Fälle 2-4

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Fälle 2-4
Dr. Frank Skamel, LL.M. (Duke)
LEO Zivilverfahrensrecht
WS 2011/2012
Fall 2: Rechtswegzuständigkeit
S ist bei der Gemeinde D als Mitarbeiter im Kommunalen Bauhof beschäftigt. G hat gegen S
einen Vollstreckungsbescheid über € 6.000 erwirkt. Er vollstreckt in die Arbeitslohnansprüche des S. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wird D am 1.2. zugestellt. Der
pfändbare Teil des Einkommens des S beträgt monatlich € 1.000. G verlangt von D am 1.3.
Zahlung von € 2.000. Zahlung erfolgt nicht.
G klagt vor dem Arbeitsgericht die Forderung gegen D in Höhe von € 3.000 ein. Die Klage
wird am 1.4. zugestellt. D rügt die Statthaftigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten,
weil G nicht Arbeitnehmer sei. Das Arbeitsgericht verweist den Rechtsstreit daraufhin durch
Beschluss vom 15.4. an das Amtsgericht. Am 1.5. erweitert G die Klage auf € 4.000. In der
mündlichen Verhandlung am 15.5. weist D zutreffend darauf hin, dass Lohnforderungen
nach dem maßgeblichen Tarifvertrag nicht abtretbar sind. Auch habe D den Lohn regelmäßig
am Fälligkeitstag an S überwiesen. Hilfsweise rechnet D mit einer gemeindlichen Abgabenforderung in Höhe von € 1.500 auf, die ihr gegen G zusteht, und die mit Gebührenbescheid
vom 15.4. festgestellt ist. Wie wird das Amtsgericht entscheiden?
Lösungshinweise Fall 2:
I. Zulässigkeit der Klage
1. Rechtswegszuständigkeit
Streitgegenstand ist die Zahlung von Arbeitslohn. Hierfür besteht eine ausdrückliche Zuweisung in § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG. Folglich sind eigentlich die Arbeitsgerichte zuständig.
Beachte: Der Rechtsweg ändert sich nicht, wenn aufgrund einer Zession oder Pfändung jemand den Anspruch geltend macht, der nicht Arbeitnehmer ist, vgl. § 3 ArbGG. Diese Regel gilt auch für andere
Rechtswege.
Die Aufrechnung durch D (und damit eine „Einwendung“) ist irrelevant für den Rechtsweg.
Der Rechtsweg zu den Zivilgerichten ist daher nicht gegeben. Gleichwohl wird das Amtsgericht hier nicht nach § 17a II 1 GVG eine Verweisung an das Arbeitsgericht vornehmen. Denn
das Amtsgericht ist selbst gemäß § 17a II 3 GVG an die Verweisung gebunden, die das Arbeitsgericht am 15.4. ausgesprochen hatte. Der Beschluss ist zwar falsch. Er ist aber nicht
nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG angefochten worden und daher bindend.
Beachte: Eine Bindung tritt nur hinsichtlich des Rechtswegs ein; wegen der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit könnte das Empfangsgericht noch weiter verweisen.
2. Sachliche Zuständigkeit
Die sachliche Zuständigkeit ist nach § 1 ZPO iVm § 23 Nr. 1 GVG gegeben. Die Wertberechnung richtet sich nach §§ 2, 3 ZPO.
Beachte: Kein Fall des § 506 ZPO. Hätte aber G die Klage auf z.B. 6.000 Euro erweitert, hätte das Amtsgericht auf Antrag verweisen müssen. Hierbei handelt es sich um eine Ausnahme vom Grundsatz des
§ 261 III Nr. 1 ZPO (perpetuatio fori).
3. Prozessführungsbefugnis
Prozessführungsbefugt ist, wer ein Recht im eigenen Namen geltend macht.
Hier klagt G auf Leistung an sich, nimmt also ein eigenes Recht in Anspruch. Grundlage der
Klage ist das eigene Einziehungsrecht des G (dazu sogleich unter II.1).
II. Begründetheit der Klage
1. Aktivlegitimation des G
Ursprünglich stand die eingeklagte Forderung dem G nicht zu. Ihr Inhaber war S. Aktivlegitimiert ist G allerdings aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
Nach § 836 I ZPO ersetzt der wirksame Überweisungsbeschluss die Erklärung der Einziehungsermächtigung. Voraussetzung der Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses ist ein
wirksamer Pfändungsbeschluss. Der Vollstreckungsbescheid gemäß §§ 699 ff. ZPO ist ein
Vollstreckungstitel nach § 794 I Nr. 4 ZPO.
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Beachte: Zwangsvollstreckung ohne Vollstreckungstitel ist nicht nur anfechtbar, sondern die Vollstreckungshandlung ist wegen eines groben Fehlers nichtig.
Die Überweisung ist Teil der Verwertung; ohne wirksame Pfändung, die zur Verstrickung führt, ist eine
Überweisung unwirksam, weil es an ihrer Grundlage fehlt.
D trägt vor, die Forderung sei aufgrund tarifvertraglicher Abreden nicht abtretbar. Damit wäre
sie nach § 851 I ZPO grundsätzlich unpfändbar. Ausnahmsweise sind nach § 851 II ZPO
aber Forderungen pfändbar, wenn vertraglich ein Abtretungsausschluss nach § 399 Fall 2
BGB vereinbart wurde. Dies gilt auch bei tarifvertraglichen Abtretungsverboten.
2. Bestehen des Rechts dem Grund nach
Anspruchsgrundlage ist § 611 I Fall 2 BGB. Der Anspruch ist aufgrund des Arbeitsvertrags
(Dienstvertrag) entstanden.
D trägt Erfüllung gemäß § 362 BGB und damit das Erlöschen des Anspruchs vor. Die Erfüllung ist aber aufgrund des Zahlungsverbots des § 829 I ZPO dem G gegenüber unwirksam.
Beachte: Zahlt der Drittschuldner nach der Pfändung an den Schuldner, ist diese Zahlung dem Gläubiger
gegenüber unwirksam. Der Drittschuldner muss nochmals an den Gläubiger zahlen und die Zahlung an
den Schuldner kondizieren (§ 812 I 1 Fall 1 BGB). Der Schutz des Drittschuldners erfolgt analog § 407 I
BGB; in der Regel wird der Drittschuldner aber wegen der Zustellung des Pfändungsbeschlusses Kenntnis
haben. Beachte daneben § 836 II ZPO.
3. Bestehen des Rechts der Höhe nach
a) Klageantrag
Der Klageantrag lautete auf 4.000 Euro. Zwar waren zunächst nur 3.000 Euro begehrt worden. Mehr hätte das Gericht auch nicht zusprechen dürfen, § 308 ZPO.
Beachte: Das gilt insbesondere für Zinsen. Diese sind hier nicht beantragt, dürfen also nicht zugesprochen werden.
Allerdings hat G die Klage während des Prozesses erweitert, was unter den Voraussetzungen des §§ 261 II, 264 Nr. 2 ZPO möglich ist.
b) Höhe des Anspruchs
Gepfändet wurde am 1.2. Die Pfändung erfasst das Recht immer in der Höhe, in der es sich
bei der Zustellung befindet. Nach § 832 ZPO erstreckt sich die Pfändung (und Überweisung)
auch auf später fällige Bezüge. Der Gläubiger muss also nicht jeden Monat neu pfänden.
4. Aufrechnung
Die Forderung könnte aber in Höhe von 1.500 Euro durch Aufrechnung erloschen sein,
§ 389 BGB. Die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Aufrechnung liegen vor.
Zu prüfen ist, ob das Amtsgericht diese aber berücksichtigen darf. Die Forderung gehört zur
Rechtswegszuständigkeit der Verwaltungsgerichte. Im Grundsatz gilt nach § 17 II 1 GVG die
Vorfragenkompetenz (sog. Kognitionsbefugnis). Das bedeutet etwa, dass das Zivilgericht im
Rahmen der Amtshaftung die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts prüfen darf.
Sehr umstritten ist, ob § 17 II 1 GVG auch für die Aufrechnung mit rechtswegfremden Gegenforderungen gilt.
Für die Anwendung werden vorgebracht (1) die Gleichwertigkeit der Rechtswege und (2) der
Aspekt der Prozessbeschleunigung. Dagegen wird angeführt (wohl h.M.), dass die Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellte Forderung nach § 322 II ZPO in Rechtskraft erwachse. Anders als bei „mehreren Klagegründen“ werde der Zusammenhang bei der Aufrechnung überdies erst durch die Aufrechnungserklärung herbeigeführt (Zöller/Lückemann,
ZPO, 29. Aufl. 2011, GVG § 17 Rn. 10).
BGH NJW 2000, 2428 hat die Frage offen gelassen; BVerwG NJW 1999, 160, 161 spricht
sich gegen Zulässigkeit der Aufrechnung mit rechtswegfremder Gegenforderung aus, es sei
denn, die Forderung sei rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt oder sonst unbestritten.
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Eine weitere Ausnahme wird erwogen für das Verhältnis von ordentlicher und Arbeitsgerichtsbarkeit. Wegen der Sachnähe beider Rechtswege können Zivilgerichte auch über zur
Aufrechnung gestellte arbeitsgerichtliche Forderungen entscheiden und umgekehrt.
Ergebnis: Folgt das Amtsgericht der Auffassung, wonach es über die rechtswegfremde Aufrechnungsforderung entscheiden darf, hat es der Klage in Höhe von 2.500 Euro statt zu geben und im Übrigen abzuweisen.
Folgt es der Gegenauffassung, kann es nach § 302 ZPO ein Vorbehaltsurteil erlassen und
das weitere Verfahren („Nachverfahren“) nach § 148 ZPO aussetzen.
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Fall 3: Sachliche und örtliche Zuständigkeit I
K mit Wohnsitz in Leipzig kauft bei Kunsthändler V mit Sitz in Dresden ein Gemälde. V erklärt auf Nachfrage des K vor dem Vertragsschluss ausdrücklich, dass das Gemälde von
dem berühmten Maler M stamme. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die V dem Vertrag zugrunde legt, enthalten folgende Klauseln: „(...)
5. Eine Haftung aus allen Rechtsgründen für die Echtheit der verkauften Kunstgegenstände wird ausgeschlossen. (...)
9. Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus dem Vertrag ist Dresden.“
V liefert dem K das Gemälde nach Leipzig. Ein Kunsthistoriker stellt alsbald fest, dass es
sich um eine geschickte Fälschung handelt. K verlangt den Kaufpreis von € 10.000 von V
zurück. V beruft sich auf den Ausschluss der Haftung. K erhebt gegen V vor dem Landgericht Leipzig Klage auf Zahlung von € 10.000. V weist auf die Unzuständigkeit des Gerichts
hin und beantragt Klageabweisung.
Abwandlung 3a: K klagt in Leipzig gegen V auf Zahlung von € 15.000 Schadensersatz. Zur
Begründung trägt er vor, dass das echte Gemälde von Kunstkennern mit € 15.000 bewertet
worden wäre. Das gelieferte Bild könne V bei K abholen.
Abwandlung 3b: K erklärt die Anfechtung des Kaufvertrages und klagt in Leipzig auf Rückzahlung des Kaufpreises.
Wie wird das Landgericht Leipzig jeweils entscheiden?
Lösungshinweise Fall 3:
I. Zulässigkeit
Das Landgericht ist gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 GVG sachlich zuständig. Ernsthaft zweifelhaft ist
allein die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Leipzig.
Beachte: Vorliegend handelt es sich um einen Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB). Einen besonderen Verbrauchergerichtsstand kennt die ZPO aber nur für Haustürgeschäfte nach §§ 312 f. BGB in § 29c ZPO.
Anders bei internationaler Zuständigkeit: vgl. die Art. 15 ff. EuGVVO, insbesondere Art. 16 II EuGVVO.
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich nicht aus § 39 S. 1 ZPO; V hat vor Einlassung zur
Hauptsache die örtliche Zuständigkeit ausdrücklich gerügt.
Andererseits ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Leipzig nicht schon aufgrund der
Zuständigkeitsvereinbarung in den AGBs des V ausgeschlossen. Diese sind nach § 38 I
ZPO dem K gegenüber unwirksam. Zwar ist V Kaufmann (§ 1 HGB), nicht aber der K.
Beachte: § 29 II ZPO steht in Zusammenhang mit § 38 I ZPO. Es soll verhindert werden, dass die in § 38 I
ZPO vorgesehenen Hindernisse für eine Gerichtsstandsvereinbarung dadurch unterlaufen werden, dass
die Parteien eine materiellrechtliche Erfüllungsortvereinbarung schließen, die über § 29 I ZPO zur entsprechenden Zuständigkeitsverschiebung führt.
Die Zuständigkeit ergibt sich ferner nicht aus §§ 12, 13 ZPO, weil der Beklagte seinen Sitz in
Dresden hat.
Beachte: Handelt es sich beim Beklagten um eine juristische Person, ist der Sitz nach § 17 ZPO maßgeblich.
Das Landgericht könnte aber nach § 29 ZPO zuständig sein. Allerdings geht es vorliegend
nicht um die Erfüllungsklage des Käufers oder Verkäufers, sondern um die Rückabwicklung
des Kaufvertrages nach Rücktritt. Gleichwohl kann man auf dieses (Rückgewähr-)Schuldverhältnis § 29 ZPO anwenden. Die Bestimmung stellt allgemein auf Streitigkeiten aus einem
„Vertragsverhältnis“ ab; auch der Streit, ob es besteht, fällt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 29 ZPO darunter. Dies spricht dafür, auch die Rückabwicklung nach Rücktritt unter
§ 29 ZPO zu subsumieren.
Es kommt darauf an, wo die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Nach §§ 269, 270 IV BGB
ist dies der Schuldnerwohnsitz zur Zeit der Entstehung des Rückgewährverhältnisses (also
der Rücktrittserklärung), demnach Dresden.
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Nach BGHZ 87, 104, 109 f. („Dachziegelfall“) ist Erfüllungsort der Rückzahlung des Kaufpreises (!) bei einem Mangel der Kaufsache der Ort, an dem sich die Kaufsache vertragsgemäß befindet. Das ist hier Leipzig. Die Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises nach Rücktritt des Käufers kann daher in Leipzig erhoben werden.
Dabei handelt es sich um eine Durchbrechung des beklagtenfreundlichen Grundsatzes der
§§ 12, 13, 17 ZPO. BGHZ 87, 104, 110 begründet dies damit, der Beklagte habe dies hinzunehmen, weil er den Mangel zu vertreten habe (dies ist aber gerade streitig). Ferner betont
der BGH, das Gesetz wolle den Käufer so stellen, als habe er sich nicht auf den Vertrag eingelassen. Folgt man dem BGH, ist die Klage zulässig.
II. Begründetheit
Anspruchsgrundlage ist §§ 346, 437 Nr. 2, 323 BGB. Voraussetzung ist ein Mangel. Dieser
liegt vor, da das Bild nicht der vereinbarten Beschaffenheit entspricht, § 434 Abs. 1 Satz 1
BGB.
Fraglich ist, ob die Mängelrechte ausgeschlossen sind. Doch könnte sich V hierauf nicht berufen, §§ 474 I, 475 I BGB. Es handelt sich um einen Verbrauchsgüterkauf. V ist Unternehmer, § 14 BGB; K ist Verbraucher, § 13 BGB.
Beachte: Möglich ist auch, die Unwirksamkeit des Ausschlusses der Mängelrechte auf § 444 BGB zu stützen, wenn man in der Erklärung des V eine Garantie sieht.
Eine Fristsetzung nach § 323 I BGB zur Nacherfüllung ist nicht erforderlich, weil es sich bei
der mangelnden Echtheit eines Kunstwerkes um einen nicht behebbaren Mangel handelt,
und insoweit eine Fristsetzung sinnlos ist, vgl. §§ 437 Nr. 2, 326 V BGB. Folglich besteht der
Rückgewähranspruch.
Allerdings erfolgt eine Zug-um-Zug Verurteilung (§ 348 BGB), wenn der Beklagte die Einrede
erhebt.
Beachte: Der Beklagte kann aus einer gegen ihn ergehenden Zug-um-Zug Verurteilung nicht wegen der
Rückzahlung des Kaufpreises vollstrecken. Er ist nicht „Gläubiger“. Was hätte er tun können? Widerklage
erheben. Die Zuständigkeit ergibt sich aus § 33 ZPO; ferner aus § 29 ZPO. Hier wäre eine Hilfswiderklage
zu erheben (Klage unter der Voraussetzung, dass das Gericht den Hauptklageanspruch für begründet erachtet. Diese (innerprozessuale) Bedingung ist hier ausnahmsweise zulässig.
Ergebnis: Das Landgericht Leipzig wird den V zur Zahlung von 10.000 Euro Zug um Zug
gegen Rückübereignung des Bildes verurteilen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Lösungshinweise Abwandlung 3a:
I. Zulässigkeit
Nach Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl. 2011, § 29 Rn. 25 („Kaufvertrag“) ist die Zuständigkeit nach den unter A entwickelten Grundsätzen auch gegeben, wenn der Käufer Schadensersatz verlangt und diesen mit dem Rücktritt kombiniert. Dem ist zu folgen. Der Käufer sollte
nicht schlechter gestellt werden, wenn neben dem Mangel noch ein Verschulden des Verkäufers in Betracht kommt.
II. Begründetheit
Anspruchsgrundlage §§ 437 Nr. 3, 311a II BGB. Ein bereits bei Vertragsschluss vorhandener
Mangel ist gegeben. Voraussetzung ist, dass der V die Unkenntnis vom Mangel zu vertreten
hat (§ 311a II 2 BGB). Das richtet sich nach § 276 I BGB. Hier wurde von V eine Beschaffenheitsgarantie für das Vorliegen der Echtheit erklärt.
Beachte: Die Frage, ob eine Garantie erklärt wurde, ist durch Auslegung zu ermitteln. Mit der Annahme
konkludenter Garantien sollte man zurückhaltend verfahren. Wer eine Garantie verneint, muss prüfen, ob
der V als Kunsthändler die Fälschung hätte erkennen müssen.
Ausschluss des Schadensersatzes durch AGB? Grundsätzlich auch beim Verbrauchsgüterkauf möglich,
§ 475 III BGB. Der Ausschluss greift aber nicht bei Beschaffenheitsgarantie, § 444 Fall 2 BGB.
Ergebnis: Das Gericht wird Schadensersatz zusprechen. Dessen Höhe umfasst den entgangenen Gewinn aus Weiterverkauf, § 252 BGB; er ist ggf. nach § 287 ZPO zu schätzen.
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Lösungshinweise Abwandlung 3b:
Hier ist der Kaufvertrag nichtig nach §§ 123, 142 BGB. Voraussetzung ist freilich, dass K
„Arglist“ des V beweist. Anspruchsgrundlage ist § 812 I 1 BGB.
Es handelt sich um einen gesetzlichen Rückgewähranspruch. § 29 ZPO ist nach herrschender Meinung nicht anwendbar, auch wenn es sich um die Rückabwicklung eines Vertrags im
Wege der Leistungskondiktion handelt.
Beachte: Ein weiterer Grund, mit der Anfechtung zurückhaltend zu verfahren; der Käufer verliert den Gerichtsstand aus § 29 ZPO.
Das Gericht wird zunächst einen Hinweis nach § 139 I 2 ZPO geben, dass seiner Ansicht
nach ein Gerichtsstand in Leipzig nicht besteht, damit K ggf. einen Verweisungsantrag nach
§ 281 ZPO stellen kann.
Ergebnis: Wird der Antrag gestellt, verweist es; wird er nicht gestellt, weist es die Klage als
unzulässig ab.
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Fall 4: Sachliche und örtliche Zuständigkeit II
P aus Halle (Saale) steigt am Leipziger Hauptbahnhof in das Taxi des Leipziger Taxiunternehmers H und bittet um eine Fahrt nach Halle. Noch in Leipzig ereignet sich ein Verkehrsunfall, bei dem der Koffer des P zerstört wird. Er hatte einen Wert von € 3.000. Vor dem
Amtsgericht Halle erhebt P Klage gegen H auf Schadensersatz. H wendet zutreffend ein, in
träfe an dem Unfall kein Verschulden. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg? Was wird der Richter unternehmen?
Lösungshinweise Fall 4:
I. Zulässigkeit
1. sachliche Zuständigkeit
Sachlich zuständig ist das Amtsgericht, §§ 23 Nr. 1, 71 GVG.
2. örtliche Zuständigkeit
Die örtliche Zuständigkeit folgt nicht aus § 39 ZPO, wenn die Belehrung nach § 504 ZPO
unterblieben ist (vgl. § 39 S. 2 ZPO).
Beachte: Die Zuständigkeitsbegründung durch § 39 ZPO ist im Grunde immer vorrangig zu prüfen. Es genügt die Feststellung, der Beklagte hat sich zur Hauptsache eingelassen. Wird § 39 ZPO bejaht, sollte allerdings in einer Klausurbearbeitung hilfsgutachtlich die Zuständigkeitsfrage umfassend erörtert werden.
Auch §§ 12, 13 ZPO begründen keine Zuständigkeit in Halle, da der Beklagte in Leipzig seinen Wohnsitz hat. § 32 ZPO iVm. § 20 StVG begründen gleichfalls keine Zuständigkeit, da
Unfall nicht im Bezirk des AG Halle stattfand.
Die örtliche Zuständigkeit folgt aber aus § 29 ZPO; Halle als Zielort der Taxifahrt ist Erfüllungsort für den Beförderungsvertrag, weil dort die abschließende Leistungshandlung vorzunehmen war. Allerdings klagt H nicht die Beförderung ein. Jedoch: Für Schadensersatz wegen der Verletzung der Primärleistungspflicht stellt man im Rahmen von § 29 ZPO auf den
Erfüllungsort der Primärleistung ab: Schadensersatzansprüche sind an dem Ort der verletzten primären Leistungspflicht zu erfüllen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl. 2011, § 29
Rn. 23).
II. Begründetheit der Klage
1. §§ 280 I, 241 II BGB
Vertragliche Ansprüche aus §§ 280 I, 241 II BGB (Pflichtverletzung) scheiden aus, weil ein
Verschulden (vgl. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) nicht vorliegt.
Beachte: Das Fehlen des Tatbestandsmerkmals „Verschulden“ ändert nichts an der Zuständigkeit nach
§ 29 ZPO. Weil es sich um doppelrelevante Tatsachen handelt, genügt für den Schadensersatzanspruch
der schlüssige Vortrag einer Vertragserfüllungsklage. Dass sich hinterher herausstellt, dass der Anspruch
materiellrechtlich nicht besteht, ist für die Zuständigkeit unerheblich. Die Klage ist nicht unzulässig, sondern ggf. unbegründet.
2. § 7 StVG
In Betracht kommt ferner ein Anspruch aus § 7 StVG. Doch ist fraglich, ob das AG Halle über
den Anspruch aus § 7 StVG überhaupt entscheiden darf. Das ist zweifelhaft, weil sich seine
Zuständigkeit infolge des § 29 ZPO nur aufgrund vertraglicher Ansprüche ergibt.
Nach früher herrschender Meinung war eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs abzulehnen. Man argumentierte, bei außerordentlichen Gerichtsständen (wie §§ 29, 32 ZPO) genüge die bloße Behauptung des Klägers, die dem Beklagten den Schutz der §§ 12, 13 ZPO
nehme. Der Streit dürfe daher nur auf die behaupteten Ansprüche beschränkt werden. Tragender Grund ist also die Gefahr der „Zuständigkeitserschleichung“ (so noch BGHZ 132,
105, 111; Zu EuGVÜ Art. 5 s. EuGH NJW 1988, 3088: keine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs).
Beachte: Die Folge einer Ablehnung der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs war, dass das Gericht,
das den Klagegrund, für den seine Zuständigkeit gegeben ist, nicht als begründet ansah, die Klage ganz
abweisen musste, und zwar hinsichtlich der von ihm nachprüfbaren Anspruchsgrundlage als unbegründet,
hinsichtlich der nicht seiner Zuständigkeit unterliegenden Anspruchsgrundlage als unzulässig. Der Kläger
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konnte dann unter diesem Gesichtspunkt bei dem hierfür zuständigen Gericht erneut klagen. Mit der prozessualen Streitgegenstandslehre war dies nur schwer vereinbar. Letztlich wurde der Streitgegenstand
nach materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen aufgespaltet.
Mit BGH NJW 2003, 828 hat sich die Rechtsprechung geändert: Ausschlaggebend ist dabei
der seit 1991 geltende § 17 II GVG, wonach das Interesse an einer einfachen und schnellen
Streitentscheidung höher zu bewerten ist als das Anliegen, das Bestehen von rechten stets
von dem sachnäheren Gericht prüfen zu lassen. Diese Wertung könne auch nicht innerhalb
einer Gerichtsbarkeit übergangen werden (BGH NJW 2003, 828, 829).
Dafür sprechen auch die Interessen des Beklagten. Dieser muss sich ohnehin auf den Prozess an dem besonderen Gerichtsstand einlassen. Ihm kommt es also zugute, wenn der
Rechtsstreit insgesamt entschieden wird und der Kläger nicht eine „zweite Chance“ erhält.
Die Entscheidung des BGH erging zu § 32 ZPO, seine Grundgedanken kommen freilich
auch für § 29 ZPO zur Geltung.
Beachte: Die Grundsätze des Sachzusammenhangs gelten nicht für die internationale Zuständigkeit (BGH
NJW 2003, 828, 830), auch nicht im Rahmen von Art. 5 EuGVVO (str.).
Folglich kann das AG Halle auch über die Ansprüche aus dem StVG entscheiden. Die Voraussetzungen von § 7 I StVG sind erfüllt. § 7 StVG ist hier nicht nach § 8 Nr. 3 StVG ausgeschlossen, denn H hatte den Koffer mit sich geführt. Der Anspruch ist auch nicht durch „höhere Gewalt“ ausgeschlossen, § 7 II StVG.
Ergebnis: Das AG Halle wird der Klage stattgeben.