Zur textkohäsiven Potenz von Wortbildungsprodukten
41
real-: Haupt- und Realschule, Haupt- und Realschüler
-fusion-: mitfusionieren, Schulfusion
reform-: Reformtrends, Reformpläne
-land: Bundesländer, Bundesland, Bundesländer, Ländern.
An gewissen Stellen als „Knotenpunkten“ (Fleischer/Barz 1992: 76) kommt es
aufgrund der identischen Kernwörter zu Überschneidungen zwischen den einzelnen Wortbildungsnestern bzw. Wortbildungsprodukten:
Schulfusion : mitfusionieren; Gemeinschaftsschule : gemeinsam (zweimal); Schulformen : Reform : Reformpläne : Reformtrends; Bundesländer : Bundesland : Länder : Bundesländer : Länder; Bildungsbaustellen : Umbau.
2.5
Textbeispiel 3
Interessanterweise kristallisieren sich solche Wortbildungsnester auch in literarischen Texten heraus. Hinzu kommt manchmal, dass ein Wortbildungsprodukt
am Anfang einer Texteinheit (Absatz, Unterkapitel oder Kapitel, manchmal sogar in Überschriften) stehen kann, während in dem darauf folgenden Kotext isoliert einzelne Konstituenten des Kompositums erscheinen, das auf diese Weise
quasi dekomponiert wird (vgl. Weinrich 1993: 923). Dadurch entsteht im betreffenden Textabschnitt ein semantisches Netz, einzelne Elemente sind somit stärker miteinander verknüpft. Im dritten Textbeispiel soll dies an einem aus einem
längeren literarischen Text herausgenommenen Textsegment nur andeutungsweise demonstriert werden.5
Das verborgene Wort
1. Nach einer Weile zauberte der Großvater seine Mundharmonika wieder weg und
hexte Hasenbrote hervor. 2. Köstliches Graubrot mit Rübenkraut oder Holländerkäse. 3. Jede Scheibe einzeln wollte er den Hasen abgejagt haben. 4. Von der Großmutter kam nur das Pergamentpapier. 5. Das mußte man falten und wieder mit nach
Hause bringen. 6. War das Brot vom bösen Hasen, wollten wir wissen, dem mit den
grausigen Zähnen und Ohren, so lang, daß er sie am Hinterkopf verknoten mußte,
um beim Hakenschlagen nicht draufzutreten. 7. Immer war es dem Großvater am
Ende gelungen, den Hasen hereinzulegen, sei es, daß er sich ein grünes Taschentuch
über den Kopf gelegt und der Hase ihn für einen frischen Kohlkopf gehalten hatte,
sei es, daß es ihm geglückt war, dem Hasen Salz auf den Schwanz zu streuen. 8. Jedesmal zog der Großvater sein Taschentuch oder ein Backpulvertütchen mit Salz
hervor, seine Waffen, Beweis für Jagd und Beute.
(Auszug aus Ulla Hahn, Das verborgene Wort. Roman. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2003, S. 10; Satznummerierung von S. B.)
5
Mehr zu dieser Thematik s. in Bračič/Fix/Greule (2011).
42
Stojan Bračič
Am Anfang des angeführten Absatzes steht das Kompositum Hasenbrote. Dieses Kompositum löst sich im Posttext in seine Komponenten auf. In diesem Dekompositionsprozess entstehen zwei Wortbildungsnester:
Wortbildungsnest 1: Hasenbrote (1), Hasen (3), Hasen (6), Hasen, Hase, Hasen (7)
Wortbildungsnest 2: Hasenbrote (1), Graubrot (2), Brot (6)
3
Ergebnisse
Wortbildungsprodukte sind mehr als Pendants zu den Wortgruppen als freien
syntaktischen Fügungen. Sie können sich im Text durch wiederholtes Auftauchen ihrer Konstituenten ähnlich wie Elemente einer Isotopiekette zu Verkettungen verbinden und den semantischen Zusammenhalt des Textes verstärken.
So entstehen Wortbildungsparadigmen, die durch ihre kohäsive Potenz dazu
beitragen, dass der Text als semantische Einheit fungieren kann.
Dabei geht es nicht immer nur um eine statische Bündelung von Wortbildungsprodukten aufgrund gemeinsamer semantischer Invarianten, sondern häufig zeichnet sich auch eine Perspektivierung, eine dynamische Progression ab:
Ein Wortbildungsprodukt am Textanfang kann z. B. kataphorisch den ganzen
Textinhalt vorwegnehmen, indem seine im Text verstreuten (dislozierten) Kompositionsglieder und/oder deren semantische Äquivalente im Textfortgang unterschiedlich variiert aufgegriffen werden (vgl. Bračič 2000: 49 ff.). Diese textuelle Dimension der Wortbildung ist noch nicht für alle Textsorten erforscht
worden und stellt ein Desiderat im Schnittpunkt zwischen Semantik, Lexikologie, Syntax und Textlinguistik sowie Stilistik dar.
Literatur
Barz, Irmhild / Schröder, Marianne / Hämmer, Karin / Poethe, Hannelore (2002): Wortbildung – praktisch und integrativ. Ein Arbeitsbuch. Frankfurt am Main: Lang.
Bračič, Stojan (2000): Textkohäsive Leistung von Kondensation und Projektion. In: Dorfmüller-Karpusa, Käthi / Vretta-Panidou, Ekaterini (Hrsg.): Thessaloniker interkulturelle
Analysen. Akten des 33. Linguistischen Kolloquiums in Thessaloniki 1998. Frankfurt am
Main: Lang, 49–57.
Bračič, Stojan / Fix, Ulla / Greule, Albrecht (2011): Textgrammatik – Textsemantik –Textstilistik. Ein textlinguistisches Repetitorium. Ljubljana: Filozofska fakulteta.
Fleischer, Wolfgang / Barz, Irmhild (1992): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache.
Tübingen: Niemeyer.
Weinrich, Harald (1993): Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim: Dudenverlag.
Die Sprachkompetenz am Beispiel der rumänischen
Strukturen pahar de apă – pahar cu apă
Ioana-Narcisa Creţu
1
Voraussetzungen
In der rumänischen Sprache gibt es Unterschiede in der Beurteilung der Präpositionen aufgrund des sprachlichen Wissens. Für die hier zu analysierenden
Strukturen der rumänischen Sprache wird die Kompetenztheorie von Coseriu
(1988, 22007) zugrunde gelegt. Als Kriterium, nach dem sich die verschiedenen
Arten des Wissens unterscheiden lassen, zieht diese Theorie drei Arten von Urteilen heran: die erste Art bezieht sich auf die allgemeinsprachliche Kompetenz,
d. h. die Fähigkeit des Sprechers, kongruent zu sprechen, die zweite Art bezieht
sich auf die Fähigkeit, eine Einzelsprache korrekt zu verwenden, die dritte bewertet die Fähigkeit, in Bezug auf die Sache, die Hörer und die Situation angemessen zu sprechen. Der Fehler wird als Verstoß gegen die Erwartungen aufgefasst, „seien diese Erwartungen nun als Prinzipien, Normen oder Regeln des
Sprechens kodifiziert“ (Weber 1994: 375).
Es werden Konstruktionen vom Typ pahar de apă / pahar cu apă (Wasserglas bzw. Glas (mit) Wasser) gewählt, weil viele Sprachwissenschaftler – darunter Coseriu selbst – der Meinung sind, dass in der rumänischen Sprache diese
Beispiele zu einem Bereich gehören, wo totale Konfusion herrscht. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Opposition pahar de apă – pahar cu apă keineswegs der Gegenüberstellung Glas Wasser – Wasserglas im Deutschen entspricht. Im Rumänischen kann pahar de apă sowohl Glas Wasser als auch Wasserglas bedeuten und steht deswegen mit eindeutigeren Strukturen wie pahar cu
apă (Glas mit Wasser) in Konkurrenz.
Da die Gründe (und auch die Lösungen) bisher von der Forschung noch
nicht so eindeutig wie im Falle von regionalen Varietäten benannt wurden, soll
anhand von Coserius Kompetenztheorie die Art der Abweichungen genauer bestimmt werden. Dabei wird auch die Frage gestellt, unter welchen Bedingungen
die Fehler „aufgehoben“ werden.
2
Zum Forschungsstand
Die Frage, welche der Strukturen vom Typ pahar de apă bzw. pahar cu apă
(Glas (mit) Wasser) als Fehler zu betrachten ist, führt zu einer heftigen Debatte,
die nach den Bedeutungen dieser Formen sucht:
44
Ioana-Narcisa Crețu
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts findet man Aufsätze1, die Konstruktionen
mit der Präposition cu anstelle von de im Gebrauch der Sprache signalisieren.
Zwar wird auf die Konkurrenz zwischen de und cu hingewiesen, aber fast alle
finden nur die Struktur vom Typ pahar de apă normgerecht. Während z. B. der
Sprachwissenschaftler Gorun (1910) die Konkurrenz der beiden Formen durch
die Mehrdeutigkeit der Präposition de erklärte und sogar der Meinung war, dass
nur der Gebrauch über die richtige Konstruktion entscheiden könne, hielt
Candrea (1931) nur die Konstruktion mit de für richtig, da diese Präposition
auch auf den Inhalt hinweisen könne und somit kein Anlass bestehe, sie durch
eine andere Präposition zu ersetzen, um deutlicher auf den Inhalt zu verweisen.
Dass dieses Argument jedoch – schon damals – nicht für alle klar genug
war, beweisen die unterschiedlichen Auffassungen. Entweder werden beide
Formen zugelassen: am băut un pahar de / cu apă (Ich habe ein Glas (mit)
Wasser getrunken) (vgl. Pop 1948: 346), oder es wird der Verweis auf den
Inhalt zu den Bedeutungen beider Präpositionen gerechnet: cutia cu cremă (die
Schachtel mit Creme) bzw. băusem o damigeană de vin (ich trank eine Korbflasche (mit) Wein) (vgl. Rosetti/Byck 1945: 168).
Zu den wichtigsten Sprachwissenschaftlern, die sich öfters mit diesen
Strukturen auseinandergesetzt haben, zählt auch Alexandru Graur. Obwohl der
Sprachwissenschaftler bemerkt, dass die Präposition de im Rumänischen viele
Bedeutungen hat und dadurch unklar sein kann (vgl. Graur 1963: 24 und Graur
1976: 84), gilt auch seine Aufmerksamkeit anfangs dem Versuch, die Konstruktion pahar cu apă als inkorrekt zu beschreiben: man müsse Formulierungen wie
pahar de apă nicht durch pahar cu apă ersetzen, weil auch die Präposition de
das Maß anzeigen könne, was aber die Sprecher übersehen würden. Infolgedessen ist er überzeugt, dass die Verwendung der Strukturen mit cu eine falsche
Sprachentwicklung bewirkt, da sie einerseits zur Ersetzung der Präposition de
auch in bereits festen Verbindungen führe: nach derselben Regel müsse man
statt milion de franci (eine Million Franken) – milion cu franci (eine Million mit
Franken) sagen oder den Namen eines bekannten rumänischen Klosters, Curtea
de Argeş (ungefähr mit Argeş-Hof zu übersetzen), durch Curtea cu Argeş (Hof
1
In der kommentierten Bibliographie der Universitätsbibliothek Bukarest (vgl. Biblioteca
Centrală Universitară, 1973) werden 12 Aufsätze zu diesem Thema genannt: Speranţă,
Th. D. (1900): De sau cu?; Kurth, R. (1904): Der Gebrauch der Präpositionen im Rumänischen; Gorun, I. (1910): Mărunţişuri bzw. Un cuvinţel buclucaş; Graur, Alexandru
(1930): Un pahar cu apă bzw. Cu sau de? Graur, Al. (1931): De sau cu?; Candrea I.-A.
(1934): Un pahar cu apă bzw. Îndreptarul limbii. Un pahar cu apă; Pisani, T. (1935):
Numerus valachicus; Niculescu, Al. (1962): Cronica limbii. Tendinţa de înlocuire reciprocă a unor prepoziţii; Draşoveanu, D. D. (1969): Legături sintactice de la stânga la
dreapta.
Die Sprachkompetenz am Beispiel von rum. pahar de apă – pahar cu apă
45
mit Argeş) ersetzen, was natürlich unsinnig wäre und eigentlich von Graur eher
ironisch gemeint ist. Andererseits würde eine Äußerung wie pahar cu vin (ein
Glas mit Wein) bedeuten, dass man sowohl den Wein als auch das Glas trinkt
(vgl. Graur 1963: 24-25). Solch eine Abweichung gehört nach der Kompetenztheorie Coserius einer anderen Fehlerart an.
Erst später gibt Graur zu, dass sich die Bedeutungen der Präpositionen geändert haben (vgl. auch Graur 1973: 168). Der Linguist bemerkt, dass diese
Konstruktionen immer häufiger von vielen Sprechern gebraucht werden, trotz
der Kritik der Sprachwissenschaftler (vgl. Graur 1976: 83-84). In diesem Punkt
geht Graur einen Schritt weiter als seine Vorgänger und versucht eine Erklärung
zu formulieren: Äußerungen wie pahar cu apă, die anstelle der Formen pahar
de apă erscheinen, sind das Ergebnis der Sprachentwicklung. Der Wissenschaftler versucht das Problem diachronisch zu begründen, da er feststellt, dass
die Präposition schon in der Entwicklung der lateinischen Sprache eine immer
größere Rolle gespielt hat und in den romanischen Sprachen weiter an Bedeutung gewonnen hat. Als Beispiel wird die französische Sprache genannt. Die
Anzahl der Präpositionen sei deutlich zu klein gewesen im Vergleich mit ihren
vielen Verwendungen. Dadurch könne man die vielen Bedeutungen der Präposition de in der heutigen Sprache erklären (vgl. Graur 1968: 326–328).
Seit den 70er Jahren erkennen die Sprachwissenschaftler eine Tendenz in
der heutigen Sprache, die auf semantische Veränderung der Präpositionen deutet. Viele bemerken, dass ein Bedeutungswandel der häufig gebrauchten Präpositionen stattfindet, besonders bei de. Hier sind sowohl die schon erwähnten
Aufsätze von Nicolae Niculescu und D. D. Draşoveanu – dieser erkennt hier
eine besondere syntaktische Bindung – zu nennen (vgl. Biblioteca Centrală
Universitară 1973) als auch die Werke von Iorgu Iordan, Vasile Breban und
Mioara Avram.
Obwohl die Sprachwissenschaftler noch der Meinung sind, dass die gegenseitige Substitution der Präpositionen de und cu in den genannten Konstruktionen zu inkorrekten Formen nach den grammatischen Normen führt (vgl. Avram
1986: 217, wie schon bei Pop 1948: 323) oder zu Unterschieden zwischen
Strukturen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache (Niculescu 1962),
sehen alle ein, dass diese Tendenz nicht bestritten werden kann und auch nicht
ein Fall von regionaler Varietät ist, wie z. B. die Ersetzung der Präposition de pe
(von) durch după (nach, hinter), in manchen Gegenden Rumäniens oder in anderen Gebieten auch umgekehrt. Hier verleitet die formale Ähnlichkeit zwischen
de pe und după zur semantischen Konfusion: un vecin după strada mea (ein
Nachbar nach meiner Straße) anstatt un vecin de pe strada mea (ein Nachbar
von meiner Straße) bzw. a căzut de pe casă (es ist von dem Haus [hier: Dach]
gefallen) anstatt a căzut după casă (es ist nach (hinter) das Haus gefallen).
46
Ioana-Narcisa Crețu
Breban hält sogar – über die Normen hinaus – die neuen Formen für richtig,
weil er deren Verwendung für berechtigt hält (vgl. Breban 1973: 86–89). Da de
mehrere Bedeutungen haben kann (darunter Zweck und Inhalt), hebt er hervor,
dass Schwierigkeiten in der Verwendung der Präposition auftreten, z. B. wenn
man nur den Inhalt in pahar de vin signalisieren möchte. Obwohl der Autor zugibt, dass die Ersetzung von de durch cu in Strukturen wie pahar de apă (Glas
Wasser), cana de lapte (Kanne Milch), sticla de bere (Flasche Bier), oala de vin
(Krug Wein) zu einer heftigen Diskussion führt, sei die Ersetzung begründet. Es
gehe hier um die Klarheit der Äußerung, besonders wenn die Formen mehrdeutig sein können, wie im Falle von pahar de vin (Glas Wein). Da diese Struktur
auch den Zweck anzeigt (Weinglas), könne in einem Lokal die Bedienung ein
Glas Wein, aber auch ein leeres Weinglas bringen. Infolgedessen hält er die
Konstruktion mit diesen beiden Präpositionen für richtig.
Der Sprachwissenschaftler formuliert eine mögliche Erklärung, die auch von
Iorgu Iordan erwähnt wird: die Mehrdeutigkeit der Präposition de könne durch
den Einfluss des Französischen erklärt werden. Die Ähnlichkeit mit de aus dem
Französischen sei formell und auch semantisch einigermaßen nachzuvollziehen.
Zu den wenigen Linguisten, die den Versuch machten, die Fehler eindeutig
zu markieren, gehört Eugenio Coseriu. Er weist darauf hin,2 dass Beispiele wie
pahar de apă – pahar cu apă (Wasserglas bzw. Glas (mit) Wasser) einen
Bereich aus der rumänischen Sprache betreffen, in dem totale Konfusion
herrscht. Er versucht anhand einer strukturellen Analyse eine klare Opposition
zu beweisen.
Coseriu geht von Graur aus, der gegen die Tendenz protestiert hat, pahar cu
apă (Glas mit Wasser) statt pahar de apă (Glas Wasser) oder pahar cu vin (Glas
mit Wein) statt pahar de vin (Glas Wein) zu sagen. Der Sprachwissenschaftler
versucht, die Fälle zu identifizieren, in denen nur die Präposition de im Rumänischen erscheinen kann und nie cu, und sie von den Fällen abzugrenzen, in denen
hingegen die Präposition cu erscheinen muss.
Nach Coseriu könne man, wenn es um Behälter geht, die etwas enthalten, im
Rumänischen eine klare Opposition feststellen: wenn die Quantität gemeint ist,
2
Unter seinen Tausenden von Manuskripten, die Eugenio Coseriu nicht veröffentlicht hat,
findet man auch Bemerkungen, welche die rumänische Sprache betreffen. Darüber hat
sich Nicolae Saramandru, ein Mitglied der rumänischen Akademie, mit Coseriu am
21.03.1999 unterhalten und die Gespräche aufgenommen. In einem dieser Gespräche
erklärt Coseriu, dass er sogar die Struktur plosca cu vin roş (die Plosca mit Rotwein) als
Titel einer Diskussion wählen wollte, um sie dann mit den Formen: pahar de vin roş –
plosca de vin roş (Rotweinglas bzw. Rotwein-Plosca) zu ergänzen. (Plosca ist ein
traditioneller Behälter, flach und rund, meistens aus Holz, den man früher in Rumänien
anstelle von Flaschen insbesondere auf Reisen oder zum Einschenken verwendete.)
Die Sprachkompetenz am Beispiel von rum. pahar de apă – pahar cu apă
47
dann erscheint immer nur de, d. h. wenn es ein Maß ist: un pahar de vin (ein
Glas Wein), un butoi de vin (ein Fass Wein), o strachină de fructe (eine Schale
Früchte), un sac de ... (ein Sack ...).
Wenn es um den Inhalt geht, erscheint dagegen cu (mit), was man bemerken
würde, sobald man anders quantifiziert: un pahar cu ceva apă (ein Glas mit etwas Wasser), cu 300 g de apă (mit 300 g Wasser), un pahar cu câteva picături
de apă (ein Glas mit einigen Tropfen Wasser). Es ist unmöglich zu sagen: de
câteva picături de apă (ein Glas aus/für einige(n) Tropfen Wasser). Höchstens,
wenn es um ein Bild geht, sagt man: o farfurie cu fructe (ein Teller mit Früchten), da es da nicht um das Maß geht, sondern um das, was darin ist. Dieses
könne man gerade dann genauer bemerken, wenn der Behälter nicht voll ist,
sondern nur etwas enthält: un pahar cu otravă (ein Glas mit Gift). Bei plosca cu
vin roş (die Plosca mit Rotwein) sei es völlig klar: Toma Alimoş îi dă lui Manea
sticla cu vin roş (Toma Alimoş gibt Manea3 die Flasche mit Rotwein). Plosca de
vin roş (die Plosca Rotwein) würde das Ganze bedeuten, das er ihm gibt, während plosca cu vin roş (die Plosca mit Rotwein) bedeutet, dass diese plosca etwas Rotwein enthält und dass er sie dem anderen anbietet, damit er auch etwas
daraus trinkt.
Es werden auch Fälle genannt, in denen es völlig unmöglich ist, de zu sagen,
da nur cu möglich sei: o farfurie cu 3 mere, nur o farfurie de 3 mere (ein Teller
mit 3 Äpfeln, nicht ein Teller 3 Äpfel), aber o farfurie de făină / o farfurie cu o
făină neagră (ein Teller Mehl / ein Teller mit einem dunklen Mehl) usw. Im
letzten Fall ginge beides, da es entweder ein Maß oder nur ein Behälter mit einem besonderen Inhalt sein kann.
Coseriu gibt zu, dass es hier Verwechslungen geben kann, aber bei den Personen, welche die Sprache gut kennen, würde es keine Verwechslungen geben,
da man de für Maß und cu für Inhalt gebraucht.4 Der Sprachwissenschaftler
nennt dazu noch eine Bedeutung für de, und zwar den Zweck des Behälters, wofür der Behälter bestimmt ist, d. h. pahare de vin şi pahare de bere (Weingläser
und Biergläser), pahare de şampanie (Sektgläser), pahare de ţuică – astea nu
sunt păhăruţe de ţuică (Schnapsgläser – das sind keine Gläschen für Schnaps“),
also in dem Fall, unterstreicht der Wissenschaftler, wenn gerade nichts darin ist.
Seine Schlussfolgerung ist, dass es besonders im Vergleich mit dem Deutschen völlig klar sei: Glas Wein ist nur pahar de vin: Ein Glas Wein, bitte (un
pahar de vin, vã rog). Weinglas ist auch pahar de vin, d. h. ein Glas für Wein,
3
4
Toma Alimoş und Manea sind Helden der bekannten rumänischen Volksballade Toma
Alimoş.
Dieselbe Meinung vertritt Coseriu auch später, und zwar in dem von mir aufgenommenen Interview vom 10.07.2000.
48
Ioana-Narcisa Crețu
wenn man dieses de mit pentru (für) ersetzen kann. Hingegen sei Glas mit Wein/
mit einem rötlichen Wein oder mit einigen Tropfen Wein im Rumänischen mit cu
wiederzugeben. Coseriu gibt aber zu, dass man dieses Thema erweitern müsse,
um es auch mit anderen Beispielen begründen zu können.
3
Der normative Standpunkt
Die Grammatik der Akademie, das Standardwerk für die Grammatik der rumänischen Sprache, setzt fest, dass die Präposition de 14 Bedeutungen haben kann,
darunter auch diejenige, die schon Coseriu erwähnt: Maß oder Zweck. Für die
letzte Bedeutung wird das Beispiel salonul de aşteptare (der Wartesaal) angeführt. Doch sowohl in den Beispielen aus dem morphologischen Teil als auch in
denen aus dem syntaktischen Teil wird auch der Inhalt als weitere Bedeutung
genannt. Zum einen wäre un coş de mere als ein Korb Äpfel zu übersetzen, aber
als ein Korb mit Äpfeln zu verstehen. Zum anderen wird zu den Bedeutungsnuancen des durch die Präposition de eingeleiteten Attributs erneut der Inhalt
gezählt und mit ähnlichen Beispielen, diesmal aus der rumänischen Literatur,
belegt: un pahar de rachiu şi unul de rom (ein Glas (mit?) Schnaps und eines
(mit) Rum); o sticla de vin (eine Flasche (mit?) Wein ) bei Ghica5.
Als Erklärung für die vielen Bedeutungen, die im Falle von de zu verstehen
sind – die Präpositionen cu (mit) und pentru (für) haben nur eine Hauptbedeutung –, wird angegeben, dass de zu den abstraktesten Präpositionen zählt. Der
abstrakte Wert ist nicht bei allen Präpositionen derselbe. Je abstrakter das Wort
ist, desto mehr Bedeutungen können damit verknüpft werden (vgl. Gramatica
limbii române 1963: 329).
Auch andere Sprachwissenschaftler betrachten die Präposition de als abstrakt im Vergleich mit anderen, darunter auch cu, die noch eine konkrete Vorstellung ermögliche (vgl. Constantinescu-Dobrior 1974).
Die Grammatik von Iorgu Iordan erklärt die vielen Bedeutungen der Präposition de damit, dass sie zu den ältesten Präpositionen gehört, die aus dem
Lateinischen in der Sprache erhalten geblieben sind. Zum Teil blieben dieselben
lateinischen Präpositionen erhalten, haben aber durch die Sprachentwicklung
zusätzliche Bedeutungen bekommen.
Für de werden nur acht Bedeutungen angegeben, darunter der Zweck, den
auch Coseriu nennt, wenn de mit pentru (für) zu ersetzten ist: dar de casă nouă
(Geschenk für das neue Haus).
Iordan schließt sich den Sprachwissenschaftlern an, die im heutigen
Gebrauch der Präpositionen das Auftreten von neuen Konstruktionen hervorhe5
Rumänischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts
Die Sprachkompetenz am Beispiel von rum. pahar de apă – pahar cu apă
49
ben: Die Sprecher würden sich bemühen, deutlichere sprachliche Strukturen zu
erzeugen. Die Formen pahar de apă, sticlă de bere bzw. pahar cu apă, sticla cu
bere stehen in freier Variation zueinander. Die Entscheidung für die Verwendung der einen oder der anderen Präposition sei schwierig, aber nicht falsch wie
im Falle anderer Beispiele (vgl. Iordan 1956: 302). Dass die Präposition de allzu
oft und manchmal sogar falsch verwendet werde, sei durch den Einfluss des
Französischen zu erklären (vgl. Iordan 1956: 481), und zwar dank einer formalen Ähnlichkeit der Präposition in den beiden Sprachen und einer gewissen semantischen Gleichstellung. Dieser Ansicht sind auch andere Sprachwissenschaftler, obwohl sie nicht näher darauf eingehen.
4
Die Präposition de in der französischen Sprache
Das Große Handwörterbuch Französisch-Deutsch (1992) nennt 22 Bedeutungen
der Präposition de. Darunter werden auch Inhalt und Menge genannt. Die Beispiele ähneln denen aus der rumänischen Sprache für Inhalt – une tasse de thé
(eine Tasse Tee) – und für Menge – un verre de vin (ein Glas Wein). Die Menge
entspricht hier der Bedeutung Maß von Coseriu und ist in Langenscheidts
Handwörterbuch Französisch (1992) als allgemeine Teilvorstellung
wiederzufinden: un verre de vin (ein Glas Wein).
Die Struktur, die in Frage gestellt wurde (vom Typ un pahar de vin roş – ein
Glas Rotwein), wird auch in der französischen Sprache mit derselben Präposition de gebildet: un verre de vin rouge. Dafür werden auch zwei mögliche
Übersetzungen angegeben: ein Glas voll roten Weines und ein Glas Rotwein.
Ähnlichkeiten mit der rumänischen Sprache gibt es auch in der Doppeldeutigkeit der Präposition de, die sowohl Zweck als auch Maß anzeigen kann, wobei de in der Bedeutung Zweck oft mit der Präposition à konkurriert. Formen
wie: eine Flasche Bier, ein Glas Wein, zwei Fass Bier werden nur durch Konstruktionen mit der Präposition de erklärt (une bouteille de bière, un verre de vin,
deux tonneaux de bière), während bei Komposita beide Präpositionen auftreten
können. Wörter wie Bierfass, Bierflasche, Bierglas, Weinflasche, Weinglas,
Wasserglas werden meistens mit der Präposition à markiert (tonneau à bière,
bouteille à bière, verre à bière, bouteille à vin, verre à vin, verre à eau). Es
können aber auch Zusammensetzungen mit de auftreten. Ein Tellertuch ist serviette de table. Für ein Weinfass wird sowohl tonneau de vin (Großes Handwörterbuch Französisch–Deutsch 1992) als auch tonneau à vin (Langenscheidts
Handwörterbuch Französisch 1992) angegeben.
Die beiden Möglichkeiten können sogar mit einem Übersetzungsbeispiel
bestätigt werden. In seiner Grammaire roumaine (1948) nennt der Verfasser Se-
50
Ioana-Narcisa Crețu
ver Pop zu den Bedeutungen beider Präpositionen des Rumänischen (de und cu)
das französische de.
Andererseits vermerkt, genau wie im Fall der rumänischen Sprache, schon
das Wörterbuch von Pierre Grappin (1963), dass de im Französischen oft andere
Präpositionen ersetzt und dass diese Präposition mehrdeutige Nuancen hat, die
schwer erfassbar sind.
Der Beweis, dass die Präposition de nicht nur im Rumänischen, sondern
auch in einer anderen romanischen Sprache mehrdeutig ist, liefert zwar eine Erklärung, aber noch kein Kriterium, nach dem man die Abweichungen erkennen
könnte. Um die Fehlerarten einheitlich behandeln zu können, wird nun Coserius
Kompetenztheorie in Betracht gezogen.
5
Coserius Kompetenztheorie
Die Kompetenztheorie von Coseriu (1988, 22007) verbindet die antike Dreiteilung der sprachlichen Disziplinen (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) mit Gedanken von W. von Humboldt und F. de Saussure (vgl. Weber 1994: 375).
Innerhalb der kulturellen Sprachkompetenz sind drei Ebenen der Sprache,
die schon bei Humboldt zu erkennen sind, zu unterscheiden: die universelle
Ebene, die Einzelsprache und die individuelle Ebene. Coseriu bemerkt, dass es
Urteile über das Sprechen gibt, die sich auf die drei in der Einleitung hervorgehobenen Ebenen beziehen. Diese Urteile sind autonom. Ein Text kann unangebracht in bestimmten Situationen sein, auch wenn er kongruent und korrekt
ist. Die Urteile, die auf den drei Ebenen des Sprechens gefällt werden, können
von unten nach oben aufgehoben werden. Das bedeutet, dass die Angemessenheit die Inkorrektheit und die Inkongruenz aufheben kann und dass die Korrektheit die Inkongruenz aufheben kann.
Coserius Kompetenztheorie ermöglicht es, die Fehlerarten in den besprochenen Konstruktionen vom Typ pahar de apă bzw. pahar cu apă (Glas (mit)
Wein, Weinglas) festzustellen, während die bisherige Forschung keine Möglichkeit fand, die auftretenden Fehler deutlich zu identifizieren.
6
Fehlerarten
Seit 1900 werden in der rumänischen Sprache Fehler im Gebrauch der Präpositionen cu und de festgestellt. Der im Kapitel 2 durchgeführte Vergleich der Auffassungen, die sich auf den Gebrauch der beiden Präpositionen in den genannten
Strukturen beziehen, ermöglicht es im Rahmen von Coserius Kompetenztheorie
die folgenden Fehler festzustellen.
Die Sprachkompetenz am Beispiel von rum. pahar de apă – pahar cu apă
6.1
51
Verstöße gegen die Kongruenz
Bei den Kongruenzverstößen handelt sich um eine Klasse von Abweichungen,
die sich auf die allgemeinsprachliche Kompetenz bezieht. Ein „kongruentes“
Sprechen entspricht den Erwartungsnormen. In den untersuchten Strukturen
steht die Kongruenz nicht im Vordergrund, ist jedoch in einem Beispiel von
Graur zu finden. Für ihn sind Konstruktionen mit cu deswegen nicht zulässig,
weil die Sprecher in einer Formulierung wie pahar cu apă (Glas mit Wasser),
verstehen müssten, dass man sowohl das Wasser als auch das Glas trinkt. Das
Urteil würde sich in diesem Fall auf die Inkongruenz beziehen, da es gegen
Denkprinzipien verstößt. Man erwartet immer, dass man aus einem Glas nur den
Inhalt trinkt und nicht auch das Glas.
6.2 Verstöße gegen die Korrektheit
Die Verstöße gegen die Korrektheit bilden die Mehrzahl der Abweichungen, die
im Gebrauch der Präpositionen zu beobachten sind, und beziehen sich auf die
einzelsprachliche Kompetenz.
Zu den erwähnten Strukturen kann Folgendes gesagt werden: die Konstruktionen vom Typ pahar de apă werden von den meisten Sprachwissenschaftlern
als normgerecht betrachtet. Dadurch werden die Fehler auf der Ebene der Einzelsprache festgelegt und betreffen die Inkorrektheit der Strukturen mit cu, die
normwidrig sind.
In das idiomatische Wissen kann man auch den von Coseriu erwähnten
Fehler einordnen: in seiner Analyse stellt er fest, dass de nur Maß und Zweck
anzeigen kann. Die Fähigkeit, die rumänische Sprache richtig zu verwenden,
würde es nicht zulassen, mit de den Inhalt zu nennen. Das wäre für ihn eine
Abweichung vom normalen Sprachgebrauch und nach Coserius Kompetenztheorie ein Verstoß gegen die Korrektheit.
6.3 Verstöße gegen die Angemessenheit
Die Verstöße gegen die Angemessenheit beziehen sich auf die dritte Schicht der
Kompetenz, und zwar auf die Text- oder Diskurskompetenz.
Da die rumänische Struktur pahar de apă sowohl Glas Wasser als auch
Wasserglas bedeuten kann, entspricht die zur Diskussion gestellte Gegenüberstellung (pahar de apă / pahar cu apă) nicht der Opposition Glas Wasser / Wasserglas aus der deutschen Sprache. Die Äußerung un pahar de vin bedeutet sowohl ein Glas Wein als auch ein Weinglas. Auf diese Mehrdeutigkeit geht Coseriu ein, aber auch schon Breban (siehe Breban u. a. 1973, Kap. 2.3./2.4.). Wenn
man jedoch in einem Lokal un pahar de vin verlangt, bringt die Bedienung
52
Ioana-Narcisa Crețu
meistens ein Glas Wein. Es wäre unangebracht, ein leeres Weinglas zu bringen,
obwohl es nach dem grammatischen Verständnis völlig richtig wäre. Ein leeres
Weinglas zu bringen, wäre in diesem Fall ein Fehler, und zwar ein Verstoß gegen die Angemessenheit, und könnte höchstens als Witz verstanden werden. Je
nach den Umständen kann es jedoch auch Situationen geben, in denen man im
Gegenteil ein Weinglas oder ein Bierglas wünscht.
7
Ergebnisse
Am Anfang wurde die Frage gestellt, unter welchen Bedingungen die Fehler
aufgehoben werden können. Nach Coserius Kompetenztheorie können die Fehler von unten nach oben aufgehoben werden, d. h. die Angemessenheit kann die
Inkorrektheit und die Inkongruenz aufheben und die Korrektheit kann die Inkongruenz aufheben.
Meiner Meinung nach lassen sich von den erwähnten Fehlerarten erstens die
Verstöße gegen die Korrektheit aufheben. Die Strukturen mit der Präposition cu
können wegen ihrer Klarheit als angemessen betrachtet werden. Aus den in der
Forschung genannten Beispielen geht deutlich hervor, dass die Präposition de
nur dann ersetzt wird, wenn es angemessen ist, sich genauer auszudrücken.
Deswegen würden solche Abweichungen in den festen Verbindungen, die Graur
nennt, wie Curtea de Argeş oder un milion de franci wegen der Inkorrektheit
gleich auffallen.
Auf der Ebene der Einzelsprache gehen einige Sprachwissenschaftler schon
über die existierenden Regeln hinaus und betrachten die Konstruktion mit cu als
Innovation (Breban) oder als freie Variation (Iordan). In diesem Fall wird der
Fehler nicht nur aufgehoben, sondern sogar zur Norm erhoben.
Im Falle der Inkorrektheit, die Coseriu signalisiert, ist keine Diskussion notwendig, da seine Argumentation normgerechte Bedeutungen betrifft, wie der
Vergleich mit anderen Auffassungen, unter anderem mit der Grammatik der
Akademie gezeigt hat.
Zweitens lässt sich auch der Fehler auf der allgemeinsprachlichen Ebene
aufheben: wenn die Konstruktion mit cu angemessen ist, kann man nicht nur die
Inkorrektheit, sondern auch die Inkongruenz aufheben. Dadurch wird das von
Graur gebrachte Argument, dass ein Verstoß gegen Denkprinzipien vorliegt, außer Kraft gesetzt.
Drittens ist es schwierig, bei den Beispielen, die sich auf die Textebene beziehen, im Falle der Doppeldeutigkeit eine Entscheidung zu treffen. Es ist völlig
richtig, im Rumänischen Konstruktionen vom Typ pahar de vin sowohl für
Weinglas als auch für Glas Wein zu verwenden. Auch eine Ersetzung mit cu, die
Die Sprachkompetenz am Beispiel von rum. pahar de apă – pahar cu apă
53
man schon vorgeschlagen hat, käme nur für die auf den Inhalt bezogene Deutung in Frage, aber weniger für das Maß und schon gar nicht für den Zweck.
Man kann nur sagen, dass auf der Diskursebene die Äußerung in einer bestimmten Situation angemessen sein kann und so die Unklarheit aufhebt.
Das sprachliche Wissen ermöglicht es, Fehler zu entdecken und zu beurteilen. Es ist aber oft schwierig, einen passenden Maßstab zu finden. Die zur Diskussion gestellten Strukturen vom Typ pahar de apă bzw. pahar cu apă beweisen, dass im Rumänischem die Präposition de keine einheitliche Bedeutung hat.
Dieselbe Form ist mit ähnlicher Mehrdeutigkeit auch in anderen romanischen
Sprachen zu finden. Die Ähnlichkeit mit der französischen Präposition de, die
sich auf der formalen und der semantischen Ebene nachweisen ließ, hebt hervor,
dass im Verhältnis zur französischen Sprache zwar noch nicht von einem Einfluss gesprochen werden kann, dass aber eine klare Analogie vorliegt.
Im Rumänischen überwiegt die Feststellung einer Abweichung von der einzelsprachlichen Norm. Die angebotenen Erklärungen für die Verwendung der
Formen vom Typ pahar cu apă anstelle von pahar de apă (Klarheit, Entwicklung der Sprache, Tendenz in der heutigen Sprache), die bis zur Annahme der
Struktur gehen, zeigen aber deutlich, dass die Sprecher solche Fehler als angemessen betrachten.
Die Analyse dieser Strukturen beweist, dass es sich nicht um regionale Varietäten handelt, sondern eher um Sprachentwicklung. Die Angemessenheit kann
als Motiv für die Aufhebung der Korrektheit eine mögliche Erklärung von
Sprachwandel sein, die bisherige Erklärungen ergänzt oder vertieft. Die Angemessenheit wird von den Sprechern auf der Textebene bestimmt und führt zur
Annahme der neuen Strukturen. Die Verallgemeinerung wird danach zur Regel.
Der Sprachwandel entsteht als Übergang von der Aufhebung im Text bzw. in
der parole zur Integration in die Norm bzw. in die langue.
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Ioana-Narcisa Crețu
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Tübingen: Niemeyer, 375–383.
Ergebnisobjekte im Deutschen:
Ein Erklärungsversuch ihrer Genese 1
Norio Shima
1
Einführung
Im vorliegenden Beitrag wird eine Klasse des Objektes im Deutschen behandelt,
die in Anlehnung an den japanischen Germanisten Tsugio Sekiguchi (1894–
1958) als Ergebnisobjekt bezeichnet2 und dahingehend definiert wird, dass es
sich um eine Akkusativergänzung bzw. ein Objekt handelt, das einen Resultatsgegenstand einer Tätigkeit des Verbs im Satz denotiert. In der Formulierung von
Sekiguchi wird dieses Satzglied „durch das Verb erzeugt“ (1931/1994: 352).
Gemeint sind Beispiele wie die folgenden (vgl. auch Sekiguchi 1953/191982:
457 f.):
1
2
(1) a.
Hu! Da hast du schon wieder hier ein Loch gesengt mit deiner Zigarette!
(Sekiguchi 1953/191982: 456)
(1) b.
ein Haus bauen, Wunden schlagen, Schatten werfen, Pillen drehen, sich einen
Buckel lachen, sich eine rote Nase trinken, sich Mut trinken, sich Tod trinken,
Mit diesem kleinen Beitrag möchte ich Prof. Dr. Abraham P. ten Cate (Rijksuniversiteit
Groningen) zu seinem 65. Lebensjahr recht herzlich gratulieren. Gleichzeitig möchte ich
an dieser Stelle für die internationale Ermutigung und Unterstützung nach dem Erdbeben
vom 11. März 2011 in Japan und den darauf folgenden Katastrophen von Herzen danken.
Weiterhin bedanke ich mich herzlich für wertvolle Kommentare und Ratschläge bei Prof.
Malte Jaspersen (Kyoto Sangyo Universität) und Ryoko Naruse-Shima (Kyoto Sangyo
Universität). Der Beitrag enthält z. T. Ergebnisse meiner Forschungsarbeit, die durch
Grant-in-Aid for Scientific Research (C) 22520447 unterstützt worden ist.
Diese Thematik bildet in der Grammatik zusammen mit den anderen beiden, eng
aufeinander bezogenen grammatischen Begriffen Ergebnisprädikat und Lativum einen
übergeordneten Themenkomplex „Verben mit Angabe der Wirkung“ (Sekiguchi
1931/1994: 357), der wiederum zum größeren Themenbereich „Ergebnisausdrücke aufgrund der Verwendungen von Verben“ (Sekiguchi 1953/191982: 447–465) gehört:
a. die Augen rot weinen (Sekiguchi 1931/1994: 351) [Ergebnisprädikat]
b. Man trinkt sich Krankheit und Tod in den Leib hinein (ebd.: 358) [Lativum]
c. Ein namenloser Arbeiter hat sich zum reichen Fabrikbesitzer emporgearbeitet
(Sekiguchi 1953/191982: 450)
d. Die häßlichen Raupen verwandeln sich in Schmetterlinge und Falter (ebd.: 452)
e. Seit Jahren bekämpft die japanische Polizei den Bolschewismus mit Erfolg (ebd.:
463)
56
Norio Shima
3
Tränen weinen, Wut schnauben, Freude atmen, Liebe lächeln, Zorn blicken,
Verderben drohen (Sekiguchi 1931/1994: 352)4
(1) c.
Wurzeln schlagen, Blätter schlagen, Falten werfen, Schatten werfen, Funken
sprühen, sich einen Rausch antrinken, jemandem einen Gedanken an-/aufschwatzen, jemandem einen Posten anschreiben, jemandem einen Entschluß
auf-/an-schmeicheln (Sekiguchi 1953/191982: 456)
Anhand einer Reihe konkreter Beispiele veranschaulicht Sekiguchi die in seinen
Beispielen enthaltene Generalisierung, dass man durch irgendein Tun einen bestimmten Gegenstand bewirkt. In (1a) wird z. B. nicht denotiert, dass man mit
seiner Zigarette ein bereits vorhandenes Loch vergrößert oder verschlechtert hat,
sondern dass man etwas (wahrscheinlich eine Tatami- oder Futon-Matte) versengt hat und infolge dessen ein Loch zustande gekommen ist. Das Verb ‘sengen’ besitzt in diesem Fall keine übliche „einfache Bedeutung“ mehr, sondern
eine etwas komplexere wie z. B. „etwas durch Sengen machen/erzeugen“. Aus
dieser Generalisierung abstrahiert er als Regel die Bedeutungsform des machenTyps.5 Sekiguchi zufolge ist dies eine spezifische Regel der deutschen Sprache,
umfangreich in ihrer Anwendung und von formelhafter Natur.
Ziel dieses Beitrags ist, zu zeigen, welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiedlichkeiten zwischen den Ergebnisobjekten von Sekiguchi und anderen
grammatischen Kategorien für Resultatsausdrücke (adjektivische resultative
Konstruktionen im Deutschen, in Sekiguchis Terminologie Sätze mit einem Ergebnisprädikat) erkennbar sind, um so die Forschungsergebnisse für weitere Erforschungen der Ergebnisausdrücke im Deutschen nutzbar zu machen und damit
das Verständnis solcher grammatischer Kategorien weiter zu befördern.
Im nächsten Abschnitt dieses Beitrages werden traditionelle dichotome Begriffe der Objekteigenschaften näher beleuchtet, um dadurch deutlicher zu machen, wie Sekiguchi seinen Begriff des Ergebnisobjektes begreift. Im Anschluss
daran wird in Abschnitt drei nach einer Erklärung gesucht, wie die syntaktische
3
4
5
Unter dem Stichwort ‘schnauben’ findet sich im „Deutschen Wörterbuch“ von Hermann
Paul sowie bei „Meister Deutsch-Japanisches Wörterbuch“ (Togawa u. a.) (neben dem
angeführten Gefüge noch eine Form mit einer Präposition ‘vor Wut schnauben’, wobei in
jenem Wörterbuch eine zusätzliche Erläuterung “präp. [= präpositional] als Zeichen heftiger Leidenschaft” angegeben ist.
Einige der von Sekiguchi gesammelten Ausdrücke scheinen im gegenwärtigen Deutsch
bereits veraltet, selten oder unüblich. Folgende Varianten entsprechen eher dem derzeitigen Sprachgebrauch: sich einen Buckel arbeiten [statt lachen], sich Mut antrinken [statt
trinken], sich tottrinken [statt Tod trinken], vor Wut [statt Wut] schnauben, aus Liebe
[statt Liebe] lächeln, zornig [statt Zorn] blicken.
Die Bedeutungsform des machen-Typs beschränkt sich nicht ausschließlich auf die Verben mit einem Ergebnisobjekt. Dieselbe Bedeutungsform identifiziert Sekiguchi auch bei
Sätzen mit einem Ergebnisprädikat (vgl. z. B. Sekiguchi 1953/191982: 453).
Ergebnisobjekte im Deutschen: Ein Erklärungsversuch ihrer Genese
57
und semantische Vielfältigkeit der beiden grammatischen Kategorien motiviert
oder ermöglicht wird.
2
Affizierte und effizierte Objekte
Sekiguchis Ergebnisobjekt drückt, wie aus seiner Definition und seinen Beispielen in (1) zu ersehen ist, einen Gegenstand aus, der „durch die vom Verb
bezeichnete Tätigkeit erzeugt oder bewirkt“ (Bußmann 2002: 184) wird. Diese
Art Objekt lässt sich traditionell gesehen so analysieren, dass es mit bestimmten
Verbklassen verbunden ist und sich im Gegensatz zu einem affizierten Objekt,
d. h. einem „durch die Handlung veränderte[n] Objekt“ (Eisenberg 1999: 76), als
ein effiziertes Objekt versteht. In der Duden-Grammatik (2009: 392) werden
z. B. als relevante Verbklasse „Verben des Schaffens und Vernichtens“ angegeben, zu denen Verben wie schaffen, bauen, schreiben, verfassen bzw. vernichten, aufheben angehören. Eisenberg (1998/2000, 1999) diskutiert dagegen beide
Objekteigenschaften im Zusammenhang mit Argumentstrukturen der Verben
und betrachtet diese semantischen Charakteristika als Subtypen der semantischen Rolle des Patiens, welcher den “semantisch neutralste[n] Kasus” (Eisenberg: 1998/2000: 26) darstellt. Nachfolgend einige Beispiele hierfür:
Sätze mit einem affizierten Objekt:
(2) a.
Angela hat ein Buch rezensiert / eine Kneipe besucht. (Bußmann: a. a. O.)
(2) b.
Renate streicht den Gartenzaun. (Eisenberg: a. a. O.)
(2) c.
Mein Freund bepflanzt seinen Garten. (Zifonun et al. 1997: 1325)
(2) d.
die Erde aus dem Boden / einen Damm schaufeln (Hundsnurscher 1968: 159 /
Duden 52003: 1365)
Sätze mit einem effizierten Objekt:
(3) a.
Angela hat ein Buch geschrieben / eine Kneipe eröffnet. (Bußmann: a. a. O.)
(3) b.
Karl strickt einen Topflappen. (Eisenberg a. a. O.)
(3) c.
Mein Freund baut ein Haus. (Zifonun et al. 1997: 1325)
(3) d.
eine Grube / ein Loch, einen Abzugsgraben für das Wasser ausschaufeln
(Hundsnurscher 1968: 159 / Duden 52003: 213)
Aus den Beispielen in (2) ist ersichtlich, dass entsprechend der Definition des
affizierten Objektes die Existenz der als Objekt kodierten Entitäten zwar von der
Handlung bzw. Tätigkeit des Verbs im Satz unabhängig ist, die semantische
Wirkung des Verbs auf das Objekt jedoch unterschiedlich ist. In (2a) bleibt das
Objekt (ein Buch bzw. eine Kneipe) auch nach der Handlung des Verbs weiter-
58
Norio Shima
hin so, wie es davor war. Im Gegensatz dazu enthalten die Sätze in (2b–d) ein
vollkommen unabhängig vom Verb existierendes Objekt, aber dessen Zustand
ist genau genommen nicht identisch mit demjenigen vor der Tätigkeit des Verbs:
Der Gartenzaun (2b) ist nach dem Streichen mit Farbe versehen, im Garten (2c)
gibt es nach der Handlung Pflanzen, und die Erde (2d) ist danach an einem anderen Ort. Die affizierten Objekte in (2b–d) drücken nämlich eine Zustandsänderung (change of state) aus, während dies bei Beispiel (2a) nicht der Fall ist.6
Daraus kann geschlossen werden, dass ein affiziertes Objekt von seinem Verb
verschiedenartig beeinflusst werden kann,7 sein wesentliches Merkmal dabei
jedoch auf seine semantisch vom Verb eigenständige Existenz zurückgeführt
wird.8
Im Unterschied zum affizierten Objekt zeigen alle Beispiele mit einem effizierten Objekt (3a–d) die Gemeinsamkeit, dass die als Objekt ausgedrückten
Entitäten die Handlung bzw. Tätigkeit des Verbs im Satz voraussetzen, ihre
Existenz also der Handlung bzw. Tätigkeit des Verbs im Satz nicht vorangeht,
sondern erst durch diese generiert wird, was mit der oben angegebenen Definition von Bußmann übereinstimmt. Die angeführten Beispiele zeigen allerdings,
dass sich ein effiziertes Objekt nicht ausschließlich (wie in der Duden-Grammatik angegeben) auf Verben des Schaffens beschränkt, d. h. die Entität nicht immer ein „durch die Handlung hervorgebrachtes“ (Eisenberg 1999: 76) Objekt
darstellen muss, sondern dass das Objekt auch zunichtegemacht bzw. zugrunde
gerichtet werden kann (Verben des Vernichtens): „[…] der Gegenstand, auf den
das Objekt sich bezieht [...], [kommt] durch die betreffende Handlung erst zu6
7
8
Man könnte sich bzgl. (2a) ggf. auf den Standpunkt stellen, dass eine Unterscheidung
zwischen einem unrezensierten/ungelesenen Buch einerseits und einem rezensierten/ gelesenen Buch andererseits bzw. einer noch unbesuchten und bereits besuchten Kneipe
prinzipiell möglich wäre. Diese Möglichkeit kann selbstverständlich nicht von vornherein ausgeschlossen werden; es ist allerdings wohl fragwürdig, ob sie tatsächlich zu
sprachlich und/oder alltäglich sinnvollen Unterscheidungen führen würde.
Diesbezüglich sei auf Zifonun et al. (1997: 1346 f.) hingewiesen:
„Zwar wird man sagen können, daß ,effizierte‘ (Mein Freund baut ein Haus) wie
,affizierte‘ Objekte (Mein Freund bepflanzt seinen Garten) bei bestimmten Verben stark
involvierte Ereignisbeteiligte bezeichnen, insofern als sie bei diesem Ereignis erst zustande kommen oder eine Veränderung erfahren. Dagegen wird man bei Kakk in Konstruktionen wie Mein Freund verehrt seine Großmutter, vor allem aber bei nicht-konkreter Belegung von Kakk wie in Ich ahne Schreckliches, Ich empfinde Schmerz, Er äußerte Bedauern kaum von Involvierung sprechen können.“
Die obige Definition des affizierten Objektes von Eisenberg (1999: 76) ist in diesem
Sinne begrenzt und zu streng. Vgl. diesbezüglich auch Duden (2009: 392), in dem ein affiziertes Objekt ein solches darstellt, das „unabhängig von dem Verbalvorgang existiert,
durch diesen aber mehr oder weniger tiefgreifend verändert werden kann“.
Ergebnisobjekte im Deutschen: Ein Erklärungsversuch ihrer Genese
59
stande bzw. [hört] zu existieren [auf]“ (Duden 2009: 392; Hervorhebung vom
Verfasser).9
Angesichts der erweiterten Auffassung des effizierten Objektes in der
Duden-Grammatik sollte diese Objektsklasse vielmehr als zweipoliger extremer
Fall verstanden werden: Das Objekt als Ganzes muss vom Verb entweder neu
geschaffen oder zunichte gemacht werden. Diese bipolare Auffassung des effizierten Objektes und die semantisch mehrstufig affizierten Objekte können nun
miteinander auf einer Skala verbunden werden. Unter den möglichen grammatischen Beziehungen zwischen einem Verb und seinem Objekt sollte die unterschiedliche semantische Betroffenheit10 linear gestuft werden,11 wobei zwei Extreme, nämlich die Entstehung bzw. Vernichtung des gesamten Objektes, durch
das effizierte Objekt ausgedrückt werden, und alle andere Zwischenstufen durch
das affizierte Objekt manifestiert werden können.12 Dies kann wie folgt
9
Es ist wohl verständlich und logisch, dass Objekte bei Verben des Vernichtens auch mit
berücksichtigt werden sollten, weil sie als Endpunkt der Handlung des Verbs in Form des
Akkusativs kodiert werden:
“The original concrete meaning of the accusative is unknown. Its Latin name accusativus, i.e. the accusing case, throws no light on its history, although it in part aptly characterizes it by calling attention to one of its chief meanings, namely that of indicating a
person or thing toward which an activity is directed. … This old meaning [= the goal,
i.e. the end, purpose of the action] explains the commoner one of indicating an object
toward which an activity is directed, which within the historic period has quite overshadowed the older idea of a literal goal after verbs of motion: [...] ein Haus (the goal,
i.e. the result of the activity) bauen. […] The older idea of goal also explains the common
use of the accusative to indicate an object as the goal, the passive recipient of an action
in contrast to the nominative which indicates the author of the act: Der Knabe schlägt den
Hund.” (Curme 1977: 489; Hervorhebungen vom Verfasser)
10 Den Hopper/Thompson’schen Komponenten der Transitivität zufolge weist ein effiziertes Objekt eine höhere Transitivität auf als ein affiziertes (Komponente I) und ist ferner
mit einem telischen Aspekt verbunden, der wiederum eine höhere Transitivität besitzt
(Komponente C) als ein atelischer Aspekt (vgl. Hopper/Thompson 1980).
11 Vgl. z. B. Zifonun et al. (1997: 1325):
„Involviertheit ist ein abgestuftes Konzept. Entitäten, die bei einem Ereignis zustande
kommen (,effizierte Objekte‘) oder in ihrer Beschaffenheit verändert bzw. in ihrer Befindlichkeit tangiert werden (,affizierte Objekte‘), sind – jeweils unterschiedlich stark –
involviert.“
12 Diese Repräsentation basiert auf der Dichotomie des Ausgangspunkts der Objektbefindlichkeit vor der Handlung des Verbs: Nicht-Vorhandensein vs. Vorhandensein.
Logisch denkbar ist auch eine andere Dichotomie, ob nämlich die Existenz der vom Objekt kodierten Entität ganzheitlich vom Verb bedingt wird oder nicht. Dann würde die
Zweiteilung „effizierte vs. affizierte Objekte“ zwar hervorgehoben, zwei Pole wären jedoch schwer zu definieren.
60
Norio Shima
schematisiert werden, wobei auf der angenommenen Skala dem einen Extrem
(der Entstehung eines Objektes) Sekiguchis Ergebnisobjekt entspricht:
(4) Skala der semantischen Betroffenheit
Objektentstehung
effiziertes Obj.
(Verben des Schaffens)
Objekteinfluss
affiziertes Obj.
affiziertes Obj.
effiziertes Obj.
(Verben des Vernichtens)
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich Sekiguchis Begriff Ergebnisobjekt nicht völlig mit dem eines effizierten Objektes überlappt. Die repräsentativen Beispiele sind zwar in beiden Begriffen gleich wie z. B. ein Haus bauen.
Er schließt aber einerseits innerhalb des effizierten Objektes die Verbklasse der
Vernichtung aus (vgl. seine Beispiele in (1)) und bezieht andererseits nicht nur
üblicherweise keine Schaffung voraussetzende Verben wie sengen, schlagen,
werfen, trinken, drehen u. a. ein, sondern auch ursprünglich intransitive Verben
wie lachen, lächeln, atmen, weinen u. a. Das Ergebnisobjekt von Sekiguchi ist
nämlich ein Sonderbegriff, welcher jedes nach einem Verbalvorgang zustande
kommende Objekt umfasst.13
3
Motivationen der Ergebnisobjekte: Causal-Chain-Modell
In Shima/Naruse-Shima (2010a) wurde versucht, in Anlehnung an Croft (1991,
1998) anhand seines Causal-Chain-Modells die grammatischen Eigenschaften
sowie Motivationen eines anderen Ergebnisausdrucks im Deutschen, nämlich
der sog. adjektivischen resultativen Konstruktionen (im Folgenden: ARK) zu
verdeutlichen. Resultative Konstruktionen, die in verschiedenen Forschungsergebnissen (Boas 2003, Goldberg/Jackendoff 2004, Shima 2001, 2002, 2003,
13 Im Deutschen lässt sich noch eine weitere Art eines effizierten Objektes bei intransitiven
Verben identifizieren: Es kommt durch die vom Verb ausgedrückte Handlung erst zustande und stellt einen im Verb semantisch verhüllten, jedoch morphosyntaktisch realisierten Akkusativ dar. Das Satzglied ließe sich wohl auch als Ergebnisobjekt bezeichnen,
wird jedoch üblicherweise entsprechend seiner etymologischen Verwandtschaft mit dem
Verb kognates Objekt (Bußmann 2002, Schwickert 1984), inneres Objekt (Bausewein
1990, Bußmann 2002, Zifonun et al. 1997) o. ä. genannt. Für eine funktionale Analyse
dieses Objektes sei auf Shima (2006, 2010) hingewiesen.
Ergebnisobjekte im Deutschen: Ein Erklärungsversuch ihrer Genese
61
u. a.) als heterogene grammatische Kategorie und als „a family of subconstructions“ (Goldberg/Jackendoff 2004: 563) bezeichnet werden, verfügen über vielfältige syntaktische Realisierungen,14 bei denen man von “adjectival transitive
resultative constructions” (Lüdeling 2001) spricht, wenn von der relevanten
Konstituentenstruktur Subjekt – Verb – Akkusativobjekt – Adjektiv die Rede ist,
wobei Sekiguchi in seiner Grammatik dieses Adjektiv Ergebnisprädikat nennt15
(vgl. Beispiel in Anm. 2: die Augen rot weinen). Semantisch können die Sätze
so interpretiert werden: Dadurch, dass das Subjekt die vom Verb bezeichnete
Handlung vornimmt bzw. im entsprechenden Prozess begriffen ist, befindet sich
das Objekt in dem vom Adjektiv bezeichneten Zustand.
Die ARK stellen auf einen Endzustand hin orientierte grammatische Konstruktionen dar und besitzen, wie Eisenberg (1998/2000: 26) klar formuliert,16
ein affiziertes Objekt, das so fokussiert ist, dass es in einen neuen Zustand überführt wird, den das Adjektiv denotiert. Sie wurden anhand des Causal-ChainModells so schematisiert, dass das ganze Ereignis in drei Teile auseinanderdividiert bzw. dekomponiert wird, die drei Aspekten des jeweiligen Ereignis-Typs
(in der Terminologie von Croft: cause, change und state) entsprechen und durch
verschiedenartige Linien hervorgehoben werden (Shima/Naruse-Shima 2010a:
119):
14 In Goldberg/Jackendoff (2004: 563 und 539) werden z. B. fünf Typen (von ihnen als
Subkonstruktionen bezeichnet) der resultativen Konstruktionen angenommen. Vgl. auch
Boas (2003: 2): “Resultative constructions belong to the class of secondary predication
constructions in which a phrase (XP) following the postverbal NP is in a subject-predicate relation with this NP. [NP V NP XP] where X = A, N, or P.”
15 Sekiguchi (1931/1994: 350f., 1953/191982: 453) geht davon aus, dass Sätze mit Ergebnisprädikaten, die für Deutsch lernende JapanerInnen von großer Wichtigkeit sind, eine
kausale Beziehung voraussetzen und sich die kausale Bedeutung in der deutschen Sprache so entwickelt hat, dass sogar Verbindungen wie die in einer Formulierung Schopenhauers, „sich dumm lesen“ (= sich durch Lesen dumm machen), möglich sind. Er nimmt
für das erweitert kausative Verb „lesen“ die Bedeutungsform eines machen-Typs an,
nämlich etwa „etwas durch Lesen verursachen“ und vertritt ferner die Ansicht, dass eine
solche Erweiterung der ursprünglichen Bedeutung prinzipiell auch bei allen anderen
Verben möglich ist. Bemerkenswert ist, dass auch Brinkmann (1962/21971: 249) der Ansicht ist, dass das kausale Verb „machen“ der Kombination des Verbs mit einem Adjektiv zugrunde liegt.
16 Eisenberg (a. a. O.): „Das (einfache) transitive Verb bezeichnet einen Vorgang, der das
vom direkten Objekt Bezeichnete affiziert und ihm dadurch Eigenschaften beibringt, die
es sonst nicht hätte. Das Adjektiv spezifiziert solche Eigenschaften.“
62
Norio Shima
(5) Ich esse den Teller leer.
Result
x ・・・・・・ (y)/z ========= (y)/z ------------------- (~y)/z
************ essen *************######### leer ########
Sbj
Obj
(x = Ich, y = Essen <Inhalt>, z = Teller <Behälter>)
Der erste Aspekt, markiert durch Pünktchen, drückt ein Ereignis der Ursache
(cause) aus, in dem das Agens x auf die vom Verb kodierte Art und Weise auf
die Entität (y)/z eine bestimmte Wirkung ausübt, wobei y (die Speise) und z (der
Teller) koexistieren. Die Klammern signalisieren einen unfokussierten Gegenstand, dieser ist folglich sprachlich weniger relevant und bleibt syntaktisch unausgedrückt. Im zweiten Aspekt, dargestellt durch Doppellinien, wird gezeigt,
dass die beeinflusste Entität eine bestimmte Zustandsänderung durchläuft, die
dann im dritten im Endzustand der Entität, nämlich dem „Nicht-mehr-Existieren
von y“, resultiert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass nicht nur die Bedeutung des ganzen Ausdrucks durch die angegebenen drei Aspekte dargestellt
wird, sondern die semantische Verteilung auch aus der Darstellung leicht entnommen werden kann: Die Bedeutung des Verbs essen bedeckt den ersten und
zweiten Aspekt des Gesamtereignisses (den durch Sternchen, ***, markierten
Teil), während für den dritten (den durch ### bezeichneten Teil) das Adjektiv
leer verantwortlich ist. Croft erklärt dies so, dass die beiden ersten Aspekte vom
Verb essen „profiled“ (profiliert) werden, der letzte dagegen vom Adjektiv leer.
Erst durch die Verbindung des Verbs mit dem Adjektiv kann das ganze Ereignis
erfolgreich profiliert werden. Dadurch lässt sich verdeutlichen, dass die Zustandsänderung des Objektes bei diesen Konstruktionen fokussiert ist.17
Ähnliches gilt beim Causal-Chain-Modell im Prinzip auch für den Fall des
Ergebnisobjektes:
17 Das Objekt in den ARK ist mit dem ein Resultat bezeichnenden Adjektiv semantisch eng
verbunden und kann nicht ohne weiteres gewechselt werden. Die fehlende Möglichkeit
eines Objektwechsels stellt einen großen Unterschied dar zu den betreffenden Konstruktionen und sinnverwandten Partikelverben, die ihn erlauben: Ich habe die Flasche ausgetrunken / leer getrunken, aber Ich habe das Bier ausgetrunken / *?leer getrunken. Vgl.
diesbezüglich auch Shima/Naruse-Shima (2010a, b).
Ergebnisobjekte im Deutschen: Ein Erklärungsversuch ihrer Genese
63
(6) Er baut ein Haus.
Result
x ・・・・・・ (y) ========= (y) ------------------- z
********************** bauen *****************
Sbj
Obj
(x = er, y = <Stoff/Material>, z = Haus <Produkt>)
Bei (6) wird demonstriert, dass das Agens x auf die eingeklammerte Entität (y),
die von stofflicher Natur ist, eine bestimmte Wirkung ausübt, wobei der Stoff in
diesem Satz einen pragmatisch irrelevanten, deswegen unfokussierten Gegenstand darstellt. Dieser bleibt folglich syntaktisch unausgedrückt,18 obwohl sich
dieser sprachlich latente Stoff durch den Verbalvorgang des Bauens einer Zustandsänderung unterzieht, was dann letztendlich im Endzustand des Stoffs,
nämlich in einem Haus, resultiert.19 Dies bedeutet allerdings auf keinen Fall,
dass eine Stoff-Entität bei effizierten Verben nicht realisiert werden kann:
(7) Sie macht aus Schurwolle Pullover. (Bausewein 1990: 105)
Result
x ・・・・・・ y =========== y --------------------- z
****************** machen ********************
Sbj
Obj
(x = sie, y = Schurwolle <Stoff/Material>, z = Pullover <Produkt>)
In (7) wird gezeigt, dass das Agens x auf die Entität y eine bestimmte Wirkung
ausübt und die Entität y infolge dessen im Endzustand z resultiert, wobei der
Stoff durch die Präpositionalphrase als Quelle kodiert wird. Interessant ist in
diesem Zusammenhang, dass Beispiel (7) sowohl ein affiziertes („Schurwolle“)
als auch ein effiziertes Objekt („Pullover“) in der beschriebenen Reihenfolge
enthält. Der Austausch der Quellen-Präposition aus mit der Ziel-Präposition zu
18 Vgl. Croft (1991: 153):
”The basic concept is that a scene – what is being described – is an arbitrary complex
entity, containing all sorts of participants at various levels of detail. When a speaker
chooses to describe a scene, however, he or she must select only certain aspects of the
scene, by virtue of doing so emphasizing certain aspects of the scene, including certain
participants of the scene, relative to other aspects of and participants in the scene. This
selection process is the selection of a main verb and the selection of certain participants
as subject, object, and so on.”
19 Sprachliche Phänomene, in denen nur pragmatisch Notwendiges zum Ausdruck gebracht
wird, jedoch aus dem Kontext leicht zu Verstehendes unausgedrückt bleibt, sind keineswegs selten. Man findet z. B. beim Objektwechsel der Partikelverben mit aus- eine ziemlich systematische Regelmäßigkeit (vgl. Shima/Naruse-Shima: 2010a, b).
64
Norio Shima
muss bei diesem Satz zu einer anderen Formulierung führen, jedoch bleiben
beide Objekte immer in derselben Reihenfolge, wobei das affizierte Objekt dann
im Akkusativ steht und das effizierte als Präpositionalphrase kodiert wird:
(8) Er macht die Wolle zu fertigen Pullovern. (Bausewein 1990: 105)
Result
x ・・・・・・ y =========== y --------------------- z
****************** machen ********************
Sbj
Obj
(x = sie, y = Wolle <Stoff/Material>, z = Pullover <Produkt>)
Daraus ergibt sich, dass in der unmarkierten Abfolge das „Ausgangsmaterial“
vor dem „Endprodukt“ steht, was Bausewein (1990: 105) so zusammenfasst,
dass „[d]ie Topologie hier der normalen Wahrnehmungsreihenfolge [folgt], in
der zuerst das Ausgangsmaterial, dann das Endprodukt wahrgenommen wird
[…].“ Wenn das Endprodukt für die menschliche Wahrnehmung wichtiger ist
als das Ausgangsmaterial und dies sich in der sprachlichen Realisierung widerspiegelt, dann kann der Ausdruck mit einem Ergebnisobjekt als eine gekürzte
Ausdrucksform des in der Wahrnehmung bzw. Kommunikation Relevantesten
verstanden werden. Diese mögliche Zwischenstufen überspringende Realisierungsform kann ferner leicht mit einem Ausdruck verbunden werden, in dem
eine konkrete Entität als Stoff/Material schwerer vorstellbar ist (z. B. sich Mut
trinken, sich Tod trinken, jemandem einen Posten anschreiben u. a.20) und in
extremen Fällen sogar, wie in den Fällen des kognaten Objektes, zu einer syntaktischen Verbindung eines intransitiven Verbs mit dem effizierten Objekt erweitert bzw. entwickelt werden (Tränen weinen u. a.).
4
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wurde versucht, Sekiguchis Ergebnisobjekt näher zu beleuchten. Dabei wurde es einerseits mit der traditionellen Dichotomie der semantischen Objekteigenschaften Affiziertheit vs. Effiziertheit, andererseits mit
den resultativen Konstruktionen verglichen, deren Objekt ein affiziertes Objekt
aufweist. Daraus ergab sich, dass es begrifflich zwar eine große Überlappung
mit dem effizierten Objekt besitzt, jedoch nicht völlig identisch damit ist und
20 Alle drei Beispiele sind zwar in Sekiguchi (1931/1994: 352, 1953/191982: 456) aufgelistet, aber bezüglich der ersten beiden Ausdrücke würden heutzutage für MuttersprachlerInnen des Deutschen andere Formulierungen wie „sich Mut antrinken“ bzw. „sich zu
Tode trinken“ oder „sich tottrinken“ besser klingen.
Ergebnisobjekte im Deutschen: Ein Erklärungsversuch ihrer Genese
65
dass Sätze mit einem Ergebnisobjekt einen Endprodukt-orientierten Ausdruck
darstellen, wobei das Endprodukt dabei so stark fokussiert ist, dass die möglichen Zwischenstufen pragmatisch unbeachtet und folglich syntaktisch unausgedrückt, manchmal sogar unvorstellbar bleiben.21
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21 Sekiguchi (1931/1994: 352 f.) zufolge ist das Konzept des Ergebnisobjektes recht deutlich erkennbar, wie z. B. in Uhlands Gedicht Des Sängers Fluch:
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.
66
Norio Shima
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Russian Impersonal Infinitive Sentences from a
Cognitive Perspective
Olga Souleimanova
This paper focuses on two perspectives related to Russian impersonal infinitive
sentences: We shall first give a cognitive interpretation of the semantics of these
sentence patterns and their typology and secondly specify the semantic features
of the predicates used in some types of infinitival sentences.
The paper will offer a new typology of infinitive sentence patterns based on
their semantic features, which are either similar or different; furthermore we
shall try to work out a new approach to the description of Russian impersonal
infinitival sentences based on cognitive principles.
1
Some current semantic accounts of infinitive
sentence patterns
Russian impersonal infinitival sentences have long been in the focus of linguistic studies, detailed descriptions of their semantics and functioning were offered,
cf. e.g. a comprehensive formal and semantic typology in Russkaja grammatika
(1980), which was followed by even more detailed accounts of the impersonal
sentences in Guiraud-Weber (1984); Leinonen (1985). The latter two, however,
practically ignore infinitive sentence patterns. Later, G.A. Zolotova (2001) puts
them in one group, which she refers to as “modal-expressive modifications
which express necessity, inevitability and desirability of action”:
Molchat’ – Do keep silent (lit. be silent-infinitive imperative),
Vam nachinat’ – You are to start (lit. you-dative begin-infinitive),
Vstretit’sja by nam – It would be nice to meet (lit. meet would we-dative),
Mne eshche uroki uchit’ – I have homework to do (lit. me-dative still lessons
learninfinitive),
Ne tsvesti sadam zimoi po snegu – The gardens will never blossom in winter (not
bloom-infinitive gardens-dative winter-instr over snow-dative),
Emu ne sdobrovat’ – He will get into trouble (he-dative, not benefit-infinitive),
Tol’ko by uspet’ – We have to be in time (only would in time-infinitive)”
(Zolotova 2001a: 349) (translated here and below by O. Souleimanova).
G.A. Zolotova does not explain what features the sentences above differ in,
though native speakers of Russian definitely feel the difference in their semantics.
68
Olga Souleimanova
In Russkaja grammatika (1980: 2560), the sentences Zdes’ ne proiti – It is
not possible to pass here (lit. here not pass), Tsvesti sadam – The gardens will
bloom (lit. bloom gardens-dative), Molchat’ – Keep silent (lit. silent-infinitive
imperative) are treated as one pattern, form-wise, but as being semantically different. The authors distinguish several semantic types.
Type 1. Represented by sentences of the kind Rossii ne byt’ pod Antantoi
(Majakovskij) – Russia will never surrender to Antanta (lit. Russia-dative not be
under Antanta) convey the information on what is destined, what must/has to
take place, often accompanied by the verb byt’ (be); this type consists of the
following 5 sub-types:
– meaning inevitability, contain the verb to be or other existential ones
which mark existence: Tak tomu i byt’ – Let it be (lit. so it-dative and beinfinitive);
– the type close to the sentences which mean that the event must/has to take
place, is inevitable; the relevant feature is that the sentences contain the
word luchshe (better): Vam luchshe ne znat’ pro eto – You’d better not
know about it (lit. you-dative better not know about it);
– meaning possibility/impossibility: Emu ne razobrat’sja samomu – He is
not likely to make it out (lit. he-dative not make out-reciproc. himself),
when speaking of impossibility, they contain the particles jedva/jedva li
(hardly/hardly ever);
– lack of need, necessity: Energii jei ne zanimat’ – She is very energetic (lit.
energy-genitive she-dative not borrow);
– meaning unacceptability: Ne tebe zhe ob’asnjat’ takije veshchi – One
shouldn’t explain such things to you (lit. not you-dative explain-infinitive
such things).
Type 2. Conveys the idea of pre-destination of the event, can mean purposeful
activity, encouragement, wish; the agent realizes that the action is desirable and
appropriate (can be accompanied by particles with imperative meaning, or particles which express desirability). This type covers the following three sub-types:
– imperative sentences, not mentioning addressee: Ne dvigat’sja – Not to
move, Molchat’ – Keep silent (I argue that the meaning of this sub-type is
better defined as conveying a strong request to stop the on-going activity
– cf. unacceptable *Dvigat’sja – ?To move, *Ne molchat’ – ?Not to keep
silent);
– meaning subjective necessity/desirability, dative addressee is a must: Mne
pogovorit’ s nim – I need to talk to him (lit. me-dative talk with him);
Russian Impersonal Infinitive Sentences from a Cognitive Perspective
69
– the activity is qualified as well-timed and expedient: Mne teper’ detei vospityvat’ – I have to raise children now (lit. me-dative now children-genitive raise-infinitive). This sub-type reveals regular correlations to the
similar sentence pattern with the particle by (would), cf. Eshche raz
uvidet’ jee vs Eshche by raz uvidet’ jee – If I could only see her one more
time. The variant with by is treated in Russkaja grammatika (1980: 2563)
as a different pattern – see also below.
Type 3. Desirability, inducement; particle by/b (would), to be further sub-categorized into three sub-types:
– expressing desirability: Pozhit’ by eshcho – If we could live a little longer
(lit. live a little would more);
– expessing accord, acceptance: Pust’ vam idti, a mne ostat’sja – You may
go, and I would rather stay (lit. let you-dative go and me-dative stay-infinitive);
– inducement: I chtob(y) segodnja zhe vse reshit’ – You should decide
everything today (lit. and so that today everything decide-infinitive).
In addition to objectively and subjectively determined predestination, the authors introduce one more feature which characterizes the agent’s perception –
either physical or intellectual – and evaluation (Russkaya grammatika 1980:
2565): Tebja ne uznat’ – You have absolutely changed (lit. you-genitive not recognize-infinitive); O nem davno nichego ne clykhat’ – I have not heard about
him for a long time (lit. about him for a long time nothing not hear-infinitive);
Takogo parnja poiskat’ – I have never seen such a guy (lit. such a guy-genitive
look for-infinitive).
The last type (Russkaja grammatika 1980: 2565) informs of a combination
of some action state and evaluation/perception: Skazat’ pri rebenke takoje – To
say that in front of the child (lit. say by child such).
If we take a look at the typology above, it is evident that the typology in
question relies on several criteria, the main one being their form. The descriptive
power of the semantic criteria seems insufficient as the features suggested (objective/subjective predestination, or possibility/impossibility) are too general and
thus can be applied to a variety of similar (though not completely identical)
sentence patterns (to mention only modality which can “load” any sentence) and
cannot help distinguish various sentences. Besides, the features have not received unambiguous definitions and sometimes seem to be easily confused –
possibility/impossibility, desirability and inducement versus, e.g. addresseeoriented inducement, etc. It remains unclear if the features form any hierarchy,
which of them are more important and which are “subordinate” and do not affect
70
Olga Souleimanova
the pattern. For example, particles by and ne are treated as structurally relevant,
while such words as luchshe (better) do not change the pattern.
The above said deficiencies in interpreting infinitive constructions make us
conclude that there remains a lot of problems waiting to be solved (cf. a list of
infinitive-related problems featured in Zolotova (2001b: 249–273):
– the criteria to distinguish impersonal infinitive patterns are not clearly and
explicitly defined;
– the hierarchy within the criteria should be stated, each feature be assigned
its status within the system;
– some of the models get controversial interpretations by different researchers.
2
Outline of the approach to impersonal sentence patterns
Let us frame the basic concepts which will serve as the basis for the approach to
interpretation of the meaning of Russian impersonal sentences. The first statement reads that the sentence model (or pattern) may be regarded as a combination of several sentence/phrase models (this approach is substantiated in
Souleimanova 1999). It implies that an impersonal Russian sentence pattern can
be treated as a combination of a matrix model (genitive/space, dative, accusative) and a secondary pattern made by a predicate phrase. (A similar approach is
exemplified in Guiraud-Weber (1984), where, unfortunately, the author did not
specially focus on infinitive sentences.)
This approach was applied in a comprehensive research into the semantics of a
whole set of Russian impersonal sentences, to include
– spatial (genitive) models: U menja v ukhe zvenit – My ears are ringing
(lit. by me-genitive in ear rings), V komnate pakhnet jablokami – It smells
of apples in the room (lit. in room-prepos. smells apples-instr.);
– dative models: Mne ne spitsja – I can’t sleep (lit. me-dative not sleepreciproc.), Mne negde spat’ – There is no place for me to sleep (lit. medative nowhere sleep-infinitive);
– accusative patterns Menja toshnit – I feel like vomiting (lit. me-accusative)
and some others.
It was shown that this matrix model is filled in with a predicate group to
form a complete grammatical sentence (Souleimanova 1999). Within this conceptual framework, infinitive impersonal patterns can be treated as an imbrication of the basic structural pattern and an infinitive predicate group, the basic
Russian Impersonal Infinitive Sentences from a Cognitive Perspective
71
part being most often the dative construction: Vam strel’at’ – It is your turn to
shoot (lit. you-dative to shoot); Mne negde spat’ – I have no place to sleep (lit.
me-dative nowhere to sleep); Bylo by (mne/emu) chto podarit’ – If I had something to give you (lit. were would me/him what give). Fewer are the genitive and
accusative sentences, some of them being in the focus of this paper.
The predicative component (the infinitive) can get various formal representations and, consequently, convey different information on the state of affairs. It
means that according to the semantic and formal types of the infinitival component several types of infinitival sentence patterns may be distinguished (see below).
The approach outlined above empowers the linguist with a well-ordered
system of infinitival sentences; it can help build up the hierarchy of semantic
components and to better define their semantic status, to finally offer more detailed semantic descriptions of the syntactic sentence models.
2.1
Dative infinitive constructions
Let us first focus on the dative component of the impersonal infinitive patterns.
It was shown in Souleimanova (1999) that the dative component – the basic one
in this case – conveys the information that the agent (an arbitrary term here – we
prefer the term subject of predication, according to A.V. Bondarko 1992), for
several reasons – see Souleimanova 1999), or semantic subject is conceived of
as an entity which is realizing what is being done to it (Souleimanova 1999:
115).
The first sentence type is exemplified by patterns of the type Mne negde
spat’ – I have no place to sleep (lit. me-dative nowhere to sleep). In
Souleimanova (2004), the sentence was treated as conveying the information
that
– the speaker states that there are / there are no pre-conditions for X
(semantic subject, may coincide with the speaker) to do something (P);
– the pre-conditions are objective, do not depend on X;
– the pre-conditions are determined by either the location/destination point
(negde, nekuda, neotkuda – nowhere); the semantic object (ni o kom –
about no one, ne s kem – with no one, ni o chem – about nothing, ne o
kom – there is no one to); reason (nezachem, ni k chemu – no need to);
time (nekogda – have no time); possibility (net neobkhodimosti, net nuzhdy – no need, not necessary).
It is obvious that this group features several types – I argue that they may be
qualified as one model on the ground that the elements which distinguish them
72
Olga Souleimanova
are definitely insignificant. They do not dramatically change the model – in case
the basic component and the infinitival one (i.e. the main components) coincide,
the sentences would differ in the information conveyed by these optional elements. The latter are regarded as optional because their absence does not radically change the model type (see detailed argumentation and analysis in
Souleimanova 2004).
On the whole, the infinitival sentences can be divided into two global types
(as it was offered in Russkaja grammatika 1980), according to the criterion of
objectivity/subjectivity, which seems to be supported by our perception of the
state of affairs and its linguistic representation. This objectivity/subjectivity criterion is, however, not enough: first, it is not clear what is exactly meant by
these terms here – their meaning is “fuzzy” and they need an unambiguous definition. E.g. objectivity, when applied to infinitive sentences, may indicate
– that it is this particular X who is chosen to realize P (it remains unspecified who made the choice – it may be human agents, force of nature,
situation, etc.), it is not X’s decision: Tak tomu i byt’ – Let it be (lit. so
this-dative and be); Vam reshat’ – You are to decide (lit. you-dative decide); Mne teper’ detej vospityvat’ – It’s me who has to raise the children
now (lit. me-dative now children-genitive raise);
– that the event is inevitable: Byt’ tebe v raju – You will certainly get into
Paradise (lit. be you-dative in paradise).
Subjectivity can mean
– that the speaker voices his own opinion / the community’s opinion or recommendation on the pattern of behaviour which X is expected to follow:
Tebe by pomoch ej, a ne smejat’sja – It would be better if you help her
rather than laugh (lit. you-dative would help her, but not laugh):
– the speaker’s opinion on whether X is able/unable to realize X;
– that the speaker states that he is unable to realize P: Tebja ne uznat’ – I
would never recognize you (lit. you-genitive not recognize), etc.
In other words, to refer the differences in the meanings of infinitival patterns to
the objectivity/subjectivity feature does not suffice. We shall offer another interpretation of infinitival sentences, which will not rely on this subjectivity/objecttivity feature, which is too general.
Starting with pattern 1, represented in sentences of the type Vam reshat’ –
You are to decide, Vam bezhat’ – It is your turn to run, Ej vypalo bezhat’ pervoi
– She is to run first, Mne detej vospityvat’ – I have to raise children, Tak I byt’ –
Let it be, Tak tomu I byt’ – Let it be, we see that these sentences convey the information that in the current situation X is “chosen” for the role of the doer of
Russian Impersonal Infinitive Sentences from a Cognitive Perspective
73
the action, and the choice is not his. This pattern is often referred to as a modal
one – which I object to – cf. a genuinely modal sentence Vam nyzhno reshat’ –
You have to decide (lit. with the explicit modal verb nuzhno), where the modality (necessity, need) is overtly expressed: X has to do P, while the pattern in
question conveys the idea that is only chosen as a potential agent to do P (there
is no indication that X has to/will do P). The pattern characterizes X as acting
unintentionally – there is no information about his will, he is not exercising any
control over the state of affairs, and no information as to whether P is going to
take place. In this model, the infinitive can take the imperfect aspect form – cf.
an incorrect sentence with the perfect aspect form *Vam reshit’ (lit. you-dative
decide-perfect infinitive) vs. perfectly correct Vam reshat’ – It is up to you to
decide (lit. you-dative decide-imperfect infinitive).
It might mean that the speaker presumes that X is able to realize P (denoted
by the infinitive); which explains why the infinitive refers to the action as a potential, general action – Vam bezhat’ na dlinnuju distantsiju – You are to run the
long distance (lit. you-dative run on long distance), or as a class of actions –
Vam v etom sezone begat’ na dlinnuju distantsiju – You will have to run the long
distance this season. Cf. also Vam vypalo delat’ chto-libo – You have to do
smth. (imperfect verb delat’) and *Vam vypalo sdelat’ chto-libo – You have to
do smth. (perfect verb sdelat’) – the latter sentence is assessed as incorrect because there is a “conflict” between lack/impossibility of control over P by X, on
the one hand, and the strong control expressed by the perfect verb form. The
question of P being reasonable/unreasonable is not debatable, what is in the focus is who has to realize P, so the emphasis is on X (which explains why the
possible negation can be put only before the semantic subject – Ne vam reshat’,
a mne).
The second sentence pattern – Vam ne reshit’ vseh problem – You won’t be
able to solve all the problems (lit. you-dative not solve all problems-genitive),
Mne ne ponjat’ – I cannot understand (lit. me-dative not understand-infinitive),
Tebja ne uznat’ – I cannot / no one would recognize you (lit. you-genitive not
recognize-infinitive), Vam menja ne ponjat’ – You will never understand me (lit.
you-dative me-genitive not understand-infinitive).
It should be emphasized, first of all, that this model differs from the previous one in several respects, i.e. it allows only the perfect infinitive (in the previous model – Ne vam reshat’ takije problemy – only the imperfect infinitive was
possible). Secondly, the possible negation can refer to the predicate (in the first
type it referred to the semantic subject). These formal distinctions reflect considerable semantic differences, that is: the pattern in question conveys the information that X does not have any chance to realize P and, consequently, that P
is not potentially realizable for X. This meaning relates the model to the utter-
74
Olga Souleimanova
ances with explicit modality Vam menja ne ponjat’ vs. Vy ne smozhete menja
ponjat’ – You won’t be able to understand me, though there still remains the difference in their semantics.
Model 3: Vam by tol’ko smejat’sja – Why are laughing so much (lit. youdative would only laugh) incorporates the particle by, which indicates that there
is conditionality in its meaning. Cf. Mne by ponjat’, chego vy khotite – I would
like to understand what you want. Its negative variant is possible only if the infinitive is in the perfect form.
Model 4: Sadu tsvest’ – The garden will certainly blossom (lit. gardendative blossom), Byt’ emu v raju – He will certainly be in paradise (lit. be him
in paradise) carries the information that P is inevitable, it does not depend either
on anyone’s intention or efforts; the event is not controlled. (Cf. Vam reshat’,
where X is represented as a chosen agent to realize P.)
Model 5: Vam li zhalovat’sja – You are not going to complain (lit. youdative whether complain), Tebe li ne veselit’sja – You may enjoy yourself (lit.
you-dative whether not rejoice) conveys the information that X has/does not
have the grounds for completing P, which X has already entered.
Model 6: Tebe by luchshe pomoch’ nam, a ne smejat’sja – You’d better help
me, not laugh conveys the information that X is offered a choice out of at least
two types of events – P1 or P2 in favour of one of them; P2 is not necessarily
mentioned.
Model 7: I tsaritsa khokhotat’ – And the queen started laughing (lit. and
queen laugh-infinitive), Ona bezhat’ – She broke into a run (lit. she run-infinitive). Strictly speaking, this model is not impersonal, but I will analyze it with
impersonal ones for some reasons to be specified below. More examples: Ona
idti, a on ne puskajet – She was about to leave, but he doesn’t let her go (lit. she
go, but he does not let her go), Ona bylo idti, a on ne puskajet. This construction
carries the information that X has already entered P (its initial phase). P is denoted by an atelic verb; in the imperfect form only – cf. incorrect sentences with
the verbs in the perfect form *Ona pojti (lit. she go-perfect), *Ona zakhokhotat’
(lit. she begin-laugh-perfect), *Ona ubezhat’ (lit. she run-away-perfect). The
requirement of the form of the verb – imperfect – is accounted for by the fact
that X is conceived of as such an agent that has already entered the first phase of
P, which makes it pointless to speak of a completed action; such information is
conveyed by the perfect aspect.
The model differs from a synonymous one with a personal verb – Ona davaj
khokhotat’/nachala khokhotat’ – She started laughing: the predicate nachala
khokhotat’ conveys the information about X’s actual entering into P, while
model 7 Ona khokhotat’ conveys the information that X is “fixed” at one of the
Russian Impersonal Infinitive Sentences from a Cognitive Perspective
75
moments of the already on-going P. It implies that X has actually entered at least
the initial phase of P.
2.2
Accusative impersonal infinitive model
The accusative impersonal model – Kostey ne sobrat’ – It is impossible to
gather bones together (lit. bones-accusative not collect), Knig ne soschitat’ –
The books cannot be counted (lit. books-accusative not count) is related to definite-personal sentence model of the type Kostey ne soberesh’ – You will not be
able to gather bones together, Knig ne soschitajesh’ – You won’t count the
books. There is, however, a difference between them – the latter one informs
that the generalization is based on the speaker’s personal experience – cf. the
possible continuation Knig u nikh – ne soschutat’, i ne pytajsja – They have so
many books that you will not be able to count them – it’s no use trying; and Knig
u nikh – ne soschitajesh’ – They have so many books that you will not be able to
count them (the agent has actually made a try at counting the books, then
thought better of it).
References
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Zolotova, G.A. (2001): Kommunikativnyje aspekty russkogo sintaksisa. Moscow: Editorial
URSS.
Synthetic and Analytic Formatives in Languages:
A Revision 1
Kazimierz A. Sroka
0
Introduction
0.0 Starting with the terms given in the title of the paper, one should say that
synthetic, analytic, as well as other types of formatives (or operators) exist in
various types of expressions, namely such as (pro)nominal expressions (noun,
pronoun, nominal group), prepositional phrases as well as adjectival, adverbial
and verbal expressions. In the present paper, our attention is centred on
(pro)nominal expressions and prepositional phrases.
Our account of types of formatives is based on the present author’s theory
of grammatical categories, including that of grammatical constructions (see
Sroka 1998a and 1999a).
0.1 According to the present author, a grammatical construction consists, by
definition, of a base and a formative. From the logical point of view, the base
can be understood as an argument and the formative as an operator. In the expression flowers, the ending -s (in the pronunciation /z/) is the formative (of
number), and the stem flower- is the base. In the Polish expression kwiaty, the
ending -y is the formative (of gender, number and role), and the stem kwiat- is
the base.
In addition to simple grammatical constructions, such as flowers, there are
also complex grammatical constructions. The organization of the latter is hierarchical. The hierarchical structure of a grammatical construction consists in the
fact that a narrower (lower-order) construction as a whole, i.e. with its base and
formative, is the base of the next, broader (higher-order), construction. An example of a complex grammatical construction is to the actresses, where, starting
with the narrowest (or, hierarchically, the lowest) one, we have the constructions
1
This is a revised version of a paper originally published in 2004 in S. Bračič, D. Čuden,
& S. Podgoršek (eds.), Linguistic Studies in the European Year of Languages. Proceedings of the 36th Linguistic Colloquium, Ljubljana 2001 (Frankfurt am Main: Peter Lang)
591–602. Most corrections are of a technical nature and concern quite many cases in
which, in the original paper, mainly because of the lack of proper fonts, gaps were left
where particular letters should be used or, as in the Greek examples, plain letters without
accentual symbols were applied.
78
Kazimierz A. Sroka
of gender, number, definiteness, and role. This is shown in the diagram (cf.
Sroka 1981b: 35 and 1984b: 92).
to
the
actrB1
- essF1
B2
F3
F4
F2
B3
B4
- es
B = base, F = formative
F1 = formative of gender
F2 = formative of number
F3 = formative of definiteness
F4 = formative of role
Diagram. An example of a hierarchical structure of a grammatical construction
In the diagram, the letter B symbolizes the base, and the letter F symbolizes the
formative. The base and the formative of the narrowest (lowest-order) construction are symbolized by appropriate letters with the subscript 1. The number of
the subscript increases along with the rise of the hierarchical level. The formative F1 (suffix -ess) is a formative of gender. The formative F2 (the ending -es) is
a formative of number. The formative F3 (the article the) represents definiteness.
Finally, the formative F4 (the preposition to) represents role. These formatives
together with appropriate bases, i.e. B1, B2, B3, and B4, build up grammatical
constructions of gender, number, role, and definiteness, respectively.
0.2 In this paper we deal with (pro)nominal expressions and prepositional
phrases as far as they represent role constructions. A role construction (see
Sroka 1984b), which consists of a role formative and a base, may, as a whole
and in its two components separately, vary as to length and morphotactic (i.e.
morphological and syntactic) complexity.
Thus Pol. Janowi ‘to John’, where -owi is the formative and Jan- is the base,
is a syntactically simple nominal expression; however, -owi is simultaneously a
formative of gender and number. The same can be said about Pol. aktorkom ‘to
(the) actresses’, where -om is the formative, and aktor-k- the base (including the
base of a lower order, aktor-, and a formative of gender (with the value ‘feminine’), -k-). In these cases, the nominal expression is co-extensive with the role
construction. In English, to John, where to is the formative, and John the base, is
a syntactically complex expression. Here, the nominal expression is part of the
role construction.
More complex role constructions are represented by the expressions to the
actresses (analyzed above), to the good actresses (where the base is expanded
by the adjective good, which constitutes an additional syntactic component), and
Pol. tym aktorkom ‘to the/these actresses’, tym dobrym aktorkom ‘to the/these
good actresses’ (the latter with the adjectival expansion dobrym); in the Polish
examples, the role formative, in addition to being cumulative (since it represents
Synthetic and Analytic Formatives in Languages: A Revision
79
not only role, but also gender and number) is distributed over all the syntactic
components.
1
Typology of role formatives and role constructions.
Functions of the role formative
1.1 Morphotactic types of expressions which are realizations of the role construction constitute the basis for establishing types of role formatives and role
constructions. The types of expressions in question and the resulting types of
role formatives and role constructions are the following:
1. nominal or pronominal expressions belonging to an inflectional paradigm
and thus characterized by an ending cumulating several grammatical categories, one of them being the category of role; such are Pol. człowiekowi ‘to
(a/the) man’ and jemu ‘to him’; here, the role formative is a case ending; in
this case, the role formative and the whole role construction are synthetic;
2. prepositional (or, incidentally, postpositional) expressions whose nominal or
pronominal element is characterized by a case ending, e.g. Pol. przez
człowieka ‘by (a/the) man’; here, the role formative is a preposition in combination with a case ending; in this case, the role formative and the whole
role construction are synthetic-analytic;
3. prepositional (or, incidentally, postpositional) expressions whose nominal or
pronominal element is not characterized by a case ending, e.g. French de
Jean ‘John’s, of John, by John’, par amour ‘out of love’; here, the role formative is a preposition; in this case, the role formative and the whole role
construction are segmental-analytic;
4. nominal or pronominal expressions characterized by specific positions they
occupy with regard to another expression (e.g. a verb) in a clause, e.g. Judith
with its preverbal position and Peter with its postverbal position in Judith
loves Peter; here, the role formative is a position in a higher-order expression; in this case, the role formative and the whole role construction are locational-analytic;
5. nominal and pronominal expressions showing variation in the base, variation
which brings about different values of the category of role, e.g. Old English
fēt (dative/instr. sing.) in contrast to fōt (nom. sing.) ‘foot’; here, the role
formative is an alternating element of the base; in this case, the role formative and the whole role construction are alternational;
6. nominal or pronominal expressions of the agglutinative type, in which one
(the final) of the suffixes represents the grammatical category of role, e.g.
Hungarian embernek ‘to/of a man’, embereknek ‘to/of people’, where the
80
Kazimierz A. Sroka
suffixes zero and -ek- are formatives of number (with the values ‘singular’
and ‘plural’, respectively), and the suffix -nek is a formative of role; in this
case, the role formative and the whole role construction are agglutinative;
7. nominal or pronominal expressions of the agglutinative type, in which the
grammatical category of role is manifested by means of a suffix (including
zero suffix) and a postposition, e.g. Hungarian betegség miatt ‘because of
illness’ (betegség with the zero suffix and miatt – postposition), postan
keresztül ‘by post’ (posta- with the suffix -n and keresztül – postposition)
(see Mroczko 1982: 242 f.); such a role formative is analytic (in the case of
the zero suffix) or agglutinative-analytic (in the case of the segmental suffix)
and the whole role construction has the analytic or agglutinative-analytic
character, respectively.2
1.2 A role formative performs the following functions:
1. It shows the syntactic relation of a given construction to another element in a
clause; for example, it indicates that, with regard to the verb, the role construction is the subject or object, and that, with regard to a noun, it is an attribute.
2. It shows the semantic role of the denotatum of the base; for example, it indicates that the denotatum of the base is the agent, patient, place, or cause of
the action or state expressed by the verb.
3. Except when it is of locational or alternational type, it constitutes a syntactic
boundary of the expression to which it belongs; in the case of an inflectional
ending or agglutinative suffix, it is the final (closing) boundary, and, in the
case of a preposition, it is the initial (opening) boundary (see Sroka 1998b:
51f.).
2
Role formatives in historical development
2.0 The classification of role formatives and role constructions that has been
presented above is important from the point of view of the typology of lan2
In Hungarian, the forms which occur as postpositions after nouns with the zero suffix
occur also (then strictly speaking no longer as “postpositions”) with personal-possessive
suffixes. According to Mroczko (1982:326) (in the present author’s translation): “The inflection of personal pronouns and their use with prepositions in Polish has its counterpart,
in Hungarian, in the inflection of postpositions by personal-possessive suffixes. That inflection applies to almost all postpositions which occur after words without another suffix”. This fact is exemplified in általam, Polish przeze mnie ‘by me’, and általad, Polish
przez ciebie ‘by you (sing.)’ (see Mroczko 1982: 327).
Synthetic and Analytic Formatives in Languages: A Revision
81
guages. No less, however, is it important from the point of view of the historical
development of languages, i.e. from the diachronic point of view. This problem
will be discussed in the present part of the paper.
2.1 From the diachronic point of view, we speak, in the case of Indo-European
languages, of a passage from the synthetic to the analytic system. What does it
mean from the point of view of grammatical constructions and their formatives?
It means that formatives and constructions of the synthetic type are replaced by
those of the analytic type. How does it happen? It is a well known fact that phonetic and analogical changes bring about the levelling of formal differences
among the elements of an inflectional paradigm. This, in turn, is the cause of the
phenomenon of multifunctionality. Multifunctionality comes into play when two
or more than two elements of an inflectional paradigm acquire a common form
which takes over the functions (including meanings) earlier represented by different forms.
In their initial stage the unification of forms and resulting multifunctionality
are locally limited, which means that they concern only a selected paradigm or
selected paradigms while in other paradigms the forms remain different. It is
such a state that should be referred to as syncretism. An instance of syncretism
is the form of the dative and instrumental cases of nouns in Early Old English.
The two cases have one and the same form in both singular and plural. Why then
do we distinguish the two cases? We do so because in the nominal group there
are elements in which the forms of these cases remain different. Such an element, in Early Old English, is the definite article of the masculine and neuter in
the singular; in the dative it has the form ðǣm (ðām), in the instrumental ðȳ
(ðon). Another element of this type is the strong form of the adjective in the
masculine and neuter of the singular, as in dative: gōdum cyninge ‘to a good
king’ and instrumental: gōde cyninge ‘with (by means of) a good king.’
In “Słownik terminologii językoznawczej” [= A dictionary of linguistic terminology], Gołąb, Heinz and Polański (1970: 555) define syncretism (in the present author’s translation) as follows:
A phenomenon, in some sense, reverse to suppletion [...] and consisting in the fact
that one inflectional form performs the function of two or more than two forms, e.g.
Pol. pana ‘lord, you,’ can be genitive or accusative (but, for example, to ręka ‘hand’
there is genitive ręki and accusative rękę). In Latin, the ablative is a syncretic case
(for example, in comparison with Old Indian) because it covers also the functions of
the locative and instrumental. According to Wackernagel, the term [is] borrowed
from Greek, where it was supposed to denote the process of various towns of the Isle
of Crete coming together to form a defence union (therefore, συγκρητισµός).
82
Kazimierz A. Sroka
2.2 As regards the multifunctionality of elements in the Greek declension, Jan
Safarewicz in his paper “Język starogrecki” [= Old Greek] (1986: 421) says (in
the present author’s translation) what follows:
A striking characteristic of Greek is the decrease of the number of cases. In that language, there are five cases while in Primitive Indo-European there were eight. In its
prehistoric period, Greek lost three cases, namely the ablative, instrumental and
locative: these formations unified with other cases. The phenomenon of two cases
acquiring one form is called the syncretism of cases. What happened in Greek was
the syncretism of ablative with genitive and of instrumental and locative with dative.
It is quite clear that Safarewicz treats syncretism as a process, namely process
of, as he says, “two cases acquiring one form.” We use the term “syncretism” in
the sense of an existing state (as in the first part of Gołąb, Heinz and Polański’s
definition), namely the state of the unification of forms and resulting multifunctionality which are locally limited. We have illustrated that (see above, 2.1) by
examples taken from Old English. Now, looking at Old Greek from the point of
view of its state and not of its earlier history, can we speak of syncretism taking
place between the ablative and the genitive and between the instrumental or
locative and the dative in the sense we have accepted? Of course, we cannot. We
cannot because within the system of Greek declensions there are no elements
which would formally differentiate the ablative and the genitive or the instrumental or locative and the dative. What then do we deal with in Greek? Here the
genitive as well as the dative are multifunctional but that multifunctionality covers all the paradigms of nouns, pronouns and adjectives and thus it is not locally
limited; it is absolute. That type of multifunctionality is not syncretism.
2.3 The dative in Greek appears in many functions. One of them is the so called
dative “proper”, which semantically corresponds to the beneficiary; another one
is the dative of the instrumental function, i.e. expressing manner (or instrument).
Out of the examples given below, and taken from biblical texts (those of the
New Testament),3 the first one illustrates the dative “proper”.
(1) Acts 15:28
Gr: ἔδοξεν γὰρ τῷ πνεύµατι τῷ ἁγίῳ καὶ ἡµῖν µηδὲν πλέον ἐπιτίθεσθαι
ὑµῖν βάρος πλὴν τούτων τῶν ἐπάναγκες, [...].
3
The abbreviations used before the examples have to be read as follows: G = German, Gr
= Greek, L = Latin, MnE (AV) = Modern English (Authorized Version), MnE (NEB) =
Modern English (New English Bible), OE = Old English, P = Polish.
Synthetic and Analytic Formatives in Languages: A Revision
83
L: Visum est enim Spiritui Sancto et nobis nihil ultra imponere vobis oneris
quam haec necessario: [...].
MnE (AV): For it seemed good to the Holy Ghost, and to us, to lay upon you no
greater burden than these necessary things; [...].
MnE (NEB): It is the decision of the Holy Spirit, and our decision, to lay no further burden upon you beyond these essentials: [...].
G: Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last
aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: [...].
P: Otóż podobało się Duchowi Świętemu i nam nie nakładać na was żadnego
innego ciężaru prócz następujących koniecznych wymagań: [...].
Here we find the expression τῷ πνεύµατι τῷ ἁγίῳ (dative) ‘to the Holy Spirit’,
in Latin Spiritui Sancto (dative), in the Authorized Version to the Holy Ghost.
In the New English Bible, the translation of the respective sentence is syntactically different and that is why the expression the Holy Spirit is not preceded by
the preposition to. Syntactically different is also the German translation. In Polish, the counterpart of τῷ πνεύµατι τῷ ἁγίῳ is Duchowi Świętemu (dative).
Example (2) illustrates the dative of the instrumental function.
(2) Acts 10:37–38
Gr: [...], ὑµεῖς οἴδατε τὸ γενόµενον ῥῆµα καθ’ ὅλης τῆς ’Ιουδαίας,
ἀρξάµενος ἀπό τῆς Γαλιλαίας µετὰ τὸ βάπτισµα ὃ ἑκήρυξεν ’Ιωάννης, 38
’Ιησοῦν τὸν ἀπὸ Ναζαρέθ, ὡς ἔχριςεν αὐτὸν ὁ θεὸς πνεύµατι ἁγίῳ καὶ
δυνάµει, ὃς διῆλθεν εὐεργετῶν καὶ ἰώµενος πάντας τοὺς
καταδυναστευοµένους ὑπὸ τοῦ διαβόλου, ὅτι ὁ θεὸς ἦν µετ’ αὐτοῦ.
L: Vos scitis quod factum est verbum per universam Iudaeam incipiens a
Galilaea post baptismum, quod praedicavit Ioannes: 38 Iesum a Nazareth, quomodo unxit eum Deus Spiritu Sancto et virtute, qui pertransivit beneficiendo et
sanando omnes oppressos a Diabolo, quoniam Deus erat cum illo.
MnE (AV): That word, I say4, ye know, which was published throughout all
Judea, and began from Galilee, after the baptism which John preached; 38 How
God anointed Jesus of Nazareth with the Holy Ghost and with power: who went
about doing good, and healing all that were oppressed of the devil; for God was
with him.
MnE (NEB): I need not tell you what happened lately all over the land of the
Jews, starting from Galilee after the baptism proclaimed by John. 38 You know
4
Italics in the translation.
84
Kazimierz A. Sroka
about Jesus of Nazareth, how God anointed him with the Holy Spirit and with
power. He went about doing good and healing all who were oppressed by the
devil, for God was with him.
G: Ihr wißt, was im ganzen Land der Juden geschehen ist, angefangen in Galiläa, nach der Taufe, die Johannes verkündet hat: 38 wie Gott Jesus von Nazaret
gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, wie dieser umherzog, Gutes tat
und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm.
P: Znacie wydarzenia, które miały miejsce w całej ziemi żydowskiej, a początek
swój wzięły w Galilei po chrzcie, jaki głosił Jan: 38 jak to Bóg namaścił Jezusa
Nazareńskiego Duchem Świętym i mocą, jak obchodził on kraj czyniąc dobrze i
przywracając zdrowie wszystkim, którzy byli w niewoli diabelskiej; albowiem
Bóg był z nim.
Here the expression πνεύµατι ἁγίῳ, which differs from that in example (1) only
by the lack of the article, corresponds to Modern English expressions with the
Holy Ghost and with the Holy Spirit and the expression δυνάµει has its counterpart in Modern English with power, as found in the translations. In Latin there is
Spiritu Sancto and virtute (ablative), in German: mit dem Heiligen Geist and mit
Kraft, and in Polish: Duchem Świętym and mocą (instrumental).
Example (3) illustrates a certain use of the dative expression τῷ πονηρῷ. Is it
dative ‘proper’ or dative expressing manner (instrument)?
Matthew 5:38-39
Gr: ’Hκούσατε ὅτι ἐρρέθη· ὀϕθαλµὸν ἀντὶ ὀϕθαλµοῦ5 καὶ ὀδόντα ἀντὶ
ὀδόντος.6 39 ἐγὼ δὲ λέγω ὑµῖν µὴ ἀντιστῆναι τῷ πονηρῷ· [...].
L: Audistis quia dictum est: “Oculum pro oculo7 et dentem pro dente8”. 39 Ego
autem dico vobis: Non resistere malo; [...].
MnE (AV): Ye have heard that it hath been said, An eye for an eye, and a tooth
for a tooth: 39 But I say unto you, That ye resist not evil: [...].
MnE (NEB): ‘You have learned that they were told, “Eye for eye, tooth for
tooth.” 39 But what I tell you is this: Do not set yourself against the man who
wrongs you. [...].’
5
6
7
8
Italics in the original.
Italics in the original.
Italics in the original.
Italics in the original.
Synthetic and Analytic Formatives in Languages: A Revision
85
G: Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Auge für Auge9 und Zahn für Zahn.10
39 Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, [...]
P: Słyszeliście, że powiedziano: »Oko za oko, ząb za ząb!« 39 A ja powiadam
wam: Nie opierajcie się złu; [...].
Thus far, Bible translators have treated τῷ πονηρῷ in the example quoted as
representing the dative “proper”. Hence we find, among others, such translations
of the expression µὴ ἀντιστῆναι τῷ πονηρῷ as that in the Authorized Version:
(That) ye resist not evil and, conveying the same meaning, Polish: Nie opierajcie
się złu shown above. This type of translation seems to be supported by the Latin:
Non resistere malo. Such translations, however, without an additional commentary, may suggest that one should remain indifferent in the face of evil, which
would not be consistent with the teaching represented by the Bible. Nowadays
translators, keeping the dative “proper” interpretation of the phrase τῷ πονηρῷ,
try to render the expression µὴ ἀντιστῆναι τῷ πονηρῷ in a pragmatic way, as
seen in the New English Bible and in the German text.
If, however, τῷ πονηρῷ is interpreted instrumentally and ἀντιστῆναι as
meaning ‘repay, pay back,’ which is plausible, then the expression µὴ
ἀντιστῆναι τῷ πονηρῷ can be translated as ‘do not repay with evil.’
The Greek dative in the instrumental function is illustrated also by example
(4), where κραυγῇ µεγάλῃ corresponds to Latin voce magna (ablative), to Old
English mycelre stefne (genitive/dative in the instrumental function), to Modern
English with a loud voice, as seen in the Authorized Version, and to German mit
lauter Stimme. In Polish the translation is syntactically different.
(4) Luke 1:41–42
Gr: καὶ ἐπλήσθη πνεύµατος ἁγίου ἡ ’Ελισάβετ, 42 καὶ ἀνεϕώνησεν
κραυγῇ µεγάλῃ καὶ εἶπεν· [...].
L: et repleta est Spiritu Sancto Elisabeth 42 et exclamavit voce magna et dixit:
[...].
OE: and þa wearð Elizabeth Halegum Gaste gefylled: 42 and heo clypode mycelre stefne, and cwæð: [...].
MnE (AV): and Elisabeth was filled with the Holy Ghost: 42 And she spake out
with a loud voice, and said, [...].
9 Italics in the translation.
10 Italics in the translation.
86
Kazimierz A. Sroka
MnE (NEB): Then Elizabeth was filled with the Holy Spirit 42 and cried
aloud,[...].
G: Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt 42 und rief mit lauter Stimme:
[...].
P: a Elżbieta napełniona została Duchem Świętym. 42 Wydała głośny okrzyk i
rzekła: [...].
Example (4), however, along with example (5), illustrate mainly a certain phenomenon in Old English.
(5) Luke 1:67
Gr: Καὶ Ζαχαρίας ὁ πατὴρ αὐτοῦ ἐπλήσθη πνεύµατος ἁγίου [...].
L: Et Zacharias pater eius impletus est Spiritu Sancto [...].
OE: And Zacharias his fæder wæs mid Halgum Gaste gefylled, [...].
MnE (AV): And his father Zacharias was filled with the Holy Ghost, [...].
MnE (NEB): And Zachariah his father was filled with the Holy Spirit [...].
G: Sein Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt [...].
P: A Zachariasz, ojciec jego, napełniony Duchem Świętym [...].
Examples (4) and (5) taken together show that in Late Old English represented
in the translation of the four Gospels (from Latin) the dative form of the group
“strong adjective plus noun” could by itself occur in the instrumental function
and that it could also occur, in that function, with the preposition mid; in the latter case, the function of beneficiary (dative “proper”) is excluded. Example (4)
illustrates the form without the preposition: Halegum Gaste gefylled and example (5) illustrates that with the preposition: mid Halgum Gaste gefylled, in both
examples the meaning being ‘filled with the Holy Spirit.’ We thus observe that,
at a certain time, the two forms – one without, and the other with, the preposition – coexisted.
In the later history of English, in the structure of the type mid Halgum
Gaste, the noun and adjective lose their inflectional endings, and the preposition
becomes the only formative of role. Thus altogether we observe, in certain constructions, the passage from the synthetic type, through the synthetic-analytic, to
the purely analytic. In Modern English, the counterpart of mid Halgum Gaste is,
as has been shown, with the Holy Spirit, where additionally the definite article is
part of the base of the role construction.
The levelling of the difference between the nominative and the accusative in
the nominal group (that difference is kept in the case of most personal pronouns)
Synthetic and Analytic Formatives in Languages: A Revision
87
is accompanied, in the history of English, by the appearance of locational formatives for differentiating the subject (under certain conditions, semantically
agent) and the direct object (under certain conditions, semantically patient);
these are the preverbal and the postverbal positions, respectively, of the nominal
expression functioning as the base (an example was given above, 1.1). Since we
treat locational formatives as analytic, we can say that also in the case discussed
we obtain, in the final stage, role formatives and role constructions of the analytic type.
3
Conclusion
The paper can be concluded with the following generalizing assertions:
1. A nominal or pronominal expression, even if it has no ending or agglutinative suffix and is not accompanied by a preposition or postposition, appears
always in the schema of a role construction since the role formative can as
well be locational or alternational.
2. In the historical development of a language, the role construction does not
cease to exist. Changes concern only the type of formatives; for example, the
synthetic (inflectional) formatives are replaced by the analytic ones, such as
prepositions and differing positions with regard to other elements in the sentence.
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Zeitloses Deutsch?
Überlegungen zum historischen Präsens
Heinrich Weber
1
Vorbemerkung
Bei der Korrektur eigener Texte bin ich immer wieder auf einen mehr oder weniger unmotivierten Wechsel zwischen Präteritum und Präsens gestoßen. Wenn
ich es gemerkt habe, habe ich die Tempusformen angeglichen; oft blieb der
Tempuswechsel auch erhalten, z. B. in folgendem Ausschnitt aus einem Vorlesungsmanuskript zur deutschen Sprachgeschichte:
Das Lesebuch bedeutete einen weiteren Schritt in Richtung der Säkularisierung des
Bildungswesens. Mit ihm übernahm der Staat die Vermittlung ethischer Grundsätze,
für die vorher allein die Kirche zuständig war. [… (Zitat) …] In der zweiten Hälfte
des 18. Jh. gewinnt der Deutschunterricht also an Bedeutung und übernimmt zwei
Aufgaben: In den Schulen der höheren Stände dient er – in Konkurrenz zum Lateinunterricht – der Stilbildung, in den Schulen für die niederen Stände dient er – in
Konkurrenz zu den Kirchen – der moralischen Erziehung. [… (Überschrift) …] Als
dritte Aufgabe fiel dem Deutschunterricht um die Jahrhundertwende 1800 zu, das
Denken zu schulen. Diese Aufgabe war einerseits die Aufgabe der klassischen Tradition […]. Sie wurde aber vertieft durch die philosophischen Erkenntnisse der Zeit
um 1800. (25.05.2004)
Obwohl ich fortlaufend über ein vergangenes Ereignis spreche, wechsle ich
zweimal das Tempus. Zwei Aufgaben des Deutschunterrichts werden im Präsens
vorgestellt, die dritte im Präteritum. Zur Rechtfertigung könnte ich sagen, dass
die zusammenfassenden und zur Allgemeingültigkeit erhobenen Sätze im Präsens stehen. Aber eigentlich gibt es keine andere Rechtfertigung als das Sprachgefühl, das sich auch jetzt nicht zur Wehr setzt, wenn ich den Tempusgebrauch
zu reflektieren versuche.
Das Vorhaben, Abraham ten Cate, der wie nur wenige mit der Tempusproblematik vertraut ist, mit einem Festschriftbeitrag zu ehren, lässt mich nun
endlich der Frage nachgehen, ob mir grammatische Fehler unterlaufen sind, ob
Präsens und Präteritum in bestimmten Kontexten nur Varianten voneinander
sind oder ob es gar im Deutschen ein Tendenz gibt, wie das Chinesische auf die
Unterscheidung der Tempora ganz zu verzichten. Zu diesem Zweck betrachte
ich zunächst, was die gerade greifbaren Grammatiken, Stilistiken und Spezialuntersuchungen zum Gebrauch des historischen Präsens (der Terminus steht hier
allgemein für das Präsens, das durch Präteritum substituierbar ist) sagen, und
92
Heinrich Weber
wende mich dann exemplarisch dem Tempusgebrauch in einigen Texten zu, die
Vergangenes zum Gegenstand haben.
2
Das historische Präsens in deutschen Grammatiken
Die Grammatik von Johann Christoph Gottsched (5. A. 1762) beschreibt – soweit ich sehe – als erste die Bedeutung des Präsens, und zwar, wie in der älteren
Grammatik üblich, im Rahmen der Verbsyntax:
62§. D i e g e g e n w ä r t i g e Z e i t w i r d ö f t e r s a n s t a t t d e r k ü n f t i g e n
g e b r a u c h e t . […]
63§. I m E r z ä h l e n b e d i e n e t m a n s i c h , e i n e S a c h e d e s t o l e b h a f ter zu machen, auch von vergangenen Dingen der gegenwärtigen
Zeit.
Z.E. „Ich komme in den Ort, und frage, wo der gute Freund wohnet. Man weist
mich dahin. Ich treffe ihn glücklich zu Hause an, und wir umarmen einander mit
großen Freuden. […]“ Hier sieht man wohl, dass alles von der vergangenen Zeit zu
verstehen ist; und selbst im Lateine haben die besten Scribenten, z.E. Plinius in dem
Briefe vom Regulus, schon so erzählet. (Gottsched 1762: 541–542)
Neben der Gegenwart kann also das Präsens auch die Zukunft ohne Einschränkung bezeichnen, die Vergangenheit aber nicht generell, sondern nur, wenn man
sie lebendiger darstellen will. Diese Auffassung zieht sich durch die Geschichte
der deutschen Grammatik. Karl Ferdinand Becker weist in seiner „Schulgrammatik“ (3. A. 1835) dem Präsens ganz ähnliche Aufgaben zu:
Das P r ä s e n s bezeichnet das Zeitverhältnis des Prädikats als die Gegenwart des
Sprechenden, ohne jedoch ein relatives Zeitverhältniß auszuschließen. [...] − Man
gebraucht außerdem das Präsens: − α. Statt des F u t u r s , wenn das Zeitverhältnis
nicht soll hervorgehoben werden, oder auf eine andere Weise schon ausgedrückt ist
[…] − β. Statt des I m p e r f e k t s [= Präteritums], um der erzählenden Darstellung
größere Lebendigkeit zu geben, indem das Vergangene als ein Gegenwärtiges dargestellt wird. (Becker 1835: 158)
Hermann Paul stellt in seiner historischen „Deutsche[n] Grammatik“ fest: „Das
Präsens ist nicht auf die Verwendung beschränkt, auf die sein Name weist.“
(Paul 1920 IV: 150) Es stehe auch für die Zukunft, weil es zunächst kein Futur
gegeben habe (Paul 1920 IV: 152). Bei der Vergangenheit differenziert Paul
stärker. Vergangenes werde im Präsens ausgedrückt, wenn u. a. ein gegenwärtiger Vorgang in der Vergangenheit begonnen habe, ein vergangenes Geschehen
als Inhalt eines gegenwärtigen Werkes angegeben werde, ein Erzähler sich lebhaft in eine geschilderte Situation versetze, eine Erzählung „durch eine längere
Reihe von Präsentia fortgeführt“ („Präs. historicum“) oder ein „volkstümlicher
Zeitloses Deutsch? Überlegungen zum historischen Präsens
93
Erzählton“ gewählt werde. Für das historische Präsens sei teils lateinisch-griechischer Einfluss, teils eine „selbständige Entwicklung“ anzunehmen. Paul weist
ausdrücklich darauf hin, dass schon im Mhd. ein „rascher Wechsel“ zwischen
Präsens und Präteritum vorkomme und ebenso bei [Johann Peter] Hebel, z. B.:
Als … ihm die Geduld immer näher zusammen ging, … trägt er … das Küchenkästlein in das Haus. (vgl. Paul 1920 IV: 151–152)
Pauls historischer Überblick zeigt, dass der Gebrauch des Präsens für Vergangenes eine lange Tradition hat und in weiterem Umfang angewandt wird, als die
Grammatiken von Gottsched und Becker vermuten lassen.
Die Duden-Grammatik von 1959 stellt fest, dass das Präsens „oft, aber nicht
immer ein in der u n m i t t e l b a r e n G e g e n w a r t ablaufendes Geschehen“
ausdrückt (Duden 1959: 107). Es könne auch die e b e n e r s t v e r g a n g e n e
Z e i t ausdrücken (Teichoskopie, Reportage), gebraucht werden, „wenn das Geschehen l ä n g s t v e r g a n g e n ist“, „mit rein r e g i s t r i e r e n d e m C h a r a k t e r “ in Chroniken und Tabellen stehen, ein in der Vergangenheit begonnenes
und in der Gegenwart fortdauerndes Geschehen bezeichnen, bei zeitlos Allgemeingültigem stehen oder „Zukünftiges ausdrücken“. (Duden 1959: 108). Am
ausführlichsten wird das historische Präsens behandelt. Da die Darstellung für
den normativen Standpunkt charakteristisch ist, sei sie hier vollständig wiedergegeben:
Der Sprecher vergegenwärtigt sich […] das Vergangene so lebhaft, daß er unwillkürlich die sprachliche Form der Gegenwart wählt (…):
Und aus einem kleinen Tor, das ... sich plötzlich aufgetan hatte, bricht – ich
wähle hier die Gegenwartsform, weil das Ereignis mir so sehr gegenwärtig ist –
etwas Elementares hervor … (Th. Mann)
Dieses Stilmittel ist nicht leicht zu handhaben. Es ist typischer Ausdruck der Erregung, die sich in kurzen Sätzen äußert, und steht in Gegensatz zu dem ruhigen Fluß
einer epischen Handlung, die gewöhnlich in der Vergangenheit erzählt wird. (Duden
1959: 108)
Die 2. Auflage der Duden-Grammatik von 1966 führt den Gebrauch des Präsens
für Vergangenes und Künftiges auf die Übertragung des Sprechzeitpunkts in
Vergangenheit und Zukunft zurück, d. h. auf eine Art Tempusmetaphorik, bei
der der Sprecher in unserem Fall „vergangenes Geschehen als für ihn ablaufendes Geschehen“ deutet. (Duden 1966: 97) In einem eigenen Abschnitt unterscheidet sie im Anschluss an Weinrich (1964) u. a. zwischen den Tempora Präsens und Perfekt einerseits, mit denen man auf der „Erlebnisstufe“ „die Welt
bespricht“, und andererseits Präteritum und Plusquamperfekt, mit denen man auf
der „Erinnerungsstufe“ „die Welt erzählt“ (vgl. Duden 1966: 103–104).
94
Heinrich Weber
Die IDS-Grammatik (Zifonun u. a. 1997) betont den deiktischen Charakter
der Tempora und unterscheidet nach Reichenbach (1947) zwischen Sprechzeit,
Betrachtzeit und Ereignis- oder Faktzeit. Die Zeit, in der das beschriebene Ereignis betrachtet wird, sei beim Präsens grundsätzlich der Sprechzeitraum; dorthin könne aber auch „Künftiges oder Vergangenes ‚transportiert‘ und damit aktualisiert werden.“ Als Beispiele für solche Aktualisierungen werden das futurische Präsens, das szenische Präsens, das historische oder epische Präsens und
das zeitlose Präsens genannt. Beim szenischen Präsens finde der Tempuswechsel an einem „Relevanzpunkt“ der Erzählung statt, beim historischen Präsens,
das „als Stilmittel erscheint“, markiere er dagegen keinen Relevanzunterschied
(vgl. Zifonun u.a. 1997 I: 348–351), z. B.:
Weniger differenziert war die Lage der Frauen bei der gewerblichen Tätigkeit. Im
Handwerk sank ihr Lebensstandard mit dessen Niedergang (…). Wieder ganz anders
ist das Leben von Hunderttausenden von Frauen, deren Heim die Landstraße […]
(Kuczynski, nach Zifonun u. a. 1997 I: 351)
Auch hier wird das historische Präsens als Tempusmetapher aufgefasst, wie die
Ausdrücke „transportieren“, „aktualisieren“ und „Stilmittel“ andeuten.
An anderer Stelle bringt die IDS-Grammatik etwas verklausuliert zum Ausdruck, dass das Präsens für sich allein nicht die Zeit festlegt, sondern dass diese
mittels einer Interpretationsstrategie erschlossen werden muss:
Das Präsens legt die relative Lage von Sprechzeit und Betrachtzeit nicht fest. Die
Betrachtzeit kann aus dem Kontext oder über Räsonnements erschlossen werden.
[…] – Das Präsens läßt die zeitliche Festlegung semantisch offen. (Zifonun u.a.
1997 III: 1692)
Anders als oben ist das historische Präsens hier nicht Tempusmetapher, sondern
bereits im Bedeutungsumfang des Präsens mitenthalten.
Die neueste Auflage der Duden-Grammatik stellt den „Gegenwartsbezug“,
den „Zukunftsbezug“ und den „Vergangenheitsbezug“ des Präsens auf gleicher
Ebene vor. Die Darstellung des historischen Präsens lässt aufhorchen:
Das Präsens kann das Präteritum in dessen charakteristischer vergangenheitsbezogener Funktion ersetzen. Es wird dann oft als historisches Präsens bezeichnet. […] –
In fiktionalen erzählenden Texten bildet das Präsens als Erzähltempus (episches
Präsens) heute ein so stark konventionalisiertes Stilmittel, dass der Vergegenwärtigungseffekt abgeschwächt erscheint. In vielen zeitgenössischen Werken dient das
Präsens sogar als Grundtempus des Erzählens (..). In noch höherem Ausmaß trifft
das auf das historische Präsens zu, das in Lexikonartikeln, Biografien und ähnlichen
chronologisch berichtenden, unpersönlichen Textsorten begegnet (..). (Duden 2009:
506).
Zeitloses Deutsch? Überlegungen zum historischen Präsens
95
Seit sich deutsche Grammatiken mit der Tempusproblematik beschäftigen, sind
sie sich darüber einig, dass das Präsens nicht nur für die Gegenwart steht, sondern auch für Vergangenheit und Zukunft stehen kann. Uneinigkeit besteht aber
darüber, ob dieser Gebrauch eine Abweichung darstellt, die etwa als Metapher
der „Vergegenwärtigung“ stilistisch zu rechtfertigen ist, oder ob er in der Bedeutung des Präsens bereits angelegt ist, wie es bei Hermann Paul anklingt und
in Formulierungen wie „konventionalisiert“ oder „Grundtempus des Erzählens“
in der neuesten Duden-Grammatik deutlich gesagt wird.
3
Das historische Präsens in der Stilistik
Die meisten eingesehenen Stilistiken äußern sich nicht zur Tempusproblematik.
Bemerkungen dazu habe ich zuerst bei Andresen (1898) gefunden:
[Es] geschieht [..] nicht selten, daß Schriftsteller ein Prät. mit ihm [dem historischen
Präsens] wechseln lassen. Findet dies innerhalb einer kurzen Darstellung statt, so
muß ein bestimmter Grund erkennbar, die Abweichung mindestens erklärbar sein.
Davon ist nichts zu spüren in folgendem Satze, der vielmehr den Eindruck der Unordnung macht: ‚Der Fuhrmann w a r zornig und w a r t e t nicht erst lange, sondern
s c h l u g gleich zu‘ (Schlegels Mus.). Aehnlicher Beispiele finden sich eine Menge
in der Sprache Grimms. (Andresen 1898: 143)
Auch der wegen seines Purismus bekannte Eduard Engel akzeptiert 1913 das
historische Präsens, missbilligt aber den unmotivierten Tempuswechsel:
Bekannt ist der Gebrauch des P r ä s e n s zur Belebung und Abwechselung des Stils;
in größeren Erzählungswerken ist es unentbehrlich, und alle Literatursprachen
gebrauchen dieses wichtige Stilmittel. […] Unzulässig ist das Hin- und Herschwanken zwischen der Gegenwarts- und Vergangenheitsform auf kleinem Raum. Dahlmann […] bedient sich immerfort des belebenden Präsens, weil ihm andere Belebungsmittel spärlich zu Gebote stehen, und gerät dadurch in störende Stillosigkeit:
Mirabeau verläßt sein Regiment, flieht nach Paris. Von hier begann eine Reihe von
Verfolgungen für ihn. Sein Vater läßt gerade … Er beschloß, ihn von nun an … (Engel 1913: 75–76).
Die ausführlichste Darstellung findet sich in der „Stilistische[n] deutsche[n]
Grammatik“ von Wilhelm Schneider. Schneider führt aus, dass sich in klassischen wie in neueren epischen Werken viele motivierte, aber auch unmotivierte
Übergänge vom Präteritum zum Präsens feststellen lassen. In der Geschichtsschreibung könne man „ein starkes Hindrängen zum historischen Präsens“ beobachten, ohne dass dadurch „größere Lebendigkeit und Anschaulichkeit“ erreicht würde. Für längst vergangene, aber nach der Geschehenszeit liegende Er-
96
Heinrich Weber
eignisse werde manchmal das Futur verwendet. Manche Romane seien ganz im
Präsens geschrieben oder wiesen ein „unstetes Hin und Her zwischen den Zeiten“ auf, das zwar schon seit Jahrhunderten Brauch sei, aber nun „im Übermaß“
vorkomme (vgl. Schneider 1959: 223–237). Der Autor beklagt, dass das historische Präsens dadurch als Stilmittel unbrauchbar würde: „Der Mißbrauch hat das
historische Präsens abgenutzt und entwertet.“ (Schneider 1959: 235)
Die sowjetischen Germanistinnen Elise Riesel und Evgenia Schendels betrachten sowohl Präsens als auch Präteritum als Grundtempora des Erzählens
und zeigen, wie man den Tempuswechsel stilistisch vor allem für den Wechsel
der Perspektive nutzen kann (vgl. Riesel/Schendels 1975: 275–282):
Als durchgehende Zeitformen, die den Hintergrund der Schilderung malen, dienen
das Präteritum oder das Präsens. Die Er-Form der Erzählung begünstigt das Präteritum, die Ich-Form das Präsens. Beide Zeitformen fungieren als Grenzsignale zwischen der realen Welt des Autors und des Lesers und der fiktiven Welt des Romans.
Sie verlieren ihren eigentlichen zeitlichen Wert als Angaben der Vergangenheit oder
der Gegenwart. […] − Für einen historischen Roman, einen Zukunftsroman, einen
Gegenwartsroman können beide Zeitformen gewählt werden. Beide eignen sich für
das Grundtempus der Erzählung wegen ihrer kurzen syntaktischen Form und semantischen Elastizität […]. (Riesel/Schendels 1975: 276)
Als Beispiel für den räumlichen und zeitlichen Perspektivwechsel führen die
Autorinnen einen Wechsel zwischen Wirklichkeit und Traum an:
Ich hatte, auf dem Sofa sitzend, ein Buch zur Hand genommen… Es war alles still;
nichts störte mich, mit Tristan und Isote die Meerfahrt zu beginnen. − Die Kiele
streichen hin, in der einsamen Mittagsstunde sitzt Isote auf dem Verdeck. Der Sommerwind weht in ihren goldenen Haaren (Th. Storm: Späte Rosen, in: Riesel/Schendels 1975: 277).
Die „Textgrammatik“ von Harald Weinrich (1993) vertritt dagegen wieder den
traditionellen Standpunkt, dass das historische Präsens das Ziel habe, „einer Erzählung ein größeres Maß an Unmittelbarkeit, Lebhaftigkeit und Spannung zu
verleihen.“ (Weinrich u.a. 1993: 217)
Insgesamt ist also den Stilistiken zu entnehmen, dass das historische Präsens
und der Wechsel zwischen Präsens und Präteritum weit verbreitet und akzeptiert
sind, das man aber den unmotivierten Wechsel möglichst vermeiden sollte.
4
Das historische Präsens in der Tempusforschung
Die neuere Tempusforschung arbeitet, wie schon erwähnt, meist mit den Begriffen Sprechzeit, Ereigniszeit und Betrachtzeit aus Reichenbach (1947) oder ihren
Zeitloses Deutsch? Überlegungen zum historischen Präsens
97
zahlreichen Varianten. Die Sprechzeit ist die Zeit des Sprechens, die Ereigniszeit die Zeit, in der das besprochene Ereignis stattfindet, und die Betrachtzeit die
Zeit, aus deren Perspektive es betrachtet wird. Für das gegenwartsbezeichnende
Präsens fallen Sprechzeit, Ereigniszeit und Betrachtzeit zusammen, z. B. wenn
ich jetzt schreibe Ich schreibe einen Text über das Präsens. Präteritum und Perfekt haben z. B. gemeinsam, dass die Ereigniszeit vor der Sprechzeit liegt, sie
unterscheiden sich aber in Bezug auf die Betrachtzeit, die beim Perfekt mit der
Sprechzeit, beim Präteritum mit der Ereigniszeit zusammenfällt.
Dieter Wunderlich deutet das historische Präsens noch ganz traditionell als
„Vergegenwärtigung“, insofern es die „Kontextzeit“ zur „Jetztzeit“ macht: „Die
Gegenwart eines vergangenen Zeitraums wird zur Gegenwart der Sprechsituation gemacht.“ (Wunderlich 1970: 135) Ähnlich argumentiert auch Manfred
Markus:
Im Deutschen (…) ist das historische Präsens […] ein willkommenes Mittel, von
dem Vergangenheitscharakter eines Aussageobjektes […] zu abstrahieren und stattdessen den jeweiligen Kontext wirken zu lassen. (Markus 1977: 38)
Abraham P. ten Cate nimmt an, dass das Präsens in historischen Zusammenhängen mehrdeutig ist, weil zwei Sprechzeitpunkte auftreten können, nämlich ein
Sprechzeitpunkt, der „als Einflechtung von der eigentlichen Sprechzeit tS1 aus
funktioniert und in gewissem Sinne als ‚Kommentar aus der Zeitmaschine‘ betrachtet werden muss“, und ein Sprechzeitpunkt tS2, der mit der Ereigniszeit und
der Betrachtzeit zusammenfällt und einer „historischen“ Person zuzuschreiben
ist (ten Cate 1988: 23). Das eigentliche historische Präsens mit tS2 werde „funktional als Präteritum“ betrachtet, sodass Vorzeitigkeit auch durch das Plusquamperfekt bezeichnet werden könne. Die „Präteritalfunktion des PRÄSHIST“ sei
durch die Ähnlichkeit der beiden Tempora (v. a. Zusammenfall von Ereigniszeit
und Betrachtzeit) bedingt und erkläre den häufigen Tempuswechsel, den er in
Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ beobachtet hat (ten Cate 1988: 25).
Hier klingt also bereits die Auffassung an, dass die Bezeichnung der Vergangenheit zum Bedeutungsumfang des Präsens gehört.
Diese Auffassung hat sich allerdings noch nicht durchgesetzt. Zwar bezeichnen einige Autoren das Präsens als „Atemporalis“ (Vennemann 1987, nach
Thieroff 1992: 95) oder „als hinsichtlich Tempus und Aspekt merkmallose
Verbform“ (Mugler 1988, nach Thieroff 1992: 95), werden aber kritisch diskutiert. Rolf Thieroff weist darauf hin, dass es „ganz erhebliche Distributionsbeschränkungen für das Präsens im Vergangenheitskontext“ gibt, z. B. bei der
Kombination mit Zeitadverbien wie in *Früher bin ich optimistisch (vgl. Thieroff 1992: 98–99). Zur Bezeichnung der Zukunft gebe es diese Beschränkungen
dagegen nicht (vgl. Thieroff 1992: 93). Thieroff kommt – wie vor ihm andere
98
Heinrich Weber
Autoren – darum zu dem Ergebnis, dass das Präsens die „Nicht-Vergangenheit“
(E[Ereigniszeit] nicht-vor S[Sprechzeit]) bezeichnet (Thieroff 1992: 100).
Allerdings weist Thieroff an anderer Stelle auf die Möglichkeit des Sprachwandels hin:
Es ist ein bekanntes Phänomen […], daß […] bestimmte Einheiten an die Stelle von
anderen Einheiten treten können, Varianten von diesen werden können, sie gänzlich
ersetzen können oder auch ganz oder teilweise verdrängt werden können. (Thieroff
1992: 286)
In diesem Rahmen kommt er auf die Ersetzung des Präteritums durch das historische Präsens zurück. Er sieht ein Problem darin, dass eine Kategorie, die
Nicht-Vergangenheit bezeichnet, zur Bezeichnung ihres Gegenteils verwendet
wird. Ebenso erscheint ihm die Erklärung über den stilistischen Effekt der „Vergegenwärtigung“ unbefriedigend. Er sucht das Problem dadurch zu lösen, dass
er die Opposition Präsens vs. Präteritum nicht als Zeit-, sondern als Distanzopposition „Entferntheit vs. Nicht-Entferntheit“ deutet, wobei die Nicht-Entferntheit das merkmallose Glied darstellt (vgl. Thieroff 1992: 286–288). Diese
meines Wissens sonst nicht vertretene Meinung soll hier nicht weiterverfolgt
werden, wohl aber der Gesichtspunkt der Markiertheit.
In seinem Studienbuch zum Tempus hat sich Björn Rothstein (2007) der
Auffassung von Thieroff im Wesentlichen angeschlossen. Er bestimmt die Präsens-Bedeutung als „Nicht-Vergangenheit“ und verweist darauf, dass „das Präsens […] ohne kontextuelle Steuerung keine Vergangenheitsbedeutung haben
[kann]“ und dass die rhetorischen Effekte des „Mitdabeiseins“ nicht erklärt werden könnten, wenn das Präsens atemporal sei (Rothstein 2007: 33).
Die Tempusforschung erörtert also das historische Präsens im Rahmen der
Begrifflichkeit Reichenbachs, ohne schon eine allgemein akzeptierte Lösung
gefunden zu haben. Die traditionelle Lösung, das historische Präsens außerhalb
der Grammatik als Stilmittel der „Vergegenwärtigung“ zu deuten, wird angesichts der Verbreitung und der Häufigkeit seiner Verwendung in stilistisch neutraler Umgebung immer problematischer. Gegen die Interpretation des Präsens
als „Atemporalis“ sprechen die Distributionsbeschränkungen. Nicht diskutiert
wurde bisher eine Lösung, die sich im lexikalischen Bereich schon bewährt hat.
Eugenio Coseriu weist darauf hin, dass Bedeutungsoppositionen neutralisiert werden können. Manche Lexeme können je nach Kontext entweder einen
spezielleren Inhalt oder den zugehörigen allgemeineren Inhalt bezeichnen. Das
Lexem Tag bezeichnet z. B. in Er fährt einen Tag später den Zeitraum von etwa
24 Stunden, in Die Tankstelle ist Tag und Nacht geöffnet nur die Zeit der Helligkeit:
Zeitloses Deutsch? Überlegungen zum historischen Präsens
99
[…] die sprachlichen Oppositionen [sind] nicht exklusiv, wie die logischen, sondern
inklusiv […]: ein Glied der Opposition kann auch das andere (bzw. die anderen) einschließen. Oder, metaphorisch gesagt, ist das „Nicht-schwarze“ in der Logik immer
nicht-schwarz, es ist das Gegenteil des Schwarzen; in der Sprache dagegen kann das
„Nicht-Schwarze“ auch schwarz sein, kann also das Schwarze einschließen, wenn
der Unterschied nicht nötig ist oder wenn wir ihn nicht unterstreichen wollen. (Coseriu 1976: 55)
Die „inklusive Opposition“ hängt insofern mit der „Markiertheit“ zusammen, als
das inkludierte Glied der Opposition zugleich das markierte ist. So ist beispielsweise Nacht markiert und Tag unmarkiert. Wenden wir den Begriff der inklusiven Opposition auf das historische Präsens an, so erhalten wir eine Beschreibung, die es besser erfassen kann als die bisher diskutierten. Das finite Verb
weist – im Gegensatz etwa zum Adjektiv – die Kategorie „Tempus“ auf, die
den bezeichneten Sachverhalt auf den Zeitablauf bezieht. Das Präsens hat in
Opposition zum Präteritum die spezielle Bedeutung „Nicht-Vergangenheit“; das
erklärt seine unproblematische Verwendung für die Zukunft. Es kann aber diese
Bedeutung in geeigneten Kontexten „neutralisieren“ und nur noch eine unspezifizierte Zeitlichkeit bezeichnen, die auch die Vergangenheit sein kann (historisches Präsens). Das neutralisierte Merkmal „Nicht-Vergangenheit“ kann aber in
manchen Fällen als Konnotation nachwirken und den Eindruck der „Vergegenwärtigung“ erwecken.
Das historische Präsens in Texten
5
Wir wollen nun der Frage nachgehen, auf welcher Ebene des Sprachlichen die
Verwendung des Präsens für die Vergangenheit einzuordnen ist. E. Coseriu unterscheidet – in Weiterführung der Saussureschen Unterscheidung langue vs.
parole – folgende Ebenen:
-
-
Die Rede (einschließlich der Textproduktion) entspricht dem jeweiligen
individuellen Sprachgebrauch, der parole.
Die Sprachnorm entspricht dem in einer Sprachgemeinschaft üblichen
Sprachgebrauch, wie er beispielsweise in praktischen Grammatiken und
Wörterbüchern beschrieben wird.
Das Sprachsystem entspricht den Unterscheidungen und Verfahren, die
in einer Sprache möglich sind.
Der Sprachtypus schließlich umfasst die Kategorien von Oppositionen,
Funktionen und Verfahren, über die eine Sprache verfügt. (Vgl. Coseriu
2007: 266–278).
100
Heinrich Weber
Es ist klar, dass das Deutsche – im Gegensatz etwa zum Chinesischen, aber in
Übereinstimmung mit den indoeuropäischen Sprachen – einem Sprachtypus
entspricht, der Tempora beim Verb unterscheidet. Ebenso ist klar, dass das
Deutsche in seinem System noch genügend Oppositionen bildet, um die Zeitverhältnisse Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu unterscheiden, wie das
folgende Beispiel zeigt. Der Spiegel schreibt über den früheren FDP-Vorsitzenden Westerwelle:
Seine Botschaft lautete zusammengefasst: Ich hatte schon immer recht. Ich habe
recht. Und ich werde auch künftig recht behalten. Applaus … (Spiegel 14/2011: 21)
Allerdings könnte man die Tempusoppositionen auch neutralisieren wie in dem
berühmten VW-Slogan Er läuft und läuft und läuft, der etwa dasselbe sagt wie
Er lief und läuft und wird laufen, aber viel eingängiger ist.
Die Diskussion über das historische Präsens geht im Kern darum, ob es zur
Norm der deutschen Sprache gehört oder ob es ein von der normalen Grammatik
abweichendes Stilmittel ist, das in der „Rede“ von den Sprechern individuell für
bestimmte Zwecke, z. B. zur „Vergegenwärtigung“, eingesetzt werden kann.
Folgt man der Literatur, so scheint die Tendenz dahin zu gehen, dass das historische Präsens „konventionalisiert“ ist, d. h. heute wenigstens in bestimmten Textsorten zur Sprachnorm gehört. Ob das wirklich so ist, wollen wir anhand einiger
Beispiele aus dem Medienbereich überprüfen.
In dem kostenlos verteilten Tübinger „Tagblatt-Anzeiger“ (TA) stellt Andrea Bachmann seit einiger Zeit Personen vor, die durch einen Straßennamen gewürdigt werden. In den zwanzig untersuchten Artikeln stehen die gegenwartsbezogenen Bemerkungen selbstverständlich im Präsens. So beginnt die Würdigung von Elly Heuss-Knapp mit dem Satz Am Sonntag ist Muttertag (TA
04.05.11). In den meisten Biografien der Namensgeber wird erwartungsgemäß
das Präteritum verwendet. Doch vier Biografien weisen überwiegend historisches Präsens auf, und bei weiteren fünf Biografien wechseln Präteritum und
Präsens ab.
Die Lebensbeschreibung von St. Meinrad beginnt mit einem modalen Perfekt-Satz, der das Geschehen in der Vergangenheit situiert, fährt dann aber im
Präsens fort, bis Meinrads Mörder auftauchen:
Der 21. Januar 861 könnte ein kalter Wintertag mit grauem Himmel gewesen sein.
Auf einer Lichtung im Finsterwald auf dem Etzelpass steht eine Klause. Ein einziger
Eremit lebt hier, er heißt Meinrad. […]– Als er an diesem Wintertag zwei Männer
auf sich zukommen sieht, ahnt Meinrad sofort, dass die nichts Gutes im Schilde führen. (TA 19.1.11)
Zeitloses Deutsch? Überlegungen zum historischen Präsens
101
Der Mord erscheint im Futur, das unmittelbar vorausgehende Geschehen im Perfekt und Präteritum, die noch aktuelle Legende im Präsens:
Die beiden werden Meinrad mit ihren Keulen erschlagen. „Liebreich“ soll er seine
Mörder bewirtet haben, erzählt die Legende. Obgleich er wusste, dass sie nach seinem Leben trachteten. Er hatte keine Chance. – […] (TA 19.1.11)
Der Text fährt im Präsens fort, das zunächst historisch und dann aktuell zu verstehen ist:
An Stelle von Meinrads Klause wird ein Kloster gegründet, 1039 werden seine
sterblichen Überreste dort bestattet und als Reliquien verehrt. Und in Rottenburg
gibt es nicht nur einen St. Meinrad-Weg und ein St. Meinrad-Gymnasium […] (TA
19.1.11)
Der Tempuswechsel vom Präsens ins Futur, Perfekt und Präteritum könnte die
Funktion haben, Meinrads Ende hervorzuheben. Allerdings führt er nicht – wie
sonst in Grammatik und Stilistik beschrieben – vom Präteritum zum Präsens,
sondern vom Präsens zum Futur und dann über das Perfekt zum Präteritum und
zurück zum Präsens. Die Hervorhebung wird also nicht durch ein bestimmtes
Tempus erreicht, sondern durch den Tempuswechsel als solchen.
Die Vorstellung von Eduard Mörike beginnt mit einem Präsens, das auf die
Gegenwart oder unmittelbar aktuelle Vergangenheit referiert: „Die Tochter rezitiert stolz ein frisch auswendig gelerntes Gedicht“ [Frühling lässt sein blaues
Band …]. (TA 30.03.11) Im folgenden Abschnitt, der die Entstehung des Gedichts beschreibt, wechselt gleich zweimal das Tempus zwischen Präsens und
Präteritum, ohne dass sich eine Motivation dafür erkennen ließe:
Die Quintessenz eines Frühlingstags in neun Zeilen entstand 1829, kurz bevor der
Dichter Eduard Mörike nach einem längeren Urlaub nach Plattenhardt auf den Fildern in die „Vikariatsknechtschaft“ zurückkehrt. Der Versuch, sich als freier Schriftsteller zu etablieren, schien missglückt. (TA 30.03.11)
Der weitere Lebensweg Mörikes wird im Präsens wiedergegeben.
Charakteristisch für häufigen Tempuswechsel ist die Lebensbeschreibung
eines Tübinger Optikers. Sie beginnt im Präteritum, wechselt aber mehrmals ins
Präsens und dann wieder ins Präteritum, und das sogar im selben Satz:
Im Jahre 1926 sorgte der Tübinger Optiker Otto Erbe für eine Sensation auf mehreren Ärztekongressen. […] – Die Anregungen für solche Tüfteleien bekommt Otto
Erbe von so bekannten Ärzten wie Georg Clemens Perthes oder Martin Kirschner. –
Das Erfinden liegt der Tübinger Optikerfamilie […] im Blut: 1847 gründete Christian Erbe eine Werkstatt für optische Geräte […]. Als 1867 ein Tübinger Professor
[…] vorschlägt, die Stärke von Brillengläsern nach Dioptrien zu berechnen, baute
102
Heinrich Weber
die Firma C. Erbe den ersten Probiergläserkasten. […] Am 23. April 1956 […]
wurde er [Otto Erbe] zum Ehrenbürger der Stadt Tübingen ernannt. Kurz darauf
scheidet der über 70-Jährige aus dem Gemeinderat aus. – Otto Erbe ist 1965 gestorben. […] (TA 06.04.11)
Eine Motivation für den Tempuswechsel ist nicht erkennbar. Bedeutung und Stil
des Textes verändern sich nicht, wenn man durchgehend Präsens oder Präteritum wählt. Man hat aber auch nicht den Eindruck, dass der Text durch den
Wechsel fehlerhaft wird. Nur das Perfekt in Otto Erbe ist 1965 gestorben markiert im Gegensatz zum Präsens oder Präteritum einen Abschluss.
Nicht nur in einem Anzeigenblatt, für dessen redaktionellen Teil wohl kein
großer Aufwand getrieben wird, wechseln Präsens und Präteritum miteinander.
Dieselbe Erscheinung finden wir auch in einem Artikel des „Spiegel“, der über
die Verurteilung eines falschen Arztes berichtet. Während das „Schwäbische
Tagblatt“ ohne historisches Präsens auskommt und fast durchgehend im Präteritum (und im Perfekt) berichtet (Tagblatt 21.05.11), verwendet der Spiegel
überwiegend Präsens, nachdem er den Fall im Präteritum und das Gerichtsurteil
im Präsens eingeführt hat:
Prozesse – Dr. med. Praktikant – Arzt war nicht sein Beruf, er fühlte sich bloß berufen. Das Stuttgarter Landgericht urteilt über einen Hochstapler, der es mit Hauptschulabschluss bis an den Operationstisch schaffte. (Spiegel 21/2011: 124)
Erstaunlicherweise hält die Gerichtsreporterin Beate Lakotta den Tempusgebrauch des Angeklagten für erwähnenswert, obwohl er dem in ihrem eigenen
Artikel entspricht:
Der Vorsitzende bittet den Angeklagten, einen typischen Arbeitstag im Krankenhaus
zu schildern. Das tut er gern, er fällt dabei ins Präsens: „Morgens schaue ich als
erstes auf den OP-Plan“ […] (Spiegel 21/2011: 124)
Das Normbewusstsein der Reporterin vermutet hier besonderes Engagement für
den Arztberuf, während der Angeklagte wohl nur einer üblichen Gebrauchsnorm
folgt.
Zum Präteritum kehrt die Reporterin erst am Ende des Artikels zurück; den
Abschluss bildet ein Perfekt:
Am vergangenen Freitag verurteilte die 5. Große Strafkammer Sascha St. […] zu
drei Jahren, neun Monaten. […] – Im Gefängnis hat sich Sascha St. mit der Anstaltsärztin angelegt […]. Er hat sie angezeigt, wegen unterlassener Hilfeleistung.
(Spiegel 21/2011: 125)
Bei einer solchen Verwendung referieren Präsens, Präteritum und Perfekt nicht
auf unterschiedliche zeitliche Sachverhalte, sondern haben eher eine textglie-
Zeitloses Deutsch? Überlegungen zum historischen Präsens
103
dernde Funktion, indem sie am Ende den zeitlichen Rahmen der Vergangenheit
in Erinnerung rufen und durch das Perfekt den Abschluss anzeigen.
Die Zeitschrift „Geo Epoche“, die alle zwei Monate ein historisches Thema
behandelt, hat sich bei der Wahl zwischen Präsens und Präteritum auf eigenwillige Weise entschieden: Der Chefredakteur Michael Schaper führt die Ereignisse, über die das Heft berichtet, im Präteritum ein, und die Autoren der Artikel
verwenden fast ausschließlich das historische Präsens. Als Beispiel diene das
Heft über „Die Macht der Habsburger“. Der Chefredakteur beginnt seine Einleitung so:
Große Eroberer waren sie nicht, die Habsburger: Etliche ihrer Kämpfe verloren sie
[…]. Und auch jene Gefechte, aus denen sie als Sieger hervorgingen, brachten ihnen
in der Regel keinen großen Territorialgewinn […]. (Geo Epoche 46/2010: 3)
Die Artikel beginnen dagegen im Präsens und halten es durch. Maximilian I.
(1459–1519) wird so eingeführt:
Maximilian ist der wohl erfolgreichste Heiratspolitiker der Habsburger: Durch seine
erste Ehe erwirbt er ein Anrecht auf das wohlhabende und mächtige Burgund, zu
dem auch die Niederlande gehören. Nach dem frühen Tod seiner Frau heiratet der
Monarch die Tochter des Herzogs von Mailand, die eine riesige Mitgift in die Ehe
bringt […]. (Geo Epoche 46/2010: 10).
Nur in seltenen Passagen tritt das Präteritum auf, wenn etwa die Vorgeschichte
eines Ereignisses darzustellen ist, z. B. die des Ausgleichs zwischen Österreich
und Ungarn im Jahr 1867. Hier werden die Ereignisse zwischen 1848 und 1867
im Präteritum berichtet:
[…] unaufhaltsam schien der Vormarsch der fanatisch kämpfenden Revolutionsarmeen. – Da bat der Kaiser den einzigen Monarchen um Hilfe, der den Freiheitsdrang der Völker ebenso verachtet wie er: den russischen Zaren. […] (Geo Epoche
46/2010: 125)
In dieser Zeitschrift, die sich in Anspruch und Aufmachung an ein gebildetes
Publikum wendet, sind die überlieferten grammatischen Verhältnisse auf den
Kopf gestellt: Standard ist das historische Präsens, das Präteritum weist auf das
Besondere hin, sei es auf die Autorität des Chefredakteurs oder auf einen rückverweisenden Einschub.
6
Schlussbemerkungen
Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die Verwunderung darüber, dass ich
in eigenen Texten entgegen dem eigenen Normbewusstsein unmotiviert zwi-
104
Heinrich Weber
schen Präsens und Präteritum gewechselt habe. Der Überblick über die grammatische, stilistische und tempuslinguistische Fachliteratur hat mein unreflektiertes Sprachgefühl bestätigt und mein Normbewusstsein eines Besseren belehrt. Er hat nämlich gezeigt, dass ich mich bei diesem Tempuswechsel in bester
Gesellschaft befinde. Im Ergebnis ist Folgendes festzuhalten:
1. Das historische Präsens ist eine weit verbreitete Erscheinung nicht nur
im Deutschen, sondern auch in vielen anderen Sprachen.
2. Das historische Präsens kann stilistisch-pragmatisch erklärt werden als
eine Tempusmetapher, d. h. als Verschiebung von Betracht- und Ereigniszeit aus der Gegenwart in die Vergangenheit, die der „Vergegenwärtigung“ eines Ereignisses dient. Diese Erklärung ist jedoch zu schwach,
weil das historische Präsens bereits konventionalisiert ist.
3. Im Sprachsystem stehen Präsens und Präteritum im Verhältnis der inklusiven Opposition. So wie das Lexem Tag einerseits den Zeitraum von 24
Stunden bedeutet und andererseits in Opposition zu Nacht steht, so steht
das Präsens einerseits für die unspezifizierte Zeitlichkeit und andererseits als „Nicht-Vergangenheit“ in Opposition zum Präteritum. Welche
Bedeutung jeweils gemeint ist, ist aus dem Kontext zu erschließen.
4. Die Frage, ob das Deutsche eine „zeitlose“ Sprache ist, d. h. eine Sprache ohne die Kategorie Tempus, ist zu verneinen. Eine Veränderung des
Sprachsystems würde erst eintreten, wenn immer und überall und so gut
wie ausnahmslos so geschrieben und geredet würde wie in den Beiträgen von „Geo Epoche“ – und auch die übrigen Tempora nicht mehr benutzt würden. Doch davon ist das Deutsche weit entfernt. Es gehört zu
einem anderen Sprachtypus als die tempuslosen Sprachen.
5. Die Opposition von Präsens und Präteritum funktioniert nach wie vor.
Ihr Gebrauch hat sich aber insofern verändert, als die allgemeinere und
die Vergangenheit einschließende Bedeutung des Präsens, die „unspezifizierte Zeitlichkeit“, häufiger und intensiver genutzt wird als früher und
manche Textsorten ganz beherrscht.
6. Weil das Präsens die Bedeutung des Präteritums einschließt und für es
stehen kann, kann die Tempusopposition auch für andere Zwecke genutzt werden, z. B. zur Hervorhebung, zur Textgliederung, zum Perspektivwechsel u. a.
Manche Fragen bleiben noch offen. So wurde nicht diskutiert, wie sich die übrigen Tempora gegenüber dem historischen Präsens verhalten. Vor allem müsste
man im Detail untersuchen, in welchen Textsorten und in welcher Häufigkeit
das historische Präsens zu verschiedenen Zeiten auftritt, um den Wandel der
Sprachnorm beim Tempusgebrauch eindeutig zu beweisen.
Zeitloses Deutsch? Überlegungen zum historischen Präsens
105
Literatur
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Semantik
Homeland – Studies in Meaning and Use
Karin Ebeling
1
Introductory remarks
Homeland and its plural form homelands are English words which I have nearly
always linked with the policies of Apartheid in Southern Africa, at least until
2001, when, after the attacks of 9/11, homeland security became a frequently
used word in US politics. In both contexts, however, the meaning of the word
homeland is unrelated to the original concept of homeland designating “[t]he
land which is one’s home or where one’s home is; one’s native country” (Brown
1993). With this meaning the word has been used for centuries, whenever people
have settled at some foreign place.
At the beginning of the 21st century, homeland is still an important concept.
Sometimes, often for political reasons, people are forced to abandon their homeland forever, others go regularly back home. The words home and homeland are
used synonymously, whereby home has become the preferred word in many
communicative situations, certainly for the reason that it is shorter, but above
all, because family and private life are more associated with the word home than
with the word homeland. The original meaning of homeland has become part of
the meaning of home.
Home is an important concept in everybody’s life. For me it has attained
new meanings depending on my personal experiences. My childhood home was
above all the house where I was living within my family. Then the village, at
which I grew up became home as well. When I started travelling abroad, the
country, where most of my family lived, became part of the meaning of home.
My nephew has been living abroad for more than five years, has established his
home away from home in an English-speaking country. I have never heard him
speaking of his homeland. He always refers to his country of origin just as his
home.
Many words of a language can be considered mirrors of the culture or the
cultures to which they are linked. New words turn up and words that have been
in use for a while are not used any more. Some of them are well remembered,
others are forgotten completely, perhaps for the reason that the concepts they
relate to do not any longer make up a considerable part of social life. The use of
words in ever new contexts and situations brings about changes in meaning. At
the end of the 20th century, when processes of globalisation initiated changes in
the economic and political relations between countries and questions of identity
110
Karin Ebeling
became increasingly important, the word homeland acquired specific meanings.
It is now used distinctively, although patterns of usage are often inconsistent.
This paper is aimed at investigating present-day meanings of the word
homeland. Whereas I have previously dealt with the concepts of home and
homeland in creative writing (cf. Ebeling 2010; Ebeling i.Dr.), these studies are
based on the use of the words by politicians and journalists.
2
Approaching the meanings of homeland
Changes in the meaning or meanings of words are a natural phenomenon. When
words are, either consciously or rather unconsciously, used in new communicative situations, additional meanings may develop. The English word homeland,
to my mind, serves as a good example.
When words attain new or additional meanings, these meanings are in some
way related to the original or at least to existing meanings. For a long time, the
English word homeland has been considered as such a word. It was first used in
the 17th century, when people started leaving the mother country to settle in
other regions of the world, whereby some did not move very far and others went
as far away as America or Australia. In these contexts, the words homeland and
home are used, e.g., in The Story of English by McCrum et al. (1986), a book to
accompany a TV series on the spread of English. The authors write:
The transplanting of Scots English to Ulster broke its contact with the homeland. As
we have already seen with English in America, the effect of the separation was to
preserve older forms of Scots in the new settlement, forms that have in some cases
died out back home (McCrum et al. 1986: 158).
Whereas the word homeland has been chosen to express the meaning “one’s native land”, the use of home can be interpreted as being a more affectionate term
designating “belonging to a place” (cf. Brown 1993). The constituent parts of
the compound, i.e. home and land had been in use before homeland was formed.
In the Old English period home designated the place where one permanently
lived or a collection of dwellings, a village, a town (cf. ibid.). Land was then a
term to refer to the solid part of the earth’s surface, as distinguished from sea or
water (cf. ibid.). The plural form, homelands, was used with the same meaning.
For illustration I refer again to an example from The Story of English:
The extent to which the Anglo-Saxons overwhelmed the native Britons is illustrated
in their vocabulary […] Old English […] contains barely a dozen Celtic words.
Three of these, significantly, refer to features of the British landscape that the Eng-
Homeland – Studies in Meaning and Use
111
lish could not have known in their flat, marshy continental homelands: […]
(McCrum et al. 1986: 56).
Whereas the word homeland has always been used in The New York Times, it is
now also quite frequently to be found in the British The Guardian. It has, as I
would like to say, become the preferred term to refer to recent movements of
people migrating to other countries in search for an improvement of their social
conditions. I use an example to underline this observation:
The vexed topic of asylum is under the microscope again today with the Guardian
splashing on the UN’s warning yesterday that unless western nations offer more
help, the current global system of protection will collapse. It is estimated that 21m
migrants worldwide currently leave their homelands each year (The Guardian: 3
September 2001).
Different processes linked with globalisation have made homeland a keyword.
Several authors (cf. Raymond Williams 1976; Anna Wierzbicka 1997; Tony
Bennett 2005) have studied the significance and the variable usage of words, as
well as its complex relations with other words, as keywords. Norman Fairclough
(cf. 2000) investigated keywords of New Labour, which were for him just the
most frequently used words in the then Labour government of Prime Minister
Tony Blair. When Williams (1976) was working on his book, he considered neither home nor homeland a keyword. Tony Bennet (2005), who understood his
book as an updated version of Williams’ effort and as a response to social
movements, changing political concerns and new horizons of public debate,
considered home a keyword and elaborates its meaning beginning as follows:
Home implies rest and settlement, and movement. Home is the place from which
things originate (hometown, home country) and to which they return, or, – where
movement is blocked – a place of imagined return. It is a place of belonging, involving a sense of family, intimacy, or affinity among those who live close to each
other, surrounded by movement (Bennett 2005: 162).
Bennett states that the concept of home is now seen as being unstable or contradictory in meaning due to “[t]he relationship between rest and movement, private and public, home and away, […]” (ibid: 163). He does not treat the meaning of the compound homeland separately, but conceives it, as the above definition shows, as part of the meaning of home. There is a short mentioning of the
complex word homeland security. In analogy to special homes, i.e. homes for
the homeless, the afflicted, the destitute, and the infirm which serve as places of
rest provided against the insecurity of life on the streets (cf. ibid.), Bennett sees
the aims of homeland security (cf. below) as an effort “to place a protective
shield around the nation” (ibid.), thus assigning a protective function to the word
112
Karin Ebeling
homeland security, which, as I will discuss below, is a coinage serving above all
defence interests of the United States in the 21st century. Homeland security and
homeland protection can be seen as keywords of the American government.
Anna Wierzbicka (1997: 15) thinks of keywords as “words which are particularly important and revealing in a given culture”. In her specific research on
the lexicon as a key to history, nation, and state, she includes the German words
Heimat and Vaterland. Heimat is often seen as being closely related in meaning
to the English word home. Both words can be traced back to a common IndoEuropean root, which is kie. Fatherland is a word that does exist in the English
language, but it is seen as a direct translation from the German word Vaterland.
With the help of natural semantic features, or universal semantic primitives
or primes, as she calls them, Wierzbicka explores ways of thinking characteristic
of a given society and speech community. Universal semantic features serve as
conceptual tools to represent the complex meanings of words under investigation (cf. ibid: 25). In her cross-cultural studies, Wierzbicka elaborates that meanings of words reflect and pass on ways of living and ways of thinking characteristic of a given society and speech community. Her explication of the concept Heimat includes the following aspects of meaning which I summarise below (cf. Wierzbicka 1997: 158–161):
Heimat is a place, not necessarily a country. Being a place itself, it includes many
places, small enough for an adult person or a child to be aware of them and to feel
like a part of them as well. People are not necessarily born in that place, but they are
raised there or live in these places during childhood. The place is linked with good
feelings and an awareness that nothing bad could happen to a person or child. Importantly, the place suggests something like nostalgia for childhood, linked with
childhood happiness and a feeling of being safe. It is thus like a part of a person or
child.
Wierzbicka’s explication of meaning of the German word Vaterland comprises
the following semantic features (cf. ibid: 161–176):
Vaterland is a country, not necessarily the country of birth. The psychological size
of the country is very large. The country is a political unit, implicitly seen against
the background of other countries. People are proud of belonging to that country;
they are part of it, love it and hold it in high regard. Vaterland may include many
Heimats, i.e. the point of reference is not experiential, but political. When people
think about the country, they feel something good. Many people feel the same and
want to do something good for the country. The country demands patriotic duty and
obligation. It is a unity that must be defended, protected, served, and fought for.
Other countries are not like this country. Vaterland is an ideal. One wants and
should do something for it, almost anything that might be required because of shared
values and shared obligations.
Homeland – Studies in Meaning and Use
113
My hypothesis is that features of meaning of both German words, Heimat and
Vaterland, can nowadays be understood as parts of the meaning of the English
word homeland. The very specific meanings, which the English word has attained, are a response to recent economic and political processes, as will be
shown below with the help of examples taken from political and newspaper discourses.
3
Meanings of homeland in selected social contexts
For my first searches concerning the meaning and use of the word homeland I
have consulted the archives of The New York Times and The Guardian. For
American newspapers like The New York Times, the concept of homeland has
always been important. A search in the New York Times Archive has resulted in
17, 708 entries for the word homeland between 1981 and May 2011. From 1851
to 1980 the word homeland was used 14, 410 times (cf. Query nytimes). The
sections showing the highest numbers of occurrences in the last 30 years (cf.
ibid) are World (4,119), US (3,113), New York and Region (2,776), Arts (2,303)
and Washington (1,484). The archive of The Guardian (cf. browse guardian)
reaches back to 1998, showing for that year just 4 results. From 1999 to 2010
homeland played an increasing role in representations. Frequencies of use range
from 296 in 1999 to 800 in 2007. In 2010 homeland was used 673 times,
whereby the highest numbers of occurrences were listed for the sections World
News (2,459), Comment is Free (676), Football (541), UK News (372), Sport
(362) and Politics (301).
3.1
Homeland designating one’s country of origin
There are numerous examples of the use of the word homeland meaning “one’s
country of origin” to be found in The Guardian, e.g. when sports is a topic:
“Watney is not quite a household name throughout Europe but in his homeland
of the United States the 29-year-old’s stock continues to rise” (Murray 2011).
Homeland is nowadays often used in connection with movements of people
and their migration to other countries in search for an improvement of their social conditions. The meaning of homeland is thus linked with a diasporic experience. Diaspora, one of the new keywords explored by Bennett (2005), literally
means “the scattering of seeds” (cf. ibid: 82).
Bennett establishes, e.g., reference to the history of the Jews as a people
without a homeland. Identity can be seen as an important aspect of meaning. I
114
Karin Ebeling
quote from a letter to the editor. Mick Hall writes on the Israeli occupation of
the West Bank and Gaza:
[…] in the court of world opinion, the Israeli occupation of the West Bank and
Gaza, is seen as being not only unjust, but illegal under international law, as are all
the settlements built on that land since 1967. […] To occupy someone else’s homeland for 33 years, then offer to give only 90 % back and then expect, […] not only
acceptance from your victims but a pat on the back from the rest of the world is not
going to happen (Hall: 28 September 2001).
Diasporic experience can, to my mind, be seen in the light of dual identity, on
the one hand with the country of origin and on the other hand with the new
country. In 1998, The New York Times published a series of articles dealing with
immigration and the bonds of people to their original places of living. One of the
headlines chosen is “The New Immigrant Tide: A Shuttle Between Worlds” (cf.
Sontag / Dugger 1998). The authors argue:
Most immigrants, however, base themselves more fully here, but maintain ties so vital that their homeland is a part of their American-born children’s identity. […] Either way, this here-there phenomenon, while common to every immigrant center in
the world, makes a particularly clear stamp on the psyche of New York, the American city with the largest and most diverse population of immigrants, living side by
side in neighborhoods where the very fact of their double identity is a bond. […]
Immigrants have always had a utilitarian relationship with America. But when the
homeland remains alive, every life juncture, from cradle to grave, becomes a time to
choose: where to baptize, where to bury? (ibid.).
People like Stella and Fernando Mateo commute between their homeland, the
Dominican Republic, and their home, New York (cf. Sontag / Dugger 1998).
Interviewed about this situation, Fernando Mateo states: “ ‘I believe, people like
us have the best of two worlds,’ […]. ‘We have two countries, two homes. It
doesn’t make any sense for us to be either this or that. We’re both. It’s not a
conflict. It’s just a human fact’ ” (ibid). Sontag and Dugger (ibid.) add their point
of view:
For modern immigrants like Mr. Mateo, the homeland is no longer something to be
forsaken, released into a mist of memory or nostalgia. As the world has grown
smaller, the immigrant experience has inevitably changed. Unlike the Europeans
who fled persecution and war in the first half of this century, few modern immigrants abandon their motherlands forever, shutting one door, opening another and
never looking back. Instead, they straddle two worlds, in varying degrees, depending
on where they came from and what they can afford (Sontag and Dugger, 1998)).
At the beginning of the 21st century, positive perceptions of two homes may
prevail, but feelings of exile, isolation, loss, displacement and a longing for a
Homeland – Studies in Meaning and Use
115
return may still be linked with homeland in a diasporic situation (cf. Benett
2005: 82–84). For those people, who do not feel fully accepted or even alienated
from the society into which they have moved, a thinking of homeland revives
the feelings that make the meaning “a longing for return” a part of the meaning
of the word homeland. This is, e.g., the case with Dr Sher Bahadur, one of an
estimated number of 5,000 Afghan asylum seekers in the British Midlands, who
in 2001 was asked on the future of Afghanistan. He then stated: “ ‘All Afghans
are looking forward for the new government to bring peace and stability to the
country, so that they can return to their homelands peacefully’ ” (The Guardian:
21 December 2001). The use of the plural form homelands designates specific
regions within the home country Afghanistan. With the meaning “place within a
country” and as synonym for “ancestral land” the word homeland occurs in the
headline of a text by Bearak (2010). In the text itself, however, the word home is
to be found, certainly to express the affectionate relation of the people to their
land:
The leader was Gana Taoxaga. He was a tenacious old man, one of the few who had
withstood the government’s efforts to move this people from the Botswanan game
reserve, their ancestral land. […] Closer by was a borehole, […] But the government
had sealed it up, and he supposed this was just another way to drive the Bushmen
from the sandy home they had occupied for millenniums (ibid.).
3.2
Homeland in the light of 9/11
The word homeland has acquired specific meanings in social and situational
contexts of The United States of America after the terrorist attacks of 9/11. Examples are to be found in British and American newspapers. The Guardian has
published special reports on terrorism in the US, whereby patriotism becomes an
important aspect of the meaning of the word homeland. On 14 September 2001,
the compound noun homeland defence is to be found: “President Bush was today expected to grant a Pentagon request for up to 50,000 military reservists be
called up for ‘homeland defence’ ” (Special report 2001b).
Very soon after the attacks of 9/11, President George W. Bush started discussing homeland security. In an “Address to a Joint Session of Congress”, delivered on 20 September 2001, he stated:
We will take defensive measures against terrorism to protect Americans. Today,
dozens of federal departments and agencies, as well as state and local governments,
have responsibilities affecting homeland security. These efforts must be coordinated
at the highest level. So tonight I announce the creation of a Cabinet-level position
reporting directly to me – the Office of Homeland Security. And tonight I also announce a distinguished American to lead this effort, to strengthen American secu-
116
Karin Ebeling
rity: a military veteran, an effective governor, a true patriot, a trusted friend – Pennsylvania’s Tom Ridge. He will lead, oversee and coordinate a comprehensive national strategy to safeguard our country against terrorism, and respond to any attacks
that may come (Bush 2001).
The compound homeland security can be understood as an effort of protecting
the home country. It has, to my mind, become a keyword determining American
politics. Features that Wierzbicka (cf. above) has elaborated with respect to the
meaning of the German word Vaterland, hold for the meaning of this new use of
the word homeland. I will refer to a speech held by the then President George
W. Bush in August 2002. He discussed “Homeland and Economic Security” at
Mount Rushmore in South Dakota. The White House Archives provide the text
of the speech with a photograph of George W. Bush touching one of the stone
statues of his forerunners in office and a quote from the speech:
‘More and more people understand that being a patriot is more than just putting your
hand over your heart and saying the Pledge of Allegiance to a nation under God.
(Applause) They’re saying – more and more people understand that serving something greater than yourself in life is a part of being a complete American’ (Bush
2002).
Throughout the speech, homeland protection is made an important topic:
We’ve got challenges of protecting the homeland and we will do everything in our
power to protect the homeland […] We’ve got another big challenge facing America, and that is to protect our homeland. I want to appreciate the moms and dads who
brought your kids here today. It’s probably hard for you to understand why anybody
would want to hurt America; why would we have to protect the homeland in the first
place (Bush 2002).
In the nearly 10 years that have passed since 9/11, homeland protection and
homeland security have belonged to the foremost efforts of both American
Presidents demanding actions according to the Guiding Principles of Homeland
Security:
The President’s highest priority is to keep the American people safe. He is committed to ensuring the United States is true to our values and ideals while also protecting the American people. The president is committed to securing the homeland
against 21st century threats by preventing terrorist attacks and other threats against
our homeland, […] (White House 2011).
Homeland – Studies in Meaning and Use
3.3
117
Homeland in the social context of Southern Africa
In Southern Africa the word homeland or bantustan was the name given to a
special area or territory reserved or set aside for ethnic people who in the second
half of the 20th century were forced to leave their homes to live in unfamiliar
places called homelands. People were resettled and placed under homeland rule
as a practise of racial discrimination:
Anti-apartheid leaders joined traditional chiefs today to challenge South Africa’s
black-homeland policies. […] It was the first time that apartheid opponents were allowed to demonstrate in any of the homelands, established by the Government as resettlement areas for blacks. In another demonstration, in the Orange Free State,
70,000 people marched on local government offices in Botshabelow township to
protest a Government plan to place them under homeland rule” (NYT: 2 October
1989).
After the policies of Apartheid had been officially ended, homelands were seen
as an inheritance to cope with, e.g. by Keller (1994):
It is a troublesome legacy because the homelands, parodies of nations though they
were, took on lives of their own in ways that neither the creators nor the critics of
apartheid fully anticipated. […] Few had any ancestral attachment to the land, and
the homeland was wretched – at first little more than a network of worker bus stops
surrounded by shack-towns.
4
Outlook
In the context of South Africa, the word homeland has been used clearly euphemistically, as a tool of disguise. Homeland rule was introduced as social practise
and a form of racial discrimination and separation. People were deprived of their
homes and suppressed in the regions they had to live.
In the 21st century, the word homeland has acquired very specific meanings
due to social and cultural changes and developments. On the one hand, the word
is used with reference to movements of people, with migration, immigration,
losses of identity and the acquiring of new identities. Dual identity has become a
common phenomenon, as movements forth and back are possible. For those,
however, who seek refuge and safety, homeland remains a concept that refers to
special regions, smaller places within bigger home countries, linked with feelings of affection. Homeland has become a keyword in the age of globalisation
with distinct meanings demanding further studies. The word has attained clear
ideological dimensions of meaning to be explored in the context of globalisation. One of the special issues demanding research is the interrelation between
118
Karin Ebeling
the spread of world terrorism and the introduction of US Policies of Homeland
Security.
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Wierzbicka, Anna (1997): Understanding Cultures through Their Key Words. Oxford: Oxford
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Williams, Raymond (1976): Keywords. London: Fontana Press.
Configurative Components of Word Meaning
Marina Fomina
1
Introduction
The present paper is concerned with configurative components of word meaning. In particular, I shall focus on configurative components of the semantic
structure of the English adjective free.
Yet, before delving into semantic analysis, I shall suggest the definition of
linguistic meaning adopted in this paper.
The problem of word meaning is one of the most controversial in the theory
of language. The scientific definition of meaning has been the issue of interminable discussions. Yet linguistic science at present is not able to put forward a
conclusive definition of this term.
Let us now make a brief survey of the problem as it is viewed in modern
linguistics.
There are two basic approaches to word meaning in linguistics (Seliverstova, 2004: 76).
First, the term meaning is used for the relation between the linguistic sign
and an extra-linguistic referent. This approach corresponds to the classical theory of linguistic meaning understood as complex relationships between referent
(thing), concept (thought or reference) and word (symbol) that are traditionally
represented by Ogden and Richard’s semiotic triangle (Ogden, 1985).
Secondly, many linguists employ the term meaning to denote the concept
underlying it. They stress the point that the meaning of a linguistic sign has to be
clearly distinguished from an extra-linguistic object denoted by it. This usage of
the term seems to be more legitimate for at least two reasons. First, according to
Coseriu (1969), it is possible to denote the same extra-linguistic object with different linguistic means. Secondly, linguistic and extra-linguistic relations must
not be confused, since knowledge of the language in not to be identified with the
knowledge of the world and of objects.
Coseriu, Lyons (1978) and other linguists often quote famous examples
from philosophers such as Frege and Husserl which demonstrate the need to distinguish between the meaning of a linguistic expression and its relationship to an
extra-linguistic object in reality. Thus, according to the logician Frege’s classic
example, the expressions morning star (Morgenstern) and evening star (Abendstern) both refer to the same extra-linguistic referent – the planet Venus, still
they obviously have a different meaning. Similarly, as Husserl noted, the ex-
122
Marina Fomina
pressions the victor at Jena and the loser at Waterloo clearly differ in meaning,
but denote the same object. Although victor and loser are not only different in
meaning, but opposites, they may be used for referring to an identical referent,
to whom, for instance, the proper name Napoleon could also have been applied
(Lipka, 1992: 61).
Within the framework of the second approach, I view meaning as information conveyed by the linguistic sign. This definition suggested by Seliverstova
(2004) turns out to be very instrumental in semantic and cognitive studies in
general.
2
Configurative Components
Following Seliverstova, I distinguish four kinds of meaning, or semantic information, namely 1) sense, or conceptual meaning, 2) stylistic meaning, 3) expressive meaning and 4) configurative meaning (Seliverstova, 2004: 43).
Let us dwell on the configurative component of meaning.
Conceptual, stylistic and expressive meaning of a linguistic sign does not
always predetermine its syntagmatic potential, e.g. the English verb suggest can
be followed by either an -ing form or a that-clause, while the use of a to-infinitive clause is unacceptable. Moreover, native speakers may assess the use of
some words in particular contexts as acceptable though not preferred, and yet
they tend to avoid these words and find substitutes for them. Such arbitrary, or
non-motivated, syntagmatic relations are referred to as configurative components of meaning.
To illustrate the influence of configurative components on the choice of a
linguistic sign in a particular context, let us dwell upon configurative components of the semantic structure of the English adjective free.
3
Configurative Components of the Semantic Structure of the
English Adjective Free
If we consult modern dictionaries, we shall see that the adjective free is defined
as “available, unoccupied, not in use” (MCD), “not occupied or being used”
(OALD), “provided without, or not subject to, a charge or payment” (MCD),
“costing nothing” (OID), “without payment” (NHOD).
In the paper I shall delve into the configurative components of the adjective
free in the “available, unoccupied, not in use” meaning.
Research revealed that native English speakers more readily and more frequently associate the word free with “costing nothing”, “without payment”
Configurative Components of Word Meaning
123
rather than with “available, unoccupied, not in use”. In case the word free used
in the latter meaning may cause some ambiguity, native speakers opt for synonymic adjectives such as empty, blank, unoccupied, vacant or available to differentiate from the meaning of “without cost”.
Consider the following utterances with free:
The teacher handed a free test booklet to each student,
Jane parked her car in a free lot,
Mary entered the free bathroom and locked the door.
Informants assess the statements as acceptable provided the adjective free conveys the information that one can have or use the objects (a test booklet, a lot, a
bathroom) without paying for them. When I asked the informants to evaluate the
same statements with the word free meaning “available for some particular use
or activity”, the above sentences were graded as unacceptable:
*The teacher handed a free test booklet to each student,
*Jane parked her car in a free lot,
*Mary entered the free bathroom and locked the door.
The study revealed that many statements with free can be conceived of in two
different ways depending on the speaker’s frame of reference. This ambiguity
leads to a high dispersion of informants’ grades, i.e. the grades appear to be
spread around their mean value to a great extent and thus cannot be treated as
valid.
Thus, the use of the word free is often situational. If there is a cost issue assumed by the speaker, it can lead to ambiguities that may explain some of the
scatter in the grades. In the following statement, The room is free. All the furniture has been removed the speaker may have in his / her mind the possibility of
a room being available for use without charge, unless it is furnished. Thus, the
removal of the furniture has the effect of making the room free from cost, letting
this choice seem possibly more frequently used than it might otherwise be
graded. When I asked the informants to assess the statement, assuming the word
free conveyed the information “available for some activity”, the statement was
graded as acceptable, whereas the use of free meaning “without payment”,
“without charge” was found to be not occurring.
The same situation applies in the assumption of choices between pay-parking lots, pay-toilets / lavatories, pay-telephones / telephone lines, pay- roads /
motorways, and those without cost. Moreover, according to the real state of affairs, such objects as apartments / flats, houses / buildings, offices and other real
properties hardly allow of this two-fold interpretation, cf.
124
Marina Fomina
*The real-estate developer purchased the free office building,
*Susan showed a prospective tenant a free apartment,
*We moved in right away, as the flat was free,
*Only a few apartments were still free.
Thus, native English speakers would instinctively understand that to say “Do
you have any free rooms?” would create an ambivalence regarding whether one
meant rooms that were “available for use” or “without cost”. The commonly
used solution (besides the use of such words as empty, blank, unoccupied, vacant or available) is to move free into the post-position, and thus ask, “Do you
have any rooms free?”. Moreover, the common person (not concerned with
proper English or in sounding refined or educated) would still sense that to say,
“Do you have any free rooms?” (meaning “without cost”), could still be misconstrued, and instead would often adopt the stilted (but unambiguous) form,
“Do you have any rooms for free?”.
Consider the following examples:
Heating and television all rooms, free tea and coffee,
Jane parked her car in the free lot.
In the first sentence the pre-position usage of free indicates “without cost”,
though because the objects (tea and coffee) cannot be conceived of as functional
space available for some activity, there is little chance of ambiguity. It is only
when the object can possibly be construed to be free in terms of being occupied
or available, that the pre-position form can still have ambiguity. The post-position form would normally have to be modified by adding a preposition (coffee
for free) or predicative usage of the adjective free (coffee is free) to indicate
“without cost” (cf. the post-position form of such compounds as coffee-free,
salt-free, sugar-free that would indicate no coffee / salt / sugar present).
The second statement indicates “without cost” using the pre-position, but the
fact that it can be conceived of as functional space available for some activity
could still provide some dual interpretation. Here, context would be a useful determinant.
Careful native speakers would again use such adjectives as empty, vacant or
available to convey the meaning of “available for some activity”. In actual practice, the appropriate pre- or post-positions would be used intuitively, without
any real thought, and then any ambiguity, if it became an issue, would be sorted
between the parties by additional questioning if necessary.
Another way to avoid possible ambiguity is the use of prepositional phrases
after free such as for (“available for some particular use or activity”) / from / of
smth. (“lacking or relieved from something”), e.g. The road is free for travel, a
Configurative Components of Word Meaning
125
river free of ice, The roads are almost free of / from traffic, The store is free
from mice – cf.
*The road was almost free at this time of the day. vs. The road was almost free from
traffic / for driving / for travel at this time of the day,
*The birds had gone and their nest was free. vs. The birds had gone and their nest
was free for use by other birds.
Here the statement The road was almost free at this time of the day may be conceived of in two ways – either the road was free from traffic or it was free for
travel (in this instance it is reasonable to say that it was both). In other cases, this
ambiguity can be prevented by the use of the synonymic adjective empty.
4
Conclusion
The semantic analysis of the experimental data revealed that the semantic structure of the English adjective free includes a configurative component that cannot
be neglected if we aim at the appropriate usage of the word. The component accounts for the fact that native English speakers intuitively tend to avoid the use
of free in case it causes some ambiguity whether the given object is available for
some particular use / activity or one can have or use the object without paying
for it.
Dictionaries
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Marina Fomina
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Wörter und Sätze in semantischer Analyse.
Betrachtung von Beispielen aus der Wissenschaftsund Pressesprache
Elisabeth Rudolph
1
Einleitendes
Sprachliche Kommunikation vollzieht sich in Texten, die aus Sätzen und Wörtern bestehen. Wörter haben immer eine Bedeutung, Sätze meistens. Hier betrachte ich nicht Texte als Ganzes, sondern nur die Beziehung zwischen Anfang
und Ende. Dabei spielt die Überschrift eine Rolle, die in Texten geringeren Umfangs auf den Inhalt der folgenden Ausführungen verweist. Die ganz am Ende
stehenden abschließenden Sätze sind oft grundsätzlich mit Bedacht gewählt. Sie
fassen die Gedanken des Autors zusammen oder verweisen auf die Zukunft in
Kultur und Technik. Die Formulierungen geben häufig einen Hinweis auf die
semantische Einordnung der Äußerung.
Für die Analyse in der Wissenschaftssprache werden 165 deutschsprachige
Aufsätze in Festschriften und Tagungsakten herangezogen und für die Pressesprache Artikel aus der Wochenzeitung Die Zeit. In beiden Fällen lassen sich
Gruppen unterscheiden. Bei der nach der Bedeutung des ganzen Schlussgedankens fragenden semantischen Analyse fallen in der Wissenschaftssprache teilweise Satzverknüpfungen auf, die den Bereichen Kausalität und Kontrast zuzuordnen sind. Auch in der Pressesprache begegnen zuweilen Ausdrücke der
Funktionstypen Kausalität und Kontrast in den allerdings nicht überall explizit
verfassten Schlussbemerkungen. Eine Auseinandersetzung mit anderen linguistischen Ansichten ist wegen der relativen Kürze dieses Aufsatzes nicht beabsichtigt.
2
Schlussgedanken in der Wissenschaftssprache
Wie bei letzten Sätzen kaum anders zu erwarten, stehen diese sehr oft in zusammenfassenden Schlussbemerkungen, die das Thema des Artikels in den
Vordergrund stellen. Dabei wird häufig ein Bezug zum Titel hergestellt und der
Inhalt des Artikels mit bedacht und bewertet. Die Autoren können Folgerungen
aus ihrer Darstellung ziehen, die in die Zukunft weisen, oder sie können das ihnen Wichtige noch einmal in einer Begründung erwähnen. Auch die Art ihres
Vorgehens bei einer dem Artikel vorangehenden Untersuchung kann in die
128
Elisabeth Rudolph
Schlussgedanken einbezogen werden. Die aus dem Funktionstyp Kontrast
stammende additive Variante mit Negation (nicht nur – sondern auch) eignet
sich dann zur Betonung eines Details.
2.1
Kausale Begründungen
Die auch heute noch häufigste Kausalkonjunktion im Deutschen ist weil. Sie
steht meist an der Spitze des zweiten Satzes der Verknüpfung.
(1) Titel: Die Normierbarkeit von Kommunikation – Schluss: Entsprechend ist festzustellen, dass solche Formen [= der Mensch-Maschine-Interaktion] durch die
Technik-Perspektive dominiert werden, weil vom technischen Handlungsplan der
jeweiligen Aufgabe ausgegangen wird und nicht von der interaktiv kommunikativen
Lösung der Aufgabe. (Wolfgang Sucharowski, 41. Ling. Koll.: 310)
Die inhärente Kritik am Umgang von Menschen mit Maschinen bei einer bevorzugten Behandlung der Maschine ist in (1) höflich in den Kausalsatz verpackt,
dessen zweite Adverbialbestimmung am Ende erst die Möglichkeit einer anderen Handlungsweise nennt. – Generell sind Begründungen in Schlussgedanken
eher selten, darum fällt eine Häufung davon in (2) auf:
(2) Titel: Der Zeichenprozess: Begriff, Bezeichnung, Bedeutung – Schluss: Der Begriff ist mental, indem er die gedankliche Ordnung und Vernetzung von Erfahrung
und Wissen herbeiführt. Die Bezeichnung ist sensuell, weil sie eine mit den Sinnen
wahrzunehmende Gestalt des Zeichens verfügbar macht. Die Bedeutung ist intelligibel, denn sie vermittelt das, was man bei der Benutzung eines Zeichens als Expedient meint bzw. als Rezipient versteht. Damit sind die im Titel gemeinten Zusammenhänge erläutert. (Rolf Müller, FS Weber: 126)
Die Rückbeziehung vom Schluss auf den Titel ist nicht immer so deutlich wie in
Beispiel (2), in dem der Autor die Dreiteilung seines Titels noch einmal expliziert und dafür drei verschiedene kausale Einleitungen wählt. Die eigentlich
temporale Konjunktion indem kann auch modal sein und eignet sich dann als
unauffällige Konkurrenz zu einem kausalen Gedanken. Die Konjunktion denn
dagegen hat ihre temporale Herkunft ganz abgelegt und ist im modernen Hochdeutsch nur kausal. Ursprünglich temporal ist auch die kausale Konjunktion da,
die von manchen Schriftstellern gegenüber weil bevorzugt wird. In der Wissenschaftssprache begegnet sie öfter wie in (3):
(3) Titel: Die Interfaceproblematik in der Bedeutungsbeschreibung – Schluss: Diese
Typologie ist weder scharf, d.h. es finden sich eine Vielzahl von Übergängen zwischen den Typen, noch ist sie erschöpfend, da es möglicherweise semantische Be-
Wörter und Sätze in semantischer Analyse
129
schreibungen gibt, welche von keinem der postulierten Typen erfasst werden können. [...] (Volkmar Engerer, 41. Ling. Koll.: 809)
Ein Unterschied in Semantik und Gebrauchsbedingungen zwischen den einzelnen kausalen Konjunktionen ist zwar in der Linguistik gelegentlich gesucht
worden, überzeugende Ergebnisse gab es aber nicht. Weder bezeichnet weil eher
die tatsächliche Ursache und da eher den logischen Grund, noch ist die Stellung
der von ihnen eingeleiteten Sätze in der Weise festgelegt, dass der bekannte
Grund mit der Einleitung da am Anfang steht und der neue, wichtigere Grund
als Ursache den zweiten Platz einnimmt und mit weil beginnt. Obendrein ist in
dieser Opposition die kausale Konjunktion denn nicht berücksichtigt, was vermutlich daran liegt, dass es sich hierbei um eine Hauptsatz-Konjunktion handelt.
2.2
Konditionale Bedingungen
Innerhalb der Satzverknüpfungen des Funktionstyps Kausalität nehmen die konditionalen Verknüpfungen insofern eine Sonderstellung ein, als sie sich nicht
direkt auf die Realität beziehen. Sie nennen einen lediglich möglichen Grund für
die Hauptaussage:
(4) Titel: Aspekte der Mehrsprachigkeit – Schluss: Eine Gesellschaft, die ihre Säuglinge bereits in den ersten Lebensmonaten zum Frühschwimmen schickt, handelt
unverantwortlich, wenn sie in der gegenwärtigen europäischen Aufbruchsphase
Kinder erst im achten oder neunten Lebensjahr in eine zweite Sprache eintauchen
lässt. (Christine Bickes und Hans Bickes, FS Dorfmüller: 111)
Der Unterschied zwischen konditionalen und rein kausalen Gefügen besteht
darin, dass eine Voraussetzung als Grund nur gedanklich möglich ist, nicht aber
eine Wirklichkeit beschreibt. Gerade deshalb ist aber die konditionale Satzverknüpfung für rein gedankliche Überlegungen mit ihren wenn-dann-Beziehungen
in der Logik ein beliebtes Muster. In den sprachlich genutzten und nicht als logistische Konstruktion vorliegenden wenn-Sätzen ist deren Spitzenstellung nicht
zwingend. Sie können wie in (4) auch die zweite Stelle einnehmen, ohne ihre
einschränkende Kraft zu verlieren. Und es ist damit auch nicht behauptet, dass
Eltern ihre Kinder immer erst relativ spät eine Fremdsprache lernen lassen.
(5) Titel: Der „Heimatdichter“ August Hinrichs und die Heimat Oldenburg –
Schluss: Wenn vom Heimatdichter und der Heimatliebe gesprochen wird, dann ist es
eben durchaus nicht gleichgültig, wie es um die Realität in der Heimat steht. Diesen
Zusammenhang hat Gerhard Anton von Halem in seiner „Geschichte des Herzogtums Oldenburg“ klar formuliert. Wenn der Oldenburger sein Vaterland liebt, dann
„kann ihm die genauere Kenntnis der Vorgänge, welche die Verbindung, worin er
130
Elisabeth Rudolph
sich befindet, bildeten, nicht gleichgültig sein.“ [...] (Joachim Kuropka, FS Kürschner: 242/243)
Schlussgedanken dieser Art sind eine Zusammenfassung des Vorangehenden
und bleiben im Rahmen von Überlegungen, die sich besonders deutlich in konditionaler Fassung zeigen. Und das ändert sich auch nicht dadurch, dass zwei
wenn-dann-Bedingungen fast unmittelbar aufeinander folgen. Eine solche Wiederholung gibt der Aussage ein stärkeres Gewicht.
2.3
Finale und konsekutive Beziehungen: um ... zu-Inf. / so ... dass
Zu den Satzverknüpfungen des kausalen Funktionstyps gehören die etwas selteneren finalen und konsekutiven Beziehungen, die aber trotzdem auch gelegentlich in Schlussgedanken begegnen.
(6) Titel: Ist Deutsch heute einfacher als früher? – Von einfachen, komplexen und
komprimierten Sätzen – Schluss: Es ist darum eine der Aufgaben der Germanistik
und des Deutschunterrichts, wenigstens die passive Beherrschung des hypotaktischen Satzbaus zu vermitteln, um den Zugang zur literarischen Überlieferung auch
in Zukunft zu sichern. (Heinrich Weber, FS Kürschner: 376)
Eine Zielvorstellung wie in (6) bereichert einen Schluss, wenn sich die Begründung für eine Forderung darauf bezieht, innerhalb der schulischen Ausbildung
die Fähigkeiten der Kinder zur Wahrnehmung der Kultur zu fördern.
(7) Titel: Radio-Baby – oder von kindlicher Erzählfähigkeit – Schluss: Eine narrative Didaktik gälte es also zu entwickeln, die in einer systematischen Weise die
Möglichkeiten, die bei den Kindern vorhanden sind, so fördert, dass dann auch der
Übergang zum genußvollen lachenden, aber auch manchmal zum empathisch weinenden Umgang mit den Meistererzählungen vorbereitet wird, vor allem aber so,
dass die Kinder ihre Erzählfähigkeit nicht über den schulischen Verfahren ihrer angeblichen Förderung verlieren. (Konrad Ehlich, FS Dorfmüller: 132)
Die doppelte Verwendung des gerade selteneren konsekutiven Typs gibt dem
Schluss in (7) eine besondere Betonung. Die Aussage wird durch einen adversativ-additiven Mittelteil zusammengehalten, dessen aber sogar noch ein zweites
Mal direkt vor der Zuspitzung am Ende auftaucht und dadurch die Lektüre des
stark gegliederten Satzgefüges erleichtert.
2.4
Adversative Kontrast-Angaben: aber / jedoch / nicht ... sondern
Eigentlich sind in Schlussgedanken nicht gerade Kontrast-Ausdrücke zu erwarten. Allerdings gehört aber neben und zu den häufigsten Konjunktionen über-
Wörter und Sätze in semantischer Analyse
131
haupt. Nun wird der Inhalt eines Artikels nicht in Frage gestellt, wenn die
Schlussbemerkungen adversative Konjunktionen enthalten, im Gegenteil: es
können wie in (8) mögliche Einwände sogleich entkräftet werden.
(8) Titel: Bilingualismus und Zweitspracherwerb – Schluss: Der Sprachunterricht ist
also ganz sicher weniger „painful“ geworden, aber die Vermittlung der Grammatik
von Dubois (1974) zeigt neue Wege auf und räumt endlich der mündlichen Sprache
neben der schriftlichen, d. h. der Standardsprache, breiten Raum ein. Aber grundsätzlich lässt sich resümierend feststellen: „Die Revolution ist vollzogen!“ (Luzian
Okon, FS Sroka: 534)
Die Problematik des Gegensatzes schriftlich versus mündlich ist so alt, dass der
letzte Satz in (8) als Ausruf wie eine Summe aus langjährigen Bemühungen wirken kann. Und das wird unterstützt durch ein zweimaliges aber-Vorkommen,
ganz ähnlich wie bereits in Beispiel (7). Neben dieser adversativen Hauptkonjunktion spielen die anderen nur eine geringe Rolle.
(9) Titel: Die Metaphern: vergleichbar oder unvergleichlich? – Schluss: Solche Beispiele lassen zum einen die Dogmatik der vulgarisierend-funktionalistischen Skopustheorie und zum anderen aber auch das Desideratum erkennen, umfassende korpusbasierte historische Untersuchungen des kulturüberschreitenden geistigen Transfers durch Translation auf die Forschungsagenda zu setzen, um u. a. auch die Translationstheorien daran messen und verifizieren zu können. Zum anderen könnten dabei auch das übersetzerische Handeln und seine Konsequenzen ein hochinteressantes
Untersuchungsfeld sein. Das wäre jedoch ein Thema für sich und für einen neuen
Beitrag. (Lew Zybatow, 41. Ling. Koll: 398)
Beispiel (9) macht deutlich, wie unauffällig und dennoch unentbehrlich Konjunktionen und Partikeln sind, vor allem in längeren, stark gegliederten Satzgefügen. – Neben aber und jedoch steht die Konjunktion sondern, die stets auf
eine Negation folgt, meist als nicht formuliert, wie (10) zeigt:
(10) Titel: Germanograeca prosodiaca – Schluss: Untersuchungen zum Sprachkontakt machen also nicht Halt bei Phonetik, Morphologie und Syntax, sondern haben
auch Fragen der Prosodie ins wissenschaftliche Visier zu nehmen. (Hans Eideneier,
FS Dorfmüller: 138)
2.5
Additive Kontrast-Variante: nicht nur ... sondern auch
Sprache ist lebendig, Sprache entwickelt sich, Sprache ist abhängig von den
sprechenden Personen, die sich den gerade herrschenden Modeströmungen anschließen. Moden ihrerseits unterliegen dem Zwang, sich immer wieder zu erneuern. Nüchtern betrachtet gibt es schwerfälligere Formulierungen, von denen
132
Elisabeth Rudolph
man annehmen möchte, dass ihre Beliebtheit vorübergehend ist. Dazu gehört die
Kontrast-Variante nicht nur ... sondern auch.
(11) Titel: Fragen an das frühe Lernen des Deutschen als zweite Fremdsprache in
Griechenland – Schluss: In diesem Sinn ist es empfehlenswert, den Fremdsprachenunterricht so weit als möglich fächerübergreifend durchzuführen, da so nicht nur die
notwendige Verknüpfung mit den anderen Grundschulfächern erreicht wird, sondern
auch das Fremdsprachenlernen als solches interessanter, autonomer und erfolgversprechender wird. [...] (Charis-Olga Papadopoulou, 41. Ling. Koll.: 635)
Wie das Beispiel (11) zeigt, kommt diese Variante auch Auslandsgermanisten
entgegen, wenn sie am Ende eines Aufsatzes ihr Anliegen gern deutlich zum
Ausdruck bringen. Dann wirkt diese Formel gleichzeitig als Gliederung und
Betonung der Details. Das Erstaunliche daran ist einerseits ihre weite Verbreitung in Zeit und Raum: schon im Lateinunterricht wird non solum ... sed etiam
vermittelt, und man findet die Entsprechungen generell in den europäischen
Sprachen. Andererseits ist das hohe Alter offenbar nicht so ehrwürdig, dass die
Formel unverändert bleibt. Es gibt Varianten, selbst in relativ einseitiger Ausdrucksweise wie in einer Fachsprache.
(12) Titel: Dem Gedächtnis eine Sprache geben – Über die Deutung von Vergangenheit in Gedenkreden- Schluss: Die Legitimierung des demokratischen Staates erfolgt
demnach nicht mehr nur unter Bezug auf die Vergangenheit, sondern auch durch einen Gegenwartsbezug. (Katrin Bethge, FS Kürschner: 127)
Die doppelte Beziehung zu Vergangenheit und Gegenwart wird in diesem eher
einfach formulierten Schluss durch das gering erweiterte sprachliche Paar nicht
nur … sondern auch hervorgehoben. Die Formel bleibt additiv, die Negation ist
wirkungslos. Dies hängt mit der inneren Struktur zusammen, in der sich die Negation ausschließlich auf das Adverb nur bezieht, das seinerseits mit auch am
Ende korrespondiert. Als adäquate Beschreibung gilt jetzt Erhaltung und Ergänzung und nicht mehr die für das Kontrast-Paar nicht … sondern geltende Beschreibung Aufhebung und Ersatz.
2.6
Konzessiver Kontrast : obwohl / wenngleich / wenn auch
Eine Besonderheit zeichnet den Kontrast aus. Er bezieht sich stets auf die Wirklichkeit und ist nicht wie konditionale und finale Beziehungen ganz oder teilweise nur in Gedanken gültig. Das trifft nicht allein auf den adversativen Fall
des Verknüpfungstyps Kontrast zu, der mit aber in unserer Sprache besonders
häufig ist. Ungeschmälert gilt die Wirklichkeit auch in der etwas selteneren Variante: Hier hat die im Konzessivsatz genannte Tatsache nicht die präsupponierte
Wörter und Sätze in semantischer Analyse
133
Wirkung oder Folge, sondern der folgende Hauptsatz enthält im Gegenteil ein
ganz anderes, unerwartetes Faktum, wie (13) zeigt:
(13) Titel: Überlegungen zum Wesen der Sprache – Schluss: Wenngleich einige der
erzielten Ergebnisse besser sind, als wir es zu Beginn unserer Arbeit vor fast zwei
Jahrzehnten zu hoffen gewagt hätten, und obwohl sie für eine Anzahl speziellerer
Problemstellungen an die Fähigkeiten von Muttersprachlern heranreichen, gestehen
wir natürlich gerne zu, dass dies allenfalls ein Hinweis, keineswegs jedoch ein endgültiger Beweis für die kognitive Plausibilität der hier vorgestellten statistischen
Sichtweise ist. (Reinhard Rapp, FS Weber: 481)
Wieder wie in etlichen Beispielen zuvor geht es um ein stark gegliedertes Satzgefüge. Den zwei konzessiven Konjunktionen ist die Zugehörigkeit zur selben
sprachlichen Kategorie nicht gleich anzusehen. Bemerkenswert ist allerdings,
dass im letzten Teilsatz des Gefüges durch das kontrastive Konnektiv jedoch
eine Einschränkung des Gesagten vorliegt.
(14) Titel: Aspekte des linguistischen Kontakts in Siebenbürgen – Schluss: Die deutsche Sprache stellt eine Tradition dar – wie das Weiterleben der regionalen Nonstandardvarietäten der siebenbürgisch-deutschen Mundarten beweist, wenn auch die
Zahl der Sprecher stark zurückgegangen ist. Jedoch wird die regionale Varietät als
Zustand der „gehobenen Fremdsprachlichkeit“ immer mehr eine Bedingung der europäischen Bildungsgemeinschaft, der europäischen Integration und des europäischen Dialogs. (Ioana-Narcisa Creţu, FS Kürschner: 288)
Fast kann der Eindruck entstehen, dass konzessive Formulierungen mit einem
adversativen jedoch gekoppelt erscheinen, das möglichen weiteren gedanklichen
Folgerungen einen Riegel vorschiebt. Die der Wirklichkeit geschuldete Einschränkung des am Anfang genannten Beweises soll eben gerade nicht den Gedanken aufkommen lassen, es handele sich um eine vergangene Neben-
sächlichkeit.
3
Schlussgedanken in der Pressesprache
In der Pressesprache erhalten die letzten Sätze eines Artikels oft größeres Gewicht. Dabei sind die Beziehungen zum Anfang weniger durch den Titel hergestellt als im Hinblick auf den Inhalt, der bei den relativ kürzeren Beiträgen leicht
zu überblicken ist. Selbstverständlich gibt es in der Presse keine einheitliche
Sprache, wie ja auch die einzelnen Zeitungen bestrebt sind, ihre Besonderheit zu
bewahren. Dazu kommt die große Zahl von Journalisten in jeder Zeitungsredaktion, die ihre wieder erkennbaren Eigenheiten pflegen. – Wenn es jetzt um
Schlussgedanken in Artikeln der Zeitung Die Zeit geht, ist damit zu rechnen,
134
Elisabeth Rudolph
dass wiederum ähnliche Kategorien des sprachlichen Ausdrucks vorkommen
wie in der Wissenschaft. Allerdings gibt es in der Presse zwei Besonderheiten,
für die in der Wissenschaft keine Parallele existiert. Das sind zum einen typographische Möglichkeiten und zum anderen das Layout. Ein großes farbiges
Bild oder ein fett gedruckter kurzer Titel ziehen den Blick auf sich, Zwischenüberschriften erleichtern die Lektüre. Da in der Presse die Inhalte außer im
Feuilleton vom nationalen und internationalen Tagesgeschehen bestimmt sind,
empfiehlt sich eine andere Gliederung, die sich aber weniger an den Eigentümlichkeiten der Presse zu orientieren hat als am Vorkommen von Gliederungsmerkmalen der Sprache.
3.1
Politische Forderungen
Wie zu erwarten, erhalten Forderungen im politischen Rahmen eine besondere
Betonung, sind aber an der Gegenwart orientiert und Monate später nicht immer
leicht ins Gedächtnis zurückzurufen.
(15) Titel: Reform muss rocken – Schluss: Deshalb muss sie [die Kirche] Kritik zulassen, wenn sie weiter bestehen will. Und was Kirche nicht verhindern kann, das
segnet sie am Ende ab. (Evelyn Finger, Zeit 7/2011: 12)
Die Rückbeziehung auf den Anfang des Artikels wird in den letzten Sätzen angedeutet und durch die Forderung im Titel bestätigt. Die Weiterführung des im
Begründungssatz mit deshalb stehenden Gedankens mit der im konditionalen
wenn-Satz benannten Voraussetzung für eine Erfüllung des kirchenpolitischen
Verlangens schlägt sich nieder in den eigentlich kurzen Sätzen. Diese haben gegenüber den verzweigten Schachtelungen der Wissenschaftssprache den Vorteil,
dass sie viel leichter zu lesen sind und dadurch ihren Inhalt eher im Gedächtnis
des Publikums ansiedeln können.
Dabei lassen die Titel einen Unterschied zwischen der eingängigen Pressesprache und der eher strengen Wissenschaftssprache erkennen. In der Presse
sind Überschriften eine Einladung zum Lesen des Folgenden, und der Bezug
zum Inhalt ist meist ziemlich locker.
(16) Titel: Das sind wir uns schuldig – Schluss: Aber ein paar deutliche Zeichen des
Zuspruchs an die Adresse der Männer und Frauen, die nicht nur das System Mubarak, sondern auch eben jene Strömungen bekämpfen, wären angemessen. Nicht weil
sie das Regime beeindrucken würden oder weil die ägyptischen Demonstranten Europas Weihwasser brauchten. Nein, ganz einfach als Ausdruck des Respekts und der
Empathie für Gleichgesinnte. Und weil das Mittelmeer unser gemeinsamer Lebensraum ist. (Andrea Böhm, Zeit 7/2011: 5)
Wörter und Sätze in semantischer Analyse
135
Die Kombination von Kontrast, Addition und Begründungen heben in (16) diese
Schlussgedanken heraus, mit einem extra Ton auf dem letzten Satz. – Nun ist
die Presse besonders geeignet, Ängste oder Hoffnungen im Blick auf die Zukunft zur Sprache zu bringen. Gerade ein Wochenblatt gestattet dies, denn was
an derselben Stelle vor mehreren Wochen stand, ist vergangen.
(17) Titel: Ägypten helfen – Schluss: Die gescheiterten Revolutionen in Mittelost
wecken hundert Zweifel. Aber Gutes zu tun ist besser, als Gutes zu fordern. Es darf
in Kairo bloß kein Krieg ausbrechen. Denn Anarchie ist der beste Freund der Diktatur. (Josef Joffe, Zeit 7/2011: 1)
Für Äußerungen zu den nordafrikanischen Protestbewegungen eignen sich ganz
kurze Sätze wie in (17). Sie sind gegliedert in zwei Satzgefüge. Auf die erste
Aussage folgt der aber-Kontrastsatz mit einer allgemeinen Beurteilung. Die einschränkende zweite Aussage wird durch den denn-Satz mit seinem Hinweis auf
eine bekannte Tatsache unterstrichen. Ähnliches zeigt (18):
(18) Titel: Frei unterm Kopftuch – Schluss: Und nebenbei hat die Stellungnahme der
Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime auch noch etwas anderes gezeigt:
Selbst wenn das in den Augen von Feministinnen wie Alice Schwarzer ein Widerspruch zu sein scheint – es gibt sie, die weibliche Selbstbestimmung unterm Kopftuch. (Annabel Wahba, Zeit 7/2011: 12)
Die übliche Reihenfolge in Kontrastgefügen ist die Zweitstellung des Adversativsatzes nach einem Hauptsatz. Eine Voranstellung wie in (18) mit selbst wenn
bedeutet eine starke Betonung der restriktiven Aussage.
Abgesehen von solchen politischen Aussagen fällt in den Schlussworten die
Häufung von Konjunktionen auf. Selbst in den kurzen Sätzen von (15) steht
konditionales wenn neben additivem und, das den letzten Satz mit dem Vorangehenden verbindet und obendrein seine politische Brisanz steigert. Politiker
wiederholen ständig die große Bedeutung des Mittelmeerraumes für ganz Europa, und das gilt nicht allein für die südeuropäischen Anrainer. In (16) findet
sich das im auffallenden nicht nur … sondern auch gleich nach dem kontrastiven aber und vor einem zweimaligen kausalen weil, das auf die Globalisierung
verweist, ohne sie zu nennen. Schließlich geht es auch in (17) und (18) um das
nahe Fremde, das Journalisten in unseren Alltag bringen, wenn sie ihre Forderungen mit den knappen aber und denn hervorheben oder mit selbst wenn einer
gegenteiligen Meinung begegnen.
136
3.2
Elisabeth Rudolph
Argumentatives Fazit
Das europäische Wenn und Aber hat seinen Platz auch in den Argumenten am
Ende von Zeit-Artikeln, die ihre Kritik bereits in der Überschrift zeigten:
(19) Titel: Ist Italien überhaupt eine Nation? – Schluss: Heute könnten sich die Sizilianer als Mailänder fühlen, wenn es etwas Großes gäbe, für das es sich lohnte, Italiener zu sein. Aber das ist leider nicht in Sicht. (Roberto Saviano, Zeit 11/2011: 12)
Die Journalisten wissen wohl, wie wenig ausgeprägt Geschichtskenntnisse bei
uns sind, besonders wenn sie eine Gegend außerhalb des eigenen Lebensraums
betreffen. Europäische Soldaten sind seit Jahren im außereuropäischen Ausland
stationiert, aber höchstens Touristen haben eine Ahnung vom Leben in der
Ferne. Darum besticht Saviano mit seiner Ansicht als Italiener über Italien: der
kurze aber-Satz am Ende macht nachdenklich.
(20) Titel: Nur das eine Leben – Schluss: Beamte nehmen ihnen [= den Tunesiern]
noch auf der Insel die Feuerzeuge weg, nach der Landung auch die Mobiltelefone,
damit sie nicht mehr kommunizieren können. // Doch Maher organisiert sich ein
neues Handy und meldet sich per SMS bei seinen Freunden: „Ich bin in Bari. Dies
ist meine neue Nummer. Ich werde es schon schaffen.“ (Christian Denso, Zeit
11/2011: 7)
Bedenklich finden viele die Haltung gegenüber den Flüchtlingen aus Nordafrika
wie in (20). Die Zielvorstellung der sehr distanzierten Beamten ist durch die relativ seltene Konjunktion damit hervorgehoben. Dem steht nach einem Absatz
die sofortige Reaktion eines Betroffenen mit doch deutlich entgegen. Durch den
Absatz am Schluss erhält die Aussage ihr Gewicht.
3.3
Nachdenkliches in Schluss-Argumentationen
In der Presse geht es um die Vermittlung von Informationen zu Ereignissen der
Gegenwart, die oft noch nicht abgeschlossen sind. Im ausgehenden Winter dieses Jahres stand eine Problematik zur Debatte, die nicht alle Leser gleichermaßen interessierte, wie (21) zeigt.
(21) Titel: Das Glitzern vor dem Sturz. – Schluss: Dieses Spiel der launenhaften Zustimmung oder Ablehnung wird hoffentlich nicht zum Muster einer neuen Politik
werden. Es hat aber den Politiker Guttenberg, auch wenn er anfangs davon zu profitieren schien, um die Chance gebracht, einen Beweis ernsthafter Tüchtigkeit im Amt
zu geben. Manches spricht dafür, dass ihm nicht die Promotionsaffäre, sondern die
Inszenierung zuvor zum Verhängnis geworden ist. (Jens Jessen, Zeit 11/2011: 14)
Wörter und Sätze in semantischer Analyse
137
Die Bemerkungen in (21) befassen sich mit einem Fall, der den deutschen Blätterwald hat rauschen lassen. Die kritischen Überlegungen zum Thema Politik
enthalten Adversatives und Konzessives und schließlich noch eine kontrastive
Vermutung zu diesem Fall, aus höflicher Distanz geschrieben. Es ist daran zu
erkennen, dass Argumentation aus dem Abwägen verschiedener Ansichten zu
einem Ereignis bestehen kann. Und das muss nicht wie in klassischem Gewand
aus These, Antithese und Schlussfolgerung bestehen. Es kann auch offen bleiben, ob es überhaupt einen Schluss gibt.
4
Zusammenfassendes
Die Gemeinsamkeit der Fachsprachen ist ihre Zielrichtung hin auf eine Leserschaft, die in dem betreffenden Fach arbeitet und das Besondere zum Teil im
Umgang miteinander entwickelt hat. Die beiden Fachsprachen haben je ihr eigenes Profil, die unterschiedliche Wortwahl ist thematisch bedingt. In der Wissenschaft wird oft der Maximalumfang festgelegt, in der Presse spielt das Layout
eine Rolle, aber die Artikel sind generell kürzer.
In der Wissenschaftssprache sind zuerst die sprachlichen Formulierungen
aufgezeigt. Die Schlussgedanken erscheinen oft als kausale Begründungen, konditionale Bedingungen, finale und konsekutive Beziehungen und werden ergänzt
durch adversative Kontrastangaben, die additive Kontrast-Variante und den
konzessiven Kontrast. Diese sieben Kategorien sind alle an Merkmalen erkennbar, die als Konjunktionen und Partikeln vorkommen.
In der Pressesprache waren diese sprachlichen Kategorien ebenfalls vorzufinden. Dazu gab es Unterschiede, die ich als politische Forderungen, das argumentative Fazit und Schluss-Argumentationen präsentiert habe.
Literatur
Hier finden sich die Quellenangaben für die Zitate, am Ende jeweils in Klammern das verwendete Kürzel. – Außer meinen Artikeln in den vier Festschriften
enthalten die zwei genannten Bücher weitere Literaturangaben.
Butulussi, Eleni, Evangelia Kartagiannidou und Katerina Zachu (Hrsg.) (2005): Sprache und
Multikulturalität, Festschrift für Käthi Dorfmüller-Karpusa, Thessaloniki, University
Studio Press (FS Dorfmüller).
Henn-Memmesheimer, Beate und Joachim Franz (Hrsg.) (2009): Die Ordnung des Standard
und die Differenzierung der Diskurse, Akten des 41. Linguistischen Kolloquiums in
Mannheim 2006, Frankfurt am Main et al., Peter Lang (41. Ling. Koll.).
138
Elisabeth Rudolph
Kürschner, Wilfried und Reinhard Rapp (Hrsg.) (2006): Linguistik International, Festschrift
für Heinrich Weber, Lengerich, Pabst (FS Weber).
Stanulewicz, Danuta, Roman Kalisz, Wilfried Kürschner und Cäcilia Klaus (Hrsg.) (2005):
De Lingua et Litteris, Studia in Honorem Casimiri Andreae Sroka, Gdańsk, Wydawnictwo Uniwersitetu Gdańskiego (FS Sroka).
ten Cate, Abraham, Reinhard Rapp, Jürg Strässler, Maurice Vliegen und Heinrich Weber
(Hrsg.) (2010): Grammatik – Praxis– Geschichte, Festschrift für Wilfried Kürschner, Tübingen, Narr (FS Kürschner).
DIE ZEIT, Hamburg, Beispiele aus den Ausgaben Nr. 7, 8, 11 des Jahres 2011.
Rudolph, Elisabeth (1973). Das finale Satzgefüge als Informationskomplex – Analysen aus
der spanischen Literatursprache, Tübingen, Niemeyer.
Rudolph, Elisabeth (1996). Contrast. Adversative and Concessive Relations and their Expressions in English, German, Spanish, Portuguese on Sentence and Text Level, Berlin, New
York, de Gruyter.
Die Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele. Soul“
Valentina Stepanenko
Der Geschlechtsunterschied betrifft nicht die Seele
(Thomas von Aquin, in: Supplementum 39, 1)
1
Einleitung: Kategorie anderer Ordnung
In der russischen und in der deutschen Sprache sind die Wörter душа und die
Seele weiblichen Geschlechts. In der modernen englischen Sprache hat soul gar
kein grammatikalisches Geschlecht: das erklärt sich aus der Struktur der Sprache
selbst, in der diese Kategorie fehlt. Doch manchmal kommt in Bezug auf das
Wort soul die Kategorie des grammatischen Geschlechts, genauer gesagt, das
weibliche Geschlecht in Einzelfällen an die Oberfläche – dank der Verwendung
des Personalpronomens she und des Possessivpronomens her, die das Wort im
Text ersetzen. Zum Beispiel ein Ausschnitt aus dem Gedicht Nr. 303 von Emily
Dickinson (unsere Hervorhebung):
The Soul selects her own Society – / Then – shuts the Door – To her divine Majority
– / Present no more – / Unmoved – she notes the Chariots – pausing – / At her low
Gate – Unmoved – an Emperor be kneeling / Upon her Mat – […].
Das passiert in dem Fall, wenn die Dichterin ihre weibliche Seele als alter ego
wahrnimmt. In jenen Fällen, in denen sie die Seele als etwas in Bezug auf sie
Neutrales beschreibt, wird das Personalpronomen it, das Possessivpronomen its
und das sog. emphatische itself verwendet, vgl.:
The Soul unto itself / Is an imperial friend – Or the most agonizing Spy – / An Enemy – could send – Secure against its own – / No treason it can fear – Itself – its
Sovereign – of itself / The Soul should stand in Awe – (No. 683).
Wie kann die Verwendung des weiblichen Geschlechts in diesem Beispiel erklärt werden? Dadurch, dass die Dichterin selbst eine Frau ist und sie sich ihre
Seele als ihr Ähnliche vorstellt? Oder als Manifestation des Unbewussten, in
dem der Mensch die Erfahrung seiner Vorfahren bewahrt: war doch das altenglische Wort sāwol weiblichen Geschlechts (Lehnert 1956). Eine Bestätigung dafür
finden wir auch in den unterschiedlichen christlichen Schriftdenkmälern, z. B.:
swā sē līchoma būton mete and drence lēofian ne mæg, swā þonne sēo sāwul, gif
hēo ne bið mid Godes worde fēded gāstlīce hungre and þurste hēo bið cwelmed
(Blickl. Homl., 57) – ebenso wie der Körper nicht ohne Nahrung und Wasser leben
140
Valentina Stepanenko
kann, so stirbt auch die Seele, wenn sie nicht mit dem Wort Gottes geistig genährt
wird, an Hunger und Durst.
Obwohl die Seele im Christentum als immaterielles Wesen gilt, gebraucht ein
anonymer, im 10. Jahrhundert lebender Autor bei der Beschreibung ihrer Eigenschaften ein heidnisches Bild der Seele, genauer, er stellt sie als Lebewesen
weiblichen Geschlechts dar. Das altenglische Pronomen sēo (her) ist ein anschaulicher Beweis dafür.
Anzumerken ist, dass das Wort Seele in vielen alten Sprachen weiblichen
Geschlechts war, und das nicht zufällig: die Menschen des Altertums glaubten,
dass jeder Mensch – unabhängig vom Geschlecht – bei der Geburt von der Göttin Mutter Erde über seine irdische Mutter eine Seele erhält. Deshalb haben die
Worte душа, Seele und soul in den untersuchten Sprachen ein vorbiologisches
weibliches Geschlecht, das in der modernen russischen und deutschen Sprache
explizit, im Englischen implizit ausgedrückt wird. Und da das Konzept seinen
Ausdruck in erster Linie im Wort findet, kann man beim Konzept „Душа. Seele.
Soul“ vom Vorhandensein der Kategorie Geschlecht sprechen, wenn es sich
auch um eine Kategorie anderer Ordnung handelt, als um die Kategorie des
grammatikalischen Geschlechts.
2
Soziobiologische Geschlechter des Konzepts „Душа. Seele.
Soul“
Für eine genauere Beschreibung der vorliegenden Konzeptkategorie wurden
„sprachliche Vertreter“ (in diesem Fall zusammengesetzte Wörter und Wortverbindungen) aus Sicht der Genderlinguistik analysiert. Im Ergebnis einer solchen
Analyse wurden fünf soziobiologische Geschlechter festgestellt, die die Wörter
душа, Seele und soul in unterschiedlichen Kontexten haben können. Das sind
das weibliche, das männliche, das neutrale, das gemischte und das nicht traditionelle Geschlecht.
Das weibliche Geschlecht: wenn eine Frau/ihre Umgebung ihre/deren Seele
als weibliches Wesen wahrnimmt, vgl.: женская душа, душа женщины,
душа-девица, душа-зазнобушка, девственная душа, непорочная душа,
целомудренная душа; die Seele einer Frau, eine weibliche Seele, jungfräuliche
Seele, eine bräutliche Seele; a woman’s soul, a girl’s soul. Viele der beispielhaft
angeführten Wortverbindungen werden als archaisch wahrgenommen und sind
nur in Märchen, Volksliedern, Werken von Mystikern oder der klassischen Literatur anzutreffen. Das erklärt sich dadurch, dass sich der Status der Frau in der
Gesellschaft verändert hat. Dies betrifft vor allem die westliche Gesellschaft, in
Die Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele. Soul“
141
der die Ideen des Feminismus stark sind, weshalb Gespräche über weibliche
Keuschheit als Nonsense wahrgenommen werden.
Das männliche Geschlecht: wenn ein Mann/seine Umgebung seine/dessen
Seele als männliches Wesen wahrnimmt, vgl.: мужская душа, душа
мужчины, рыцарская душа; die Seele eines Mannes/der Männer, Männerseele, männliche Seele, die Ritterseele; a man’s soul, the soul of man. Wie aus
den Beispielen ersichtlich, gibt es in den Bezeichnungen der männlichen Seele
keine derartige Vielfalt wie in den Bezeichnungen der weiblichen Seele.
Das neutrale Geschlecht (die Kinderseele): детская душа, душа ребёнка;
Kinderseele, kindliche Seele; a child’s soul. Unabhängig vom Geschlecht nannte
und nennt man die jüngsten Familienmitglieder in allen slawischen Sprachen
дитя, дитё, дитятко, робя, робятко, чадо. Obwohl man schon im Moment
der Geburt des Kindes mit Sicherheit wusste, wer zur Welt gekommen war – ein
Mädchen oder ein Junge –, waren fast alle Wörter, die das Kind benannten,
neutralen Geschlechts (Семёнова 1998: 269–271). Ein neutrales Geschlecht hat
sowohl das deutsche Wort das Kind als auch das altenglische cild. Und das, wie
uns scheint, nicht zufällig. Unseren Überlegungen zugrunde liegt die Dichotomie „aktiv – inaktiv“, zu deren erstem Teil das weibliche und das männliche Geschlecht gehört, zum zweiten das neutrale Geschlecht. Im Vergleich zum Erwachsenen sind das Kind und seine Seele passiv, da sie weder physiologisch
noch sozial so weit herangereift sind,1 um sich als Person eines bestimmten Geschlechts zu bewähren, die in der Gesellschaft ihre entsprechende Rolle erfüllt –
und auf diese Weise aktiv zu werden. Man kann sagen, dass das Kind in seinem
Potential – physiologisch und geistig – die Eigenschaften beider Geschlechter in
sich trägt und als etwas Neutrales zwischen dem einen und dem anderen erscheint. Im bildhaften Ausdruck von Tat’jana Tolstaja, „er ist noch klein, und
seine Seele ist verschlossen wie ein Hühnerei“ (Толстая 2002). Aktualisieren
kann sich dieses Potential aber im Weiteren unterschiedlich, nämlich: das Kind
wird zur Frau mit einer weiblichen Seele oder zum Mann mit einer männlichen
Seele (und in der Folge ist das Geschlecht der Seele weiblich oder männlich)
oder: das „Geschlecht“ des Körpers kann im Reifungsprozess dem „Geschlecht“
der Seele auch nicht entsprechen (in der Folge ist das ein gemischtes/kombiniertes oder nicht traditionelles Geschlecht).
1
Marija Semënova bemerkt, dass im alten Russland ein erwachsener Mann, der mit den
Eltern lebte und aus irgendeinem Grund keine eigene Familie hatte, sich also nach damaligem Verständnis nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft verwirklicht hatte,
als „детина“ (großes Kind) bezeichnet wurde (Семёнова 1998: 269).
142
Valentina Stepanenko
Im folgenden Beispiel kann man der Beschreibung des Reifungsprozesses
der Seele und ihrem „Übergang“ von einem Geschlecht zum anderen nachspüren:
... bis zu dieser nacht war die seele des gesunden, kräftigen mädchens in geschlechtlicher hinsicht noch ein kind gewesen [...] furcht, mitleid, angst und selbstanklage
hatten dieses denken an ihn zu inniger teilnahme gesteigert und ihre seele vertieft,
die aber noch immer geschlechtslos blieb, bis die eifersucht endlich das weib in ihr
weckte (Ludwig 2, 241, zit. nach: J.&W. Grimm 1899: 2869)
Wie aus dem Beispiel sichtbar wird, hängt die Reifung der Kinderseele nicht
von der physiologischen Reife ihres Körpers ab, sondern von jener emotionalen
Erfahrung, die die Seele sammelt, um im Weiteren ihrer Hülle, also dem Körper,
zu entsprechen oder nicht zu entsprechen.
Die „Freiheit“ vom Fleischlichen war Voraussetzung dafür, dass das Kind
und seine Seele im Christentum zum Symbol von Reinheit und Unschuld wurden, zu jenem Ideal, das jede Seele anstreben sollte. Zum neutralen Geschlecht
muss man auch Fälle der Verwendung der Wörter soul und Seele im Kontext
von Theologie und Philosophie zählen, wenn die Seele als offenkundig asexueller Ursprung verstanden wird, vgl.:
If the classic Catholic theologian anthropology elaborated by St. Thomas Aquinas
recognized the essential equality of men and women as human beings, it was, however, limited by its understanding of the order of creation and of the soul as asexual
(Behr-Sigel 2001: 105).
… und noch eines verbindet ihn (Seuse) mit der großen Gertrud: auch er schaut die
Menschenseele als Kind (Erhebe dich, meine Seele 1988: 23).
Das gemischte Geschlecht. Ich hebe vier Fälle hervor:
(1) wenn ein Mensch in seiner männlichen/weiblichen Seele Züge des jeweils
anderen Geschlechts oder Züge eines Kindes findet, z. B.:
Die Seele ist immer gleich einem Mann, wo sie Gott zugewandt ist. Wo die Seele
sich herniederkehrt, da heißt sie weiblich. Aber wo man Gott selbst erkennt und Gott
bei sich daheim sucht, da ist sie männlich. Alsdann also ist sie gleich einem Mann,
wenn sie eingestaltig, ohne Mittler, in Gott dringt (Meister Eckhart 1996: 66)
O minnende Seele [...] Du bist ein männlicher Mann in deinem Streite, du bist eine
wohlgezierte Jungfrau im Palaste vor deinem Herrn, du bist eine lustliche Braut in
deinem Minnebette (Mechthild von Magdeburg, zit. nach Betz 2001: 56)
Das Fünklein der Vernunft, das ist das Haupt der Seele, das heißt der ‚Mann’ der
Seele [...] (Meister Eckhart, zit. nach: Bock 1991: 412)
Die Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele. Soul“
143
Wie die Beispiele aus den Werken deutscher Mystiker zeigen, kann die Seele –
abhängig von bestimmten Umständen – entweder über männliche oder über
weibliche Eigenschaften verfügen. Männliche Züge werden der Seele in jenem
Fall zugeschrieben, in denen von Ratio die Rede ist. Wenn aber Emotio ins Spiel
kommt, so offenbart sich die Seele in der weiblichen Form.
(2) wenn ein Mensch seine Seele aus den einen oder anderen Gründen (emotionale Erregung, Trunkenheit usw.) als etwas dem physiologischen Wesen Entgegengesetztes wahrnimmt, z. B.:
Im Fieber seiner Gedanken erscheint ihm eine lichte weibliche Gestalt in grüngrauem Gewand, visionäres Abbild seiner Seele (Kindler Literaturlexikon)
wein, der glühende freier, / o wie schmeichelt er traut! feurig hebt er den schleier /
meiner seele, der braut (Geibel, zit. nach: J.&W. Grimm 1899: 2869)
(3) wenn ein Mensch mit Merkmalen des männlichen und des weiblichen Geschlechts (Zwitter) in sich zwei Seelen fühlt – eine männliche und eine weibliche, z. B.:
… ich bin ein schönes Zweigeschlecht: / zwei Seelen unter meiner Brust / zwei Geschlechter eine Lust (Zwitter. Rammstein Lyrics to Mutter)
(4) wenn seelische Traumata aus der Kindheit die Entwicklung und das Wachstum der Seele hemmen. Dabei zeigt sich die Seele des erwachsenen Menschen,
die mit in der Kindheit zurückgebliebenen Problemen nicht zurechtkommen
konnte, als zwei Hälften: eine davon ist die verkrüppelte kindliche Seele, die
zweite die verklemmte Seele des Erwachsenen. Im Buch der deutschen Psychotherapeuten Gina und Bodo Deletz (Deletz 1997: 70–88) wird beispielsweise die
Geschichte ihrer Patientin Nora beschrieben, die im Alter von fünf Jahren von
ihrem Großvater sexuell missbraucht wurde. Als man das entdeckte, wurde der
Großvater von seinen Familienmitgliedern freigesprochen, das Kind aber wurde
zur Ausgestoßenen. Als Erwachsene wandte sie sich um Hilfe an die Psychotherapeuten und konnte mit ihrem Problem fertig werden. Die Methode bestand
darin, dass die weibliche Hälfte der Seele mit ihrer großen Lebenserfahrung, mit
Hilfe von Liebe, Verständnis und Zärtlichkeit, der kindlichen Hälfte half, „erwachsen zu werden“, und sie verschmolzen in ein Ganzes – in eine weibliche
Seele: Es ist erwachsen geworden und dann mit mir verschmolzen (Deletz 1997:
81).
Das nicht traditionelle Geschlecht: wenn die Seele eines Menschen mit nicht
traditioneller Orientierung (Homosexuelle/r) von der Umgebung als etwas ihrer
Orientierung Ähnliches wahrgenommen wird. Beispielsweise zwingt in der Serie „На углу у Патриарших – 2“ (NTV, 15.11.2002) ein Milizionär einen jun-
144
Valentina Stepanenko
gen homosexuellen Mann, den angeblich von ihm verübten Mord an seinem
„Onkel“ (in Wirklichkeit seines Sexualpartners) zu gestehen, vgl.:
Милиционер: „Признайся, а то будет хуже. Я просто пока не хочу
травмировать твою нежную голубую душу“ – Milizionär: „Gestehe, sonst wird es
schlimmer. Ich will einfach deine zarte schwule Seele noch nicht verletzen.“
Wie die Analyse der oben angeführten Beispiele zeigt, ist die Festlegung der
Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele. Soul“ ohne Erfassung der Dichotomie „Seele – Körper“ unmöglich, da der Mensch eine Synthese von Materiellem und Geistigem ist. Das Ergebnis ist eine derartige Vielfalt der Geschlechter im vorliegenden Konzept. Diese Vielfalt erklärt sich dadurch, dass
hier nicht nur physiologische Sichtweisen auf die menschliche Seele eng miteinander verflochten sind, sondern auch psychologische und ethische.
3
Geschlecht der Seele nach dem Tod: heidnische
Vorstellungen
Eine natürliche Frage tritt auf: Welchen Geschlechts ist die Seele nach dem Tod,
wenn die für den lebendigen Menschen charakteristische Dichotomie „Seele –
Körper“ zerfällt? Eine Antwort auf diese Frage finden wir in literarischen Texten, die sich auf Heidentum und Christentum beziehen.
Dass die alten Germanen und die alten Slawen eine elementare, botanische,
zoomorphe und anthropomorphe Vorstellung von der Seele hatten und dass die
Spuren dieser Vorstellungen in der russischen, deutschen und englischen Sprache lebendig sind, habe ich ausführlich in meinem Artikel zu diesem Thema beschrieben (Stepanenko 2003). Ich habe bemerkt, dass die heidnischen Vorstellungen von Seele durchdrungen sind von der Idee der Reinkarnation, wenn es
zwischen Materiellem und Geistigem/Seelischem keine undurchdringliche
Grenze gibt, wenn alles zu allem werden kann. Welchen Geschlechts konnte
wohl diese Metamorphose-Seele sein? Wahrscheinlich war sie anfangs androgyn, also die Verkörperung des Gleichgewichts gegensätzlicher Prinzipien: des
Männlichen und des Weiblichen. Und wenn in der elementaren Vorstellung das
männliche und das weibliche Prinzip noch nicht getrennt sind, so passiert in der
botanischen und zoomorphen eine allmähliche Abgrenzung des Begriffs „Seele“
in animus und anima. Eine Bestätigung dafür finden wir in alten Liedern, Legenden und Märchen. So in einem Lied darüber, wie die Mutter ihre junge
Schwiegertochter nicht leiden konnte: den Sohn bewirtete sie mit gutem Wein,
die Schwiegertochter mit Gift. Doch da die Jungen alles zur Hälfte teilten, so
starben sie beide zur selben Stunde, nachdem sie voneinander Wein getrunken
Die Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele. Soul“
145
hatten. Die Mutter beerdigte den Sohn vor der Kirche, die Schwiegertochter aber
hinter der Kirche. Auf dem Grab des jungen Mannes wuchs ein grüner Bergahorn, auf dem Grab seiner Frau eine weiße Birke (Афанасьев 2002: 474–475).
A. N. Sobolev bemerkt, dass es in Märchen Hinweise darauf gibt, dass Tote die
Gestalt unterschiedlicher Tiere annehmen können. So bittet eine Frau den verstorbenen Mann, sich in einen Hasen zu verwandeln und sie besuchen zu kommen. In russischen Märchen verwandelt sich die Mutter nach dem Tod in eine
braune Kuh (Соболев 1999: 78).
Auch die alten Germanen glaubten an ein irdisches Leben der Seele nach
dem Tod in Form unterschiedlicher Vertreter der Flora und Fauna. Im Lied „Fair
Margaret and Sweet William“ trat die Seele im Moment ihres Todes in Form
einer Rose aus der Brust des Mädchens heraus, und bei ihrem Liebsten in Form
eines Dornbusches:
out of her breast there sprang a rose / and out of his a briar; they grew till they grew
onto the churchtop, and there they tyed in a true lovers knot (J.Grimm II: 690)
Laut dem Lexikon von Sweet (Sweet 1998) ist das Wort rose (rās) weiblichen
Geschlechts und briar (brær, brēr) männlich. Deutsche Märchen erzählen von
einer Hexe, aus deren geöffnetem Mund eine Katze oder eine rote Maus heraus
kroch – ihre Seele (Афанасьев 2002: 286).
Die Analyse des Sprachmaterials hat gezeigt, dass die geschlechtliche Teilung von Pflanzen und Tieren, die eine weibliche oder eine männliche Seele
symbolisieren, relativ ist, da nicht immer eine Übereinstimmung zwischen dem
biologischen Geschlecht des Menschen und dem grammatikalischen Geschlecht
des Wortes beobachtet werden kann, das die eine oder andere Pflanze, das eine
oder andere Tier bezeichnet. Die Gründe dafür sehe ich in Folgendem:
• die Geschlechtsbezeichnung des Tieres schließt zwei Denotate ein – Weibchen und Männchen;
• die Benennung von Tieren und Pflanzen trugen außer der Bezeichnung des
Denotats auch noch eine symbolische Last – zum Beispiel ein Symbol von
Männlichkeit oder Weiblichkeit – unabhängig davon, zu welchem Geschlecht das Wort selbst gehört;
• einzelne Pflanzen- und Tierarten konnten Träger bestimmter Charakterzüge
sein, die ihnen von Menschen zugeschrieben und nach dem Tod auch auf die
Seele übertragen wurden. Diese nahm die Gestalt irgendeiner Pflanze oder
eines Tieres an.
Die vollständige Trennung von animus und anima geschieht in der anthropomorphen Vorstellung der Seele, das heißt, wenn sich unser Vorfahre die Seele in
146
Valentina Stepanenko
Form eines Menschen oder als an einen Menschen erinnernd vorstellte, z. B. als
Schatten. In verschiedenen literarischen Denkmälern der alten Slawen nehmen
die Seelen der Verstorbenen die Gestalt von Nymphen und Waldschraten oder
von unterschiedlichen Geistern (z. B. der Banjageister) an. In der germanischen
Folklore sind das niedrige mythologische Figuren wie Zwerge, helle und dunkle
Elfen oder Gnome, gute und böse Feen, die personifizierten Seelen verstorbener
Menschen – von Männern, Frauen und Kindern.
4
Geschlecht der Seele nach dem Tod: christliche
Vorstellungen
Im Christentum hat die Vorstellung von der Seele die höchste Stufe der Dematerialisierung erreicht, obwohl sich auch ihre rein anthropomorphe Gestalt erhalten
hat. Im Christentum erkennt man die Seele
als Geist im Verhältnis zur rohen Substanz der sichtbaren Welt, […] im Verhältnis
zu Gott als Körper, der ,nicht Fleisch und Bein hat‘ (Lk. 24, 39), aber eine im Verhältnis zu uns dünne, unsichtbare Substanz hat, ähnlich der Luft oder anderen Gasen
(Брянчанинов 1997: 36)
Nach der Meinung einiger kirchlicher Schriftsteller bewahrt die Seele die Form
des von ihr getrennten Körpers. So bewahrte in den angelsächsischen Predigten
und Viten der Heiligen des 10. und 11. Jahrhunderts die Seele das körperliche
Äußere des Menschen, der gesamte Körper blieb bis ins Detail erhalten, zwar
etwas entpersönlicht, aber es war immer klar, ob die Seele einen Mann oder eine
Frau darstellte. Zudem konnte man sogar die frühere Standeszugehörigkeit erkennen: mühelos konnte man in der Seele ehemalige Verleumder, Dirnen und
Geistliche erkennen, vgl.:
þā geherde ic þ þā dēofle gelædden fīf manna sāwlen, ...sum þære wæs prēost, sum
læwedmann, sum wimman; (Омельницкий 1999: 100-101) – dann hörte ich, wie
Dämonen fünf Menschenseelen zerrten, […] unter ihnen waren ein Geistlicher, ein
Laie und eine Frau.
Ähnliche Bilder der Seele finden wir auch in der russischen mittelalterlichen
Literatur, genauer, in den bekannten apokryphen Schriften „Leidensweg der
Gottesmutter“. Die Apokryphen zeichnen schreckliche Bilder, die die Gottesmutter in der Hölle gesehen hat, wo die Seelen der Sünder gequält wurden:
… und es waren dort viele Männer und Frauen, und sie jammerten (Памятники
литературы Древней Руси, XII в.: 168–169)
Die Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele. Soul“
147
Die Seele bewahrte das körperliche Äußere des Menschen. Es war immer klar,
ob diese Seele im Leben einem Mann oder einer Frau gehört hatte:
Und die Heilige Mutter Gottes sah einen Mann, an den Beinen hängend, von Würmern zerfressen. […] Und die Gottesmutter sah eine Frau, an den Zähnen hängend,
aus ihrem Mund krochen verschiedene Schlangen und fraßen an ihr (ebd.: 170–171)
Im Unterschied zu den Seelen der Sünder wurden die Seelen der Gottesfürchtigen veredelt dargestellt. So wird in der „Vita von Andrej Jurodivyj“ beschrieben, wie die Seele des Protagonisten außerhalb des Körpers die Körperform bewahrte, sogar die Kleidung – nur in wunderbarer Art und Weise: die aus Blitzen
gewobene Hose, die Stiefel leuchten, auf dem Kopf ein Kranz. Doch sein Körper ist körperlos: er hatte weder Durst noch Hunger. Andrej wird hier als des
Paradieses würdiger Gerechter präsentiert (ebd.: 155–166).
Eine Darstellung der Seele in Form eines Kindes habe ich weder in den
heidnischen noch in den christlichen literarischen Texten gefunden. Eine solche
Darstellung kann man nur bei den Meistern des Mittelalters finden, die die letzten Augenblicke des irdischen Lebens der Gottesmutter abgebildet haben (vgl.
Die Seele Mariens, Ende 10. Jahrhundert, Elfenbeinschnitzerei, Darmstadt, Hessisches Heimatkundemuseum und Mariä Himmelfahrt, Anfang 13. Jahrhundert,
Ikone, Moskau, Tretjakov-Galerie). Christus hält einen in Windeln gewickelten
Säugling in seinen Armen, der die reine Seele Mariens symbolisiert. Die Windel
stellt eine besondere Grenze dar, die das Fleischliche abschneidet und der Seele
nur das Geistliche lässt. Dieses Bild ist bis heute in der russischen Kultur lebendig, insbesondere in der Literatur. Als Beispiel führe ich einen Ausschnitt aus
der Erzählung von Tat’jana Tolstaja „Die Mammutjagd“ an. Die Protagonistin
ihrer Erzählung, Zoja,
macht Dienst in einem Krankenhaus, dort sind Rosen und Tränen, Schokoladenkonfekt und ein ungestüm über die endlosen Gänge weggeschaffter blauer Leichnam,
hinter dem ein kleiner verdrießlicher Engel hinterherhetzt – die vor Kummer vergehende, befreite, wie eine Puppe in Windeln gewickelte Seele fest an seine Vogelbrust
gedrückt (Толстая 2002: 186)
Die Abbildung der Seele ohne geschlechtliche Merkmale kann sowohl in der
Literatur als auch in den Denkmälern der christlichen Kunst mit dem Streben der
Autoren erklärt werden, in ihren Interpretationen möglichst genau den Texten
des Evangeliums vom Leben der Seele nach dem Tod zu folgen:
die werden weder freien noch sich freien lassen […], denn sie sind den Engeln
gleich und Gottes Kinder (Lk. 20, 35–36)
148
5
Valentina Stepanenko
Schlussbetrachtung
Die von uns hervorgehobene Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele.
Soul“ basiert zwar auf den aristotelischen Kategorien, doch dies ist eine Kategorie anderer Ordnung, da in ihr gleichzeitig zwei Aspekte enthalten sind – ein
ontologischer und ein logischer. Im von uns analysierten Konzept gefiltert, organisiert sie es in besonderer Weise. So wurde festgestellt, dass das analysierte
Konzept ein androgynes Geschlecht hat, das eine besondere Invariante darstellt,
die sowohl das traditionelle männliche, weibliche und neutrale Geschlecht einschließt als auch die als Ergebnis ihrer unterschiedlichen Kombinationen entstandenen – das gemischte/kombinierte und das nicht traditionelle Geschlecht.
Die sprachlichen und außersprachlichen „Gender“-Repräsentanten des Konzepts
demonstrieren die höchst komplizierte Verflechtung kultureller, psychologischer
und sozialer Aspekte.
Literatur
Behr-Sigel, Elisabeth (2001). Discerning the Signs of the Times. NY: St Vladimirs Seminary
Pr.
Betz, Otto (2001). Die Kostbarkeit der Seele: Texte großer Meister für unseren Alltag.
Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag.
Bock, Eleonore (1991). Meine Augen haben dich geschaut: Mystik in den Religionen der
Welt. Zürich: Benziger.
Deletz, Gina (1997). Die 7 Botschaften unserer Seele. Bochum: Ernst Lenz Musikverlag.
Deutsches Wörterbuch von J. Grimm und W. Grimm: in 16 Bd. (1899). Leipzig: Hirzel.
Erhebe dich, meine Seele: Mystische Texte des Mittelalters (1988). Hg. von J. Lanczkowski.
Stuttgart: Reclam.
Kindlers Literaturlexikon. URL: http://www.kll-online.de/.
Lehnert, Martin (1956). Poetry and Prose of the Anglo-Saxons. Dictionary. Berlin: Deutscher
Verlag der Wissenschaften.
Meister Eckhart (1996). Vom Wunder der Seele: Eine Auswahl aus den Traktaten und Predigten. Hg. von Friedrich Alfred Schmid Noerr. Stuttgart: Reclam.
Sweet, Henry (1998). The Student’s Dictionary of Anglo-Saxon. Oxford: Oxford Clarendon
Press.
Zwitter. Rammstein Lyrics to Mutter (2001). URL: http://herzeleid.com/en/lyrics/mutter
Афанасьев, Александр (2002). Мифы, поверья и суеверия славян: в 3 т. М.: Изд-во Эксмо; СПб.: Terra Fantastica.
Брянчанинов, Игнатий (1997). Слово о человеке. М.: Свято-Введенский монастырь
Оптиной Пустыни.
Омельницкий, Марк (1999). Древнеанглийские святые. Древнеанглийские проповеди и
жития об англосаксонских святых: Альбане, Этельтрут, Милдред, Неоте,
Дрихтхельме, Ферзи и Чаде. М.: ЦАИ.
Die Kategorie Geschlecht im Konzept „Душа. Seele. Soul“
149
Памятники литературы Древней Руси: XII в. (1980). Под ред. Л. А. Дмитрева, Д. С.
Лихачева. М.: Художественная литература.
Семёнова, Мария (1998). Мы – славяне! СПб.: Изд-во „АЗБУКА“.
Соболев, Алексей (1999). Мифология славян. Загробный мир по древнерусским
представлениям. СПб.: Изд-во „Лань”.
Степаненко, Валентина (2003). Прототип концепта „Душа“ (на материале немецкого,
английского и русского языков). In: Вестник НГУ. Серия: Лингвистика и
межкультурная коммуникация. Том 1. Вып. 1. 57–64.
Толстая, Татьяна (2002). Река Оккервиль: Рассказы. М.: Издательский Дом «Подкова».
Präfixbedeutung *
Imre Szigeti
1
Einleitung: Präfixe als notorisches Problem
Es besteht kein Zweifel darüber in der deutschen Wortbildung, dass – etwa im
Gegensatz zur Konversion – Präfixbildungen Kernfälle der Wortbildung darstellen.1 Diese Auffassung erscheint vor dem Hintergrund der Unterscheidung
zwischen freien und gebundenen Morphemen sowie der weiteren Ausdifferenzierung der Affixe als empirisch wohlbegründet. Man würde daher auch erwarten, dass Präfixbildungen in jeglicher Hinsicht problemlos und im Einklang mit
den sonstigen Affixen analysiert werden können. Beim näheren Hinschauen erweist sich diese Erwartung jedoch ganz schnell als Desideratum. Erstens scheint
die empirisch einleuchtende Dichotomie zwischen frei vs. gebunden sprachsystematischen Überlegungen nicht standzuhalten, wie dies in der einschlägigen
Diskussion in Rickheit (1993) ausführlich dokumentiert ist. Zweitens ist die Präfixklasse alles andere als einheitlich, zumal sie morphologisch und wortsyntaktisch gesehen unterschiedliche Einheiten enthält (man denke beispielsweise an
die zumeist phonotaktisch motivierte Trennbarkeit von verbalen Erstgliedern
und die damit verbundenen Unterschiede in der Formenbildung). Drittens ist es
bislang fraglich, ob der für die Bedeutungskonstruktion der Suffixe mehrheitlich
angenommene Argumentsättigungsansatz (cf. Olsen 1986 für diese Annahme
sowie Meibauer 1995 und die dort genannte Literatur für eine ausführliche Diskussion) auch auf Präfixe voll und ganz anwendbar ist, wie dies von Olsen
(1998) und den Beiträgen in jenem Band nahegelegt wird. Sollte dies nicht der
Fall sein, wäre eine einheitliche Bedeutungsanalyse von Suffixen und Präfixen
gefährdet, womit eine klare Gegenevidenz zur Größe Affix entstehen würde.
Der vorliegende Beitrag möchte nun vor diesem Hintergrund zeigen, dass
eine einheitliche Analyse für Präfixe und Suffixe möglich ist, sofern konzeptu*
1
Einige Aspekte dieses Beitrags wurden bereits auf dem 43. Linguistischen Kolloquium in
Magdeburg vorgetragen, auf einer Konferenz, zu deren langjähriger Existenz der Jubilar
maßgebend beigetragen hat.
Der vorliegende Beitrag ist konzeptuell-semantisch motiviert. Das Hauptaugenmerk gilt
der Beschreibung der Bedeutungskonstruktion von komplexen Wörtern, die ein affixales
Erstglied vor dem Stamm haben. Syntaktisch oder morphologisch basierte Problemfälle
(wie etwa die Unterscheidung zwischen Partikel- und Präfixverben, vgl. Altmann &
Kemmerling (2005), Eisenberg (2006) und Olsen (1997)) werden daher nur dann angesprochen, wenn sie grundsätzlich andere Bedeutungskonstruktionen hervorrufen. Das ist
übrigens – wie auch weiter unten deutlich wird – nicht der Fall.
152
Imre Szigeti
ell-semantische Grundforderungen berücksichtigt werden. Dieses Ziel wird in
folgenden Schritten angepeilt: In Kap. 2 werden Köpfigkeit und Argumentsättigung von präfixalen Bildungen weiter problematisiert und weiterhin geltend
gemacht, dass (a) Präfixe vielfach nicht als Köpfe gelten können und (b) der in
der Literatur vorherrschende Argumentsättigungsansatz aus diversen Gründen
abgelehnt werden muss. In Kap. 3 wird dann zusammengetragen, welche Beiträge zur Bedeutung eines komplexen Wortes von Präfixen geleistet werden.
Schließlich wird in Kap. 4 ein alternatives Modell vorgeschlagen und exemplarisch gezeigt, wie die in Kap. 3 motivierten Bedeutungselemente der Präfixe mit
Argumentstrukturen der Basis und der Wortbildungsprodukte zusammenhängen.
2
Ein Problemkatalog
2.1
Kopf vs. Nicht-Kopf
Die Bestimmung der Köpfigkeit einer Wortstruktur ist zumeist in den kognitiven
Ansätzen ein wichtiges Anliegen. Sie geht auf die traditionelle Idee zurück, dass
in den zusammengesetzten Wörtern das rechte Glied die grammatikalischen
Kategorien des Gesamtwortes bestimmt. Dies wurde später auf alle komplexen
Wörtern (inkl. Derivaten) ausgeweitet (s. Olsen 1986). In den Ansätzen, in denen der Begriff des morphologischen Kopfes überhaupt verwendet wird, ist die
vorherrschende Meinung, dass Präfixe im Gegensatz zu Suffixen nicht als Köpfe
fungieren. In (1) stehen die wesentlichen Eigenschaften:
(1) Ein morphologischer Kopf
a. trägt die wesentlichen grammatischen Merkmale des Gesamtwortes;
b. ist immer das am weitesten rechts stehende Element;
c. muss Selektionseigenschaften aufweisen, die mit denen der Basis (mindestens) partiell übereinstimmen (kompatibel sind);
d. ist womöglich sichtbar realisiert (vgl. jedoch Olsen 1991).
Die nach (1) festgelegte Rechtsköpfigkeitsregel ist in den meisten Bereichen der
Wortbildung als adäquate Regel anzusehen. Es gibt jedoch auch einige typische
Problemfälle für (1). Diese umfassen denominale (Präfix-)Verben wie (2a, b),
exozentrische Komposita wie (2c) und substantivierte Infinitive (oder genereller
gesagt: Konversionen) wie (2d):
(2) Widerstrebende Beispiele
a. [be [tisch N] en V]
b. [[zauber N] n V]
Präfixbedeutung
153
c. (der) [[drei Num][käse N][hoch A] N]
d. (das) [[lesen V] N]
Man könnte im Prinzip argumentieren, dass die Probleme mit (2a–d) durch
Nullmorpheme wegerklärt werden können (vgl. Bergenholtz & Mugdan 2000).
Dies würde jedoch erstens an (1c, d) vorbeigehen und zweitens würden Nullmorpheme weitere Probleme für die semantische Komposition der Wortbedeutung bereiten. Ein alternativer Vorschlag wurde zumindest für denominale Präfixverben gemacht (vgl. Eisenberg 2006), und zwar durch die Annahme des
Kopfstatus von Präfixen wie be-. Abgesehen davon, dass dadurch die an sich
wichtige Regel der Rechtsköpfigkeit konterkariert ist, sind die weiteren Problemfälle auch nicht gelöst.
2.2
Argumentsättigung und Präfixe
Wegen der Kongruenzforderung der Selektionseigenschaften von Basis und
Kopf sind die gängigen semantischen Erklärungsversuche auf der Basis von Argumentsättigung etabliert. Dies soll sowohl für Suffixe wie auch für Präfixe kurz
erläutert werden. In (3) steht ein Beispiel für Suffigierung, mit entsprechenden
Argumentstrukturen:
(3) erfinden (ev ( x (y)))
a. Erfindung [(ev (x (y)))] oder nur (R)
b. Erfinder (R (y)) → Lesart als Nomen Agentis
Ein Verb wie erfinden hat ein Subjekt-Argument x, ein Objekt-Argument y und
ein weiteres externes Argument, genannt ev (aus dem engl. event für Ereignis).
Die semantische Deutung besagt dann, dass erfinden ein Ereignis ist derart, dass
x erfindet y. Soll nun dieses Verb durch -ung suffigiert werden, kommen prinzipiell zwei Lesarten des Wortbildungsproduktes in Frage, entweder eine Ereignisnominalisierung, die die volle Argumentstruktur (AS) des Ausgangsverbs
beibehält und alle Argumente optionalisiert, vgl. (3a) in den eckigen Klammern,
oder eine Objektnominalisierung mit einer einfachen AS. Die Ableitung der
Ziel-Lesarten ist durch die Spezifizierung des Suffixes auf ev oder R (nach dem
engl. referential) ausgelöst und soll weitreichende Konsequenzen für die Übernahme der zu Grunde liegenden AS haben. So zeigt etwa (3b), dass eine Agensnominalisierung durch das -er-Suffix nur die Übernahme des y-Arguments der
Basis zulässt. Die semantische Interpretation durch Argumentsättigung ist wie
folgt vorzustellen: Die beiden syntaktisch unsichtbaren Argumente R und ev
werden durch den Existenzquantor gebunden, die restlichen Argumente x und y
154
Imre Szigeti
können jedoch im Falle der Ereignisnominalisierung auch bei der Nominalisierung erscheinen, werden aber getilgt bei der Objektnominalisierung, vgl. (3a).
Im Falle von Beispielen wie (3b) sättigt das -er-Suffix das Agens-Argument x,
das folglich nicht mehr erscheinen darf (vgl. Meibauer 1995 für eine Evaluierung dieses Ansatzes).
Diese Art der Argumentsättigung wurde auch vielfach für Präfixe übernommen. Man betrachte folgende Beispiele:
(4) aufsetzen (ev (x ( y, (z))))
a. den Hut aufsetzen (auf den Kopf)
b. den Hut auf den Kopf setzen
Die Beispiele in (4) legen nahe, dass etwa für die Präposition auf im Deutschen
eine Argumentstruktur und eine Interpretation wie in (5) anzunehmen ist:2
(5) Pauf (x (y)) → ∃y [P (x (y))]
(zumal y aufgrund der Beispiele implizit sein kann)
Wie man sieht, bindet der Existenzquantor das y-Argument (auf den Kopf) und
lässt letztlich das x-Argument frei in der Syntax erscheinen. Gleichzeitig heißt
die entsprechende Spezifizierung des Präfixes auch, dass sich mit dem Präfix auf
zweistellige Verben mit der typischen AS (x (y)) verbinden. Für andere Präfixe
können selbstverständlich andere Argumentstrukturen angenommen werden. So
wird etwa für das nicht-native Präfix re- wie in den Wörtern re-generieren oder
re-formulieren eine einstellige AS der Form P (x) angenommen.
Es gibt nun erhebliche Probleme mit dem Argumentsättigungsansatz, die im
Wesentlichen in drei Punkten zusammengefasst werden können: Erstens zeigen
nominale Präfixbildungen wie in (6) eindringlich, dass es Präfigierungen ohne
jeglichen Rekurs auf eine zu Grunde liegende Argumentstruktur der Basis gibt,
zumal die nominalen Basen in (6) keine Argumentstruktur aufweisen:
(6) erzhauptgeun-
2
3
-gauner (vgl. *erzgaunern), -bischof
-problem, -störenfried3
-äst, -büsch
-geduld, -ding, -tier
Ähnliche Repräsentationen werden übrigens auch für Präfixe im Ungarischen angenommen, vgl. Kiefer (1998) und die dort genannte Literatur.
Es ist anzumerken, dass nicht alle Bildungen in (6) gleich produktiv sind. Die wohl produktivsten sind die Präfigierungen mit haupt-, un- und ur-. Die anderen drei Präfixe werden als unproduktiv, auf jeden Fall aber als inaktiv angesehen.
Präfixbedeutung
urmiss-
155
-mensch, -geschichte
-mut, -brauch, -geburt, -laune
Zweitens ist aus vielen unterschiedlichen Sprachen bekannt, dass Präfixe den
Aspekt und die Aktionsart des Wortbildungsproduktes verändern (können) bzw.
solche zur Wortbedeutung hinzufügen. Abgesehen davon, dass durch diese Evidenz ein sprachübergreifendes Modell der AS notwendig wäre, ist die Rückführbarkeit von Aspekt und Aktionsart auf die Argumentstrukturen von Basis
und Präfix auch bei Wortpaaren des Deutschen wie stehen – herumstehen oder
lachen – totlachen (etwa im Gegensatz zu heben – aufheben, wo ein LokativArgument eingeführt wird) nicht unmittelbar ersichtlich.
Drittens ist der Argumentsättigungsansatz auch für Suffixe dubios und daher
nicht richtig erstrebenswert. Parallel zu (6) gibt es nämlich Suffigierungsbeispiele nach (7), die nicht durch Bezugnahme auf Argumentstrukturen gedeutet werden können, worauf bereits Meibauer (1995) hingewiesen hat:
(7) -er-Suffix im Deutschen für denominale Bildungen:
Tübingen – Tübinger
Gewerkschaft – Gewerkschafter
Der Argumentsättigungsansatz für Suffixe kann der im Bereich der -er-Nominalisierungen auftretenden Ambiguität auch nicht gerecht werden.4 Das Wort
Öffner ist beispielsweise ambig in der Nomen-Agentis- oder -InstrumentalisLesart, obwohl ein Instrument beim Verb öffnen fakultativ ist und bei Öffner mit
agentivischer Lesart kein Instrumental auftritt (vgl. *der Öffner mit dem Schlüssel vs. Thomas öffnet die Tür mit dem Schlüssel) und umgekehrt. Schließlich sei
angemerkt, dass die Annahme der Argumentsättigung mit der Erwartung verbunden ist, dass einmal gesättigte Argumente syntaktisch oder morphologisch
nicht mehr erscheinen dürften (insbesondere wäre dies für Subjekte untersagt).
Das ist jedoch nicht der Fall, weil in Wortbildungsprodukten ohne weiteres
Subjekte erscheinen können, vgl. Preissturz, Hundegebell, Kinderschreien oder
Luther-Übersetzung (der Bibel) bzw. Chef-Anschnauzer u. a. Dies ist sogar ein
Problem im Falle von fakultativen Argumenten, vgl. Hosenscheißer oder Kantensitzer.
Man kann unschwer erkennen, dass Präfixbildungen alles andere als klar zu
analysieren sind. Die gängigen Ansätze sind aus theorieinternen Gründen wenig
aussagekräftig. Bevor nun ein alternativer Vorschlag diskutiert wird, müssen die
möglichen Bedeutungselemente, die durch Präfixe getragen werden, näher vorgestellt werden.
4
Dies gilt auch für -ung-Nominalisierungen im Deutschen.
156
3
Imre Szigeti
Bedeutungselemente der Präfixe
Präfixe können eine Vielzahl von Bedeutungselementen tragen und in die Wortbildungsbedeutung einbringen. Diese sind jedoch häufig so geartet, dass sie sich
einer kompositionalen Deutung entziehen. In (8) führe ich einige Möglichkeiten
in tabellarischer Form auf. Die Beispiele beschränken sich nicht nur auf das
Deutsche, damit die Breite der zu berücksichtigenden Phänomene klar wird. Die
besagten Bedeutungselemente umfassen drei große Gruppen: (i) Aspekt und
Aktionsart, (ii) Graduierung und (iii) Lokalität:
(8) Bedeutungselemente von Präfixen
(i) Aspekt bzw. Aktionsart
Russisch
Deutsch: Delimitation
Ungarisch: Anfang
Resultativ
Totalität
Exhaustivität
Semelfaktivität
(ii) Graduierung
Griechisch:
Deutsch:
(iii) Lokalität
progressiv
читать
lesen
perfektiv
про-читать
zu Ende lesen
frequentativ
по-читать
ein wenig
lesen
herum-stehen, umher-irren
áll – meg-áll
stehen – zum Stehen kommen
brennen – ver-brennen – ab-brennen
(tischen) – be-tischen
(sich) kaputt-rackern, tot-lachen
bringen – an-bringen; nennen – er-nennen
χρήση – κατά-χρηση
hrisi – katahrisi
Benutzung – Über-benutzung
strapazieren – über-strapazieren
heben – auf-heben; nehmen – ab-nehmen
Zur Tabelle sind einige Bemerkungen notwendig. Präfixe wie auf- und ab- trugen historisch gesehen einen lokalen Bedeutungsaspekt zur Wortbedeutung bei,
den sie zum Teil auch beibehalten haben (vgl. Er hebt den Stein [vom Boden]
auf vs. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben). Dieser Bedeutungsbeitrag wurde in
der Folge durch unterschiedliche Lexikalisierungsmöglichkeiten modifiziert.
Das Perfektiv im Russischen ist streng genommen keine Aktionsart, sondern
eher als Aspekt anzusehen, es wurde jedoch aus expositorischen Gründen als
Alternanz zum Frequentativen angeführt. Die weiteren Schwierigkeiten einer
Präfixbedeutung
157
feinen Abgrenzung der Aktionsarten vom Aspekt können hier nicht weiter verfolgt werden.
4
Konzeptuelle Deutung
4.1
Die Grundlagen
Ich gehe im Folgenden davon aus, dass Wortbedeutungen (ob komplex oder einfach) durch die Verbindung des Wortes mit einer entsprechenden Einheit des
konzeptuell-intentionalen Systems, dem Konzept, entstehen.5 Die direkte Interaktion zwischen Konzepten und Wörtern wird durch die Idee der Konzeptzuweisung im Sinne der folgenden Grundhypothese verwirklicht:
Konzeptuelle Grundhypothese (KGH)
Konzepte werden Wörtern (einfachen wie komplexen) zugewiesen. Bei
diesem Prozess bringen Wortbildungsaffixe kein eigenes Konzept mit
sich, sondern sie modifizieren die konzeptuelle Struktur der Basis.
Aufgrund der KGH entstehen Wortbedeutungen durch die Zuweisung eines passenden Konzepts an das Wort, wobei Affixe eine besondere Rolle spielen. Diese
sind mit keinem eigenen Konzept, sondern mit einem Modifizierungspotenzial
ausgestattet.6 Dieses Szenario der KGH schreibt sogar eine bestimmte Reihenfolge der Bedeutungsableitung vor: Bei komplexen Wörtern der Affigierung wie
etwa be-kleid- oder an-kündig-ung ist zunächst immer das Konzept der Basis zu
modifizieren, und erst dann kann dem Gesamtwort ein Zielkonzept zugewiesen
werden. Dieser Mechanismus kann daher gut mit den Schritten der Ableitung
korrelieren. Im Falle von an-kündig-ung hieße das beispielsweise, dass das
HANDLUNG-Konzept der verbalen Basis in Abhängigkeit davon unterschiedlich
modifiziert wird, ob nun ein nominales Zielkonzept für kündig-ung angestrebt
wird oder ob die verbale Basis durch an- präfigiert und dieses präfigierte Verb
(ebenfalls HANDLUNG) durch -ung weiter suffigiert wird. Im ersten Fall werden
die ursprünglichen verbalen Argumente, die in der konzeptuellen Charakterisie5
6
Diese Auffassung steht prinzipiell im Einklang mit den Vorstellungen in Jackendoff
(1991) und Wierzbicka (1996), distanziert sich jedoch von Lieber (2004).
Man muss hier anmerken, dass Rickheit (1993) die Distinktion zwischen freien und gebundenen Morphemen aufgibt und stattdessen für die Stamm-Derivativ-Unterscheidung
plädiert. Das ist kein echter Widerspruch zur KGH. Meine Basishypothese spiegelt lediglich die Auffassung wider, dass grammatische Regularitäten eher wort- denn stammoder morphembasiert sind. Die in Kapitälchen geschriebenen Namen von Konzepten sind
Rickheit (1993) entnommen.
158
Imre Szigeti
rung des Verbs festgehalten sind, fakultativ, im zweiten wird hingegen eine zusätzliche Thema-Argumentstelle in der konzeptuellen Repräsentation eingeführt.
Konzepte können unter linguistischem Aspekt entweder Wort- oder Referenzkonzepte sein. Die konzeptuelle Charakterisierung eines Wortes im Sinne
eines Wortkonzepts enthält nach Rickheit (1993) (a) einen Hinweis auf die
grammatische Kategorie; (b) einen sortalen Index (d. h. einen Hinweis darauf,
welcher psychisch-realen Kategorie die Wortbedeutung zuzuordnen ist) und (c)
den Subkategorisierungsrahmen des Lexems samt Argumenten und diesen zugeordneten Konzepten. Da Wortbedeutungen von vornherein nicht als stabile
Größen betrachtet werden, können die Wortkonzepte systematisch modifiziert
werden. Systematische Modifizierungen können auch von Verwendungssituationen hervorgerufen werden (man denke etwa an die unterschiedliche Bedeutung
des Lexems Schule in den Sätzen Die Schule steht an der Ecke vs. Das Leben ist
die beste Schule). Wird ein Wortkonzept auf diese Art und Weise an den Textzusammenhang angepasst, nennen wir es Referenzkonzept. Aus naheliegenden
Gründen ist die Zuweisung von Referenzkonzepten eingeschränkter als die Zuweisung von Wortkonzepten.
Operational gesehen sind Konzeptzuweisungen an komplexe Wörter in drei
Schritten durchzuführen: (i) Umstrukturierung der Argumente der Basis; (ii)
Selektion eines der den Argumenten zu Grunde liegenden Konzepts im Einklang
mit dem Zielkonzept des Wortbildungsprodukts und (iii) Instanziierung des selegierten Konzepts als Zielkonzept. So wird beispielsweise die Bedeutung des
komplexen Wortes Schläfer wie folgt konzeptuell abgeleitet. Das Verb schlafen
weist das EREIGNIS-Konzept auf, und es hat ein externes Argument mit dem
PERSON-Konzept (= Agens-Argument) in seinem Subkategorisierungsrahmen. In
der konzeptuellen Charakterisierung des -er-Suffixes wird neben anderen Informationen ebenfalls PERSON als (ein) mögliches (sprich: abgeleitetes) Zielkonzept festgehalten. Durch die „Kongruenz“ zwischen dem besagten ArgumentKonzept und dem des Suffixes wird nun der Wechsel vom verbalen EREIGNISKonzept zum nominalen PERSON-Konzept via (ii, iii) arrangiert. Die konzeptuelle Charakterisierung von -er im Deutschen enthält auch OBJEKT als mögliches
Zielkonzept. Damit ist eine an sich willkommene Vorhersage des beschriebenen
Mechanismus verbunden. Bei transitiven Verben, wie etwa putzen, ermöglicht
die Zuweisung des Zielkonzepts neben der Person-Lesart (mit dem Konzept
PERSON) auch eine Objekt-Lesart (mit dem OBJEKT-Konzept). Somit ist klar,
warum ein Nomen wie Putzer mehrdeutig ist. Von dieser grundsätzlichen Ambiguität des Wortkonzepts ausgehend werden dann situationsabhängig jeweils
andere Referenzkonzepte aktiviert.
Die KGH hält an der altbekannten Unterscheidung zwischen freien und gebundenen Morphemen fest und schreibt ihnen unterschiedliche Rollen bei der
Präfixbedeutung
159
Konzeptualisierung von Wortbedeutungen zu. Es gibt jedoch sogar innerhalb der
Affix-Klasse signifikante Unterschiede, was die oben angedeutete Konzeptzuweisung betrifft. Rickheit (1993) geht zwar undifferenziert von einer Umstrukturierung der syntaktischen Argumente zu semantischen Argumenten aus, wobei
die grundsätzliche Idee die Optionalisierung der ursprünglich obligatorischen
Argumente ist. Diese Forderung ist mit Sicherheit richtig für die Kategorie verändernde Suffixe, bei den Präfixen wäre sie aber grundsätzlich falsch.7 Präfixe
verändern generell nicht die Kategorie der Basis (vgl. jedoch Eisenberg 2006,
wo dies für eine Reihe von Präfixen des Deutschen angenommen wird), und sie
wandeln auch keine obligatorischen Argumente zu fakultativen um (bis auf die
sog. Inkorporationsfälle, vgl. (4a) oben). Ihr Potenzial zur Umstrukturierung besteht darin, dass sie die Beschaffenheit der Prädikat-Argument-Beziehung der
Basis verändern. Im Laufe der Umstrukturierung kann beim präfigierten Wort
ein zusätzliches Argument eingeführt werden wie in (9), ein Argument getilgt
werden wie in (10), oder die vorhandenen Argumente können ihre thematische
Beziehung zur Basis gegenseitig wechseln, wie in (11) gezeigt wird:
(9)
a. Der Arzt atmet.
b. Der Arzt beatmet den Kranken.
(10)
a. Thomas hat das Buch auf das Regal gestellt.
b. Thomas hat das Buch umgestellt.
(11)
a. Er malt Farbe über den Riss.
b. Er übermalt den Riss mit der Farbe.
Resümierend müssen wir also festhalten, dass Affixe generell eine Eigenschaft
aufweisen, die eine Umstrukturierung der ursprünglichen Argumente auslöst. Da
jedoch diese Umstrukturierung im Falle der Präfixe und der Suffixe unterschiedlich ausfällt, ist ihr Vorkommen mit unterschiedlicher Konzeptualisierung
verbunden. Dies wiederum verschafft zusätzliche Motivation dafür, dass ihre
Unterscheidung konzeptuell verankert ist.
7
Hier könnte man im Prinzip noch strenger formulieren. Die genannte Forderung wäre
auch für die ihre Kategorie bewahrenden Suffixe (wie etwa Intensivierungssuffixe von
Verben, vgl. husten vs. hüsteln, oder N-zu-N-Suffixe wie in Tübingen vs. Tübinger)
falsch. Da wir jedoch im vorliegenden Beitrag an den Präfixen interessiert sind, wollen
wir diese Problematik nicht weiter verfolgen.
160
4.2
Imre Szigeti
Eine Analyse
Ich komme nun zu einigen Konsequenzen des vorgeschlagenen Mechanismus
der Konzeptzuweisung, die für die Einordnung der in (8) zusammengetragenen
Bedeutungselemente sorgen sollen.
Zunächst ist unmittelbar klar, dass Daten wie (6) grundsätzlich mit nominalen Zielkonzepten korrelieren, während Aspekt und Aktionsart von vornherein
mit dem verbalen EREIGNIS-Konzept assoziiert werden können. Dieses kann
durch unterschiedliche Attribute weiter charakterisiert werden, wie etwa durch
ein Resultat(-Objekt) (vgl. brennen vs. verbrennen oder niederbrennen) oder
durch Zustände vor und nach dem Ereignis (vgl. etwa schweigen vs. (eine Kassette) beschweigen) oder durch die Lokalität des besagten Ereignisses (vgl. heben vs. aufheben).
Die unterschiedlichen Bedeutungsaspekte sind nun nach Kamp (1981) und
Rickheit (1993) im Wesentlichen an zwei globalen Achsen zu platzieren. Die
erste wird grundsätzlich nach Wahrnehmungseinheiten konstruiert, d. h. danach,
ob wir etwas als dynamisches (SITUATION > EREIGNIS / ZUSTAND > HANDLUNG)
oder als statisches perzipieren (SUBSTANZ > KÖRPER > LEBEWESEN > MENSCH).
Die zweite Achse enthält globale Kategorien, die mit der humanen Konzeption
der Welt zusammenhängen, und enthält Konzepte wie STRUKTUR, MASS und
WERTUNG bzw. OBJEKTSCHEMA, RAUM und ZEITRAUM. All diese Konzepte
können selbstverständlich weiter unterteilt werden, wodurch eine hinreichend
feinkörnige Gliederung von Konzepten entsteht mit flächendeckender Wirkung.
Was nun die konzeptuelle Charakterisierung der Präfixbildungen betrifft, so
ist eine kurze Zusammenfassung der Möglichkeiten in (12) zu finden:
(12)
a. erz- [KONZEPTION (> Wertung > Quantität)]
Bischof [PERSON (> Konzeption > Struktur > Institution)]
dumm [KONZEPTION (> Wertung)]
b. auf- (i) [RAUM (> Lokation)]
(ii) [EREIGNIS (> Handlung)]
für (i) heb__ [EREIGNIS]
(ii) munter__ [KONZEPTION (>Wertung)]
c. Aspekt und Aktionsart unter dem EREIGNIS-Konzept
z. B.: EREIGNIS > RESULTAT
In (12a) werden nominale Konzepte betrachtet. Die Verbindung zwischen erzund Bischof ergibt sich durch das gemeinsame Konzept KONZEPTION, wobei erzeine bestimmte Wertung in Bezug auf eine Person darstellt. Bei erzdumm wird
hingegen die Wertung mit der Quantität gesteigert. In (12b) dagegen wird das
Präfixbedeutung
161
verbale Präfix auf- in (i) auf ein Ereignis bezogen (= aufheben) mit der RAUMLesart des Präfixes kombiniert, in (ii) aber auf eine bestimmte Wertung (= aufmuntern). Schließlich weist (12c) noch einmal darauf hin, dass Aspekt und Aktionsart unterschiedliche Subkonzepte des EREIGNIS-Konzepts betreffen.
Literatur
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Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1.: Das Wort. 3. Aufl.
Stuttgart: Metzler.
Fehlisch, Ulrike (1998): Zur Einordnung denominaler ein-Verben im deutschen Verbsystem.
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mit ein-. Tübingen: Narr, 149–247.
Jackendoff, Ray (1991): Semantic Structures. Cambridge: The MIT Press.
Kamp, Hans (1981): A Theory of Truths and Semantic Representation. In: Groenendijk,
Jereon et al. (Hrsg.): Formal Methods in the Study of Language, Amsterdam: Mathematics Center, 1–41.
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Lieber, Rochelle (2004): Morphology and Lexical Semantics. Oxford: Oxford University
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Meibauer, Jörg (1995): Wortbildung und Kognition. Überlegungen zum deutschen -er-Suffix.
In: Deutsche Sprache 23, 97–123.
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Rickheit, Mechthild (1993): Wortbildung. Grundlagen einer kognitiven Wortsemantik. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Szymanek, Bogdan (1988): Categories and Categorization in Morphology. Lublin: Catholic
University Press.
Wierzbicka, Anna (1996): Semantics: Primes and Universals. Oxford: Oxford University
Press.
Kontrastive Linguistik
Stereotype und Multikulturalität
Käthi Dorfmüller-Karpusa
1
In diesem Beitrag, den ich mit großer Sympathie dem Kollegen Abraham ten
Cate widme, beschäftige ich mich mit der Frage, ob und wie stereotype Meinungen aufgrund von multikulturellen Kontakten relativiert werden können. Ich
finde, dass diese Thematik in unseren Tagen, wie zu jeder Krisen-Zeit, wieder
hoch aktuell geworden ist, denn pauschale Meinungen und Charakterisierungen
können in ambivalenten Situationen leichter akzeptiert und verbreitet werden.
Peter Ustinov schreibt in seinem humorvollen Buch Achtung! Vorurteile:
Die Menschen denken dann nicht mehr, sondern akzeptieren als wahr, was sie selbst
und ihre Vorfahren seit Ewigkeiten gedacht haben. (Ustinov 2006: 27)
Hier geht es zwar um Vorurteile, d. h. um meistens negative Einstellungen und
Meinungen gegenüber Menschengruppen, die in einem noch höheren Grad als
Stereotype unüberlegt übernommen werden. Stereotyp, bekanntermaßen ein
griechisches Wort (στερεός = fest + τύπος = Form, Gestalt), wurde im Deutschen aus der Fachsprache der Schriftsetzer und Buchdrucker übernommen, um
gefestigte Meinungen und Verbalisierungen zu benennen. Es geht somit um eine
gelungene Metapher, die sich im Sprachgebrauch als nützlich erwiesen hat.
Diese Metapher wurde sowohl von der Sozialpsychologie als auch von der
Sprachphilosophie übernommen und verwendet.
Der erste Versuch, den Begriff Stereotyp zu explizieren, stammt von Walter
Lippmann, der schreibt:
They [stereotypes] may not be a complete picture of the world, but they are a picture
of a possible world to which we are adapted. In that world people and things have
their well-known places, and do certain expected things. We feel at home there. We
fit in. We are members. We know the way around. There we find the charm of the
familiar, the normal, the dependable; its grooves and shapes are where we are accustomed to find them (Lippmann 1954: 95, 1. Auflage 1922).
Hier wird die kognitive, besonders aber die emotionale Funktion dieser Entität
zum Ausdruck gebracht, die auf der Bildung einer Welt beruht. In dieser Welt
haben Menschen und Dinge eine feste Position. Es geht um eine Kategorisierung
der Welt, die zur Stabilität unseres Weltbilds beiträgt und folglich zu einer partiellen Überlappung im Weltbild von Menschen derselben Kultur führt.
166
Käthi Dorfmüller-Karpusa
Die Beschäftigung mit Stereotypen entwickelte sich, wie bereits erwähnt, in
zwei verschiedenen Richtungen, die als sprachphilosophisch und sozialpsychologisch bezeichnet werden.
2
Die sprachphilosophische Richtung geht hauptsächlich auf Hilary Putnam, aber
auch auf Adam Schaff zurück (Putnam 1975, Schaff 1968). Nach Schaff ist der
Übergang zwischen Begriff und Stereotyp fließend. Stereotype sind durch eine
wertende Tendenz gekennzeichnet, im Gegensatz zu Begriffen, bei denen die
erkennende Tendenz überwiegt.
Nach Putnam, der sich mit dem emotionalen Inhalt der Stereotype kaum beschäftigt, ist ein Stereotyp eine konventionelle Idee davon, wie ein Objekt aussieht, handelt oder ist. Danach sind Stereotype kognitive Strukturen, deren
Funktion es ist, die wahrgenommene Welt zu strukturieren. Jedem Objekt wird
von einer Sprachgemeinschaft ein spezifisches Stereotyp zugeordnet. Obwohl
der Informationsgehalt bezüglich der stereotypen Merkmale eines Objekts mehr
oder weniger unterschiedlich ist, sprechen wir von einem für die Sprachgemeinschaft gemeinsam erfahrbaren Stereotyp. Putnam schreibt von den Experten, die
über ein ausgedehntes Fachwissen bezüglich eines bestimmten Objekts verfügen, im Vergleich zu den Nicht-Experten, d. h. den Laien:
Every linguistic community exemplifies the sort of division of linguistic labour just
described, that is, possesses at least some terms whose associated criteria are known
only to a subset of the speakers who acquire the terms, and whose use by the other
speakers depends upon a structured cooperation between them and the speakers in
the relevant subsets (Putnam 1975: 146).
Der Putnam’sche Experte wird von Hans-Jürgen Eikmeyer und Hannes Rieser
folgendermaßen beschrieben:
Experts are speakers who have the best command over a field of knowledge, discipline techniques for handling problems etc. Experthood is always set up relative to a
group of speakers. We presuppose that the experts know the relevant criteria for the
application of terms and that the co-operation between experts and non-experts is
maintained. This co-operation principle exists because of the non-linguistic division
of labour (Eikmeyer & Rieser 1981: 144).
Janos S. Petöfi unterscheidet zwischen der Extensionskomponente und der Stereotypenkomponente. Bezüglich der Letzteren schreibt er:
The stereotype component should be divided into two parts: one part representing
the stereotype concerning non-experts, and one part concerning experts (component
in different technical branches). It seems to me to be legitimate to also speak of stereotypes with respect to experts, since expert knowledge can also undergo change;
Stereotype und Multikulturalität
167
the difference between non-expert and expert stereotypes is not a substantial but
only a gradual one (Petöfi 1983: 23).
Es handelt sich somit eher um eine prinzipielle Unterscheidung als um eine, die
im Einzelfall eine Entscheidung zulässt, ob ein bestimmtes Merkmal nun zum
Allgemeinwissen oder zum Wissen eines Experten gehört. Die Laien rekurrieren
auf das Wissen der Experten, wobei sie auch komplementär ihr eigenes bzw. ihr
kulturelles Wissen beitragen. So wird von Teilung der linguistischen Arbeit gesprochen, was eine gewisse Flexibilität des Stereotypen-Begriffs zur Folge hat,
denn beide Aspekte werden darin integriert:
All dies wurde für die Kommunikation innerhalb einer relativ homogenen Sprachgemeinschaft entwickelt. Erweitert man den Stereotypen-Begriff auf bi- oder multikulturelle Sprachgemeinschaften, so sollte man die linguistische Arbeitsteilung nicht
allein auf Laien und Experten beschränken. Vielmehr muss berücksichtigt werden,
dass wir mit Stereotypen konfrontiert werden, die auf das Wissen von Laien und
Experten rekurrieren, welches die Lebensweise in verschiedenen Kulturen widerspiegelt. Eine solche linguistische Arbeitsteilung zwischen Mitgliedern verschiedener Kulturen sorgt für die notwendige Unschärfe oder, genauer gesagt, für die notwendige Bandbreite, durch welche interkulturelle Kommunikation überhaupt erst
möglich wird (Dorfmüller-Karpusa 1993: 50).
3
Die sozialpsychologische Richtung hat mehrere Autoren beschäftigt, denn hier
geht es meistens um negative kollektive Einstellungen und Meinungen bestimmten Gruppen gegenüber, die soziale und politische Folgen haben. Hier
dominiert die emotionale Komponente zu Lasten des Wahrheitsgehalts. Es folgen einige Explikationen dieses Begriffs:
What people believe about another group of people defines their stereotype (Triandis 1971: 104).
Das Wissen, das sich in Stereotypen niederschlägt, verdient um seiner selbst willen
sicherlich wenig Respekt. So gesehen, gehören Vorurteile und Stereotype in die
Rumpelkammer des Aberglaubens. Anders liegen die Dinge freilich, wenn man
hinter den sich als Wissen präsentierenden Bildern das Moment der normativen Erwartungen erkennt (Hofstätter 1960: 32).
Eine differenziertere Perspektive bringt das Zitat von Joshua A. Fishman zum
Ausdruck:
Not all stereotypes reveal misinformation and, all stereotypes that reveal misinformation also reveal much more (than misinformation) about the stereotyping group
(Fishman 1956: 29).
168
Käthi Dorfmüller-Karpusa
Gordon W. Allport spricht in diesem Zusammenhang von einer ungebührlichen
Verkürzung der Wirklichkeit (Allport 1971). Den sozialpsychologischen Stereotypen wird somit die Objektivität abgesprochen, die bei Putnam unter dem
Vorbehalt des mehr oder weniger vollständigen Informationsgrads des Sprechers
vorausgesetzt wird. Auf der anderen Seite gewinnt man Informationen über die
stereotypisierende Gruppe, ihre Erwartungen und ihre Normen. In der Gruppe
werden Erwartungen und Normen früh übernommen und prägen die interpersonellen Einstellungen und Beziehungen gegenüber den Anderen. Die Stereotypisierungsprozesse setzen eine psychologische Dynamik voraus, die aufgrund der
Kommunikation innerhalb der Gruppe entwickelt wird. Die gemeinsamen Stereotype haben eine integrative Funktion, wodurch ein verbindendes Wir-Gefühl
entsteht. Diese verbindende Funktion jedoch hat als Folge eine Distanzierung
und nicht selten eine Ausgrenzung gegenüber Mitgliedern einer anderen Gruppe.
An dieser Stelle möchte ich auf die Arbeit meiner Kollegin Eleni Butulussi hinweisen: Κοινωνικός αποκλεισµός και σχολείο (Soziale Ausgrenzung und Schule)
(Butulussi 2010).
Zugunsten also der Multikulturalität, die wir alle in Europa und nicht nur
hier erleben, sollten sich bestimmte Stereotype allmählich relativieren. Solche
Prozesse scheinen nicht einfach zu sein, denn es wird von jedem Einzelnen viel
Arbeit verlangt und besonders die Fähigkeit, Ambiguitäten zu tolerieren, wobei
die eigene Identitätsbalance nicht bedroht werden darf. Solche mühsamen EntStereotypisierungsprozesse, die aufgrund von interkulturellen Kontakten entstehen können, wären imstande, und das hoffen wir, ein erweitertes Wir-Gefühl zu
kreieren, welches besonders in unseren Tagen unentbehrlich zu sein scheint.
Die kollektiven Einstellungen und Stereotype einer Gruppe einer anderen
gegenüber können aufgrund von individuellen Erfahrungen relativiert oder auch
aufgehoben werden. In diesem Zusammenhang schreiben die Autoren Marek
Czyzewski, Martina Drescher, Elisabeth Gülich und Heiko Hausendorf in Bezug
auf Erzählungen:
Wenn das Erzählen die Möglichkeit bietet, sich mit negativen Kategorisierungen
durch andere auseinanderzusetzen und sie zu bearbeiten, so kann es unter Umständen einer Art Anti-Kategorisierung dienen und dadurch helfen, Stereotypisierungen
zurückzuweisen. (Czyzewski et al. 1995: 78).
Aus meinem Korpus von Texten griechischsprachiger Kinder in Deutschland bringe ich einige Exzerpte, welche solche Ent-Stereotypisierungsprozesse
zum Ausdruck bringen (Dorfmüller-Karpusa 1993: 55):
(a) Die Menschen sind hier nett und gemein.
(b) Jedes Mal habe ich andere Meinungen über die Deutschen.
Stereotype und Multikulturalität
169
(c) In meiner Nachbarschaft wiederum lachen sie mich nicht aus noch beschimpfen
sie mich, sondern wir spielen alle Spiele, die wir kennen.
Durch diese nicht untypischen Beispiele wird deutlich, dass die Einstellungen und Stereotype, welche die Kinder von ihren Eltern oder im Allgemeinen
von der Minoritätengruppe, zu der sie gehören, übernommen haben, aufgrund
ihrer eigenen Kontakte an Überzeugung verlieren. Ihre Erfahrungen werden die
ersten Schritte von Ent-Stereotypisierungen. Diese Prozesse sind nicht
schmerzlos, denn die Kinder befinden sich in einer dramatischen Unsicherheit
und geben sich eine Blöße, wodurch sie Gesichtsverlust riskieren. Die Fähigkeit
dieser Migrantenkinder, widersprüchliche Merkmale bei Menschen der Majorität zu beobachten und diese zu verbalisieren, spricht für eine Befreiung vom
gruppenimmanenten Zwang einer zu starren Kategorisierung. Durch ihre eigenen Interpretationen und Interaktionen gelangen sie in ihren Texten zu einem
erweiterten Wir-Gefühl, wie z. B. wir Christen oder wir Europäer oder zu einem
noch höheren wir Menschen, und konstruieren somit neue soziale Identitäten,
was nur als Gewinn der Multikulturalität betrachtet werden kann.
Literatur
Allport, Gordon W. (1954): The Name of Prejudice. Cambridge, Mass.: Cambridge University Press (dt. Übers. 1971).
Butulussi, Eleni (2010): Κοινωνικός αποκλεισµός και σχολείο (Soziale Ausgrenzung und
Schule). In: Κωτσάκης ∆ηµήτρης et al. (Hgg.): Αναστοχαστική Πράξη. Ο αποκλεισµός
στο σχολείο (Reflexive Praxis. Die Ausgrenzung in der Schule). ΑΘΗΝΑ: νήσος, 253–
306.
Czyzewski, Marek & Drescher, Martina & Gülich, Elisabeth & Hausendorf, Heiko (1995):
Selbst- und Fremdbilder im Gespräch. Theoretische und methodologische Aspekte. In:
Czyzewski, Marek et al. (Hg.): Nationale Selbst- und Fremdbilder im Gespräch. Opladen: Westdeutscher Verlag, 11–81.
Dorfmüller-Karpusa, Käthi (1993): Kinder zwischen zwei Kulturen. Soziolinguistische Aspekte der Bikulturalität. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag.
Eikmeyer, Hans-Jürgen & Rieser, Hannes (1981): Meanings, Intensions, and Stereotypes. A
New Approach to Linguistic Semantics. In: Eikmeyer, Hans-Jürgen & Rieser, Hannes
(Hg.): Words, Worlds, and Contexts. Berlin: de Gruyter, 133–150.
Fishman, Joshua A. (1956): An Examination of the Process and Function of Social Stereotyping. In: The Journal of Social Psychology, 43, 27–64.
Hofstätter, Peter R. (1960): Das Denken in Stereotypen. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht.
Lippmann, Walter (1954): Public Opinion. New York: Macmillan (1. Aufl. 1922).
Petöfi, Janos S. (1983): Some Aspects of the Structure of a Lexicon Entry. In: Lessico Intelletuale Europeo ‘Spiritus’. Roma: Edizioni dell’ Αteneo, 15–53.
170
Käthi Dorfmüller-Karpusa
Putnam, Hilary (1975): The Meaning of Meaning. In: Putnam, Hilary: Philosophical Papers
2: Mind, Language and Reality. Cambridge, Mass.: Cambridge University Press, 215–
271.
Schaff, Adam (1968): Essays über die Philosophie der Sprache. Wien: Europa Verlag.
Triandis, Harry Charalambos (1971): Attitude and Attitude Change. New York: Wiley.
Ustinov, Peter (2006): Achtung! Vorurteile. 10. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Taschenbuch Verlag.
Space Localization at a Distance in Russian and English
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
1
Introduction
The concepts that comprise meaning of spatial expressions may be very complex and depend on various “functional” factors: social context, task requirements, functional relations between people and objects, objects and objects. In
other words, many of the concepts appear to have non-spatial properties, which
obviously reflects the experiential character of linguistic meaning, i.e. the fact
that people conceptualize the world in terms of how the world can be interacted
with. The correlation of the non-spatial and spatial information still remains very
unclear. (See Coseriu, 2000; Coventry, 1998; Malyar, Seliverstova, 1998; Talmy,
1983; Vandeloise, 1992)
Under the term “spatial properties” we understand semantic information about human perception of geometrical characteristics of objects, such as size,
shape and correlation of objects in space, such as distance between objects, direction of movement, area between and around objects.
Non-spatial properties are functional properties. They convey information
about all types of possible interaction between objects, such as user-instrument
relations, part-whole relations, etc.
The aims of the present research is to reveal universal and idiomatic features
of spatial and non-spatial concepts which are lexicalized in the languages under
study and to look into the nature of the non-spatial concepts and to attempt at
formulating their typology. While analyzing the information received from the
investigation we should find out what pertains to the language meaning and
what to human knowledge of the referent. The matter is that what pertains to the
meaning in one language doesn’t hold for the meaning in the other language.
That is why this problem can be solved only through experimental methodology,
involving a great number of native speakers as subjects.
The present paper focuses on linguistic means of expressing semantics of
“space localization at a distance” in the Russian and English languages: English
prepositions near (to), at, by, off (static aspect); Russian prepositions у, возле,
около, рядом (с). The main notions of the metalanguage used in the paper are
Figure and Ground (term introduced by Talmy, 1983), Path, Goal, Space, Area,
Position and Obstacle. Figure may be conceptualized either as a moving or a
static object.. Ground is an object or space, which Figure is correlated with. For
the prepositions: near(to), at, by, off2; у, возле, около, рядом (с) Ground is an
172
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
object relativel to which Figure is localized; Path is a line of Figure’s motion
between Ground and Goal; Goal is a point where Figure heads; Position is a
point in Space; Obstacle is an object or a point which interferes with the motion
of Figure. Observer is a participant of the scene who conceptualizes Figure’s
correlation to Ground in Space. Area is the space between and around Figure
and Ground.
2
English Prepositions: near (to), at, by, beside, off (static).
2.1
Spatial Properties
Near (to)
The English preposition near is used to denote “the localization of Figure in its
Area, which is at a relatively small distance from Ground’s Area". The distance
is defined in the anthropocentric scope, i.e. it must be easily covered. This
meaning corresponds to the meaning of the Russian adverb недалеко.
(1) She lives near the museum, so it doesn’t take her much time to get there (*by/ *at/
*beside/ *off).
(2) …but his hand was trembling so much that she thought he would never be able to
hold the light near enough to her cigarette (*by/ *at/ *beside/ *off).
(3) Far away toward the east Edgerton Compton was rowing not near enough to intervene in case the Indian attempted violence (*by/ *at/ *beside/ *off).
Near to in contrast to near is used mostly in written texts to describe situations
when the distance between the space positions of Figure and Ground is rather
small:
(4) As they came near to the better tower of the two, the jackdaws circled round them.
(5) … it is a little disconcerting when you reflect how near to a garret is the room you are
sitting in.
Compare:
(6) *She lives near to the museum, so it doesn’t take her much time to get there.
At
1. The preposition at is used to denote “localization of Figure in the position of
immediate proximity to Ground”, if Ground denotes an object conceptualized as
connected with some kind of Figure’s activity.
(7) The groom should not see his bride that day until they meet at the altar (*near/ *by/
*beside/ *off).
Space Localization at a Distance in Russian and English
173
(8) The man at the desk out there told me to come in this room and look in the shelves on
the left (*near/ *by/ *beside/ *off).
If the preposition at is replaced by any of the prepositions near (to), by, beside,
off; Ground is no more conceptualized as an object of Figure’s activity.
2. The preposition at is used to denote “localization of Figure in the position of
immediate proximity to Ground or within its bounds”, if Ground is conceptualized as functional Area, i.e. the area where some Figure’s activity can be realized.
(9)
They stopped at a roadhouse, and he put in more gasoline … and made sure that his
machine was at its best (*near/ *by/ *beside/ *off).
The same limitation for use of other prepositions as in the first case takes place:
Ground is no more conceptualized as an area where some Figure’s activity can
be realized. Both meanings of the preposition at express complex of spatial and
functional properties, which is discussed a little later in a paragraph devoted to
functional properties of this group of prepositions.
3. The preposition at denotes “localization of Figure in the position of immediate proximity to Ground ” if Ground is conceptualized as a part of a larger object.
(10) Footsteps sounded almost at the threshold of the door (*near/ *by/ *beside/ *off).
(11) As they stood in the Botanic Gardens at the rail of the little bridge (*near/ *by/
*beside/ *off).
(12) She hugged them both, and sat down at the foot of their bed with a sigh (*near/ *by/
*beside/ *off).
The use of the prepositions near (to), by, beside, off2 in these sentences leads to
the loss of the component “immediate proximity”. And besides that, the preposition beside denotes some more information about Figure’s space correlation
with Ground. The preposition off2 is used to denote Figure’s correlation with
more specific Ground (See paragraph Off2 (static aspect)).
4. The meaning of the preposition at conveys information about “discontinuing
of the linear motion of Figure in the position of immediate proximity to Ground
or within its bounds”, if Ground is conceptualized as a determiner of this motion. A building forming a street line, the element of the division of city building
(corner of the street), etc. may be used as Ground.
(13) Young Jolyon stood motionless at the corner, looking after the cab (*near/ *by/
*beside/ *off).
(14) I hit out a mosquito which came droning at my ear (*near/ *by/ *beside/ *off).
174
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
(15) I turned at the High Commissioner’s house (*near/ *by/ *beside/ *off).
In all situations the usage of the preposition at is restricted when Ground denotes any living being or Figure is continuing its motion:
(16) *As they kept walking in the Botanic Gardens at the rail of the little bridge.
(17) *Young Jolyon stood motionless at his wife.
By
1. The English preposition by describes “localization of Figure in Area formed
by qualitative characteristics of Ground”. The information about space correlation of Figure with the sides of Ground is not relevant for the preposition by.
(18) Look at you, you’re just about to have a chill. You’ll sit right down there by the fire
and let me get you something to drink (*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
(19) … but your lads remember me better than I do you. Can I sleep by your hearth tonight (*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
The use of the prepositions near (to), beside, at, off2 is restricted in these cases
because Area’s qualitative characteristics (near (to), at, off2) are lost or information about space correlation of Figure with one of the sides of Ground is added.
To denote the correlation of Figure with the sides of Ground another preposition is used – beside, or Ground itself expresses one of the object’s sides:
(20) She could feel his breath on her cheek as he handed her into the seat by his side.
(21) She dropped on her knees by his side, slipped her arms about his neck and clung to
him sobbing.
2. The preposition by is used to denote “localization of Figure in a segment of
Area adjoined to Ground and linked with it by some possessive relations”. Possessive relations is the concept when Ground can be understood as a constituent
part of the whole scene, such as an element of the inner space of a building: window, door, corner, etc.; furniture items: table, sofa, etc.; elements of a building:
wall, partition, etc.
(22) His silk umbrella he had set by the door on entering (*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
(23) On the third floor, I remained by the elevator (*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
(24) Young Jolyon, standing by the little piano, listened with his dim smile (*at/ *near
(to)/ *beside/ *off).
(25) When he returned to the living room she was standing by the fireplace smoking a
cigarette (*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
Space Localization at a Distance in Russian and English
175
The use of the preposition at in (22), (24), (25) adds the information about Figure’s immediate proximity to Ground, which is absent in the meaning of the
preposition by, besides some functional properties of at come into realization.
The use of at in (23) leads to the realization of its other meaning “Figure is located in Ground”, i.e. Ground is conceptualized as Point of Figure’s localization
in Area.
The preposition near (to) doesn’t convey any information about possessive
relations between Figure and Ground, so its usage is limited in all the examples
(22-25).
As for the preposition beside, the replacement of by by beside will lead to
expressing specific localization of Figure corresponding to Ground’s sides (See
paragraph below).
The preposition by may denote “motion of Figure in Area adjoined to
Ground from one Area’s border to another”.
(26) The next day we come along by old Whisky Simeon’s joint that sets out on the sandhills (*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
(27) Often passing by a pillar-box, I have wished I could unlock it (*at/ *near (to)/
*beside/ *off).
Speaking about these examples, the use of at and off2 is restricted when Figure is
a moving object; the preposition near (to) doesn’t convey any information about
Figure’s motion from border to border of Area. The use of beside implies “localization /motion of Figure so that Positions of Figure and Ground form a virtual
line of a row or close to it”. The preposition by doesn’t convey this information.
Thus, the information revealed in the meaning of the preposition beside is not
relevant for any other preposition studied.
3. The preposition by is used to denote “localization of Figure in the position of
immediate proximity to Ground ” if Ground represents a living being, when the
use of the preposition at is restricted.
(28) I stood by you (*at/ *near (to)/ *beside/ *off) and married you!
(29) She had been sitting by him here, talking so glibly, looking so straight into his
eyes… (*at/ *near (to)/ *beside/ *off ).
While using the preposition beside instead of by, information about space correlation of Figure with the sides of Ground is added, which is not implied here.
When space scene is conceptualized by Observer the restriction on localization “Figure behind Ground” exists. Both objects must be visible to Observer:
(30) *She took her things from him, and laid them by the mirror, behind it.
176
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
As it is seen in example (30) the semantics of by contradicts with the content of
the sentence when Figure is not seen by Observer.
Beside
1. The English preposition beside is used to denote “localization of Figure in the
area attached to Ground” so that the positions of Figure and Ground form a virtual line of row or close to it. This virtual line of “a row” is formed like in the
Russian preposition рядом с due to the Observer’s look (straight ahead or left to
right).
(31) She could select small, quick starting pieces of oak from his neat pile beside her
kitchen fireplace without making any noise (*at/ *by/ *near (to)/ *off). Left to right.
(32) Quietly, he sat down beside her and began to study her face (*at/ *by/ *near (to)/
*off). Straight ahead.
(33) He stood beside Caroline bidding their guests goodbye at the front door (*at/ *by/
*near (to)/ *off). Left to right.
Figure and Ground are generally conceptualized as equal objects and can easily
exchange their positions in the sentence structure:
(34) Caroline stood beside him (He stood beside Caroline) bidding their guests goodbye
at the front door (*at/ *by/ *near (to)/ *off).
2. The preposition beside denotes “the localization of Figure on the borderline or
in the border realm of Area adjoined to Ground, when Area is forming a certain
unity with Ground, i.e. Ground may represent a part of landscape or any other
object that can form the area, at the border of which Figure is localized.
(35) The sun was sinking in a sea of scarlet and purple clouds behind the tall buildings
beside the Park (*at/ *by/ *near (to)/ *off).
(36) For kneeling beside the pool was his love Margaret, her naked body crouched and
bowed among the creatures of mud (*at/ *by/ *near (to)/ *off).
(37) He lingered beside the grave, his head bent as if still struggling with those unwanted
memories of the long ago (*at/ *by/ *near (to)/ *off).
While using the preposition beside the Area (border realm) is not linked with
Ground by possessive relations as in the case of using by. The Area forms a kind
of unity with Ground. The usage of the prepositions at, by, near (to), off2 is not
possible here as they don’t convey information of “Ground – Area” unity without possessive relations between them.
In contrast to the first meaning of the preposition beside meaning 2 includes
Figure and Ground of any size with general cognitive limitations: Ground must
have a larger size than Figure.
Space Localization at a Distance in Russian and English
177
(38) *The pool was beside kneeling Margaret, his love…, her naked body crouched and
bowed among the creatures of mud.
(Margaret is surely much smaller than the pool).
Off (static aspect)
The preposition off2 is used to denote “the location of Figure at a small distance
from Ground”. The usage of the preposition off2 is impossible when Ground denotes any living being or when it is not defined by the speaker (reader) from the
entities of extralinguistic reality according to its size, significance, description,
etc. The distance between Figure and Ground could be easily covered by virtual
motion from Ground towards Figure.
(39) He tipped the porter, climbed into the taxicab, gave its driver the name of a hotel off
Broadway in the Forties (*near (to)/ *by/ *beside/ *at).
(40) Next day she moved into a small room in a lodging-house off Edgware Road (*at/
*by/ *near (to)/ *off).
Compare:
(41) *Next day she moved into a small room in a lodging-house off a railway hotel.
(42) *The child was standing just off a rock.
The only preposition that could replace off2 in the given examples is the preposition near (to), but it denotes a little larger distance (about a mile) while off2
denotes a distance between Figure and Ground from 10 up to 30 feet:
(43) The house off the river is not more than 10 (30) feet from it.
(44) The house near the river is not more than a mile from it.
The use of other prepositions of this group, at, beside, by is limited, as they
don’t imply the information denoted by off2.
This meaning can be realized only in case if both Figure and Ground are
static objects, otherwise the meaning of off1 (dynamic) comes into realization:
(45) He fell off the roof.
2.2
Functional Properties
Near (to)
In contrast to the prepositions at, by, beside, off2 the preposition near (to) does
not denote any functional relations between Figure and Ground.
178
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
At
At describes Ground seen as an instrument used by Figure, so that they are in
“user-instrument relations”, i.e. the functional intention of Ground determines
Figure’s actions. In most cases Ground represents some item(s) of equipment,
furniture, building construction; some kind(s) of musical instruments when they
are in a static position, some functional spaces /areas (swimming pools, markets,
shops, etc.):
(46) The tradesmen, at the doors of their shops, bowed low as he passed (*beside/ *by/
*near (to)/ *off).
User - the tradesmen, Instrument - the doors of shops.
(47) In the afternoon they changed places, and the King stood at the anvil and the Lad at
the bellows (*beside/ *by/ *near (to)/ *off).
User - the King, the Lad; Instrument - the anvil, the bellows.
(48) You don’t settle down and live at a spring just because it gives you a drink when
you are thirsty (*beside/ *by/ *near (to)/ *off).
User – You, Instrument - a spring.
This meaning of at closely corresponds to the meaning of the Russian preposition у but it doesn’t cover the whole semantics of the preposition у (see У: paragraphs 2-3 in 6.2).
By
There’re no direct functional relations between Figure and Ground while using
the preposition by. But Figure may be influenced by the atmosphere created by
some qualitative characteristics of Ground’s Area:
(49) Look at you, you’re just about to have a chill. You’ll sit right down there by the fire
and let me get you something to drink (*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
(50) I gazed away from it to a large castle that the sea was just reaching. A little, then
quickly much, the waters swirled into the moat. Many children stood by, all a-dance
with excitement (*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
The location of Figure in Ground’s Area may be determined by former or desired in future “user-instrument relations”:
(51) The message said “Jessie-Ann, stay by the telephone” (*at/ *near (to)/ *beside/
*off).
(Former “user-instrument relations”)
Space Localization at a Distance in Russian and English
179
(52) Cassie sat by the radio that night after everyone had left (*at/ *near (to)/ *beside/
*off).
(Former “user-instrument relations”)
(53) “Firelight is prettier”. And he set her by the fire and filled her lap with cones and
dry leaves and dead braken to burn…(*at/ *near (to)/ *beside/ *off).
(Desired in future “user-instrument relations”)
The prepositions at, near (to), beside, off cannot be used instead of the preposition by as the former denote functional properties different from those typical for
the preposition by (at, beside) or don’t denote any of them (near (to), off).
Beside
When the preposition beside is used to denote spatial relations of proximity between Figure and Ground, the following non-spatial information may be revealed:
1. The localization of Figure on the borderline or in the border realm of
Ground’s Area may be determined by potential “user-instrument relations”,
where Ground is User and Figure is Instrument. The border realm of Ground’s
Area forms some kind of unity (complex) with Ground.
(54) He sat alone in his small room, with a bottle of whisky beside him (*at/ *by/ *near
(to)/ *off).
(He – potential User, a bottle of whisky - potential Instrument)
(55) Picture her lying beside that rich old man! Think of his hands on her – and be
strong! (*at/ *by/ *near (to)/ *off).
(That rich old man - potential User, she - potential Instrument)
In this meaning beside correlates with the Russian preposition возле (See Возле:
in 3.2).
2. When Figure and Ground denote human beings localized within “a row”, the
deictic center may become Figure’s behavior, condition, etc. or Ground’s perception of Figure:
(56) Miss Lorah, she’ll have to sleep beside that old man every night of her life! (*at/
*by/ *near (to)/ *off).
(57) She’s a frost. If I have to sit beside her (*at/ *by/ *near (to)/ *off) an hour I’ll catch
cold and die, I swear it!
180
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
In both examples Figure’s condition is a deictic center, which is caused by location at a close distance to Ground (have to sleep every night of her life; have to
sit - will catch cold and die).
Off ( static)
There’re no direct functional relations between Figure and Ground in the preposition off2. If Figure denotes a living being, the preposition off2 presupposes discontinuing of possible functional relations between Figure and Ground in the
past. In this case static off2 correlates with the functional property carried by dynamic off1: “as soon as Figure has moved away from Ground this functional relation is discontinued”.
(58) Papa and Mr. Charles Green, Mr. Low’s groomsman left the table for brandy and
cigars in Papa’s office off the parlor.
The subjects underlined that the use of off2 means the absence of any kind of
interaction between Figure and Ground:
(59) ?You can find him off the rubbish, looking for old clothes, picking up something
strange and putting it into his bag.
In this sentence functional relations between Figure and Ground are evident that
is why there is a restriction for using off.
3
Russian Prepositions: у, возле, около, рядом (с).
3.1
Spatial Properties
У
1. The invariant component for all the meanings of the preposition у is “localization of Figure in the nearest part of Area adjoined to Ground”. Figure and
Area have at least one common side. Space extent is limited by human sight capacity.
(60) У телефона лежала записная книжка.
‘There was a notebook lying by the telephone.’
(61) Вздыхая и охая, они наклонились к широкой лавке, стоявшей у дальней стены.
‘Sighing and moaning they bent forward to a wide bench by the wall.’
In the examples given some geometric characteristics of Ground (телефон,
‘telephone’; стена, ‘wall’) are the basis for forming the concept of the nearest
part of Area adjoined to Ground. The use of the preposition возле instead of у
Space Localization at a Distance in Russian and English
181
leads to the localization of Figure in the whole realm of Area, while у denotes
the localization of Figure in the nearest part of Area.
(62) *Возле телефона лежала записная книжка.
(63) *Вздыхая и охая, они наклонились к широкой лавке, стоявшей возле дальней
стены.
The use of около broadens the Area extent, so that its bordertline is rather indefinite:
(64) *Около телефона лежала записная книжка.
(65) *Вздыхая и охая, они наклонились к широкой лавке, стоявшей около дальней
стены.
The use of the preposition рядом (с) leads to the loss of the component “localization of Figure in the nearest part of Area adjoined to Ground” (if Figure and
Area have at least one common side), which was revealed in both examples.
(66) *Рядом с телефоном лежала записная книжка.
(67) *Вздыхая и охая, они наклонились к широкой лавке, стоявшей рядом с
дальней стеной.
2. The preposition у is used to denote “the localization of Figure in Space adjoined to Ground if the latter is an element of some multitude”. That is, Ground
may denote:
a) one of the Figure’s route points;
(68) У Самары Волга поворачивает на Запад (*около Самары/ *возле Самары/
*рядом с Самарой).
‘By Samara Volga makes a turn to the West.’
(69) Автобус остановился у села, чтобы подобрать еще диух пассажиров (*около
села/ *возле села/ *рядом с селом).
‘The bus stopped at the village to pick up two more passengers.’
b) one of the points of the common event realization, part of which Figure is;
(70) Танки прорвались у города Клин (*около города/ *возле города/ *рядом с
городом).
‘The tanks broke through by Klin.’
(Tanks’ attack is a part of the whole war (or its period) and Klin is one of the
points (places) where military actions took place during the war.)
c) the point, with which parts of Figure conceptualized as a stretched object can
be correlated;
182
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
(71) У Нижнего Новгорода Волга достаточно широка (*около Нижнего Новгорода/
*возле Н.Н./ *рядом с Н.Н.).
‘Volga is rather wide near Nizhny Novgorod.’
d) a part of the vertically oriented object, in the realm of which a certain event is
localized involving the whole object.
(72) Мы разбили лагерь у подножья горы (*около подножья горы/ *возле подножья
горы / *рядом с подножьем горы).
‘We pitched our camp at the foot of the mountain.’
(73) Дерево у корней заросло мхом (*около корней/ *возле корней/ *рядом с
корнями).
‘The tree is overgrown with moss at its roots.’
There exists a restriction for using the preposition у, when Ground denotes any
living being, and when Figure is still a moving object.
(74) *Он ходил у пианино.
‘He was walking at the piano.’
(75) *Клубок лежал у кошки.
‘There was a ball of thread at a cat.’
Возле
1. The invariant component for all spatial properties held by the meaning of the
preposition возле is “localization of Figure in the Area adjoined to Ground, if
the shape and borderline of Area are determined by one of the sides of Ground”.
(76) Возле городского вала народу было больше, чем всегда. (*около городского
вала/ *у городского вала/ *рядом с городским валом).
‘There were more people than usual near the city-bank.’
The use of the prepositions около and рядом с is impossible here as in these
cases the knowledge of the world presupposes that Position of Figure (народ,
‘people’) may be conceptualized outside the Area determined by Ground. The
role of Ground (городской вал, ‘city-bank’) in forming the Area’s spatial characteristics is not relevant.
2. The preposition возле is used to denote “ motion of Figure in Area adjoined to
Ground (mostly from Ground to Area borderline)”.
(77) Возле стола носились официанты, уносившие пустые блюда (*около стола/ *у
стола/ *рядом со столом).
‘The waiters were bustling about the table, taking away empty dishes.’
Space Localization at a Distance in Russian and English
183
(78) *Около стола носились официанты, уносившие пустые блюда.
The limitation of using the preposition около may be explained by absence in its
meaning any information about the motion of Figure from Ground to Area borderline.
(79) *Рядом со столом носились официанты, уносившие пустые блюда.
If the preposition рядом с is used, the semantics of it (preposition рядом с) contradicts with the semantics of the whole sentence as the semantics of рядом с
presupposes forming a virtual line of Figure’s and Ground’s localization, which
makes the sentence senseless.
(80) *У стола носились официанты, уносившие пустые блюда.
The restriction on the use of the preposition у is realized because Figure represents objects still moving when localized.
3. The preposition возле is used to denote “the localization of Figure in the Area
adjoined to Ground”, if Area and Ground are conceptualized as some visual
complex (meaning introduced by O.N.SELIVERSTOVA, 1998).
(81) На столе стояло несколько чашек с блюдцами, сахарница и вазочка с
конфетами. Возле каждой чашки лежала маленькая серебряная ложечка
(*около чашки / *у чашки/ *рядом с чашкой).
‘There were some cups on the saucers, a sugar basin and a bowl with sweets on the
table. A small silver teaspoon lay by each cup.’
The use of any other preposition from the group studied leads to the loss of the
effect of complex image.
Около
This preposition is used to denote “the localization of Figure in a segment of
Area adjoined to Ground and linked with it by certain possessive relations”. By
“possessive relations” we mean that Ground is understood as the center of that
Area segment. Area can be conceptualized as having spherical contours, which
can be explained by the etymology of the word около: its origin comes from the
word колесо that means ‘a wheel’ and more generally ‘а form of a circle’.
(82) Около больного лежала коробка с лекарствами (*у больного).
‘A box with pills was lying near the patient.’
(83) Он где-то около дома – на скамейке или на качелях.
‘He’s somewhere near the house – on a bench or a swing.’
184
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
In contrast to the prepositions рядом с, у and возле the use of the preposition
около makes Area extent indefinite, has no clear outline. The use of у or возле
in sentence (83) diminishes the realm of Area where Figure may be localized.
(84) *Он где-то у дома – на скамейке или на качелях.
(85) *Он где-то рядом с домом – на скамейке или на качелях.
(86) *Он где-то возле дома – на скамейке или на качелях.
Besides, when using the preposition около, Figure and Ground may be localized
at different levels of Area:
(87) Около больного, лежащего на кровати, на полу стояла коробка с лекарствами.
(88) *Возле больного, лежащего на кровати, на полу стояла коробка с лекарствами.
(89) *Рядом с больным, лежащим на кровати, на полу стояла коробка с
лекарствами.
Рядом (с)
1. The preposition рядом с is used to denote “the localization of Figure in the
Area attached to Ground, so that the positions of Figure and Ground form a virtual line of row or close to it”. The concept of this line is formed due to the Observer’s look straight ahead (when Figure also performs the role of Observer) or
when it (the look) moves from left to right.
(90) Через пять минут я вернулся с рюкзаком. Кинул его на заднее сиденье, а сам
устроился рядом с отцом.
‘In five minutes I was back with the rucksack. I threw it to the back seat (of the
automobile) and settled by my father.’
Here Figure and Ground are localized in a material row set by the seats of the
automobile. The front row where father and son are sitting is correlated to the
back one where the rucksack is placed. Figure cannot be in any other line that
can be proved by the following example:
(91) *Он сел рядом с отцом, позади него.
‘He sat beside his father, behind him.’
(92) Оказавшись рядом со своей бывшей подругой, она высказала ей в глаза все,
что думала о ней (* возле/ *около/ *у).
‘Having found herself by her former friend she said everything she thought about
her looking straight into her eyes.’
In example (92) the positions of Figure and Ground form a virtual line of row
due to the Observer’s look straight ahead, and Figure has got one more role - the
Space Localization at a Distance in Russian and English
185
role of Observer. The locations of Figure and Ground are conceptualized as
turned their front sides to each other or closed to it. In contrast to the preposition
рядом с the prepositions возле, около, у do not convey this kind of information,
so they can’t be used instead of рядом с.
While investigating the semantics of the preposition рядом с we got the information about motion of Figure and Ground in adjacent parallel space rows:
(93) Паоло вдруг почувствовал, что он не один. Рядом с ним, может быть уже
давно, шел невысокий незнакомец (*около/ *у/ *возле).
‘Paolo suddenly felt somebody’s presence. A stranger of a medium height was
walking beside him perhaps for a long time.’
But finally we arrived at the conclusion that this information simply doesn’t
contradict to the invariant component of the meaning “the localization of Figure
in the Area attached to Ground, so that the Positions of Figure and Ground form
a virtual line of row or close to it”. The concept of this line is formed due to the
Observer’s look (when Observer also performs the role of Ground) or when it
(the look) moves from left to right.
2. The preposition рядом с also informs that “Figure (or event in which it participates) occupies Position at a distance very close to Ground”.
(94) Она заметила, что рядом с (*около/ *возле/ *у) ним лежит пистолет, и ему
хватит доли секунды, чтобы схватить его и выстрелить.
‘She noticed a gun lying beside him. A fraction of a second was enough to grab it
and to make a shot.’
When replacing the preposition рядом с by около or возле the subjects noticed
that the distance between Figure and Ground wouldn’t be sufficient for the supposed action.
3.2
Functional Properties
У
This preposition denotes some functional relations between Figure and Ground.
1. Ground is seen as an instrument used by Figure, so they are in “user-instrument relations”.
(95) Как могли, мы посушили куртку у костра (*возле, *около, *рядом с).
‘We dried the jacket by the fire as we could do.’
(Мы, ‘we’ – User, костер, ‘fire’ – Instrument.)
186
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
(96) Весь день она стояла у плиты (*возле, *около, *рядом с), готовя праздничный
ужин.
‘The whole day she stood at the stove preparing the celebration dinner.’
(Она, ‘she’ – User, плита, 'stove' – Instrument.)
(97) Объявили его выступление. Он вышел на сцену, остановился у рояля,
поклонился, сел и начал играть.
‘After his performance was announced he came onto the stage, stopped at the piano,
bowed, sat down and began to play.’
(Он, ‘he’– User, рояль, 'piano' – Instrument.)
In case if Figure denotes some multitude of objects:
(98) У кассы стояла огромная очередь (*возле/ *около/ *рядом с).
‘There was a long queue by the cashier’s desk.’
At least some part of Figure (очередь, ‘queue’) is localized in Area segment
close to Ground (касса, ‘cashier’s desk’) and only this part is conceptualized as
“user” while the rest of it (Figure) – as a “potential user”.
When replacing the preposition у by около, возле or рядом с the subjects noticed that the Figure’s aim to use Ground would be lost in the meaning.
2. Ground forms certain psychosocial or psychophysical atmosphere in Area,
where Figure is localized. Functional intention of Ground determines Figure’s
behavior, condition, etc.
(99) В их домике у моря (*возле, *около, *рядом с) всегда был слышен плеск
волны и ощущался легкий бриз.
‘A waves rustle was heard and a light breeze was felt in their small cottage by the
sea.’
(100) Разомлевши от тепла, я уснул у костра (*возле, *около, *рядом с).
‘Having grown languid of the warmth I fell asleep by the fire.’
In these examples Figure (я, ‘I’; домик, ‘cottage’) and Ground (костер, ‘fire’;
море, ‘sea’) are not in the “user-instrument relations” but some qualities or intention of Ground influences Figure and determine its condition.
3. Figure and Ground are conceptualized as having one and the same function or
are “functionally united” if they represent the elements of one complex, the center of which is Ground. Figure may be localized vertically, higher than Ground.
(101) Я бывал в этом сквере у ЦУМа.
‘I happened to be in that square by TSUM.’
Space Localization at a Distance in Russian and English
187
In this example Figure (сквер, ‘square’) is conceptualized as a part of an architectural complex with Ground (ЦУМ), the use of the prepositions около, возле
or рядом с in the sentence will get to loss of this concept.
Возле
The Russian preposition возле possesses a number of functional semantic properties:
1. Figure is a potential “user” and Ground is a potential “instrument”. Figure
may be set in the position of “awaiting”(the term introduced by O. N. Seliverstova, 1998) of some signal from Ground after which the “user-instrument relations” can be realized.
(102) Весь день она просидела возле телефона, ожидая его звонка.
‘She spent the whole day by the telephone waiting for his call.’
If we use the preposition у instead of возле, it will mean that Figure’s job is
linked with the use of Ground. The use of рядом с will imply a close distance
between Figure and Ground sufficient for touching it (picking up the receiver if
a call occasionally comes) but there won’t be “awaiting” for possibility to use
Ground as an instrument.
2. Figure’s location in Area adjoined to Ground is determined by functional intention of the latter. There’s some kind of presupposed interaction between Figure and Ground.
(103) Возле здания суда (*рядом со зданием суда, *около здания суда, *у здания
суда) собралась толпа сочувствующих, любопытных и журналистов.
‘A crowd of sympathizers, curious people and journalists have gathered by the
court-building.’
Compare:
(104) *Возле какого-то здания собралась толпа сочувствующих, любопытных и
журналистов.
3. Figure’s localization in Area adjoined to Ground is determined by the emotional ties between them.
(105) Он как всегда задержался возле этой картины, завораживающей,
пробуждающей приятные воспоминания о жизни в деревне.
‘As always he lingered by that picture, which was bewitching him and arousing
pleasant memories of living in the country.’
(106) Он сел возле нее и взял за руку.
188
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
‘He sat by her and took her hand in his.’
(107) А кот Матвей мурлыкал в кресле возле клубка с чулком.
‘And Cat Matvey was purring in the armchair near the clew.’
When using the preposition рядом с instead of возле Figure’s location in a
“row” (105) is conceptualized, or the sentence is evaluated by subjects as semantically wrong (107), or the component “localization of Figure at a close distance to Ground” is actualized. But neither of these examples, in which the
preposition возле is replaced by the preposition рядом с, carry information
about the emotional ties between Figure and Ground. The usage of у in cases
(105) and (107) leads to understand Figure’s localization as caused by “certain
psychosocial or psychophysical environment formed by Ground” (105) or by
“user-instrument relations” – (107). The preposition около used in (105) carries
pure spatial information. In (106) the use of около is impossible because the
meaning of the sentence (“A male took place at a close distance to a Female and
got into contact with her”) contradicts to the meaning of the preposition около.
In (107) около denotes that Ground is conceptualized as a “potential instrument”
(for detailed information - see the next paragraph on the preposition около).
Thus, information about emotional ties between Figure and Ground is not
relevant for the prepositions около, у and рядом с.
Около
The functional property expressed by the preposition около is the following:
Ground performs the role of “potential instrument”, that is, Figure can use functional properties of Ground, being in a proximate position to it.
(108) Играй около дома, сегодня обещали грозу (*у/ *рядом с/ *возле).
‘Don’t play far from the house. The forecast said, it would be storm today.’
Figure and Ground are potential “user-instrument relations”: when the referential scene is changed, Figure (человек-слушатель, ‘the listener’) may become
User and Ground (дом, ‘house’) – Instrument (used as a shelter from the storm).
This meaning is irrelevant for the other the prepositions (у, возле and
рядом с).
Рядом (с)
The preposition рядом с describes a situation in which a very little distance between Figure and Ground may cause the realization of “user-instrument relations”.
189
Space Localization at a Distance in Russian and English
(109) Она заматила, что рядом с (*около/ *возле/ *у) ним лежимт пистолет, и ему
хватит доли секунды, чтобы схватить его и выстрелить.
‘She noticed a gun lying beside him. A fraction of a second was enough to grab it
and to make a shot.’
When replacing the preposition рядом с by около or возле the subjects noticed
that the distance between Figure and Ground wouldn’t be sufficient for the supposed action. So, when any other preposition was used, its semantics would contradict the semantics of the sentence (as this property isn’t relevant for any other
preposition from the group studied).
at
by
beside
Near (to)
Off2
у
около
возле
Рядом (с)
Table 1: Space localization at a distance in Russian and English.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
SPATIAL
1. Localization in Area adjoined to Ground
2. Localization in the nearest part of Area
+
+
3. Localization in the whole realm of Area
+
4. Ground as the center of Area’s segment
+
5. Ground as a constituent part of the whole scene
+
+
+
+
8. Ground as element of multitude
+
9. Ground as a center of complex “Ground+Area”
10. Ground as a part of a larger object
11. One side of Ground determines Area’s size and
borderline
+
+
6. Localization in the border realm of Area
7. Localization in the position of immediate proximity to Ground
+
+
+
+
190
Tatiana D. Shabanova, Yulia R. Yusupova
12. Motion of Figure from Ground to Area’s borderline
13. Discontinuation of Figure’s linear motion
+
+
14. Motion of Figure from one Area’s border to
another
+
15. Localization in a virtual line of “a row”
+
+
FUNCTIONAL
16. “User - Instrument”
+
+
17. Potential “User - Instrument”
+
18. Functional unity
+
+
+
19. Functional intention of Ground determines Figure’s location
20. Ground as functional Area
+
+
+
+
+
References
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Language. Journal of General Linguistics and Language Theory vol.1, 1, 19–42.
Coventry, Kenny R. (1998): Spatial Prepositions, Functional Relations and Lexical Specification. In: Patrick Olivier and Klaus-Dieter Gapp (eds.): The Representation and Processing of Spatial Expressions. Mahwah: Erlbaum, 247–262.
Maljar, Tat’jana N. and Ol’ga Nikolaevna Seliverstova, (1998): Prostranstvenno-distantsyonnye predlogy i narechiya v russkom i angliyskom yazykach. München: Sagner.
Talmy, Leonard (1983): How Language Structures Space. In: Herbert L. Pick and Linda P.
Acredolo (eds.): Spatial Orientation: Theory, Research, and Application. New York: Plenum Press, 225–228.
Vandeloise, Claude (1992): Les analyses de la préposition dans. Faits linguistiques et effets
méthodologique. In: Lexique 11: Les prépositions: méthodes d’analyse, 15–40.
The Use of the Kashubian Language
from the Perspective of Young People Aged 16–19:
Settings and Participants
Danuta Stanulewicz
1
Introduction
The aim of this paper is to present observations of senior secondary school students, aged 16–19, concerning the use of the Kashubian language. The opinions
were obtained in a survey, which is part of a pilot study whose aim it is to investigate the attitudes of teenagers to the Kashubian language and culture
(Stanulewicz and Aleksandrowska, 2010).
Section 2 of this paper presents some basic facts concerning the sociolinguistic situation of the Kashubian language. Section 3 contains information
about the questionnaire and respondents, whereas the objective of Section 4 is to
briefly discuss the results of the study.
2
The Kashubian Language
Kashubian (or Cassubian) is a minority West Slavic language, spoken in the
Pomorskie Province in northern Poland. In 2005, it was officially recognized as
a regional language (see, inter alia, Grzędzicki, 2005); however, it had been
considered a language – not a Polish dialect – much earlier. Scholars have discussed the status of Kashubian for over a century (see, inter alia, Zieniukowa,
2001). Kashubian, like many other minority languages, can be found in The
UNESCO Red Book of Endangered Languages (Salminen, 1999).
A number of scholars have investigated the Kashubian language from various perspectives (see, inter alia, Breza (ed.), 2001; Breza and Treder, 1981;
Treder (ed.), 2006), including the social point of view (see, inter alia, Latoszek,
1992; Synak, 1995; Popowska-Taborska, 1997; Mordawski, 2005; Porębska,
2006; Mazurek, 2007). In this section, we will concentrate on selected sociolinguistic issues.
In a relatively recent study conducted by Mordawski (2005: 54), the number
of Kashubian and half-Kashubian people amounts to 556,737; 365,833 of them
192
Danuta Stanulewicz
(65.7%) can speak the Kashubian language.1 In earlier studies, the figures are
similar: for instance, ca. 330,000 Kashubian people and – if half-Kashubians are
included – ca. 516,000 (Latoszek, 1992; discussed in Popowska-Taborska,
1997: 317). However, some other studies present a more pessimistic view. For
example, according to Stone (1996: 49), the number of Kashubian speakers may
only amount to 150,000.
The vast majority of Kashubian speakers are bilingual. Synak (1995) conducted a study whose aim it was to investigate the use of Kashubian and Polish
by Kashubian speakers. The results concerning adult speakers are the following
(Synak, 1995: 163):
– 22.5% of the speakers used only Kashubian,
– 43.5% used mostly Kashubian,
– 10% used both languages,
– 16% used mostly Polish,
– 8% used only Polish.
Synak (1995: 163) also examined children’s knowledge of this language:
– 48.7% of the investigated children used mostly Kashubian,
– 41.5% used mostly Polish,
– 16.2% used only Polish.
In his study, Mordawski (2005: 54) asked the informants (whose number – as
has been mentioned above – amounted to 365,833) about the frequency of their
use of the Kashubian language. The results of this study are the following:
– 22.1% of the informants (80,767) used Kashubian every day,
– 11.3% (41,459) used it very often,
– 30.8% (112,699) used it sometimes,
– 35.8% (130,908) never used it.
As can be seen, the largest group is the last one, including 130,908 (almost 36%)
Kashubian speakers who never use their language. Possible explanations why
they have switched to Polish include the following: they are married to people
who do not speak Kashubian, have Polish-speaking friends and use only Polish
at work. Switching to Polish is easy because – as has already been pointed out –
most Kashubian speakers are bilingual; furthermore, it is Polish which is – in
most cases – the language of instruction at school, which partially explains the
1
Mordawski suggests that the number of Kashubian people (and Kashubian speakers)
might be higher because due to the employed method of collecting data, probably not all
Kashubian people were taken into consideration in his study.
The Use of the Kashubian Language from the Perspective of Young People
193
diglossic situation: many Kashubian speakers cannot write in their language (cf.
Treder, 2006: 52–53).
3
The Questionnaire and Respondents
In this study, we will present selected results of the above-mentioned questionnaire, conducted in September 2010 in Senior Secondary School No. 1
(I Liceum Ogólnokształcące im. Króla Jana III Sobieskiego) in Wejherowo,
a town located in the north of the Pomorskie Province. The language of the
questionnaire was Polish. Some results of the questionnaire, concerning the attitudes of young people to the language and culture, were presented at the conference Regionalność i etniczność w jednoczącej się Europie [Regionalism and
Ethnicity in Uniting Europe], which took place in Wejherowo in October 2010
(Stanulewicz and Aleksandrowska, 2010).
The number of the respondents amounted to 100 (84 female and 16 male
students2). They inhabit the towns of Wejherowo and Reda as well as neighboring villages.
The survey included three questions concerning the knowledge of the Kashubian language which were formulated as follows:
– Is Kashubian used at your home?
– Do you speak Kashubian?
– Did your family use Kashubian in the past? (this question was directed to
the respondents who do not speak Kashubian)
The answers to these questions enabled us to divide the respondents into five
groups:
– Group 1 (17 respondents): the respondents and the members of their
families living with them speak Kashubian;
– Group 2 (2 respondents): the respondents speak Kashubian, but the members of their families living with them do not speak this language;
– Group 3 (18 respondents): the respondents do not speak Kashubian, but
the members of their families living with them use this language at home;
– Group 4 (36 respondents): neither the respondents nor the members of
their families living with them speak Kashubian, but in the past, this language was used by the family (e.g. by their great grandparents);
– Group 5 (27 respondents): neither the respondents nor the members of
their families living with them speak Kashubian; in the past, this lan2
In numerous Polish senior secondary schools offering general education (liceum ogólnokształcące), there are more female than male students.
194
Danuta Stanulewicz
guage was not used by the family (or the respondents did not know or
failed to provide any answer).
However, it should be added that the linguistic situation in some families may be
more complicated. For instance, the respondent, his/her parents and siblings do
not speak Kashubian, but other members of the family (grandparents, aunts and
uncles, cousins), not living with them, use this language for communication.
Table 1 presents details (including gender) concerning the five groups of respondents presented above.
Group 1
Group 2
Group 3
Group 4
Group 5
Gender
Family at home – NKS,
Respondent – KS
Family at home – KS,
Respondent – NKS
Family at home – NKS,
Family in the past – KS,
Respondent – NKS
Family at home – NKS,
Family in the past – NKS,
Respondent – NKS
Respondents and their families: The knowledge of Kashubian (Stanulewicz and
Aleksandrowska, 2010). Key: KS – Kashubian speaker(s), NKS – not speaking
Kashubian
Family at home – KS,
Respondent – KS
Table 1:
F
16
2
16
29
21
84
M
1
–
2
7
6
16
Total
17
2
18
36
27
100
Total
The survey consisted of 40 questions whose aim was – as has already been mentioned – to examine the attitudes of young people towards the Kashubian language and culture. Most questions were addressed to all the respondents; however, there were questions only for Kashubian speakers or only for those who do
not speak this language. Some questions concerned the criteria used to measure
the prestige of a language proposed by Bell (1976: 147–157; discussed in, inter
alia, Wardhaugh, 1986: 30–36; cf. Majewicz, 1989: 14; Stanulewicz, 2010) as
well as the functions of language proposed by Jakobson (1960) and other linguists (cf. Crystal, 1987: 10–13).
In this paper, we will focus on the questions which concentrate mainly on
settings (physical circumstances) and participants (speaker–listener, addressor–
addressee and sender–receiver configurations). The terms setting and partici-
The Use of the Kashubian Language from the Perspective of Young People
195
pants were proposed by Hymes (1974; discussed by, inter alia, Wardhaugh,
1986: 238ff.), who used the acronym SPEAKING covering important factors
involved in a communicative event: S – setting and scene (i.e. psychological and
cultural factors), P – participants, E – ends (outcomes), A – act sequences (form
and content of utterances), K – key (tone, manner, spirit), I – instrumentalities
(channel; language, dialect etc.), N – norms of interaction and interpretation, and
G – genre. All these factors form the ethnographic framework of communication.
4
Results of the Questionnaire
One of the questions addressed to all the respondents concerned the use of Kashubian in their towns and villages. The respondents were to estimate how frequently this language is heard at homes, at school (with Polish as the language
of instruction and no Kashubian classes), at church, in shops, in offices, in clubs,
cafés and restaurants, in the street and other places. It may be predicted that in
such settings as homes the participants of communicative events are typically
family members who are speakers and listeners changing their roles, and during
a sermon the priest acts as the addressor and the believers have the role of addressees (the audience). Tables 2–8 present the answers provided by four groups
of respondents (Groups 1 and 2 are united).
As the figures in Tables 2–8 demonstrate, the Kashubian-speaking respondents and respondents whose families use this language at home (Groups 1, 2
and 3) hear this language – in some cases – more frequently than the respondents in Groups 4 and 5. One of the explanations is probably connected with
switching to Polish in the presence of a person who does not speak Kashubian,
especially in the home setting. Taking into consideration the median value, it
may be observed that the respondents speak Kashubian sometimes at home and
rarely at parties and at school.
196
Danuta Stanulewicz
Group 4
5
13.9%
11
40.7%
1
3.7%
30
29
16
1
0
Total
24
0
0
0
0
Total
3
19
100%3
18
100%
36
100%
27
100%
100
100%
10
52.6%
5
27.8%
15
41.7%
8
29.6%
3
15.8%
7
38.9%
13
36.1%
15
55.6%
1
2.8%
1
3.7%
19
38
38
2
0
0
Total
6
31.6%
5
27.8%
5
13.9%
3
11.1%
No answer
Never
Group 5
Rarely
Frequently
1
5.6%
2
5.6%
Sometimes
Group
0
Group 4
0
Answers to the question: How often is Kashubian heard at school?
Groups 1 & 2
Group 3
0
Total
2
10.5%
3
16.7%
12
33.3%
12
44.4%
No answer
5
26.3%
6
33.3%
16
44.4%
3
11.1%
Never
12
63.2%
9
50%
3
8.3%
Group 5
Table 3:
3
Rarely
Group 3
Sometimes
Groups 1 & 2
Frequently
Answers to the question: How often is Kashubian heard at homes?
Group
Table 2:
19
100%
18
100%
36
100%
27
100%
100
100%
In Tables 2–8 and 10, in some cases, the sums may be slightly different from the total of
100% because of rounding.
The Use of the Kashubian Language from the Perspective of Young People
Never
8
41.1%
9
50%
8
22.2%
10
37%
6
31.6%
3
16.7%
13
36.1%
14
51.9%
2
5.6%
2
7.4%
22
35
36
4
Group 3
0
Group 4
2
5.6%
Group 5
0
Total
3
6
31.6%
8
44.4%
9
25%
5
18.5%
4
21.1%
5
49.4%
10
27.8%
7
25.9%
3
15.8%
1
5.6%
11
30.6%
13
48.1%
1
2.8%
1
3.7%
16
28
26
28
2
0
0
Total
Never
6
31.6%
4
22.2%
5
13.9%
1
3.7%
No answer
Rarely
Total
Sometimes
Group 5
Frequently
Group
Group 4
0
19
100%
18
100%
36
100%
27
100%
100
100%
Answers to the question: How often is Kashubian heard in shops?
Groups 1 & 2
Group 3
0
Total
Rarely
4
21.1%
6
33.3%
11
30.1%
1
3.7%
No answer
Sometimes
1
5.3%
Groups 1 & 2
Table 5:
4
Frequently
Answers to the question: How often is Kashubian heard at church?4
Group
Table 4:
197
19
100%
18
100%
36
100%
27
100%
100
100%
The answers to this question may also indicate whether the local churches offer Mass in
Kashubian and whether the respondents attend it.
198
Danuta Stanulewicz
Group 3
0
Group 4
0
Group 5
0
0
Total
1
4
14
73.7%
12
66.7%
25
69.4%
24
88.9%
1
2.8%
1
3.7%
18
75
2
0
0
19
100%
18
100%
36
100%
27
100%
100
100%
0
Group 4
0
Group 5
0
0
Total
0
10
9
47.4%
4
22.2%
12
33.3%
8
29.6%
7
36.8%
12
66.7%
18
50%
18
66.7%
1
2.8%
1
3.7%
33
55
2
0
0
Total
Group 3
3
15.8%
2
11.1%
5
13.9%
No answer
0
Never
Groups 1 & 2
Rarely
Frequently
Sometimes
Answers to the question: How often is Kashubian heard in clubs,
cafés and restaurants?
Group
Table 7:
2
11.1%
2
5.6%
4
21.1%
4
22.2%
8
22.2%
2
7.4%
Total
0
No answer
1
5.3%
Never
Sometimes
Groups 1 & 2
Rarely
Frequently
Answers to the question: How often is Kashubian heard in offices?
Group
Table 6:
19
100%
18
100%
36
100%
27
100%
100
100%
The Use of the Kashubian Language from the Perspective of Young People
8
42.1%
9
50%
16
44.4%
6
22.2%
3
15.8%
4
22.2%
10
27.8%
12
44.4%
2
10.5%
1
5.6%
3
8.3%
6
22.2%
1
2.8%
3
11.1%
39
29
12
4
Group 5
0
Total
16
0
0
Total
6
36.1%
4
22.2%
6
16.7%
No answer
Never
Group 4
Rarely
Group 3
Sometimes
Groups 1 & 2
Frequently
Answers to the question: How often is Kashubian heard in the street?
Group
Table 8:
199
19
100%
18
100%
36
100%
27
100%
100
100%
If we place the four frequency possibilities – which are ordinal variables – on
a scale and arbitrarily give points to them (frequently – 3, sometimes – 2, rarely
– 1, never and no answer – 0), assuming for the purposes of this study that the
distances between particular frequencies on the scale are equal, we can make
a frequency ranking list of the settings. Table 9 presents such a list, not taking
into consideration the division of the respondents into groups.
Table 9:
A frequency ranking list of settings in which Kashubian is heard
Rank
1
2
3
4
5
6
7
Setting
Home
Street
Shop
Church
School
Club, café, restaurant
Office
Mean Value
1.61
1.55
1.30
0.88
0.65
0.53
0.29
As the data in Table 9 suggest, Kashubian is heard mainly in informal situations:
at homes, in the street and in shops. The participants are most probably family
members, friends and neighbors, whose roles of speakers and listeners change in
communicative events. The last rank is occupied by the office setting, which
suggests that Kashubian is rarely used in formal situations.
200
Danuta Stanulewicz
The 19 Kashubian speakers were also asked in what circumstances (including settings and – in some cases – interlocutors) they use this language. The circumstances are the same as in the previous question – in most cases; slight differences may be observed in the part of the question concerning the use of Kashubian in the street: the Kashubian speakers were expected to estimate how
frequently they employ this language talking to strangers (e.g. asking the way),
whereas in the previous question, addressed to all the respondents, the use of
Kashubian in the street was not necessarily associated with strangers talking to
each other. Also, the setting labeled “at parties etc.” is less specific than the setting “clubs, cafés, restaurants”, as parties and other gatherings of friends may be
held in different places, including homes.
Table 10 presents the respondents’ answers to the question how frequently
they use Kashubian in particular settings, whereas Table 11 contains a ranking
list obtained in the same way as the ranking list in Table 9. Again, it may be observed that Kashubian is a language most frequently used at home as well as in
other settings involving informal situations; and most rarely in formal situations,
in such settings as offices. Taking into consideration the median value (10), it
may be stated that the respondents speak Kashubian sometimes at home and
rarely at parties and at school.
At church
0
0
In shops
0
2
10.5%
In offices
0
0
0
6
31.6%
1
5.3%
0
At parties etc.,
with friends
In the street,
with strangers
0
9
47.4%
8
42.1%
5
26.3%
6
31.6%
2
10.5%
8
42.1%
5
26.3%
0
0
7
36.8%
13
68.4%
10
52.6%
16
84.2%
4
21.1%
11
57.9%
1
5.3%
1
5.3%
1
5.3%
1
5.3%
1
5.3%
2
10.5%
Total
6
31.6%
3
15.8%
No answer
4
21.1%
Never
Sometimes
At home, with
the family
At school, with
other students
Rarely
Frequently
Settings and participants: Kashubian speakers’ self-observation
Settings, Interlocutors
Table 10
19
100%
19
100%
19
100%
19
100%
19
100%
19
100%
19
100%
The Use of the Kashubian Language from the Perspective of Young People
Table 11:
A ranking list of settings and participants: Kashubian speakers’ self-observation
Rank
1
2
3
4
5
6
7
5
201
Setting (Interlocutors)
Home (Family)
Parties etc. (Friends)
School (Students)
Shop
Street (Strangers)
Church
Office
Mean Value
1.74
1.05
0.74
0.53
0.42
0.26
0.11
Conclusion
Although the data presented in this paper come from a relatively small-scale pilot study, they allow us to make several concluding remarks.
As has been demonstrated, the young people investigated in this study perceive Kashubian as a language used mainly at home. The Kashubian speaking
informants additionally support this view, observing that they themselves employ this language in communication mostly with the members of their families
and friends. Moreover, it follows from the results of the questionnaire that the
majority of them do not happen to use Kashubian frequently, even at home. The
figures in Tables 10 and 11 are not surprising when we recall Mordawski’s
(2005) findings concerning the percentage (35.8) of Kashubian people who
never use this language. Moreover, the data presented in section 3 of this paper
point to language loss in many families: Group 4, in which neither the respondents nor their parents speak Kashubian but their ancestors did, is the largest
one. It is also tempting to ask whether the respondents belonging to Group 3
(whose families speak Kashubian but they themselves do not) will begin to use
Kashubian in the future, because of staying with partners and friends speaking
this language or because of returning to their Kashubian roots (Stanulewicz and
Aleksandrowska, 2010).
Acknowledgments
First of all, I wish to express my deep gratitude to Ms. Olga Aleksandrowska for
her cooperation in conducting the pilot study. My sincere thanks also go to Ms.
Bożena Conradi, Principal of I Liceum Ogólnokształcące im. Króla Jana III Sobieskiego in Wejherowo, as well as to the teachers who conducted the questionnaire among their students: Ms. Aleksandra Kania, Ms. Justyna Makowska-Be-
202
Danuta Stanulewicz
dynek, Ms. Ewa Miziarska, Ms. Dominika Serowy, and Ms. Beata Staszak. I am
also really grateful to Dr. Beata Jackowska of the Department of Statistics, University of Gdańsk, for her explanations concerning the statistical aspects of the
study.
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203
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Abbildung konzeptueller Ereignisschemata
durch die sprachliche Struktur.
Ein deutsch-ungarischer Vergleich 1
József Tóth
1
Zielsetzung
Ich gehe davon aus, dass die Bedeutungsrepräsentation eines Verbs sowohl im
Deutschen als auch im Ungarischen in der Repräsentation seiner Ereignisstruktur besteht, was bedeutet, dass Verben Ereignisse bezeichnen, die aus miteinander über verschiedene Relationen verknüpften Teilereignissen verschiedener
Sorten bestehen. Diese Teilereignisse sind wiederum über semantische Relationen verbunden (Pustejovsky 1988, 1991, 1995; Engelberg 1994, 1995a,b, 2000;
Tóth 2006, 2007). Strukturierte Ereigniskomplexe können im Deutschen und
Ungarischen modelliert und miteinander verglichen werden, um so den ereignisstrukturbasierten Ansatz vor dem Hintergrund einer vergleichenden verbsemantischen Analyse weiterzuentwickeln (Tóth 2010a,b). In dem vorliegenden Beitrag wird untersucht, wie konzeptuelle Ereignisschemata durch die sprachliche
Struktur abgebildet werden. Sätze sind nicht nur linear, sondern auch hierarchisch geordnet, deshalb wird zunächst ihre hierarchische Struktur in zwei genetisch nicht verwandten und auch typologisch unterschiedlichen Sprachen veranschaulicht. Ich betrachte danach, wie der Linearisierungsprozess verläuft. Ereignisse müssen in der Vorstellungs- und Erfahrungswelt des Sprechers verankert sein. Die Elemente zur Verankerung von Ereignissen können auch durch
grammatische Faktoren (z. B. Satzmodus, Modalität, Tempus, Verlaufsform)
ausgedrückt werden; deshalb stehen die verankernden Elemente eines Satzes im
Mittelpunkt zukünftiger vergleichender deutsch-ungarischer Untersuchungen.
2
Konzeptuelle Ereignisschemata im Sprachvergleich
Ein Ereignis (Stoecker 1992, Kiefer 2000, 2006) wird als komplexes Ganzes in
unserer Vorstellungs- und Erfahrungswelt beschrieben. In der Forschungsliteratur (Pörings/Schmitz 2003; Tóth 2010a) werden Ereignisse nach einer begrenzten Anzahl von Typen kategorisiert; so werden folgende Ereignisschemata un1
Der vorliegende Aufsatz ist Teil einer umfangreicheren Arbeit unter dem Titel „Ereignis
als komplexes Ganzes in unserer Vorstellungs- und Erfahrungswelt: Ereignisstrukturbasierte grammatisch-semantische Analyse im Sprachvergleich (Deutsch–Ungarisch)“.
206
József Tóth
terschieden: Essivschema, Vorgangsschema, Handlungsschema, Erfahrungsschema, Besitzschema, Bewegungsschema, Übertragungsschema. Im vorliegenden Beitrag wird zunächst bestimmt, welchem Ereignisschema die vorliegenden
deutschen und ungarischen Beispielsätze2 zugeordnet werden können. Die
Prädikate werden sowohl im Deutschen als auch im Ungarischen kursiv gedruckt.
(1) a.
An einem sonnigen Morgen stößt ein Jemand innerhalb seiner Wohnung auf
ein amtliches Schreiben: es liegt auf dem Frühstückstisch neben der Tasse.
Erfahrungsschema + Essivschema
(1) b.
Egy napfényes reggelen Valaki a lakásában hivatalos írásra bukkan: a
reggelizőasztalon hever, a csésze mellett.
Erfahrungsschema + Essivschema
(2) a.
Wie es dahin kam, ist ungewiß.
Erfahrungsschema + Essivschema
(2) b.
Nem lehet tudni, hogyan került oda.
Erfahrungsschema + Essivschema
(3) a.
Kaum geöffnet, überfällt es den Lesenden mit einer Aufforderung:
Handlungsschema + Handlungsschema
(3) b.
Kinyitja, és máris a következő felszólítással támadnak rá a sorok:
Handlungsschema + Handlungsschema
(4) a.
Sie haben sich, befiehlt der amtliche Druck auf dem grauen, lappigen Papier,
am 5. November des laufenden Jahres morgens acht Uhr in der Herrentoilette
des Zentralbahnhofes zwecks Ihrer Hinrichtung einzufinden.
Bewegungsschema + Handlungsschema
(4) b.
Jelenjék meg, parancsolja a hivatalos nyomtatvány a tépett szélű szürke papíron, folyó év november 5-én, reggel 8 órakor a központi pályaudvar férfimosdójában, kivégzése céljából.
Bewegungsschema + Handlungsschema
(5) a.
Für Sie ist Kabine 18 vorgesehen.
Essivschema
2
Die Textbeispiele sind Günter Kunerts Kurzgeschichte Zentralbahnhof (1972) sowie ichrer ungarischen Übersetzung von Mária Ember Központi pályaudvar (1969) entnommen.
Abbildung konzeptueller Ereignisschemata durch die sprachliche Struktur
(5) b.
2.1
207
Az Ön számára kijelölt fülke száma: 18.
Essivschema
Zwischenbilanz
In den angeführten Ereignissen sind mehrere begriffliche Einheiten wie zum
Beispiel Teilnehmer in semantischen Teilnehmerrollen (Agens, Besitzer, Empfänger, Erfahrungszentrum, Essiv, Objekt, Patiens, Ziel etc.) involviert (Löbner
2003). Eine ausführlichere Beschreibung aller möglichen kleinen Details, Personen und Dinge, die in irgendeiner Weise an diesem Ereignis beteiligt sind,
würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Eindeutig lässt sich aber feststellen, dass jeder Satz von der konzeptuellen Seite her gesehen ein Ereignis ausdrückt und es zwischen den deutschen bzw. ungarischen Sätzen bezüglich der
Zuordnung zum jeweiligen Ereignisschema überhaupt keinen Unterschied gibt.
Auf diese Weise wird die Hypothese, dass beide Sprachen auf der konzeptuellen
Ebene von den gleichen konzeptuellen Mustern gesteuert werden, verifiziert.
3
Sprachliche Struktur: Hierarchische Struktur der Sätze im
Sprachvergleich
Die Sätze sind sowohl hierarchisch als auch linear geordnet. An dieser Stelle
wird aus Platzgründen auf die Veranschaulichung der hierarchischen Struktur
der Sätze verzichtet, stattdessen werden nur die Satzkonstituenten, also die
Kompositionsstruktur der deutschen bzw. der ungarischen Sätze, bestimmt
Engel 2004; Keszler/Lengyel 2008). Zusätzlich werden auch Satzbauplan und
Satzmuster angegeben sowie fakultative Satzglieder durch Klammerung gekennzeichnet. An dieser Stelle wird diskutiert, wie konzeptuelle Muster typischerweise im Deutschen bzw. im Ungarischen sprachlich zum Ausdruck gebracht werden können.
3.1
Satzglieder im Deutschen
An einem sonnigen Morgen stößt ein Jemand innerhalb seiner Wohnung auf ein
amtliches Schreiben: es liegt auf dem Frühstückstisch neben der Tasse.
(Satz 1) Atemp → an einem sonnigen Morgen, PK → stößt, Esub → ein Jemand,
Aloc → innerhalb seiner Wohnung, Eprp → auf ein amtliches Schreiben
(Satz 2) Esub → es, PK → liegt, Aloc/Esit → auf dem Frühstückstisch, Esit/Aloc →
neben der Tasse
208
3.1.1
József Tóth
Satzmuster und Satzbauplan im Deutschen
stoßen <sub prp>
[An einem sonnigen Morgen] stößt ein Jemand [innerhalb seiner Wohnung] auf
ein amtliches Schreiben:
liegen <sub sit>
es liegt auf dem Frühstückstisch [neben der Tasse] oder es liegt [auf dem Frühstückstisch] neben der Tasse.
3.2
Satzglieder im Ungarischen
Egy napfényes reggelen Valaki a lakásában hivatalos írásra bukkan: a reggelizőasztalon hever, a csésze mellett.
(Satz 1) Attq → napfényes, Besttemp→ reggelen, S → Valaki, Bestloc → lakásában, Attq → hivatalos, Bestasem → írásra, PK → bukkan
(Satz 2) Bestloc → reggelizőasztalon, PK → hever, Bestloc → a csésze mellett
3.2.1
Satzmuster und Satzbauplan im Ungarischen
bukkan <sub Bestasem>
hever <{sub} Bestloc>
[Egy napfényes] [reggelen] Valaki [a lakásában] [hivatalos] írásra bukkan: a
reggelizőasztalon hever, [a csésze mellett].
3.3
Satzglieder im Deutschen
Wie es dahin kam, ist ungewiß.
Esub (Ergänzungssatz-Komplex: Subjektsatz) → wie es dahin kam, PK → ist,
Eprd → ungewiß
3.3.1
Satzmuster und Satzbauplan im Deutschen
sein <sub prd> [sub: hier Ergänzungssatz-Komplex: Subjektsatz]
Wie es dahin kam, ist ungewiß.
3.4
Satzglieder im Ungarischen
Nem lehet tudni, hogyan került oda.
(unterordnender zusammengesetzter Satz: Haupt- und Nebensatz/Objekt)
(HS) PK → nem lehet, O → tudni, (NS/Objekt) Bestmod → hogyan, PK → került
oda
Abbildung konzeptueller Ereignisschemata durch die sprachliche Struktur
3.4.1
209
Satzmuster und Satzbauplan im Ungarischen
lehet <O>
odakerül < Bestmod>
[Nem] lehet tudni, hogyan került oda.
3.5
Satzglieder im Deutschen
Kaum geöffnet, überfällt es den Lesenden mit einer Aufforderung.
Atemp → kaum geöffnet, PK → überfällt, ESub → es [= das amtliche Schreiben],
EAkk → den Lesenden, Eprp → mit einer Aufforderung
3.5.1
Satzmuster und Satzbauplan im Deutschen
überfallen <sub akk prp>
Kaum geöffnet, überfällt es den Lesenden mit einer Aufforderung.
3.6
Satzglieder im Ungarischen
Kinyitja, és máris a következő felszólítással támadnak rá a sorok:
(HS) PK → kinyitja, (HS) Besttemp → máris, Attq → következő, Bestins →
felszólítással, PK → támadnak rá, S → sorok
3.6.1
Satzmuster und Satzbauplan im Ungarischen
kinyitja <->
rátámad <sub>
Kinyitja, [és] [máris] [a következő] [felszólítással] támadnak rá a sorok:
3.7
Satzglieder im Deutschen
Sie haben sich, befiehlt der amtliche Druck auf dem grauen, lappigen Papier,
am 5. November des laufenden Jahres morgens acht Uhr in der Herrentoilette
des Zentralbahnhofes zwecks Ihrer Hinrichtung einzufinden.
(Satz 1) PK → befiehlt, Esub → der amtliche Druck auf dem grauen, lappigen
Papier, Eakk → (= Satz 2)
(Satz 2) Esub → Sie, PK → haben sich … einzufinden, Atemp / Esit → am 5. November des laufenden Jahres morgens acht Uhr, Esit / Aloc → in der Herrentoilette des Zentralbahnhofes, Afin → zwecks Ihrer Hinrichtung
3.7.1
Satzmuster und Satzbauplan im Deutschen
befehlen <sub akk>
haben sich … einzufinden <sub sit>
210
József Tóth
[Das] befiehlt der amtliche Druck auf dem grauen, lappigen Papier:
Sie haben sich … [am 5. November des laufenden Jahres morgens acht Uhr] /
am 5. November des laufenden Jahres morgens acht Uhr in der Herrentoilette
des Zentralbahnhofes / [in der Herrentoilette des Zentralbahnhofes] [zwecks Ihrer Hinrichtung] einzufinden.
3.8
Satzglieder im Ungarischen
Jelenjék meg, parancsolja a hivatalos nyomtatvány a tépett szélű szürke papíron, folyó év november 5-én, reggel 8 órakor a központi pályaudvar férfimosdójában, kivégzése céljából.
(Satz 1) parancsolja, Attq → hivatalos, S → nyomtatvány, Attq → tépett szélű,
szürke, Bestloc → papíron, O → (Satz 2)
(Satz 2) PK → jelenjék meg, Attq → folyó, Attp → év, november, Besttemp → 5én reggel 8 órakor, Attq → központi, Attp → pályaudvar, Bestloc →
férfimosdójában, Bestfin → kivégzése céljából
3.8.1
Satzmuster und Satzbauplan im Ungarischen
megjelenik <sub>
parancsolja <sub>
Jelenjék meg, parancsolja a [hivatalos] nyomtatvány [a] [tépett] [szélű] [szürke]
[papíron], [folyó] [év] [november 5-én, reggel 8 órakor] [a] [központi] [pályaudvar] [férfimosdójában], [kivégzése céljából].
3.9
Satzglieder im Deutschen
Für Sie ist Kabine 18 vorgesehen.
Eprp → für Sie, PK → ist … vorgesehen, Esub → Kabine 18
3.9.1
Satzmuster und Satzbauplan im Deutschen
sein, vorsehen (im Passiv) <sub prp>
Für Sie ist Kabine 18 vorgesehen.
3.10
Satzglieder im Ungarischen
Az Ön számára kijelölt fülke száma: 18.
Bestasem → Ön számára, Attq → kijelölt, Attp → fülke, S → száma, PK → 18
Abbildung konzeptueller Ereignisschemata durch die sprachliche Struktur
211
3.10.1 Satzmuster und Satzbauplan im Ungarischen
<–>
Az Ön számára kijelölt fülke száma: 18.
3.11
Zwischenbilanz
Werden die deutschen Satzglieder mit den ungarischen bzw. die deutschen
Satzmuster und Satzbaupläne mit den ungarischen verglichen, lässt sich feststellen, dass es zwischen den zwei Sprachen gravierende Unterschiede gibt. In
den deutschen Beispielsätzen werden Ergänzungen (subklassenspezifisch, in der
Regel obligatorisch) und Angaben (aspezifisch vom Verb abhängig, fakultativ)
angegeben. Ergänzungen mit dem zentralen Verb konstituieren die Minimalstruktur des Satzes, die sich in den Satzmustern niederschlägt. Mit dem Hinzutritt der Satzangaben ergibt sich die Maximalstruktur des Satzes, die der Satzbauplan darstellt. Wenn der Satz keine Angaben enthält, sind Minimal- und
Maximalstruktur identisch. In jedem Beispiel ist die Gleichheit, die Ähnlichkeit
oder eben der Unterschied zwischen den deutschen und ungarischen Sätzen auch
bezüglich des Satzbauplans bzw. des Satzmusters ersichtlich (Engel 2004). In
den deutschen Sätzen kommen neben dem Prädikat folgende Ergänzungen und
Angaben vor: Subjekt, Akkusativ-, Präpositiv-, Situativ- und Prädikativergänzung sowie Temporal-, Lokal- und Finalangabe. Es ist auch ein deutscher Ergänzungssatz-Komplex zu finden. Die wort- und satzzentrierte ungarische
Grammatik folgt den früheren klassischen Traditionen der Grammatikschreibung, es werden aber auch schon die Ergebnisse der neuesten ungarischen und
anderen europäischen Forschungen berücksichtigt (Keszler/Lengyel 2008).
Auch die ungarischen Sätze werden in Minimalsätze (enthalten außer dem Prädikat nur seine obligatorischen Ergänzungen) und erweiterte Sätze (enthalten
außer dem Minimalsatz Erweiterungen, fakultative Ergänzungen oder freie Angaben) unterteilt. In der vorliegenden Studie wurde – infolge der strukturellen
Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Ungarischen – die Terminologie der deutschsprachigen ungarischen Grammatik von Keszler/Lengyel (2008)
berücksichtigt. Aus den Konstruktionsprinzipien des Ungarischen, einer finnougrischen Sprache, ergeben sich außer dem Prädikat folgende Satzglieder: Subjekt, Objekt, asemantische Bestimmung, Lokal-, Temporal-, Modal-, Instrumental- und Finalbestimmung sowie Possessiv- und Qualifizierungsattribut.
212
4
József Tóth
Sprachliche Struktur: Lineare Struktur der Sätze im
Sprachvergleich
Auf der sprachlichen Ebene spiegelt die Wortstellung eines Satzes wider, wie
die Teilnehmer eines Ereignisses auf der konzeptuellen Ebene zueinander in Beziehung gesetzt werden. Zunächst wird die morphologische Gestalt der einzelnen Teilnehmer im Deutschen und Ungarischen bestimmt und danach wird betrachtet, wie der Linearisierungsprozess in beiden Sprachen verläuft. Hier wird
ersichtlich, auf welche Weise die zwei Sprachen von den Positionen für die einzelnen Satzkonstituenten Gebrauch machen.
4.1
Ausdrucksform und Wortstellung im Deutschen
an einem sonnigen Morgen → Präpositionalphrase, stößt → Verb, ein Jemand
→ Nominalphrase, innerhalb seiner Wohnung → Präpositionalphrase, auf ein
amtliches Schreiben → Präpositionalphrase --- es → Pronomen, liegt → Verb,
auf dem Frühstückstisch → Präpositionalphrase, neben der Tasse →
Präpositionalphrase
Atemp + PK + Esub + Aloc + Eprp --- Esub + PK + Aloc/Esit + Esit/Aloc
4.2
Ausdrucksform und Wortstellung im Ungarischen
egy → unbestimmter Artikel, napfényes → Adjektiv, reggelen → Substantiv,
Valaki → Indefinitpronomen, a → bestimmter Artikel, lakásában → Substantiv,
hivatalos → Adjektiv, írásra → Substantiv, bukkan → Verb --- a → bestimmter
Artikel, reggelizőasztalon → Substantiv, hever → Verb, a → bestimmter Artikel, csésze → Substantiv, mellett → Postposition
Attq + Besttemp + S + Bestloc + Attq + Bestasem + PK + Bestloc + PK + Bestloc
4.3
Ausdrucksform und Wortstellung im Deutschen
[wie → Interrogativpronomen, es → Pronominalform, dahin → Adverb, kam →
Verb] → Subjektsatz, ist → Verb, ungewiß → prädikatives Adjektiv
Ergänzungssatz-Komplex: Subjektsatz + PK + Eprd
4.4
Ausdrucksform und Wortstellung im Ungarischen
nem → Negationswort, lehet tudni → Verbalphrase, hogyan → adverbiales Pronomen, került oda → Verbalphrase
PK + O + Bestmod + PK
Abbildung konzeptueller Ereignisschemata durch die sprachliche Struktur
4.5
213
Ausdrucksform und Wortstellung im Deutschen
[kaum → Adverb, geöffnet → Partizip Perfekt] → Partizipialkonstruktion,
überfällt → Verb, es → Pronominalform, den Lesenden → Nominalphrase, mit
einer Aufforderung → Präpositionalphrase
Atemp + PK + Esub + EAkk + Eprp
4.6
Ausdrucksform und Wortstellung im Ungarischen
kinyitja → Verb, és → Konjunktion, máris → Adverb, a → bestimmter Artikel,
következő → Adjektiv, felszólítással → Substantiv, támadnak rá → Verbalphrase, a → bestimmter Artikel, sorok → Substantiv
PK + Besttemp + Attq + Bestins + PK + S
4.7
Ausdrucksform und Wortstellung im Deutschen
… befiehlt → Verb, der amtliche Druck → Nominalphrase, auf dem grauen,
lappigen Papier → Präpositionalphrase ….
Sie → Pronomen, haben sich … einzufinden → Verbalphrase, … am 5. November des laufenden Jahres morgens acht Uhr → Präpositionalphrase, in der Herrentoilette des Zentralbahnhofes → Präpositionalphrase, zwecks Ihrer Hinrichtung → Präpositionalphrase
PK + Esub + Eakk (= Esub + PK … + Atemp/Esit + Esit/Aloc + Afin)
4.8
Ausdrucksform und Wortstellung im Ungarischen
Jelenjék meg, parancsolja → Verbalphrase, a → bestimmter Artikel, hivatalos
→ Adjektiv, nyomtatvány → Substantiv, a → bestimmter Artikel, tépett szélű →
Adjektiv, szürke → Adjektiv, papíron → Substantiv, folyó → Adjektiv, év →
Substantiv, november → Substantiv, 5-én → Adverb, reggel → Adverb, 8 órakor → Adverb, a → bestimmter Artikel, központi → Adjektiv, pályaudvar férfimosdójában → Nominalphrase, kivégzése céljából → Nominalphrase
PK + Attq + S + Attq + Bestloc + Attq + Attp + Besttemp + Attq + Attp + Bestloc +
Bestfin
4.9
Ausdrucksform und Wortstellung im Deutschen
für Sie → Präpositionalphrase, ist … vorgesehen → Verbalphrase, Kabine 18 →
Nominalphrase
Eprp + PK + Esub
214
4.10
József Tóth
Ausdrucksform und Wortstellung im Ungarischen
az → bestimmter Artikel, Ön → Personalpronomen, számára → Postposition,
kijelölt → Adjektiv, fülke száma → Nominalphrase, 18 → Adjektiv (Numerale)
Bestasem + Attq + Attp + S + PK
4.11
Zwischenbilanz
Aus dem Vergleich der morphologischen Gestalt und der Wortstellung der Satzkonstituenten beider Sprachen werden einerseits die Wortartzugehörigkeit der
deutschen und der ungarischen Wörter, andererseits die Reihenfolge der einzelnen Satzkonstituenten in beiden Sprachen mit erheblichen Unterschieden erkennbar. Bei der Bestimmung der Wortartklassen der deutschen und der ungarischen Gegenwartssprache wurden Engels Deutsche Grammatik (2004) und
Keszlers/Lengyels deutschsprachige Ungarische Grammatik (2008) herangezogen.
5
Zusammenfassung
Durch die untersuchten fünf deutschen Sätze und deren ungarische Entsprechungen kann sprachlich ausgedrückt werden, wie komplexe, in sich vollständige Ereignisse in unserer Vorstellungs- und Erfahrungswelt zu konstruieren
sind. Von der konzeptuellen Seite her gesehen bestehen solche Ereignisse immer
aus mehreren begrifflichen Einheiten, die durch ein bestimmtes, für sich genommen ein einzigartiges Ereignis bezeichnendes Verb zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Diesen Ereignisschemata sind auf der sprachlichen
Seite typische hierarchische und lineare Strukturen zuzuordnen. So lässt es sich
in dem vorliegenden Beitrag deutlich aufzeigen, inwiefern ein deutscher Satz
und dessen ungarisches Äquivalent ein sowohl konzeptuell als auch sprachlich
in sich abgeschlossenes Ganzes gleicher bzw. eher unterschiedlicher Struktur
besitzt. Das Verhältnis zwischen einem Ereignis und dem Satz, mit dem dieses
Ereignis beschrieben wird, ist in beiden Sprachen durch einen unterschiedlichen
Prozess der Abstraktion gekennzeichnet.
Literatur
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Abbildung konzeptueller Ereignisschemata durch die sprachliche Struktur
215
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Engelberg, Stefan (1995b): Event Structure and Lexical Semantics. Paper Presented at SCIL,
VII, University of Connecticut, Storrs, April 1995.
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16).
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Quellen:
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Kunert, Günter (1969): Kicsi zöld emberkék. Ford.: Ember, Mária (1969). Budapest: Európa.
Interkulturelle Kommunikation aus der
Erfahrungsperspektive moderner Europäer
Bärbel Treichel
1
Einleitung: Kulturkontakt und interkulturelle
Kommunikation in Europa
Gegenstand dieses Artikels ist interkulturelle Kommunikation als ein bemerkenswerter Aspekt der Lebenspraxis moderner Europäer. Viele Lebensbereiche,
die uns betreffen, sind heute durch Europa strukturiert. Geöffnete Arbeitsmärkte
schaffen Chancen des interkulturellen Kontakts, gleichzeitig sehen sich viele
Arbeitnehmer in Europa mit erhöhten Mobilitätsanforderungen konfrontiert. Im
Ausbildungssystem, etwa durch das „Life-Long-Learning“-Programm oder den
Erasmus-Austausch, sind Mobilitätschancen angelegt, die auch immer den Aspekt der Verpflichtung mit sich bringen. Für viele heutige Europäer ist Mobilität
so sehr Teil ihrer Lebenswelt, dass es erklärungsbedürftig erscheint, wenn sie
nicht mobil sind.
Mit den Kategorien Alfred Schütz’ gesprochen, sind Migration und Kulturkontakt für moderne Europäer lebensweltlich bedeutsame Phänomene, die der
Welt in aktueller Reichweite angehören. Schaut man die lebensgeschichtlichen
Erzählungen solcher Europäer an, so zeigt sich, dass sie sich handelnd und erfahrend mit Migration und Kulturkontakt auseinandersetzen. Immer wieder
werden auch Anlässe interkultureller Kommunikation thematisch – sie zählen
sozusagen zum geläufigen Handlungsrahmen moderner Europäer –, und es
kommt zu fokussierten szenischen Ausarbeitungen solcher Situationen in biographischen Erzählungen.
Wenn moderne Europäer über Europa nachdenken, sind sie nicht allein auf
öffentliche Diskurse verwiesen, die Europa überwiegend hinsichtlich seiner
wirtschaftlichen und politischen Dimensionen im Einigungsprozess thematisieren. Indem sie auf vielfältige Weisen mit Europa in Kontakt kommen, entwickelt sich neben dem offiziellen Sprechen über Europa auch ein Europa der Lebenswelten, das individuellen Erfahrungen mit Europa einen Platz einräumt
(Bethge & Treichel, im Druck) und das auch eine emotionale Verbundenheit der
Bürger mit Europa offenbart (Treichel & Bethge, im Druck). Dass der Aspekt
der Muttersprache und Fragen der Sprachlichkeit eine wichtige Rolle bei der
Beziehung individueller Bürger zu Europa spielen, liegt auf der Hand (Treichel
& Bethge 2010).
218
Bärbel Treichel
Wir haben es hier weniger mit einem Europa der Diskurse als mit einem Europa der Handlungs- und Erfahrungszusammenhänge zu tun. Habermas stellt
fest, dass „wir mit den in der Welt existierenden Gegenständen nicht primär auf
der Ebene von Diskursen zurechtkommen müssen, sondern ‚in Handlungs- und
Erfahrungszusammenhängen‘ “ (2009: 24). Viele Europäer, die eine Sensibilität
für Europa entwickelt haben, beschreiben solche Handlungs- und Erfahrungszusammenhänge in Gestalt von Anlässen interkultureller Kommunikation. Hier
findet sich der Ort, an dem Kulturkontakt gegenständlich wird, nämlich als Encounter im Sinne von Goffman (1961, 1974): als fokussierte soziale Situation,
die in ihrem Ablauf, hinsichtlich sozialer Rahmen und beteiligter Akteure und in
ihren symbolischen Bedeutungen beschrieben werden kann.
2
Zur Ethnographie interkultureller Kommunikation
Knapp definiert interkulturelle Kommunikation als „interpersonale Interaktion
zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kommunikationsgemeinschaften, die
hinsichtlich der ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbestände und
Formen sprachlichen Handelns differieren“ (2007: 415). Eingeschlossen und
von Interkulturalität betroffen sind damit sowohl referentielle Bedeutungen von
Lexemen als auch pragmatische Funktionen kommunikativer Muster und soziale
Interpretationen, die sich auf Einzelphänomene wie prosodische Merkmale sowie auf Sprech- und Äußerungsakte und das Inventar der Beziehungsgestaltung
richten können.
Gumperz (1982) sieht sozial-symbolische Interpretationen auf allen Ebenen
der Versprachlichung, und er wendet sich gegen eine Unterteilung der Analyseebenen in soziale auf der einen und linguistische Komponenten auf der anderen
Seite. Gerade bei Problemen in interkultureller Kommunikation werde diese
Verquickung der Ebenen besonders augenfällig. Kontextualisierungshinweise
wie Intonation, Sprechpausen und Rückmeldesignale, aber auch verbale Verfahren der Äußerungsstrukturierung als linguistische Indikatoren soziokultureller
Rahmungen sind unter anderem für die Rhythmizität von Interaktionsverläufen
verantwortlich. Erickson & Shultz (1982) haben gezeigt, dass sich interkulturelle Interaktionen durch „uncomfortable moments“ auszeichnen können, das
sind Passagen, in denen die Rhythmizität der wechselseitigen Bezugnahme aufeinander – etwa durch Erklärungskaskaden – verloren geht. Interaktanten fällt es
nicht schwer, solche asynchronen Interaktionspassagen zu identifizieren, sie haben jedoch Probleme, die konkreten Merkmale der Asynchronie zu benennen.
Erickson und Shultz’ Untersuchung liegen Beratungsinteraktionen zugrunde,
und es stellt sich letztlich heraus, dass Ratsuchende in interkulturellen Kontex-
Interkulturelle Kommunikation aus der Erfahrungsperspektive moderner Europäer 219
ten aufgrund der interaktiven Dissonanzen schlechter beraten werden (Erickson
& Shultz 1982: Kap. 5). Dissonanzen in interkultureller Kommunikation hat
auch Hamel (1988) untersucht. In seiner Studie zu Diglossie und Sprachenkonflikt im mexikanischen Valle del Mezquital spielen auch unpassende und
schlecht beherrschte kommunikative Genres eine Rolle, die den otomisprachigen Ortsgesellschaften zur Verwaltung ihrer Angelegenheiten von der mexikanischen Politik aufgedrängt werden (zu Genres vgl. auch Swales 1990; Martin &
Rose 2008).
Diese und andere Studien haben den Forschungsrahmen der interpretativen
oder interaktionalen Soziolinguistik entwickelt und wesentlich geprägt. Interkulturelle Kommunikation spielt in der interaktionalen Soziolinguistik immer
wieder eine Rolle, weil dort aufgrund ihrer besonderen Störungsanfälligkeit die
grundlegenden Mechanismen kommunikativer Prozesse besonders konturiert
hervortreten. Zu nennen sind hier Arbeiten zur Kategorie Gastarbeiterdeutsch
(Rehbein 1985; Hinnenkamp 1985) und zu Russlanddeutschen (Meng & Protassova 2005) sowie zum deutsch-türkischen Kulturkontakt (Keim 2005). In der
modernen Kulturkontaktforschung kommen zunehmend hybride kulturelle Erscheinungen in den Blick; diese resultieren aus dem Kulturkontakt, begründen
aber als eigenständige Mischformen eine Identität neben den in Kontakt stehenden (Burke 2009; Hinnenkamp 2005; als Überblick Kotthoff & Spencer-Oatey
2007).
In diesem Beitrag greife ich auf ein Erzählkorpus zurück, das im Zusammenhang mit einem von der Europäischen Kommission geförderten internationalen Projekt zu europäischen Identitätskonstruktionen1 entstanden ist. Es widmet sich individuellen Erfahrungen mit Europa, und zwar solchen, die Bürger
Europas gemacht haben, nachdem sie mit Europa – etwa durch Migration oder
die Teilnahme an einem Erasmusaustausch – intensiv in Kontakt getreten sind.
Europa in lebensweltlich-biographischer Perspektive wird auch geprägt
durch Episoden interkultureller Kommunikation. Diese nehmen oft einen wichtigen Raum in den biographischen Erzählungen ein: Sie kommen an prominenter
Stelle – etwa in der Nähe der Erzählcoda oder bei der Darstellung von Erlebnishöhepunkten – zur Sprache, oder sie werden mit besonderem Detailreichtum
erzählt. Es gibt auch Darstellungen interkultureller Kommunikation, die in einen
argumentativen Darstellungszusammenhang eingebettet sind und dort als Argument zur Stützung einer zentralen Proposition angeführt werden. In allen Fällen
erfüllen Darstellungen interkultureller Kommunikation wichtige Funktionen im
1
Es handelt sich um ein Forschungsprojekt aus dem VII. Rahmenprogramm der
Europäischen Gemeinschaft, Fördernummer 231998.
220
Bärbel Treichel
Genre der biographischen Erzählung, und sie nehmen einen prominenten Platz
in der Erfahrungsbildung des jeweiligen Erzählers ein.
Unsere Informanten liefern quasi-ethnographische Accounts interkultureller
Kommunikationen, wie sie in Handlungs- und Erfahrungszusammenhängen
vorkommen, an denen sie selbst beteiligt waren. Die Ethnographie der Kommunikation rechnet Kommunikation den kulturellen Systemen zu, und sie untersucht Kommunikation „as it functions within the holistic context of culture, and
as it relates to patterns of other component systems“ (Saville-Troike 1982: 1).
Gerade in Situationen interkultureller Kommunikation steht die kommunikative
Kompetenz beteiligter Akteure in Frage. Sie geraten in Unsicherheit darüber,
welches kommunikative Verhalten in der gegebenen Situation als angemessen
gilt, welche Regeln der Kommunikation gültig sind und welche kulturellen Regeln und Wissenssysteme involviert sind. Ethnographische Beschreibungen
kommunikativer Situationen sind immer auch mit sozialer Information befasst,
die im kommunikativen Prozess mit vermittelt wird. In der Beschreibung interkultureller Interaktionen setzen sich unsere Informanten auch mit den sozialen
Rahmen und Bedeutungen auseinander. Sie zeigen in ihren Erzählungen an, aufgrund welcher Datenlage sie zu welchen Interpretationen kommen.
Es handelt sich beim vorliegenden Datenmaterial um Erzählungen über interkulturelle Begegnungen, die in größere biographische Erzählungen eingelagert sind. Der Erzählprozess wirkt als erkenntnisgenerierendes Verfahren und
liefert den notwendigen Detaillierungsdruck, der auch komplizierten Zusammenhängen oder Dingen, über die man lieber schweigen würde, zur Darstellung
verhilft. Zudem sind unsere Informanten Experten des konkreten Kulturkontakts, in den sie in einem längeren Auslandsaufenthalt, den sie nicht bloß als
Reisende erleben, eingebunden sind.
Die Begründer der Ethnographie der Kommunikation, etwa Saville-Troike
(1982), haben die interkulturelle Kommunikation und mehrsprachige Situationen schon frühzeitig ins Auge gefasst. Prozesse der Bedeutungskonstruktion und
-aushandlung sind dort besonders anfällig für Missverständnisse und sie kommen gerade deshalb fokussiert in den Aufmerksamkeitshorizont. Gleichzeitig
kann angenommen werden, dass mehrsprachige und mehrkulturelle Interaktanten über ein breiteres Repertoire an kommunikativen Ressourcen verfügen, um
solchen Interaktionen zu begegnen. In dieser Hinsicht können unsere Informanten als Experten für die kommunikativen Dimensionen des Europäisierungsprozesses gelten. Es geht um Gestalt und Bedeutung interkultureller Kommunikation in ihren Biographien und immer sind auch Identitätsbildungsprozesse betroffen. “Factors which should be taken into account for analysis of cross-cultural communication importantly include aspects of identity and even perceptions of morality which may be involved” (Saville-Troike 1982: 170).
Interkulturelle Kommunikation aus der Erfahrungsperspektive moderner Europäer 221
Expertise in interkultureller Kommunikation ist in diesem Sinne keine abgehobene Fähigkeit, die den konkreten Diskurssystemen übergeordnet angesiedelt
ist. Expertise in interkultureller Kommunikation verlangt die vertiefte Auseinandersetzung mit anderen Diskurssystemen im permanenten Bewusstsein, dass
Diskurssysteme Identitätsbezüge haben und dass man als Kommunikator in einer fremden Welt immer wieder an Grenzen stößt, mit denen umzugehen man
lernen muss. Wie Scollon & Scollon es formulieren:
We believe that the most successful professional communicator is not the one who
believes he or she is an expert in crossing the boundaries of discourse systems, but,
rather, the person who strives to learn as much as possible about other discourse
systems while recognizing that except within his or her own discourse systems he or
she is likely to always remain a novice. We believe that effective communication requires study of cultural and discourse differences on the one hand, but also requires
a recognition of one’s own limitations. (Scollon & Scollon 1997: 25)
3
Interkulturelle Kommunikation in Europa erfahren
Im Anschluss werden Auszüge aus biographischen Interviews vorgestellt, die im
genannten Europaprojekt entstanden sind und die speziell auf Anlässe interkultureller Kommunikation eingehen. Anhand einer Reihe topischer Überschriften
wird aufgezeigt, unter welchem Blickwinkel interkulturelle Kommunikation in
biographischen Interviews erfahrener Europäer in Erscheinung tritt.
3.1
Sporadischer Kulturkontakt versus interkulturelle Kommunikation als
Lebenspraxis
Scollon & Scollon (1997) fokussieren die diskurslinguistische Seite interkultureller Kommunikation, das heißt sie zeigen auf, wie sich diskursive Praktiken in
konkreter Interaktion manifestieren. Interkulturelle Kommunikation definieren
sie als „communication across the lines of different discourse systems“ (266).
Entsprechend findet interkulturelle Kommunikation zwischen authentischen Interaktionspartnern und in echten sozialen Situationen statt.
In ihren biographischen Erzählungen über ihren Kontakt mit Europa nehmen
unsere Informanten eine Differenzierung vor, die in ähnlicher Weise den authentischen Kulturkontakt von einer bloß oberflächlichen Begegnung mit dem
Anderen thematisiert, und sie gehen noch einen Schritt weiter. Sie unterscheiden
zwischen sporadischem Kulturkontakt und einer tiefer gehenden Form des Kulturkontakts, die das Potential hat, zu einem Teil der individuellen Orientierung
und Weltsicht zu werden. Das kontextualisierende biographische Erzählen regt
222
Bärbel Treichel
sie zu dieser Differenzierung an. Es geht ihnen um die Abgrenzung des sporadischen Kulturkontakts – etwa durch Ferienreisen – von der habitualisierten Praxis
interkultureller Kommunikation als Teil ihrer Lebenswelt.
Anhand des folgenden Beispiels kann verdeutlicht werden, dass das Zusammentreffen lediglich mit Touristen im Heimatort nicht als interkulturelle
Kommunikation im oben beschriebenen Sinne charakterisiert wird.
I would have had contact with foreigners a lot when I was young. But ehm because
of the town that I lived in. But they were always tourists. And tourists aren’t real
people. (Kerry)
In ähnlicher Weise der Begegnung mit dem Fremden förderlich ist das Reisen,
jedoch kommt es auch dort nur zu sporadischem Kulturkontakt. Die Informantin
im folgenden Beispiel unterscheidet zwischen student life and holiday life und
the real life abroad.
Salamanca was a very, it was in between a holiday type of feel thing and normal life,
but it was a student I mean not normal life. Student life and holiday life sort of mixed
together, but it wasn’t very serious whereas when we both moved to London that
was more serious, because we both looked for jobs and that actually gave me even a
better feeling because now I really lived abroad but in the real life abroad. (Karen)
In ihren biographischen Interviews kommen Informanten auf solche Anlässe
interkultureller Kommunikation „im richtigen Leben“ und „mit richtigen Leuten“ zu sprechen. Mit einem quasi-ethnographischen Blick wenden sie sich solchen Episoden zu. Es handelt sich immer um Episoden, die eng mit der aktuellen Lebenssituation verwoben sind und die auch Konsequenzen für die weitere
Lebensführung haben. Es gibt „Resonanz“, wie die folgende Informantin es
fasst:
you meet people that ehm that resonate with who you are then, at that point. (Pauline)
3.2
Interkulturelle Kommunikation als Encounter ermöglicht
Perspektivenübernahme
Wenn man sich Situationen interkultureller Kommunikation innerlich zuwendet,
wenn man sie in ihrer situativen Einzigartigkeit in den Blick nimmt und als Encounter versteht, wird Perspektivenübernahme befördert. Es kommt zu vertieftem Verstehen des Fremden und schließlich Verständigung. In der Auseinandersetzung mit dem Fremden ändern sich auch die eigenen Orientierungen.
Einen solchen Zugang zu produktiver interkultureller Kommunikation findet
eine junge Irin in Deutschland.
Interkulturelle Kommunikation aus der Erfahrungsperspektive moderner Europäer 223
when I first came here I had, I had my two friends from Ireland. And I had my boyfriend and had his family. And everybody spoke English to me. So I lived in the sort
of sub-culture in English. Ehm – very negative impressions of Germans at the beginning.
[…]
And I found that extremely hard – once my Irish friends had gone. Up until then
it was like, “oh those silly Germans” you know. And we just exist in our little subculture, go to our Irish pubs and you know. And once they left eh, I had a period of
about four months where I had been very depressed. I realized that I made absolutely no effort to get, to know Germans outside of my boyfriend’s social group. I
realized I hadn’t learnt the language, all the goals that I had come here with, I hadn’t
achieved. (Kerry)
Erst wenn der Kulturkontakt wirklich zugelassen wird, kommt es zu interkultureller Kommunikation, die das Potential hat, Identitäten zu verändern, wie die
folgende Äußerung zeigt:
You know. And really get to understand it. And I slowly, especially with the language, I slowly got to understand the German culture and the most, the biggest access to that was the language. I really think you have to speak a language and understand a language in order to understand the mentality. Of the people. (Kerry)
Mit dem Erlernen des Deutschen gewinnt diese junge Irin eine neue Sichtweise
auf das zunächst ablehnend betrachtete deutsche Umfeld. Anschließend erzählt
sie von beruflichen Erfolgen. Die verstehens- und verständigungsorientierte
Auseinandersetzung mit dem Fremden hat ihre inneren Haltungen sowie ihre
Biographie verändert.
3.3
Interkulturelle Kommunikation ist der Umgang mit kollektiven
Identitäten und symbolischen Bedeutungen
Gelegentlich wird bei der Beschreibung von Situationen interkultureller Kommunikation auf das Problem der referentiellen Bedeutung von Lexemen und auf
das Fehlen von Übersetzungsäquivalenten hingewiesen (vgl. Wierzbicka 1992):
I found that some words I didn’t quite understand, I still don’t, don’t quite understand. The Swedes have different versions of pain. eh The difference between the
ache, and eh a nagging pain, and, and eh and eh soreness, and stinging. They are different to interpret unless you are actually brought up fluently. (Gwilym)
Jedoch scheinen in konkreten Anlässen interkultureller Kommunikation solche
Fragen der referentiellen Bedeutung leicht zu klären zu sein, wie dieser walisische Arzt, der in einem schwedischen Krankenhaus arbeitet, ausführt. Weitaus
schwieriger gestalten sich Interaktionen, wenn kollektive Identitäten ins Spiel
224
Bärbel Treichel
kommen und wenn symbolische Bedeutungen eine Rolle spielen. Im Folgenden
erzählt er eine Episode über ein Zusammentreffen mit einem Patienten aus der
Volksgruppe der Sami.
Eh and I remember once, a, a patient was brought to me late one night eh for a psychiatric assessment to be sectioned the GPs just make the conditional assessment.
And – he was not happy with being brought there by the police and this was late at
night, it must have been about one o’clock in the morning. And the first thing he
said to me was – in Swedish “I am Sami – but I want to tell you I am a Sami I have
the right to be interviewed in Sami”.
And he was correct. And it was one o’clock in the morning, in the middle of
winter, trying to find the interpreter, so I said to him “look I know you are Sami and
you are right. And you think I am Swedish but I am not, and you think I am English
but I am not. I’m Welsh. I belong to a linguistic minority as well very much like
yours. We’ve got the problem because you don’t speak Welsh and I don’t speak
Sami and so – we’ll stick to Swedish and we will understand each other.”
So no problem at all. Because it wasn’t my language and it wasn’t his language
it was ok, to use it, so it was one of the few times where being Welsh actually meant
something. (Gwilym)
Hinter der Frage der Interaktionssprache verbergen sich das Problem der durch
Sprache symbolisierten kollektiven Identitäten und die Frage, wie sich die
Volksgruppen zueinander verhalten. Gerade diesem Thema gegenüber ist der
walisische Arzt in Schweden sehr aufgeschlossen, gehört er doch auch einer
sprachlichen Minderheit an, wenn er seine walisische Seite hervorhebt. Der
symbolische Gehalt der geschilderten Interaktion verweist den Erzähler auf das
generelle Problem interkultureller Kommunikation, das er anschließend zum
Anlass nimmt, über seine biographische Situation und die seiner Familie und
über das Problem des Kulturkontakts in Europa nachzudenken.
3.4
Interkulturelle Kommunikationsanlässe müssen aktiv gestaltet werden
Informanten sprechen immer wieder über die besondere Anstrengung, die die
Bewältigung von Situationen interkultureller Kommunikation beinhaltet. Sie
sehen sich aufgefordert, sich besonders zu engagieren und interkulturelle Kommunikation aktiv zu gestalten. Im folgenden Beispiel zeigt eine Informantin aus
Nordirland, die in Dänemark lebt und arbeitet, wie sie durch eine provozierende
Äußerung ihre Interaktionspartner aus deren Routine reißt und dann selbst ins
Gespräch kommt.
But there was one day last week where – I went out and – there were a few people
sitting around and – people that I actually really like and ehm that I would talk to
normally. But they were sort of having conversations anyway and I was sitting there
Interkulturelle Kommunikation aus der Erfahrungsperspektive moderner Europäer 225
and – 20 minutes past and I’d finished my lunch and I was kind of thinking – I was
ready actually just to go back to my office and, and cry almost, because I just felt
like, “gosh, I so don’t fit in.” But – then I thought – I have to fight this. I have to try
and – you know – not have a reaction like that. So then I ehm I basically said, “thank
you for the Danish listening exercise” ((laughing)). And then that was a wee opening
and then – you know – one of the girls had to go and, and then, we got talking to this
other woman who was knitting. (Pauline)
Voraussetzung für die Initiative der Informantin ist, dass sie nach Anlässen interkultureller Kommunikation sucht und den Kulturkontakt nicht lediglich von
außen betrachtet. Sie resümiert diesen Teil ihrer Auslandserfahrung mit „but
trying to find the day to day ehm at this stage in my life, is a struggle“.
Zur aktiven Gestaltung von Kommunikationsanlässen zählt auch die Herstellung von Lernumgebungen, die den Erwerb der Sprache des Gastgeberlandes
begünstigen.
And the same with language I was very, very keen, not to speak English with anybody, because it would have been it they would have known and if you start in English that’s it. And I was working with Danes eh quite a bit. Ehm, and eh, we, we, we
spoke Swedish, even though we could have spoken English we stuck to it and it
worked out OK. I was always prepared to be corrected. “If I make a mistake, tell me,
because if you don’t tell me I’m going to keep making it.” (Gwilym)
Muttersprachler des Englischen haben in interkulturellen Situationen ein besonderes Problem: Sie könnten in eine Lingua-franca-Kommunikation ausweichen,
jedoch ist dies dem Erwerb der neuen Landessprache in hohem Maße abträglich.
Muttersprachler des Englischen erleben auch immer wieder, wie ihre Interaktionspartner ins Englische wechseln, wenn sie mit ihnen in Interaktion treten. Tun
sie nichts dagegen, dass Englisch mit ihnen gesprochen wird, werden sie immer
als Fremde angesprochen.
And I’ve spent 17 years being a resource to Germans for my English cause wherever I go, I open my mouth and speak German and they speak back to me English.
And I can’t get rid of this. – I cannot kill it. (Kate)
In der Praxis kann der bewusste Verzicht auf die englische Sprache zu persönlicher Isolation führen:
It was a long time that I just wouldn’t speak. I’d rather, I’d sit at parties for hours
and hours and not speak. Because I didn’t wanna speak English. So I didn’t want to
be the free English lesson. I was too nervous to speak so yeah. But after about two
years then started (((raising voice))) coming out. (Kerry)
226
3.5
Bärbel Treichel
Interkulturelle Kommunikation enthüllt unerwartete Gemeinsamkeiten
und Unterschiede in Europa
Natürlich informieren sich unsere Erzähler über das Land, in dem sie einen längeren Aufenthalt planen. Sie eignen sich Wissen über die Kultur an und denken
über kulturelle Unterschiede nach. Jedoch erst wenn sie tatsächlich in Kontakt
treten, wenn sie Anlässe interkultureller Kommunikation erleben und handelnd
bewältigen müssen, werden ihnen deren lebensweltliche Dimensionen deutlich.
In ihren biographischen Interviews wählen unsere Informanten Europa als Vergleichshorizont für ihre individuellen Erfahrungen in einem speziellen Land –
und sie kommen auf unerwartete Gemeinsamkeiten ebenso wie unerwartete
Unterschiede innerhalb Europas zu sprechen.
Aus der Sicht einer Britin, die seit vielen Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, kristallisiert sich Europa als gemeinsamer Kulturraum heraus, und zwar
hinsichtlich der inhaltlichen Gegenstände, die in Gesprächen relevant werden
können: Man spricht in Europa über ähnliche Themen.
I was totally bored and uninterested in all these American things they were talking
about. It was always very American somehow and it’s even though Germans say
“Oh well you both speak the same language”, the culture is totally different. Ehm –
you know, in some respects I’d say there’s more similarities between Germans and
Brits than there is between Americans and Brits actually. – The language is the
common factor but maybe not a lot else. (Kate)
Als Britin in Deutschland hat diese Informantin ein geschärftes Bewusstsein für
die Anatomie des Kulturkontakts aus zweierlei Gründen. Auf der einen Seite
erlebt sie die reservierte Haltung ihrer britischen Freunde gegenüber Europa;
davon erzählt sie in ihrem Interview. Auf der anderen Seite kennt sie Europa aus
ihrer Lebenserfahrung in Deutschland und Frankreich und hat eine ganz andere
Einschätzung dazu. Interessanterweise fokussiert diese britische Informantin
gerade die Gemeinsamkeiten in Europa. Mit den USA, so sagt sie, verbinde sie
kaum mehr als die Sprache.
Ein europäischer Blickwinkel kann auch dazu verleiten, Gemeinsamkeiten
zu unterstellen, die in konkreter Interaktion nicht tragen. Zwar kann der walisische Arzt Gwilym universelle Vergleichbarkeit bestimmter Vorgehensweisen in
der professionellen sozialen Welt der Medizin konstatieren. Es sind aber die
Formen der Beziehungsgestaltung, die sich auch im Berufsleben unterscheiden,
und die ihn immer wieder auf die Mikrostrukturen interkultureller Kommunikation zurückwerfen.
and most illuminating really and most valuable was the – the cultural, the political
side of things – things were done differently.
Interkulturelle Kommunikation aus der Erfahrungsperspektive moderner Europäer 227
Not so much in the medical world because it is pretty straight forward, pretty
universal. Although there are sort of different ways of doing things different
boundaries between primary and secondary care, I had to learn new techniques and
things which this country thinks a specialist would do. So – I had to learn a few
things, eh,
what was more interesting was the way that what people expected of me, how
they – related to me, patients and doctors and vice versa, – the relationship with
colleagues, – the relationship between – the primary care and secondary care, and
society in general, attitudes to different things.
It’s an easy mistake to make – when you first move to a country especially
Scandinavian, it is very modern, eh, we drive the same cars, we have the same televisions, we – wear the same clothes. But there are differences in our attitudes which
are interesting. (Gwilym)
In der konkreten Erfahrung des Kulturkontakts stellt sich oft heraus, dass ursprüngliche Annahmen über die Vergleichbarkeit kultureller Praktiken in Europa revidiert werden müssen. Informanten sind erstaunt darüber, dass die vorgefundenen Unterschiede tiefgreifend sind und die Lebensbereiche weiträumig
umfassen. Diese Erfahrung der widerlegten Vorannahmen ist ein wiederkehrender Topos in Erzählungen über die Anatomie des Kulturkontakts, der erst aus
der quasi-ethnographischen Betrachtung interkultureller Kommunikation Gestalt
gewinnt.
3.6
Probleme der kommunikativen Vermittlung von Erfahrung
Ein weiteres Problemfeld interkultureller Kommunikation zeichnet sich in der
kommunikativen Vermittlung von Erfahrungen aus dem Kulturkontakt ab. Gut
könnten unsere Informanten als Vermittler zwischen den Kulturen agieren. Sie
könnten ihre Erfahrungen aus der vertieften Kenntnis spezifischer Praktiken irgendwo in Europa woanders einbringen. Dabei stoßen sie auf ungeahnte Widerstände; europäische Erfahrung findet auch in Europa nicht selbstverständlich
Gehör.
The difference in this country is although it’s we’d come from abroad to live in
Sweden, they would be very interested about life in Britain, what Mrs. Thatcher was
like, what’s working life like.
Whereas often, in the course of working as a doctor in Britain. eh but, when I
came back to this country. Ehm Very few of my colleagues were asking what was it
like eh, and I thought it would have been – very interesting for them. (Gwilym)
228
4
Bärbel Treichel
Zusammenfassende Bemerkungen
Vor allem junge Europäer sehen sich heute mit Mobilitätsanforderungen konfrontiert, die sie in ihrer Ausbildung und beruflichen Karriere zunehmend mit
Europa in Kontakt bringen. Der Kontakt bleibt nicht mehr auf episodische Reisebesuche beschränkt, sondern es entstehen transnationale Ausbildungs- und
Berufskarrieren, bei denen interkulturelle Kommunikation zu einem selbstverständlichen Teil der Lebenswelt dieser Europäer wird. Zwar wird von diesen
Europäern der versierte Umgang mit Situationen des Kulturkontakts erwartet,
noch immer geraten sie jedoch weitgehend unvorbereitet in interkulturelle Interaktionen, sie werden sozusagen ins kalte Wasser geworfen, wenn sie sich dann
tatsächlich handelnd und kommunizierend in der Interkulturalität bewähren
müssen.
Situationen interkultureller Kommunikation nehmen in der Lebenswelt dieser Europäer einen wichtigen Platz ein. Europa ist auf der interpersonalen Ebene
Teil ihres Handhabungsbereichs geworden, den es zu gestalten gilt. In ihren biographischen Erzählungen widmen sie sich sehr detailliert den Begegnungen mit
dem Fremden und sie sprechen über solche Situationen in engem Zusammenhang mit Phasen ihrer Biographieentwicklung; sowohl die Karrierechance im
Ausland als auch der Kulturkontakt selber sind also biographisch bedeutsam.
Mit quasi-ethnographischem Blick gehen sie auf Situationen interkultureller
Kommunikation ein, und es kommen zusammenfassend dargestellt folgende
Dimensionen in den Blick: Weniger sind es Unterschiede in lexikalischen Bedeutungen, die zu Problemen führen. Wenn interkulturelle Kommunikation
problematisch wird und fokussiert und situativ eingebettet in den Blick genommen wird, handelt es sich vor allem um Situationen, in denen symbolische Bedeutungen, kollektive Identitäten und Formen der Beziehungsgestaltung thematisch werden. Auch professionelle Kompetenzen sind oft transnational generalisierbar und bieten ein sicheres Terrain in der interkulturellen Kommunikation.
Lingua-franca-Kommunikation stellt ein besonderes Problemfeld dar: Erstaunlicherweise leiden besonders Muttersprachler des Englischen darunter, dass Interaktionspartner in Europa gern auf Englisch mit ihnen kommunizieren. Erst wenn
sie sich dem verweigern, erwerben sie sprachliche und kulturelle Kompetenzen
im Gastgeberland und finden Anschluss. Sensibilisierende Aktivitäten sind hilfreich, um lokale Interaktionspartner zur Kooperation zu bewegen. Dabei zeigt
sich, dass interkulturelle Milieus in Europa oft lokale Milieus sind, die mit dem
Problem der Teilhabe anderskultureller Interaktionspartner erst umzugehen lernen müssen. Trotz lang währender politischer Integrationsbemühungen sind unsere Informanten, die folgerichtig mit Europa in Kontakt treten, immer auch Pioniere interkultureller Kommunikation.
Interkulturelle Kommunikation aus der Erfahrungsperspektive moderner Europäer 229
Interkulturelle Kommunikation ist ein lebhaft diskutierter Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung in verschiedenen Fächern, und es gibt ein unmittelbares praktisches Interesse etwa in der globalen Wirtschaft nach handlichen Ergebnissen (am besten in Form von Rezeptwissen), die den Kulturkontakt bewältigen helfen. Weit überwiegend konzentrieren sich die Studien auf die Kulturseite interkultureller Kommunikation, wie etwa die weit rezipierten Arbeiten
von Hofstede (2006), Hall (1966, 1983) und Maletzke (1996), die Kulturen als
Ganzes in den Blick nehmen und auf diesem übergreifenden Niveau kulturelle
Unterschiede beschreiben. In biographischen Interviews ist es die Kommunikationsseite interkultureller Kommunikation, die zu vertiefter Auseinandersetzung
anregt und Biographien bewegt. Kaum geht es hier um kulturelle Unterschiede
allgemeiner Art. Es sind die konkreten interkulturellen Situationen, in denen die
Informanten bestehen müssen, die sie differenziert in den Blick nehmen und denen sie auch biographische Bedeutung beimessen. Vielleicht sollte auch die situativ-konkrete Betrachtung interkultureller Kommunikation in Schulungsprogrammen für Praktiker mehr Aufmerksamkeit finden?
Literatur
Bethge, Katrin & Treichel, Bärbel (im Druck): Europa aus der Erlebnisperspektive. Lexikalisch-semantische Analysen von Europabezügen in biographischen Interviews. In: Burkhardt, Armin & Pollmann, Kornelia (Hrsg.): Globalisierung: Sprache – Medien – Politik,
Bremen: Hempen.
Burke, Peter (2009). Cultural Hybridity. Cambridge: Polity.
Erickson, Frederick & Shultz, Jeffrey (1982). The Counselor as Gatekeeper. Social Interaction in Interviews. New York: Academic Press.
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Macmillan.
Goffman, Erving (1974). Frame Analysis. An Essay on the Organization of Experience. New
York: Harper & Row.
Gumperz, John (1982). Discourse Strategies. Cambridge: Cambridge University Press.
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Hall, Edward (1966). The Hidden Dimension. New York: Anchor Books.
Hall, Edward (1983). The Dance of Life. The Other Dimension of Time. New York: Anchor
Books.
Hamel, Rainer (1988). Sprachenkonflikt und Sprachverdrängung. Die zweisprachige Kommunikationspraxis der Otomi-Indianer in Mexico. Frankfurt: Lang.
Hinnenkamp, Volker (2005): „Zwei zu bir miydi?“ – Mischsprachliche Varietäten von
Migrantenjugendlichen im Hybriditätsdiskurs. In: Hinnenkamp, Volker & Meng, Katharina (Hrsg.): Sprachgrenzen überspringen. Sprachliche Hybridität und polykulturelles
Selbstverständnis, Tübingen: Narr, 51–103.
230
Bärbel Treichel
Hinnenkamp, Volker (1985). Zwangskommunikative Interaktion zwischen Gastarbeitern und
deutscher Behörde. In: Rehbein, Jochen (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation, Tübingen: Narr, 276–298.
Hofstede, Geert (2006). Lokales Denken, globales Handeln. Interkulturelle Zusammenarbeit
und globales Management (3., überarb. Aufl.). München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Keim, Inken (2005): Die interaktive Konstitution der Kategorie „Migrant/Migrantin“ in einer
Jugendgruppe ausländischer Herkunft: Sozialkulturelle Selbst- und Fremdbestimmung
als Merkmal kommunikativen Stils. In: Hinnenkamp, Volker & Meng, Katharina (Hrsg.):
Sprachgrenzen überspringen. Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis, Tübingen: Narr, 165–194.
Knapp, Karlfried (2007): Interkulturelle Kommunikation. In: Knapp, Karlfried et al. (Hrsg.):
Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch (2., überarb. Aufl.), Tübingen: Francke, 411–432.
Kotthoff, Helga & Spencer-Oatey, Helen (Hrsg.) (2007). Handbook of Intercultural Communication. Berlin: de Gruyter.
Maletzke, Gerhard (1996). Interkulturelle Kommunikation. Zur Interaktion zwischen Menschen verschiedener Kulturen. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Meng, Katharina & Protassova, Ekaterina (2005): „Aussiedlerisch“. Deutsch-russische
Sprachmischungen im Verständnis ihrer Sprecher. In: Hinnenkamp, Volker & Meng,
Katharina (Hrsg.): Sprachgrenzen überspringen. Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis, Tübingen: Narr, 229–266.
Martin, J. R. & Rose, David (2008). Genre Relations. Mapping Culture. London: Equinox.
Rehbein, Jochen (1985): Medizinische Beratung türkischer Eltern. In: Rehbein, Jochen
(Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation, Tübingen: Narr, 349–419.
Saville-Troike, Muriel (1982). The Ethnography of Communication. An Introduction. Oxford:
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Scollon, Ron & Scollon, Suzanne (1995). Intercultural Communication. A Discourse Approach. Oxford: Blackwell.
Schütz, Alfred (1993). Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. Frankfurt: Suhrkamp. (Zuerst 1932)
Schütz, Alfred (2003): Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten. In: Alfred Schütz Werkausgabe, Band V.1: Theorie der Lebenswelt 1. Die pragmatische Schichtung der Lebenswelt.
(Hrsg. v. Martin Endreß, Ilja Srubar). Konstanz: UVK, 177–240. (Zuerst 1945)
Swales, John (1990). Genre Analysis. English in Academic and Research Settings. Cambridge: Cambridge University Press.
Treichel, Bärbel & Bethge, Katrin (im Druck): Emotionalität und Europa. In: Akten des 44.
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Wierzbicka, Anna (1992). Semantics, Culture, and Cognition. Universal Human Concepts in
Culture-Specific Configurations. Oxford: Oxford University Press.
Scheinbar identisch: Niederländisch schijnen,
deutsch scheinen
Maurice Vliegen
1
Einführung
Die Verben scheinen im Deutschen und schijnen im Niederländischen sind sich
in ihrer historischen Entwicklung wie in ihrem heutigen Gebrauch sehr ähnlich.
So entwickelte sich bei beiden Verben neben ihrer lexikalischen Bedeutung eine
modale Bedeutung. Insbesondere dieses Phänomen war in letzter Zeit Thema
einer Reihe von Beiträgen im Rahmen der Diskussion um den Begriff „Evidentialität“ (s. Diewald 2000, 2001, 2004 sowie De Haan 1999 und 2007).
Ziel des vorliegenden Beitrages ist die genauere vergleichende Betrachtung
der historischen Entwicklung sowie eine Übersicht über die Verwendungsweisen in der Gegenwart. Der heutige Gebrauch wird dabei an Hand von Daten aus
zwei Zeitungskorpora belegt. Bei der Erörterung der Daten wird sich herausstellen, dass im Niederländischen noch ein weiteres Verb mit einbezogen werden muss, und zwar das Verb lijken (‘ähneln’, ‘ähnlich sehen’), das ebenfalls
eine modale Bedeutung aufweist.
Zunächst werde ich die in Diewald (2001) dargestellte historische Entwicklung mit Bezug auf die Entwicklung des niederländischen scheinen kommentieren (Abschnitt 2), dann komme ich zu den heutigen Gebrauchsweisen (Abschnitt
3) und schließlich zu den Korpusdaten (Abschnitt 4).
2
Die historische Entwicklung
Im Deutschen wie im Niederländischen finden sich zunächst Belege für ein intransitives Verb mit der konkreten Bedeutung ‘Licht ausstrahlen, leuchten’
(Diewald 2000: 348 ff.). Subjekte sind Himmelskörper (1, 4, 5) und später auch
Edelsteine (2, 6). Dann finden sich auch abstrakte Bedeutungen, in denen ein
Anschein vermittelt wird (3, 7, 8):
Deutsch
(1)
(2)
er lâzit sunnûn sîna scînan filu blîda.
er lässt seine Sonne scheinen sehr heiter
(Diewald 2000: 348)
do vant he enen edelen stein, de lecht was unde schone schein.
da fand er einen kostbaren Stein, der leicht war und schön schien
(De Haan 2007: 140)
232
Maurice Vliegen
(3)
er was schön und wol gestalt an synen gliedern, er schein starck und kúne
er war schön und wohlgestaltet an seinen Gliedern, er schien/zeigte sich stark
und tapfer.1
(http://www.mhdwb-online.de/ 11.2.2011)
Niederländisch
(4)
Die mane scheen scone ende claer.
der Mond schien schön und klar.
(Ferg. 237, Holland/Vlaanderen/Brabant, 1320-1330)2
(5)
Alse ene (comeet) in enich lant schijnt, dat lant wort ghepijnt
wenn ein (Komet) in einig (irgendein) Land scheint/sich zeigt, das Land wird
gepeinigt
(Natuurk. 611 (13./14. Jh.)
(6)
Een carbonkelsteen, die so claer omtrent hem sceen ende gaf so groot licht
ende so claer (
ein Karfunkel, der so klar um ihn (herum) schien und gab so großes Licht und
so klar
Bloeml. 1, 184, 81)
(7)
Si wart so sere vervult van binnen van vrouden …, dat dat scheen van buten
aen horen heleghen lichame
sie war so sehr erfüllt von innen von Freuden ..., dass das schien von außen an
ihrem ganzen Körper
(Limburg, 1275–1295)
(8)
Alst aen haer wel sceen (o. J.)
wie es an ihr wohl schien (= wie man ihr klar ansah)
Das Verb scheinen taucht nach Diewald erst im Frühneuhochdeutschen mit einem Infinitiv allerdings noch ohne zu auf. Erst gegen Ende des 17. Jhs. gebe es,
so Diewald, Belege für den Infinitiv mit zu. Im Niederländischen dagegen gibt
es schon im 13. Jh. ein vereinzeltes, frühes Beispiel ohne zu (9). Solche Belege
gibt es Diewald (2000: 351) zufolge im Deutschen erst bei Luther (10).
(9)
1
2
Als oft si waren van verre comen
als ob sie waren von weitem [ge]kommen
Groten vaet hebsi vernomen
große Fässer haben_sie [mit]genommen
Als oft si quamen dor woistinen
alsob sie kamen durch die Wüste
Dar si in watre voeren scinen
Ich bedanke mich bei Aad Quack und Margit Rem für Hinweise.
Die mittelniederländischen Belege stammen teils aus dem Middelnederlandsch
Woordenboek (MNW) (http://gtb.inl.nl/), teils aus dem DBNL, der Digitale Bibliotheek
der Nederlandse Letteren (www.dnbl.org). Spätere Belege stammen aus dem DNBL.
Beide Quellen wurden im November 2010 zu Rate gezogen. Eine genaue Datierung ist
nicht immer möglich.
Scheinbar identisch: Niederländisch schijnen, deutsch scheinen
233
dar sie in (= worin sie) wasser führen (= befördern) schienen
(Rijmbijbel Jacob van Maerlant, A) Westflämisch 13. Jh.
(10)
Der glaub scheinet klein sein, ist aber viel edler und besser (Luther 4, 135,
DWB 14, 2449)
Dal (1966: 100 ff. und passim), bei Diewald (2001: 101) zitiert, weist darauf hin,
dass im Deutschen durch den Wegfall des auslautenden Dentals am Partizip I
eine Vermischung von Partizip I und Infinitiv stattgefunden hat. Das Verb
scheinen, das sich schon im Mittelhochdeutschen den Kopulaverben angenähert
hatte und wie diese zunächst mit einem Partizip I (11, 13) verbunden wurde,
findet sich allmählich auch mit Infinitiv, zunächst ohne (9), dann mit zu. Zu
letzterer Konstruktion ist Beleg (12) ein sehr frühes Beispiel. Diese Entwicklung
findet sich ebenfalls im Niederländischen und ist relativ gut dokumentiert. Aus
den aus der gleichen Quelle stammenden Belegen (14, 15) geht hervor, dass die
verschiedenen Formen eine gewisse Zeit nebeneinander verwendet wurden. Infinitive mit te gibt es im Niederländischen zunächst mit dem Infinitiv zijn oder
der Alternativform wesen (sein). Beleg (16) zeigt das auch heutzutage noch vorkommende Phänomen der Verwendung eines als Adjektiv (re)interpretierten
Partizips II ohne sein. Beleg (17) zeigt darüber hinaus, dass die Partizipialkonstruktion auch bei anderen Verben als zijn (sein) noch verwendet wurde, als
die Infinitivkonstruktion mit zijn (sein) schon üblich war:
3
(11)
ende hoe selke altoes
schinen dolende/ ende nye vre daer wt en quamen3
und wie solche immer schienen irrende/
(Hadewych Briefe 13. Jh.)
(12)
Doen Oriande aldus lange gereyst had met Balckare ende met Bleccas aent
schip hangende, so sach si voor haer staen een scoon stede ende si voer voorbi
eenen boot daer al vianden in waren, twelc visscers scenen te zijn ende si
vraechde hem lieden wat stadt dat was.
welche Fischer schienen zu sein
(Historie van Malegijs (1250) Antwerpen, Druck Jan van Ghelen (1556))
(13)
Het schijnt wesende een besloten hof mit mueren
es scheint seiende ein geschlossener[r] Hof mit Mauern
(Het boeck vanden pelgherym. Jacob Bellaert, Haarlem (1486))
(14)
Polijphenus die ruese seyde. sidy een heyden ende wie bestady dan ghi schijnt
van eenen edelen geslachte ghecomen sijnde.
scheint von einem edlen Geschlecht gekommen seiende
(Volksbuch Margarieta van Lymborch (1516))
(15)
Met dat si die tafel aldus segenden. so wert daer een groot beroerte van vianden. elc nam een fackeel vanden casteel. ende dan der spijse ende dranc. ende
Aus Platzgründen beschränke ich mich ab hier auf den fett gedruckten Teil des Originals.
234
Maurice Vliegen
si vervoeren te samen met eenen groten stanck. so datter scheen alle die vuylicheyt der werelt vergadert te sijn.
so dass_da schien all der Schmutz der Welt versammelt zu sein
(Volksbuch Margarieta van Lymborch (1516))
(16)
Soo den Nestors en Phoenix deen, naer de poëten
Iphitus cruunkelbaert, was van cleender weerde
Den Achemenides, scheen vanden motten gheten
Vcalegons knijffelbaerd stack al vul neten.
Den Achemnides, schien von_den Motten [ge]gessen
(Matthijs de Castelein, De const van rhetoriken (1548))
(17)
ooc zo eist daer sdaeghs zo heet ende des nachts zo cout dat
wonder es; het daut daer zo zeere dat schijnt ghereghent hebbende.
es taut dort so sehr, dass scheint geregnet habende
(Ambrosius Zeebout, Tvoyage van Mher Joos van Ghistele (1557))
Als frühesten Beleg für weitere Infinitive mit scheinen nennt Diewald (2001:
103) den aus der ersten Hälfte des 17. Jhs. stammenden Beleg (18). Im Niederländischen finden sich hier wesentlich jüngere Belege. Frühere Belege dürften
allerdings auch im Deutschen nicht ausgeschlossen sein.
(18)
Um was wir weinten und nicht zu trösten scheinten (P. Fleming 330, nach
DWB 14, 2448)
(19)
Nochtan waren fonteynen niet verre vanden mueren daer die poorters scenen
te sceppen heymelijc watere: meer hem daer mede te bequeckene. dan om te
drinckene.
dort die Bürger schienen zu schöpfen heimlich wasser
(Delfter Bibel. Jacob Jacobszoon van der Meer en Mauricius Yemantszoon
van Middelborch, Delft (1477))
(20)
UVt dese doncker ende vreemde maniere van spreken, so ghesciedet dat die
scriftuere noch in veel ander plaetsen haer seluen schijnt contrarie te
spreken, ende haer seluen te wederlegghen, waer aen datmen pleecht te
kennen die loghenaers oft loghentalen, want het schijnt somtijts dat het nieuwe
testament spreect tseghen het oude.
so geschieht_es dass die Schrift noch in viel[en] ander[en] Stellen ihr (= sich)
selber scheint konträr zu sprechen, und ihr ( = sich) selber zu widerlegen
(Löwener Bibel (1548))
(21)
Maer als Machabeus aengheroepen hadde den grooten prince der werelt, die
sonder storm ghereetscappen, ende scranschen ten tijde van Iesu Iericho ter
neder gheworpen heeft, is fellijck op die mueren gheuallen, ende als hy die
stadt ghewonnen hadde doer den wille des Heeren, heeft hy daer ontellijcke
veel doodtslaghen ghedaen, alsoo dat het byligghende staende water twee
stadien breedt scheen te vloeyen van bloede gheverwet
so dass das beiliegende stehende Wasser zwei Stadien breit schien zu fließen
von Blut gefärbt
(Löwener Bibel (1548))
Scheinbar identisch: Niederländisch schijnen, deutsch scheinen
(22′)
235
Want dat Plato schijnt te twijffelen, onder wat aerdt hy de wijuen wil setten, onder de redelicke, of onder de onredelicke dieren, daermede en heeft
hy anders niet ghewilt, dat de wtnemende sotticheyt des vrouwelicken aerts te
kennen gheuen.
denn dass Plato scheint zu zweifeln, unter welche Art er die Weiber will setzen, unter die redliche, oder unter die unredliche Tiere
(Desiderius Erasmus, Dat constelijck ende costelijck Boecxken, Moriae Encomion: Dat is, een Lof der Sotheyt (Übers. Johan Geillyaert). Willem
Geillyaert, Embden (1560). Desiderius Erasmus, Lof der zotheid (1511))
Diewald (2001: 104) widerspricht der, wie sie sagt, „oft postulierte[n]“ Annahme, dass die Infinitivkonstruktion sich aus der DASS-Konstruktion ableite,
da Letztere erst seit dem 18. Jh. belegt sei. Wie der genaue Zusammenhang ist,
sei erst einmal dahingestellt, deutlich ist aber, dass es schon im 13. Jh. Belege
für die DASS/DAT-Konstruktion gibt, sowohl im Deutschen (Belege 22–23 aus
http://www.mhdwb-online.de/11.2.2011) als auch im Niederländischen. Im Niederländischen finden sich sogar Belege mit einem koreferenten Subjekt im überund untergeordneten Satz (24–25, 26 mit elliptischem Subjekt hi):
(22)
ze sîner reinen spîse/ schuof er im guoten gemach./ dâ schein daz er in gerne
sach./ er bat die juden heim
da schien (stellte sich heraus) dass er ihn gerne sah
(Konrad von Heimesfurt, Urstende Anfang 13. Jh.)
(23)
Wh 431,20 stuonden sîner vreuden sinne.
Purrel der grîse künec alt
wart dan getragen mit gewalt
ze vuoz von den sînen.
si liezen dâ wol schînen/
daz si wâren unverzagt.
sie ließen dort klar scheinen / dass sie waren tapfer
(Wolfram von Eschenbach (1170–1220), Willehalm)
(24)
Si schinen dat si weten algader die verborgenheit des Vader
sie scheinen dass sie wissen alle das Geheimnis des Vaters
(Teest. 2418, Brabant, 1390-1410; zitiert bei De Haan 1999: 83)
(25)
Dat is die woerm van consiencien die schijnt dat hi heeft yseren tande.
Das ist der Wurm von Gewissen der scheint dass er hat eiserne Zähne
(Het boeck vanden pelgherym. Jacob Bellaert, Haarlem (1486))
(26)
Somtijt verschijnt hi hem ende doet [hi] an een gemaect aensichte om tvolc te
bedriegene valschelic ende [hi] schijnt dat hi recht een engel is al vol claerheden ende dat hi node yement bedriegen soude.
und (er) scheint dass er recht (wirklich) ein Engel ist voll[er] Klarheiten
(Het boeck vanden pelgherym. Jacob Bellaert, Haarlem (1486))
De Haan (1999: 83) nimmt die Konstruktion in dem heute ungrammatischen
Beleg (24) als Evidenz für die mögliche Entwicklung der infiniten Konstruktion
aus der DAT-Konstruktion im Niederländischen. Als Ausgangspunkt dieses
236
Maurice Vliegen
Grammatikalisierungsweges betrachtet er die unpersönliche DAT/DASS-Konstruktion. Einige Belege seien hier angeführt (27, 29, 31). Hier wirkt das Verb,
besonders mit enklitischem Subjekt, fast wie ein evidentieller Marker (30, 31).
Auffälliger noch ist dies in dem parataktischen Beleg ohne Konjunktion (30),
einem Konstruktionstyp, der auch heute noch vorkommt (s. Abschnitt 4.2 Beleg
(57)).
(27)
De naem van desen mantel is ypocrisie ende is gheuoert mit vellen van vossen
al schijntet van buyten datse mit lammeren geuoert is
Der Name von diesem Mantel ist (H)ypokrisie und ist gefüttert mit Fellen von
Füchsen, obwohl scheint_es von außen dass_sie mit [Fellen von] Lämmern gefüttert ist.
(Pelgrimage vander menscheliker creaturen (15. Jh.))
(28)
doe quam die viant die als haar vader gecleet was ende hiet ons herteliken
willecome. ende het scheen hi soude mijnen arbeit lonen dat icse hem
brachte.
und es schien er sollte (würde) meine Arbeit lohnen dass ich sie ihm brachte
(Volksboek van Margarieta van Lymborch (1516))
(29)
Tschijnt dat hi van duechden scrijft menich sermoen // goet
Maer onder de duecht bedect hy sijn venijn
Hy cam eerst in cleederen als een schaep in schijn
[e]s_scheint dass er von (aus) Tugend schreibt manche Predigt
(Tweede boeck vol schoone ende constighe refereynen (Refereinen 1548)
Anna Bijns)
(30)
’t Scheen, Iupiter wilde ons daar ellendig vernielen.
[e]s schien Jupiter wollte uns dort elend vernichten
(D. V. Coornhert, De dolinge van Ulysse (1561))
(31)
Zij en konsten van vreugden hun wezen niet bedwingen,
’t Scheen dat elk thuisgekomen was bij kind en bij wijf In ’t strenge
Ithaca;
[e]s schien dass jeder heimgekehrt war bei Kind und Weib in dem strengen
Ithaca
(D.V. Coornhert, De dolinge van Ulysse (1561))
Bei der heutigen Datenlage lassen sich nur Vermutungen anstellen über den
Weg, den die Grammatikalisierung der besprochenen Konstruktionen zurückgelegt hat, denn alle Konstruktionen kommen schon relativ früh nebeneinander
vor. Als gesichert gilt die Erkenntnis, dass sich die INF-Konstruktion aus der
Partizipialkonstruktion entwickelt hat. Anscheinend hat sie auch die Funktion
der DASS-Konstruktion mit koreferentem Subjekt übernommen. Eine Entwicklung der INF-Konstruktion aus der DAT/DASS-Konstruktion oder auch umgekehrt lässt sich nicht belegen.
Am Ende dieses historischen Abschnitts möchte ich noch kurz hinweisen
auf einige frühe Belege für zwei noch im heutigen Deutsch und Niederländisch
Scheinbar identisch: Niederländisch schijnen, deutsch scheinen
237
vorhandenen Verwendungsweisen (s. weiter unten): die Verbindung mit als (of)
(als (ob)) (32) und die parenthetische Verwendung mit zo (wie) (33):
3
(32)
Twelcke een horribel dijnc was omme anhooren, ende nemmermeer om ghelooven: tscheenrecht of de eerde gheschuert zoude hebben.
[e]s_schien_recht (wirklich) ob die Erde gerissen sollte (würde) haben
(Ambrosius Zeebout, Tvoyage van Mher Joos van Ghistele (1557))
(33)
Die motelen Marien beelde staende up dHooftbrugghe, in een ijseren husekin,
en hebben zij (zoot schijnt) niet connen ghebreken, maer tkindekin hebben zij
den hals afgheclopt.
(so-es scheint)
(Marcus van Vaernewyck, Van die beroerlicke tijden in die Nederlanden en
voornamelick in Ghendt 1566-1568 (1566–1568))
Das heutige Inventar
Die folgende Übersicht basiert auf der Darstellung in Diewald (2001: 94 ff.) und
der niederländischen Referenzgrammatik ANS. Bis auf die Verwendung als
Vollverb liegt in allen weiteren Verwendungsweisen immer die grammatikalisierte Bedeutung als Halbmodal vor. Ein grundlegender Unterschied zwischen
dem Deutschen und dem Niederländischen besteht darin, dass im Deutschen in
diesen Verwendungsweisen immer ein optionales Dativobjekt möglich ist. Im
Niederländischen ist die Verwendung eines indirekten Objekts heute nahezu
ausgeschlossen (s. Abschnitt 4.1).
1. Als Vollverb in lexikalischer Bedeutung Vollverb mit optionaler AdvGr:
(34a)
De zon schijnt (helder).
(34b)
Die Sonne scheint (heiter).
2. Als Kopula mit prädikativer Ergänzung (Askedal 1998: 62 f.):
(35a)
Het apparaat schijnt (*mij) niet erg solide.
(35b)
Das Gerät scheint (mir) nicht sehr solide.
Eine Erweiterung um den Infinitiv zu sein findet sich unter 3. in (37a, b). Es
handelt sich dann immer um den Gebrauch als Kopula (Diewald 2001: 97).
3. Als Halbmodal (IdS: II, 1282) mit Infinitiv (ANS hulpww. van modaliteit
(1007–1009)):
(36a)
Het huis schijnt (*me) in te storten.
(36b)
Das Haus scheint (mir) einzustürzen.
(37a)
Het apparaat schijnt (*ons) niet erg solide te zijn
(37b)
Das Gerät scheint (uns) nicht sehr solide zu sein.
238
Maurice Vliegen
Askedal (1998: 63 f.) macht darauf aufmerksam, dass der Gebrauch mit zu sein
Beschränkungen unterliegt, vgl. (38a, b) und (39a, b). Zu weiteren syntaktischen
Eigenschaften Askedal (1998: 61 f.) und Diewald (2001: 91 ff.):
(38a)
Ze wil rustig schijnen.
(38b)
Sie will ruhig scheinen.
(39a)
!Ze wil rustig schijnen te zijn.
(39b)
!Sie will ruhig zu sein scheinen.
Als temporales Hilfsverb kann hier der Infinitiv ausfallen (ANS: 960–961;
Askedal 1998: 64 f.). Das Halbmodale wird dann zum Kopulaverb, und das Partizip wird als Adjektiv reinterpretiert. In meinem Korpus (s. Abschnitt 4) zeigt
sich dies fast ausschließlich bei Verben mit perfektiver Bedeutung (achievements):
(40a)
Hij schijnt veroordeeld (te zijn).
(40b)
Er scheint verurteilt (zu sein).
4. Mit aan het + infinitief (ANS, 1050 f.) (im NRC-Korpus nicht belegt). Diese
Konstruktion kommt im Deutschen nicht vor:
(41a)
Ze scheen aan het schilderen (te zijn).
(41b)
*Sie schien am Malen (zu sein).
5. Mit dat/dass-Komplement:
(42a)
Het schijnt (*hem) dat ze zich inspant.
(42b)
Es scheint ihm, dass sie sich anstrengt.
Auffällig an dieser Konstruktion ist, dass das formale Subjekt het/es obligatorisch ist. Eisenberg (1994: 384) stuft das Verb in dieser Konstruktion als „dreistelliges Verb mit Subjekt, fakultativem Dativobjekt und zu- bzw. dass-Komplement“ ein. Die Einbeziehung des zu-Komplements ist allerdings nicht berechtigt, da hier das formale Subjekt nicht obligatorisch ist (43b). Diewald
(2001: 97) sieht eine Ähnlichkeit mit Impersonalia etwa bei Witterungsverben.
Merkwürdigerweise kann das Impersonale bei gleichzeitigem Vorhandensein
des Dativobjektes fehlen (43c) (Askedal 1998: 69; Diewald 2001: 341).
(43a)
De man schijnt geholpen te worden.
(43b)
Dem Mann scheint geholfen zu werden.
(43c)
Mir scheint, als ob/dass sie ihre Reden selbst schreibt.
6. Parenthetisch:
(44a)
Hans zal ook komen, naar het schijnt. (ANS: 572)
(44b)
Hans wird auch kommen, wie es scheint.
Scheinbar identisch: Niederländisch schijnen, deutsch scheinen
4
239
Die Daten
Die niederländischen Daten für scheinen (Abschnitt 4.1) entstammen sämtlichen
Lieferungen der Tageszeitung „NRC“ aus dem Jahre 1994 (995 + 42 Belege),
für das niederländische lijken (Abschnitt 4.3) dem Monat September derselben
Zeitung (893 + 81 Belege) (Instituut voor Nederlandse Lexicologie, Leiden) und
für scheinen (Abschnitt 4.2) dem Monat Juli des Jahres 1997 der Tageszeitung
„Frankfurter Rundschau“ (724 + 43 Belege) (IdS, Mannheim). Das niederländische Verb scheinen ist also wesentlich weniger häufig als die beiden anderen
Verben.
4.1
schijnen
Tabelle 1: schijnen: Häufigkeiten. *10 ohne te zijn (Partizip II), 34 mit te zijn
schijnen
Lexikalisch
Kopula
DAT
INF
Gesamt
212 21.3% 61 6.1% 38 3.8% *684 68.7% 995 100.0%
Gegenwart 171 17.2% 42 4.2% 38 3.8%
andere
41
4.1% 19 1.9%
0 0.0%
630 63.3% 881
54
5.4% 114
88.5%
11.5%
Die parenthetische Konstruktion kommt 29 Mal vor, die restlichen 13 Fälle verteilen sich auf unterschiedliche Konstruktionen, beispielsweise mit zo (so) oder
als(of) (als(ob)). Aus der Tabelle geht hervor, dass das Verb in dieser Textsorte
im Wesentlichen präsentisch verwendet wird. Die Verwendung in der Kopulaund der DAT-Konstruktion bleibt weit hinter der Verwendung in der INF-Konstruktion zurück.
Lexikalisch
(45)
Zodra de zon volop schijnt, is het tijd de barbecue schoon te maken, houtskool
te kopen of de gasfles bij te vullen. (NRC_JUL_1994.)
Sobald die Sonne kräftig scheint, ist es an der Zeit, den Grill sauber zu machen, Holzkohle zu kaufen oder die Gasflasche nachzufüllen.
Kopula
(46)
Alles om me heen scheen zo schoon en zuiver. De mensen. Hun kleren. De gebouwen. De muziek. (NRC_AUG_1994)
Alles um mich herum schien so sauber und klar. Die Menschen. Ihre Kleider.
Die Gebäude. Die Musik.
(47)
Het enige grote probleem schijnt het gebrek aan regen te zijn, want het heeft al
een maand niet geregend. (NRC_APR_1995)
Das einzige große Problem scheint der Mangel an Regen zu sein, denn es hat
schon einen Monat nicht geregnet.
INF
240
Maurice Vliegen
Die Konstruktion mit einem Partizip II ohne te zijn kommt 10 Mal vor:
(48)
Het schisma in de Amerikaanse samenleving over Vietnam schien overwonnen, de oorlog tussen de generaties voorbij. (NRC_APR_1994)
Die Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft in Sachen Vietnam schien
überwunden, der Krieg zwischen den Generationen vorbei
DAT
(49)
Het schijnt dat hij dat geld nodig heeft om zijn negen kinderen te onderhouden. (NRC_APR_1995)
Es scheint, dass er das Geld braucht, um seine neun Kinder zu versorgen.
Parenthetisch
(50)
En de ijselijke kreten van de naar het schijnt jaarlijks toenemende populatie
van groene papegaaien met gele buikjes. (NRC_JUN_1994)
Und die schaurigen Schreie der, wie es scheint, jährlich wachsenden Population grüner Papageien mit gelben Bäuchlein.
Ein Experiencer ist bei der INF- und der DAT-Konstruktion ausgeschlossen,
kommt aber manchmal in der Kopulakonstruktion vor:
(51)
4.2
Het leven schijnt hem een groot zwart gat, waarin geen plaats is voor licht en
liefde en altruïsme. (NRC_JUN_1994)
Das Leben scheint ihm ein großes schwarzes Loch, worin kein Platz ist für
Licht und Liebe und Altruismus.
scheinen
Tabelle 2: scheinen: Häufigkeiten. *61 ohne zu sein (Part. II), 79 mit zu sein
scheinen
Gegenwart
andere
Lexikalisch
Kopula
DASS
INF
Gesamt
35
4.8% 150 20.7% 5 0.7% *534 73.8% 724 100.0%
30
4.1% 125 17.3% 5 0.7%
5
0.7%
25
3.4% 0 0.0%
482 66.6% 642
52
7.2%
82
88.7%
11.3%
Die als(ob)-Konstruktion kommt 18 Mal vor, eine asyndetische Konstruktion 8
Mal. Die restlichen 17 Fälle verteilen sich auf unterschiedliche Konstruktionen.
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass auch das deutsche Verb in dieser Textsorte
im Wesentlichen präsentisch verwendet wird. Die Verwendung der DAT-Konstruktion ist verschwindend gering. Die Kopulakonstruktion wird häufiger als
beim niederländischen Äquivalent verwendet. Es kommen im intersprachlichen
Vergleich absolut und relativ mehr INF-Konstruktionen ohne zu sein vor. Auch
die Zahl der sein-Infinitive ist höher. Auffällig beim ebenfalls höheren Gebrauch
eines Experiencer ist, dass hier in etwa der Hälfte der Belege Sprecherbezug
Scheinbar identisch: Niederländisch schijnen, deutsch scheinen
241
vorhanden ist: Kopula: 9 (davon Sprecherbezug: 3), DASS: 3 (davon Sprecherbezug: 2), INF: 13 (davon Sprecherbezug: 8):
Lexikalisch
(52)
Etliche von ihnen sind in Sommerszeiten – sofern denn die Sonne scheint –
besonders erstrebenswert. (FR_JULI_97)
Kopula
(53)
Und es schmerzt ihn zutiefst, wenn der Sohn (auch beim sehr handgreiflich inszenierten Ende des 2. Bildes) für ihn unerreichbar scheint. (FR_JUL_97)
DAT
(54)
Es scheint also, daß eine sinnvolle Todesdefinition irgendwo vor dem Funktionsausfall des letzten Organs oder dem Absterben der letzten Zelle ansetzen
muß. (FR_JUL_97)
(INF)
(55)
Es scheint eine Mischung aus politischer Demonstration und – das viel mehr –
großer Party zu sein. (FR_JUL_97)
als(ob)
(56)
Es scheint geradezu, als stehe Cohen, der einstige Kultmusiker, mitten im
Wohnzimmer vor der Fernsehcouch, so präsent ist er auf dem Bildschirm.
(FR_JUL_97)
Asyndetisch
(57)
Es scheint, wir haben am Werbellinsee den Aufschwung Ost entdeckt, eine bestimmte Facette jedenfalls ... (FR_JUL_97)
Im intersprachlichen Vergleich zeigt sich, dass die Kopulakonstruktion im Deutschen wesentlich öfter vorkommt als im Niederländischen: 20.7 % gegenüber
6.1 %. Die lexikalische Bedeutung ist im Niederländischen dagegen ungleich
häufiger: 21.3 % gegenüber 4.8 %. Die Häufigkeiten der DAT-/DASS-Konstruktion und der INF-Konstruktion sind dagegen nicht sehr unterschiedlich.
Wie schon gesagt (s. Abschnitt 4.1), erlauben die DAT- und die INF-Konstruktion im Niederländischen keinen Experiencer, die Kopulakonstruktion kaum einen. Nach Diewald (2000: 343 f.) ist dieses Phänomen ein Anzeichen eines höheren Grades der Grammatikalisierung. Die in hohem Maße grammatikalisierten
Modalverben verfügten aus diesem Grund gleichfalls nicht über eine eigene Argumentstruktur oder Valenz.
Die Unterschiede zwischen dem niederländischen und dem deutschen Verb
liegen also im Wesentlichen in der Häufigkeit der Kopulakonstruktion und der
Verwendung eines Experiencer. Im Niederländischen erfüllt das Verb lijken
(‘ähnlich sehen, gleichen’, ‘danach aussehen’) die Rolle einer ergänzenden Alternative. Es hat eine vergleichbare historische, wenn auch spätere, Entwicklung
242
Maurice Vliegen
erlebt, verfügt über die gleichen Verwendungsweisen, ist frequenter als schijnen
und erscheint öfter mit einem Experiencer.
4.3
lijken
Frühe erste Belege für die INF-Konstruktion finden sich im Vergleich zu den
beiden anderen Verben relativ spät:
(58)
Ick kent, dat de schoonheyt wel wat begheerlijck is, Maar wat is’t? ’t Is maar
wint voor die ’t wel besiet, Het lijckt wat te wesen, en ’t is lijckwel niet, ...
(Bredero 2, 272 [161.] Anfang 17. Jh.)
es scheint etwas zu sein und [e]s ist jedoch nichts
(59)
De eerste kusjes zyn vuur, de tweede lugt, en water, de derde aarde, dog het
slot is niemendal, en hy die het Perpetuum Mobile uithing, ja wiens uurwerk,
door een geduurige onrust bewoogen leek te zyn, is afgeloopen, en zakt
naar de ledigheit der dingen.
ja dessen Uhr, durch eine dauerhafte Unruhe bewegt schien zu sein
(Werken van Willem van Swaanenburg, De herboore oudheit, of Europa in ’t
nieuw (1724-1725))
Das Verb verfügt über die gleichen syntaktischen Muster wie schijnen (s. Abschnitt 3). Es unterscheidet sich nur in seiner lexikalischen Bedeutung:
(60a)
Jij lijkt op je broer.
(60b)
Du ähnelst deinem Bruder.
In der lexikalischen Bedeutung ist ein Experiencer ausgeschlossen, in der halbmodalen Bedeutung die PrGr mit op (auf). Der Unterschied zwischen der lexikalischen und der (halb)modalen Lesart ist allerdings gering, wie aus (61b, c)
hervorgeht, da beide als Paraphrasen für (61a) betrachtet werden können.
(61a)
Dat hij, die sinds 1965 zijn leven wijdt aan het verzamelen en bestuderen van
alles wat met verbale agressie te maken heeft, wegens verbale agressie veroordeeld is, lijkt een crue grap. (NRC_SEP_1994)
Dass er, ..., scheint ein derber Witz
(61b)
Dat hij, ..., lijkt (me) (*op) een crue grap (te zijn) > modale Bedeutung
(61c)
Dat hij, ..., lijkt (*me) op een crue grap > lexikalische Bedeutung
Tabelle 3 lijken: Häufigkeiten. *58 ohne te zijn, 25 mit te zijn
lijken
Lexikalisch
Kopula
DAT
INF
Gesamt
145 16.2% 342 38.3% 0 0.0% *406 45.5% 893 100.0%
Gegenwart 129 14.4% 286 32.0% 0 0.0%
andere
16
1.8%
56
6.3% 0 0.0%
362 40.5% 777
44
5.0% 116
87.0%
13.0%
Scheinbar identisch: Niederländisch schijnen, deutsch scheinen
243
Im Vergleich zum Verb scheinen ist hier die Kopulakonstruktion wesentlich
stärker vertreten. Die DAT-Konstruktion entfällt vollends. Sämtliche Vorkommen (24) einer DAT-Konstruktion (62) sind der lexikalischen Bedeutung zuzuordnen. Die INF-Konstruktion ist weniger stark vertreten (63):
(62)
Volgens het bureau van de secretaris-generaal van Justitie lijkt het erop dat
het departement ,,wederom met onmogelijke taakstellingen wordt opgezadeld
zodat ...“ (NRC_SEP_1994)
sieht es danach aus, dass
(63)
De blauwe zwaan KLM leek zich even te ontpoppen als een lelijk eendje.
(NRC_SEP_1994).
der blaue Schwan KLM schien sich kurz zu entpuppen als ein hässliches Entlein
(64)
Het lijkt alsof de zon geen echte magnetische zuidpool heeft. (NRC_SEP_
1994)
es sieht aus als ob die Sonne keinen richtigen magnetischen Südpol hat.
Auffällig ist, dass die eine Nicht-Wirklichkeit bezeichnende (als)of-Konstruktion gleich 42 Mal vorkommt (dazu Diewald 2001: 105 f.). Die Einschätzung
eines Sachverhaltes als Nicht-Wirklichkeit ist deiktischer Natur, sie geschieht
vom Sprecher aus (De Haan 2007: 141). Dazu passt, dass sich in 46 Belegen der
Kopulakonstruktion (13.5 %) und 15 Belegen der INF-Konstruktion (3.7 %) ein
Experiencer findet, und zwar fast ausschließlich der Sprecher (me/mij (mir), ons
(uns)). Die restlichen 39 Belege verteilen sich auf unterschiedliche Konstruktionen.
5
Fazit
In diesem Beitrag wurde die Entwicklung der Konstruktionen des niederländischen Verbs scheinen dargestellt. Obwohl einiges noch im Dunkeln liegt, dürfte
diese Entwicklung auch Rückschlüsse auf die Herausbildung des bedeutungsgleichen deutschen Verbs scheinen erlauben, so etwa auf die Herausbildung der
DASS-Konstruktion im Deutschen. Im gegenwärtigen Verhältnis der beiden
Verben hat sich gezeigt, dass ein Vergleich nur unter Einbezug des niederländischen Verbs lijken Sinn macht. Im Gegensatz zum niederländischen Verb schijnen erlaubt lijken wie das deutsche Verb scheinen einen Experiencer. Die DAT/DASS-Konstruktion ist niedrig frequent. Zu ihrer Verwendung in Verbindung
mit dem evidentiellen Verb blijken im Niederländischen sei auf Vliegen (2010a)
verwiesen.
244
Maurice Vliegen
Literatur
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IdS (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Berlin/New York: Walter de Gruyter.
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Spracherwerb/
Sprachunterricht
Effekte der Schulgrammatik
Huub van den Bergh, Lisanne Klein Gunnewiek, Wolfgang Herrlitz
Die „Deutsche Grammatik. Eine kontrastiv deutsch-niederländische Beschreibung für den Zweitspracherwerb“ von Abraham P. ten Cate und seinen Groninger Kollegen Hans G. Lodder und André Kootte (ten Cate u. a., 1998) ist in den
Niederlanden ein Standardwerk geworden, das in der niederländischen
Deutschlehrerausbildung und in der Germanistik die Position der kontrastiven
deutschen Grammatik einnimmt. Sie wurde bereits vor dem ersten Erscheinen
im Jahre 1998 als interne Publikation vorgelegt und Schritt für Schritt immer
weiter verbessert. Eine abgeleitete Elementargrammatik des Deutschen (Lodder,
2004) in niederländischer Sprache sowie das Übungsbuch Deutsche Grammatik
(ten Cate/de Vries, 2005) dokumentieren die Bedeutung, die dieser Grammatik
auch für das Schulfach Deutsch in den Niederlanden zukommt. Die Deutsche
Grammatik von ten Cate u. a. markiert das (vorläufige) Ende einer mehr als
hundertjährigen Tradition, in der sich in den Niederlanden Fachleute aus Schule
und Hochschule um eine Beschreibung der Regeln der deutschen Sprache bemüht haben, die als Beitrag zur besseren Beherrschung des Deutschen als
Fremdsprache in den Niederlanden intendiert war (und ist): die kontrastive
Grammatik soll „in erster Linie einem kognitiv orientierten Fremdsprachenunterricht dienen“ (ten Cate u. a., 1998: 5).
Nun wird gerade dem empathischen Beobachter dieser Tradition der kontrastiven Grammatik Deutsch als Fremdsprache nicht entgehen, dass diese sich
seit ihren Anfängen mit der Frage konfrontiert sieht: Wie viel Grammatik
braucht der Mensch? – eine Frage, die durch ihre intertextuelle Beziehung zu
Tolstois Erzählung „Wie viel Erde braucht der Mensch?“ die kritische Antwort
bereits in sich trägt: viel, viel weniger, als man denken sollte ... Die kognitive
Orientierung des Fremdsprachenunterrichts hat immer auch kritische Stimmen
hervorgerufen, ohne dass diese eine umfassende Neuorientierung des Sprachunterrichts zu Wege gebracht hätten: Offenbar unterstreicht die pädagogische
Praxis immer wieder die besondere Leistung des Grammatikunterrichts, als
Ausgangspunkt und Kontrollinstanz der Beherrschung einer Fremdsprache zu
dienen. Und offensichtlich sind Untersuchungen zur Wirkung grammatischer
Instruktion auf sprachliche Lernprozesse im Unterricht nicht hinreichend zugänglich und überzeugend, um die andauernde Diskussion im Sinne der einen
oder anderen Position zu beenden.
Auf diese Weise bietet sich das Bild von zwei sich widersprechenden Rhetoriken („Redeweisen“) zum Sprachunterricht – grammatische versus kommuni-
248
Huub van den Bergh, Lisanne Klein Gunnewiek, Wolfgang Herrlitz
kative Orientierung –, die sich die Waage halten und in der Praxis des niederländischen Fremdsprachenunterrichts für eine Pattstellung sorgen, die eine
fruchtbare Entwicklung des Faches Deutsch verhindert. In dieser Situation
möchten wir mit einigen Anmerkungen zu einem longitudinalen Forschungskonzept versuchen, der Durchbrechung dieser Pattstellung eine neue Perspektive
zu bieten.
1
Longitudinale Analysen der Lernprozesse Deutsch als
Fremdsprache
Welchen Beitrag kann die Forschung zum Sprachunterricht in der Fremdsprache
Deutsch, seiner Rechtfertigung und Verbesserung leisten? Was sind dies für
Fragen, die sich im Deutschunterricht stellen und die in Forschungsprojekten
zum Deutschunterricht beantwortet werden können? Die zentrale Frage (übrigens jeden Unterrichts und jeder Unterrichtsforschung) besteht darin, wie denn
die Lernsituationen gestaltet werden müssen, um bei den Schülern bestimmte
Lernprozesse in Gang zu setzen und zu bestimmten Lernresultaten weiterzuführen. Dabei geht es nicht um Kurzzeiterfolge („Deutsch in zwei Wochen“), sondern um die Resultate des gesamten Deutschunterrichts (zusammengesetzt aus
den Effekten jedes einzelnen Schuljahres) und letzten Endes um die angemessene Verwendung des Deutschen als Fremdsprache im späteren beruflichen und
privaten Leben jedes Schülers.
Der Frage nach der mittel- und langfristigen Struktur sprachlicher Lernprozesse und deren dauerhaften Einfluss auf die Lernresultate werden insbesondere
longitudinale Studien gerecht, in denen Lernprozesse und ihre Effekte über längere Zeiträume hin rekonstruiert werden. Solche Studien sind zeit- und arbeitsintensiv und werden wegen dieses enormen Aufwandes viel zu wenig ausgeführt. Alternative Forschungsdesigns aber (wie etwa cross-sektionale Analysen)
sagen wenig über Prozesse aus, die zu bestimmten Unterrichtsresultaten führen;
sie tragen deswegen zur Klärung des Kerns unseres Problems – wie kann man
Lernprozesse im Sprachunterricht so beeinflussen, dass sie zu bestimmten Resultaten führen? – zu wenig bei. Während also vielversprechende (longitudinale)
Untersuchungen wegen des enormen Aufwandes zu wenig ausgeführt werden,
leiden häufig benutzte Forschungsdesigns an geringer Aussagekraft. In diesem
Widerspruch sehen wir einen der Gründe dafür, dass wir über Grammatiken
(wie die von ten Cate u. a.) mit didaktischer Zielsetzung verfügen, viel weniger
aber über Untersuchungen, die überzeugend die Effekte dieser Grammatiken im
Unterricht nachweisen.
Effekte der Schulgrammatik
249
Welchen Einfluss übt das Lernen expliziter grammatischer Regeln auf das
Lernen sprachlicher Fähigkeiten im niederländischen Deutschunterricht aus?
Hier wird deutlich die Frage nach dem Weg formuliert, den ein Lerner unter dem
Einfluss bestimmter Unterrichtssituationen gehen muss, um bestimmte Lernresultate als Ziel zu erreichen. Nun gilt allerdings für den Sprachunterricht (wie
für Unterricht im Allgemeinen): Viele Wege führen nach Rom! Der Sprachunterricht gleicht also nicht einem Labyrinth, in dem nur ein Weg zum Ausgang
führt, sondern eher einem Straßennetz, in dem ein bestimmtes Ziel auf mehreren
Wegen erreicht werden kann, die alle ihre Vor- und ihre Nachteile haben. Die
Frage ist also, welcher Weg die meisten Vorteile bietet, um ein bestimmtes Ziel
zu erreichen. Sind diese Vorteile in einer kognitiven Orientierung des Sprachunterricht und dementsprechend in dem Aufbau expliziter grammatischer
Kenntnisse zu suchen? Oder bietet vielmehr eine kommunikative Orientierung
und dementsprechend der intensive Gebrauch sprachlicher Genres die meisten
Vorteile?
Longitudinale Studien untersuchen die Einflüsse, die bestimmte Merkmale
von Lernsituationen auf den Sprachlernprozess haben; sie liefern also Argumente, warum Weg 1 zu einem bestimmten Sprachbeherrschungsniveau, stimuliert von bestimmten Lernsituationen A, (viel) attraktiver und effektiver ist als
Weg 2, stimuliert von bestimmten Lernsituationen B. Dabei stehen der sprachliche Lernprozess und der steuernde Einfluss von sprachlichen Lernsituationen
im Zentrum. Die Forschung muss sich auf den Prozess des Lernens richten, der
über längere Zeit unter bestimmten Bedingungen der Lernsituation ein bestimmtes Niveau sprachlicher Fähigkeiten erreicht. Es geht also um den Weg,
der gewählt werden muss, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Für Einsichten
in diesen Weg sind longitudinale Analysen unverzichtbar.
2
Die longitudinale Struktur des Deutschen als Fremdsprache
im niederländischen Sprachunterricht
Nach unserer Kenntnis gibt es lediglich eine longitudinale Studie zum Deutschunterricht in den Niederlanden: Lisanne Klein Gunnewiek hat über mehrere
Monate hin den Prozess untersucht, in dem niederländische Schüler im Fach
Deutsch der Sekundarstufe I (im 8. Schuljahr) Teile der Wortstellung im Deutschen beherrschen lernen; in ihrer Dissertation (Klein Gunnewiek, 2000) hat sie
dieses Projekt dargestellt und die Resultate ihrer Untersuchung dokumentiert
und analysiert. Wir nehmen ihre Untersuchung zum Ausgangspunkt unserer
Überlegungen; wir beginnen also mit der Präsentation von Einsichten in den
250
Huub van den Bergh, Lisanne Klein Gunnewiek, Wolfgang Herrlitz
Lernprozess im Fach Deutsch, bevor wir die Frage nach der optimalen
Gestaltung dieses Prozesses aufwerfen.
Aus Gründen der Einfachheit und Übersichtlichkeit präsentieren wir Klein
Gunnewieks Typ einer longitudinalen Untersuchung in der Form eines Kochrezeptes:
Man nehme
o 20 bis 30 Schüler1 Deutsch in derselben Phase ihres Lernprozesses
o mindestens 3, am besten aber 10 „identische“ Aufgaben („identisch“ in dem Sinne, dass Unterschiede in der Aufgabenlösung
nicht Unterschieden in der Aufgabenstellung zuzuschreiben sind)2
o sprachliche Strukturmerkmale, nach denen die Aufgabenlösungen
untersucht werden können, z. B. Strukturen der Wortstellung:
SVO
Otto liebt Ottilie
XVSO
Herzlich liebt Otto Ottilie
SEP
Otto betet Ottilie an
INV
Liebt Otto Ottilie?
V-Ende
..., weil Otto Ottilie liebt
Zubereitung
o Lass alle Schüler mindestens 3, am besten aber 10 Aufgaben3 bearbeiten. Sorge für einen bestimmten zeitlichen Abstand – z. B. 4
1
2
3
Im Allgemeinen gilt, dass, je größer eine Stichprobe ist, desto größer die Chance, einen
signifikanten Unterschied nachzuweisen, d. h. Veränderungen in der Sprachentwicklung
im Laufe der Zeit und diesbezügliche Unterschiede zwischen den Lernern aufzuzeigen.
In diesem empirischen Design (Klein Gunnewiek 2000) scheinen, auf der Grundlage einer Simulationsanalyse, 20 Lerner – mit 6 Messungen pro Lerner – ausreichend, um Unterschiede (falls sie vorhanden sind) zu erkennen (vgl. hierzu auch Bosker & Snijders
1990). Sicherheitshalber wurden 24 Informanten ausgewählt.
Ein Problem bei Longitudinalstudien ist das Eintreten von Erinnerungseffekten (Kullik,
Kullik & Bangert 1984; Bergh, Eiting & Mellenbergh 1992). Eine Lösung dieses Problems ist der Einsatz vergleichbarer (also nicht identischer) Instrumente zur Datenerhebung. Die optimale Vergleichbarkeit der Instrumente ist durch die Anwendung sogenannter Paralleltests zu erreichen, d. h. durch Tests, die sowohl das Gleiche messen als
auch die gleichen Mittelwerte, die gleichen Varianzen und die gleichen Reliabilitäten haben (Gulliksen 1950). Konkret hieße dies, dass bei Paralleltests ein Lerner immer dieselben Testergebnisse hätte, wenn sie alle zu einem Messzeitpunkt abgenommen würden.
Paralleltests sind nicht voneinander unterscheidbar, ausgenommen in der Formulierung
der Items. Bei verschiedener Formulierung der Items sind Erinnerungseffekte in longitudinalen Studien weniger wahrscheinlich. Wenn Erinnerungseffekte keine Rolle spielen,
messen die Tests an den verschiedenen Messzeitpunkten die Entwicklung an sich.
Der Einsatz verschiedener Operationalisierungen vom gleichen theoretischen Konstrukt
(in diesem Fall der Sprachentwicklung) ist empfehlenswert, weil jede Operationalisie-
Effekte der Schulgrammatik
251
Wochen – zwischen den Testmomenten, zu denen die Aufgaben
bearbeitet werden.
o Dokumentiere und transkribiere den Sprachgebrauch dieser Bearbeitungen.
o Analysiere die Daten auf die festgelegten Strukturmerkmale hin
und gib an, in wie vielen der obligatorischen Fälle (= 100%), in denen also eine Struktur gebraucht werden muss, eine Struktur tatsächlich korrekt gebraucht wird (= X %).
o Ziehe für jede Struktur für jeden Testmoment eine Linie durch die
X % und gib auf diese Weise an, wie sich die Beherrschung einer
Struktur in der Zeit (= longitudinal) entwickelt. Tue dies für jeden
Schüler, aber auch für den Durchschnitt der ganzen Gruppe.
In ihrer Dissertation ist Lisanne Klein Gunnewiek nach diesem Rezept vorgegangen. Als Beispiel dieser Arbeitsweise und ihrer Resultate4 hier die Entwicklungslinien für den Schüler Jeroen (Klein Gunnewiek, 2000: 105) – s.
nächste Seite.
Diese Entwicklungslinien Jeroens über einen Lernzeitraum von 28 Wochen
bieten eine Reihe von Einsichten in den Lernprozess Deutsch als Fremdsprache
in der niederländischen Sekundarstufe I (Klasse 8, zu Beginn des Unterrichts
DaF):
1. Jeroen lernt die untersuchten syntaktischen Strukturen nicht nacheinander
(also in Phasen, Stufen oder Stadien) – erst SVO, dann XVSO usw. –
sondern in parallelen, gleitend steigenden Beherrschungsniveaus. Die
Sprachbeherrschung ist geschichtet: SVO wird besser beherrscht als
XVSO, SEP besser als V-ENDE usw., alle Strukturen aber werden von
Beginn an korrekt benutzt, wenn auch in unterschiedlichem Maß.
4
rung ihre eigenen Charakteristiken hat und die Resultate folglich nie unabhängig von den
verwendeten Instrumenten zu betrachten sind. Diese Empfehlung wird durch Studien
unterstützt, die gezeigt haben, dass Sprachleistungen in Abhängigkeit von der Art der
verwendeten Aufgabe variieren (u. a. Fiske 1987; Rijlaarsdam, Bergh & Zwarts 1992)
und dass die Zuverlässigkeit der Instrumente sich verbessert, wenn Aufgabeneffekte berücksichtigt werden (Wesdorp 1974; Bergh, Glopper & Schoonen 1987). Mit anderen
Worten, es sind mehrere Instrumente zum gleichen Konstrukt einzusetzen, um methodologische Probleme wie Aufgabeneffekte und (wegen Mono-Operationalisierung) unzuverlässige Messungen unter Kontrolle zu bekommen.
Man kann erst Aussagen über die gewonnenen Resultate machen, wenn man zuverlässige
Instrumente hat und wenn die Nicht-Invalidität der Instrumente nachgewiesen werden
kann. Dies ist der Fall in dieser Studie, wie die Analyse der Korrelationen zwischen den
Instrumenten gezeigt hat.
252
Huub van den Bergh, Lisanne Klein Gunnewiek, Wolfgang Herrlitz
Lerner: 5
70
S
S
S
60
50
X
S
X
V
V E
V E
E
X
V
E
I
X
V
I
E
I
V
E
I
E
V
I
I
E
V
I
E
V
I
E
V I
I
X
S
X
X
30
S
X
X
S
S
X
S
S
40
Prozente korrekt
80
90
Prozente korrekt (vertikal) pro Woche (horizontal) für Lerner 5: Jeroen
(S: SVO; X: XVSO; I: INV; E: SEP; V: V-ENDE)
0
5
S
S S
S S
X
X
X
X
X
V
V
V
V
E E
V
E
E
E
I
I I
I
I
10
X X X
S X
S S V V
X X
S S S S
V V S S
S S S X X X
V V
X
V
X
V
X
V
V
V
V
E E E E E
E E E E
E
E E
I I I I I I
I
I I
I
I I
15
20
25
Wochen
2. Aus der Schichtenstruktur kann man mit einem Kunstgriff (einem „Forschungstrick“) eine Phasenstruktur machen: Wenn man bei 50 % korrektem Gebrauch willkürlich eine Grenze zwischen „erworben“ und „nicht
erworben“ zieht, dann sieht die Interpretation derselben Daten so aus:
o SVO wird von Anfang an erworben (mehr als 50 % korrekt), alle
anderen Strukturen nicht.
o Nach drei Wochen wird auch XVSO erworben, also in Phase 1
SVO, in Phase 2 SVO und XVSO.
o Nach sieben Wochen werden auch INV und SEP erworben, also in
Phase 1 SVO, in Phase 2 SVO und XVSO, in Phase 3 SVO,
XVSO, INV und SEP.
o Nach elf Wochen wird auch V-ENDE erworben , also in Phase 1
SVO, in Phase 2 SVO und XVSO, in Phase 3 SVO, XVSO, INV
und SEP und schließlich in Phase vier SVO, XVSO, INV, SEP und
V-ENDE.
Diese Interpretation passt in Jakobsons Konzept der einseitigen Fundierung als Prinzip des Spracherwerbs (Jakobson, 1944): SVO → XVSO →
INV, SEP → V-Ende, wobei diese Erwerbsreihenfolge als (durch Unterricht) nicht veränderbar und jede Phase als notwendige Bedingung der
folgenden Phase angesehen wird. In vielen Untersuchungen und auch in
Handbüchern wird diese Phasenstruktur als das Charakteristikum des
Zweit- und Fremdsprachenlernens betrachtet. Genauer betrachtet aber ist
sie ein Artefakt der Theoriebildung, weil sie auf einer willkürlichen Festlegung der Grenze zwischen Erwerb und Nichterwerb sowie auf Querschnittsdaten beruht, die mit unzuverlässigen Instrumenten erhoben wurden.
253
Effekte der Schulgrammatik
3. Die untersuchten Strukturen sind in Jeroens erster Sprache (Niederländisch) und dem Deutschen nahezu identisch. Man könnte sagen, dass Jeroens erste Sprache den Ausgangspunkt seines Deutschlernens bildet; es
ist aber charakteristisch, dass das Beherrschungsniveau in der Fremdsprache essentiell anders ist als in der ersten Sprache. Das Lernmoment besteht in diesem Falle nicht darin, dass Jeroen Strukturen neu aufnehmen
muss, die bisher nicht in seinem Kopf vorhanden waren; vielmehr bedeutet Lernen hier: Eine bekannte Struktur unter den Bedingungen der
Fremdsprache korrekt gebrauchen lernen.
4. Die Lernlinie SVO erreicht bei Jeroen zwischen 80% und 90% des korrekten Gebrauchs, die Lernlinie V-ENDE bleibt unter 60%.
Die mittleren Lernlinien der ganzen Versuchsgruppe von 24 Schülern zeigen
dasselbe Bild. Wenn man die Lernlinien aller Schüler für eine Struktur miteinander vergleicht, dann zeigt sich, dass verschiedene Schüler eine Struktur in
unterschiedlichem Maße beherrschen. Im Laufe des Lernprozesses kreuzen sich
die Lernlinien nur wenig: Im Deutschunterricht bleiben die guten Schüler gut
und die schlechten schlecht.
100
80
E E E
E E
60
E
E
I
I
I
I
I
I
I
I
I
I
I
I
20
40
E
I
I
60
E
Prozente korrekt
E
40
E
E E
E
20
Prozente korrekt
80
100
Figuren a + b: Prozente korrekt (vertikal) für Satzklammer (E: Durchschnittskurve für Satzklammer)
und Inversion (I: Durchschnittskurve für Inversion) pro Woche (horizontal) für individuelle Lerner
0
5
10
15
Woche
20
25
0
5
10
15
20
25
Woche
Ausgangspunkt unserer Argumentation ist die Annahme, dass diese Analyse generalisierbar ist, dass also Lernlinien Deutsch als Fremdsprache im niederländischen Unterricht dieselben Charakteristiken aufweisen, wie sie die Untersuchung von Klein Gunnewiek (2000) zeigt.
3
Einfluss expliziten Grammatikunterrichts auf die
Entwicklung der Sprachfähigkeit Deutsch als Fremdsprache
Mit der Einsicht in die longitudinale Struktur von sprachlichen Lernprozessen
kann die Erforschung der Lehr-Lern-Situationen verknüpft werden, die im
Fremdsprachunterricht diese Lernprozesse steuern. Es geht um den Zusammen-
254
Huub van den Bergh, Lisanne Klein Gunnewiek, Wolfgang Herrlitz
hang zwischen der Gestaltung des Unterrichts und den Charakteristika sprachlicher Lernprozesse, in denen diese Gestaltung resultiert. Dabei geht es um Fragen wie
o Welchen Einfluss übt eine Lernumgebung Benutzen und Üben von VENDE auf die Lernlinie V-Ende aus?
o Wie verändert sich diese Lernlinie, wenn abweichender Gebrauch von VENDE auch korrigiert wird ?
o Wie wirkt sich der Unterricht in expliziten grammatischen Regeln auf die
Lernlinie V-ENDE aus?
In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die dritte Frage nach dem Einfluss
des Lernens expliziter grammatischer Regeln auf die Entwicklung sprachlicher
Fähigkeiten.
Überraschenderweise gibt es nicht besonders viele Untersuchungen zu den
Effekten des Grammatikunterrichts (allgemeiner formuliert: des grammatischen
Wissens) auf die Sprachfähigkeit von Schülern. Dieser Befund überrascht aus
mindestens zwei Gründen: Erstens wird dem Grammatikunterricht viel Zeit gewidmet; so wird sowohl in der Grundschule als auch im weiterführenden Unterricht mehr Zeit für Grammatikunterricht als beispielsweise für die Entwicklung
der Schreibfertigkeit verwendet (Krom, Van de Gein, Van der Hoeven, Van der
Schoot, Verhelst, Veldhuijzen & Hemker, 2003; Henkes, 2010). Und zweitens
wird in diversen Publikationen die Wichtigkeit des Grammatikunterrichts für die
Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten bezweifelt. Wohl wird die Wichtigkeit
der Morphologie fürs Schreiben unterstrichen (Gombert, 2003; Nunes & Byrant,
2006). Dann wird auch die Bedeutung syntaktischen Wissens für Schreibfertigkeit und Textproduktion herausgestellt (Hacker, Plumb, Butterfield, Quathamer
& Heineken, 1994; Graham, Schwartz & MacArthur, 1995; Graham, De la Paz
& Swanson, 1998).
In einer (kürzlich veröffentlichen) Studie wurde untersucht, ob lexikalisches,
morphologisches und syntaktisches Wissen sowie die entsprechenden Fertigkeiten zu Qualität und Merkmalen der Textproduktion in Beziehung stehen
(Hemkes, 2011). Hierzu haben Schüler der 10. Klasse („vierde klas“ in den Niederlanden) verschiedene Tests abgelegt, um ihr lexikalisches, morphologisches
und syntaktisches Wissen zu messen; ihre Schreibfertigkeit wurde mit Hilfe eines durch die Schüler geschriebenen Textes bestimmt. Keine der Korrelationen
zwischen lexikalischem und syntaktischem Wissen und beliebigen Aspekten der
Schreibfertigkeit war signifikant. Lediglich für morphologische Kenntnisse
konnte eine Beziehung zur Qualität des geschriebenen Textes nachgewiesen
werden.
Effekte der Schulgrammatik
255
In einer etwas älteren Studie (Tordoir & Wesdorp, 1979) wurde das grammatische Wissen von Schülern (13- bis 15-Jährige) zu ihren Leistungen in einer
Fremdsprache in Beziehung gesetzt. Das heißt also, dass der Zusammenhang
zwischen Lese- und Schreibfertigkeit einerseits und Kenntnis der Wortarten und
Fähigkeit zur Satzgliedbestimmung andererseits Untersuchungsgegenstand war.
Ohne Ausnahme waren alle Korrelationen schwach (r ≤ 0.13), aber doch signifikant. Auch die Weise, in der Grammatik unterrichtet wird, und der Zeitaufwand
für Grammatikunterricht stehen kaum zur Sprachfähigkeit der Schüler in Beziehung. Entsprechend kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die schwache
Relation zwischen grammatischem Wissen und Sprachfähigkeit in keiner Weise
den Aufwand rechtfertigt, der im weiterführenden Unterricht in Bezug auf
Grammatik betrieben wird.
In dieser Situation erwarten wir entscheidende Lösungen von einer longitudinalen Studie, die ihren Ausgangspunkt bei Klein Gunnewieks Untersuchung
(Klein Gunnewiek, 2000) nimmt und analysiert, welchen Einfluss explizites
grammatisches Wissen über eine längere Zeit hinweg auf das Beherrschungsniveau ausübt, das Schüler im niederländischen Deutschunterricht erreichen. Die
folgenden (hypothetischen) Erwartungen (deren Liste mühelos verlängert werden kann) veranschaulichen die möglichen Ergebnisse eines solchen Forschungsprojekts:
o Unter dem Einfluss expliziten Grammatikunterrichts ist die Entwicklung
der Beherrschung des Deutschen viel steiler (oder auch: viel flacher) als
bei Klein Gunnewiek.
o Dies gilt vor allem für „schwache“ (oder auch: für „exzellente“) Schüler.
o Vor allem liegt bei explizitem Grammatikunterricht die sprachliche Korrektheit bei allen (oder auch: einem spezifischen Teil der) Strukturen
deutlich höher als ohne Grammatikunterricht.
o Grammatikunterricht hat vor allem positiven Einfluss auf die richtige Verwendung morphologischer Strukturen, die nicht in der Erstsprache der
Lerner vorkommen.
o Ein spezifischer Einfluss von Grammatikunterricht ist nicht nachweisbar.
o Der Einfluss des Lernens expliziter Regeln ist an die Realisierung bestimmter sprachdidaktischer Konzepte im Unterricht gebunden.
4
Ein Beispiel für eine longitudinale Studie zum Einfluss
grammatischer Instruktion
Es scheint uns sinnvoll zu sein, die im Folgenden kurz charakterisierte Untersuchung als Modell einer longitudinalen Studie zum Einfluss grammatischer In-
256
Huub van den Bergh, Lisanne Klein Gunnewiek, Wolfgang Herrlitz
struktion auf die Entwicklung der Sprachfähigkeit Deutsch als Fremdsprache zu
benutzen:
In einer Reihe von Experimenten wurde der Einfluss des Lehrerkommentars
auf die Schreibfertigkeit von Schülern näher untersucht (vgl. u. a. EversVermeul & Van den Bergh, 2009). Alle Experimente hatten dieselbe Struktur:
Die Schüler bekamen den Auftrag, eine Versuchsanleitung zu einem kleinen
Experiment zu schreiben, das sie gerade gesehen hatten. Das kleine Experiment
konnte sowohl ein Zaubertrick sein als auch ein physikalischer Versuch (Thema
z. B.: Luft nimmt Raum ein). Dann mussten die Schüler (von Grundschülern bis
zu Oberstufenschülern des Gymnasiums) ihre Versuchsanleitung unter unterschiedlichen Bedingungen redigieren: Einige Schüler hatten eine Videoaufnahme gesehen von einem Mitschüler, der den Versuch nach ihrer Versuchsanleitung auszuführen versuchte; andere hatten ein Video mit der Ausführung
der Versuchsanleitung von jemand anderem gesehen; eine dritte Gruppe redigierte die Versuchsanleitung auf der Grundlage grammatischen (und ab und zu
auch inhaltlichen) Feedbacks des Dozenten; eine vierte Gruppe redigierte ihren
Text aufgrund der eigenen Evaluation ihrer ersten Version der Versuchsanleitung. Die Schüler dieses Experiments schrieben sowohl in ihrer Muttersprache
(Niederländisch) als auch in ihrer (ersten) Fremdsprache (Englisch).
In einer Reihe von Studien wurden auch Langzeiteffekte untersucht: Die
Schüler schrieben nach einigen Wochen noch einmal eine Versuchsanleitung,
die sie nicht mehr redigieren mussten. Die Resultate all dieser Studien haben ein
eindeutiges Ergebnis: Der Lerneffekt der Betrachtung eines Videofeedbacks ist
viel größer als der Effekt des Redigierens aufgrund eines Lehrerkommentars. In
der folgenden Graphik werden die gemittelten Urteile über die Qualität der produzierten Texte zusammengefasst – s. nächste Seite.
Diese Graphik zeigt, dass die redigierte (zweite) Textversion von Schülern, die
ein Video gesehen hatten, viel besser beurteilt wurde als eine redigierte Version
von Schülern, die auf der Grundlage des Lehrerkommentars redigierten oder
selbst entscheiden mussten, was an ihrer Versuchsanleitung zu verbessern war.
Der grammatische Kommentar des Lehrers hat zwar deutliche Effekte, diese
bleiben aber im Vergleich mit dem Videofeedback begrenzt. Auch zeigt sich,
dass die Betrachtung eines Videos deutlichen Transfer zu einer Aufgabe bewirkt, die einige Wochen später bearbeitet werden musste. Ein Videofeedback,
in dem ein Mitschüler den Versuch auszuführen versucht, vergrößert nicht nur
die allgemeine Textqualität der Versuchsanleitung, auch die Zahl der Rechtschreibfehler und der Verstöße gegen die Grammatik nimmt hierdurch namentlich in der Fremdsprache (Englisch) ab.
Effekte der Schulgrammatik
257
Diese Studien integrieren didaktische Konzepte der Funktionalität von Texten
und der Anschaulichkeit von Feedback mit Aspekten der orthographischen und
grammatischen Korrektheit. Wir nehmen sie als Modell für eine longitudinale
Untersuchung, in der systematischer Grammatikunterricht eine der Konditionen
bildet, unter denen in regelmäßigen Abständen funktionale Aufgaben zu
bearbeiten sind. Die Lernlinien, die die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten
unter verschiedenen Konditionen des Unterrichts zeigen, geben die Effektivität
unterschiedlicher Unterrichtsgestaltung in Bezug auf die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten an. Nach unserer Kenntnis ist die Beherrschung des Deutschen
durch niederländische Schüler bisher noch nie auf diese Art und Weise untersucht worden. An den Ergebnissen dieser longitudinalen Analyse der Effekte
unterschiedlicher Konditionen auf die langfristige Entwicklung der Beherrschung lässt sich ablesen, wie weit der Einfluss expliziter grammatischer Kenntnisse reicht und wo das Gebiet nicht einlösbarer pädagogischer Ansprüche beginnt.
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258
Huub van den Bergh, Lisanne Klein Gunnewiek, Wolfgang Herrlitz
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Effekte der Schulgrammatik
259
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Musses.
Zur Evaluation von Zweitspracherwerb Englisch
Klaus-Dieter Gottschalk
In linguistischen Seminaren und Kolloquien haben Teilnehmer die Gelegenheit
genutzt, mündliche und schriftliche Vertextungen beim englischen Spracherwerb zu untersuchen. Zwei Beiträge gehen einerseits auf erfolgreichen kindlichen Spracherwerb ein (Regine Hesse) und andererseits auf den schulischen Erwerb einer ostafrikanischen Verkehrsvariante des Englischen (Elisabeth Hönes).
Eine Vertextung im Anfängerunterricht für Erwachsene wertet Gottschalk
(2010) im semiotischen Textmodell aus.
1
Semiotisches Textmodell
Das Modell berücksichtigt drei Ebenen für das Verstehen des Verstehens von
Texten: Zuoberst steht der Metatheoretiker und überschaut die mittlere Ebene
mit ihrer Vielzahl von Theorien zur Semiotik, Pragmatik, Linguistik usw. Diese
Theorien bieten auf der mittleren Ebene das Rüstzeug für die Analyse von Textsituationen. Auf der unteren Ebene befinden sich Textproduzent(en) und -rezipient(en); sie verleihen dem Text Struktur nach ihren persönlichen oder gemeinsamen Aufmerksamkeitsfoki. Von der mittleren Ebene aus analysieren wir keine
statischen Textstrukturen, sondern Vorgänge bei der Textstrukturierung, wie
nämlich Textproduzenten und -konsumenten in ihren jeweiligen Situationen mit
dem Text umgehen. Der Text kann semiotisch, phonetisch und/oder graphisch
gestaltet sein bzw. werden.
1.1
Situationen
Der erste Text Little Red Riding Hood wurde Frank auf Englisch vorgelesen.
Das Märchen vom Rotkäppchen war ihm schon bekannt. Beim Vorlesen konnte
er die bebilderten Textseiten betrachten; eine entsprechende Bildseite lag auch
beim Nacherzählen offen. Die Nacherzählung wurde akustisch aufgezeichnet.
Frank, 6 Jahre alt, hatte kurz zuvor sein erstes Schuljahr in Edinburgh verbracht und ohne Vorkenntnisse Englisch lesen und fließend sprechen gelernt;
seine Muttersprache war Deutsch. Er hatte sich so gut eingelebt, dass er von our
Queen sprach und beim Soldatenspiel befahl Let’s attack the Germans, worauf
sein Spielkamerad taktvoll einwarf the French. Seine etwas jüngere Schwester
besuchte den Kindergarten in Edinburgh und lernte Englisch situationsgebunden; sie beherrschte die sozial bevorzugte Morningside-Aussprache, während
262
Klaus-Dieter Gottschalk
Frank näher der neutralen Received Pronunciation seiner beiden englischen
Spiel- und Klassenkameradinnen in der Nachbarschaft blieb. Je nach Lage galten Deutsch oder Englisch als Geheimsprachen zwischen Frank und seiner
Schwester in Schottland und Tübingen, wobei sich die situationsgebundene
Trennung zwischen den Sprachen verwischte, wenn etwa geheimnisvoll im englischen Restaurant verkündet wurde The waiter is smiling; he expects a tip oder
I know why she prefers poached egg; she has no teeth.
1.2
Text: Produktion und Rezeption
Märchen haben eine lange Tradition, in der dieselben Personen aus der Rolle des
zuhörenden Rezipienten und Konsumenten in die Rolle des Produzenten und
Nacherzählers wechseln, dessen Zuhörer wiederum zu Erzählern werden können. Ähnliches gilt für schriftliche statt mündlicher Fassungen, die der Leser
dann schriftlich oder mündlich nacherzählen bzw. vorlesen kann; beim
Nacherzählen kann der Sprecher bzw. Schreiber sich vergewissern, wie weit er
von tradierten Fassungen seit Perrault, Tieck und Grimm abweicht.
1.3
Textgestaltung
Ein Text kann phonemisch, graphemisch und/oder repräsentemisch gestaltet
sein: Die Phoneme werden phonetisch wahrgenommen, die Grapheme in der
Form von Buchstaben, die Repräsenteme als Bildbestandteile und Gesten. Die
phonetische Umsetzung der Grapheme und umgekehrt bedarf im allgemeinen
einer Schulung. Die Testperson Frank verdankte unter anderem dem gesteuerten
Lesenlernen seinen zügigen Spracherwerb: Die Schule versorgte die ABCSchützen mit Graded Readers, deren Erzählungen die Progression von Buchstabenkombinationen für Laute aufbauten. Sowohl in der Klasse wie daheim wurde
so das Lesen ohne Schreiben geübt. Entsprechend lernte Frank vor allem die Received Pronunciation, während seine Schwester ungesteuert sich der örtlichen
Phonetik anpasste und zum Teil mit Gesten und Verhalten in der repräsentemischen Kommunikation allmählich die englische Sprache ihrer Umgebung übernahm.
Der Text Little Red Riding Hood wurde Frank vorgelesen, d. h. vom
Graphemischen ins Phonemische umgesetzt. Bebilderung ergänzte repräsentisch
die phonetische Information in gewohnter Weise. Außerdem war Frank Rotkäppchen bekannt, so dass die Semantik des Textes zugänglich war. Da ein Text
aber mehr als eine Abfolge autonomer Sätze darstellt, ging es für die Testperson
auch um Verknüpfung der Sätze durch Vertextung.
Zur Evaluation von Zweitspracherwerb Englisch
2
263
Die Nacherzählung Little Red Riding Hood
Auffällige Stellen werden mit Großbuchstaben oder „0“ gekennzeichnet:
(1) ONCE there was a girl called Red Riding Hood, and her mother asked (2) 0 if
she would (3) GO TO her grandmother and bring her something to eat and drink.
And her mother said, “Don’t … Keep (4) ON your path and don’t speak to any
strangers.”
Then she c… she came (5) TO a wicked wolf, and he talked to her (6)
FRIENDLY. And then she said, … she told the wolf, “I’m not supposed to s…
speak to any strangers in the wood,” she said. Then she skipped along the path towards her grandmother’s ha… cottage. The wolf took a short cut through the wood
and (7) RINGED UP the bell and tried to make his voice soft like Red Riding (8)
HOOD. “Just pull the latch!” So the wolf pulled the latch and CAME IN and ate
grandmother all up with a big snap.
When Red Riding Hood (9) came to the cottage she rang the bell and the wolf
said, “Just pull the latch!” So she pulled the latch and (10) CAME IN. Then she put
(11) THE basket on the table and asked, “Why have you got (12) SO big ears?”
“Because”… The wolf answered, “Because I want to hear you better.” And then she
asked, “Why have you got (13) THESE big eyes?” “(14) THAT I see you better.”
“And why have you got (15) THOSE big teeth?” “BETTER to eat you!”
And then he ran after her and Red Riding Hood ran into the arms of a woodcutter, and then (16) SHE WENT to the house, and with one chop of his (17) AXT
(18) HE killed the wolf. And then he … he cut him open and out came – grandmother. Then (19) SHE thanked him (20) TO SAVE their lives. AFTER they (21)
HAD a good lunch, the woodcutter walked Red Riding Hood back home.
3
Erörterung des Textes
Bei der Vertextung der Einzelsätze fallen einige Ungeschicklichkeiten auf: Die
Hauptsätze werden kindgemäß durch And then oder nur mit einem der beiden
Wörter verknüpft; neue Handlungsstränge setzen aber auch ohne diese Verknüpfungswörter ein: The wolf took a short cut – When RRH came to the cottage –
After they had a good lunch. So leitet geschickt über zu she pulled the latch.
Substitutionsketten verbinden Sätze zu einem Text: Der erste Satz führt
emisch die Existenz there was a girl ein und bezieht etisch das Possessivpronomen in her mother auf die vorangegangene NP a girl; im Nebensatz ersetzt she
jene erste NP, und das Possessivpronomen in her grandmother bezieht sich auf
das Satzsubjekt she. Allerdings beginnt mit her grandmother als neuem Substituendum eine weitere Substitutionskette, die sogleich mit einem Substituens in
bring her fortgesetzt wird. Bei (4) on your path ergibt sich aus dem Kontext die
passende Substitution für die angesprochene Person. Bei (5) beginnt emisch eine
neue Substitutionskette mit dem Substituendum a wicked wolf, dem die Substi-
264
Klaus-Dieter Gottschalk
tuentia he und the wolf in der Verkettung folgen. Brüche in den Substitutionsketten entstehen, wenn wie bei (7) the bell als bekannt vorausgesetzt wird, obwohl ein explizites Substituendum fehlt. Jedoch gehört the bell als Pars pro Toto
ebenso wie the latch zum cottage, wohin Rotkäppchen geht; dasselbe Ziel ergibt
sich für den Wolf nur implizit aus took a short cut through the wood. Im Grunde
braucht es in dieser geschlossenen Erzählwelt auch keines eigenen Substituendums zu the bell. Zu (11) the basket fehlt ein vorerwähntes Substituendum; es
lässt sich innerhalb des Textes ableiten aus vorerwähntem something to eat and
drink, weil Gefäß und Inhalt für den Transport zusammengehören. Oder the
basket findet repräsentisch sein Substituendum im Bild zum Text. Oder das Substituens ergibt sich aus Vorkenntnissen zum Märchen. Eigentlich entspräche her
basket englischem Sprachgebrauch, dem die Testperson ansonsten folgt. Bei
(16, 18, 19) lassen sich die pronominalen Satzsubjekte aus dem näheren Kotext
erschließen, d. h. die zuletzt genannte Großmutter ist mit (19) she gemeint und
nicht Rotkäppchen. Insgesamt ist der Textzusammenhang parataktisch durch
Koordinationen mit and sowie zeitlichem Sequenzsignal then und durch Substitutionsketten hergestellt. Drei Ansätze zu hypotaktischem Erzählen finden
sich gleich zu Anfang (2) asked if she would go, in der Mitte (9) When RRH
came to the cottage she rang the bell und (20) After they had a good lunch und
wohl auch bei den Antworten des Wolfs in kurzen Nebensätzen. Andere direkte
Reden dienen der Parataxe.
4
Kompetenz- oder Performanzfehler
Im Zuge seiner Literalisierung bildet ein Sechsjähriger die Systeme von Erstund Zweitsprache weiter aus, besonders wenn die zweite Sprache erst seit kurzem erworben wird. Übergangsphasen zwischen bisherigem Sprachgebrauch
und Neuerwerb verunsichern. Das betrifft Einflüsse der Substratsprache, Entwicklungen von einem Lernstadium zum nächsten und korrigierbare Lernfehler.
Letztere können durch flüchtige Verallgemeinerung wie (7) ringed up statt der
auch richtig gebrauchten Form rang entstehen oder aus dem deutschen Substrat
stammen wie (17) axt und (14) That I see you better statt So that, weil sich so
dass und damit überlagern. In (6) talked friendly ist das Adverb morphologisch
falsch, wohl in Anlehnung an das Substrat freundlich; jedoch gibt es außerhalb
des Standardenglisch auch Sprachvarianten mit Beispielen wie He doesn’t talk
proper / He spoke to John sharp / He comes here frequent (cf. Quirk et al.: „A
Grammar of Contemporary English“, § 5.66 Anmerkung). Ebenda in § 5.8 finden sich grammatische Varianten speak loud and clear / drive slow / buy cheap /
come back quick neben den morphologischen Markierungen mit -ly. (4) keep on
Zur Evaluation von Zweitspracherwerb Englisch
265
your path statt keep to kann dem Substrat sich halten an entsprechen in Verbindung mit der Bedeutung von keep on/continue.
Die Feinheiten, wie Nebensätze mit Infinitiv oder -ing gebildet werden (20)
thanked him for saving / *to save their lives, müssen noch sprachspezifisch gelernt werden; aber der Plural their lives für Singular ihr Leben gelingt. Die Entsprechungen für kommen und gehen bereiten wohl Schwierigkeiten: (16) she
went to the house ist unauffällig im Gegensatz zu (3) go to her grandmother
(i. e. ’s cottage); (3) wäre allenfalls als hyperkorrekt parallel zu go to the doctor(’s) zu werten. Der fehlende Genitiv in (8) RRHood’s (i. e. voice) entspricht
einer rhetorischen Unschärfe (Synekdoche als Totum pro Parte). Statt (5) came
to a wolf wäre came upon korrekt, aber stilistisch überhöht; jedoch (9) came to
the cottage ist annehmbar. (10) came in statt went in/entered könnte man stilistisch als Perspektivwechsel (Vorwegnahme) werten, zumal ein Substrat öffnete
und kam herein statt ging als erzählerischer Kunstgriff ähnlich zu bewerten ist.
5
Auswertung
Anfangs zielte der Erzähltest ab auf Franks mündliche Vertextungsfähigkeiten
als Teil eines Fremd-/Zweitspracherwerbs im Alter von 6 Jahren; gegeben war
die Lesefähigkeit ohne Schreibfähigkeit für kleine englische Erzähltexte. Nebenbei ergab sich, dass die mündliche Momentaufnahme eine Fundgrube für
Satzbildung, Wortbildung und Phraseologie sowie Grammatik ist. Während die
Verkettung der Sätze zu Texten wesentlich den muttersprachlichen deutschen
Verfahren entspricht, fragt es sich bei der Beurteilung auffälliger Bestandteile
im Satz, ob das deutsche Substrat (Standard und Schwäbisch) eine Rolle spielt
oder ob die ganze Bandbreite der englischen Sprachvarianten (English vs.
Englishes) zur Fehlerbewertung heranzuziehen sei: „Richtig ist, was in irgendeiner Variante des gesprochenen Englisch vorkommt“? Man muss auch berücksichtigen, dass ein Fehler wie (7) ringed später zu rang berichtigt wird. Die
Testperson vollzieht ständiges self-monitoring, wie die Fehlstarts belegen.
Als Variationsbeispiel ist die Aufforderung (2) asked mit einem Komplement her vorzuziehen, wobei u. a. das „Macmillan English Dictionary for Advanced Learners“ alternativ für Fragen anbietet ask (sb) why/how/whether – ask
(sb) for. Nun kann (2) asked if ebenso ohne Komplement-sb einen interrogativ
abhängigen Satz einleiten; also darf sich der Englischlernende fragen, warum
nicht auch als Aufforderung? Im weiteren Text bleibt ja she asked vor unabhängigem Fragesatz unbeanstandet. Hier handelt es sich um Feinheiten des performativen Sprachgebrauchs. In (21) After they had a good lunch stehen Imperfekt
oder Plusquamperfekt nach After zur Wahl; im Deutschen ist das ähnlich: Nach-
266
Klaus-Dieter Gottschalk
dem der Winter einbrach, reisten wir ab, hier zwar temporal, aber mit kausaler
Überlagerung. (15) Better to eat you entspricht nicht dem vorgelesenen Text The
better to EAT you with! Der Hörer deutet die Äußerung vielleicht spontan als (It
would be) better (for me) to eat you. Vertrautere Strukturen wären (I’d) better
eat you oder (You had) better eat your dinner now. Die emphatische Fokussierung The better dürfte die Testperson auf einen Holzweg geführt haben. Nachvollziehbar ist auch (1) Once there was a girl statt der Märchenformel Once
upon a time there was a girl; (1) entspricht Einmal gab es / da war ein Mädchen
– eine Umformulierung des deutschen Stereotyps. Diese Beispiele verdeutlichen, wie der Sechsjährige mit dem gehobenen Stil des Originals umgeht, ihn
auf seine Art versteht und seinen Redemitteln anpasst.
Ein lebendiger Vortrag bedient sich u. U. lebhafter Gesten, die im Textmodell repräsentemisch erfasst werden. Für deiktische Äußerungen wie (12, 13,
15) erklären Gesten, wie es zu (12) so big ears statt such big ears kommt in
Anlehnung an so large a house. Der Gebrauch der Demonstrativa (13) these big
eyes und (15) those big teeth wird in Grammatiken mit dem Gebrauch der
Hände verbunden. Frank setzt die variierenden Pronomina nicht zur räumlichen
Angabe ein, sondern für bedrohlich emotionale Nähe bzw. für erschrecktes Zurückweichen – zumindest wirken sie so auf den Zuhörer.
Im Rahmen seiner verfügbaren Erzähltechniken und Sprachmittel kommt
der Sechsjährige weit voran beim Zweitsprachenerwerb. Es fehlen jedoch Vergleiche mit schottischen und deutschen Wiedergaben des Märchens unter
gleichaltrigen Erstsprachlern. Eine sinngemäße Bewertung der altersgemäßen
kindlichen Sprachbeherrschung könnte nach dem Gemeinsamen Europäischen
Referenzrahmen für Sprachen (= GER) ergeben: für Hören B2/C1 (Unterhaltungen und Radio- und Fernsehsendungen relativ mühelos verstehen); für Sprechen
B2 (sich relativ mühelos an einer Diskussion beteiligen und ihre Ansichten vertreten); für Lesen B1 (Texte aus der Alltags- und Berufswelt verstehen). Immerhin wird bei Lehramtsprüfungen für Realschullehrer im Fach Englisch mindestens die Leistungsstufe C1 verlangt (Entwurf der Prüfungsordnung 2011 BadenWürttemberg).
6
Englishes or One English
“Why do we have to learn British English? We speak Kenyan English!”
Während es in den Kapiteln 2 bis 5 um den individuellen Erwerb einer
Zweitsprache in einer britischen englischsprachigen Umgebung ging, hat E. Hönes Belege zum ostafrikanischen englischen Sprachgebrauch in der Verkehrssprache aufbereitet. Ihre Schülerinnen hinterfragen den Unterschied im Rang
zwischen der heimischen Variante des Englischen als Verkehrs- oder Zweitspra-
Zur Evaluation von Zweitspracherwerb Englisch
267
che und der britischen Variante als Fremdsprache. Nun gilt die Beherrschung
des britischen Englisch allerdings als ein Statussymbol in Kenias gehobenen Gesellschaftskreisen, und kenianisches Englisch ist international phonetisch schwer
verständlich. Die ostafrikanischen Substratsprachen wirken auf die Ausgestaltung der englischen Verkehrssprache stark ein und erschweren den Erwerb des
britischen Englisch als Zweit- oder Drittsprache (Erstsprache Swahili – Verkehrs- oder Zweitsprache kenianisches Englisch – Fremd- oder Drittsprache britisches Englisch). Weil in den überseeischen Gebieten des (ehemaligen) Commonwealth alleine schon die phonetischen Substrate die Verkehrs- und Amtssprache(n) Englisch verfremden, hat der British Council über die Jahre beträchtliche Ressourcen für den Englischunterricht aufgewendet. Dies ist u. a. ein
sprachpolitisches Anliegen. Anhand von Briefen, die E. Hönes von ihren Schülerinnen und Bekannten erhielt, werden Zusammenhänge zwischen den BantuMuttersprachen (besonders dem Substrat Swahili) und dem geschriebenen Englisch deutlich. In der Schule hatte Hönes unterrichtet, wie Briefe auf Englisch
geschrieben werden.
Dear Madam,
How are you dear, have (1) much greetings from me here (2) hopping that you are
fine. How was your journey from S. to Germany, (3) hope (4) fine and nice too. Yes
Madam with us (5) here Goibei, we are (6) just okey (7) exception of too much rain
(8) fall. Actually I did not know what to do when you left because I did not buy (9)
for you anything like apresent but (10) hope to receive after (11) replying mine. As
you went, they haven’t (12) replaced any other teacher and now we are wondering
who will teach us English but (13) please, if replying put in your photograph for Iam
really longing to see your (14) image, and please do not use (15) school address, I
think you still remember my address dear.
Actually you may wonder who (16) as enclosed in. It is my sister who is (17)
warking at Nairobi, and I hope (18) as you will be back, you will write and inform
her (18) so as to wait for you, and direct you where she works. (19) Please when
promissing I can as well come and wait for you with her. Darling this is (20) the
much I have, Now wishing you anice stay after that have (21) much greetings from
my (22) Perents, sisters and brothers, may God be with you in all your undertakings
Please (23) sent (9) for me your photo as soon as you get my (24) pies, remember to (25) come home (26) one time, please (27) replies needed soon, please (28)
plus a photo.
Die Briefschreiberin ist etwa 15 Jahre alt, sie besucht die 2. Realschulklasse und
stammt aus einer größeren Stadt in Zentralkenia. Phonetische Schreibweisen (2)
hopping, (17) warking, (22) Perents, (23) sent und (24) pies zeugen von Substrateinflüssen und Unsicherheit, da ja hope, works auch richtig geschrieben
vorkommen. (2,3) hopping/hope belegen, dass in diesem ostafrikanischen
268
Klaus-Dieter Gottschalk
Sprachgebiet betonte Vokale den phonemischen Längenunterschied phonetisch
verlieren können, so live und leave. (24) steht wohl eher für peace als piece,
nämlich in der Bedeutung von Friedenswunsch Salem aleikum. (16) as enclosed
ergibt Sinn als Perfektform has, könnte aber auch an eine Formel „wie beigefügt“ in einem elliptischen amtsenglischen Satz erinnern. Immerhin könnte
sich nach dem soziolektalen Vorbild britischer Sprecher h-dropping eingeschlichen haben und unbemerkt dem vielfältigen Gebrauch der Konjunktion as angeglichen worden sein, vgl. (18) I hope as you will be back und so as + Infinitiv
statt Satz mit that: inform her so as to wait for you.
Die Bedeutung von (6) just okey entspricht wohl eher dem Gebrauch des bekräftigenden sawa sawa im Swahili. Auffällig ist der häufige Gebrauch von (13,
19) please, den Hönes so zusammenfasst: Er „spiegelt eine in Afrika sehr auffällige Haltung gegenüber Respektpersonen ... Der Eindruck des Flehentlichen
wird durch das willkürliche Einschieben von please außerhalb jeglicher syntaktischer Regeln noch verstärkt.“ (28) plus wird additiv statt with unverhältnismäßig häufiger als im Standardenglisch verwendet.
(1, 21) much greetings entspricht in mehreren Briefen einem grammatischen
Konflikt: Gewöhnlich soll in Swahili die Singularform salamu verwendet werden außer zum Briefschluss pluralisch wasalaam; so wird die Verwendung des
englischen Wortes für Zählbares im kenianischen Englisch zum Mengenwort für
Nichtzählbares. (20) the much I have 0 entspricht dem Gebrauch eines Kollektivums statt all the news I have. (27) replies needed enthält einen hier redundanten Plural in stereotyper Wendung ohne Kopula. Auch wishing you a nice stay
birgt eine Abweichung vom Standardenglisch, welches das Nomen nicht für einen Daueraufenthalt vorsieht. Vielleicht hatten britische Verwaltung und Siedler
den jeweiligen Aufenthaltsort der Eingeborenen mit stay bezeichnet, denn in den
südkenianischen Steppen „wohnt“ z. B. der Hirtennomadenstamm der Massai
ohne festen Aufenthaltsort im sesshaft britischen Sinn. (25) come home one time
erklärt sich wohl nicht nur aus einem Perspektivenwechsel von der Adressatin
hin zur Schreiberin, zu der die Adressatin kommen soll (aus ihrer Heimat
Deutschland) in deren Heimat. Hier mag auch ein Höflichkeitstopos der Gastfreundschaft vorliegen: my home is your home (= our home for both of us).
Satzteile entfallen, wenn sie sich aus dem Zusammenhang erschließen lassen. In (3, 10) 0 hope erübrigt sich sinngemäß das Subjekt I; in (11) to receive 0
after 0 replying 0 mine sind ein Objekt your letter (?), ein Subjekt your und eine
Präposition to zu ergänzen sowie der Bezug für mine herzustellen; after soll die
Nachzeitigkeit zwischen receive und replying herstellen im Sinne von I hope to
receive your letter when you are replying / have written in reply to mine (i.e.
letter). Ähnlich in (16) who (h)as enclosed 0 in 0, jedoch ergibt sich schon aus
dem Vorhandensein des zugesandten Schreibens mit Photo, was grammatisch zu
Zur Evaluation von Zweitspracherwerb Englisch
269
ergänzen ist; der Text erlaubt zudem einen Rückbezug auf if replying put in your
photograph.
(5) Yes…with us here Gobei, we are just okey weist zwei Besonderheiten
auf: Die präpositionale Hervorhebung with us links vom Subjekt we wirkt kontrastiv zum Briefanfang How are you etc. als Zeichen des Themenwechsels und
entspricht dem Auftakt in Briefen Wie geht’s Dir/Euch? Mir/uns geht’s gut.
Diese Art der Fokussierung des Satzsubjekts wird im heutigen Englisch durch
andere Mittel der Hervorhebung ersetzt. Gängig ist With us, everything is fine
vs. ? With us, we are fine. Die zweite Besonderheit betrifft die Ortsangabe here 0
Gobei: Im Swahilisubstrat folgt die Ortsangabe den Bewegungs- und Aufenthaltsverben ohne Präposition; das mag sich in (5) auswirken. Eine andere präpositionslose Ausdrucksweise findet sich in (7) just okey 0 exception of ... statt
(with the) exception of. Übrigens fehlt in (15) use school address der bestimmte
Artikel. Die strikte Bindung in der Abfolge VP (V + NP + PP) entfällt in (9) buy
for you anything like a present und sent for me your photo. Das mag damit zusammenhängen, dass im Swahili von zwei Objekten nur das indirekte Objekt in
die Verbform aufgeht; dies würde erklären, warum die indirekten Objekte in (9)
als Präpositionalphrasen dem Verb näher stehen als die direkten Objekte (NPKomplemente).
Andere Besonderheiten betreffen den Gebrauch der Verlaufsform: (12) ...
and now we are wondering who will teach us English vs. Actually you may
wonder who.... Diese unterschiedliche Verwendung von be wondering und wonder lässt sich stilistisch werten. Aber (17) my sister who is warking at Nairobi
bezeichnet eine berufliche Dauerbeschäftigung ebenso wie where she works. I
am really longing to see your image ist eine emphatisch geglückte Wendung.
Die Briefschreiberin wendet gerne Konstruktionen mit V-ing an: (a) greetings
from me here hopping that you are fine – (b) hope to receive after replying mine
– (c) if replying put in your photograph – (d) Please when promissing I can as
well come – (e) Now wishing you a nice stay after that have much greetings
from my Perents… Außer (a, c) sind diese Konstruktionen eher pragmatisch als
grammatisch zu deuten mangels offenem Subjekt. In (a) kommt nur me als
+ belebt in Frage, in (c) liefert der Imperativ den einzig möglichen Agens. Ob
der Schreiberin in (c) der Unterschied zwischen konditionalem if und temporalem when vertraut ist, bleibt eine Frage der Pragmatik. Swahili-Sprecher können
sich auf den Kotext und die Sprech- bzw. Schreibsituation als Kontext verlassen,
wenn sie durchaus grammatisch Satzteile oder Worte implizit auslassen, die wir
explizit für unser erstes Textverständnis erwarten oder gar verlangen.
270
6.1
Klaus-Dieter Gottschalk
Bewertung
Zu unterscheiden ist bei obigem Brief zwischen ostafrikanischer Verkehrssprache Englisch als Zweitsprache und der britischen Fremdsprache als Zielsprache
im Unterricht. Die Verkehrssprache besteht aus einer Mischung zwischen britisch-englischem Vokabular und Grammatik einerseits und Bantu-Substrat andererseits; diese Sprachvariante könnte auch Zielsprache sein für Bewohner des
Landes und wäre entsprechend zu bewerten. Die Ellipsen lassen sich in den beiden Fällen von Verkehrs- und Fremdsprache aus dem Swahili-Substrat erschließen. Gemäß dem GER kann der obige Brief jedoch für die Zielsprache britisches
Englisch nur als Teil der selbständigen Sprachverwendung auf der Stufe B1 bewertet werden (nämlich „persönliche Briefe schreiben“); beim ersten Lesen ist
er streckenweise schwer verständlich in der Zielsprache. Das Substrat der Landessprache verwirrt den britischen Leser im obigen Brief.
6.2
Spontane Verkehrssprache oder Schulenglisch?
Die ältere Schwester der vorherigen Schreiberin verfasste den folgenden Brief;
sie arbeitete im Gesundheitsministerium.
Dear (30) Me,
(31) Hallow over there, How (32) is you at the Moment, (33) hope fine and coping
with the climate (34) though you went there recently. (35) With me fine thanks.
(36) Ooh dear, do not be (37) subrised (38) to how and why I (39) decided to
say hey to you, Darling, it’s (40) co’s of the love between you and my sister
Darling (41) Iam, Working in Nairobi H.Q. Afya House, Iam a copy typist,
working for Dr. …G.’s Office.
(42) Actually, Iam very thankfull and happy too for my sister having a friend
from your place, (43) for that I thank God for (44) making you to know each other.
Please, (45) briefed us about the love between you and her, every member of (46)
the family was very happy and we say you are welcome. Dear (47) though you are
far from each other, (48) but what matters is love. (49) Just to know that you are
only (50) far by body but near in mind.
Apart from that, how is Europe my dear? (51) is it raining what’s good there?
can I (52) be (53) senting you (54) same like weekly review or (55) which one (56)
to you like most. In Kenya all things are good as you (57) confirmed when staying
here (the time you were here). But (58) rainng heavily in Wetern part of Kenya, in
Nairobi, green maize is (59) plendy, no rain but not very (60) try.
(61) Naw since it’s my first time of saying hey to you, I should not (62) pour
you a lot, but (63) much next time after (64) reading from you dear. (61) Naw
wishing you anice time, (65) welcome my love, after that pass my love to your relatives and friends.
With thanks,
Zur Evaluation von Zweitspracherwerb Englisch
271
Der Brief verwendet schwungvoll britische Umgangssprache, ohne ihr zu entsprechen. Der Anfang liest sich wie „ Oh je, Heilige / Geist drüben“ (vgl. Halloween). Im Unterschied zum vorigen Brief (1–28) beginnt dieser (30–65) nicht
mit der Anrede Adjektiv + Nomen Dear Madam, sondern mit Dear als Nomen
und einem unbetonten Possessivpronomen Me als Attribut (30) Dear Me (ausgesprochen wie das Personalpronomen me im Gegensatz zu betontem of mine,
vgl. die Anrede my (=me) Lord); im Swahilisubstrat würde wohl das Possessivpronomen dasselbe Klassenpräfix wie das Bezugswort aufweisen. Neben diesem
unbetonten Stellungsfehler (im Anklang an den ablehnenden Ausruf Dear me!)
gibt es weitere phonetische Schreibungen (37) s´ubrised für surpr´ised, (53 wie
23) senting, (49, 56) to statt do, (59) plendy wie amerikanisch für plenty, (60) try
für dry, (61) Naw, (62) pour statt bore. Inwieweit amerikanische oder walisische
Varianten des Englischen Akzentverschiebungen und stimmlose vs. stimmhafte
substratbedingte Schreibungen bestärken, bleibt hier offen.
Wie clipped or subaudible speech wirken ausgelassene Satzteile wie (33)
statt ausführlichem I hope you are fine and coping with the climate. Wie zu (3,
10, 11, 16) schon dargelegt, entfallen im Substrat Swahili leicht solche Satzteile,
die sich aus dem Kotext oder dem Kontext der Sprechsituation erschließen lassen; das wirkt sich auf die englische Verkehrssprache in Ostafrika aus und fördert satzinitiale Ellipsen beim Erlernen der Zielsprache British English. Dies
sentence clipping zeugt scheinbar von gesellschaftsfähiger lässiger Sprachbeherrschung im casual English: (32) 0 hope (you are) fine; (45) 0 briefed us; (49)
(? I want you) Just to know; (58) (it has been) rain(i)ng heavily in 0 We(s)tern
part; (59) (it is) not very try; (63) (there will be more) next time. Die Platzhalter
in der Subjektstellung entfallen als semantisch unbedeutend und müssen für das
britische Englisch erlernt werden: (58) it rains / is raining, (59) there is plenty of
green maize, there is no rain but it is not very dry. (63) there will be more. Auffällig ist auch die Vorliebe für V-ing, sie erlaubt ohne Flexion des Verbs den
Verzicht auf Nennung des passenden Subjekts: (33) coping; (41) a...typist,
working; (42) for my sister having (statt to have) a friend; (44) for making you
*to know each other; (57) when staying; (61) my first time of saying; (64) after
*reading (statt hearing) from you; (61, 65) wishing you a nice time, *welcome
my love. Im letzten Beispiel wechselt das implizite Subjekt 1. Person des
dangling participle zur 2. Person im Imperativ (65) welcome, eine inkohärente
stereotype Ausdrucksweise, die übrigens in der Zielsprache des britischen Englisch als accept my love vorkommt.
Bemerkenswert ist die unauffällige Substratmarkierung (31) over there: Sie
dient dem ausgeprägten Bedürfnis zur Entfernungsangabe wie im Bantu ku(entfernt vs. nah). (35) verbindet als Floskel zwei englische Wendungen: Die
Auskunft With us, at home, everything is fine sowie eine Antwort auf die (hier
272
Klaus-Dieter Gottschalk
nicht gestellte aber vorweggenommene) Frage How are you?– Fine, thanks. (35)
thanks und (45) Please, 0 briefed us sind keine illokutionäre oder perlokutionäre
Signale, sondern Höflichkeitsbezeugungen. (45) briefed (statt told) und (57)
confirmed (statt noticed) stammen aus der britischen Verwaltungssprache. Aufschlussreich ist die Verdeutlichung von (57) staying als the time you were here;
die Schreiberin merkt vielleicht den möglichen Bedeutungsunterschied zum britischen stay (vgl. den vorigen Brief).
(52–56) enthalten einige Abweichungen vom Standardenglisch, u. a. die
Verlaufsform statt Can I send you something like a weekly review and which one
do you like best? Es sei denn, die Verlaufsform bietet einen ständigen Versand
an. (41) Iam Working in Nairobi sollte im einfachen Präsens I work at N. lauten.
Das present perfect wird in (39, 45, 46, 51, 58) nicht verwendet. Auch wäre im
gehobenen Standardenglisch (46) every member of our family has been very
happy mit dem Possessivpronomen our statt sozial markiertem the family angebracht für Schulenglisch, aber für Verkehrsenglisch waren wohl eher Kontakte
mit der britischen working class maßgebend. Die „präfigierte“ Schreibweise (41,
42) Iam lehnt sich wohl an I’m an.
7
Bewertungen
Am Text Little Red Riding Hood lässt sich ablesen, dass Frank altersgemäß die
Zweitsprache mit deutschem Substrat und nicht fehlerfrei spricht. In Kap. 6
wirkt sich das ostafrikanische Substrat auf den Brief aus, vermutlich unmittelbar
sowie über die englische Verkehrssprache Kenias. Da eine Englischschülerin an
ihre frühere Lehrerin schreibt, vermuten wir, dass ihre Zielsprache britisches
Englisch ist. Entsprechend wird der Brief aus britischer Sicht bewertet als nicht
leicht verständlich. Der zweite Brief in Kap. 6.2 ist schneller verständlich für
den Nichtafrikaner. Bewertet man ihn für die Zielsprache ostafrikanisches Englisch, ist er im GER besser als B1: In der Schule und als Schreibkraft hat die
Kenianerin sich zudem einiges an britischem Englisch angeeignet. Selbst (38)
co’s statt (be)cause kommt britisch vor als (’)cos. Die Schreibweise (49) Just to
know kann wie (56) für do stehen. Verdoppelungen (43) for ... for, (47, 48)
though … but sind übliche Strategien zur Vertextung, wie auch (42) Actually
u. a. m. geschickte Übergänge schafft. Nicht erörtert wurden etwaige Auswirkungen von Präfigierungen, die im Swahili bei nicht-einmaligen Handlungen
zugunsten von hu- wegfallen können.
Wider Vielsprachigkeit 1
Wilfried Kürschner
1
Fremdsprachenbeherrschung
Unter „Vielsprachigkeit“ möchte ich hier weiter nichts verstehen als die Beherrschung von mehr als zwei Sprachen. Vielsprachigkeit ist also in diesem Sinne
ein Spezialfall der Mehrsprachigkeit, worunter wiederum nichts weiter verstanden werden soll als die Beherrschung von mehreren Sprachen, also der Muttersprache und mindestens einer weiteren. Vielsprachigkeit beginnt also ab „Muttersprache plus zwei Fremdsprachen“.
Diese Formel, „Muttersprache plus zwei Fremdsprachen“, ist nun genau die,
mit der die dafür zuständigen Organe der Europäischen Union das erstrebenswerte Ziel für jeden EU-Bürger bezeichnen (vgl. Europäische Kommission
2004, Darquennes 2010).2 Die europäische Realität ist derzeit noch eine andere.
Lediglich ein knappes Drittel der befragten EU-Bürger gab vor einigen Jahren
an, dass sie drei Sprachen sprächen.3 Zu fragen ist natürlich gleich nach dem
Grad der hier gemeinten Sprachbeherrschung, denn womöglich hält sich der
Deutsche, der in der Schule Englisch und Französisch gelernt hat, schon für
dreisprachig, ist aber vielleicht kaum in der Lage, in den beiden Fremdsprachen
1
Der Text geht zurück auf einen Vortrag, den ich im Dezember 2009 bei der 3. Internationalen Langscape-Tagung an der Universität Vechta gehalten habe. Im Tagungsband
unter dem Titel „Sprachen lernen – Sprachen lehren: Perspektiven für die Lehrerbildung
in Europa“, herausgegeben von den Organisatorinnen der Tagung, Daniela Elsner und
Anja Wildemann (Franfurt am Main: Lang, 2011), ist er nicht enthalten. Ich hatte dies
bereits erwartet, wie aus der damaligen Vorbemerkung hervorgeht:
„Es ist wahrscheinlich nicht besonders klug und auch nicht besonders höflich,
hier vor Ihnen mit einem Vortrag aufzutreten, der schon im Titel die Frage nach
der Vielsprachigkeit verneint. Ich bin Ihnen, die Sie von Berufs und von Interesse wegen anders orientiert sein werden – sonst wären Sie ja wohl nicht nach
Vechta zu einer Tagung mit dem Titel ,Sprachen lehren – Sprachen lernen‘ gekommen – eine Antwort, zunächst einmal eine Präzisierung schuldig.“
2
3
Meine Hoffnung ist nun, dass Bram ten Cate es nicht als Affront auffasst, wenn ich
meine Gedanken nun ausgerechnet in seiner Festschrift ausbreite. – Der Vortragsstil ist
bewusst beibehalten, auch um die Thesenhaftigkeit und Vorläufigkeit des Gesagten zu
unterstreichen.
Vgl. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005), Europäische Kommission (2008).
Vgl. „Europeans and Their Languages“ (2006).
274
Wilfried Kürschner
eine Unterhaltung mit Muttersprachlern oder mit Ko-Fremdsprachlern zu führen. Denn mit den Fremdsprachenkenntnissen ist es nach unseren Alltagsbeobachtungen in der Regel nicht weit her, nicht einmal bei Abiturienten, die Englisch – und auf diese Sprache möchte ich mich bei diesen Bemerkungen beschränken – immerhin um die neun Jahre als Unterrichtsfach hatten. Meine Studenten der Germanistik erklären jedenfalls in großer Zahl, dass sie sich kaum für
fähig halten, eine anspruchsvollere Unterhaltung auf Englisch zu führen, geschweige denn einen komplizierteren Text verständig zu lesen. Noch öfter hört
man die abwehrende Bemerkung „Das ist doch schon so lange her – ich habe
alles vergessen“, wenn man nach der zweiten Fremdsprache, Französisch, Spanisch oder gar dem Spezialfall Latein, fragt.
Ich fand diesen Eindruck kürzlich bestätigt, als ich in einem meiner Seminare einen Test bezüglich der Englischkenntnisse der dort sitzenden gut 200
Studenten machte, von denen sich 183 beteiligten. Es handelte sich um Studenten der Germanistik im Bachelorstudiengang, die in aller Regel das Lehramt an
Grund-, Haupt- und Realschulen anstreben. Zugrunde gelegt war ein Fragebogen aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 7. November 2009, in dem
unter der Überschrift „Would you mind repeating that?“ je acht Sprachproben
aus den vier Bereichen „Socialising“, „Telephoning“, „E-Mails“ und „Meetings
and Discussions“ hinsichtlich ihrer Bedeutung oder situativen Angemessenheit
zu bewerten waren. Es gab jeweils eine zutreffende Lösung aus drei vorgegebenen Antworten. So war beispielsweise im Bereich „Telephoning“ zu klären, ob
man sich am Telefon mit „Hello. Here is Monika Miller“, „Good morning,
Monika Miller speaking“ oder „Good morning, Monika Miller is speaking“
meldet. Oder es war im Bereich „Meetings and Discussions“ anzukreuzen, ob
das Protokoll einer Besprechung auf Englisch „meeting minutes“, „report“ oder
„protocol“ heißt. In dem betreffenden Zeitungsartikel hieß es, dass es sich bei
dem ganzen Testkomplex um „Business English“ handle, doch treffen die
meisten Fragen auch auf normale, alltägliche konversationelle Situationen zu.
Nun zu den Antworten der Studenten, die, wie gesagt, in der weitaus überwiegenden Mehrzahl angegeben hatten, neun Jahre Englischunterricht hinter
sich zu haben. Es waren aus den genannten vier Bereichen jeweils acht Fragen
zu beantworten, mithin im Höchstfall 32 Punkte zu erreichen. Dies schaffte keiner der Teilnehmer (und vielleicht stellen Sie einmal selber fest, wie viele
Punkte Sie geschafft hätten4). Der Beste der 183 Teilnehmer erreichte 27
Punkte, die nächstbesten zwei Studenten 25 Punkte, danach acht mit 24, ebenfalls acht mit 23 und neun mit 22 Punkten. Eine Häufung lag zwischen 21 und
4
Der Test ist im Internet unter www.faz.net zu erreichen, wenn man im Suchfeld dort
„mind repeating“ eingibt (Aufruf: 2011-05-26).
Wider Vielsprachigkeit
275
15 Punkten, zwei Studenten schafften nur 8, einer 10 und zwei 11 Punkte. Die
mittlere erreichte Punktzahl liegt bei ziemlich genau 18 Punkten, also knapp
über der Hälfte des Möglichen. Dies ist bei aller berechtigten Distanz oder
Skepsis gegenüber dem zugrunde gelegten Textinhalt, seiner Präsentation (die
Fragen und Antworten wurden den Studenten von mir vorgelesen und lagen
ihnen nicht schriftlich vor; es bestand in diesem Riesenseminar die Möglichkeit
des Abschreibens, die wahrscheinlich auch heftig genutzt wurde) und seiner
Auswertung (es wurde beispielsweise nicht ausgezählt, ob womöglich einer oder
mehrere der getesteten Bereiche besonders fehlerauffällig waren) – dies ist bei
aller gebotenen Vorsicht ein doch eher betrübliches Ergebnis. Wenn dies der
Erfolg von neun Jahren Englischunterricht mit mindestens zwei, drei Stunden
Unterricht in der Woche ist, scheint sich die investierte Mühe und Zeit, von den
Kosten gar nicht zu reden, nur schlecht zu rentieren.5
Das gerade präsentierte Ergebnis liegt übrigens auf derselben Linie mit wesentlich umfangreicheren und in vielen Hinsichten reflektierten Erhebungen, die
Rudolf-Josef Fischer angestellt hat und über die er unter den Titeln „ ,Englisch
kann doch jeder‘ – Eine Erhebung unter deutschen Muttersprachlern“ (2006)
und „Englisch-Kompetenz in Deutschland“ (2007) berichtet hat. Er ließ Sprecher fünf deutsche Sätze ins Englische übersetzen, drei davon aus dem mündlichen Gebrauch (zum Beispiel „Guten Tag, ich bin aus Deutschland, und woher
kommen Sie?“), ein Satz aus dem schriftlichen („Hiermit möchte ich mich bei
Ihnen auf die ausgeschriebene Stelle bewerben“) und einer, der sowohl dem
mündlichen wie dem schriftlichen Gebrauch zugerechnet werden kann („Mein
Schwager hat mit Englisch keine Schwierigkeiten; er spricht es fast auf dem
Niveau eines Muttersprachlers“). Er setzt die Übersetzungsergebnisse in Bezug
zum Alter, zum Bildungsniveau und zum Geschlecht der 270 Probanden, vor
allem aber zur Selbsteinschätzung hinsichtlich ihrer Beherrschung des Englischen. Seine Ergebnisse sind, kurz gesagt, die folgenden:
Die Kompetenz in der Fremdsprache Englisch lässt in Deutschland zu wünschen
übrig. Von „Zweisprachigkeit“ kann keine Rede sein. […] Insgesamt muss […]
nach den hier erzielten Ergebnissen doch bezweifelt werden, dass die Deutschen
wenigstens mit Englisch in einer Lingua-franca-Funktion und sehr bescheidenen
Ansprüchen an das Sprachniveau schon für die weltweite Kommunikation gerüstet
sind. (Fischer 2007, 175–177)
5
Noch eine Spur schlechter fiel ein Paralleltest mit Studenten des Faches Anglistik, also
künftigen Englischlehrern, aus; allerdings kann hier bei 23 Beteiligten von Repräsentativität kaum mehr gesprochen werden. Die höchste Punktzahl, die von einem einzigen
Studenten erreicht wurde, betrug 23, vier erreichten 22 Punkte, mehr als die Hälfte der
erreichbaren Punkte erzielten insgesamt 11 der 23 Studenten. Die Durchschnittszahl betrug ziemlich genau 16 Punkte, also die Hälfte des Erreichbaren.
276
2
Wilfried Kürschner
Lerngegenstand Sprache
Im zweiten Teil meiner Ausführungen möchte ich daran erinnern, dass das Erlernen einer Sprache, insbesondere einer Fremdsprache, schon aufgrund der
Beschaffenheit des Lerngegenstandes, aufgrund der Natur der Sprache, eine
schwierige Angelegenheit ist, und damit eine teilweise Erklärung für die gerade
referierten betrüblichen Ergebnisse versuchen.
In einer ersten Näherung betrachtet, stellt sich eine Sprache als aus zwei
Blöcken bestehender Gegenstand dar: dem Wortschatz und der Grammatik. Zur
Grammatik zählt alles, was beachtet werden muss, wenn der Wortschatz in
Betrieb genommen wird, also für unsere Sprachen die Lautung der Wörter, der
Sätze und der Texte, die Bildung der Wortformen, die Verknüpfung der Wörter
zu Phrasen und der Phrasen zu Sätzen und der Sätze zu Texten. Der Wortschatz
besteht nun nicht nur aus einzelnen Wörtern, sondern – und das macht die Sache
häufig sehr vertrackt – aus Wortverbindungen, die eine andere Bedeutung
haben, als sie sich aus den verknüpften Einzelwörtern ergeben würden. Gemeint
sind hier die Phraseologismen, die idiomatischen Ausdrücke oder Idioms vom
Typ auf die Palme bringen oder carry coals to Newcastle. Ausdrücke dieses
Typs finden sich auch schon auf der Wortebene, man vergleiche etwa zuhören
mit aufhören, auffangen mit anfangen und dergleichen mehr. Wenn nun entsprechend zugerichtete Einzelwörter oder Wortblöcke per Grammatik zu Phrasen, Sätzen, Texten verknüpft werden, sind bei der Produktion noch die Gegebenheiten der pragmatischen Ebene zu beachten, das heißt die Ebene der Situations- und Textangemessenheit. Und schließlich kann noch, wenn wir die beiden
Existenzweisen, in der die Sprachen, um die es hier geht, in Betracht ziehen, die
Ebene der Orthografie hinzukommen, also die geschriebene Sprache zusätzlich
zur gesprochenen Sprache.
Von den natürlichen Gegebenheiten einer Sprache kann hier natürlich nur
ein holzschnittartiges Bild in Erinnerung gerufen werden. Die beteiligten Größen lassen sich aber zusammenfassend mit dem Begriff der Beliebigkeit charakterisieren, „Beliebigkeit“ in einem bestimmten Sinn – in der Linguistik sprechen wir dann gern von der Arbitrarität. Dies wird besonders im Bereich des
Wortschatzes, der Lexik, deutlich, wo es auch der große Vertreter dieser Sichtweise, Ferdinand de Saussure, demonstriert hat. Wörter als Zeichen haben zwei
Seiten, eine Ausdrucksseite und eine Inhaltsseite. Die Zuordnung dieser beiden
Seiten zueinander ist arbiträr, beliebig. Saussure zeigt das am Beispiel „Baum“.
Das Gemeinte wird im Deutschen Baum genannt, im Französischen arbre und
im Englischen tree. Es könnte auch ganz anders sein, aber per Konvention ist es
in den einzelnen Sprachen so festgelegt.
Wider Vielsprachigkeit
277
Ein Großteil des Erlernens einer fremden Sprache besteht nun darin, die
arbiträren Verknüpfungen oder Zuordnungen von Inhalten und Ausdrücken in
dieser Sprache zu erlernen. Dabei kann die Muttersprache hilfreich sein, weil die
Zielsprache verwandte Verknüpfungen hat (wie bei Apfel und apple zum Beispiel), sie kann aber auch in die Irre führen, bei falschen Freunden wie become
und bekommen, genial und genial und tausend anderen Fällen. Eine solche Aufgabe wie das Erlernen der fremden Wörter – und wer denkt nicht an die Vokabelhefte oder die computergenerierten Wortlisten seiner Schulzeit? – ist per se
ein schwieriges Unterfangen, wenn man nicht gerade ein Gedächtniskünstler ist.
Aber es kommt noch schlimmer. Bei den Wörtern reicht die bloße arbiträre
Zuordnung nicht aus, sie haben dazu grammatische Eigenschaften, die ebenfalls
weitestgehend arbiträr sind. Man denke an das deutsche Genus, das, sobald man
den Bereich der Personenbezeichnungen und der höheren Haustiere verlässt,
arbiträr wird: Löffel, Gabel, Messer. Von Motivation, gar von Logik keine Spur.
Oder die Konjugationsklassen der Verben: leben – lebte – gelebt – lebe, weben –
webte – gewebt – webe, aber heben – hob – gehoben – hebe und geben – gab –
gegeben – gib.
Was hier nur an ganz wenigen Beispielen aus der Lexik und Morphologie
demonstriert werden konnte, findet sich in der Syntax wieder, von der Orthografie – und hier besonders der englischen – ganz zu schweigen.
Solche Gegenstände, die von Unsystematik, bestenfalls Teilsystematik
gekennzeichnet sind, sind schwer zu erlernen und zu behalten. Wie kommt es
dann aber, dass Kinder sie wie beiläufig erlernen? Die gängige Antwort ist
bekannt: der LAD, der „Language Acquisition Device“, der Spracherwerbsmechanismus, ist das angeborene Hilfsmittel, mit dem wir unsere Muttersprache
erlernen, wobei „erlernen“ das falsche Wort ist, weil es an Steuerung, Instruktion, Lehre denken lässt und daher, weil diese bei der frühkindlichen Sprachaneignung zum Glück überflüssig sind, besser durch „erwerben“ ersetzt wird.
Der Spracherwerb funktioniert nach dieser, wie sie genannt wird, nativistischen,
also auf die Angeborenheit abhebenden Vorstellung dadurch, dass das Kind,
wenn es noch im Säuglingsalter mit dem Erwerb der Muttersprache beginnt,
schon in etwa weiß, was es zu erwarten hat, welche Weichen umzulegen sind,
die seine im Gehirn angelegte Universalgrammatik ihm bereitstellt. Es erwirbt
die Sprache im Zusammenhang mit dem Begreifen der Welt, das wiederum
sprachlich von Eltern und anderen Bezugspersonen angeregt und gestaltet wird.
Es wirken also nach dieser Vorstellung der LAD, die sprachlichen Impulse und
ihre Verarbeitung durch das Kind und der Umgang mit der Welt zusammen und
bringen innerhalb kürzester Zeit das „Wunder der Sprache“, wie es einmal vielleicht etwas romantisierend, aber treffend genannt wurde, zustande. Schade nur,
dass dieser LAD abgeschaltet wird, und zwar wie eine Drüse zu Beginn der
278
Wilfried Kürschner
Pubertät (wenn andere Drüsen das Kommando übernehmen). Im Alter von etwa
zehn Jahren ist der Spracherwerb abgeschlossen – wohlgemerkt der Erwerb der
gesprochenen Sprache, die geschriebene Sprache muss oft mühselig erlernt werden. Und genau zu diesem Zeitpunkt setzt in vielen europäischen Ländern das
Erlernen einer ersten Fremdsprache ein, der nach dem Willen der EU-Kommission eine zweite folgen soll.
Dies sind in meinen Augen die beiden Pole, zwischen denen sich Sprachaneignung, um es neutral so zu benennen, vollzieht: Spracherwerb in natürlichen, auch kognitiv angemessenen Situationen, in einer sprachlich homogenen
Umgebung zum einen – Sprachlernen in künstlichen Situationen und in anderssprachlichem Umfeld. Wenn also das Ideal der Zwei- oder gar Dreisprachigkeit
erfüllt werden soll, dann müsste dies in der frühkindlichen Spracherwerbssituation geschehen. Die neueren Ansätze des Frühbeginns der Spracherlernung, hier
des Erlernens des Englischen, in der Grundschule oder gar schon im Kindergarten sind wohlgemeinte Bemühungen, die LAD-Phase noch ein wenig zu nutzen
– ihre Wirkung dürfte aber angesichts der Defizite im Vergleich mit dem echten
Erwerb der Muttersprache, der Jahre früher beginnt und unter ganz anderen Umständen abläuft, eher gering einzuschätzen sein, zumal ja auch die Lehrkräfte in
der Regel keine Muttersprachler sind, im Gegenteil öfters schon mit phonetischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
3
Thesen zur Vielsprachigkeit
Angesichts des Geschilderten, das sich nur auf ausgewählte Aspekte beziehen
konnte, die aber für die Gesamtproblematik der Sprachaneignung grundlegend
sein dürften, ist zu fragen, wie mit den Forderungen der EU umzugehen ist.
Ohne dies hier im Einzelnen ausführlich diskutieren zu können, möchte ich folgende Thesen und Forderungen wagen, die sich vornehmlich auf den Schulunterricht beziehen:
1. Die Forderung „Muttersprache plus zwei Fremdsprachen für alle“ ist zu
reduzieren auf „Muttersprache6 plus eine Fremdsprache, und zwar Englisch für
alle“, wobei der Bestandteil „plus eine Fremdsprache“ für einige Europäer noch
in Klammern zu setzen wäre. Dass es das Englische sein muss, braucht wohl
nicht weiter begründet zu werden – das Englische ist nun einmal gegenwärtig
die Weltsprache, und seine möglichst umfassende Beherrschung in Wort und
6
Mit „Muttersprache“ ist im prägnanten Sinn die Sprache des Landes gemeint, in dem der
gedachte Schüler, um den es hier geht, aufwächst, also die „Amts-“ oder „Nationalsprache“. Dies muss, wie man weiß, nicht immer die Muttersprache oder die einzige Sprache
des Schülers sein, die er erwirbt.
Wider Vielsprachigkeit
279
Schrift, wie man so sagt, erschließt jedem einen größeren Ausschnitt seiner
Lebenswelt – und sei es nur die Chance, die Texte der Unterhaltungsmusik, die
deutsche Rundfunkhörer und Fernsehzuschauer im Normalfall umgibt, wenigstens ansatzweise zu verstehen.
Wer das Englische dermaßen privilegiert, muss meines Erachtens in Kauf
nehmen, dass Menschen mit Englisch als Muttersprache, in der EU also Briten,
Iren und Malteser, einen Vorteil haben: Sie haben es nicht nötig, eine Fremdsprache zu lernen. Passend dazu kommt eine Zeitungsnotiz in Erinnerung, in der
berichtet wurde, dass die Universität Cambridge für ihre Studenten das Erfordernis von Fremdsprachenkenntnissen vor kurzem abgeschafft hat.7
2. Mir scheint es eine gesicherte Erfahrung zu sein, dass Menschen schon beim
Erstspracherwerb, ganz sicher aber beim Erlernen einer Fremdsprache über
unterschiedliche Begabungen oder Talente verfügen, vergleichbar mit musikalischen, künstlerischen, handwerklichen und anderen Begabungen. Schüler mit
solchen Sprachbegabungen sollten weiterhin die Möglichkeit erhalten, eine
zweite oder weitere Fremdsprache zu erlernen. Dies sollte jedoch nicht zur
Pflicht gemacht werden, auch angesichts der Wichtigkeit anderer, nichtsprachlicher Lerngegenstände, die durch das Sprachenlernen gegebenenfalls in den
Hintergrund gerückt werden könnten.
3. Die Behauptung, wonach Sprache „unmittelbarster Ausdruck von Kultur“ ist,
die „uns zu Menschen“ macht und „Teil unserer Identität“ ist, wie sie auf der
offiziellen Website der EU8 formuliert wird und die gewöhnlich als Argument
für die Aneignung von Vielsprachigkeit herangezogen wird, ist auf ihre Ideologiehaltigkeit und ihren Realitätsgehalt zu überprüfen.
4. Das Lateinische gehört nicht zu den im vorigen Punkt gemeinten Fremdsprachen, die unter den genannten Umständen zusätzlich zum Englischen gelernt
werden könnten (und so ist auch die EU-Formel von den zwei Fremdsprachen
nicht gemeint). Latein ist keine Konversationssprache, vielmehr hat es diesen
Status einer in der Kindheit erworbenen und im alltäglichen Lebensvollzug
gebrauchten Sprache seit anderthalbtausend Jahren eingebüßt. Latein ist aber
auch keine tote Sprache, sondern eine Reflexionssprache mit theoretischem und
praktischem Wert. Es ist daher im Kanon der Schulfächer nur bedingt zum Kreis
der sprachlichen Fächer zu rechnen. Wer das Lateinische erlernt, tut dies aus
7
8
Vgl. den Artikel „Englisch reicht. In Cambridge ohne Fremdsprachen“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 17. Mai 2008 (S. 39).
Die Seite, die im November 2009 unter der Adresse <http://eureopa.eu/languages/jsps/
classification/dsp_showChapter.js[...]> aufzurufen war, ist offenbar zurückgezogen worden.
280
Wilfried Kürschner
anderen Gründen, als es zur Kommunikation im üblichen Sinn des Wortes zu
benutzen.9
5. Auf der erwähnten Website ist davon die Rede, dass der EU „auch die
Regional- und Minderheitensprachen am Herzen“ liegen. In der hiesigen Region
ist sowohl eine Regionalsprache, nämlich das Niederdeutsche, und eine Minderheitensprache, nämlich das Saterfriesische (gesprochen im 70 Kilometer westlich von Vechta gelegenen Saterland), in Gebrauch. Besonders für das Niederdeutsche gibt es Bestrebungen, diese vom Aussterben als Konversationssprache
bedrohte Sprache am Leben zu erhalten. Dies könnte meines Erachtens effektiv
nur dadurch geschehen, dass das Niederdeutsche wieder zur Muttersprache, das
heißt zu einer im Erstspracherwerb angeeigneten Sprache erhoben wird. Das
wäre Sache junger Eltern, die das Niederdeutsche so gut wie das Hochdeutsche
beherrschen und ihre Kinder beide Sprachen zugleich erwerben lassen. Gegenwärtig ist zwar ein vermehrtes Interesse am Niederdeutschen festzustellen, ob es
aber zur genannten Neuorientierung kommt, ist eher skeptisch zu sehen. Realistischer scheint mir zu sein, das Niederdeutsche als Traditions- und Reflexionsgegenstand zu verankern.
Literatur
Darquennes, Jeroen (2010): Analyse und Herausforderungen der Sprachenpolitik in der EU.
In: Uwe Hinrichs (Hg.): Handbuch der Eurolinguistik. Wiesbaden: Harrassowitz, 779–
793.
Europäische Kommission (2004): Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt.
Aktionsplan 2004–2006. Luxemburg: Amt für Amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften.
Europäische Kommission (2008): Eine lohnende Herausforderung. Wie die Mehrsprachigkeit
zur Konsolidierung Europas beitragen kann. Vorschläge der von der Europäischen
Kommission eingesetzten Intellektuellengruppe für den interkulturellen Dialog. Brüssel.
Im Internet: http://ec.europa.eu/education/languages/archive/doc/maalouf/report_de.pdf
(Aufruf: 2011-05-26)
Europeans and Their Languages (2006) = Europeans and their [sic] Languages. Special Eurobarometer. Im Internet: <http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_243_sum_
en.pdf> (Aufruf: 2011-05-26).
Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2005): Mitteilung der Kommission an den
Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und
den Ausschuss der Regionen: Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit. Brüssel.
9
In gewissem Maße kann es als Grundlage für den Erwerb weiterer Fremdsprachen, vor
allem romanischer, dienen. Der Erwerb selber geschieht meines Erachtens am besten im
Land der Fremdsprache im handelnden Umgang mit Menschen und Welt, vielleicht begleitet durch Sprachkurse unterschiedlicher Niveaustufen.
Wider Vielsprachigkeit
281
Im Internet: <http://ec.europa.eu/education/languages/archive/doc/com596_de.pdf>, Aufruf: 2011-05-26.
Rudolf-Josef Fischer (2006): „Englisch kann doch jeder“ – Eine Erhebung unter deutschen
Muttersprachlern. In: Viola Voß, Thomas Gehling, Jan Wohlgemuth (Hg.): Einblicke in
Sprache. Festschrift für Clemens-Peter Herbermann zum 65. Geburtstag. Berlin: Logos,
S. 133–152.
Rudolf-Josef Fischer (2007): Englisch-Kompetenz in Deutschland. In: Detlev Blanke, Jürgen
Scharnhorst (Hg.): Sprachenpolitik und Sprachkultur. Frankfurt am Main: Lang, 2007,
S. 163–177, S. 166.
Textmuster und Textstrukturen im DaF-Unterricht.
Lernen von und mit Texten
Jörg Meier
1
Einleitung
Die Text-Arbeit steht im Mittelpunkt jeder Sprachausbildung, und es ist kein
Geheimnis, dass für einen guten Unterricht in der eigenen wie auch in fremden
Sprachen gute Texte benötigt werden, denn guter Sprachunterricht ist mehr als
nur Sprachunterricht. Ohne gute, d. h. möglichst authentische Texte ist weder ein
sinnvoller Mutter- noch Fremdsprachenunterricht möglich, weil sich sprachliches Handeln in Texten vollzieht und der Unterricht weitgehend durch Textorientiertheit geprägt ist. Die zentrale sprachlich-kommunikative und didaktische Einheit im Fremdsprachenunterricht ist der Text, da er zugleich Mitteilung
und Ansammlung von Sprachformen ist. Ihm entnehmen die Lernenden Informationen, Meinungen, Sachverhalte oder Argumente und realisieren dabei
gleichzeitig deren sprachlich-situative Eingebundenheit in die fremde Sprache.
Als Ausgangspunkt und Ziel des Unterrichts werden Texte verstanden und erarbeitet, damit die Lernenden irgendwann selbstständig neue und zunehmend
komplexere Texte rezipieren und produzieren können. Doch wie Adamzik und
Krause richtig feststellen, wird diese Tatsache zwar allgemein akzeptiert, „erweist sich in der Praxis jedoch als unendliche Aufgabe […], weil die Welt der
Texte reichlich unübersichtlich ist“ (Adamzik/Krause 2005: VII).
Nach wie vor stellt sich die Frage, worin der Nutzen einer Textlinguistik, die
in der Praxis zunehmend Textgrammatik und Textpragmatik vereint, für den
Sprachunterricht besteht, aber auch, wo und wie Textlinguistik im Unterricht
Deutsch als Fremdsprache in Schule und Universität betrieben wird. Trotz einiger Bemühungen in den vergangenen Jahren gibt es von Seiten der Textlinguistik immer noch zu wenige Versuche, die textlinguistischen Forschungsergebnisse beispielsweise zur Textsemantik und Texttypologie, aber auch zu Textstrukturen und Textmustern für didaktische Zwecke aufzuarbeiten. Die – seit
jeher wichtige – Arbeit mit Texten wird ohnehin erst seit den 1980er Jahren
auch unter neuen textlinguistischen Fragestellungen und Perspektiven wahrgenommen.
Theorien der Schriftlichkeit, der Schreib- und Leseforschung, der Spracherwerbs- und Sprachverarbeitungsforschung sowie neue integrative Ansätze in
der Textlinguistik selbst spielten dabei eine wesentliche Rolle. Eine nach wie
vor nicht im ausreichenden Maße existierende Texttheorie sollte die bisher vor-
284
Jörg Meier
handenen, eher getrennten Forschungsansätze vereinen. Im Rahmen eines Ansatzes, der sowohl theoretische wie auch angewandte Forschung zu integrieren
versucht, könnten strukturell-kommunikative und kognitive Aspekte analysiert
werden (vgl. u. a. Möhle 1990; Portmann-Tselikas 2000 sowie die Beiträge in
Adamzik/Krause 2005; Scherner/Ziegler 2006).
Didaktische Konzepte sind in den vergangen Jahrzehnten im Hinblick auf
die Analyse von Texten, ihre Strukturen und sprachliche Eigenheiten sowohl
erheblich lerner-, kommunikations- und prozessbezogener als auch konkreter
und relevanter geworden. Im Bereich der angewandten Textforschung stehen
didaktische Fragestellungen sowohl im muttersprachlichen als auch im fremdsprachlichen Unterricht im Mittelpunkt des Interesses. Bei letzterem sind u. a.
Probleme der kommunikativen und semantischen Äquivalenz beim Übersetzen
und Dolmetschen sowie der Textsortenspezifik in anderen sprachlichen und
kulturellen Kontexten berücksichtigt worden (vgl. ebd.).
2
Textmuster und Textverstehen
Da Fremdsprachenunterricht von jeher mit Texten arbeitet, ist es sinnvoll, textlinguistische Überlegungen von Anfang an mit einzubeziehen. Textlinguistik ist
auf unterschiedlichen Ebenen ein sehr gut geeigneter Teilbereich innerhalb des
Sprachunterrichts und des Germanistikstudiums im Ausland.
Unterrichtsformen, in denen Texte nur als Vehikel zur Ausspracheschulung,
Wortschatzerweiterung oder Grammatik fungierten, sind seit geraumer Zeit
weitgehend obsolet. Grammatik wird heute vielfach genau umgekehrt als Hilfsmittel für die Textarbeit verstanden, denn das Rezipieren fremder und das Produzieren eigener Texte wird als wesentliche Form der Kommunikation betrachtet. Beim Textverstehen handelt es sich keineswegs um ein passives Aufnehmen
von Informationen, sondern vielmehr um einen aktiven Prozess, in dem das eigene Wissen sowie die eigene Lese- und Verstehensstrategie der Lernenden eingesetzt wird. Lernende bringen ihre eigenen kulturellen Prägungen und Erfahrungen beim Lesen von Texten mit, weshalb das Arbeiten mit Texten immer
auch eine interkulturelle Entdeckung ist, bei der eigene Erfahrungen und landeskundliche Informationen miteinander verknüpft werden. Ein wichtiges Ziel ist
es, mit Hilfe des eigenen Wissens den Sinn eines Textes zu erschließen (vgl.
Westhoff 1987; Krumm 1990).
Dieses aktive Textverstehen ist wiederholt als Wechselbeziehung zwischen
aufsteigender und absteigender Verarbeitung beschrieben worden. Vieles
spricht dafür, dass Textverstehen nur zum Teil von unten nach oben geschieht,
da immer Wissen, Vermutungen, Erwartungen und Schemata bzw. Muster an
Textmuster und Textstrukturen im DaF-Unterricht
285
einen Text herangetragen werden. Textverstehen ist eines der wichtigsten Textqualitätsmerkmale und wird in der Linguistik mittlerweile vielfältig untersucht
(vgl. den Überblick bei Göpferich 2008), auch im Hinblick auf den fremd- und
muttersprachlichen Unterricht (vgl. Adamzik/Krause 2005).
Darüber, wie Gelesenes und Gehörtes verstanden wird, gibt es verschiedene
Theorien, von denen eine im Text selbst den Ausgangspunkt des Verstehensprozesses sieht. In der Forschung wird seit einiger Zeit davon ausgegangen, dass
sich das aufsteigende, datengeleitete (bottom up), bei dem Zeichen- und Bedeutungselemente zu einem Zeichen- und Bedeutungsganzen verbunden werden,
und das absteigende, schemageleitete Verfahren (top down) beim Prozess des
Textverstehens durchdringen, so dass vom Leser abwechselnd Textdaten aufgenommen und Eigenes an den Text herangetragen wird. Die verstandene Bedeutung wird bei diesem fortlaufenden wechselseitigen Prozess permanent an den
Daten einerseits und dem Muster andererseits gemessen sowie entsprechend angepasst und korrigiert (vgl. Westhoff 1987; Göpferich 2008).
Texte sind immer an Textsorten mit ihren Textmustern gebunden, und diese
beruhen auf kultureller Übereinkunft. Bei dem Begriff des Textmusters wird davon ausgegangen, dass eine Verteilung von Texteinheiten und sprachlichen
Merkmalen innerhalb eines Sprach- und Kommunikationssystems nicht zufällig,
sondern nach bestimmten „Gesetzen“ reguliert ist, wodurch Musterbildungen
erkennbar werden (vgl. Meier 2004: 211; vgl. auch Meier 2007). Durch die Ermittlungen von Redundanzen und Gleichförmigkeiten exakt definierter sprachlicher Einheiten können Texte im Rückgriff auf Muster verstanden, charakterisiert
und kontrastiert werden. Dabei geht es nicht nur um die Ermittlung manifester
Ordnungen, sondern auch um das Erfassen latenter Strukturen. Die so gewonnenen kommunikativen Ordnungen stehen dabei im Zusammenhang mit der konkreten Gesellschaft und ergeben sich aus den spezifisch verwendeten Interaktionsformen und den diese Interaktionsformen kennzeichnenden textinternen und
-externen Merkmalen des konkreten Textexemplars (vgl. Große 1974: 254;
Heinemann/Viehweger 1991: 145; Meier/Ziegler 2002: 91 f.; Meier 2004: 211).
Da „kommunikative Aufgaben eines bestimmten Typs immer wieder – und
präferentiell – in derselben (oder wenigstens in ähnlicher) Weise gelöst werden“, erweisen sich die „dabei instrumentalisierten Textexemplare (in ihrer spezifischen Geprägtheit)“ letztendlich „als Resultate und Reflexe kommunikativer
Erfahrungen der Handelnden“, die sich auf Textmuster zurückführen lassen
(Heinemann 2000: 19 f.). Während Textsorten – im Alltagsverständnis – immer
an konkrete Realisationsformen von Texten gebunden sind, die durchaus auch
atypische Merkmale aufweisen können, werden Textmuster, als abstrakte Modelle, weitgehend idealtypisch verstanden. Nach Heinemann sind Textmuster
„Teilmengen des Interaktionswissens der Kommunizierenden“, die als „gesell-
286
Jörg Meier
schaftlich determinierte, von Individuen interiorisierte Schemata [bzw.] Muster“
fungieren und auf „komplexe Interaktions- und Textganzheiten bezogen sind.
Sie basieren auf kommunikativen Erfahrungen der Individuen und werden als
Orientierungsraster zur Auslösung kognitiver Prozesse einer bestimmten Klasse
mit dem Ziel der Lösung spezieller kommunikativer Aufgaben aktiviert“ (Heinemann 2000: 23 f.; vgl. Meier 2004: 211 f.).
Es ist anzunehmen, dass die Wahl bzw. die Nicht-Wahl bestimmter Textmuster in einer Sprachgemeinschaft durch kognitive Prozesse und Argumentationsstrategien im Diskurs determiniert ist (vgl. van Dijk 1980). Da die praktische
Umsetzung kommunikativer Muster „einen breiten Gestaltungsspielraum für die
Einstellung auf die situativen Besonderheiten“ zulässt (Tophinke 1996: 102),
sind Textmuster als „integrierende Elemente“ der konkreten sozialen Lebenswelt zu begreifen, die „als gesichert und gesellschaftlich bewährt erlebt“ werden
(Schütz/Luckmann 1984: 18).
Allerdings birgt Textmusterwissen, insbesondere wenn Deutsch in einem
anderen Kulturkreis gelernt wird, eine gewisse Gefahr in sich, wenn auch nicht
in vergleichbarem Maße wie das vorausgesetzte Weltwissen. Textmusterwissen
kann nicht als feststehende Größe gekennzeichnet werden, sondern ist grundsätzlich prozedural geprägt. Wenngleich Textmuster durch Multidimensionalität
bzw. Komponentialität (Heinemann/Viehweger 1991: 147), Repetivität (Ehlich/
Rehbein 1979: 260), Flexibilität und Variabilität (Heinemann 1989) sowie Vagheit (de Beaugrande/Dressler 1981: 193) gekennzeichnet sind, besteht durchaus
die Möglichkeit, einzelne Textmuster – auch wenn dies bisher in vielen Bereichen noch nicht geschehen ist – bis zu einem gewissen Grad der Exaktheit zu
erfassen und zu beschreiben und damit besonders auch für den Fremdsprachenunterricht nutzbar zu machen. Die „spezifische einzelkulturelle Prägung des jeweiligen Textes“ (Fix 2009: 77) gehört ebenso zum Textsorten- und Textmusterwissen und ist daher im Verstehenskontext von nicht zu vernachlässigender Bedeutung.
Einerseits kann von Kommunikationsformen und Textsorten auf Textmuster
geschlossen werden, und „andererseits sind kommunikative Muster Voraussetzung für Zuordnungsoperationen bei der Identifikation (und Produktion) von
Texten als Repräsentationsformen bestimmter Textsorten“ (Heinemann 2000:
24). Es ist aufgrund des Ineinandergreifens von Textsorten und Textmustern
beim Textverstehen nicht erforderlich, ein komplexes Textmuster in jedem Falle
vollständig zu erfassen, da häufig bereits „ein einziger Indikator zureichend für
die Abrufung des komplexen Musters und damit für ein wesentlich schnelleres
Erfassen des Textsinns“ ist. Dadurch erklärt sich auch, „dass die meisten Muster
in Interaktionsprozessen gleichsam ,vorgegeben‘ sind“ (ebd.: 24; vgl. Meier
2004: 212 f.).
Textmuster und Textstrukturen im DaF-Unterricht
3
287
Textauswahl und Textverstehen
Mehrere Aspekte müssen jeweils berücksichtigt werden, damit man für den
fremdsprachlichen Unterricht beurteilen kann, welche Texte sich für die Entwicklung eines Textverstehens eignen, (vgl. hierzu u. a. Neuner 1990):
1.
2.
3.
4.
Lern- und Leseziele: Was soll mit dem Einsatz eines Textes im Unterricht
erreicht werden? Soll ein Text mit allen Details erarbeitet werden, global
mit seinen wesentlichen Schlüsselinformationen oder nur unter bestimmten ausgewählten Aspekten?
Lernvoraussetzungen: Wie viel Deutschkenntnisse besitzen die Lernenden? Welche Lebenserfahrungen bringen sie im Hinblick auf das Thema
des Textes mit? Welches thematische Vorwissen ist vorhanden, und welche Zusatzinformationen sind erforderlich? Wie viel Übung haben die
Lernenden im selbstständigen Lesen fremdsprachiger Texte?
Lerngegenstand Text: Wie viele Anknüpfungspunkte zur eigenen Lebenserfahrung, zum eigenen Welt- und Sprachwissen bietet das Thema? Welche sprachlichen Schwierigkeiten enthält der Text auf den verschiedenen
Ebenen (Wortschatz, Grammatik, Stil, Textsorte bzw. Kommunikationsform)?
Lernsituation: Wie hoch sind der Vorbereitungs- und der Durchführungsaufwand? Welche Möglichkeiten zur systematischen Spracharbeit und zur
Entwicklung von freieren Übungen zum Sprechen wie zum Schreiben
bietet der Text?
Prinzipiell können und sollten auch im Fremdsprachenunterricht alle Textsorten
und Kommunikationsformen verwendet werden, wobei die jeweils spezifischen
Lernziele Berücksichtigung finden müssen. Der bereits in der Muttersprache
gelernte Umgang mit Texten und die Entwicklung von Lesestrategien kann
selbstverständlich auch in der Fremdsprache genutzt werden. Dafür ist es erforderlich, dass Texte ausgewählt werden, die zur Nutzung von Lesestrategien herausfordern, wozu jeweils eine gute Mischung von Bekanntem und Unbekanntem
erforderlich ist. Textarbeit sollte häufig ohne Vorentlastung erfolgen, damit die
Lernenden genügend Zeit haben, unbekannte Texte zu erschließen und in Kleingruppen unterschiedliche Lesestrategien gemeinsam zu nutzen.
Da die Kommunikationsfähigkeit in der fremden Sprache auf der Fähigkeit
beruht, Texte zu verstehen und selbst zu produzieren, ist Textarbeit ein Bestandteil des Sprachlernprozesses in einem umfassenden Sinne, in dem Texte
und Textmuster sich sowohl für das Erschließen einer fremden Kultur als auch
für Einsichten in das Funktionieren von Sprache eignen sollten. Daher trägt eine
möglichst große Vielfalt von Textsorten und Kommunikationsformen wesent-
288
Jörg Meier
lich zum Gelingen des Fremdsprachenunterrichts bei. Nicht jeder Text sollte im
selben ausführlichen Maße bearbeitet werden, denn je nach Textsorte ist u. U.
ein Globalverständnis oder eine Beschränkung auf das Verstehen einzelner Inhaltsaspekte vollkommen ausreichend, auch um die Lernenden nicht zu demotivieren. Beispielsweise eignen sich aktuelle Texte zum verstehenden extensiven
Lesen, literarische Texte für ein auf das Detailverständnis rekurrierendes genaues, intensives Lesen und Sachtexte eher für ein selektives Lesen. Da Textarbeit im Fremdsprachenunterricht immer auch interkulturelles Verstehen beinhaltet, sollten Texte Verwendung finden, die auch Informationen über die jeweilige Kultur enthalten und nicht nur Elemente einer universellen Alltagskultur. Texte sollten dabei so geartet sein, dass sie einen Wechsel von der Rezeption zur Produktion erlauben, d. h. beispielsweise eine Stellungnahme, Reaktion
oder Interpretation herausfordern. Alle Texte, die dazu beitragen, Lesestrategien
und kommunikatives Handeln der Lernenden zu aktivieren und Erfahrungen mit
der jeweiligen Sprache und Kultur zu erweitern, sind für den Fremdsprachenunterricht geeignet. Zur Förderung einer berufsvorbereitenden, allgemeinbildenden und interkulturellen Kompetenz sollten literarische Texte ebenso wie Sachund Fachtexte behandelt werden (vgl. u. a. Krumm 1990; Piepho 1990; Edmondson 1993; Krumm 1993; Bredella 1996).
Die genannten Kriterien für die Auswahl von Texten für den Fremdsprachenunterricht sind prinzipiell offen und weiter spezifizierbar, was im Rahmen
dieses kurzen Beitrags weder beabsichtigt ist noch geleistet werden kann (vgl.
u. a. Westhoff 1987; Groeben/Vorderer 1988; Antos/Krings 1989; Krumm 1993;
Groeben/Christmann 1996; Portmann-Tselikas 2000). Im Folgenden sollen daher nur einige idealtypische Faktoren zusammenfassend genannt werden:
1.
2.
3.
4.
5.
Der Lernerbezug des Textes dient der Motivationssteigerung, vorhandenes oder erreichbares Hintergrund- sowie Textstruktur- und Textmusterwissen wird abgerufen und eine Identifikationsmöglichkeit geschaffen.
Die Repräsentativität des Textes, im Hinblick auf einen wichtigen Sachaspekt oder die jeweilige Kultur, kann, unter Einbezug von interkulturellen Aspekten, einerseits zum Abbau von Stereotypen beitragen, andererseits Textmusterwissen festigen.
Die Ergiebigkeit des Textes für die Entwicklung von Rezeptions- und
Produktionsstrategien ist für unterschiedliche Bereiche und Zwecke nicht
nur der jeweiligen Alltagskultur, von erheblicher Bedeutung.
Die sprachliche Angemessenheit ermöglicht es, dass Redundanzfelder genutzt und Texte aus ihren Ko-Texten heraus verstanden werden.
Die unterrichtliche Angemessenheit trägt dazu bei, dass Lese- und Produktionsstrategien erprobt werden können.
Textmuster und Textstrukturen im DaF-Unterricht
6.
7.
8.
289
Die Authentizität der Texte fördert das bereits vorhandene realitäts- und
problembezogene Interesse der Lernenden, wobei sich jeweils neu die
Frage stellt, was, im Hinblick auf den Kontextbezug und die Textstruktur,
als „authentisch“ bezeichnet werden kann.
Interkulturelle und kulturspezifische Aspekte sollten sowohl unter textlinguistischen als auch didaktischen Gesichtpunkten möglichst kontrastiv
berücksichtigt werden und nicht in einer separaten z. B. landeskundlichen
Beschäftigung ausgegliedert werden, weil Texte selbst, wie auch der Umgang mit ihnen, distinktiv sprach- und kulturspezifische Züge zeigen.
Durch dezidiert textlinguistische Aspekte, wie z. B. das Konzept der Textsorte, die Thematisierung der Leistungen bestimmter Wörter und Phrasen
für die Signalisierung von Aufbau und Struktur von Texten, vorab spezialisierte Muster und Strategien syntaktischer Gliederung (Textgrammatik
und Kohäsion), oder die Berücksichtigung von thematischen, semantischen und pragmatischen Zusammenhängen zwischen den Textaussagen
(Kohärenz) kann die Konstitution von Texten und die Funktion textueller
Phänomene begrifflich erfasst und in ihrer Differenziertheit wahrgenommen werden.
Auch wenn es nicht die Aufgabe einer (angewandten) Textlinguistik sein
kann, die Frage nach einer bestmöglichen didaktischen Verwendung von Texten
und ihren Regularitäten zu beantworten, können textlinguistische Fragestellungen für die Fremdsprachendidaktik, weit über ihre deskriptive Funktion hinaus,
von erheblicher Bedeutung sein, denn Textlinguistik ermöglicht eine „strukturelle und funktionale Beschreibung von Texten, die als Grundlagen für die unterrichtliche Thematisierung im Hinblick auf eine Förderung der Lernerkompetenz unverzichtbar sind“ (Portmann-Tselikas 2000: 836).
4
Textmuster und Textstrukturen im DaF-Unterricht –
Perspektiven
Bei der Text-Arbeit muss den Lernenden vermittelt werden, das Lesen nicht
Übersetzen heißt und nicht jedes Wort bekannt sein muss, um einen Text zu verstehen. Das Vorwissen – das Welt- und Sprachwissen sowie das Textstruktur-,
Textsorten- und Textmusterwissen – spielt beim Verstehen von Texten eine bedeutende Rolle, denn die Lernenden wissen bereits vor dem Lesen häufig mehr
über den Inhalt des Textes, als sie selbst glauben. Makrostrukturell betrachtet ist
dabei die Überschrift in der Regel hilfreich, da sie oft schon das Thema nennt.
Die Form, der Aufbau und die Gliederung eines Textes werden als Nächstes erkannt, und die dadurch geweckten Erwartungen helfen beim Verstehen. Hervor-
290
Jörg Meier
gehobene Wörter oder Zwischenüberschriften zeigen die Gliederung des Textes.
Mit Hilfe des Kontextes wird Unbekanntes aus Bekanntem entschlüsselt, und die
Schlüsselwörter führen zu den Hauptinformationen des Textes, die eng mit der
inneren Struktur, dem gedanklichen Aufbau oder dem Handlungsablauf, zusammenhängen. Eine ganz wesentliche Rolle spielen außerdem die Textkonnektoren, an denen zu erkennen ist, wie der Text zusammenhängt, wie sich die
verschiedenen Teile aufeinander beziehen und ein Ganzes bilden. Textkonnektoren gewinnen eine herausragende Bedeutung bei der Entwicklung von Lesestrategien. Wenn die Lernenden ihre bereits vorhandenen „textlinguistischen“
Kenntnisse optimal anwenden, sind sie weniger auf einzelne Textdaten angewiesen (vgl. Bimmel 1990; Krumm 1990).
Da das visuelle Gedächtnis ca. viermal in der Sekunde einen Informationsschub verarbeitet, die Informationen auswählt, die brauchbar erscheinen, und sie
an das Kurzzeitgedächtnis weitergibt, das wiederum versucht, in der großen
Masse von Signalen, in außerordentlich kurzer Zeit, zusammenhängende sinnvolle Einheiten zu erkennen, gehen u. U. wichtige Informationen, die nicht zu
einem sinnvollen Ganzen verarbeitet worden sind, verloren. Durch die Antizipation des erfahrenen Lesers, d. h. durch eine möglichst vollständige Nutzung
der vorhandenen Kenntnisse, kann dieses Risiko erheblich reduziert werden
(vgl. hierzu u. a. Westhoff 1987). Ein vollständiges bzw. richtiges Textverständnis ist deshalb oft nur dann möglich, wenn größere Texteinheiten und Textmuster durch den Leser gleichzeitig überblickt werden. Die Kenntnisse, die dafür benötigt werden, sind allerdings nur zum Teil sprachlicher Art; hinzukommen das Erfahrungs- und Weltwissen sowie das Wissen um logische Strukturen
und Textmuster.
Im Fremdsprachenunterricht sollten textlinguistisch geleitete Lesestrategien
systematisch aufgebaut werden, und besonders im Anfängerunterricht sollte der
Akzent vor allem auf der Textebene liegen. Daraus ergeben sich auch Transfermöglichkeiten von einer (Fremd-)Sprache zur anderen, weil in verschiedenen
Sprachen durchaus mit vergleichbaren oder gar identischen Strategien gearbeitet
werden kann.
Im Rahmen des universitären DaF-Unterrichts und des Germanistikstudiums
im Ausland zählt die Textlinguistik zu den besonders geeigneten Teildisziplinen.
Textanalyse und Textlinguistik bieten den entscheidenden Vorteil, dass die Auseinandersetzung mit Texten den Studierenden vertraut ist und zudem vielfältige
interdisziplinäre Möglichkeiten bietet, die neben der Erweiterung der sprachlichen wie linguistischen Kompetenz, durch die Textinhalte, auch zu einer Bereicherung der literarischen und landeskundlichen Kenntnisse führt. Wie bereits
mehrfach betont, werden Texte im kommunikativen Alltag im Zusammenhang
unterschiedlichster Wissensbereiche rezipiert und produziert, wobei das Wissen
Textmuster und Textstrukturen im DaF-Unterricht
291
über Textstrukturen und Textmuster in unterschiedlicher Komplexität von Bedeutung ist. Entscheidender aber ist die Tatsache, dass Textlinguistik als eigenes
Modul oder zumindest als Seminar innerhalb des Linguistikstudiums in seiner
gesamten Vielfältigkeit sehr produktiv eingesetzt werden kann, was sich auf das
Studienniveau insgesamt positiv auswirkt. Die Textarbeit wird im Fremdsprachenunterricht nicht nur durch die inhärenten Eigenschaften der jeweiligen
Texte bestimmt, sondern auch durch Bedingungen der Aufgabenstellungen und
durch Annahmen über die kognitiven Anforderungen sowie die erhofften Resultate.
Textlinguistische Ansätze und Theorien bieten bisher in der Regel nur indirekt Hinweise auf für den Unterricht relevante Bereiche. Wichtige Erkenntnisse
der neueren Lese- und Schreibforschung sollten daher stärker mit textlinguistischer Forschung in einem integrativen Ansatz einer umfassenderen Texttheorie,
die auch Lernaspekte berücksichtigt, verbunden werden. Dabei wird es in den
seltensten Fällen darum gehen, Texte sowie deren Strukturen und Muster vollständig zu beschreiben und zu analysieren, sondern vielmehr textlinguistisches
Wissen für die jeweiligen konkreten Texte problem- und fallbezogen einzusetzen (vgl. u. a. Pfütze 1985; Gross 1990; Portmann-Tselikas 2000; ThonhauserJursnick 2000; Meier 2004; 2006).
Der größte Teil des Wissens wird in unserer Kultur in Texten gefasst, wodurch der Lesekompetenz in allen Lebensphasen eine sehr hohe Bedeutung zukommt. Lesen ist nicht nur eine zentrale Voraussetzung für schulische und berufliche Erfolge, sondern auch ein wichtiger Weg, um in eine Kultur hineinzuwachsen bzw. sie zu verstehen (vgl. Hurrelmann 2004). Eine erfolgreiche
Kommunikation setzt stets die Kooperation zwischen Rezipienten und Produzenten voraus. Dabei hat ein Text niemals eine feststehende, objektive Bedeutung, sondern entsteht durch mentale Konstruktionsprozesse, die durch sprachliches und inhaltliches Vorwissen, durch Kontexte, Situierungen und Erwartungen
beeinflusst werden. Textarbeit bedeutet immer auch, vom Verstehen zur eigenen
Textproduktion überzugehen. (vgl. u. a. Antos/Krings 1989; Börner 1989; Portmann 1991; Karcher 1994; Börner/Vogel 1996).
Schreiben beinhaltet die Verwendung von Textstruktur- und Textmusterwissen, weshalb eine wesentliche Aufgabe der Fremdsprachendidaktik darin besteht, das bereits vorhandene und das zu erwerbende Wissen kreativ einzusetzen.
Die im Textmusterwissen enthaltenen Informationen sind kulturell geprägt, wodurch sich Rückkopplungen für interkulturelle Fragestellungen ergeben. Da
Textmusterwissen sehr unterschiedlich vorhanden sein kann, sollte dieser Bereich besonders gefördert werden. Vor allem im Kontext der seit einiger Zeit
wiederentdeckten Funktion des Schreibens im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts sind textlinguistische Erkenntnisse und das Wissen über Strukturen
292
Jörg Meier
und Muster von Texten für den Fremdsprachenunterricht vielfältig anwendbar.
Textmusterwissen kann durch eine geschickte Textauswahl, aber auch durch die
textadaptive Fähigkeit der Sprachlernenden gefördert werden. Den Lernenden
sollten Strategien vermittelt werden, mit Hilfe derer sich ihr jeweils eigenes
Textmusterwissen entwickeln kann (vgl. hierzu u. a. Krumm 1989; Portmann
1991; Börner/Vogel 1996; Pommerin 1996; Faistauer 1997; ThonhauserJursnick 2000; Portmann-Tselikas 2001; Warnke 2001).
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Phonological Markedness, Acquisition and Disorders:
Evidence from Japanese
Haruko Miyakoda
1
Introduction
The study of phonological acquisition contributes greatly in providing an opportunity to explore basic questions in theoretical linguistics. Particularly in the
field of phonology, the concept of markedness plays a prominent role in accounting for child data. For example, there is ample evidence suggesting that
children, especially at the early stages of acquisition, produce unmarked structures (Pater, 1997).
In addition to normal acquisition data, pathological data also has the potential to provide new insights to a better understanding of the mechanism that underlies markedness, the acquisition process and change in grammar.
In this paper, we address the issue of phonological acquisition and disorders
from the perspective of markedness. Our focus will primarily be on the foot and
prosodic word level within the phonological hierarchy. By comparing normal
acquisition data with pathological data, we claim that even in Japanese, a language that does not rely on stress for prominence, the binary foot structure together with the Heavy + Light syllable word shape can be regarded as the basic
unmarked form.
2
Markedness and phonological acquisition
The first most fundamental and basic work on markedness in phonological development was presented by Jakobson. Although many different ideas have been
presented regarding his predictions about the acquisition order of phoneme contrasts, there is consensus among all related studies that a child’s speech production is influenced by unmarked structures. For instance, each level within the
prosodic hierarchy is assumed to have its own unmarked form, and children
seem to have a tendency to prefer these unmarked forms, especially at the initial
stage of development. To illustrate what we mean by ‘unmarked’, let us focus
on the syllable unit as the starting point of our discussion.
At the syllable level, the consonant+vowel (CV) form is generally considered to be the most unmarked structure in any language both from the standpoint
of typology and acquisition order.
296
Haruko Miyakoda
In terms of typological frequency, languages worldwide allow syllable types
with different degrees of complexity, but the one syllable type that they have in
common is CV (Levelt and van de Vijver 2004: 206). Furthermore, in the case
of acquisition order, for languages such as English and Dutch, which exhibit a
wide variety of syllable types, the starting point of the learning path is also CV
(Levelt and van de Vijver, 2004: 205). This accounts for why children’s output
forms come out as follows: dog > [dɔ], slow > [lo]. The consonant in coda position is eliminated in order to conform to the unmarked CV syllable structure. A
similar pattern is observed in the developmental pattern of Japanese (Miyakoda,
2005). Evidence from other languages indicates the unmarked status of the CV
syllable type in language acquisition. Although the unmarked status of the CV
syllable cannot be denied, another common form found in child speech, especially among the child’s first 50 words is the preference for the CVCV form.
Some examples of typical child forms of English are given in Table I.
Table I: CVCV in child English
Adult target
another
banana
stomach
Child form
nʌdə
bænə
tʌmi
This preference for the CVCV form is not just limited to English, but is rather a
common phenomenon generally observed often in child speech of any language.
This tendency towards the CVCV structure reflects the fact that the syllable
unit will not suffice to account for the systematic patterns of child speech. If
children were purely repeating the basic CV form, then why is there a strong
preference for CVCV rather than, for example, CVCVCV? Clearly, there is
some reason why children prefer two CVs. In order to account for this preference for reduplication forms, we may need to take into consideration other units
within the phonological hierarchy.
In the following section, let us take up the issue of foot structure in normal
phonological acquisition.
3
Foot structure and phonological acquisition
Foot, in general terms, can be characterized as consisting of a string of one relatively strong syllable together with any number of relatively weak syllables dominated by a single node (Nespor and Vogel 2007: 84).
Phonological Markedness, Acquisition and Disorders
297
Foot structure is important in acquisition because it is claimed that there is a
stage of development where the child output conforms to a binary foot. The binary foot structure in acquisition is documented extensively based on data from
many diverse languages such as English, Dutch, Hungarian and Sesotho (e.g.
Fee, 1995; Demuth, 1996; Salidis and Johnson, 1997). The argument for foot
structure comes from the fact that many of the patterns attested in the child output suggest a preference for sequences of stressed followed by unstressed syllables (trochees) (cf. Table I). This tendency is well supported in languages such
as English and Dutch (Fikkert, 1994; Pater, 1997), and presumes the existence
of the foot binarity principle. According to this principle, a foot is binary under
syllabic or moraic analysis (McCarthy and Prince, 1995: 321). Because the nature of the prosodic hierarchy requires each unit within the hierarchy to be defined by at least one instance of the unit below it, this principle of foot binarity
automatically defines the length of the unmarked prosodic word. That is, since
the unmarked prosodic word must contain at least one foot, and the foot in turn
has to be either a binary syllable or mora, the minimal length of the prosodic
word has to be two morae. This can account for why there is a strong preference
for the CVCV form in child speech; the CV may be the unmarked structure at
the syllable level, but it does not satisfy the unmarked prosodic word structure
since it does not meet the binary condition at the foot level. Children may reduplicate the basic form so as to produce the unmarked binary foot.
In the case of Japanese, the existence of the foot level is not as clear-cut.
This is due to the fact that Japanese, unlike English, is not a stress language. In
other words, since prominence in Japanese is not realized in terms of strong /
weak syllables, at a glance, it seems as though we can do without the foot structure in this language. However, if the phonological prosodic hierarchy constitutes part of Universal Grammar, then even within a non-stress language, we
should be able to find traces of the foot level although realized in a different
way. In order to pursue this possibility further, let us briefly touch upon the concept of the mora.
In general, the mora has two main functions. Its first function is that of a
unit of weight. In a moraic approach, the degree of prominence in prosodic phenomena is represented by the number of morae within the syllable; a light syllable has one mora whereas a heavy syllable has two. In other words, in a stress
language such as English, the strong syllables are made up of two morae (heavy
syllable), and the weak ones are made up of just one (light syllable). Only syllables that consist of two morae are qualified to attract stress. The second function
of the mora is that it represents phonological position. In languages that have
contrastive vowel length, a short vowel, for example, is considered to be one
298
Haruko Miyakoda
mora, and a long vowel is two. This latter function of the mora may open the
way for accommodating the concept of the foot in Japanese. In other words, if
the mora plays the role of phonological position rather than functioning as a unit
of weight, then foot binarity in Japanese may be defined as having a bimoraic
status in terms of length.
Ota (2003) has reported that the Japanese-learning child’s word form has a
strong tendency to prefer a single binary foot. Bimoraic effects can be attested in
monomoraic lexical items in the form of vowel lengthening (e.g. te > tee
‘hand’). This lengthening process may be interpreted as occurring in child
speech as a strategy to conform to the minimal bimoraic prosodic word size just
mentioned.
The discussion given indicates the possibility that child Japanese may be influenced by the foot. Particularly, the foot binarity principle may be playing a
role in accounting for vowel lengthening in child Japanese. This being the case
then, the question that we need to answer next is this: does foot structure play a
role in disordered speech, too?
4
Foot structure and phonological disorders
Although there is still much debate as to which level within the phonological
hierarchy becomes better predictors of the development of early reading skills
(e.g. Bradley and Bryant, 1983; Muter, Hulme, Snowling, and Taylor, 1998),
some studies have claimed that acquisition starts from the larger units and
moves on to the smaller ones (cf. Hirsh-Pasek, Kemler Nelson, Jusczyk,
Cassidy, Druss and Kennedy, 1987; Jusczyk, Hirsh-Pasek, Kemler, Nelson,
Kennedy, Woodward and Piwoz, 1992). If this is the case, then it seems quite
natural to assume that phonological awareness also starts from the larger units of
the phonological hierarchy and moves on into the smaller ones.
At present, the Japanese Articulatory Test is administered to children with
speech problems. One of the problems that lies in this conventional analysis may
be the tasks involved in the evaluation. Since the test is administered with the
presumption that diagnosis should focus on the mora or the phoneme unit, there
may be phonological aspects that actually play an important role in phonological
acquisition, but may have been neglected. In other words, focusing mainly on
specific prosodic units such as the syllable, mora or the phoneme may not be
adequate in assessing the phonological knowledge that the child has. The child
may not yet have reached the stage where he/she is ‘aware’ of these smaller
units, but is still capable of recognizing larger units of the hierarchy. However,
there is no way to measure this within the present assessment procedure.
Phonological Markedness, Acquisition and Disorders
299
If larger phonological units such as the foot level are taken into consideration in the measuring process, we may be able to find some kind of regularities
even in speech labeled as ‘unintelligible’. If such regularities can be teased out,
then this may shed light to a new way of analyzing disordered speech. That is,
instead of focusing mainly on mapping syllable/mora structure to phonemes in
training, it might be useful to also integrate foot structure. Especially in dealing
with children with severely distorted speech, it might be worthwhile to train
them to map words to feet, feet to syllables/ morae, before focusing on the
smaller phonological units.
In order to examine the role that the prosodic levels above the syllable play
in disordered speech, we will analyze the speech errors collected from a boy
with unintelligible speech as a case study.
The participant X was referred to the hospital at 3;7 with a chief complaint
of speech delay and unintelligible speech. The spontaneous speech of X was recorded before each session started. Each recording lasts for about 15 to 20 minutes while X attempts to describe and explain the content of his picture diary or
picture books. Attempt was made to elicit his natural spontaneous speech as
much as possible. He was not given any written information (e.g. letters or word
cards) while he spoke. The total time of all the recorded samples is about 20
hours.
The number of errors for X was 75 in total. This, at a glance, may seem a
meager number. However, making phonemic transcriptions of the utterances
within distorted speech itself is very difficult. It is often the case that only a
small portion within a whole utterance can be phonemically transcribed at all.
The limited number of errors may seem as though X had made few errors in his
speech. On the contrary, the limited number indicates the severity of distortion
in his speech. It is the intention of this paper to demonstrate that even within
speech that is so unintelligible that it would normally not be considered appropriate for analysis, it may be possible to tease out information about the
speaker’s underlying phonological knowledge and skills.
The most frequently occurring error type was substitution, followed by word
form confusion. A detailed summary of the error types of X is given in Table II:
300
Haruko Miyakoda
Table II: Error types within unintelligible speech
Error type
Number of Percentage
errors
(%)
Substitution
33
44
Word confusion
18
24
Insertion
11
14.7
Deletion
10
13.3
Substitution & Deletion
2
2.7
Deletion & Insertion
1
1.3
Total
75
100.0
Among the 75 errors, there were 41 involving prosodic structure (constituting
approximately 55% of the total data), and these can be classified as in Table III:
Table III: Prosodic errors according to type
Error type
Word confusion
Deletion of CV
Insertion of V
Insertion of CV
Substitution of CV
Others
Total
Number of errors
18
6
6
4
4
3
41
Percentage (%)
43.9
14.6
14.6
9.8
9.8
7.3
100.0
Among the 41 prosodic errors, we will only be focusing on the deletion and insertion errors. This is because these errors, in most cases, involve a mismatch in
prosodic structure between the target and the output form, and thus may allow us
to better understand the relationship between markedness and the prosodic hierarchy.
We start off our discussion with the six errors involving the deletion of CV.
In the case of tasuke tari > taketari ‘and to help (someone)’, the error output
form taketari can be regarded as a clear example of the involvement of the unmarked bimoraic foot structure.
The original form tasuketari is composed of two elements: the verb tasuke
‘to help’ and the conjunctional particle tari ‘and’. Generally, feet are constructed
by accommodating two morae from the left edge (this is represented by parentheses). The elements that are not contained within a parenthesis indicates its
‘floating’ status at the foot level. Because a boundary exists between tasuke and
tari, the last mora /ke/ within the verb root cannot be licensed under a foot, therefore, is left stranded as indicated in the following: (ta.su)ke (ta.ri) (each ‘.’
represents mora boundary). This somewhat unstable structure may have induced
Phonological Markedness, Acquisition and Disorders
301
the deletion of the preceding /su/. By deleting this second mora, all the segments
can be accommodated into a bimoraic foot as follows: (ta.ke) (ta.ri). Of course,
eliminating the floating element /ke/ itself would be the simplest and most
straightforward way of establishing a stable structure at the foot level. However,
it has been claimed in the literature that there is a strong preference for children
to preserve the initial and final syllables and to delete the medial one in initially
stressed trisyllable truncation (cf. Echols and Newport, 1992). This tendency has
been supported mainly in connection with stress languages such as English, but
the example from Japanese seems to suggest that regardless of stress, children
may favor the final syllable (or mora) over the medial one.
The remaining four examples can also be interpreted in similar fashion:
(do.ro)(da.n)go > (do.ro)(ga.n) ‘mud cake’, (me.ro)(di.o)n > (me.do) ‘melodeon’, (hi.mi)(tsu.ki)chi > (hi.mi)(k.izi) ‘guerrilla hideout’, (wa.ka) me > (wa.wa)
‘seaweed’. As for the remaining one error in this group, ta.no.shi.ka.t.ta >
ta.no.ka.t.ta ‘it was fun’, the original form is comprised of 6 morae whereas the
output error form consists of 5 morae. However, if we ignore the past tense inflectional element ‘katta’ and focus just on the stem form ‘tanoshi’, we find that
the floating mora within the stem underwent deletion: (ta.no)shi > (ta.no). The
data presented suggests that there is good reason to believe that X’s errors may
be influenced by phonological markedness, namely the influence of the bimoraic
foot. It also implies that X may already be equipped with a phonological hierarchy based on multi-layered prosodic levels; otherwise, there is no way to account for the strong preference for the unmarked structure at foot level.
In the case of CV insertion, three out of the four errors seem to have occurred as a stuttering repetition slip, but the remaining one error can again be
interpreted as being triggered by the influence of the bimoraic foot (i.e.
(yu.de)ru > (yu.da)(de.ru) ‘to boil’.
Let us next discuss the six errors that underwent V insertion. The three errors ki > kii ‘tree’, me > mee ‘eye’, ha > haga ‘tooth’ are derived by applying the
process of vowel lengthening to the input forms. In all cases, the original target
forms are all monomoraic, and by lengthening the vowel, the output becomes
bimoraic. As mentioned in the previous section, vowel lengthening can be interpreted to occur as a strategy to conform to the bimoraic foot. Here again, the
three errors may be triggered in X’s speech in order to adjust the structure to this
unmarked structure.
The remaining two V insertion examples also actually seem to be influenced
by the bimoraic foot. To illustrate this, let us take the word pazyama >
pazyaama ‘pajamas’ as an example.
302
Haruko Miyakoda
Ft
μ
Ft
μ
p a ʒ
μ
a
m a
μ
Ft
μ μ
p a ʒ
a
μ
a m a
The structure on the left side of the arrow in (1) indicates that the first two morae are accommodated into a foot, but the last mora ‘ma’ cannot form a foot and
is left-stranded. However, by lengthening the vowel [a], it has the effect of allowing all elements to be contained within a foot, thus leading to a more ‘stable’
bimoraic structure. The same can be said for the following example: (ki.ga)e >
(ki.ga)(a.e) ‘change of clothes’. Here again, by lengthening the [a] vowel, the
final [e], which had a floating status in the original word, can be accommodated
into a foot.
Although five out of the six insertion errors seem to be influenced by the
unmarked bimoraic foot, we encounter a problem with the final error within this
group: neko > neeko ‘cat’. Here, the original word already has an ‘ideal’ form in
terms of foot structure: (ne.ko). The two CVs are already incorporated into a
foot, thus there is no need for any phonological processes to apply. However, in
the child’s error, here again, vowel lengthening occurs, and as a result, the output ends up with a floating CV at the end: (ne.e)ko. Rather than adjusting the
mora count as a strategy to conform to the unmarked bimoraic foot, the lengthening of the [e] vowel results in an unwanted floating element. This example
indicates that the bimoraic foot structure alone will not suffice to account for all
the errors observed in Japanese pathological speech.
5
Word shape, acquisition and phonological disorders
Although in the previous sections, we had claimed that the bimoraic foot serves
to account for the initial stages of normal acquisition as well as pathological data, a careful scrutiny of the data reveals that the two-mora foot alone will not
suffice to account for the prosodic development of Japanese, as we have just
seen above. Particularly, there seems to be a strong tendency for children to prefer the Heavy+ Light (HL) syllable combination.
A survey of dialectal differences in monomoraic lexical items of child Japanese makes explicit the fact that more than 40% of the forms are of the HL type
(cf. HL 42.9%, LL15.6%, LLL 14.3%, H 6.5%, HH 5.2%, Others 15.5%). For
example, variations for the monomoraic lexical item ka ‘mosquito’ include
kaa.ka (Ehime prefecture), kak.ka (Toyama prefecture), kan.me (Tochigi/ Ibaraki prefecture), kaa.me (Fukui/ Nara prefecture). These variations in child lan-
Phonological Markedness, Acquisition and Disorders
303
guage all imply that there may indeed be a tendency for the HL form to have
some special status from the standpoint of markedness.
Further evidence for the preference for the HL form can be found in the deviant forms of Japanese in normally developing children. In (2), some examples
taken from spontaneous child speech of Japanese are given (H= Heavy syllable,
L= Light syllable, ‘.’ here represents syllable boundary):
(1) a.
2 mora + 2 mora > 2 mora + 1 mora (HH > HL)
zoo.san > zyoo.cha ‘elephant’
soo.chan > choo.ta ‘Soo-chan (boy’s name)’
b.
1 mora + 1 mora + 1 mora > 2 mora + 1 mora (LLL > HL)
ba.na.na > baa.ba ‘banana’
ka.shi.te > koo.te ‘lend me’
c.
1 mora + 1 mora > 2 mora + 1 mora (LL > HL)
ba.ka > kaa.ta ‘stupid’
iya > yaa.ya ‘don’t want to’
Particular attention should be paid to the examples in (2c). The original forms
here are combinations of two light syllables and thus conform to the unmarked
bimoraic foot. In this sense, there is really no reason why children should avoid
these forms and convert them to the HL combination form.
A similar pattern can also be attested in pathological speech. Let us take as
our example the elicited speech of child Y, a boy with Down’s syndrome. His
chronological age was 10;5, but his vocabulary age was 3;2. When a mora recognition task was conducted, the following result was obtained, as shown in Table IV (each ‘.’ represents the boundary indicated by Y) (Naganami 2011: 68).
Table IV: Result of mora recognition task of a boy with Down’s syndrome
Lexical item
saru ‘monkey’
usagi ‘rabbit’
zoo ‘elephant’
pan ‘bread’
kai ‘shell’
booshi ‘hat’
budou ‘grape’
aisu ‘ice cream’
tokei ‘clock’
ringo ‘apple’
kirin ‘giraffe’
happa ‘leaf’
rappa ‘trumpet’
mora/ syllable count
2 mora, 2 syllable
3 mora, 3 syllable
2 mora, 1 syllable
2 mora, 1 syllable
2 mora, 1 syllable
3 mora, 2 syllable
3 mora, 2 syllable
3 mora, 2 syllable
3 mora, 2 syllable
3 mora, 2 syllable
3 mora, 2 syllable
3 mora, 2 syllable
3 mora, 2 syllable
Response
sa. ru
u.sa.gi
zo.o
pan.pan.pan
(no response)
boo.shi
buu.do
ai.su
tokei
ri.n.go
ki.ri.n
hap.pa
rap.pa
304
Haruko Miyakoda
In general, children with Down’s syndrome are said to follow a different phonological learning path from the normal developing population. At a glance, the
result obtained for the mora recognition task seems to support this claim, especially when considering his chronological age (10;5). However, when we compare the result of the mora recognition task summarized in Table IV with that of
normally developing children of the same vocabulary age as Y (3 years of age),
we find that they show similar patterns. Specifically, we find the following similarities. First, Y is able to easily recognize the mora boundaries when the mora
and syllable count match (e.g. sa.ru, u.sa.gi). Second, in the case where the special moraic phoneme is involved, Y is able to distinguish the independent status
of the moraic nasal (e.g. ri.n.go), but has difficulty in distinguishing the geminate consonant as an independent mora (e.g. Y’s response to ha.p.pa is hap.pa,
ra.p.pa is rap.pa). This is the same pattern attested for normal child data at the
same vocabulary age. Since the moraic nasal is considered to be one of the earliest acquired phonemes within the special moraic phoneme group, most children
can easily recognize it as an independent phoneme at an early stage. However,
the geminate consonant is considered to be one of the more difficult phonemes
for children to acquire. Some studies claim that children have difficulty even
after the age of six (chronological age) (Miyakoda, 2005). Finally, Y shows a
slight preference for the HL word shape (e.g. bu.doo (LH) is produced as buu.do
(HL)). All these facts lead us to conclude that the learning path of children with
Down’s syndrome is similar to that of normally developing children, and is influenced by phonological markedness. The only difference seems to be the
speed at which acquisition takes place.
6
Concluding remarks
Our aim in this study was to address the issue of phonological acquisition and
disorders from the perspective of markedness. We attempted to claim that instead of focusing primarily on prosodic levels such as the syllable, mora, or the
phoneme, larger units within the phonological hierarchy, such as the foot level,
may be better predictors in finding the regularities and the causes as to why the
deviant forms come out as they do.
Our analysis of phonological acquisition and disorder data of Japanese revealed that the unmarked bimoraic foot together with the HL word shape, which
plays an important role in accounting for normally developing children’s speech
in many languages, may also play an important role in accounting for the patterns in pathological speech. This finding suggests that there may be the neces-
Phonological Markedness, Acquisition and Disorders
305
sity to improve the present testing procedures by putting more emphasis on higher phonological units within the hierarchy.
The relationship among the prosodic word, foot, syllable and mora levels in
Japanese acquisition is not yet clear. In this paper, we discussed foot structure in
terms of mora count, but strictly speaking, it is not yet clear whether children
become aware of syllables before morae, or vice versa. In Japanese, the syllable
often overlaps with the mora, but a mismatch occurs when moraic phonemes are
involved. This may become a cause of confusion, and a further detailed study of
moraic phonemes and its relationship to the phonological hierarchy needs to be
conducted.
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Pros and Cons of Vocabulary Teaching and Testing
Jürg Strässler
1
Introduction
The teaching and testing of vocabulary is a rather neglected field in second language acquisition. One of the reasons might be that there is little awareness on
the part of the teachers that the acquisition of the vocabulary of a foreign language is an extensive, complex, slow and above all an individual process.
For decades teaching vocabulary has been done in the traditional way by
providing the students with bilingual vocabulary lists (or even books), often in
alphabetical order without any context. They have to sit down and learn these
lists by heart and are then tested on whether they have done their job.
In this paper we want to show that this way of approaching the task does not
contribute to the actual process of getting to know words and might best be justified for practical reasons. This, however, should not be the aim of second language tuition.
2
What does it mean to know a word?
Knowing or learning a word means much more than what students generally assume. For them it often just involves being able to provide a translation for a
lexical item of their mother tongue in a second or foreign language.1 This is evident if we look at their vocabulary notebooks or flash cards. They normally just
enter correlates of words in the two languages without any further indications
such as irregular forms of verbs and nouns, pronunciation, typically co-occurring prepositions, let alone verb patterns, collocations, etc. Unfortunately the
same is often true for vocabulary lists that the teachers hand out to their students. The learners, especially at a younger age, tend to follow the strategies of
their teachers. If they are not explicitly taught that knowing a word means much
more than knowing an equivalent to a word in their first language, they cannot
be blamed for their lack of knowledge. But what does it mean to know a word?
Nation (2001, 26) states that it means “to know all about its form, meaning and
use receptively and productively”. Form not only consists of the way a word is
pronounced or spelt, but also of the parts that are recognisable in a word and the
1
In this paper, we will use the term second language throughout, although for most Swiss
college students English is their third, fourth or fifth language.
308
Jürg Strässler
parts that are needed to express the desired meaning. Meaning, on the other
hand, though closely connected to the form, includes concepts and referents as
well as associations and personal experience. Use, which in my opinion is the
most important feature of a word, does not only involve its grammatical functions, i.e. in what patterns it occurs, but also collocations and constraints on use
(register, frequency, etc.).
Knowing a word also means being able to distinguish its meaning from that
of similar words or of the same word used in a different context with a different
meaning. It is the ability to retrieve and produce the correct lexical item in a
given situation or context. The meaning of a word is not just “the relationship
between a word and its referent (the person, the thing, action or condition)” as
Schmitt (2000, 22) as well as college students believe.
3
What vocabulary should be taught?
“Vocabulary acquisition is not about acquiring the largest possible amount of
words in the shortest amount of time” (Rohner 2011, 3), but it is a gradual, complex and above all individual process, which speaks for an incidental approach.
However, considering the fact that in the relatively short time of less than 500
hours,2 the students should reach an advanced level, some teaching has to be
done explicitly. The time the students are taught a second language is equivalent
to roughly 2 months a baby is exposed to its mother tongue and it is obvious that
after 2 months a baby is far from being a competent speaker.
Explicit teaching and learning, focusing attention directly on the information
to be learnt, is very fast and may give the greatest chance for its short-term acquisition. However, it is very time consuming and does not take into account the
gradual nature and the individuality of the process. Incidental learning, on the
contrary, is slower and often lacks focused attention. In the classroom with beginners the teachers or the textbooks obviously have to provide the students with
a certain amount of vocabulary in order to save time, but not necessarily with
word lists.
It is a well-known fact that the rate of occurrence of individual words differs
a great deal and knowing the so-called high-frequency words is of great importance to vocabulary acquisition. Frequency, however, is not the only decisive
factor. The vocabulary presented to the students in their early careers should
also be neutral and belong to registers they are most likely to be exposed to.
Furthermore, if English has to be taught for special purposes, such as, for exam2
Swiss students should reach an advanced standard after six years of tuition with merely 2
to 3 lessons a week.
Pros and Cons of Vocabulary Teaching and Testing
309
ple, business correspondence, technical words have to be presented as well,
although they are of low frequency.
Another caveat is the fact that the most frequent words are all function
words. In the British National Corpus (BNC)3 the most frequent content word
(new) is in position 94, the first noun (people) in position 98 and the first verb
(know) in position 101. Depending on how we define a word (cf. Crystal 1997,
91), I doubt whether function words are words at all and I definitely would not
teach them explicitly, although they cover about 50% of any text. Neither would
I teach vulgar words although f...ing is about three times as frequent as for example the word butcher.
To sum up, the vocabulary to be taught should consist of words that are not
only frequent, but that belong to the class of content words and that can be used
in everyday conversations.
4
Teaching Vocabulary
Before dealing with vocabulary teaching in particular, let’s have a brief look at
teaching English in Switzerland in general. As opposed to language teaching in
some other countries, there have been some positive changes in the past 50
years. Fortunately it is no longer the case that English is taught in the source
language, which some people consider to be a common approach. This is mainly
due to the fact that the textbooks used nowadays are all monolingual. Most
schools either use books from English publishers, such as Headway, Lifelines or
Snapshot, among others, or monolingual ones produced in Switzerland (English,
of Course, Ready for English, etc.). The same is true for the grammar books
used in the classroom. English textbooks, as opposed to German ones, normally
do not provide any word lists and if they do, only monolingual ones. From the
very beginning, the vocabulary (and grammar) is presented in an oral or written
text and there is ample material to practice it. Students should be taught how to
find the meaning of a word and to use them appropriately in different contexts.
However, even though there are no word lists, teachers normally feel a need
for them and either type them out themselves or have the students do it. It may
even go so far that they write to the government, complaining about a new textbook they are supposed to use. In the very first sentence of such a letter of complaint we can read: “[D]er Wortschatz, um den Unterricht zu organisieren fehlt
3
In order to check frequencies in the BNC we used the BNCweb World Edition
programme of the English Seminar of the University of Zurich.
310
Jürg Strässler
und muss von den Lehrern selbst erarbeitet werden.”4 Or the government themselves decide to employ someone to compile a bilingual wordlist to a monolingual textbook, have it printed and distributed to all the teachers, as was the case
in the Canton of Berne some years ago.
Teachers of French as a second language tend to rely even more strongly on
official word lists. In Envol Lycée, the prescribed textbook in the Canton of
Berne and others, there are not only extensive wordlists but these are even structured according to whether the students must know the word actively, only passively or not at all. I cannot see any point in giving the students a list of words
they need not know.
For most school subjects it is normally the case that the students have to
learn the subject matter presented to them by their teachers and will later be
tested on that subject matter. Hardly ever will they be taught how to acquire the
necessary knowledge. Unfortunately this is often also the case in second language teaching with respect to vocabulary. We claim that this is the wrong approach and that it should be the other way round. Teachers should first of all be
aware of how students learn vocabulary and then adapt the way in which to present the new material.
In her thesis on vocabulary learning, Damaris Rohner (2011, 20) questioned
different classes of different grades and interviewed the respective teachers as
well as some of the students to find an answer to the following questions:
• Which vocabulary acquisition strategies do high school students mostly
use or at least believe they use when they encounter an unknown word
and attempt to acquire its meaning?
• Do beginners use different learning strategies than advanced language
learners? If so, what are the differences and where do they stem from?
• Do the learning strategies used by the students correspond to those used
by their teacher?
First of all she also wanted to know why the students learn vocabulary and it is
probably not surprising that nearly 75% of the younger students said that they do
it because they have to as they will be tested and need a good mark. Even among
the older students, who were taking the school leaving exams a few weeks after
the survey, only 25% learn vocabulary out of personal interest. If there is no extrinsic reason they do not study words at all.
4
The vocabulary to organise the lessons is missing and has to be compiled by the teachers
themselves. (my translation). The letter can be found at: http://www.lebe.ch/lebe/de/
aktuell/bernerschule/mainColumnParagraphs/011/document/mille%20feuilles,%20Brief
%20an%20B%20%20Pulver.pdf
Pros and Cons of Vocabulary Teaching and Testing
311
With respect to the first research question, Rohner was able to prove that
most students are not aware of their strategies and that there is a big difference
between the vocabulary learning strategies a student thinks he uses and those he
actually does make use of. To the question concerning what they do when they
encounter an unknown word while reading, hardly any student said that he keeps
on reading. The younger ones either look up the word in a dictionary (or if
available in a word list), ask their teacher, make a note for later or in 50% of the
cases guess the word from context. The older students would never use dictionaries, although they are readily available in the classroom, but either ask the
person next to them or guess the word from context. However, they cannot tell
how they guess it from context or how they know that their guess is correct. The
reason why they no longer use dictionaries might be that they have experienced
that the benefit is rather low, which is in line with Nation 1990, 191), who states
that there is no significant difference between language learners using a dictionary and those that do not.
Regarding the question of what they do when encountering an unknown
word in conversation, most students claimed that they keep the word in mind
and look it up later. We are quite convinced that the intention might be there, but
that it is rather unlikely that they actually do look up the words. They might not
remember which words to look up or in which context the words were used.
Most interesting are the answers of the 12th-graders to the question of what
they do when reading a text. 56% said that they just ignore the unknown words
and 44% that they underline the words. However, they do not look them up,
either during the process of reading or later.
With regard to the second research question as to whether there is a difference between younger learners and more advanced ones, there is a clear tendency away from extrinsically motivated strategies towards individual and more
independent techniques, from explicit to incidental learning.
We have stated above that explicit learning may be useful for beginners to
acquire the core vocabulary but that it is very time consuming, whereas incidental learning is more suitable and requires less effort. Awareness of specific
learning strategies develops over time, increases with growing experience and
vocabulary acquisition develops “automatically”.
We trust that this is also proof of the fact that the myth “the younger the
better” is nothing but a myth. In his section on “Why do young children learn
(but also forget) languages more easily than adults?” Rapp (2011, 331–332)
gives a very elaborate explanation within his framework, and calls this “our everyday observations”. However, these observations lack any evidence. Rohner
(2011) is just one of many studies that prove the opposite. Pfenning (in prep.),
for instance, carried out a survey among students who started college at the age
312
Jürg Strässler
of 13. Some of them were beginners, and the others had been taught English for
several years under the new Early English scheme. Both groups were taught in
the same class. The results of her survey showed that after about one year the
“beginners” were better than the “young learners”. In his book on language
myths, Watts (2011, 276) states that
... the assumption [that learning a second language at an early age is more likely to
lead to the successful acquisition] is based on an outdated position from the late
1960s and 1970s that has been seriously challenged in the meantime.
and in Ellis (1985, 105) we can read that the “[r]ate and success of SLA appear
to be strongly influenced by the age of the learner. Where rate is concerned there
is evidence that older learners are better”.
With respect to language teaching the results of Rohner’s survey to the third
research question, whether the learning strategies used by the students correspond to those used by their teacher, are most striking in that the students’ and
teachers’ statements are contradictory. One of the teachers claimed that her
students regularly ask her for the meaning of an unknown word, whereas none
of the advanced students chose that option as a strategy when encountering a
new word. One of the most frequent answers of the advanced students was that
they try to find a connection to personal experience, an option that was not frequently chosen by the young learners.
It is obvious that teachers have a great influence on the way students acquire
new knowledge, especially with younger children. Their motivation is mainly
extrinsic, i.e. to get a good mark and not to disappoint their parents, which may
be achieved best if you do what your teacher tells you to do. However, this is
contrary to the fact that vocabulary learning is a very individual process.
What do the insights mentioned above mean with respect to the teaching of
vocabulary?
We have to distinguish clearly between beginners and advanced students. As
beginners have to acquire a basic vocabulary within a relatively short time,
nothing speaks against explicit vocabulary teaching. However, even at this stage
there should be room for individuality. Rather than having the students design
flash cards in class or entering words in their notebooks, it is much more important to raise their awareness of different learning strategies. Such strategies
can and should be taught, especially as young learners prefer the strategies used
by their teachers in class. Of course this does not mean that they are presented
with the 58 different types listed by Schmitt (1997, 207), but at least with some
of them. This was nicely done in Soars and Soars’ (1991) first edition of Headway Pre-Intermediate, and it is a pity that this part was left out in further editions.
Pros and Cons of Vocabulary Teaching and Testing
313
From a pre-intermediate stage onwards, the acquisition of vocabulary should
be left to the students, as every student learns differently and whereas one technique might be suitable for some, it may be of little value to others. As guesswork, i.e. “making use of the context in which the word appears to derive an
idea of its meaning, or in some cases to guess from the word itself” (Gairns and
Redman 1992, 83) becomes more and more important, the students should not
only be taught how to guess the meaning of a word from context, but these
strategies should also be practiced. Apart from contextual guesswork, they
should also be introduced to different cognitive and metacognitive strategies (cf.
Schmitt (1997, 216–217)).
The students have to be taught and trained in how to skip new words and to
concentrate on the words that are most significant and relevant to them, i.e.
those that are connected to their personal experience. They have to become independent and confident learners. They should be taught how to “expand their repertoire of learning strategies and thus develop greater flexibility in their ways of
approaching language learning” (Lightbown and Spada 2006, 67).
As learning strategies are teachable, we may conclude that firstly the myth
that some people have an aptitude for language learning is not tenable and secondly that language learning abilities are not linked to intelligence. Rapp (2011,
336) also gives a convincing account of the independence of language aptitude
and intelligence, at least with respect to first language acquisition.
5
Testing Vocabulary
It is obvious that at school only material that has been taught can be tested and it
is also a fact that teachers have to test their students. Furthermore it is often the
case that the students themselves want to be tested if they have spent quite a lot
of time acquiring the subject matter.
Teachers are forced by the authorities to carry out a certain number of tests
during the academic year to be on the safe side in case some parents might hand
in an appeal. In order to get to the required number of marks, vocabulary tests
seem to be a practical means. They are designed and marked in a relatively short
space of time and there is hardly any discussion with the students about the
grade.
Among most students such vocabulary tests are quite popular. They provide
an easy way to get a good mark and compared to grammar tests the words can
be learnt more easily, even though just for the time when the test takes place. In
the test, little thinking is required and it is not a question of intelligence but of
effort.
314
Jürg Strässler
Vocabulary tests are just achievement tests, which might also be a reason for
doing them. The teacher wants to award the diligent students and punish the lazy
ones.
Such tests might be justified from an extrinsic point of you. However, in my
opinion they do not contribute to any progress in learning the foreign language.
Wordlists might be a good means as a reference list but not as the basis for a
test. The same is true for books like Klett’s Thematischer Grund- und Aufbauwortschatz Englisch or How to Use Your Words. From my own experience at the
early stages of my career I was able to tell that in the final exam there was no
difference in vocabulary knowledge between those classes that used such a book
at their own wish and those that did not.
If vocabulary is to be tested, for example with beginners, the knowledge of
the words should be tested monolingually and in context, as it is done at all levels of the Cambridge ESOL Exams.
To sum up, vocabulary should not be tested except in the very early stages.
What is far more important is that the teachers provide the students with different learning strategies and techniques and give them time to practice them and to
find out which ones are best for them. The acquisition of the vocabulary of a
second language is an extensive, complex and individual process and should not
be guided by extrinsic factors.
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Watts, Richard J. (2011): Language Myths and the History of English. Oxford: Oxford University Press.
Wie uns zu helfen ist – zur Abstimmung des
Grammatikunterrichts in den Niederlanden
Marjon Tammenga-Helmantel
1
Einleitung
In diesem Beitrag widme ich mich der Frage, welche unterstützende Rolle der
Muttersprachenunterricht für den Fremdsprachenunterricht haben kann. Ich konzentriere mich dabei auf den Bereich Grammatik und beschränke mich auf die
Lage in den Niederlanden. Sowohl aus der Forschung (Tordoir & Damhuis
1982) als auch aus Unterrichtserfahrungen wird deutlich, dass die Abstimmung
zwischen Muttersprachen- und Fremdsprachenunterricht bezüglich Grammatik
nicht optimal ist. Wie sieht die Lage genau aus, und wie lässt sich diese Situation verbessern?
Im niederländischen Schulwesen fällt das Fehlen eines nationalen Curriculums und der beschränkte Einfluss der Schulbehörden auf die Abschlussprüfungen auf. So wird für den Fremdsprachenunterricht nur die Fertigkeit Lesen zentral geprüft, und für die Prüfungen sind nur globale Endziele vorgeschrieben.
Auch auf die Lehrwerke und deren Inhalte üben die Behörden keinen Einfluss
aus. Verlage entwickeln nach Rücksprache mit Lehrern ihre Schulbücher und
bestimmen auf diese Weise mehr oder weniger das Curriculum des (Fremdsprachen-)Unterrichts. Angebot und Nachfrage regulieren den Schulbuchmarkt, wo
Lehrer meist auf Schulebene ein Lehrwerk wählen, das zu ihren (persönlichen)
Lehr- und Lernauffassungen passt.
2
Der heutige Grammatikunterricht
Sowohl im Muttersprachen- als auch im Fremdsprachenunterricht hat die
Grammatik eine bescheidene Position. Ziel des Sprachenunterrichts ist die
Kommunikation, und Grammatik ist dabei lediglich als Hilfsmittel gedacht und
steht somit im Dienste des Fertigkeitenunterrichts. Die Unterschiede in der
Unterrichtspraxis und Fachdidaktik zwischen Muttersprachen- und Fremdsprachenunterricht hinsichtlich Grammatik sind allerdings erheblich.
Die Rolle der Grammatik im Muttersprachenunterricht steht unter Forschern
und Didaktikern für das Schulfach Niederländisch zur Diskussion. Der Beitrag,
den die (traditionelle) Grammatik zur Sprachfertigkeit liefern kann, sei eher
beschränkt. So ließen sich, laut Van de Gein (2010), nur drei Fehler, die
regelmäßig in schriftlichen Arbeiten von Schülern auftreten, mit Hilfe der
318
Marjon Tammenga-Helmantel
Grammatik vermeiden bzw. reparieren. Die Didaktiker widmen der Grammatik
so gut wie keine Aufmerksamkeit (siehe Hulshof & Coppen 2011), und im
Didaktikbuch für die Sekundarstufe I (Bonset u. a. 2005) wird der Grammatik
überhaupt kein Platz eingeräumt. Von den Theoretikern wird die Grammatik
entweder augenscheinlich verneint, oder es wird ihr eine äußerst beschränkte
Rolle zugeteilt. In der Schulpraxis dagegen findet sich die (traditionelle)
Grammatik allerdings sehr wohl, und zwar namentlich in der Sekundarstufe I.
Die Menge an Grammatik und die grammatischen Inhalte, die in der Schule
angeboten werden, sind allerdings vom individuellen Niederländischlehrer
abhängig und werden bestenfalls im eigenen Fachbereich diskutiert und
abgestimmt.
Die Diskussion um das Thema Grammatik und die Diskrepanz zwischen der
(theoretischen) Didaktik und der Unterrichtspraxis, wie sie beim Muttersprachenunterricht festgestellt wurden, fehlen im Fremdsprachenunterricht. Fremdsprachenlehrer bieten fast ausnahmslos traditionelle Grammatik zur Unterstützung des Spracherwerbs.1 Didaktiker nehmen Grammatik in ihre Didaktikwerke
auf (Kwakernaak 2009; Staatsen u. a. 2009) und besprechen didaktische Ansätze
in der Fachliteratur. Auch in den Lehrwerken nimmt die Grammatik eine
manchmal beträchtliche Position ein (für eine Übersicht über die DaF-Lehrwerke, siehe Tammenga-Helmantel 2010a und Tammenga-Helmantel in Vorb.).
Die obigen Unterschiede zwischen Muttersprachen- und Fremdsprachenunterricht dürften verwundern, aber unverständlich sind sie keinesfalls. Die
Schüler verfügen in der Muttersprache bereits über ein sehr hohes Niveau an
Sprachfertigkeit, wenigstens im Vergleich zu dem Niveau, das Schüler am Anfang des Fremdsprachenunterrichts mitbringen. Im Muttersprachenunterricht
lässt sich somit relativ wenig reparieren und vermutlich auch nur dann, wenn die
Schüler Zeit für Reflexion haben (d. h. über die Grammatikregeln nachdenken
können), und zwar in schriftlichen Arbeiten.
Dass Grammatik zur Unterstützung der Sprachfertigkeit in der Muttersprache als Unterrichtsziel zur Debatte steht, ist mithin keine Überraschung. Ein
zweites Ziel bleibt dabei allerdings bestehen: Grammatikunterricht zur Unterstützung des Fremdsprachenunterrichts (Boer 2007). Bei einer solchen unterstützenden Rolle für den Muttersprachenunterricht wäre Abstimmung bezüglich
Grammatik sehr wünschenswert, aber sie ist Tordoir & Damhuis (1982) zufolge
so gut wie gar nicht vorhanden. Sie zeigen, dass die angewandte Terminologie
im Muttersprachen- und Fremdsprachenunterricht übereinstimmt. Die angebotenen grammatischen Themen, die didaktischen Ansätze und der Anbietungs1
In neueren Ansätzen wie AIM und TPRS nimmt die Grammatik zwar eine bescheidenere
Rolle ein, aber auch dort wird die Grammatik nicht verbannt.
Zur Abstimmung des Grammatikunterrichts in den Niederlanden
319
moment schlössen allerdings nicht aneinander an. Auch innerhalb der Schulen
gebe es kaum Beratschlagungen zu diesen Themen.
Statt diese Ergebnisse so zu interpretieren, dass Grammatik im Muttersprachenunterricht abzuschaffen sei (Bonset 2011), möchte ich dafür plädieren, den
Grammatikunterricht in den verschiedenen Schulfächern aufeinander abzustimmen. Eine Wiederholung der Studie, wie sie Tordoir & Damhuis ausgeführt haben, liegt auf der Hand, um so die aktuelle Lage bestimmen zu können. Des
Weiteren müssten Fremdsprachenlehrer nach ihren Wünschen befragt werden.
Das Meckern darüber, dass ihre Schüler nicht einmal wüssten, was ein Subjekt
sei, und die Neigung, die Niederländischlehrer dafür verantwortlich zu machen,
dürften dann auch der Vergangenheit angehören.
3
Der erwünschte Grammatikunterricht
Im idealen Sprachenunterricht wird die Grammatik zur geteilten Verantwortung
gemacht. Niederländischlehrer wissen, welche grammatischen Themen für den
Fremdsprachenunterricht relevant sind und zu welchem Zeitpunkt sie eingeführt
werden sollten. Der Niederländischlehrer muss auch wissen, wie die grammatischen Phänomene in den Fremdsprachen, die in der Schule angeboten werden,
aussehen, und sie schon den Schülern darbieten. Erstens dürfte das den Transfer
des grammatischen Begriffes in die Fremdsprache erleichtern. Zweitens bietet
dieser Ansatz dem Niederländischlehrer Argumente für den Sinn des Grammatikunterrichts, der wohl nicht jedem Schüler ohne Weiteres klar ist.
Nicht nur Zeitpunkt und Themen des Grammatikangebots sind dabei wichtig, sondern auch, wie Tordoir & Damhuis (1982) andeuteten, eine einheitliche
Terminologie und Didaktik. Im Niederländischunterricht seien die grammatischen Begriffe 1982 kein Grund zur Sorge, die Abstimmung hinsichtlich der
Didaktik allerdings sehr wohl. Alle diese vier Teilbereiche müssten auf Schulebene, als Teil der Sprachpolitik in der jeweiligen Schule, ausdiskutiert werden.
In diesem Beitrag sprechen wir von Grammatik, wobei implizit die traditionelle Grammatik gemeint ist. Eine Erweiterung um modernere Einsichten aus
der Linguistik ist meines Erachtens sehr hilfreich (Tammenga-Helmantel
2010b). Traditionelle und neuere Grammatik könnten auf diese Weise zu Werkzeugen werden, um so über Sprache und Unterschiede zwischen Sprachen zu
sprechen. Schülern bietet dieser kontrastive Ansatz Einsicht in andere Sprachen,
ermöglicht aber auch die Reflexion über die eigene Muttersprache (siehe Bredel
2007: 269–273) und die kritische Auseinandersetzung damit. Dieser Ansatz
würde eine Erweiterung der Zielsetzungen für den Sprachenunterricht bedeuten.
Sie sind zwar, auf Sprache angewandt, neu im niederländischen Sprachenunter-
320
Marjon Tammenga-Helmantel
richt. Der aufmerksame Leser wird sie aber aus dem fremdsprachlichen Kulturunterricht wiedererkannt haben. Die Ziele bzw. Schwerpunkte gleichen denen,
welche Byram (1997) für den Kulturunterricht formuliert hat, und zwar Kenntnisse, Fertigkeiten und Haltung. Sprachbetrachtung in diesem Sinne bedeutet
eine Bereicherung für die Lerner, die Verwandtschaften zwischen Sprachen entdecken und über andere Sprachen die Muttersprache als Teil der eigenen Kultur
und Identität (neu) kennenlernen.
Literatur
Boer, Martien de (2007). Concretisering van de kerndoelen Nederlands. Kerndoelen voor de
onderbouw VO. Enschede: SLO.
Bonset, Helge, Martien de Boer & Tiddo Ekens (2005). Nederlands in de onderbouw.
Bussum: Coutinho.
Bonset, Helge (2011): Taalkundeonderwijs: Veel geloof, weinig empirie. In: Levende Talen
Magazine 98(2), S. 12–16.
Bredel, Ursula (2007). Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht. Paderborn: Schöningh.
Byram, Michael (1997). Cultural Studies in Foreign Language Education. Clevedon: Multilingual Matters.
Daniëls, John, Arie Hoeflaak & Erik Kwakernaak (2011). Honderd jaar Levende Talen 1911–
2011. Verleden en toekomst van het taalonderwijs. Amsterdam: Vereniging van Leraren
in Levende Talen.
Coppen, Peter-Arno (2010): Actief grammaticaal denken. In: Drieëntwintigste Conferentie
het schoolvak Nederlands, S. 236–239.
Gein, Jannemieke van de (2010): Grammaticale scholingsniveaus in het voortgezetonderwijs
– Nu nog een doorlopende leerlijn. In: Drieëntwintigste Conferentie het schoolvak
Nederlands, S. 233–235.
Hulshof, Hans & Peter-Arno Coppen (2011): Na veertig jaar eindelijk voet aan de grond? De
strijd voor taalkunde in het schoolvak Nederlands. In: Daniëls u. a. (Hrsg.).
Kwakernaak, Erik (2009). Didactiek van het vreemdetalenonderwijs. Bussum: Coutinho.
Staatsen, Francis (2009). Moderne vreemde talen in de onderbouw. Bussum: Coutinho.
Tammenga-Helmantel, Marjon (2010a). Grammatica in onderbouwleergangen Duits. In:
Levende Talen Magazine 97(5), S. 16–19.
Tammenga-Helmantel, Marjon (2010b). Taalkunde in het voortgezetonderwijs: Een breder
perspectief. In: Levende Talen Magazine 97(7), S. 10–13.
Tammenga-Helmantel, Marjon (in Vorb.). Zur Positionsbestimmung von Grammatik in DaFLehrwerken am Beispiel der Schulbücher in der niederländischen Unterstufe. In: Deutsch
als Fremdsprache.
Tordoir, Atty & Resi Damhuis (1982). Grammatica en vreemde talenonderwijs in de
brugklas: Een onderzoek naar de aansluiting van het moedertaalgrammaticaonderwijs op
het vreemde talenonderwijs. Amsterdam: SCO.
Sprach- und
Kommunikationstheorie
Speculations on the Basic Principles of Language
Reinhard Rapp
1
Motivation
In this paper we shall try to approach the fundamental question on the basic
principles underlying language. We shall present rather simple answers, and we
have to emphasize that we can only do so with a great deal of speculation. So
this is not a strictly scientific paper but only a collection of thoughts and controversial statements which we would like to share for discussion and which might
help to give an idea of our long-term research agenda. As we are covering a
wide bandwidth of topics, we cannot even try to give a proper account of the literature.
Let us first consider the type of answers we are aiming for and their limitations by looking at two well-known and well investigated topics, namely the
theory of evolution and the basic principle underlying modern computers.
We all know about Darwin’s theory of the evolution of life, whose foundations are the mechanisms of genetics in combination with the principle of the
survival of the fittest. Most of us will probably find this theory perfectly plausible. But we should keep in mind that there are no strict proofs for it, only overwhelming evidence. We must also see that acknowledging the validity of this
theory does not really allow us to explain the properties of today’s creatures. We
cannot run a simulation of evolution which would explain to us why an elephant
has a long nose and why humans have specific intellectual capabilities. We only
know that apparently the long chain of interactions between environmental influences and genetic adaptations led to the results that we can observe today. So
although this theory appears to be universal, what it allows to explain in practice
is very limited. We also must acknowledge that certain applications, e.g. the
breeding of races of animals or varieties of roses, had already been possible
without knowledge of evolution theory, and that even today this theory may still
have only limited influence on such practical applications. So in analogy, let us
first state that the speculations on language which we are going to present here
will have a rather limited scope.
To illustrate another property of our speculations, let us now imagine that
some catastrophe has destroyed human culture, and that thousands of years later
another civilization will discover its remains. Let us assume that their archaeologists will dig out “ancient” electronic devices containing microprocessors, and
will carefully analyze them under a microscope. But will they ever be able to
324
Reinhard Rapp
discover that the basic principle underlying these devices is the von Neumann
machine? Discovering this principle would be an extremely challenging task because they can only see the various regular and irregular structures of the transistor layout, but they cannot see anything that is related to the software aspect
of the von Neumann machine.1
It seems that with the analysis of the inner workings of our brain we have a
similar problem. We can see under the microscope that we have networks of
neurons interconnected by synapses, but it is very hard to tell anything about the
software aspect, and without this it is difficult to discover the brain’s basic principles. Of course imaging methods such as fMRI (functional magnetic resonance
imaging) have given some insights, but a breakthrough leading to generally acknowledged findings has not yet been possible. Another option is to rely on introspection, but unfortunately it appears that the basic mechanisms underlying
language are mostly unconscious processes. Were they not, the problem would
not be so hard. Nevertheless we have the tool of introspection, but we claim here
that this has been more detrimental than helpful.
But what is the reason for this? Let us give an example for the type of wrong
conclusions which can result from introspection. Since ancient times often the
basis of our feelings has been thought to be our heart, and e.g. Aristotle assumed
that our brain is only a cooling device for the body (Rapp, 2002). Fortunately,
advances have been made and we now know that in reality our heart is nothing
but a sophisticated (highly efficient and highly reliable) pump. The reason for
the misinterpretation might have been that in feelings of deep sorrow our heart
may actually hurt. It has been overlooked that this observation is only the result
of a particular state of mind, and that in reality it is our brain which produces our
feelings. To make the point clearer, let us ask what introspection tells us about
how our nervous system controls e.g. our heartbeat and our digestion. Probably
rather little. These processes are mostly unconscious, and apparently evolution
did not give individuals with a higher degree of consciousness any advantage.
Nevertheless we can to some extent consciously influence our heartbeat and our
digestion, but usually only indirectly by activating other processes which we can
consciously control, e.g. by running2 or by eating.
1
2
Analogous to evolution theory, although the von Neumann machine is omnipresent in
modern computing, on the user side knowledge about it has limited impact. It will not
help in using current application programs, and even for programmers (working with
modern programming languages) it will be almost irrelevant.
Note, however, that the frequency of our heartbeat can also be influenced by concentration only which can be one of the effects of autogenous training.
Speculations on the Basic Principles of Language
2
325
Suggestions for basic principles
Let us now formulate our first basic principle of language:
• Some basic processes underlying language appear to be largely unconscious,
i.e. introspection does not give us the slightest idea about them taking place.
This means that asking us about the inner workings of our brain may be not so
much different from asking a computer (equipped with some language processing capabilities) about the details of the von Neumann principle. The effect may
well be close to zero.
But what we can do, of course, is to locate the areas of the brain where language processing seems to take place through methods such as fMRI. From
these studies we know that language processing takes place in some parts of the
cortex, and by analyzing the cortex under the microscope we see that its structure of interconnected neurons has up to seven layers. This leads us to a very
speculative second basic principle, which, however, is mainly meant to be a didactical vehicle for our further explanations:
• Language processing takes place in about seven layers. The level of abstraction (later to be called: the order of statistical dependencies) increases from
layer to layer.
As in evolutionary terms language is a recent development, parts of much older
structures, which originally served other purposes, may have been reused to create it. These could be parts of the visual cortex as vision is much older than language.3 As it did not have so much time to evolve, language appears to be less
sophisticated than vision, and we believe that it is considerably easier to understand. For example, its building blocks such as words, sentences or grammars
are much more obvious than those of vision. In vision the basic elements are
pixels, and all layers of abstraction seem to be non-obvious. For example, they
could involve zero-dimensional objects (light and dark), one-dimensional objects (lines and curves), two dimensional objects, three dimensional objects (including the relationship between object size and distance), and motion. It can be
imagined how low-level creatures started with the first dimension, and then over
millions of years through evolution other dimensions were added through further
layers, with each dimension bringing some new evolutionary advantage. Nev-
3
Alternatively, a stepwise extension of auditory capabilities might also be possible.
326
Reinhard Rapp
ertheless, the details are difficult to understand. In contrast, we will see that in
language the first few layers seem comparatively obvious.4
• To be able to come up with language in a few million years, evolution recycled and adapted mechanisms from vision. In essence, the mechanisms of
processing are likely to be similar, only the input comes from different
sources.
Note that this basic principle is also of very speculative nature, but fortunately of
only secondary importance for what follows.
We now come to the question about the function of each of the seven layers.
Note that the exact assignments we will make is entirely speculative and mostly
for illustrative purposes. However, we would hypothesize that the basic functions that we have identified must find their counterparts somewhere in the
brain. With this in mind, let us make a hypothesis about the first layer:
• The first layer may be responsible for the acoustic processing of the input
signal up to e.g. the segmentation into words.5
Now that the output of our first layer is assumed to be representations of words,
what can we do with them in the second layer, and what follows in further layers? What we know is that language appears to be based on principles of selforganization and self-replication. People memorize what they experience in their
particular language environment, and this is what they replicate. If this would
not be so, language would not be a stable system and might completely change
from generation to generation, or even from person to person. But the evolutionary advantage of language appears to be that it allows passing on experiences
from one individual to another, and from generation to generation, thereby improving chances of survival for the next generations. This requires an amount of
stability which makes communication at least between three subsequent genera4
5
So possibly even for an understanding of vision it may be helpful to start with language,
and then draw conclusions by analogy.
Note that processing similar to what we are going to describe for words is also likely to
take place for smaller units such as phonemes, letters or syllables (Rapp, 2002), as well
as for larger units such as phrases and n-grams (of words and all of these other units).
However, as the details are non-obvious, we will neglect this aspect here, and usually
simply talk about words. Note also that, in particular for literate people, we must also assume an interface coming from vision. However, this we will disregard here as this
seems not essential for basic language capabilities. In particular, from vision-impaired
people we know that language appears to be a self-contained system which can work perfectly well without any visual input.
Speculations on the Basic Principles of Language
327
tions possible. On the other hand, language of course must also be an adaptable
system which allows communication even in a changing environment.
• The main purpose of language is to provide an adaptable system for passing
on experiences from generation to generation, thereby improving chances of
survival.6
But how is this possible? And how could so many different languages evolve
over time. The answer is: Our brain is a statistics machine, and – like vision –
language is also based on the statistical processing of some input signals. The
above mentioned layers of the language processing part of our cortex might well
deal with various orders of statistics.
• The second layer deals with statistics of order zero. This means that it deals
with counting the frequencies of all words7 perceived and with storing these
frequencies.
Like the control of our heart or our digestion this appears to be an unconscious
process which we are completely unaware of. It nevertheless takes place, and all
counts are stored.8 There is fairly reliable evidence for this which is described in
some detail in Rapp (2005), which also provides references. In a nutshell:
Groups of test persons were asked to judge word familiarities on a scale between
1 and 7. For example, they might give common words such as car a familiarity
rating of 7, less common words such as discipline a rating of 4, and possibly unknown words such as reverie (day dream) a rating of 1. These ratings were
compared to corpus frequencies of words as derived from balanced corpora such
as the British National Corpus which can be considered to be roughly representative of the language environment of the test persons. It turned out that the correlation coefficient between the corpus frequencies and the test person’s familiarity judgments is about equal to the correlation coefficients computed for the
judgments between different groups of test persons. As described in the paper,
although high correlations do not imply causality in a strict mathematical sense,
6
7
8
Note that in computing data transfer is routinely accomplished in much easier ways.
However, as in evolution only small changes are possible at a time, evolution has not
been able to come up with such simple and efficient methods, and methods for the direct
copying of information were only developed on the level of genes.
And/or possibly also for units other than words, see footnote 5.
The phenomenon of photographic memory might give us an idea of the large storage capacities available for this.
328
Reinhard Rapp
the most obvious explanation for this result appears to be the assumption that
word frequencies must be stored somewhere in our brain.9
When the second layer of neurons deals with word statistics of order zero,
wouldn’t it be consequent that the third layer deals with first order statistics?
And this actually appears to be the case. Hereby only the location (is it this layer
or some other layer or place in our brain) but not the fact in itself appears to be
speculative. But what exactly do we mean by the term “first order statistics” in
this context? What is this concretely? The answer is: First order statistics deal
with the co-occurrence counts of words (or other basic elements of language).
This leads us to a further basic principle:
• The third layer deals with first order statistics. This means that it deals with
counting the co-occurrence frequencies of pairs of words and with storing
these frequencies.
But again: Is there any evidence for this? The answer to this question leads us to
the classical association experiment where test persons are asked to respond
with the first word that comes to their mind upon presentation of a particular
stimulus word. For example, when presented the word black most people would
answer with white, and when presented drive many people would answer with
car. In previous work (see e.g. Wettler et al., 2005) it could be shown that for
thousands of test words this behaviour can be almost perfectly simulated by
looking at the co-occurrences and the conditional probabilities of words in representative corpora, and that this procedure is nicely in line with classical learning theory which assumes certain parameters for the learning and forgetting
rates when exposed to repetitive events. As a consequence, we can safely assume that during the acquisition of a language co-occurrence frequencies are
counted and stored in memory. Of course, once again this is a process which
takes place completely unconsciously. We know that many researchers are
sceptical about this. But criticism based on a feeling of implausibility for lack of
consciousness is in our view not a convincing line of argument, and so far to our
knowledge no other plausible explanation for these results could be given.
9
Furthermore, we must assume that there appears to be some mechanism to make these
counts conscious in order to be able to express them. For our purpose, it suffices to observe that this is possible at all, whatever the best instructions may be to activate this
mechanism. In practice, it appears to be better to ask for familiarities rather than for absolute frequencies. The retrieval mechanism used seems not to allow the retrieval of absolute frequencies, although most likely these (or their logarithms) are stored. Our investigations led us to the conclusion that the counts must be stored with fairly high precision, and that only the retrieval mechanism necessary to answer explicit questions (which
most likely requires several more layers of neurons) may introduce some noise.
Speculations on the Basic Principles of Language
329
There is some further and very general evidence that the concepts of cooccurrence and/or conditional probability have played an enormous role in
evolution. Let us look at this evidence. When we talk about certain processes in
our brain we sometimes use the word reasoning. It seems that we are constantly
looking for explanations for what is going on around us, i.e. for reasons why
certain events will happen. Apparently, if we have correctly identified such reasons, this helps us to predict what might happen next, which is very important
for our survival, especially in dangerous situations. We know that we need to be
careful when picking fruit from a thornbush or when our way is getting too
steep. We know in what danger we are when we discover a snake.10 Due to its
importance, apparently a simple form of such reasoning is hard-wired in our
brain in the form of an implementation of the concept of co-occurrence.
This concept not only governs our associations (see above). At higher levels
it also influences our behaviour and our way of explaining the world. The advantage of the concept of co-occurrence is that it allows self-organizing systems
which are able to learn from observing the world. Its disadvantage is that it has a
fundamental shortcoming: It does not tell us what is the cause and what is the
consequence. To illustrate this, let us look at two examples: There is an above
average coincidence between the two observations “a person does sports” and
“the person is healthy”. Our interpretation usually is that sports leads to health,
and so we encourage people to do sports. But in principle things could also be
the other way round: Only persons who are healthy can do sports. Nevertheless,
things look fairly obvious in this case. But there are cases where things get
really tricky: For example, if we encounter an unknown person, should we be
afraid of him or her? We try to read from the face, and we might think “this person looks like a criminal”. But even if scientists should find that there is a correlation between certain facial attributes and the likelihood of criminal behaviour, the cause would not be clear. It could be of genetic or it could be of social
nature. Genetic would mean that there is some correlation between genes which
control the appearance of the face and those which control behaviour. Social
could mean that the society tends to treat persons with certain facial characteristics badly, and this may lead to criminal behaviour. In any case, despite such
fundamental problems, the type of reasoning that is implemented in our brains
apparently has been successful in the course of evolution.
• Our reasoning is based on co-occurrences (or conditional probabilities). Although it may well take place at various levels of abstraction, there is surely
10 Language makes it possible that words can stand for objects and actions, thereby allowing us to learn such information from others. This way we can associate lion to dangerous without having to experience this by ourselves.
330
Reinhard Rapp
one fundamental hard-wired level which we speculate to be in the third layer
of the cortex.
Let us now get back to the cortex. Having assumed that the 2nd layer of the
cortex dealt with statistical dependencies of order zero and the 3rd layer dealt
with dependencies of order one, it will come as no surprise when we now claim
that the 4th layer will deal with statistical dependencies of order two.
• The fourth layer deals with second order statistics. This means that it compares co-occurrence vectors between words (or other units).
This basic principle corresponds to Harris’ distributional hypothesis, which
could be empirically confirmed in numerous papers (cf. Rapp 2009 for an overview). We are looking at the contexts of words, and compute words which occur
in similar contexts. What this gives us are words with similar meanings which
can replace each other in a sentence with only a minimal change in the sentence’s meaning. In the ideal case such words are synonyms. It could be shown
that concerning the synonym portion of the Test of English as a Foreign Language (TOEFL) the performance of programs implementing this is considerably
better than the performance of the non-native speakers taking the test, and
comes close to the performance of native speakers (Rapp, 2009).
It could also be shown that with small changes in the pre-processing, algorithms utilizing second order statistics can also successfully replicate our intuitions on e.g. parts-of-speech (Rapp 2002), relational similarities (Turney 2006),
and orthographical similarities (Rapp 2002), which makes second order dependencies very powerful.
Having discussed the first four layers of the cortex and attributed to them the
processing of statistical dependencies up to order two, at first glance it may
seem fairly obvious how to proceed. There are three more levels to go, which
might lead us to statistically dependencies up to order five. But the problem is:
We don’t know what even a statistical dependency of order three could mean in
practice in the context of language. If order zero means frequency, order one
means co-occurrence, and order two means common context: What does order
three mean? Do words have a third order relationship when the words occurring
in their contexts again have common contexts? But what would be the significance of this in practice? And could we, for example, explain syntax in this
way?
In an attempt to deal with statistical methods which claim to be capable of
grasping “higher order statistics” we dealt with the problem of identifying the
senses of ambiguous words using the method of independent component analysis, but with limited success. The higher the order of the statistical dependencies
Speculations on the Basic Principles of Language
331
gets, the higher the level of abstraction. Concepts like “intention”, “planning”,
and “consciousness” might find their explanation there. But these are apparently
hard problems, so only time will tell whether our assumptions can be confirmed
and solutions found.
But let us assume that we are on the right track. What conclusions can then
be drawn about our brain, about its inner workings, and about language learning? In an attempt to do so, let us look at some questions and at the preliminary
answers our speculative framework provides.
3
Questions and Answers
• Why is each person’s language use somewhat different?
Language learning involves the statistical analysis of perceived language, and
the storage of the observed patterns. In language production these patterns are
reproduced. As no two persons will ever have exactly the same language environment, each person’s language will be somewhat different. Of course, genetics
may also play some role, as there are also variations in the underlying hardware
(number of neurons, their interconnections, etc.). But as regional language
variations (especially over large distances) are far stronger than individual
variations, it can be safely assumed that the language environment is the dominating aspect. So what we perceive is far more important than genetics. In other
words: Concerning language (and thinking, see below), we are a product of our
environment.
• Why do young children learn (but also forget) languages more easily than
adults?
We have postulated that various types of frequencies are stored in our brain, e.g.
the co-occurrence frequencies between (representations of perceptions of) words
and other basic elements of language. At an early stage of development we can
assume that all counts are zero. If now a (perhaps still unborn) baby perceives
the first words, the respective counts are incremented.11 As all other counts are
still zero, the few perceived words will have an extremely strong relative impact,
so a child will learn very easily. Imagine now an old person, where many counts
may be in the range of millions. Incrementing here by one has an almost
11 We use this explicit wording to make the point clear, but do not want to exclude the
possibility that other mechanisms might be used, which, however, must be similar in effect. In particular, analogue and distributed representations might be used. In any case it
is likely that the storage devices are the synapses interconnecting the neurons.
332
Reinhard Rapp
negligible impact. This effect suffices to explain our everyday observations.
There is no need to assume that our brains deteriorate with age. Note, however,
that children’s privilege of learning easily comes at a price: Children will also
forget quickly, because existing patterns are based on few observations and
therefore can be overridden by only a few perceived co-occurrences. This explains why children can be formed and influenced easily. It also explains the observation that only young children can completely forget a language they have
learned, which seems not possible for healthy adults.
• What happens when we sleep or dream? Why do we often make the observation that over night we develop a better understanding of the teaching contents perceived the previous day?
It appears that upon receiving stimuli from our senses the (frequencies stored in
the) lower layers of our cortex are updated immediately, but not or less so what
is stored in the higher layers which are in charge of the more abstract thinking.
Although we cannot exclude it, we doubt that this has to do with hardware constraints, e.g. that the number of neurons firing at a certain time needs to be limited. In our view it is more likely that the reason has to do with information selection: In vision the amount of information provided by our eyes is so huge that
it can only be stored in condensed form at higher levels of processing (= higher
layers of the cortex). So for some types of compression a sensible unit of
consideration may be a day, so updating the connections of higher levels by
night makes sense. However, in language processing the amount of information
is considerably smaller. So storage problems should be not as severe, and
compression is not so essential. But as hypothesized previously, language
processing appears to be an adaptation of visual processing, and so the
respective mechanisms may have been inherited. Also, not only compression but
also generalization is taking place at the higher layers.
• Is, as sometimes stated, our brain the most complex system in the universe?
As mentioned above, we have not yet been able to understand the higher levels
of processing. But as the known levels seem to be based on rather simple
mechanisms, we tend to believe that things may be similarly “simple” with the
higher levels. All levels probably apply similar statistical principles to the output
generated by the previous levels. But a problem is that for the researchers the
details of the representations at the intermediary levels become increasingly
vague when progressing from layer to layer. Another difficulty is that evolution
is not engineering, i.e. does not prefer comprehensible solutions. So we might be
Speculations on the Basic Principles of Language
333
in a situation as described in the introduction: It could be comparable to discovering the von Neumann principles by looking at the layout of a chip.
But like with computers, the fact that our brain can deal with complex tasks
does not necessarily mean that its basic principles are highly sophisticated. If the
layer concept assumed here should turn out to be a fact, and if each layer should,
for example, lead to a duplication of complexity, altogether seven layers would
allow quite a bit of complexity (and hereby we did not consider communication
between various parts of the brain). But this does not mean that the underlying
mechanisms are complex as only the complexity of the surrounding world may
be reflected (analogous to a mirror which is a very simple device but can nevertheless show an unlimited number of pictures). But there might well be limits to
the analogy with computers: Although their basic hardware principles are also
simple, much of their complexity comes from software. But evolution appears to
lead to complexity through “programming” (i.e. based on genetics) only in a
very limited way (instincts might be an example). Instead it leads to complexity
via the fundamental self-organizing principles which, in part we have tried to
uncover here.
• What about Chomsky’s (and others’) poverty of the stimulus argument?
The poverty of the stimulus argument has a very long tradition, which can be
traced back to the ancient Greek philosopher Plato (Landauer and Dumais
1997). In our context it essentially says that children learn a language so quickly
that the little data they perceive can impossibly account for their progress, so
detailed knowledge on the general structure of (universal) language must be
coded genetically and inherited. In contrast, we think that only a few statistical
mechanisms are inherited, and that the poverty of the stimulus argument simply
does not hold. Instead, we believe that the information content of language utterances is much higher than people tend to believe, for the following reasons: A
sentence of average length (about 20 words in English) gives information on the
co-occurrences of 20 * 20 – 20 = 380 word pairs. But it contains even more information than this, because we should not only consider words as our basic
units but also characters, syllables, etc. as well as n-grams (of various lengths) of
all types of basic units, and possibly their combinations. Also, as outlined before, there are not only first order dependencies, but also second order, third order and so on. So already a single sentence contains a considerable amount of
information. But then, if we increase the length of the perceived utterances, the
amount of information they convey could in principle grow exponentially. The
reason is that statistical dependencies (such as word co-occurrences) appear to
be relevant not only for short distances, but also for distances of hundreds and
334
Reinhard Rapp
even thousands of words. (After all, when finishing a book we still have a lot of
information on the previous sections in mind.) So potentially the amount of information e.g. in a book is astronomically high. Of course we also do not believe
that all of this potential information is actually utilized. But we see no need for
the assumption underlying the poverty of the stimulus argument, namely that
almost none of this information is used.12
• What consequences does this framework have for second language teaching?
It means that we need to learn language in context, because otherwise the information content of the perceived input is small. Little information content has the
consequence that we have to perceive more language, probably making perception a severe bottleneck. Three common approaches appear to be problematic: 1)
Teaching in the source language. 2) Learning grammar explicitly (e.g. from
grammar books) rather than implicitly. 3) learning vocabulary the traditional
way by looking at bilingual vocabulary lists. Let us look at them in turn:
1) Teaching in the source language normally does not make much sense as in
this way statistical dependencies in the target language cannot be learned. An
obvious exception is when languages are closely related so that co-occurrence
patterns are similar between languages and the production of the target language
can be accomplished by applying a few phonological and other rules to source
language utterances. (Such phenomena may also account for cases of very fast
second language acquisition, which otherwise would be difficult to explain; see
e.g. Klein and Stegmann 2000.)
2) The problem with learning grammar is that the logical reasoning used for understanding grammar rules takes place in parts of the brain which are more or
less irrelevant to language acquisition. The logical reasoning based on rules that
had been learned may allow us to judge in a post hoc fashion whether a given
utterance fulfils the rules. But this logical analysis is not in real time and has
nothing to do with the understanding and production of spontaneous speech because this is co-occurrence based, relying on automatically discovered patterns
between utterances. No language teacher would ever be able to spell out these
patterns in every detail. But how is it possible that a wrong methodology could
be used over centuries? As stated above, this methodology may well help e.g. in
an exam situation where post-hoc processing is possible. Also, if formulated in
the target language, discussion of grammar rules helps building up co-occur12 So the poverty-of-the-stimulus argument is a nice example how introspection can lead to
wrong conclusions. As people are not aware what information their brain utilizes, they
can easily underestimate its amount by several orders of magnitude.
Speculations on the Basic Principles of Language
335
rences, although not to a higher extend than discussing any other topic. So the
good news is that it is not a complete waste of time if done in the target language (although the topic might demotivate students).
3) Learning vocabulary by memorizing bilingual word lists does not help to discover statistical patterns in the target language and therefore is not suitable to
learn a language properly. However, it may help with the acquisition of related
languages (see 1 above), and – as pointed out for grammar rules – the knowledge of word translations might help in the post-hoc analytical judgment of utterances which is useful in exam situations (although unfortunately not for
spontaneous processing).
• How long does it take to learn a second language and does it need to be hard
work?
We think that, except for closely related languages, for the acquisition of a second language the reception of e.g. 20 million words is essential. An amount in
this order simply cannot be avoided, so there is no point in trying hard to speed
things up.13 Instead, we would recommend a relaxed environment providing as
much input as possible. However, as pointed out above, there are a number of
parameters influencing the exact amount of perceived language required: We
previously mentioned the age of a person. Another factor appears to be the number of other languages spoken and their relationship. Most likely, for very different languages completely new networks have to be built up from scratch
which takes longer. For related languages things may be faster as one or several
existing networks may be partially reused. On the other hand, interference
effects can occur, making it difficult to acquire a high competence.
Let us mention that we don’t believe in stories reporting extremely fast cases
of language acquisition (actually these would overthrow our theory) unless previously acquired networks for related languages could be reused. However, there
is one thing we should point out: We mentioned that children can learn faster as
previously learnt patterns are still weak and can be easily overridden. Under
certain health conditions this fast learning might be possible in some cases for
adults as well, possibly limited to specific parts of the brain. As an example, let
us assume that the forgetting rate in the area of the brain where language acquisition takes place is untypically high for a person. This could mean that at the
beginning of second language acquisition previously acquired knowledge has
already been forgotten, i.e. all connections are close to zero (like for a baby).
13 Let us compare such an attempt to trying to reduce the number of steps when walking
from one place to another, on a given route.
336
Reinhard Rapp
Correspondingly, a very high speed of acquisition might be possible, leading to
impressive results. However, the consequence of this would be that forgetting
would also be similarly fast, so these are two sides of the same medal which
should always be considered together. We can safely assume that evolution has
lead to sensible adjustments for the learning and forgetting rates, but individual
deviations are of course always possible. In addition, it is well possible that
these rates are not constant over time and can be influenced e.g. by hormone
levels and mental states such as relaxedness, excitement, stress, tiredness etc.
We also cannot exclude that it is possible to influence the learning and forgetting rates artificially e.g. by drugs. Although some reports appear to stretch our
assumptions to the limits, at least so far we have no clear evidence that it is
completely impossible to explain credible observations on e.g. photographic
memories and rapid language learning14 in our framework.
• Does our thinking depend on language?
Probably thinking and language are based on the same principles, with the most
basic underlying concept being self-organization by association (i.e. by storing
observed co-occurrences). Probably in an early stage the association network
only contained representations of actual items or events as perceived in the
physical world. But perception only helps survival if it causes reactions, e.g.
movements or (communicative) sounds. As in turn these reactions can also be
perceived, using the same mechanisms, they can also be built into the network.
Probably this way language could evolve, gradually leading to higher levels of
sophistication due to benefits of better communication in the struggle for survival. But it is likely that in this respect there is no fundamental distinction between animals and humans, only some creatures have reached a somewhat
higher level than others, but on the same scale.
• What is intelligence, and do our language abilities depend on intelligence?
Intelligence is probably the problem solving capability resulting from the
processing at higher levels in the cortex. Because language processing mainly
depends on the lower levels, typical native speaker capabilities seem not to depend on intelligence. However, it is likely that to some extend intelligence depends on language capabilities, as our problem solving capabilities will benefit
from good communication.
14 An example is Daniel Tammet who reportedly had been able to learn conversational Icelandic in one week. His acquired language proficiency was then demonstrated in a TV
interview conducted entirely in the new language (but the forgetting rate is not mentioned), see e.g. Wikipedia at http://en.wikipedia.org/wiki/Daniel_Tammet.
Speculations on the Basic Principles of Language
337
• What is the effect of advertisements?
Obviously, like anything else that is perceived they have a direct influence on
our associations, and as automatic processes are involved there is no way to
avoid this effect other than trying to keep away from advertisements. As advertisements are to a good part desinformation, one might speak of environMENTAL pollution, which to some extend occupies our mental capabilities.
• Aren’t the observed statistics only an artefact of some rules?
If, for example, we looked at the traffic in a train station we would notice some
statistical regularities. But these are just artefacts of the timetable, which is the
governing element. Couldn’t it be similar with language, so that the observed
statistics are just an artefact of some underlying rule-based system?15 Our belief
is that this is not the case because only the associationist model can plausibly
explain the self-organization of knowledge. In particular, it has been convincingly shown that several types of human intuitions (word familiarity, word association, word meaning) can be explained by looking at text statistics.
But this does not mean that rule-based systems are not suitable in the construction of NLP applications. For simpler types of problems (e.g. morphology)
researchers have been able to describe the underlying (relatively limited) statistics in a compact set of rules which well serve the purpose. We think that in
principle it does not matter whether we use rules or statistics, because these are
both possible forms of representing the required knowledge. A more important
distinction is hand-crafted versus self-learning. Given the sheer amount of information inherent in language, the latter seems clearly preferable. From our
perspective it looks that language is the interference pattern between several different types of statistics, so we think that it will be easier to replicate these statistics, rather than trying to obtain the same interference pattern using rules. But,
as mentioned above, by no means does this mean that certain subtasks cannot be
successfully dealt with using rules.
A problem with Artificial Intelligence has been that for a long time it more
or less ignored the associationist principles underlying our brain. So it was operating on shaky grounds, which may be the reason for its relative failure.
15 In the discussion after his presentation on “Restricting Stipulations: Consequences and
Challenges” in Stuttgart on March 24, 2010, Noam Chomsky mentioned that in his view
looking at statistics to understand language is like doing physics by hanging a camera out
of the window and analyzing its recordings.
338
4
Reinhard Rapp
Summary and Conclusions
Whereas most of our previous papers had been very technical, concentrating on
small subproblems, in this paper we have tried to present a bigger picture. This
has not been possible without a considerable amount of speculation. Although
we are aware that much of this will be very controversial, it nevertheless might
help to put our previous work into perspective, and to get an idea of what future
work is on the agenda.
Our claim has been that our brain works on self-organizing principles which
are of statistical nature. We believe that the reason for the success of statistical
NLP is that it is also based on statistics. Many researchers will say that they are
not interested in the cognitive aspects, and that they don’t believe in this. Nevertheless they may well do excellent work. But knowingly or not, by optimizing
their systems on an empirical basis, these will get closer to simulating human
intuitions. Because in the end it is human intuitions which are the definitive instance to evaluate NLP systems. If, for example, we look at machine translation,
the language engineer might say that he is only optimizing some automatic
evaluation measure such as BLEU score. But BLEU is not an arbitrary measure,
but one which correlates reasonably well with human judgements, and this is
true for other automatic measures as well.
So an NLP engineer saying that he is not interested in cognition is like a
horse breeder saying that he is not interested in the theory of evolution. It may
be a bit short sighted, but it is surely nevertheless possible to get by well, and to
do excellent work.
This excellent work is taking place in the current boom of statistical NLP,
with little room remaining for alternative work. However, in a paper well worth
reading, Ken Church (2007) has pointed out that at least since the 1950s about
every 20 years there has been a change in the mainstream paradigm from rationalist to empiricist approaches and vice versa: In the 1950s and 1960s there was
empiricism with scientists like Shannon, Skinner, Firth and Harris, then in the
1970s came rationalism with Chomsky and Minsky, and in the 1990 empiricism
came back e.g. with work on part-of-speech tagging, speech recognition and
statistical MT.
By now he thinks that the pendulum might have swung too far, and that the
next change is overdue. However, although we appreciate it when one of the
pioneers of statistical NLP would like to see more diversity in NLP research, we
are somewhat sceptical that the pendulum will swing back again. In the 1950s
and 1960s it was simply impossible to put the good ideas of the empiricists successfully into practice as computing technology did not provide the necessary
means. This has changed in the meantime. We think that in sheer computing
Speculations on the Basic Principles of Language
339
power today’s computers may well be comparable to the human brain. The
number of basic elements (e.g. bytes of RAM or harddisk storage versus synapses) may still be smaller and parallel processing is limited, but processing
speed of the elements is much higher. Progress in numerous subfields has made
it obvious that empirical methods work. This resulted in an unprecedented boom
where ten thousands of researchers from academia and industry contribute to
advancing the field.
We believe these researchers are largely on the right track, and as the current
paradigm is so successful there is not much reason why the pendulum should
swing back again. To the contrary, at present we may well be in the golden age
of computational linguistics, and there is a chance that the mysteries of language
can be unveiled in a not too distant future like, for example, genetics has been
able to explain the reproduction of living beings.
Acknowledgments
This research was supported by a Marie Curie Intra-European Fellowship and a
fellowship within a Marie Curie IAPP project, both taking place within the 7th
European Community Framework Programme. I would like to thank Jürg
Strässler and Richard Forsyth for their very helpful comments, and Manfred
Wettler for introducing me to associationism. Of course, they are not to blame
for the many errors this speculative paper is likely to contain.
References
Church, Ken (2007). A pendulum swung too far. Linguistic Issues in Language Technology
(LiLT), 2 (4).
Harris, Zellig S. (1954). Distributional structure. Word, 10(23), 146–162.
Landauer, Thomas K. and Susan T. Dumais. (1997). A solution to Plato’s problem: the latent
semantic analysis theory of acquisition, induction, and representation of knowledge. Psychological Review, 104(2), 211–240.
Rapp, Reinhard (2002). Unsupervised learning of second order dependencies. Proceedings of
the 6th KONVENS, DFKI, Saarbrücken, 155–162.
Rapp, Reinhard (2005). On the relationship between word frequency and word familiarity. In:
B. Fisseni; H.-C. Schmitz; B. Schröder; P. Wagner (Hg.): Sprachtechnologie, mobile
Kommunikation und linguistische Ressourcen. Beiträge zur GLDV-Tagung 2005 in
Bonn. Frankfurt: Lang. 249–263.
Rapp, Reinhard (2009). The automatic generation of thesauri of related words for English,
French, German, and Russian. International Journal of Speech Technology 11 (3 ), 147–
156.
340
Reinhard Rapp
Klein, Horst G. and Tilbert D. Stegmann (2000). EuroComRom – Die sieben Siebe: Romanische Sprachen sofort lesen können. Aachen: Shaker Verlag.
Turney, Peter D. (2006). Similarity of semantic relations. Computational Linguistics, 32(3),
379–416.
Wettler, Manfred; Reinhard Rapp and Peter Sedlmeier (2005). Free word associations correspond to contiguities between words in texts. Journal of Quantitative Linguistics 12(2),
111–122.
Diskurs und Wirklichkeit – Diskurs und Macht
(Teil 1)
Manfred Uesseler
0
Vorbemerkung
Vor 20 Jahren habe ich den heute zu ehrenden Kollegen Bram ten Cate das erste
Mal getroffen. Seitdem war es wohl jedes Jahr wieder zum Kolloquium. Recht
bald begrüßten wir uns wie gute alte Bekannte. Wir nahmen gemeinsam an Veranstaltungen teil, unterhielten uns über fachliche Probleme und konnten sowohl
Übereinstimmungen als auch unterschiedliche Einschätzungen feststellen. Die
sachliche und überlegte Art meines Kollegen haben mich immer beeindruckt,
bin ich doch selbst eher manchmal ein Heißsporn und in meinen Einschätzungen
sehr absolut, vielleicht sogar zu oft. Seine Haltung und seine gesamte Persönlichkeit schätze ich sehr.
Es ist für mich darum schon fast eine Selbstverständlichkeit zu seinen Ehren
einen Beitrag für die Festschrift zu schreiben, auch wenn mein Thema die Arbeiten des Jubilars nur am Rande tangiert.
Ich hoffe, dass wir uns in diesem Kreise noch häufig treffen werden, über
fachliche Probleme sprechen können und auch zu nicht unwichtigen Diskussionen am Rande weiterhin viel Gelegenheit haben werden. Lieber Kollege ten
Cate, in diesem Sinne wünsche ich Gesundheit und weiterhin frohe Schaffenskraft für die kommenden Jahre.
1
Einleitende Bemerkungen
Diskurs und Wirklichkeit wie Diskurs und Macht bilden nach meinem Verständnis eigentlich für den Diskurs ein zusammengehörendes Ganzes. Ich sehe
allerdings eine Möglichkeit, hier eine gewisse Zweiteilung vorzunehmen und
dadurch einige wichtige Aspekte deutlicher herauszustellen, als es in einem einzelnen Beitrag während des Linguistischen Kolloquiums möglich wäre. Ein großer Kreis derjenigen, die Leser der Festschrift sein werden, dürften wiederum
Teilnehmer des Kolloquiums 2011 in Sibiu sein, so dass ich dort den zweiten
Teil – Diskurs und Macht – vorstellen kann und so der für den Diskurs wichtige
Zusammenhang letztlich gewährleistet ist. Vielleicht ist es aber gar nicht so ungünstig – durch die Situation bedingt –, eine derartige Teilung und gleichzeitig
eine Entwicklung des einen, nämlich der diskursiven Wirklichkeit, hin zum anderen, zur diskursiven Macht bzw. zur Macht durch Diskurse, darzustellen. An
342
Manfred Uesseler
dieser Stelle darum nachfolgend meine Überlegungen zu „Diskurs und Wirklichkeit“.
2
Das Eigenleben der Diskurse
Prämisse: Es gibt keine einfache Widerspiegelung der Wirklichkeit in den Diskursen. Diskurse führen gegenüber der Wirklichkeit – so möchte ich es nennen –
ein gewisses Eigenleben, sind von der wirklichen Wirklichkeit häufig entfernt.
Jetzt könnte der Einwand erfolgen: das gilt aber nicht für naturwissenschaftliche
und technische Diskurse. Sicher gibt es einen – manchmal beträchtlichen – Unterschied zwischen den naturwissenschaftlichen und den technikwissenschaftlichen Diskursen einerseits und den gesellschaftswissenschaftlichen Diskursen
andererseits, wie natürlich auch zwischen der naturwissenschaftlichen und der
gesellschaftswissenschaftlichen Wirklichkeit. Von einem Eigenleben der Diskurse würde ich aber dennoch sprechen. Auch wenn ich mich anschließend nur
mit gesellschaftswissenschaftlichen Diskursen beschäftigen werde, sei bemerkt,
dass es mit der Übereinstimmung selbst für die Naturwissenschaften nicht so
einfach ist, wenn wir die konkreten Situationen betrachten. Ich zitiere J. Link,
der von naturwissenschaftlichen Diskursen sagt, sie „entwerfen Modelle, die
sozusagen Rezeptions-Auffänger für empirische Daten konstituieren, bildlich
vorstellbar als passive In-Formation durch präexistente Realität, wobei die Modelle nach Vorgabe der Daten ggf. modifiziert werden“ (Link 1992: 37).
Link macht dann darauf aufmerksam, dass andere Diskursarten als die der
Naturwissenschaften erst recht ein „Eigenleben“ führen und verdeutlicht das an
der Musik und fragt: „Welche präexistente Realität bildet eine Symphonie von
Mozart ab? Für welche Realität stellt sie ein Modell dar? Die einzig mögliche
Antwort – ,für Gefühle‘ – erweist sich schnell als absurd.“ Seine Schlussfolgerung: „Es gibt also offensichtlich Diskursarten, vage gekennzeichnet als
,phantasiebezogen‘, für die die Abbild-Vorstellung prinzipiell unzutreffend sein
dürfte“ (ebd. 37).
Link spricht in diesem Zusammenhang von einer „partiellen Anwendbarkeit“ auf „nackte Informationen“. Er denkt dabei an eine „Ereignischronik“ oder
einen „reinen Generalanzeiger“.
Natürlich wissen wir aus unserer alltäglichen Erfahrung, dass Nachrichten
und Berichte über Ereignisse und Fakten verzerrt, deformiert oder verfälscht
wiedergegeben werden können. Wir wissen ebenfalls, dass dieses (aus unterschiedlichen Gründen) allzu häufig der Fall ist. Allerdings ist hier zu bemerken,
dass Nachrichten über Ereignisse und Fakten untergeordnete Komponenten des
Diskurs und Wirklichkeit – Diskurs und Macht (Teil 1)
343
Diskurses sind. Wollen wir Diskurse analysieren, dann müssen wir mehr als Ereignisse und Fakten haben. Zur Analyse brauchen wir ein verlässliches Modell.
Link macht dazu einen Vorschlag:
Diskurse gelten nicht als wesenhaft passive Medien einer In-Formation durch Realität, sozusagen als Materialien zweiten Grades bzw. als ,weniger materiell‘ als die
echte Realität. Diskurse sind vielmehr vollgültige Materialitäten ersten Grades unter
den anderen. Es gibt aber grundsätzlich verschiedene Arten von Diskursen. So hat
z. B. in meiner Sicht ein naturwissenschaftlicher Diskurs mit einem literarischen gar
nichts zu tun. In meiner Sicht ist es, kraß gesagt, schlicht Blödsinn zu sagen, ein
Alpengedicht bilde die Alpen bloß anders, etwa subjektiver, ab als der geologische
Diskurs. Vielmehr gehören literarische Diskurse in meiner Sicht zu einer Anzahl
von Diskursen, die wesentlich als Applikations-Vorgaben für individuelle und kollektive Subjektivitätsbildung funktionieren. Ein bekanntes Beispiel für die Applikation einer diskursiven Vorgabe auf Subjektivitäten ist die sogenannte ,Identifikation‘
von Jugendlichen mit Starrollen aus populären Filmen. Es ist offenbar völlig falsch,
die entsprechende Figur im Film als Abbild von Realität analysieren zu wollen. Die
(im weitesten Sinne) künstlerische Figur ist theoretisch fundamental nicht als Abbild
von Realität, sondern genau umgekehrt als Vorgabe für Realität zu bestimmen
(meine hervorhebende Unterscheidung, M. U.). Der künstlerische Diskurs wird fundamental nicht von einer präexistenten Realität in-formiert, sondern umgekehrt ist
der künstlerische Diskurs der subjektiven Realität präexistent und in-formiert sie
(Link 1992: 40).
Diese Feststellung, dass die subjektive Realität präexistent ist und in-formiert
und nicht umgekehrt, wird bei oberflächlicher Betrachtung oft nicht gesehen und
ist darum Anlass zu Analysen, die zu falschen Ergebnissen führen. Diskurse
sind eben nicht als „Materialien zweiten Grades“ oder ganz einfach als „weniger
materiell als die echte Realität“ (wirkliche Wirklichkeit) einzustufen. Diskurse
müssen „als vollgültige Materialitäten ersten Grades unter den anderen“ – wie
Link formuliert – gesehen und behandelt werden.
3
Die eigene Wirklichkeit der Diskurse
Im Hinblick auf die Problematik Diskurs und Wirklichkeit werden hier Markierungspunkte gesetzt. Wichtig erscheint mir zum einen, dass Diskurse über das
tätige Subjekt Realität determinieren, gleichzeitig aber auch Veränderungen von
Wirklichkeit (der wirklichen Wirklichkeit) schaffen (können) und es auch in beträchtlichem Maße tun. Weiterhin erscheint mir wichtig – wie eben herausgestellt – Diskurse als „vollgültige Materialitäten ersten Grades unter den anderen“ zu bezeichnen. Der Diskurs stellt eine eigene Wirklichkeit dar. Das andere,
das Dargestellte (das den Diskurs als Gegenstand hat), wird darum in Abgren-
344
Manfred Uesseler
zung zum Diskurs die „wirkliche Wirklichkeit“ genannt. Die „eigene Wirklichkeit des Diskurses“ muss darum nicht Verzerrung, Verunstaltung oder sogar
Leugnung der Wirklichkeit bedeuten. Dass dieses in der uns täglich mit Nachrichten überschüttenden Welt tatsächlich häufig der Fall ist, stellt ein ganz anderes Problem dar, worauf ich an anderer Stelle weiter eingehen werde, denn hier
spielt das Problem „Diskurs und Macht“ hinein. Die moralische Komponente
kann unter den Grundlegungen zu Diskurs und Wirklichkeit nicht einbezogen
werden. Im später folgenden zweiten Teil, „Diskurs und Macht“, wird diese jedoch eine wichtige Rolle spielen und analysiert werden müssen.
Diskurse haben nicht nur eine eigene Wirklichkeit, sondern auch eine eigene
Materialität. Diese eigene Materialität rekrutiert sich aus anderen aktuellen Diskursen, damit wiederum eigenen Wirklichkeiten und auch (doch nicht notwendigerweise) der „wirklichen Wirklichkeit“.
Um Missverständnisse auszuschließen verweist S. Jäger auf ein bedeutsames Kriterium:
Es geht nicht (nur) um Deutungen von etwas bereits Vorhandenem, also nicht (nur)
um eine Bedeutungszuweisung post festum, sondern um die Produktion von Wirklichkeit, die durch die Diskurse – vermittelt über die tätigen Menschen – geleistet
wird (s. Jäger 2001: 147 Fußnote).
Link unterstreicht die formierende und konstituierende Kraft der Diskurse und
ist damit in vollständiger Übereinstimmung mit Foucault, der den Diskurs als
„materielles Produktionsinstrument“ versteht, mit dem sowohl soziale Gegenstände wie auch die diesen entsprechenden Subjektivitäten produziert werden.
Jedes Ereignis, wie jedes Handeln und auch jeder Tatbestand, lässt sich nur
diskursiv erfassen und analysieren (vgl. dazu meine Ausführungen zum Dispositiv, Uesseler 2010: 201 ff.).
S. Jäger weist daraufhin, dass die diskursiven Praxen keine besonderen Tätigkeiten darstellen, denn bei Link/Link-Heer (1990: 90) heißt es: „ ,Diskurs‘ ist
lediglich die sprachlich-schriftliche Seite einer ,diskursiven Praxis‘ “ und es wird
betont, dass der Diskurs eine „kollektive Tätigkeit sui generis, materiell und
praktisch wie das Bauen eines Hauses [ist], das ich ebenfalls als diskursiv bezeichnen kann ... Es handelt sich zwar um teilweise unterschiedliche Tätigkeiten, die aber nicht prinzipiell unterschiedlich sind“ (vgl. S. Jäger 2001: 147).
Jäger sieht das vor allen Dingen unter Einbeziehung des Tätigkeitskonzeptes
auf der Basis von Leontjew, und so lässt sich seine Betrachtung und Einordnung
auch nachvollziehen. Für den nicht mit dem Tätigkeitsaspekt Vertrauten erfolgt
noch der erklärende Hinweis: „Das alles kann nicht bedeuten, daß sich die
Wirklichkeit auf die Existenz von Diskursen reduzieren ließe, sondern nur, daß
Wirklichkeit nach Maßgabe der Diskurse gestaltet wird“ (ebd. 147). Wieder
Diskurs und Wirklichkeit – Diskurs und Macht (Teil 1)
345
deutlich bezogen auf „Diskurs und Wirklichkeit“ lenkt Jäger schließlich ein und
sagt:
Diskurs wird so gegenüber Foucault und wohl auch Link hinter das rein Sprachliche
zurückgenommen und auf die Ebene des Denkens verlagert, auf die Ebene des Umgangs mit ,Wissen‘, das ja allem Sprechen und Denken, allem Tun einerseits vorausgesetzt ist, sich aber andererseits dadurch auch entwickelt, anreichert etc. (s. Jäger 2001: 147 f.).
4
Der Diskurs ist überindividuell
Damit nicht der Verdacht besteht, dass die individuelle Tätigkeit für sich betrachtet werden könnte und aktuelle soziale Gegebenheiten vernachlässigt werden, versichert Jäger:
Deshalb sei hier noch einmal betont, dass das Individuum im Diskurs tätig ist, in den
sozialen Kurs verstrickt ist und im Diskurs erst tätig sein kann, in den es eingebunden ist. Damit wird Diskurs nicht mit ,Gesellschaft‘ gleichgesetzt, aber als Bestandteil bestimmende Kraft der Gegebenheiten und der Entwicklung gesellschaftlicher
Wirklichkeit markiert. Das Individuum macht den Diskurs nicht, das Umgehrte ist
der Fall. Der Diskurs ist überindividuell (Jäger 2001: 148).
Bei Foucault heißt es dazu: „Man muß sich vom konstituierenden Subjekt, vom
Subjekt selbst befreien, das heißt zu einer Gesellschaftsanalyse gelangen, die die
Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang zu klären vermag“
(Foucault 1978a: 32).
Eine Erläuterung dazu kommt an anderer Stelle: „Das Individuum ist zweifellos das fiktive Atom einer ,ideologischen‘ Vorstellung der Gesellschaft; es ist
aber auch eine Realität, die von der spezifischen Machttechnologie der
,Disziplin‘ produziert worden ist“ (Foucault 1976: 249 f.).
Ein Verweis auf Dreyfus/Rabinow erscheint mir an dieser Stelle angebracht
und ganz interessant, denn die Autoren vertreten die Auffassung, Foucault gehe
es vor allem um die Genealogie des modernen Subjekts (Dreyfus/Rabinow
1987: 149).
Von Bedeutung dürfte in dem Zusammenhang ebenfalls sein, darauf hinzuweisen, dass der einzelne Text individuell ist (also ein individuelles Produkt),
doch der Diskurs dagegen überindividuell. S. Jäger bringt das treffende Bild,
dass der einzelne Mensch sozusagen als „in die Diskurse verstrickt“ zu betrachten ist.
Der Diskurs wird zwar von der Gesamtheit aller Individuen gemacht, bei unterschiedlicher Beteiligung der Individuen an jeweiligen Mengen von diskursiven
346
Manfred Uesseler
Strängen und unterschiedlicher Nutzung der Spielräume, die den sozio-historisch
vorgegebenen Diskurs erlauben“ (Jäger 2001: 148).
Noch einmal bezogen auf das Problem Individuum und Subjekt, stellt Jäger mit
Entschiedenheit heraus: „Aber keines der Individuen determiniert den Diskurs.
Dieser ist sozusagen Resultante all der vielen Bemühungen der Menschen, in
einer Gesellschaft tätig zu sein“ (Jäger ebd.).
5
Der Tätigkeitsaspekt sollte nicht negiert werden
Auf eine gewisse Parallelität von Tätigkeitstheorie und Diskurs und die Auseinandersetzung mit der Tätigkeitstheorie von Leontjew, die sicherlich in diesem
Zusammenhang oft negiert wird oder gar nicht gesehen wird, sollte hier verwiesen werden. Leontjew hat das Verhältnis von Subjekt-Handeln/Tätigkeit und
Vergegenständlichung/Sichtbarkeiten in seinen Arbeiten herausgestellt, und das
sind zweifellos Erkenntnisse, die es für die Diskurstheorie zu nutzen gilt. Mit
seiner Auffassung ist er nicht weit von dem Foucault’schen Begriff des Dispositivs entfernt. Vorgeworfen wird Leontjew vor allem, dass er sich zu sehr dem
Marxismus verpflichtet sieht. Es wird darum meist nur zugestanden, dass die
Tätigkeitstheorie auf der Basis von Leontjew soweit akzeptabel ist, wie das Individuum aus der sozialen Bewegung, in der es steht, seine Herauslösung erfährt. Leontjew hat jedoch deutlich auf den sozio-historischen Kontext verwiesen, aus dem sein Konzept entsprechend zu verstehen ist und eingeordnet werden muss. Die Tätigkeitstheorie ist bei der Erklärung und für das richtige Verstehen von Diskurs und Wirklichkeit darum von Bedeutung. Aus diesem Grunde
erscheint es mir angebracht, an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen.
Ich bin allerdings wie S. Jäger der Auffassung, dass man die Tätigkeitstheorie
nicht etwa als Diskurstheorie verstehen oder beide sogar gleichsetzen kann. Jäger formuliert den entscheidenden Unterschied: „Der Tätigkeitsbegriff ist um
das Individuum (in der Gesellschaft) zentriert, der Diskursbegriff auf die Gesellschaft konzentriert (in der sich das Subjekt konstituiert)“ (Jäger 2001: 148).
Dennoch ist die Verbindung von Tätigkeitstheorie und Diskurstheorie für
einen integrierten Ansatz von Bedeutung. Auf dieser Basis können wir die Verwendung der Sprache und die menschliche Tätigkeit eigentlich erst deutlich als
gesellschaftliche Tätigkeit verstehen, auch den Unterschied zwischen wirklicher
Wirklichkeit auf der einen (der ursprünglichen Seite) und Diskurse als andere
Wirklichkeiten entsprechend einordnen. Das Problem von Aussagen, aber ebenfalls von Äußerungen (auch unter psychischen Aspekten) spielt hier eine Rolle.
Ich habe mich an anderer Stelle speziell mit diesen Problemen beschäftigt, so
dass ich hier darauf verweisen muss (vgl. Uesseler 2007/2008).
Diskurs und Wirklichkeit – Diskurs und Macht (Teil 1)
347
Wir befinden uns jetzt an der Nahtstelle, die den bisher eingehaltenen vornehmlich theoretischen Rahmen sprengt, sprengen muss. Die wirklichen Wirklichkeiten sind klar durch die Tätigkeitstheorie gekennzeichnet, die anderen
Wirklichkeiten sind eben die Diskurse. Von den wirklichen Wirklichkeiten wissen wir, dass sie wesentlich durch Einwirken mit Werkzeugen und Gegenständen überhaupt gekennzeichnet sind, dass hier Herrschaftsfunktion und unterschiedliche Machtfaktoren gesehen und weitestgehend anerkannt sind.
Durch Verstehen und Einbeziehen der Tätigkeitstheorie wird der Schritt in
Hinblick auf die wichtige Tatsache durchaus erleichtert, nämlich, dass Diskurse
ebenso Macht ausüben.
Mit dieser Bemerkung kommen wir eigentlich schon zu dem zweiten Teil,
nämlich zu „Diskurs und Macht“, doch das müssen wir hier aussparen. Ein
Punkt soll – sozusagen als Überleitung – noch behandelt werden:
6
Die Rolle des Subjekts
Zugegeben, das Subjekt steht für Foucault nicht an zentraler Stelle und ist auch
keine autonome Größe. Während er in seinen frühen Arbeiten eine recht rigide
Auffassung vertritt, erweitert sich seine Haltung in den späteren Werken. So
finden wir in „Wahrheit und Macht“ (Foucault 1978a: 32):
Man muß sich vom konstituierenden Subjekt, vom Subjekt selbst befreien, d. h. zu
einer Geschichtsanalyse gelangen, die die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang zu erklären vermag. Und genau das würde ich Genealogie
nennen, d. h. eine Form der Geschichte, die von der Konstitution von Wissen, von
Diskursen, von Gegenstandsfeldern usw. berichtet, ohne sich auf ein Subjekt beziehen zu müssen, das das Feld der Ereignisse transzendiert und es mit seiner leeren
Identität die ganze Geschichte hindurch besetzt.
Foucault leugnet nicht das Subjekt, ist allerdings entschieden gegen Subjektivismus und ebenfalls gegen Individualismus, das ist auch häufig missverstanden
worden. Er betrachtet das Subjekt nicht als autonom, weist aber andererseits gerade auf den Zusammenhang von Macht agierenden Menschen im Diskurs,
wenn er sagt:
Der Grund dafür, daß Macht herrscht, daß man sie akzeptiert, liegt ganz einfach
darin, daß sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt,
Diskurse produziert; man muß sie als produktives Netz auffassen, das den ganzen
sozialen Körper überzieht und nicht so sehr als negative Instanz, deren Funktion in
der Unterdrückung besteht (Foucault 1978a: 35).
348
Manfred Uesseler
Unterschiedliche Subjekte werden nicht ausgeschlossen. Für Foucault stehen
jedoch nicht Individuen oder Subjekte, sondern sich verändernde Subjektpositionen im Vordergrund. Sich verändernde Subjektpositionen sind wiederum mit
sich verändernden diskursiven Bedingungen verbunden und dann auch wieder
mit unterschiedlichen Machtkonstellationen. Im Zusammenhang mit den möglichen Widerständen gegen herrschende Diskurse habe ich das Problem schon angesprochen. Doch lassen wir Foucault selbst zu Wort kommen und den Zusammenhang erklären: „Ich habe nicht verneint – ja ganz im Gegenteil –, daß die
Möglichkeit der Veränderung des Diskurses besteht: ich habe das ausschließliche und augenblickliche Recht dazu der Souveränität des Subjekts entrissen“
(Foucault 1973: 298). Das zeigt bei einer noch weitgehend beibehaltenen
Grundhaltung schon eine mögliche Veränderung an – nicht nur des Diskurses –,
sondern auch der Rolle des Subjekts, das sich in der konkreten historischen Situation – in den Diskursen und mit den Diskursen – verändert.
Literatur
Bogdal, Klaus Michael (Hg.) (1990): Neue Literaturtheorien. Eine Einführung. Opladen:
Westdeutscher Verlag.
Bogdal, Klaus Michael / Scholz, Rüdiger (Hg.) (1996): Literaturtheorie und Geschichte. Zur
Diskussion materialistischer Literaturwissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Dreyfus, Hubert / Rabinow, Paul (1987): Michel Foucault: Jenseits von Strukturalismus und
Hermeneutik. Frankfurt am Main: Athenäum.
Foucault, Michel (1971). Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Foucault, Michel (1973): Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter
der Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp (zuerst 1961).
Foucault, Michel (1976): Mikrophysik der Macht. Berlin: Merve.
Foucault, Michel (1978a): Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit.
Berlin: Merve.
Foucault, Michel (1978b): Wahrheit und Macht. Interview mit Michel Foucault von Alessandro Fontana und Pasquale Pasquino. In: Foucault 1978a, 21-54.
Foucault, Michel (1992): Was ist Kritik? Berlin: Merve.
Foucault, Michel (1996): Diskurs und Wahrheit. Die Problematisierung der Parrhesia. Berkeley-Vorlesungen 1983. Berlin: Merve.
Foucault, Michel (2001–2005): Dits et Ecrits. Schriften 1-4, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Foucault, Michel (2008): Die Hauptwerke. Frankfurt am Main: Suhrkamp Quatro.
Haug, Wolfgang Fritz (Hg.) (1995): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. 2.
Aufl. Hamburg: Argument.
Honneth, Axel / Saar, Martin (2008): Geschichte der Gegenwart. Michel Foucaults Philosophie der Kritik. In: Foucault, Michel: Die Hauptwerke. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Quatro, 1651–1682.
Diskurs und Wirklichkeit – Diskurs und Macht (Teil 1)
349
Jäger, Siegfried (2001): Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. 3., aktualisierte Auflage.
Duisburg: DISS.
Kammler, Clemens / Parr, Rolf (Hg.) (2007): Foucault in den Kulturwissenschaften. Eine Bestandsaufnahme. Heidelberg: Synchron.
Kammler, Clemens / Parr, Rolf / Schneider, Ulrich Johannes (Hg.) (2008): Foucault Handbuch. Stuttgart: Metzler/Poeschel.
Laugstien, Thomas (1995): Diskursanalyse. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Band. 2 (hg. von W. F. Haug). Hamburg: Argument, Sp. 728–743.
Leontjew, Alexej N. (1982): Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit. Köln: Pahl-Rugenstein.
Link, Jürgen (1992): Normalismus. Konturen eines Konzepts. In: kultuRRevolution 27, 50–
70.
Link, Jürgen (2003): Kulturwissenschaft, Kulturrevolution, Interdiskurs. In: kultuRRevolution
45/46, 10–23.
Link, Jürgen / Link-Heer, Ulla (1990): Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse. In: LiLi 77,
88–99.
Uesseler, Manfred (2007/2008) (im Druck): Konsequent Foucault: Textlinguistik > Linguistische Diskursanalyse (LDA) > Kritische Diskursanalyse (KDA), Teil 1 und 2. In: Akten des
42./43. Linguistischen Kolloquiums, Rhodos 2007/Magdeburg 2008.
Uesseler, Manfred (2009) (im Druck): Textlinguistik > Linguistische Diskursanalyse (LDA) /
Kritische Diskursanalyse (KDA) > Erneuerte Soziolinguistik. In: Akten des 44. Linguistischen
Kolloquiums, Sofia 2009
Uesseler, Manfred (2010): Warum Diskursanalyse und warum Dispositivanalyse? In: Abraham P. ten Cate / Reinhard Rapp / Jürg Strässler / Maurice Vliegen / Heinrich Weber
(Hg.): Grammatik – Praxis – Geschichte. Festschrift für Wilfried Kürschner. Tübingen:
Narr, 201–208.
Anhang
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Publikationen
1971
Kasus und Valenz. Versuch einer Integration. Groningen 1971 (unveröffentlicht,
55 Seiten).
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Rijksuniversiteit Groningen (TABU) 2 (1971/72), 3/4, 39–48.
1973
Mit Peter Jordens (Hg.): Linguistische Perspektiven. Referate des VII. Linguistischen Kolloquiums Nijmegen, 26.–30. September 1972. Tübingen:
Niemeyer (= Linguistische Arbeiten. 5; viii + 320 Seiten).
„Strukturalistische taalwetenschap“. In: Soap 4, 26–38. Revidierte Fassung in:
TABU 4 (1973), 1/2, 1–8.
1974
Mitwirkung an: Werner Abraham: Terminologie zur neueren Linguistik. Tübingen: Niemeyer.
1975
„Het nut van een intensieve kursus“. Publikatie nr. 14 van het Instituut voor
Toegepaste Taalkunde, Groningen 1975 (10 Seiten).
1976
„Kausalstrukturen in der Kasusgrammatik“. In: Rudolf Kern (Hg.): Löwen und
Sprachtiger. Akten des 8. Linguistischen Kolloquiums, 19.–22. September 1973. Löwen: Peeters, 191–212.
Mit Peter Jordens, W. U. S. van Lessen Kloeke: Deutsche Phonetik. Laut- und
Aussprachelehre für Niederländer. Groningen: Wolters-Noordhoff (x +
94 Seiten; unveränderter Wiederabdruck 1981).
1977
„-en of -ing: een kwestie van aspekten?“ In: Spektator, tijdschrift voor neerlandistiek 8, 395–401.
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Maarten Klein (Hg.): Taal kundig beschouwd. Taalkundige artikelen. Den
Haag: Nijhoff, 279–292.
354
Abraham P. ten Cate: Publikationen
1978
„Semantische Prädikate und Kasusbegriffe“. In: Wim Zonneveld (Hg.). Linguistics in the Netherlands 1974-1976. Lisse: de Ridder, 19–34.
„Vrouwentaal“. In: Karel J. Hupperetz (Hg.): Liebe zur Geschichte. Groningen:
Publikatie Vakgroep Duitse taal- en letterkunde, 42–55.
1979
„Semantische Aspekte der Verbalabstrakta“. In: Marc van de Velde, Willy Vandeweghe (Hg.): Sprachstruktur, Individuum und Gesellschaft. Akten des
13. Linguistischen Kolloquiums, Gent 1978. Bd. 1. Tübingen: Niemeyer,
177–188 (= Linguistische Arbeiten. 76).
1981
„Die traditionelle Syntax und das Adverb“. In: Manfred Kohrt, Jürgen Lenerz
(Hg.): Sprache: Formen und Strukturen. Akten des 15. Linguistischen
Kolloquiums, Münster 1980. Bd. 1. Tübingen: Niemeyer, 109–118 (= Linguistische Arbeiten. 98).
1984
„Aspektdiskriminierung durch Daueradverbien“. In: Herwig Krenn, Jürgen
Niemeyer, Ulrich Eberhardt (Hg.): Sprache und Text. Akten des 18. Linguistischen Kolloquiums, Linz 1983. Bd. 1. Tübingen 1984: Niemeyer,
12–22 (= Linguistische Arbeiten. 145).
1985
Aspektualität und Nominalisierung. Zur Bedeutung satzsemantischer Beziehungen für die Beschreibung der Nominalisierung im Deutschen und im Niederländischen. Frankfurt am Main: Lang (Diss. Groningen).
1986
„Perspektiven der Retrospektion. Verwendungsbedingungen der ,Vergangenheitstempora‘ im deutsch-niederländischen Sprachvergleich“. Groningen
Papers in Theoretical and Applied Linguistics, TTT Nr. 3. Groningen.
1988
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1987. Tübingen: Niemeyer, 15–27 (= Linguistische Arbeiten. 203).
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„Gegenwärtig gemachte Vergangenheit. Zeitdeiktische Adverbien und das historische Präsens.“ Groningen Papers in Theoretical and Applied Linguistics, TENK Nr. 2. Groningen.
„Zeitadverbia mit der Präposition ,seit‘. Temporal-aspektuale Implikationen“.
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Groningen.
1989
„Seit. Temporal-aspektuale Implikationen von Zeitbestimmungen mit der Präposition ,seit‘ “. In: Norbert Reiter (Hg.). Sprechen und Hören. Akten des
23. Linguistischen Kolloquiums, Berlin 1988. Tübingen: Niemeyer, 223–
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„Präsentische und präteritale Tempora im deutsch-niederländischen Sprachvergleich“. In: Werner Abraham, Theo Janssen (Hg.): Tempus – Modus – Aspekt. Zu den lexikalischen und grammatischen Formen in der Germania.
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1990
Mit Peter Jordens: Phonetik des Deutschen. Eine kontrastiv deutsch-niederländische Beschreibung für den Zweitspracherwerb. Dordrecht: Foris
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der Open Universiteit <http://cop.rdmc.ou.nl/kbduits/Phonetik%20des%
20Deutschen/Forms/AllItems.aspx>).
1991
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„Funktionsverben als Hilfsverben der Aktionsart?“. In: Elisabeth Feldbusch,
Reiner Pogarell, Cornelia Weiss (Hg.): Neue Fragen der Linguistik.
Akten des 25. Linguistischen Kolloquiums, Paderborn 1990. Bd. 1. Tübingen: Niemeyer, 135–141 (= Linguistische Arbeiten. 270).
Mit Willy Vandeweghe (Gent): „Aspectual Properties of Complex Predicates“.
In: Belgian Journal of Linguistics 6, 115–132.
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1994
„Handlungsaktionsart, Perfektivität und Zustandspassiv“. In: Susanne
Beckmann, Sabine Frilling (Hg.). Satz – Text – Diskurs. Akten des 27.
Linguistischen Kolloquiums, Münster 1992. Bd. 1. Tübingen: Niemeyer,
9–17 (= Linguistische Arbeiten. 312).
„Verbmodus in der Wiedergegebenen Rede“ In: Dieter W. Halwachs, Irmgard
Stütz (Hg.). Sprache – Sprechen – Handeln. Akten des 28. Linguistischen
Kolloquiums, Graz 1993. Bd. 1. Tübingen: Niemeyer 1994, 31–38 (= Linguistische Arbeiten. 320).
1995
„Zeitenfolge im komplexen Satz“. In: Per Bærentzen (Hg.). Aspekte der Sprachbeschreibung. Akten des 29. Linguistischen Kolloquiums, Aarhus 1994.
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1996
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Wim van der Wurff (Hg.): Reported Speech: Forms and Functions of the
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Mit André Kootte, Hans G. Lodder: Kompendium der deutschen Grammatik :
eine kontrastiv deutsch-niederländische Beschreibung für den Zweitspracherwerb. Groningen: Duitse Taal- en Letterkunde, Faculteit der Letteren, Rijksuniversiteit Groningen.
1998
„Le parfait et le prétérit parfait en allemand“. In: Andrée Norillo, Carl Vetters,
Marcel Vuillaume (Hg.): Regards sur l’aspect. Amsterdam: Rodopi, 75–
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„Tempus, Aspekt, Modus und Deixis“. In: Jürg Strässler (Hg.). Tendenzen europäischer Linguistik. Tübingen: Niemeyer, 32–36 (= Linguistische Arbeiten. 381).
Mit Hans G. Lodder, André Kootte: Deutsche Grammatik. Eine kontrastiv
deutsch-niederländische Beschreibung für den Zweitspracherwerb. Bussum: Coutinho (2., verbesserte Auflage 2004; 3., korrigierte Auflage
2008).
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1).
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(Hg.): Thessaloniker interkulturelle Analysen. Akten des 33. Linguistischen Kolloquiums in Thessaloniki 1998. Frankfurt am Main: Lang, 69–
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2002
„Der Indikativ“. In: Reinhard Rapp (Hg.): Sprachwissenschaft auf dem Weg in
das dritte Jahrtausend. Teil I: Text, Bedeutung, Kommunikation. Frankfurt am Main: Lang, 415–423 (= Linguistik International. 7).
2003
„Funktionen der Modalität“. In: Lew N. Zybatow (Hg.): Europa der Sprachen:
Sprachkompetenz – Mehrsprachigkeit – Translation. Teil I: Sprache und
Gesellschaft. Frankfurt am Main: Lang, 505–515 (= Linguistik International. 11).
2004
„Wie viele Tempora hat das Deutsche?“. In: Tidsskrift for Sprogforskning 2:1,
83–90.
„Das Plusquamperfekt im Mahlstrom des Präteritumschwunds“. In: Stojan Bračič, Darko Čuden, Saša Podgoršek, Vladimir Pogačnik (Hg.). Linguistische Studien im europäischen Jahr der Sprachen. Frankfurt am Main:
Lang, 135–144 (= Linguistik International. 13).
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Abraham P. ten Cate: Publikationen
2005
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Hout, Co Vet (Hg.): Crosslinguistic Views on Tense, Aspect and Modality. Amsterdam: Rodopi 2005, 1–14 (= Cahiers Chronos. 13).
Mit Alessandra Corda: Thematic Network Project in the Area of Languages III.
Sub-Project Three: Languages as an Interface between different Sectors of
Education. National Report / Netherlands <http://www.fu-berlin.de/tnp3/>
(19 Seiten).
„Ist/war, was geschah, auch geschehen (gewesen)?“ In: Danuta Stanulewicz,
Roman Kalisz, Wilfried Kürschner, Cäcilia Klaus (Hg.): De lingua et litteris. Studia in honorem Casimiri Andreae Sroka. Danzig: Wydawnictwo
Uniwersytetu Gdańskiego, 153–159.
Mit Erwin K. de Vries: Übungsbuch Deutsche Grammatik. Bussum: Coutinho
(168 Seiten).
2006
„Textzusammenhang und temporale Struktur“. In: Maurice Vliegen (Hg.): Variation in Sprachtheorie und Spracherwerb. Frankfurt am Main: Lang
2006, 355–361 (=Linguistik International. 16).
„Ist das Perfekt perfekt?“. In: Wilfried Kürschner, Reinhard Rapp (Hg.): Linguistik International. Festschrift für Heinrich Weber. Lengerich: Pabst,
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2007
Mit Erwin K. de Vries: Übungsmaterial zur deutschen Grammatik. Für Hochschulen und gymnasiale Oberstufe. Teil 1: Das Verb. Teil 2: Das Nomen.
Teil 3: Syntax. Groningen: EK-Tekst.
2009
„Temporale Struktur in deutschen und niederländischen Texten“. In: Beate
Henn-Memmesheimer, Joachim Franz (Hg.): Die Ordnung des Standard
und die Differenzierung der Diskurse. Akten des 41. Linguistischen Kolloquiums in Mannheim 2006. Frankfurt am Main: Lang, 913–922 (= Linguistik International. 24).
„Daarom geen twee passiefconstructies“. In: TABU 38 (2009/2010), 72–87.
Abraham P. ten Cate: Publikationen
359
2010
Mit Reinhard Rapp, Jürg Strässler, Maurice Vliegen, Heinrich Weber (Hg.):
Grammatik – Praxis – Geschichte. Festschrift für Wilfried Kürschner. Tübingen: Narr (ix + 451 Seiten).
„Sein oder Nichtsein in der Passivkonstruktion“. In: Ebd., 29–40.
Grammatik lite, Elementargrammatik Deutsch für niederländischsprachige Studierende an Hochschulen und Universitäten. Mit Übungen. Groningen:
EK-Tekst (148 Seiten).
Mit Peter Jordens (2010): Phonetik des Deutschen. Ein kontrastiv deutschniederländisches Lehrbuch für den Hochschulunterricht. Groningen: EKTekst (154 Seiten).
Zusammengestellt von Maurice Vliegen und Wilfried Kürschner
Beiträger
PER BÆRENTZEN
Dr. – Geb. 1940. Studium der Germanistik und des Lateinischen in Aarhus und
Kiel. 1967/68 Studienaufenthalt in Berlin, 1968–2005 Associate Professor für
deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Aarhus. Schwerpunkte: Deutsche Grammatik und kontrastive Linguistik. – E-Mail: [email protected], Adresse: Rørsangervej 11, DK-8220 Brabrand. Website: http://pure.au.dk/portal/da/
[email protected].
HUUB VAN DEN BERGH
Geb. 1957. Wurde 1984 mit einer Dissertation zur Validität des zentralen Examens Niederländisch promoviert. Danach war er an vielen umfassenden Studien zur Qualität und Effektivität des Unterrichts an weiterführenden Schulen
beteiligt. Auch hat er an vielen kleineren Untersuchungen zu Lese- und Schreibprozessen sowie zur Problematik des Messens von Lese- und Schreibfertigkeit
mitgearbeitet. – E-Mail: [email protected].
STOJAN BRAČIČ
Dr., Professor. – Geb. 1950. Lehrtätigkeit im Fach Germanistische Linguistik.
Studium der Germanistik und Romanistik in Ljubljana, Habilitation 1990.
Schwerpunkte: Syntax, Textlinguistik, Stilistik. – E-Mail: stojan.bracic@siol.
net, Adresse: Aškerčeva 2, Filozofska fakulteta, Germanistika, 1001 Ljubljana,
Slowenien.
IOANA-NARCISA CREŢU
Conferenţiar (Associate Professor), Lehrstuhlinhaberin, Lehrstuhl für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Lucian-Blaga-Universität Sibiu. – Geb. 1969.
Studium der Germanistik und Rumänistik in Bukarest, Sibiu und Bonn, Promotion in Sibiu 1999, Forschungsaufenthalte in Tübingen und Utrecht, fest angestellt im akademischen Bereich seit 1996, Schwerpunkte: Stilistik, Mediensprache, Kommunikationswissenschaften, Diskursanalyse, Werbesprache. – EMail: [email protected], Adresse: Paris 39, 550201 Sibiu, Rumänien.
KÄTHI DORFMÜLLER-KARPUSA
Professor emeritus der Aristoteles-Universität Thessaloniki. – Geb. 1935. Diplom in klassischer Philologie an der Aristoteles-Universität Thessaloniki 1958.
Promotion 1982 und Habilitation 1991 an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld. Forschungsschwerpunkte: Allgemeine
Linguistik, Textlinguistik, Bilingualität/Bikulturalität.
362
Beiträger
KARIN EBELING
Geb. 1953. Studium an der Universität Leipzig in der Fachrichtung Erwachsenenbildung mit den Fächern Russisch und Englisch, 1986 Promotion. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Anglistik der Otto-von-GuerickeUniversität Magdeburg. Schwerpunkte: Soziolinguistik/insbesondere Englisch
im nicht-muttersprachlichen Kontext und Diskursanalyse/insbesondere von politischen Diskursen und Medientexten. – E-Mail: [email protected], Adresse: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Fakultät für Geistes-, Sozialund Erziehungswissenschaften, Postfach 4120, 39016 Magdeburg, Deutschland.
MARINA FOMINA
Associate Professor. – Born 1979. Education: Computer scientist, economist,
interpreter in the sphere of professional communication, Moscow State Institute
of Electronic Technology (Technical University), Ph.D. Moscow City Pedagogical University, 2009. Teaching subjects: Theoretical English grammar,
English for business studies, English language, Moscow City Pedagogical University, since 2004. Fields of research: Linguistic semantics, cognitive linguistics, linguistic experiments. – E-mail: [email protected], address: Zelenograd,
1416-33, 124617 Moscow, Russia.
KLAUS-DIETER GOTTSCHALK
Assessor des Lehramts. – Studium Marburg, FU Berlin, Amherst College,
Massachusetts, Salamanca, École des Sciences Politiques Paris. Promotion Romanistik (Hispanistik), Anglistik, Pädagogik. Wissenschaftsreferent British
Council. Hochschullehre: Amherst College, Universität Bochum, Universität
Tübingen, Universitätsprofessor Linguistik Los Angeles, Akademischer Direktor Englisches Seminar Universität Tübingen sowie Dozent Wissenstransfer
Universität Tübingen. Fulbrightstipendien USA, Akademiestipendium VWStiftung Universität Edinburgh. Projektleiter (Drittmittel) Universität Tübingen.
Schwerpunkte: Textlinguistik, Idiomatik, Fachfremdsprachen Medizin Englisch
und Spanisch, Übersetzungs- und Lehrwerkkritik. – Adresse: Im Hag 8, 72072
Tübingen, Deutschland.
HENK HARBERS
Assistenzprofessor für deutsche Sprache und moderne deutsche Literatur an der
Universität Groningen. – Geb. 1948. Studium der Germanistik und Philosophie
u. a. in Zürich und Berlin, seit 1975 Dozent für Deutsch in Groningen, 1984
Promotion über Heinrich Mann, 1986/87 Gastdozentur an der Universität von
Wisconsin-Madison. Schwerpunkte: Heinrich Mann, deutsche Gegenwartsliteratur, Postmoderne und Nihilismus. – E-Mail: [email protected], Adresse: Oude
Kijk in ’t Jatstraat 26, 9712 EK Groningen, Niederlande.
Beiträger
363
WOLFGANG HERRLITZ
Geb. 1943. Studierte in Kiel, Wien und Tübingen Germanistik, Philosophie und
Geschichte und promovierte 1971 in Tübingen in der germanistischen Linguistik. 1969 bis 1974 war er dort wissenschaftlicher Assistent der germanistischen
Sprachwissenschaft und absolvierte 1972–74 in Großbritannien und den USA
ein Ergänzungsstudium Erziehungswissenschaften. Von 1974 bis 1978 war er
Wissenschaftlicher Rat und Professor an der Universität Köln und danach bis zu
seiner Emeritierung 2008 Professor für deutsche Sprachwissenschaft und
Sprachlehrforschung der Universität Utrecht. – E-Mail: [email protected].
LISANNE KLEIN GUNNEWIEK
Geb. 1962. Studierte in São Paulo, Utrecht und Bochum Auslandsgermanistik,
Portugiesisch sowie Fremdsprachendidaktik. 1994 schloss sie die Lehrerausbildung für die Sekundarstufe II mit Lehrbefugnis in Deutsch als Fremdsprache ab
und wurde 2000 in Utrecht mit einer Dissertation zum Fremdsprachenlernen
promoviert. Bis 2002 arbeitete sie in der Auslandsgermanistik der Universität
Utrecht. Von 2002 bis 2005 war sie Associate Professor für deutsche Sprache
und Didaktik der Universidade Federal de Minas Gerais, von 2005 bis 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Erziehungswissenschaften in Marburg. Seit
2008 arbeitet sie in der Lehrerausbildung an der Hogeschool van Arnhem en
Nijmegen (HAN) in Nijmegen. – E-Mail: [email protected].
WILFRIED KÜRSCHNER
Geb. 1945. Studium der Germanistik und der Anglistik in Tübingen und Newcastle upon Tyne, Promotion: Tübingen 1973, Habilitation: Freiburg im Breisgau 1979/80. Seit 1980 o. Professor für allgemeine Sprachwissenschaft und
germanistische Linguistik (em.) an der Universität Vechta. Schwerpunkte: Geschichte der Sprachwissenschaft (spez. Antike), Grammatik des Deutschen
(spez. Orthografie), linguistische Dokumentation. – E-Mail: kuerschner-vechta
@t-online.de, Adresse: Dohlenstr. 7, 49377 Vechta, Deutschland.
JÖRG MEIER
Universitätsprofessor Košice (Slowakei), Universitätsdozent/Assistenzprofessor
Leiden (Niederlande). – Geb. 1961. Studium der Germanistik, ev. Theologie,
Pädagogik und Philosophie, Staatsexamen 1988, Promotion 1993, Habilitation
2002. Seit 1991 Lehre und Forschung, u. a. an den Universitäten in Bochum,
Münster, Minsk, Leiden, Wien, Košice. Schwerpunkte: Germanistische Linguistik und Sprachgeschichte, angewandte Linguistik, Varietätenlinguistik und
Sprachkontaktforschung, Textlinguistik. – E-Mail: [email protected].
nl, Adresse: Lehmbachstr. 31, 46149 Oberhausen, Deutschland.
364
Beiträger
HARUKO MIYAKODA
Affiliation: Tsuda College. Main focus of research: Phonology, speech pathology. – E-mail: [email protected], Address: 2-1-1 Kodaira-shi Tokyo 1878577, Japan.
REINHARD RAPP
Marie Curie Fellow an der Universität Leeds. – Studium in Tübingen, Konstanz
und Coventry, Promotion in Informationswissenschaft an der Universität Konstanz, Tätigkeiten in Forschung und Lehre im Bereich der Computerlinguistik an
den Universitäten Paderborn, Genf, Mainz, Tarragona und Leeds. Schwerpunkte: Korpuslinguistik, Psycholinguistik, maschinelle Übersetzung. – E-Mail:
[email protected], Adresse: University of Leeds, School of Modern Languages and Cultures, Centre for Translation Studies, Leeds, LS2 9JT, United
Kingdom.
ELISABETH RUDOLPH
Dr., Privatgelehrte. – Geb. 1926. Studium der Romanistik an der Freien Universität Berlin 1949–1954. Schwerpunkte: Kausalität in Satzverknüpfungen (konsekutiv, final, kausal) in romanischen Sprachen. Kontrast (adversativ, konzessiv)
im Vergleich Iberoromanisch – Deutsch/Englisch, Partikel- und Argumentationsforschung. – Adresse: Schimmelmannstr. 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
TATIANA D. SHABANOVA
Professor, Bashkir State Pedagogical University, Ufa, Russia. – Born 1947.
Education: educator, English, German, Pyatigorsk Linguistic University 1971.
Scientific degrees: kandidat of philological sciences 1977 (Moscow Pedagogical
University), Doctor of Philological Sciences 1998 (Institute of Linguistics,
Academy of Sciences, Moscow). Teaching subjects: Cross-cultural communication, general linguistics, theoretical English grammar, history of English, practical English grammar, conversational English, Bashkir State Pedagogical University since 1977. Fields of research: Linguistic semantics, cognitive linguistics,
experimental linguistics, cross-cultural communication. – E-mail: bertha@
ufanet.ru, address: 53 Sverdlov str., apt. 4, Ufa, 450076, Russia.
NORIO SHIMA
Professor. – Geb. 1966. Studium der Germanistik, allgemeinen Sprachwissenschaft und Japanologie in Tokyo und Köln, Lehrtätigkeit im Fach Japanisch als
Fremdsprache 1995–2001, Linguistik des Deutschen und Deutsch als Fremdsprache seit 2001. Schwerpunkte: Grammatiktheorie und deutsche Grammatik,
Sprachtypologie. – E-Mail: [email protected], Adresse: Kyoto Sangyo
Beiträger
365
Universität, Fakultät für Fremdsprachen und Auslandsstudien, Deutsche Abteilung, Kamigamo-Motoyama, Kita-ku, Kyoto 603-8555, Japan.
OLGA SOULEIMANOVA
Ph.D., Professor of Linguistics, Head of the Chair of European Languages and
Translation Studies, Moscow City Teachers’ Training University. – E-mail:
[email protected], address: Pulkovskaja str. 4-1-125, Moscow 125493, Russia.
KAZIMIERZ ANDRZEJ SROKA
Professor emeritus of the University of Gdansk. – Born 1931. Education: English studies, M.A.: Catholic University of Lublin 1956, Ph.D.: University of
Wroclaw 1966, habilitation (general and English linguistics): University of
Wroclaw 1990. Professional career: assistant, senior assistant, and assistant professor (Polish: adjunct): University of Wrocław 1957–1966, assistant professor:
Adam Mickiewicz University Poznan 1966–1971, assistant professor, head:
Polish Academy of Sciences, Department of Applied Linguistics, Poznan 1971–
1973, assistant professor: University of Gdansk 1973–1992, organizer and head
of the Department of English at the University of Gdansk 1973–1978, professor
of the University of Gdansk 1992–2002, professor at the Mazurian University
Olecko 1998–2007, professor at the Polonia University Czestochowa from 2004
onwards. Main focus of interest: General, descriptive and comparative linguistics, the structure of English and Hungarian, translation (mainly, Bible translation) problems. – E-mail: [email protected], address: Pomorska 15 A 30, 80333 Gdańsk-Oliwa, Poland.
DANUTA STANULEWICZ
Education: M.A. in English philology, Ph.D. in humanities (linguistics),
habilitation in linguistics (general linguistics): University of Gdansk. Teaching
subjects: General linguistics, semantics, pragmatics, ethnolinguistics, sociolinguistics, psycholinguistics. Fields of research: Semantics (colour terms, metaphors), morphology and syntax, pragmatics (speech acts), ethnolinguistics,
sociolinguistics. – E-mail: [email protected], address: Institute of
English, University of Gdansk, ul. Wita Stwosza 55, 80-952 Gdańsk, Poland.
VALENTINA STEPANENKO
Professor, Lehrstuhl für Deutsche Philologie, Staatliche Linguistische Universität Irkutsk. – Geb. 1957. Studium der Germanistik in Irkutsk, Promotion 1992,
Lehrtätigkeit im Fach Linguistik des Deutschen seit 1981, Habilitation 2007.
Schwerpunkte: deutsche Lexikologie, Semiotik, Sprachphilosophie, Theolingu-
366
Beiträger
istik. – E-Mail: [email protected], Adresse: Topkinskij 30-16, Postfach 164, 664080 Irkutsk, Russland.
JÜRG STRÄSSLER
Geb. 1951. M. A. in englischer Linguistik und Literatur, deutscher Linguistik
und theoretischer Physik. Promotion in anglistischer Linguistik an der Universität Zürich, M. Phil. in theoretischer Linguistik an der Universität Cambridge
(England). Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Phonetik, Syntax und Semantik, Makrolinguistik, Erst- und Zweitspracherwerb, forensische Linguistik. –
E-Mail: [email protected], Adresse: Stritengässli 44a, 5000 Aarau, Schweiz.
IMRE SZIGETI
Geb. 1966. Von 1986 bis 1993 Studium der Geschichte, der Germanistik und
der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Universität Debrecen (Ungarn).
Promotion in Linguistik des Deutschen im Deutschen Seminar der Universität
Tübingen, Habilitation in allgemeiner Linguistik an der Katholischen PéterPázmány-Universität Budapest (Ungarn). Von 2000 bis 2007 Direktor des Germanistischen Instituts, 2003–2006 internationaler Prodekan der Philologischen
Fakultät. Seit 2006 Professor der (germanistischen) Linguistik an der Katholischen Péter-Pázmány-Universität Budapest/Ungarn. Ab Sommer 2011 dreijähriger Studien- und Lehraufenthalt in Kodaikanal (Indien).
MARJON TAMMENGA-HELMANTEL
Geb. 1971. Studium der Germanistik und Allgemeinen Sprachwissenschaft in
Groningen und Münster, Promotion 2002, Lehrtätigkeit im Fach Deutsch als
Fremdsprache/Lehramt. – E-Mail: [email protected], Adresse:
UOCG, Postbus 800, 9700 AV Groningen, Niederlande.
JÓZSEF TÓTH
Universitätsdozent. – Geb. 1963. Studium der Germanistik und Slawistik in
Debrecen (Ungarn), Promotion 2000 in Germanistischer Linguistik (Budapest),
Lehrtätigkeit im Fach Germanistische Linguistik seit 1991. Schwerpunkte in
Forschung und Lehre: deutsche Grammatik, interkulturelle Germanistik, Lexikologie, (kognitive) Semantik, kontrastive Linguistik, Lexikographie, Pragmatik, Übersetzungstheorie. – E-Mail: [email protected], Adresse:
Pannonische Universität Veszprém, Ungarn, Germanistisches Institut, Lehrstuhl
für germanistische Linguistik, Füredi u. 2, Pf. 158, 8200 Veszprém, Ungarn.
BÄRBEL TREICHEL
Vertretungsprofessorin Englische Sprachwissenschaft, Universität Vechta. –
Promotion in anglistischer Linguistik an der Universität Gesamthochschule Kas-
Beiträger
367
sel, Habilitation in anglistischer Linguistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Arbeitsschwerpunkte: interaktionale Soziolinguistik, Text- und
Gesprächslinguistik, Pragmalinguistik, Semantik, Sprach- und Kulturkontakt,
Mehrsprachigkeit, Biographieanalyse. – E-Mail: baerbel.treichel@uni-vechta.
de, Adresse: Universität Vechta, Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften,
Fach Anglistik, Postfach 1553, 49364 Vechta, Deutschland.
MANFRED UESSELER
Dr. phil. habil., Professor. – Studium der Soziologie, Wirtschaftswissenschaften,
Anglistik in Hamburg, Berlin und London. Lehrtätigkeit und Forschung in den
Bereichen Soziologie, Soziolinguistik, Kulturtheorie, Diskurstheorie. Universität
Magdeburg. Gastprofessuren in Vilnius (Litauen); Dehli, Mumbai, Kolkota,
Shantinikitan, Chenai, Trivandrum (Indien). Buchpublikationen: „Soziolinguistik“ 1982; „Soziolinguistik“ (russ.) 1987; „Soziolinguistik für Studenten der
Germanistik“ 2006; „Erlebtes Indien“ 2009; Erarbeitung von Lehrmaterial für
den universitären Englischunterricht. Beiträge und Aufsätze in Sammelbänden
und wissenschaftlichen Zeitschriften. Artikel in Zeitungen und Zeitschriften.
Eine große Zahl von Rezensionen, vor allem in Deutschland und Indien. – Adresse: Müritzstr. 18, 10318 Berlin, Deutschland.
MAURICE VLIEGEN
Associate Professor für Sprache und Kommunikation an der Vrije Universiteit
Amsterdam. – Geb. 1954. Studium der Germanistik und allgemeinen Sprachwissenschaft in Nijmegen und Konstanz: Assistent Universität Nijmegen 1980–
1986; Promotion an der Universität Nijmegen 1986; Pädagogische Hochschule
Fontys Sittard 1984–1994; seit 1987 Vrije Universiteit Amsterdam: angewandte
Forschung zur Lexikologie aus Drittmitteln, Germanistik. Schwerpunkte: Grammatik, Wortsemantik, kontrastive Linguistik, Infinitivkonstruktionen, Subjektivitätsaspekte. – E-Mail: [email protected].
HEINRICH WEBER
Apl. Prof., Akademischer Oberrat a. D. – Geb. 1940. Studium der Germanistik,
Geschichte und Politik in Saarbrücken, Wien und Heidelberg, Promotion 1968,
Lehrtätigkeit im Fach Linguistik des Deutschen 1969–2005, Habilitation 1989.
Schwerpunkte: Grammatiktheorie und deutsche Grammatik, deutsche Sprachgeschichte, Geschichte der Sprachwissenschaft, Textlinguistik. – E-Mail:
[email protected], Adresse: Paulinenstr. 23, 72138 Kirchentellinsfurt, Deutschland.
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Beiträger
YULIA R. YUSUPOVA
Associate Professor, Bashkir State Pedagogical University, Ufa, Russia. – Born
1974. Education: educator, English, German. Bashkir State Pedagogical University, Ufa, Russia 1996. Scientific degrees: Kandidat of philological sciences
2006 (Bashkir State University). Teaching subjects: Theory of Translation (since
2007), practice in Translation (since 2007), theoretical English grammar (since
2001), practical English grammar (since 1996), conversational English (since
1996), Bashkir State Pedagogical University. Fields of research: Theory of
translation, linguistic semantics, cognitive linguistics, experimental linguistics. –
E-mail: [email protected], address: 168 Marta str., Apt. 96, Ufa 450005, Russia.

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