Das Bibliothekskonzept Aby M. Warburgs im Vergleich mit

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Das Bibliothekskonzept Aby M. Warburgs im Vergleich mit
Das Bibliothekskonzept Aby M. Warburgs im Vergleich mit
modernen Methoden der Sacherschließung
***
Arbeit zur Erlangung des Grades eines
Diplom-Bibliothekars (FH)
eingereicht von
Daniel Schatz, Matrikel-Nr. 2239
im Oktober 2002
am Fachbereich Informationswissenschaften
der Fachhochschule Potsdam
***
Erstkorrektor: Prof. Dr. Hans-Christoph Hobohm
Zweitkorrektorin: Prof. Dr. Dagmar Jank
1
Inhaltsverzeichnis
I.
Einleitung
II.
II.1.
II.2.
II.3.
II.4.
II.5.
Die Person Aby Warburgs
Der familiäre Hintergrund
Warburgs Promotion und die daraus resultierenden Interessen
Warburgs Reise in die USA – Beginn der Kulturtheoretischen Arbeit
Die Theorie vom Menschen als zweipoligem Wesen
Die Ausdrucksformen des Menschen (Bild - Orientierung - Wort Handlung)
Warburgs Persönlichkeit und sein Eindruck auf Mitarbeiter und Freunde
3
3
4
6
9
10
Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg – Geschichte,
Aufbau, Organisation
Der Beginn der Sammlung
Geschichte der Bibliothek bis zum Umzug ins eigene Haus 1926
Der Aufbau der neuen Bibliothek entsprechend Warburgs Theorien
Die Erwerbungspolitik
Aufstellung, Klassifizierung, Signierung der Bücher
Die Emigration nach London 1933
Die Wirkung der Bibliothek auf die jeweiligen Zeitgenossen
16
IV.
Die bibliothekstheoretischen Methoden Warburgs – eine
Zusammenfassung
45
V.
50
V.1.
V.1.1.
V.1.2.
V.1.3.
V.2.
V.2.1.
V.2.2.
V.2.3.
V.3.
V.3.1.
V.3.2.
V.3.3.
Heutige Methoden der Sacherschließung – Anwendbarkeit im
Warburgschen Sinne
Methoden der handwerklichen Sacherschließung
Die Schlagwortvergabe
Die Klassifikation
Die Facettenklassifikation
Methoden der automatischen Sacherschließung
Der historische Hintergrund
SMART – das Vektorraummodell
Suchstrategien für elektronische Datenbanken
Bewertungen und Zusammenfassungen
Die vorgestellten Methoden im Vergleich mit Warburg
Der aktuelle Stand der Forschung
Anwendbarkeit für den Nutzer
VI.
Schlussfolgerungen
87
VII.
Literaturliste
88
II.6.
III.
III.1.
III.2.
III.3.
III.4.
III.5.
III.6.
III.7.
1
12
16
16
21
25
28
35
39
50
50
53
56
60
60
62
71
74
74
77
82
2
I. Einleitung
Für berufliche oder private Zwecke macht man sich beinahe täglich auf die Suche
nach Informationen. Um diese zu erhalten – ob in Archiv- oder Bibliotheksbeständen,
in Dokumentationen, Datenbanken oder dem Internet – stets ist es notwendig, sich
nicht nur mit dem Kontext des Wissens, dass man benötigt, sondern auch mit den
Methoden der Erschließung dieses Wissens zu beschäftigen. Man schaut nach
kontrolliertem Vokabular, nach Klassifikationssystemen oder einfach nur nach den
richtigen Fachtermini. Da das Erlernen einer Indexierungssprache aber sehr
zeitaufwendig und auch zur Erlangung der benötigten Informationen nicht immer
notwendig ist, kommt es oft dazu, dass man sich beispielsweise in einer Bibliothek
einfach an die Regale begibt und versucht, mit Hilfe des „browsings“ einiges
herauszufinden. Dasselbe gilt für das Eingeben von frei gewählten Suchbegriffen in
elektronische Systeme. Stößt man dann auf Treffer, welche dem Gewünschten
ähnlich sind oder ihm sogar gleichen, kann man fast sicher sein, dass sich durch die
Klassifizierung des Bestandes in Bibliotheken die nächsten relevanten Medien in der
Nähe des ersten Treffers befinden. Bei elektronischen Publikationen sind es die
Fachtermini, welchen man bei seiner Suche begegnet und welche man für eine neue
Suche benutzen kann.
Dieses Herangehen an eine Suche und die Methoden ihrer Erweiterung und
Verbesserung durch assoziatives Vorgehen, wurde das erste Mal im großen Stil von
dem Hamburger Kulturwissenschaftler Aby M. Warburg in seiner Privatbibliothek
praktiziert. Alle Bereiche des Bibliothekslebens – von der Erwerbung bis zur
Signierung und Aufstellung – wurden diesen Grundsätzen unterworfen. Ziel dieses
Vorgehens war es, einen „Denkraum“ zu schaffen, welcher die konventionellen
Fächergrenzen durchlässig werden lässt. Dieser Denkraum war durchaus sehr groß:
Er umfasste das, was wir heute als die Geistes- und Sozialwissenschaften
bezeichnen, sowie einen Teil der Naturwissenschaften. Alles musste mit den
kulturellen Ausdrucksformen des Menschen, welche Warburg auch beschrieb und
klassifizierte, zu tun haben. Aus diesem Projekt entstand nicht nur eine Bibliothek mit
internationalem Ruf, sondern auch eine neue Art, Wissen zu organisieren und zu
vermitteln. Mit der Person Aby Warburgs und mit seiner Bibliothek und ihren
3
Besonderheiten befassen sich die Kapitel II. und III. Darauf folgt eine
Zusammenstellung bibliothekstheoretischer Besonderheiten in Warburgs Ansätzen,
welche Kapitel IV. bildet.
Diese Arbeit will nun einige aktuelle Instrumente der Wissenserschließung mit den
Methoden Warburgs vergleichen, um zu zeigen, dass diese Art zu erschließen und zu
suchen durchaus wieder modern geworden ist. Aufgrund vieler Fächerübergreifender
Disziplinen, welche heute gelehrt werden, ist es bei der Erschließung nicht mehr so
einfach, die dazugehörige Literatur in die dafür vorgesehene „Schublade“ zu stecken
und dort für den Rest ihres Verbleibens in der Informationseinrichtung zu belassen.
Deshalb wird sich das V. Kapitel mit den Methoden der Ähnlichkeitsanalyse sowie der
Facettierung beschäftigen. Die Auswahl der beschriebenen Instrumente erhebt
keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber eine repräsentative Darstellung der
Methoden für die Erschließung sowohl gedruckter als auch elektronischer Medien
sein.
4
II. Die Person Aby Warburgs
II. 1. Der familiäre Hintergrund
Aby Moritz Warburg, welcher während seiner wissenschaftlichen Laufbahn so
manche revolutionäre These aufstellen sollte, war ursprünglich für eine ganz andere
Tätigkeit vorgesehen. Als 1866 geborener, ältester Sohn des Hamburger Bankiers
Moritz M. Warburg und seiner Gattin Charlotte1 sollte er in das väterliche Bankhaus
eintreten. Allerdings zeigte sich schon früh sein Interesse an der Wissenschaft sowie
am Sammeln von Büchern. Eine recht häufig zitierte Anekdote erzählt, dass Warburg
bereits als 13jähriger seinem Bruder Max angeboten haben soll, ihm das
Erstgeborenenrecht abzutreten, wenn er alle Bücher bekommt, die er bräuchte.2,3
Gegen die familiären Regeln und mit einiger Überredungskunst schrieb er sich dann
im Jahre 1886 an der Universität Bonn ein, um Kunstgeschichte zu studieren.
Zu diesem Zeitpunkt beginnt er, über alle neu angeschafften Bücher detailliert Buch
zu führen, was die Absicht einer Bibliotheksgründung andeutet. Zunächst allerdings
gibt er sich unstet und besucht die Universität von München sowie die Stadt Florenz,
bevor er nach Straßburg wechselt um dort sein Studium zu beenden sowie zu
promovieren.
Schon während seines Studiums hatte er sich intensiv um die Unterstützung seiner
wohlhabenden Familie für die gezielte Anschaffung von Büchern bemüht, da er
inzwischen den Anspruch hatte, dass er alles, was er zu Studienzwecken an Literatur
benötigte, selbst besitzen wollte.4 Nun artikulierte er auch den Wunsch, gezielt eine
Bibliothek aufzubauen. Die Verbindung mit seinen Brüdern, welche als
Kuratoriumsmitglieder später die institutionalisierte Bibliothek begleiteten, war sein
ganzes Leben hindurch fruchtbar. Nur durch das umfangreiche Vermögen seiner
1
Aby M. Warburg war der älteste von fünf Söhnen der Familie. Seine Brüder, welche später als Mitglieder des
Kuratoriums seiner Bibliothek eine Rolle spielten, waren: Max M. (welcher als zweitältester das väterliche
Bankhaus übernahm), Paul M., Felix M. sowie Fritz M.
2
Häufig zitierte Werke werden nur mit dem Namen des Autors bzw. einem Kurztitel benannt. Die genauen
bibliographischen Daten bitte ich dem Literaturverzeichnis zu entnehmen.
3
vgl. Roeck, S. 30
4
vgl. Pfister, S. 15
5
Familie, zu dem er Zugang hatte, konnte er seinen Neigungen als Gelehrter
nachgehen und war niemals darauf angewiesen, eine beamtete Stelle in einer
wissenschaftlichen Institution anzunehmen.5
II. 2. Warburgs Promotion und die daraus resultierenden Interessen
Warburgs erste Veröffentlichung, welche den neuen, „Warburgschen“ Denkansatz
enthält, ist seine 1891 beendete und 1893 veröffentlichte6 Dissertation. In Straßburg
gab es innerhalb der Universität und des kunstgeschichtlichen Seminars etwas, dass
Warburgs Wesen und seinen breit gefächerten Interessen sehr entgegenkam: frei
benutzbare Spezialbibliotheken. Das Element des Freihandbestandes wird später ein
tragender Pfeiler seiner Bibliothekstheorie werden und stand für ihn bereits bei
Gründung seiner eigenen Bibliothek fest.
Angeregt von seiner Florenz-Reise wählte er als Thema der Promotion „Sandro
Botticellis 'Geburt der Venus' und 'Frühling'. Eine Untersuchung über die
Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance". In dieser
Untersuchung versucht er nachzuweisen, dass es bei der Betrachtung von Kunst
notwendig ist, nicht allgemein vom „anonymen und kollektiven Wirken von
Geschmack, Stil und Stimmung“7 auszugehen, sondern das Kunstwerk innerhalb
seiner Zeit zu betrachten und dies unter Zuhilfenahme aller relevanter Disziplinen.
Diese Interdisziplinarität, dieses Herangehen an ein Problem der menschlichen
Ausdruckformen unter verschiedenen Gesichtspunkten sollte später
„Kulturwissenschaft“ heißen, wurde allerdings nie von Warburg theoretisch
begründet. Aus dieser Fülle von Themen leitet sich auch später der Themenkreis
seiner Bibliothek ab. Dieser Ansatz beinhaltet ausdrücklich auch die Betrachtung
anderer Kunstformen neben der Malerei. Besonderen Stellenwert räumt er dem
„Wort“ ein, welches Warburg auf eine Stufe mit dem „Bild“ stellt. In seiner späteren
Bibliothek erhält daher die Literaturwissenschaft einen hohen Stellenwert.
5
vgl. Aby M. Warburg und seine Bibliothek. In: Wuttke: Dazwischen, Bd. II, S. 652
die Daten aus Warburgs Leben sind der zusammengestellten Kurzbiographie auf der Website des WarburgHauses Hamburg entnommen: http://www.warburg-haus.hamburg.de
7
Aby M. Warburgs Kulturwissenschaft. In: Wuttke: Dazwischen, Bd. II, S. 746
6
6
Außerdem sollte bei der Deutung des Inhalts eines Kunstwerkes nicht vom
Allgemeinen, vom Gesamtbild bzw. –kunstwerk ausgegangen werden, sondern es
sollte jedes Symbol für sich im gesellschaftlichen Rahmen gedeutet werden. Dieses
Konzept wurde die Ikonologie, die „Bildkunde“, als deren Schöpfer oder zumindest
Neuentdecker Warburg gilt und die ihm half, noch manches zur damaligen Zeit
„verschlossene“ oder „undeutbare“ Kunstwerk vollständig oder halbwegs zu
entschlüsseln.8 Bei der Wahl des Wortes „Ikonologie“ kam ihm zugute, dass dieser
Begriff aus dem Griechischen sowohl das „Bild“ (eikon) als auch das „Wort“ (logos)
enthält und somit der Gleichbetrachtung dieser beiden zentralen Ausdrucksformen
noch zusätzlichen Ausdruck verleiht.9
Vor allem ging Warburg gegen die fast blinde Renaissanceverehrung seiner
Kunsthistoriker-Vorgänger sowie des 19. Jahrhunderts allgemein an. Er ging an
gegen „gefühliges Schwärmen und ästhetisierendes Genießen im Umgang mit Kunst
und [...] für Kenntnis und Denken“.10 Er scheute sich auch nicht, so manchem „...
geheiligten Genie Abhängigkeiten nachzuweisen“11, was die Inspiration ihrer
Kunstwerke anbetrifft.
Später in seinem Leben und Schaffen wird er sich dem „Nachleben der Antike“ in den
verschiedenen Zeiten widmen. Da in der Zeit der Renaissance eine verstärkte
Rückbesinnung auf die Werte der Antike stattfand, war dies immer sein größtes
Forschungsgebiet. Hier setzt er bei der Einordnung von Kunstwerken an: Die Meister
der Renaissance hatten sich auf antike, vergangene Muster besonnen, sie aber den
Gepflogenheiten des ausklingenden Mittelalters angepasst. Zusammengefasst
bedeutet sein Ansatz: Ein kultureller Gegenstand entsteht „... aus dem
Zusammentreffen dessen, was auf die Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt
eindringt und sie bewegt, mit dem, was aus der Vergangenheit an bewältigtem
8
Unter anderem gelang es ihm 1912, die lange als „undeutbar“ geltenden Fresken im Palazzo Schifanoia in
Ferrara zu entschlüsseln und zu deuten, was er in einem sehr beachteten Vortrag tat.
9
Porträt aus Büchern, S. 16
10
Aby M. Warburgs Kulturwissenschaft. In: Wuttke: Dazwischen, Bd. II, S. 749
11
Aby M. Warburg und seine Bibliothek. In: Wuttke: Dazwischen, Bd. II, S. 654
7
menschlichen Erleben ... tradiert ist“.12 Mit „bewältigtem menschlichen Erleben“
meint er die überlieferten Ausdrucksformen der vergangenen Zeit.
„Nebenbei“ entwickelt Warburg mit Hilfe dieser Ansätze noch weitere Spezialgebiete
der kulturwissenschaftlichen Forschung: die schon erwähnte Ikonologie, außerdem
Rezeptionsgeschichte, historische Psychologie sowie Kunstsoziologie. Ebenso gilt sein
Blick dem so genannten „Festwesen“: Er interessiert sich für Feste und Riten von
Kulturen sämtlicher Kontinente und Zeiten und wertet sie als Ausdrucksformen des
Menschen. Selbstverständlich stehen auch hier die Feste der Antike im Vordergrund,
welche die Traditionen der Renaissance und späterer Zeiten, etwas zu zelebrieren,
nachhaltig beeinflusst haben. Die wichtigsten, aus den oben geschilderten Ansätzen
geformten Theorien werden in den Kommenden Abschnitten dieses Kapitels
dargestellt.
II. 3. Warburgs Reise in die USA – Beginn der Kulturtheoretischen Arbeit
Abbildung 1: Aby Warburg bei den Indianern13
12
13
Pfister, S.51
Quelle des Bildes: Website des Warburg Institute, London: http://www.sas.ac.uk/warburg
8
Nachdem Warburg seinen Wehrdienst als Reiter in einem Artillerieregiment absolviert
hatte, zog es ihn für weitere 2 Jahre nach Florenz, wo er Studien in Archiven und
Bibliotheken betrieb. In den Jahren 1895/96 schließlich findet seine berühmte
Amerika-Reise statt, die ihn auch zu den in New Mexico lebenden Hopi-Indianern
führt, welche zur Gruppe der in Dörfern (spanisch Pueblos) lebenden Pueblo-Indianer
gehören, welche er beobachten und fotografieren darf und über die er seine
kulturtheoretischen Ansichten erweitern kann. Zunächst ist anzumerken, dass es
Warburg scheinbar nichts ausmacht, für das indianische Leben das Wort „primitiv“ zu
benutzen, welches ja heute eine sehr abwertende Bedeutung hat. Unter Garantie
meint er es nicht abwertend, allerdings wäre dieses Wort in der heutigen
Kulturwissenschaft nicht mehr legitim. Außerdem merkt man der Beziehung zwischen
Warburg und der seit mehreren hundert Jahren von Unterdrückung geprägten
Geschichte der Indianer eine deutliche Kühle an. Er wertet in seiner typischen Art die
Einflüsse der spanischen Missionare sowie der in den Westen vordringenden
Vereinigten Staaten auf die Symbolik und andere Dinge des täglichen Lebens aus.
Auf der einen Seite entwickelt Warburg hier seine bereits in Straßburg erdachten,
neuartigen Theorien weiter, auf der anderen Seite ist er ein Mensch des 19.
Jahrhunderts, der den Kolonialismus als legitim und normal ansieht.
Ein Beispiel aus dem Schlangentanz-Vortrag zeigt die Mischung aus Anerkennung der
kulturellen Traditionen der amerikanischen Ureinwohner einerseits und Warburgs
Bewunderung von „Fortschritt“ und „Vernunft“ andererseits:
„Was mich als Kulturhistoriker interessierte, war, dass inmitten eines Landes,
das die technische Kultur zu einer bewundernswerten Präzisionswaffe in der
Hand des intellektuellen Menschen gemacht hatte, eine Enklave primitiven
heidnischen Menschentums sich erhalten konnte, das – obgleich dabei durchaus
nüchtern im Kampf ums Dasein tätig – mit einer unerschütterlichen Festigkeit
gerade für landwirtschaftliche und Jagdzwecke magische Praktiken betreibt, die
wir nur als Symptom eines ganz zurückgebliebenen Menschentums zu
verurteilen gewohnt sind. Hier aber geht so genannter Aberglaube Hand in
Hand mit Lebensaktivität.“14
Weiterhin kann Warburg nachweisen, dass in den Tätigkeiten des Alltags die eben
beschriebenen Einflüsse europäischer Missionare, Kolonisten etc. zu spüren sind. Er
9
weist dies unter anderem anhand der Töpferkunst nach, von welcher es eine
„urindianische“ und eine spanisch beeinflusste Technik gibt, welche sich im Alltag
vermischen.15
Seine wichtigsten Erkenntnisse jedoch liegen in der Weiterentwicklung der
Ikonologie. Warburg beschäftigt sich mit der Bedeutung von Tieren und Pflanzen als
Symbole für verschiedene Eigenarten der Natur. Beispielsweise verschmelzen bei der
graphischen Darstellung die Schlange und der Blitz zu einem einzigen Element. Die
Schlange ist die Wettergottheit der Indianer und auf jeden Fall ein „urindianisches“
Symbol, da auch schon der oberste Gott der Azteken, Quetzacoatl, eine gefiederte
Schlange war. Dieses Bild findet sich in vielen indianischen Kulturen. Hier setzt die
Theorie an: In New Mexico gibt es wenig Regen. Durch ihre magischen Praktiken und
den Umgang mit lebendigen Schlangen dabei beten sie für das erlösende Gewitter
mit dem Regen. Eine ebenfalls interessante Verknüpfung fand Warburg, als er die
Kirche eines missionierten indianischen Dorfes besuchen konnte. Hier fanden sich
Darstellungen der indianischen Mythologie neben einem Altar und christlichen
Heiligenfiguren. Hier zeigt sich wieder die Wahrheit der im vorigen Abschnitt
besprochenen Theorie von der geistigen Verknüpfung der Erfahrungen aus
Gegenwart und Vergangenheit.
Interessant wäre zu erfahren, was Warburg im Zusammenhang mit seiner Theorie,
dass sich benachbarte Kulturen gegenseitig beeinflussen16, gesagt hätte, wenn er
den heutigen Wissensstand gehabt hätte: ihm ist damals schon aufgefallen, dass es
weltweit verschiedene Symbole gibt, welche von vielen unterschiedlichen Völkern,
auch von solchen, die sich nach herkömmlicher historischer Überlieferung nicht
begegnet sein können, benutzt werden. Als Beispiele sollen hier die weltweite
Errichtung von Pyramiden (Mittelamerika, Ägypten, China) sowie die Verehrung der
Sonne in verschiedensten Kulturen (bei den von Warburg besuchten Indianers das
„Weltenhaus“17) stehen. Dafür gibt es zwei elementare Lösungsansätze, von denen
keiner bis heute nachweisbar ist: 1. Die Völker haben doch zueinander gefunden und
14
Warburg: Schlangenritual, S. 10
vgl. Ebd., S. 15
16
laut Warburg kann man aus der Herkunft der verschiedenen Ausdrucksformen des Menschen, wenn man sie
geographisch darstellt, die „Wanderstraße der Kultur“ erarbeiten. Vgl. Pfister, S. 53
15
10
es liegt nur keine Überlieferung vor oder 2. die Völker haben diese Symbole und ihre
relativ ähnliche Bedeutung unabhängig voneinander entwickelt, was Warburgs
Theorie von der „Wanderstraße der Kultur“, welche unter anderem die gegenseitige
Übernahme von Symbolen und Deutungsweisen postuliert, schwächen würde.
II. 4. Die Theorie vom Menschen als zweipoligem Wesen
Während seiner Studien und vor allem während seines Besuchs bei den Indianern
hatten sich bei Warburg einige kulturhistorische Theorien herausgebildet, von denen
zwei der wichtigsten in den nächsten Abschnitten behandelt werden sollen.
Zur Verarbeitung der Eindrücke, welche auf den Menschen einwirken, gibt es laut
Warburg zwei Möglichkeiten der Verarbeitung: Die „mythisch-fürchtende“ und die
„wissenschaftlich-errechnende“ Orientierung. Das Wort „Orientierung“ ist neben dem
„Bild“ und dem „Wort“ eine weitere tragende Säule seiner Theorien und wird später
bei der Einrichtung seiner Bibliothek auch dem Magazingeschoß mit der
Religionswissenschaft, der Philosophie und anderen Gebieten seinen Namen geben.
Warburg geht allerdings nicht von einer linearen Entwicklung von der mythischfürchtenden hin zur wissenschaftlich-errechnenden Orientierung aus, sondern eher
von einer Art Pendelbewegung in der kulturellen Entwicklung des Menschen. Er sieht
diese Pendelbewegung wie einen „hin- und zurückfließenden Energie- und
Kraftstrom“18. Gleichwohl zieht er persönlich die wissenschaftliche Orientierung vor,
da zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa und anderen, kulturell ähnlich
geprägten Gebieten sich mehr auf den „Denkraum der Besonnenheit“ (Warburg)
konzentriert wird als auf die mythischen Ausdrucksformen.19
Später stellt er die beiden Orientierungsformen wie die Pole einer Ellipse dar, welche
den „Denkraum“ des Menschen, aber auch sein Inneres versinnbildlicht. Aus diesem
17
18
19
Warburg: Schlangenritual, S. 16 f.
Pfister, S. 60
vgl. Ebd., S. 59 f.
11
Grund hat sein späterer Lesesaal in der Hamburger Heilwegstraße auch den
Grundriss dieser geometrischen Form.
II. 5. Die Ausdrucksformen des Menschen (Bild - Orientierung - Wort Handlung)
Als im Jahre 1926 mit dem Umzug in die Heilwegstraße 116 die Institutionalisierung
der Bibliothek Warburg abgeschlossen wurde, taucht verstärkt die Teilung der
Bestände in vier Bereiche auf, welche jeweils durch ein „Schlagwort“ aus den
Warburgschen Forschungen überschrieben sind:
1. Bild
2. Orientierung
3. Wort
4. Handlung
Diese Ordnung bildet dann die Grundlage für die Aufstellung der Bücher in den
einzelnen Geschossen des Magazins, welche in Abschnitt III. 3. näher erläutert
werden soll.
Warburg geht in seinen Forschungen immer vom „Bild“ aus, da er studierter
Kunsthistoriker ist und zu diesem Zweck eigens die Ikonologie entwickelt hat. Das
Bild ist seiner Meinung nach der Schlüssel zu Gedächtnis der Menschheit. Laut
Warburg gibt es eine Art elementare Überlieferung von Ansätzen, welcher jeder
Mensch durch Überlieferung in sich trägt. Diese kollektive „Erinnerung“ nennt er
„Mnemosyne“. Das Thema wird ihn bis an sein Lebensende beschäftigen und ihn
veranlassen, den Mnemosyne-Atlas, eine Zusammenstellung von Bildern zur
Kulturgeschichte des Menschen, herauszubringen.
Auf das Bild folgt bei ihm die Orientierung, die, wie im vorigen Abschnitt erläutert
wurde, „zweigleisig“ sein kann und es laut Warburg mit wechselnden Ergebnissen
auch ist. Auf die Orientierung folgt die Sprache, das Wort, welches die Ergebnisse
der Orientierung ausdrückt und hin zu den Handlungen leitet.
12
Dass es keinesfalls so eindeutig ist, zeigen die Differenzen, welche die Literatur
überliefert: „Bild“ und „Handlung“, also die erste und die vierte Stufe, werden
diskussionslos auch als solche übermittelt. Allerdings gibt es selbst bei den engsten
Mitarbeitern Warburgs Widersprüche über die Reihenfolge von „Orientierung“ und
„Wort“.20 Der interdisziplinäre Ansatz Warburgs sowie die Tatsache, dass man die
Unterthemen, welche den klassisch eingeteilten Wissenschaftsbereichen
entsprechen, je nach wissenschaftlicher Problemstellung einem der vier großen
Komplexe zuordnen kann, was auch durchaus beabsichtigt ist, lassen verschiedene
Deutungsweisen zu, was auch nachher dazu führt, dass nach dem Neubau des
Gebäudes für das Warburg Institute in London die Ordnung der Bücher nach dem
Prinzip Bild – Wort – Orientierung – Handlung, also von der Kulturwissenschaftlichen
Bibliothek Warburg zu Hamburger Zeiten abweichend, erfolgt. Die damalige
Direktorin des Instituts, Gertrud Bing, erklärt die Neuaufstellung mit folgender
Deutung der menschlichen Entwicklung:
„The library was to lead from the visual image (Bild) as the first stage in man’s
awareness, to language (Wort) and thence to religion, science and philosophy,
all of them products of man’s research for orientation (Orientierung) which
influence his patterns of behaviour and his actions, the subject matter of
history. Action, the performance of rites (dromena) in its turn is superseded by
reflection, which leads back to linguistic formulation and crystallization of image
symbols that complete the cycle.“21
So unterschiedlich, wie man ein wissenschaftliches Problem laut Warburg angehen
konnte, nur um zwangsläufig auf neue Fragen zu stoßen, so unterschiedlich kann
wohl auch dieser „Entwicklungskreislauf“ gedeutet werden. Die Konsequenzen für die
Buchaufstellung in Warburgs Bibliothek werden in Abschnitt III. 5. geschildert.
20
21
vgl. zu den Differenzen: Stockhausen, S. 82 ff. und Pfister, S. 70 ff.
Stockhausen, S. 88
13
II. 6. Warburgs Persönlichkeit und sein Eindruck auf Mitarbeiter und
Freunde
Dieser Abschnitt soll sich dem Verhältnis widmen, welches Aby M. Warburg zu denen
hatte, mit denen er täglichen Umgang pflegte. Es soll außerdem ein Blick auf seine
Persönlichkeit geworfen werden.
Warburg war ein gesundheitlich nicht sehr stabiler Mensch. Er litt unter einer
schweren Diabetes und unter einem Nervenleiden, was ihn sogar zwang, zwischen
1921 und 1924 die Leitung seiner Bibliothek auszusetzen und sich in eine Privatklinik
in Kreuzlingen zu begeben, wo er behandelt wurde. Als Heilmittel sah er unter
anderem das Schreiben an. So schrieb er von Kreuzlingen aus Abhandlungen zur
Kunstgeschichte, hielt den berühmten „Schlangentanz-Vortrag“ und begann mit
seiner Rückkehr nach Hamburg und dem Einzug der Bibliothek in das Gebäude auf
dem Nachbargrundstück seines Hauses mit dem Schreiben des „Tagebuchs der
Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg“, welches nicht nur den
bibliothekarischen Alltag schildert, sondern ebenfalls Warburgs Gedanken und seine
Befindlichkeiten. Über die Rolle des Schreibens für Warburgs Genesung heißt es:
„Der Akt des Schreibens ist in diesem Prozess keineswegs ein zweitrangiges
Element; Er ist vielmehr lebenslang das Verbindungsglied gewesen zwischen
Warburgs psychischen und wissenschaftlichen Energien. [...] Zum einen
entfaltet sich seine Biographie durch sein Schreiben: Durch Briefe, Tagebücher
und wissenschaftliche Texte. Daher muss seinem Leben und seiner
intellektuellen Entwicklung in einer Genealogie von Texten nachgespürt werden.
Zum anderen wird die Zurückeroberung (im klinischen Sinn) der Person durch
das Schreiben eines Textes erreicht (den Vortrag von Kreuzlingen) und diese
Zurückeroberung („recovery“) ist auch die des Schreibens selbst.“22
Neben dem Wissenschaftler, den wir bereits kennen gelernt haben, war Aby Warburg
auch ein Pädagoge. Durch seine Professur, welche er 1912 von der in Gründung
begriffenen Hamburger Universität angetragen bekam, hielt er in den zwanziger
Jahren regelmäßig Seminare ab. Dabei führte er meist Themen seiner
Forschungsgebiete aus wie „Übungen über die künstlerische Kultur der
Florentinischen Frührenaissance“ oder „Einführung in die Methode einer
22
Tagebuch, S. XIII
14
Kunstgeschichtlichen Kulturwissenschaft“.23 Seine Pädagogik ging allerdings auch
über den Lehrbetrieb hinaus. Wenn er beispielsweise jemandem (einem jungen
Forscher oder Studenten) ein Buch lieh, erwartete Warburg, dass dieser das Buch
nicht einfach zurückbringt, sondern sich über seine Erkenntnisse und auch neu
aufgekommene Fragen mit Warburg unterhält. Ebenso verhielt es sich mit
Neuankömmlingen, die in der Bibliothek ihre Forschungen betreiben wollten. Sie
wurden zunächst von den Mitarbeitern zu Warburg geführt, welcher sie ausgiebig
über ihre wissenschaftlichen Interessen und Ziele befragte sowie von seinen eigenen
Gedanken und Ansichten sprach. Diese Gespräche konnten oft mehrere Stunden
dauern und endeten oft mit einem Vergleich: Der Student übernahm eine zeitlich
befristete und frei einteilbare Aufgabe in der Bibliothek, durfte aber dafür die
Bibliothek nutzen sowie an Vorträgen und ähnlichen Veranstaltungen teilnehmen.24
Außerdem war Warburg eine Leitfigur: Er stand einem Kreis von ca. zehn Personen
vor, von denen er viel verlangte. Neben ständigen Umgruppierungen der Bücher25
gab es bis zu Warburgs Weggang nach Kreuzlingen keine klare Klassifikation sowie
kein klares Erwerbungsprofil. Alles spielte sich in Warburgs Kopf sowie auf seinem
Schreibtisch ab. Erst Fritz Saxl, welcher die kommissarische Leitung der Bibliothek in
den Jahren 1921 bis 1924 innehatte, führte mit der Hilfe der 1922 eingestellten
Gertrud Bing eine Klassifikation und ein Erwerbungsprofil ein, welche aber trotz aller
Schwierigkeiten mit Warburgs Konzepten konform gingen. Allerdings hörte das
Ordnen, Umgruppieren und Umsignieren der Buchbestände nie auf. Wenn etwas
eingeordnet war, so wurde es oft kurze Zeit später wieder in Angriff genommen und
nach neuen Erkenntnissen Warburgs und der Mitarbeiter umsortiert. Die Methode
Warburgs war „... zeitaufwendig, arbeitsintensiv, mühsam und konnte nur mit einem
sehr großen Stamm an vorgebildeten und hoch motivierten Mitarbeitern realisiert
werden“.26 Hoch motiviert waren Warburgs Mitarbeiter sicherlich. Ihre lange
Dienstzeit in der Bibliothek spricht dafür. Ebenso die Tatsache, dass die innovative
Atmosphäre, welche die neue Herangehensweise verbreitete, alle ansteckte. Dies
ermöglichte einen familiären Umgang miteinander, welcher in der Aufmerksamkeit,
23
24
25
26
Quelle: Website des Warburg-Hauses Hamburg
vgl. Pfister, S. 86
vgl. Stockhausen S. 90 sowie die Einträge im Tagebuch der KBW
Stockhausen, S. 90
15
mit der Warburg an den Problemen seiner Mitarbeiter teilnimmt und teilweise im
Tagebuch der KBW27 festhält, zum Ausdruck kommt.
Einem Kollegen war Warburg geistig besonders nahe: Dem Philosophieprofessor
Ernst Cassirer. Warburg und er hatten sich bereits in Kreuzlingen kennen gelernt und
als Cassirer an die Hamburger Universität berufen wurde, ergab sich zwangsläufig für
ihn die Möglichkeit, Warburgs Bibliothek zu benutzen. In der Folgezeit stellte sich
heraus, dass beide ähnliche wissenschaftliche Ansätze verfolgten. Cassirer war,
ähnlich wie Warburg, interdisziplinär eingestellt. Er war ein sehr universell gebildeter
Mensch und hatte sich bereits mit Mathematik, Literatur, Kunstgeschichte,
Religionswissenschaften und anderen Gebieten beschäftigt und sah auch wie
Warburg den Standort der Philosophie nicht als übergeordnete, sondern als
gleichberechtigte und „dienende“ Disziplin. Bei Warburg zeigt sich der letzte Fakt in
der Tatsache, dass die einzelnen philosophischen Unterthemen wie beispielsweise die
Rechtsphilosophie, bei den jeweiligen Grundthemen, hier bei den
Rechtswissenschaften, aufgestellt waren und die Philosophie keinesfalls ein Fach ist,
welches „... allem empirischen Wissen immer schon voraus gewesen ist“.28 Im
zitierten Aufsatz zählt Jürgen Habermas die Gemeinsamkeiten Warburgs und
Cassirers auf:
1. „Cassirer musste die der Philosophie zugewiesene Rolle gefallen.
2. In der Sammlung artikulierte sich ein Begriff von Kultur, der Cassirer unter
erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten interessierte.
3. Cassirer begegnete der Literatur der Renaissance, über deren philosophische
Strömungen er gearbeitet hatte, hier auf ganzer Breite.
4. Cassirer konnte in der Art von Warburgs Interesse am Nachleben der Antike in
der Moderne unschwer ein Motiv wieder erkennen, dass sein eigenes Denken
bewegte.“29
27
Seit der Umwandlung in ein öffentliches Institut zu Anfang der zwanziger Jahre trug die Bibliothek den
offiziellen Namen „Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg“.
28
Habermas: Ernst Cassirer und die Bibliothek Warburg. In: Vorträge aus dem Warburg-Haus, Bd. 1, S. 6
29
Ebd., S. 5
16
Abschließend beschrieb er Warburgs Bibliothek wie folgt: „Die Fragen, die ich [...]
behandeln möchte, hatten mich seit langem beschäftigt: aber nun schienen sie
gleichsam verkörpert vor mir zu stehen. Ich empfand aufs stärkste [...] dass es sich
hier nicht um eine bloße Sammlung von Büchern, sondern um eine Sammlung von
Problemen handle. Nicht das Stoffgebiet der Bibliothek war es, dass diesen Eindruck
in mir erweckte; sondern stärker als der bloße Stoff wirkte das Prinzip ihres
Aufbaus.“30 Seine Ehefrau Tony schrieb außerdem: „Ich erinnere mich, wie Ernst
nach dem ersten Besuch der Bibliothek in einer für ihn sehr ungewöhnlichen
Erregung nach Hause kam und mir erzählte, dass diese Bibliothek etwas unerhört
Einmaliges und Großartiges wäre. Die Entdeckung der Bibliothek Warburg glich einer
Fundgrube, in der Ernst einen Schatz nach dem anderen zu Tage förderte.“31
Cassirer hatte Warburgs System nicht nur in Gänze verstanden, er war auch
hundertprozentig mit den Ansätzen einverstanden. Bis zu Warburgs Tod 1929
pflegten sie eine enge Beziehung. Oft hielt Cassirer Vorträge in Warburgs Bibliothek
und übernahm kleinere bibliothekarische Tätigkeiten. Auf der anderen Seite wurde in
der Inflationszeit Cassirer jedes gewünschte Buch von den Mitarbeitern der Bibliothek
Warburg besorgt und sogar nach Hause gesandt.32
30
Ebd., S. 4
Website der „Ernst-Cassirer-Arbeitsstätte“ in Hamburg: http://sun07.sts.tu-harburg.de/eca/homepageeca.htm#top
32
Pfister, S. 84
31
17
III. Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg –
Geschichte, Aufbau, Organisation
III. 1. Der Beginn der Sammlung
Der eigentliche Beginn der Sammelleidenschaft Warburgs fällt bereits in seine
Studienzeit in den neunziger Jahren. Er hatte sich das Ziel gestellt, alles an Literatur
selbst zu erwerben und zu besitzen, was er für sein Studium und seine Forschungen
benötigte. Dies führte bei seinen vielseitigen und breit gefächerten Interessen
zwangsläufig zu einer raschen Vergrößerung seiner Sammlung. Dabei war es ihm
nicht so wichtig, die Bücher, welche er erwarb, auch zu lesen. Der bloße Besitz
genügte Warburg in diesem Moment erst einmal. Gelesen bzw. durchgearbeitet
konnten sie immer noch werden, wenn man sie für die aktuellen Forschungen
brauchte.
Der assoziative Gedanke, der später der Ordnung seiner Bibliothek zugrunde lag,
leitet sich unter anderem aus seiner Persönlichkeit ab. Sein Bruder Max sprach
davon, dass Warburg zuviel auf einmal in sich aufgesogen hätte und „... wenn er
anfing, kam er von Einem ins Andere. So entstand auch die Bibliothek.“33 Bald jedoch
musste er sich Fragen hinsichtlich des Zweckes seiner Sammelleidenschaft sowie des
ausgegebenen Geldes anhören. Kühl, sich seiner Sache, der Gründung einer
Bibliothek, sehr sicher, erwiderte er: „Die Bibliothek wird noch bestehen, wenn das
Bankhaus nicht mehr bekannt sein wird.“34 Nun, zumindest was die Bibliothek
anbetrifft, existiert sie in erstaunlich erweiterter und in Warburgs Sinne gepflegter
Weise bis heute, allerdings nicht ohne eine wahre Odyssee hinter sich zu haben.
III. 2. Geschichte der Bibliothek bis zum Umzug ins eigene Haus 1926
Wenn man heute von Warburgs Bibliothek als Bau oder auch als nach bestimmten
Vorstellungen konzipierten „Denkort“ spricht, meint man gemeinhin das Haus in der
33
Roeck, S. 30
18
Heilwegstraße 116, in das die Bibliothek erst im Jahre 1926 einzog. Zuvor jedoch war
die Bibliothek Warburg, zunächst „nur“ die Bibliothek eines Privatgelehrten, in seinem
Privathaus untergebracht, welches zuerst in der Hamburger Benediktstraße und ab
1908 auf dem Grundstück Heilwegstraße 114 stand. Dieses Haus hatte Warburg für
sich und seine Familie gekauft, nachdem die Raumnot aufgrund der ständig
wachsenden Büchersammlung extrem geworden war.
Was machte Warburg zu einem Bibliotheksgründer? Welche Eigenschaften besaß er,
um dieser Beschäftigung ein Leben lang nachzugehen? Zunächst hatte er einen Hang
zur Dokumentation. Er ließ gerne Dokumente für sich sprechen. Dies führte unter
anderem dazu, dass er neben der Bücher- auch eine Fotografiensammlung anlegte,
welche seine Theorien unterstützen sollte. Aus dieser Sammlung schöpfte er
beispielsweise, wenn es galt, Ausstellungen in seiner Bibliothek auszustatten. Diese
Ausstellungen verdrängten in seiner späteren Schaffensperiode sogar die schriftlichen
Ausarbeitungen weitgehend. Warburg ließ allein die Dokumente und deren
Anordnung für sich sprechen, wobei er die Deutung allerdings dem Betrachter
überließ.35
Neben Fotos sammelte er Zeitungsausschnitte, welche er gerade während des Ersten
Weltkrieges zu einer erstaunlichen Dokumentation zusammenfasste. Warburg
wertete täglich die einlaufenden und extra zu diesem Zweck angeschafften
Tageszeitungen aus und schuf so ein einzigartiges dokumentarisches Bild des
Kriegsgeschehens, welches neben den ca. 1.500 Artikeln 100.000 Indexkarten
enthielt. Die Herkunft der Zeitungen war durchaus international, es wurden also
Stellungnahmen beider Kriegsparteien ausgewertet. Dabei ließ Warburg keinen
Zweifel daran, dass er, wie oben schon erwähnt ein Mensch des 19. Jahrhunderts,
auf deutscher Seite Stand. Er gründete sogar eine Zeitschrift, welche in Italien
erschien und die deutsche Position erklärte, um Italiens Austritt aus der Entente
herbeizuführen.36 Diese Weltkriegssammlung musste 1933 auf Druck der Nazis in
Deutschland zurückbleiben.
34
35
Ebd., S. 31
vgl. Pfister, S. 15 f.
19
Zunächst war Warburg sein eigener Bibliothekar. Alle Arbeitsgänge, vom studieren
der Verlagsprospekte und Antiquariatsverzeichnisse bis hin zum Signieren und
Einstellen der Bücher führte er selbst durch. Dies ist auch der Grund, weshalb es
lange Zeit keinen brauchbaren Katalog der Warburgschen Bibliothek gab. Alles
befand sich in seinem Kopf und das Anfertigen eines Katalogs hätte nur eine weitere,
zudem sehr arbeitsaufwändige Tätigkeit bedeutet.
Im Jahre 1908 jedoch begann es ihm über den Kopf zu wachsen und neben dem
Kauf des Hauses Heilwegstraße 114 (und des Nachbargrundstücks Nr. 116 für einen
späteren Bibliotheksbau) stellte er seinen ersten Assistenten ein. Anzumerken ist
hier, dass seine ersten drei Assistenten (die Doktoren Hübner, Waetzoldt und Printz),
welche er von 1909 bis 1913 beschäftigte, nicht so lange zu seinem „Stab“ gehörten
wie die späteren bekannten (Saxl, Bing) und auch nicht so bekannten Mitarbeiter,
wie der Fotograf Otto Fein. Die Gründe für die eher kurze Zusammenarbeit zwischen
Warburg und den vorgenannten lagen an einem gegenseitigen Unverständnis des
anderen (bei Hübner) sowie an lukrativen Stellenangeboten für die Herren Waetzoldt
und Printz.37
Erst als er 1913 den österreichischen Kunsthistoriker Fritz Saxl einstellte, hatte er
einen Mitarbeiter gefunden, welcher seine Herangehensweisen und Theorien wirklich
verstand und welcher ihm zu einem Mitstreiter für den Rest seines Lebens werden
sollte. In der Zeit von Warburgs Aufenthalt im Kreuzlinger Sanatorium „Bellevue“
aufgrund seiner Nervenkrankheit fungierte Saxl als kommissarischer Leiter der
Bibliothek und nach dem Tod Warburgs im Oktober 1929 wurde er der neue Leiter
der Bibliothek. Nach der Emigration blieb er bis zu seinem Tode im Jahre 1948 der
Direktor des nunmehr der University of London zugehörigen „Warburg Institute“.
Zu diesem Zeitpunkt dachte Warburg bereits daran, seine Bibliothek der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Jahre 1911 nahm er am Bibliothekartag in
Hamburg teil. Sein Interesse für die Bibliotheksarbeit schlug sich unter anderem auch
darin nieder, dass er zu Robert Münzel, dem damaligen Direktor der Hamburger
36
vgl. Ebd., S. 24 f.
20
Stadtbibliothek, bis zu dessen Tod im Jahre 1917 einen engen Kontakt pflegte.
Warburg und Münzel waren sich vom Charakter her ziemlich ähnlich, hatten beide
einen Teil ihres Studiums in Bonn absolviert und teilten beide die Liebe für das
klassische Altertum einerseits und für das Buch andererseits. Auch waren sie beide
Mitbegründer der „Gesellschaft der Bücherfreunde zu Hamburg“. Warburg bediente
sich oft der Stadtbibliothek, um dort wertvolle alte Bücher einzusehen sowie sich
Handschriften über den Leihverkehr zu bestellen, was damals noch möglich war.
Ansonsten stand er der Institution Stadtbibliothek und ihrer Aufstellung der Werke
eher kritisch gegenüber. Das damalige Bibliothekswesen entsprach nicht seinen
Vorstellungen von einer Bibliothek.38 Allerdings half er nach Münzels Tod bei der
Suche nach einem Nachfolger für die Leitung der Stadtbibliothek mit. Dies liegt nicht
nur in der Freundschaft zu Münzel begründet, sondern auch in der Tatsache, dass
Warburg weiterhin gut mit der Hamburger Stadtbibliothek zusammenarbeiten wollte,
was sehr von deren neuem Direktor abhing.
Mittlerweile war die Warburgsche Bibliothek auch bekannter geworden. 1912 hatte
Warburg auf dem Kunsthistorikerkongress in Rom die bereits angesprochene
Deutung der Fresken im Palazzo Schifanoia in Ferrara durchgeführt und damit einen
größeren Kreis seiner Kollegen mit seinen Theorien vertraut gemacht. 1913
besprachen Warburg und Saxl auf einer Italienreise die weiteren Schritte zur
Institutionalisierung ihrer Bibliothek. Als dann jedoch der I. Weltkrieg ausbrach,
wurde Saxl zum österreichischen Militär eingezogen39 und Warburg begann seine
bereits zu Beginn dieses Abschnitts besprochene Weltkriegssammlung. Während des
Krieges verstärkte sich sein Nervenleiden. Der labile Warburg war ständig zwischen
Vaterlandsliebe und seiner gleichzeitigen Liebe zu Italien, welches auf Seiten der
Entente kämpfte, hin- und her gerissen. Mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs
und damit seines seit der Kindheit erlernten Weltbildes wurde er nicht so leicht fertig,
so dass er seit 1919 arbeitsunfähig war und sich ein Jahr später in ein Kreuzlinger
Sanatorium begab, wo er bis 1924 blieb. Warburg, der anfangs meinte, nicht mehr
37
kurze Abrisse ihrer beruflichen Werdegänge und die Gründe für das frühe Ausscheiden der genannten Personen
finden sich bei Pfister, S. 84 f.
38
zur Beziehung zwischen Warburg einerseits und Münzel sowie der Stadtbibliothek andererseits vgl.
Gronemeyer, Horst: Aby Warburg und Robert Münzel – Eine Freundschaft von Bibliothek zu Bibliothek. In: Porträt
aus Büchern, S. 35 ff.
39
Pfister, S. 24
21
nach Hamburg zurückkehren zu können, verfasste vorher sein Testament, in dem er
anordnet, dass im Falle seines Todes die Bibliothek, welche er als seine „eigenste
Lebensarbeit“ bezeichnet, unbedingt zusammenbleiben muss.40 Fritz Saxl wird von
Warburgs Familie nach Hamburg zurückgerufen und übernimmt die kommissarische
Leitung der Bibliothek.
Unter der Leitung Saxls beginnt nun die schon vor dem Krieg ins Auge gefasste
Institutionalisierung der Bibliothek und deren Öffnung für die Öffentlichkeit. Dieser
Umbruch fällt mit einem Ereignis zusammen, welches für die Stadt Hamburg von
besonderer Wichtigkeit war: Der Gründung der Universität. Mit der
Universitätsgründung kamen nun verstärkt Wissenschaftler nach Hamburg, welche
hier eine gut ausgebaute, nach Maßstäben, die eher die eines Wissenschaftlers denn
die eines Bibliothekars sind, aufgebaute Bibliothek vorfanden. Bald wurden
Professoren wie die Philosophen Cassirer und Panofsky ständige Leser und gern
gesehene Gäste der Bibliothek.
Um diese Gemeinschaft enger zusammenzufügen, entwickelt Saxl die
Publikationsreihe „Vorträge der Bibliothek Warburg“, welche die in Schriftform
gebrachten, in den Räumen der Bibliothek gehaltenen Vorträge der Wissenschaftler
aus Kunstgeschichte, Philosophie etc. enthielt sowie die „Studien der Bibliothek
Warburg“, welche wissenschaftliche Abhandlungen publiziert, die den Themen und
Forschungsschwerpunkten der Bibliothek nahe kommen. Seit 1921 erschienen diese
Reihen beim Verlag Teubner in Leipzig, bis 1933/34 das Erscheinen der Bände
aufgrund der antijüdischen Haltung der neuen Machthaber, welche auch die Verlage
nachhaltig beeinflusste, eingestellt wurde.41 Nach der Emigration und einer gewissen
Eingewöhnungsphase wurden die Serien wieder belebt. Aus den „Studien“ waren die
„Studies of the Warburg Institute“42 geworden und aus den „Vorträgen“ wurde das
„Journal of the Warburg Institute“, welches heute aufgrund der engen
Zusammenarbeit mit dem „Courtault Institute of Art“ „Journal of the Warburg and
Courtault Institutes“ heißt.43 Diese Reihe erscheint noch heute jährlich.
40
41
42
43
vgl. Ebd., S. 25 f.
zu den Publikationen der Bibliothek vgl. Porträt aus Büchern, S. 19 ff.
endete 1995 mit dem 43. Band. Quelle: Website des Warburg Institute
bisher 63 Bände erschienen. Quelle: Website des Warburg Institute
22
1922 stellte Saxl eine zweite, neben ihm fest angestellte wissenschaftliche
Bibliothekarin ein: Gertrud Bing. Diese, schon einige Male erwähnte Doktorin der
Philosophie hatte 1921 bei Ernst Cassirer promoviert und war dann zur Bibliothek
Warburg gewechselt, welcher sie bis zu ihrem Tode, am Ende als Direktorin des
Warburg Institute in London, treu blieb.44 Ihre erste große Aufgabe bestand damals
darin, zusammen mit Saxl die Kataloge zu erstellen.
Die Bibliothek Warburg war nun mit ihren 20.000 bis 25.000 Bänden45 eine öffentlich
zugängliche Forschungseinrichtung in privater Trägerschaft, deren Finanzierung ganz
in den Händen Warburgs und seiner Familie lag. Um sie jedoch der Öffentlichkeit
auch verständlich zu machen, brauchte es jedoch ein definiertes Erwerbungsprofil,
eine klare Aufstellungssystematik und nicht zuletzt einen Katalog. All das gab es
bisher nur in Warburgs Kopf und auch da nur insoweit, wie es seine aktuellen
Forschungen verlangten. Die Bibliothek war ein geistiges Abbild seines Inneren.
Daraus mussten Saxl, Bing und die anderen Mitarbeiter nun, in Abwesenheit des
geistigen Vaters dieser Zusammenstellung von Büchern bzw. Medien, eine nach
wissenschaftlichen Maßstäben kanonisierte Bibliothek machen, welche beispielsweise
auch die Standartwerke der behandelten Disziplinen enthält, ohne Warburgs
geistiges Konzept dabei in Frage zu stellen. Über das Problem des Erwerbungsprofils
sowie die Aufstellungssystematik wird in den nächsten Abschnitten referiert werden,
das Problem des Katalogs ist in Warburgs Abwesenheit Anfang der zwanziger Jahre
durch Saxl gelöst worden, der einen alphabethischen und einen systematischen
Katalog anfertigen ließ.46
III. 3. Der Aufbau der neuen Bibliothek entsprechend Warburgs Theorien
Nach der Rückkehr des geheilten Leiters und Eigentümers der Bibliothek aus
Kreuzlingen 1924 ging es vornehmlich um die Pläne für den Neubau der Bibliothek
44
zu Leben und Werk Gertrud Bings vgl. u. a. Michels, Karen [u. a.]: Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin
Gertrud Bing. In: Frauen im Hamburger Kulturleben, S. 27 ff.
45
Pfister, S. 27
46
Stockhausen, S. 70
23
auf dem Nachbargrundstück. Saxl hatte seit Anfang der zwanziger Jahre arge
Platzprobleme, da die Kapazität des Warburgschen Wohnhauses ausgelastet war. Er
berichtet von dauernden Umbauten aufgrund von Neuanschaffungen und schreibt
1923:
„Es entsteht durch diesen Platzmangel eine Unübersichtlichkeit in der Bibliothek,
die selbst durch die größte Sorgfalt kaum mehr zu beheben ist; denn wenn an
der Stelle, an die ein Buch in dem System, das durch Aby Warburgs
Gedankengänge der Bibliothek vorgeschrieben ist, eingestellt werden sollte,
absolut kein Platz mehr ist, dann nützt es nichts, wenn vielleicht an einer
anderen Stelle noch etwas Platz wäre; denn dort ist es nicht mehr auffindbar:
Es wird also ein dauerndes Herumrücken der ganzen Bestände notwendig, das
sehr viel Zeit und Arbeit kostet, eine Arbeit, die ganz unfruchtbar ist.“47
Nach einigen Entwürfen Hamburger Architekten, deren Pläne hier auszubreiten den
Rahmen sprengen würde, einigt man sich, auch zu Kreuzlinger Zeiten immer unter
Rücksprache mit Warburg, auf den Entwurf des mit dem Bibliotheksgründer
befreundeten Architekten Fritz Schumacher, welcher von Gerhard Langmaack
realisiert wird. Dieser Entwurf beachtet sowohl alle Wünsche Warburgs für ein
Bibliotheksgebäude als auch die Notwendigkeit einer architektonischen Eingliederung
des neuen Hauses Heilwegstraße 116 in den Baustil dieser Straße. Auch wird das
Wohnhaus mit dem Bibliotheksgebäude verbunden. Im Mai 1926 findet dann die
Eröffnung der Bibliothek im neuen Haus statt.
47
Ebd., S. 44
24
Abbildung 2: Aby Warburg ca. 192548
Zu den Dingen, welche an der Inneneinrichtung der KBW besonders auffällig sind,
gehört zweifellos der Lesesaal in Form einer Ellipse. Es war Warburgs persönlicher
Wunsch, dies auch trotz baulicher Schwierigkeiten durchzusetzen. Dies hat
verschiedene Gründe:
1. In Warburgs bereits besprochener Theorie hatte er postuliert, dass die Seele
des Menschen, sein Inneres, aus den zwei Polen der Deutung von Ereignissen
besteht, zwischen denen der Mensch eine Pendelbewegung vollzieht.
(Abschnitt II. 4.) Da Warburg seine Bibliothek als sein Lebenswerk und ein
Abbild seines Geistes betrachtete, wählte er die von ihm so verehrte Form für
den zentralen Punkt (im geistigen Sinne) der Bibliothek. Weitere
Deutungsmöglichkeiten für die Zweipoligkeit sind das Zusammentreffen von
Mittelalter und Neuzeit in der Renaissance oder von Vergangenheit und
Gegenwart in seiner Bibliothek.
2. Während seiner Genesung in Kreuzlingen beschäftigte er sich mit Johannes
Kepler und dessen Lebenswerk, den Planetengesetzen. Im brieflichen
Zwiegespräch mit Cassirer zog er die selben Schlüsse wie Kepler zu Beginn
des 17. Jahrhunderts und erfasste dessen Theorien vollständig, was stark zu
seiner erneuten inneren Festigung und schließlich zu seiner Genesung beitrug.
Da Kepler errechnet hatte, dass die Bahnen der Planeten um die Sonne
25
elliptisch sind, was nach der beginnenden Akzeptanz des heliozentrischen
Weltbildes eine zweite große Zäsur in der Astronomie der Renaissance
darstellt, etablierte sich laut Warburg auch hier der „... Fortschritt vom
bildhaften zum mathematisch-zeichenmäßigen Denken.“ Warburg weiter: „Ich
hatte das Drama, ‚Wie die Ellipse den Kreis überwindet’, als Höhepunkt des
um Aufklärung ringenden modernen Menschen richtig ohne Hilfsmittel
erwittert.“49 Dieses Erlebnis schien die Bedeutung der Ellipse für Warburg
noch einmal zu untermauern.
3. Den Kreis lehnte Warburg als Form für seinen Lesesaal ab. Er war ihm
aufgrund seiner richtungslosen Form zu statisch. Die Ellipse jedoch baut seiner
Meinung nach ein gerichtetes Energiefeld auf, „... dass den Nutzern des
Lesesaals später ein Gefühl gespannter Konzentriertheit vermittelt.“50
4. Außerdem hatte die Wahl dieser Form noch praktische Gründe: Für die bereits
damals stattfindenden Vorträge war ein elliptischer Vortragssaal vom visuellen
und akustischen her die beste Lösung.
Was die Einrichtung des Lesesaals angeht, so ist zu berichten, dass er nun als
Arbeits- und Vortragsraum genutzt werden kann. Als täglicher Arbeitsraum bot er
Platz für ca. 20 Personen, für einen Vortrag mussten die Arbeitstische entfernt und
durch Stühle ersetzt werden. Den Informationsbestand des Lesesaals bilden
bibliographische Handbücher (ca. 1.500 Bände), zahlreiche Zeitschriftenbände (ca.
2.500) sowie die aktuelle Zeitschriftenauslage.51 Über die Anschaffung von
Standardwerken zu den einzelnen Wissenschaften oder von allgemeinen
bibliographischen Handbüchern, welche nach Warburgs Meinung nicht unbedingt
notwendig war (oder nur, wenn es seine Themenkreise berührte), gab es mit Saxl
Differenzen, über die im nächsten Abschnitt noch gesprochen wird.
Die Arbeit der Nutzer, welche nicht zum „Kreis“ der KWB (Angestellte, Hilfskräfte,
„befreundete“ und geförderte Forscher) gehörten, war nun auf den Lesesaal
beschränkt. Als die Bibliothek noch in Warburgs Wohnhaus untergebracht war, waren
48
49
50
51
Quelle des Bildes: eine Website der Universität von Lissabon: http://www.educ.fc.ul.pt
beide Zitate: Stockhausen, S. 38
vgl. Ebd.
Ebd., S. 81
26
alle Bücher in den unterschiedlichen Zimmern frei zugänglich. Nach dem Umzug in
das Nachbarhaus waren die Bücher mit Ausnahme der im Lesesaal aufgestellten
Werke im Magazin konzentriert, zu dem aus Gründen der Enge in Treppenhaus und
Magazin sowie zur Vermeidung von Unruhe nur der oben genannte Kreis Zugang
hatte.52 Die Mitglieder dieses Kreises wechselten oft: Es waren meist Professoren der
Universität und junge Wissenschaftler, welche gerade an ihrer Dissertation arbeiteten
und durch Warburg mit einer bibliothekarischen Aufgabe betraut worden waren, wie
in Abschnitt II. 6. geschildert.
Der zweite architektonische Teil der Bibliothek, dessen Einrichtung auf Theorien
Warburgs zurückgeht, ist demnach das Magazin. Der Standort, an dem, im
Gegensatz zum alten Haus, nunmehr die Mehrzahl der Bücher konzentriert sein
sollte, musste aufgrund der vier „Säulen“ der Warburgschen Entwicklungstheorie des
Menschen viergeschossig sein. Diese vier Magazingeschosse hatten eine sehr
niedrige Deckenhöhe, wobei die Decke nur aus einem metallenen Laufgitter bestand.
Die Geschosse waren wie folgt geordnet: 1. „Bild“, 2. „Orientierung“, 3. „Wort“ und
4. „Handlung“. Die genaue Untergliederung sowie die Probleme bei der Zuordnung
bestimmter Bücher oder Büchergruppen sollen in Abschnitt III. 5. beschrieben
werden.
III. 4. Die Erwerbungspolitik
Es begann kompliziert zu werden, als Warburg sich in das Sanatorium zurückzog.
Gleichzeitig trat der Prozess der Institutionalisierung in das Endstadium und Saxl,
welcher zwar zuvor mit Warburg einige Jahre zusammengearbeitet hatte, aber doch
in einigen Dingen abweichende Vorstellungen besaß, übernahm die Leitung der
Bibliothek. Bisher war es so gewesen, dass alles, was Warburg für seine
Forschungsschwerpunkte benötigte, angeschafft wurde. Er ging von einem Problem
aus (daher wird oft von einer „Problembibliothek“ gesprochen), welches es zu lösen
galt. Dafür wurden unterschiedliche Quellen herangezogen und die Suche beim
Auftreten eines Folgeproblems entsprechend erweitert. Die KBW hatte ein einziges
52
zu dieser Änderung in der Benutzungsordnung vgl. Ebd., S. 72 f.
27
„Ausgangsproblem“, nämlich das Nachleben der Antike in den verschiedenen Zeiten
und Kulturen zu erforschen. Dies jedoch warf so viele neue Fragen und
Problemstellungen auf, dass sich die Bibliothek sehr rasch vergrößerte. Hatte
Warburg in Hamburg mit 500 Bänden begonnen, so waren es Anfang der zwanziger
Jahre ca. 25.000 und vor der Emigration sogar ca. 66.000.53
Über den Erwerbungsetat ließ die Bibliothek nie etwas nach außen dringen. Warburg
und seine Brüder, welche Mitglieder des Kuratoriums waren, stellten jedenfalls selbst
in der Inflationszeit immer genug Geld aus dem Familienvermögen zur Verfügung.
Anfangs, in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als die Gründung der
Bibliothek erst eine Idee in Warburgs Kopf und die Bibliothek selbst noch eine
größere Büchersammlung war, musste er seinen Vater in langen Briefen überzeugen,
einen Teil des Vermögens bereitzustellen. Sein Bruder sagte später darüber: „Aby
war immer zu üppig“ und „Der Bücherankauf war dem Vater zu teuer; die Mutter
stand auf dem Standpunkt: ‚Du musst schreiben und studieren, eine Bibliothek kann
sich Jeder kaufen.’“54 Letztendlich schien die Überzeugungsarbeit jedoch gefruchtet
zu haben, obwohl er trotzdem jedes Jahr mit seinen Brüdern regelrechte
Verhandlungen führen musste. Angaben über die genaue Höhe des Budgets erteilte
er höchstens engen Forscherkollegen und dies auch nur mündlich.
Das Erwerbungsprofil ist sowohl eng als auch weit gefasst. Eng deshalb, weil alles an
Büchern angeschafft wurde, dass Forschungsergebnisse zum Nachleben der Antike
vermittelte. Weit deshalb, weil aufgrund der verschiedenen möglichen Deutungen
und Lösungsansätze für dieses Problem ein Wissenschaftszweig nach dem anderen in
das Erwerbungsprofil integriert wird. Jedoch gab es, nicht zuletzt aufgrund
Warburgscher Vorlieben, welche er seit der Zeit seiner Promotion und der AmerikaReise verfolgte, bestimmte Gebiete, welche ganz gezielt und sehr flächendeckend
angeschafft wurden. Dazu gehörten:
53
54
·
Bildende Kunst (insb. der Renaissance)
·
Fest- und Kostümwesen
vgl. Pfister, S. 61 f.
Roeck, S. 30
28
·
Archäologie
·
Religionsgeschichte
·
Philosophie (besondere Aufstellung derselben s. Abschnitt II. 6.)
·
Psychologie
·
Anthropologie
·
Wissenschaftsgeschichte
·
Literatur zur „dunklen Seite“ des Menschen (Astrologie, Mythologie,
Dämonologie etc.)55
Während Saxl die Leitung der Bibliothek und damit das Vorantreiben der
Institutionalisierung innehatte, legte er jedoch Wert darauf, auch Lücken zu ergänzen
und allgemein anerkannte Standardliteratur, speziell für den Lesesaal, anzuschaffen.
Auch über den Stil des neu zu bauenden Bibliotheksgebäudes gab es zwischen Saxl
und Warburg Differenzen: Während Saxl einen avantgardistischen Bau für die
Bibliothek favorisierte, setzte Warburg einen Zweckbau durch, der zwar innen nach
seinen Wünschen und Theorien gegliedert war, sich außen jedoch harmonisch in das
Straßenbild einpasste. Diese Unstimmigkeiten führten dazu, dass Saxl für einige Zeit
die KBW verließ und in England eigenen Studien nachging. Über diese Differenzen,
auch über den Fakt, dass er nach vierjähriger Leitung der Bibliothek wieder an die
zweite Stelle rückte, was ihm schwer fiel, verlor er jedoch in seinen Berichten über
diese Zeit später kein Wort; seine Loyalität zu Aby Warburg war entsprechend groß.
Auch hatte Warburg den jüngeren Wissenschaftler bereits als seinen Nachfolger
ausersehen.56 Da ihn Saxl auch nach seiner Krankheit bei Abwesenheit immer wieder
vertrat, kam es auch hier zu einer gewissen Diskontinuität in der Leitung. Erst als
Saxl im Jahre 1928 auf Reisen war, fühlte sich Warburg „endlich als Leiter normal
genommen“57. Im Tagebuch hatte Warburg nach der großen Italienreise 1929 auch
vermerkt, dass er mit Saxl „dornige Gespräche über die ‚Räumung des besetzten
Gebietes’“58 geführt hätte, was sich auf die Leitung der Bibliothek bezog.
55
56
57
58
Aufzählung vgl. Pfister, S. 64
vgl. Ebd., S. 34 f.
Tagebuch, S. 274
Ebd., S. 469
29
Zwei Dinge sind noch, was den Bestand angeht, interessant: Der hohe Anteil alter
Drucke sowie das Einstellen von Dokumenten, welche keine Bücher sind, in die
Buchreihen. Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass eine von Warburgs größten Quellen
bei der Erwerbung der antiquarische Handel war. So war es ihm vergönnt, sogar
Drucke aus dem frühen 16. Jahrhundert in seine Sammlung zu integrieren. Eine
seiner ältesten Schriften im Bestand war eine Handschrift von 1482.59 In der
Warburgschen Bibliothek gab es jedoch nichts, was wir heute eine Rara-Sammlung
nennen würden. Alle Bücher wurden, egal wie alt oder wertvoll sie aus der Sicht
eines konventionellen Bibliothekars oder Bücherfreundes waren, nur dort eingestellt,
wo sie thematisch hingehörten. Überhaupt zählte für Warburg beim Sammeln von
Büchern lediglich der Inhalt; Form, Alter oder der Wert spielten dabei keine Rolle.
Warburg war kein Bibliophiler, der sich eine wertvolle Bibliothek zusammensucht,
welche dann mehr oder weniger nicht benutzt werden kann; bei ihm steht jedes
vorhandene Medium dem Lösen wissenschaftlicher Probleme zur Verfügung.
Ebenso wie eine Rara-Sammlung fehlte weitgehend die getrennte Aufstellung der
gesammelten Nicht-Buch-Materialien. Mit weitgehend ist hier die
Weltkriegssammlung gemeint, welche in Karteikästen untergebracht war sowie die
gebundenen Zeitschriften, die im Lesesaal ihren Platz hatten. Da Warburg aber auch
Broschüren oder andere „Graue Literatur“ sammelte, wenn er ihr habhaft wurde und
sie sich mit Themen oder kleineren Problemen seiner Arbeit beschäftigten, wurden
diese, streng nach dem geschilderten Prinzip, dass alles zur Bewältigung eines
Problems an einem Ort zu stehen hatte (ähnlich dem Pertinenzprinzip im
Archivwesen), in Pappdeckel gebunden, signiert und an die entsprechende Stelle in
der Systematik gestellt. Nicht nur die Anschaffungs-, auch die Buchbinderkosten
müssen enorm gewesen sein.
III. 5. Aufstellung, Klassifizierung, Signierung der Bücher
Dieser Abschnitt soll sich mit dem geistigen Kern der Warburgschen Bibliothek
beschäftigen: der Aufstellungssystematik. Hier finden wir das Bindeglied zwischen
59
Pfister, S. 65
30
den von Aby Warburg entwickelten wissenschaftlichen Theorien und einer
theoretischen Möglichkeit, Wissen sehr innovativ zu ordnen und dem Nutzer
verfügbar zu machen. Auch bei dieser Schilderung geht es nur um den Neubau ab
1926, da aufgrund der zuvor geschilderten Platznot in Warburgs Wohnhaus alle
Bücher zwar in Freihandbestand zur Verfügung standen, jedoch auf ungefähr zehn
verschiedene Standorte innerhalb des Hauses verteilt waren, was eine sinnvolle
Gliederung innerhalb der Aufstellung – in dem von Warburg gewünschten Maße –
unmöglich machte.
Wie schon bei der Architektur kurz angerissen, bestanden die Magazingeschosse aus
vier Etagen, zu denen nur das Bibliothekspersonal sowie die befreundeten und
„Teilangestellten“ Forscher Zutritt hatten. Dies überrascht, wenn man bedenkt, dass
Warburg so viel Wert auf den Freihandbestand legte. Zieht man jedoch die baulichen
Gegebenheiten dazu, wie in Abschnitt III. 3. geschildert, so kommt doch Verständnis
dafür auf, da man Unruhe im Lesesaal und viel Betrieb in der Enge des Magazins
vermeiden wollte. Außerdem hatten diejenigen, welche Warburg ihr Anliegen
geschildert hatten oder sogar teilweise einer Beschäftigung in der Bibliothek
nachgingen, ihm also quasi am Herzen lagen, sowieso Zutritt.
Jede Etage war einer von Warburgs Schlagworten der menschlichen Deutung von
Eindrücken zugeordnet. Ohne nochmals auf die bereits geschilderten Diskrepanzen in
der Schilderung des Personals und die Verwirrung um die Unterschiede Hamburg vs.
London einzugehen, waren dies mit den dazugehörigen Wissensgebieten:
1. Etage – „Bild“:
I. Theorie der Bildgestaltung – Ästhetik
II. Literarische Quellen zur Bildgeschichte
III. Ikonographie der neueren Kunst
IV. Kunsttopographie
V. Urgeschichte der Kunst, Kunst der Naturvölker
VI. Kunst des Orients
VII. Klassische Archäologie
VIII. Antike in Südrussland, Kunst der Völkerwanderung
31
IX. Altchristliche Kunst
X. Miniaturen
XI. Italienische Kunst seit dem Mittelalter
XII. Geschichte der Architektur (außerhalb Italiens)
XIII. Geschichte der Plastik (außerhalb Italiens)
XIV. Geschichte der Malerei (außerhalb Italiens)
XV. Buchdruck und Buchillustration
XVI. Kunstgewerbe
XVII. Geschichte des Kunstsammelns
XVIII. Das Nachleben der antiken Kunst
2. Etage – „Orientierung“:
I. Das Symbol im Dienste der Orientierung
II. Religion
III. Magische Praktik (Zauberei) und die aus ihr sich entwickelnden
Naturwissenschaften
IV. Divination
V. Kosmologie
VI. Philosophie
3. Etage – „Wort“:
I. Sprachphilosophie
II. Klassische Literaturen
III. Literarische Transmission des klassischen Bildungsgutes
IV. Geschichte des Bildungswesens
V. Nationale Literaturen
4. Etage – „Handlung“:
I. Theoretische Grundlagen
II. Geschichtliche Grundlagen
III. Morphologie des sozialen Lebens60
32
Diese Aufstellung aus dem Ende der zwanziger Jahre ist nicht die eigentliche
Systematik, sondern eine vereinfachte Darstellung der Themengebiete. Sie zeigt
lediglich die erste Ebene (römische Zählung) der Systematik, welche insgesamt vier
Stufen hat. Auf die römische Zählung folgen bei dieser Aufstellung eine lateinische
Zählung als zweite Ebene, Kleinbuchstaben als dritte Ebene und simple Anstriche
bzw. Unterpunkte als vierte Ebene, welche allerdings nur bei besonders stark zu
untergliedernden Bereichen benutzt wird. Diese drei bzw. vier Ebenen spiegeln sich
dann bei den fertig signierten Büchern in den drei Farbstreifen und der Zählung
wieder, auf die weiter unten eingegangen wird. Auffällig ist hierbei, dass der Bereich
„Bild“, also das 1. Geschoß, schon in der ersten Ebene am stärksten gegliedert ist.
Dies liegt sicherlich daran, dass die Beschäftigung mit dem „Bild“ der Ausgangspunkt
der Warburgschen Forschungen ist und Literatur zur Kunstgeschichte sehr großzügig
angeschafft wurde, was die Anschaffungslisten belegen.61
Um den Unterschied zwischen dieser und einer herkömmlichen Systematik
aufzuzeigen, soll nachfolgend der Punkt „Orientierung V.“, also „Kosmologie“, näher
betrachtet werden:
V. Kosmologie
1) Astrologie
a) Texte und Abhandlungen zur Geschichte der Astrologie
b) Astralmythologie
- Tierkreiszeichen
- Planeten
c) Astrologie und Bild
2) Astronomie
3) Orientierung in der Zeit
a) Geschichte in der Zeitbestimmung
b) Kalender; Almanache
c) Prognostika
60
vgl. Stockhausen, S. 192 ff.
Nach dem I. Weltkrieg, in dessen Zeit sehr viel Literatur zu diesem angeschafft wurde, hielt die
Kunstgeschichte immer die relative Mehrheit an Neuanschaffungen; im Jahre 1925 z. B. betrug ihr Anteil 26,9%.
Vgl. Ebd., S. 191
61
33
d) Meteorologie
e) Periodenlehre
4) Orientierung im Raume
a) Astronomische und nautische Instrumente
b) Geschichte der geographischen Forschung
c) Kartographie62
Zunächst ist anzumerken, dass die Themenkomplexe der Systematik sich mehr als
gewöhnlich bei Systematiken der Struktur des zu behandelnden Wissens- bzw.
Problemgebietes angleicht. Hier ist nicht vorher eine Systematik geschrieben worden,
in welche dann die Bücher eingeordnet werden; Hier wurde der Buchbestand genau
studiert und dann, nur um diesen Buchbestand zu erschließen, diese Systematik
konstruiert. Auch stehen hier Wissensgebiete nebeneinander, welche sonst strikt
voneinander getrennt wären: Die Astronomie und die Astrologie. In einer
herkömmlichen Systematik würde die Astronomie als „richtige Wissenschaft“ bei den
Naturwissenschaften zu finden sein, während die Astrologie zusammen mit allen
anderen magischen oder metaphysischen Themen eher bei der Psychologie zu finden
wäre. Laut Warburgscher Theorie wird hier jedoch vergessen, dass der Mensch erst
durch das mythische Betrachten der Sterne, durch das Untergliedern in Sternbilder
und ähnliche Konstellationen, in sich das Interesse für die wissenschaftliche
Erforschung der Sterne geweckt hat. Einerseits wird hier wieder die Entwicklung vom
mythisch-fürchtenden hin zum wissenschaftlich-errechnenden Denkansatz sichtbar,
andererseits findet man auch die „Pendelbewegung“ zwischen den beiden
Denkansätzen wieder, da mit diesem Wandel, welcher in der Renaissance begann,
die mythische Betrachtung der Sterne ja nicht beendet war, sondern bis in unsere
heutige Zeit andauert, was den noch heute beliebten Konsum von Horoskopen
erklärt. Insofern ist es laut Warburg wichtig, die beiden Denkansätze eines
Problemfeldes, in diesem Fall die Sternenbetrachtung, in einem gemeinsamen
kulturhistorischen Zusammenhang zu sehen und die Literatur über beide Felder
möglichst nah beieinander zu haben.
62
Ebd., S. 198
34
Diese Aufzählung von Unterschieden zwischen „herkömmlichen“ Systematiken und
der Warburgschen lässt sich beliebig fortsetzen. Auch das Kalenderwesen und die
Chronologie, obwohl geradezu abhängig von den Sternen, werden sonst den
historischen Hilfswissenschaften und damit der Geschichte zugeordnet. Was damit
gesagt sein soll, ist: Bei der Konstruktion der Systematik wurde, genau wie bei den
Warburgschen Forschungen, von einem Problem ausgegangen und die „Kreise“ um
das Problem konzentrisch erweitert. Bei einer Suche nach kulturwissenschaftlicher
Literatur, die sich mit dem Sternglauben und der Beschäftigung des Menschen mit
den Sternen auseinandersetzt, erfolgen die Assoziationen „Astronomie“ und
„Astrologie“ sehr bald nacheinander. Der Nutzer möchte sich ein Thema aussuchen
und dann die Suche konzentrisch erweitern und nicht von den Naturwissenschaften
zur Psychologie und von dort zur Geschichte „springen“ müssen, was den
Gedankenprozess des Suchens und Findens unterbrechen würde. Mit einem Wort:
Das Warburgsche Ordnungsschema unterstützt den gedanklichen Suchprozess im
Kopf mit, da es selbst assoziativ aufgebaut ist.
Bereits vor dem Umzug in das neue Haus und der Grobgliederung in vier Bereiche
wurde, von einer Idee Bings ausgehend, ein farbiges Signierungssystem entwickelt.
Saxl schrieb in einem Brief an Warburg 1922:
„Ich will nicht, dass in der Bibliothek ewig gesucht wird! Dieses Suchen kostet
Nerven und die dürfen nicht verschwendet werden an solche Dummheiten...
Das Signierungssystem denke ich mir so, dass wir acht Grundfarben nehmen,
die in Gruppen zu drei Teilen sind und dann innerhalb der drei immer variieren.
Jede Abteilung bekommt eine Farbe, z.B. schwarz-rot-grün; wird durch
Unvorsichtigkeit das Buch verstellt, so schreit die Farbe sofort heraus: schwarzrot-grün steht dann z.B. in einer Abteilung weiß-gelb-blau. Das ist das System,
das ich aus großen Bibliotheken kenne, und das, wie ich glaube, sich sehr
bewährt hat.“63
Jedes Buch bekam also eine Signatur, welche aus drei farbigen Streifen sowie einer
Nummer bestand. Der erste Farbstreifen stand für das klassische wissenschaftliche
Fach, der zweite und dritte dann jeweils für eine chronologische, geographische oder
thematische Unterteilung des Fachs. Sinn der Sache war, dass die Farben den Nutzer
63
„Exhibition: Privatbibliothek to World Wide Web: Images from the history of the Warburg Library“ auf der
Website der Universität Hamburg. http://www.rrz.uni-hamburg.de/rz3a035/WIL6.html
35
(dieses System stammt noch aus der Zeit der Freihandbibliothek) inspirieren und zu
weiteren relevanten Büchern führen sollte. Die Farbstreifen hatten immer die selbe
oder eine ganz ähnliche Bedeutung, egal auf welcher Ebene der Signatur sie zu
finden waren, was darauf hindeutet, dass hier eindeutig Elemente der
Facettenklassifikation verwendet wurden. Die abschließende Zahl, welche anfangs
mit sehr groben Lücken vergeben wurde, um eine Erweiterung zu ermöglichen,
stellte eine weitere Gliederung dar. Zwei Beispiele für Signaturen:
1. Cumont, Die Mysterien der Mithra:
hellgrün (Religion)
zinnoberrot (historisch, vor Christi Geburt)
violett (hellenistische Mysterienreligionen)
Nummer 25 (persische Herkunft)
2. Al-Farabi, Das Buch der Ringsteine:
dunkelgrün (Philosophie)
dunkelbraun (Texte)
hellrot (orientalisch des Mittelalters)
Nummer 10 (Araber)64
Innerhalb dieser „Signatur“ (3 Streifen + Zahl) konnten sich sehr wenige, aber auch
einige hundert Bücher befinden. Der genaue Standort des Buches innerhalb dieser
Signatur war dann nicht genau definiert, was dazu führte, dass auch die
Angestellten, welche dann später im Neubau die Bücher aus den Magazinen holten,
erst eine Weile suchen mussten. Die Angestellten mussten sich also sehr genau mit
den inhaltlichen Aspekten der Bibliothek und mit den Gedanken, welche zu dieser
Gliederung geführt hatten, auseinandersetzen. Außerdem war das Signierungssystem
so konzipiert, dass man schnell Bereiche zusammenlegen oder trennen konnte, was
davon abhing, welche Erkenntnisse die Wissenschaftler um Warburg, der meist über
die einzelnen Projekte der Leser informiert war, aus diesen Beständen zogen und
welche Fortschritte die Bereiche der Kulturwissenschaften im allgemeinen machten.
So kam es, dass der größte Teil der täglichen Arbeit für die Bibliothekare und
36
studentischen Hilfskräfte über Jahre hinweg darin bestand, einzelne Bereiche von
Büchern umzusortieren. Auch das Einstellen der Neuanschaffungen wurde kein
stumpfsinniges Einordnen in vorbestimmte Systematikgruppen. Mit jedem Buch
musste sich intellektuell beschäftigt werden und wenn es nicht in eine bestehende
Signatur passte, wurde extra für dieses Buch eine neue geschaffen.65
Das System der farbigen Streifen musste schließlich nach der Emigration der
Bibliothek aufgegeben werden, da die Farben durch das Sonnenlicht verblassten und
so sehr ähnliche Farben wie orange und hellrot nicht mehr voneinander zu
unterscheiden waren, was dem System seinen Sinn nahm. Aufbauend auf dieses
System wurde am Warburg Institute ein neues Signierungssystem mit Buchstaben
geschaffen, welches im übernächsten Abschnitt nach der Beschreibung der
Emigration angerissen wird.
III. 6. Die Emigration nach London 1933
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 verschlechterte sich
die Lage für die Bibliothek Warburg zusehends. Warburg selbst und viele seiner
Mitarbeiter, Kollegen und Freunde waren Juden und somit Einschränkungen
ausgesetzt, was den Lehrbetrieb anging. An der Universität wurde bald die Leitung
durch eine den Nationalsozialisten freundlicher gesinnte ersetzt und so hatten es
Professoren wie Cassirer und Panofsky schwerer, den Lehrbetrieb aufrecht zu
erhalten. Gerade in den Fächern der Kulturwissenschaft waren viele Denkansätze den
Nazis ein Dorn im Auge. So schrieb einige Jahre nach der Emigration der KBW ein in
Deutschland gebliebener und mit dem neuen System offensichtlich auf gutem Fuß
stehender Kunsthistoriker: „Das Ausscheiden der jüdischen Kunstgelehrten aus
Forschung und Lehre befreite von der Gefahr eines allzu begrifflichen Denkens,
dessen Richtung – dem Wesen unserer Kunst ebenso fremd wie dem unserer
Wissenschaft – der Auswirkung rein deutscher Forschung hinderlich sein konnte.“66
Da solche und ähnliche Töne jetzt überall in Deutschland an der Tagesordnung
64
65
Stockhausen, S. 77 f.
zum System der Signierung vgl. Pfister, S. 76 ff. sowie Stockhausen S. 76 ff.
37
waren, beschloss man in der KBW im Laufe des Jahres 1933, seine Fühler in
Richtung Großbritannien oder USA auszustrecken.
Warburg selbst erlebte den Aufstieg der Faschisten nur noch in Ansätzen. Durch die
Wirtschaftskrise, welche 1929 ausbrach, bekamen sie in großen Teilen der
Arbeiterschaft und auch des Bürgertums eine große Anhängerschaft. Der
Wissenschaftler Edgar Wind, welcher Ende der zwanziger Jahre einer von den
Mitgliedern des Kreises um die Bibliothek Warburg war, welche sowohl
Lehrtätigkeiten an der Universität als auch bibliothekarische Tätigkeiten in der KBW
durchführten, schrieb dem in Italien weilenden Warburg einen Brief, in dem er ihn
vor den Gefahren des Nationalsozialismus für die Wissenschaft einerseits und für das
deutsche Judentum andererseits warnte. Kurz darauf starb Warburg jedoch und
bekam die weitere Verschlimmerung der Lage nicht mehr mit. Viele Wissenschaftler
an der Hamburger Universität lehnten es jedoch ab, Winds Warnungen Glauben zu
schenken und traten immer noch für die politische Neutralität der Wissenschaft und
der Universitäten ein. So kam es, dass es bereits zu Anfang der dreißiger Jahre
Anzeichen einer „Selbstgleichschaltung“67 der Universitäten gab. Als dann die
tatsächliche Machtergreifung der NSDAP 1933 eintrat, war es für sie ein leichtes, die
Universitäten von unbequemen Geistern einerseits und von so genannten
„Nichtariern“ andererseits zu reinigen, da sie bereits über heimliche Sympathisanten
oder zumindest über Personen verfügte, die unpolitisch genug waren, die Ziele der
Nazis zu tolerieren. Viele der Professoren, gerade der Geisteswissenschaften,
verließen dann freiwillig den Lehrbetrieb, da sie die Einschnitte, welche ihnen von der
neuen Führung gemacht wurden, nicht mittragen konnten. Einer der damaligen
Hochschullehrer schrieb 1953:
„Als vor zwanzig Jahren der neue Rektor sein Amt an unserer Universität
Hamburg übernommen hatte, versuchte ich, in einem sehr offenen Gespräch
ihm darzulegen, dass sich gerade an unserer Universität die Maßnahmen nicht
durchführen ließen, die überall drohten, und ihm mit sachlichen Argumenten zu
zeigen, dass damit das Fundament der Wissenschaft zerstört würde. Ich bekam
zur Antwort: „Glauben Sie denn, dass sich unter den Professoren ein wirklicher
66
Diers, Michael: Porträt aus Büchern – Stichworte zur Einführung. In: Porträt aus Büchern, S. 12
vgl. Buschendorf, Bernhard: Auf dem Weg nach England – Edgar Wind und die Emigration der Bibliothek
Warburg. In: Porträt aus Büchern, S. 92 f.
67
38
Widerstand regen wird, wenn wir das tun, was wir für richtig halten?“ Ich habe
mich selten in meinem Leben so tief geschämt wie damals.“68
Da die wichtigsten Mitarbeiter der KBW (Saxl, Bing, Wind) sowie viele der
Hochschulprofessoren (u. a. Cassirer) jüdischen Glaubens waren, konnte die
Bibliothek Warburg nicht länger in Deutschland bleiben, ohne mit Repressalien gegen
die Mitarbeiter oder die Bibliothek selbst rechnen zu müssen. So wurde Edgar Wind
im Frühjahr 1933 quasi auf Erkundungsmission geschickt, um in Großbritannien zu
ermitteln, wie die Einwanderung der gesamten Bibliothek Warburg zu
bewerkstelligen wäre und ob man sie mit offenen Armen empfangen würde. Parallel
dazu hatte sich Saxl, der nunmehrige Direktor der Bibliothek, an Warburgs Brüder
gewandt um mit deren Hilfe eine eventuelle Niederlassung in den USA zu
arrangieren. Es stellte sich jedoch heraus, dass in den USA weniger Interesse an
einer kulturhistorischen Einrichtung dieser Art bestand.
In England hatte sich unterdessen eine Gesellschaft gegründet, welche sich
„Academic Assistance Council“ nannte und als Hilfsorganisation für emigrierte
deutsche Wissenschaftler tätig war. Einige Vertreter statteten der Bibliothek im
Sommer 1933 einen Besuch ab, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Nach
diesem Treffen ging es Schlag auf Schlag: In Verhandlungen, welche teils in
Hamburg und teils in London stattfanden, wurden zunächst finanzielle Zusagen
gemacht, später wurde das Problem der Räumlichkeiten vorläufig gelöst und im
Oktober desselben Jahres gelang es Saxl, eine Einladung der KBW nach London für
drei Jahre zu erreichen. Parallel dazu hatten Warburgs Brüder mit Hilfe des
amerikanischen Generalkonsuls erreicht, dass die KBW als amerikanischer Besitz
deklariert wurde, um Beschlagnahmungen durch die Nationalsozialisten zu
verhindern. Nach zähen Verhandlungen und der Zusage seitens der KBW, ca. 2.000
Bände zum Ersten Weltkrieg nicht mit in die Emigration zu nehmen, konnte die
gesamte Bibliothek mit allen Möbeln und Geräten auf die Frachter „Hermia“ und
„Jessica“ verladen werden.69 So verließ am 12. Dezember 1933 eine der
68
69
Ebd., S. 95
vgl. Diers, Michael: Porträt aus Büchern – Stichworte zur Einführung. In: Porträt aus Büchern, S. 9
39
innovativsten Einrichtungen dieser Art – im kulturhistorischen wie im
bibliothekarischen Sinne – Deutschland für immer.70
Bereits im Mai 1934 konnte die Bibliothek Warburg, welche nun „The Warburg
Institute“ hieß, den Betrieb wieder aufnehmen. Sie war nun in Thames House,
London, angesiedelt. Dazu beigetragen hatten nicht nur die Mitarbeiter selbst,
welche fast alle ebenfalls emigriert waren, sondern auch Warburgs Brüder, der
englische Kunstsammler Samuel Courtault sowie eine Reihe privater Kunstsammler
und Mäzene, welche sich zur „Warburg Society“ Zusammengeschlossen hatten, deren
Ziel es war, das Institut endgültig und fest in England zu etablieren.
Zu diesem bewährten Kreis von Mitarbeitern und Freunden stießen dann im Laufe
der dreißiger Jahre auch einige aus Deutschland ebenfalls emigrierte Wissenschaftler.
Ein Beispiel dafür ist der spätere Direktor des Hauses, Ernst H. Gombrich. Die weitere
Entwicklung bis zur endgültigen Institutionalisierung soll hier kurz zusammengefasst
werden: 1936 drohte das erneute Aus für die Bibliothek, da der Vertrag von 1933 mit
den Mäzenen, welche die Übersiedlung begleitet hatten, auslief. Abermals schaltete
sich Samuel Courtault ein und vermittelte den Umzug der Bibliothek in eins der
Gebäude in den Imperial Institute Buildings, aus denen gerade die Bibliothek der
University of London auszog. Als der II. Weltkrieg ausbrach, mussten die
Buchbestände aus diesen Gebäuden ausgelagert und in Räumen, welche unter
bibliothekarischen Gesichtspunkten schädlich sind, untergebracht werden. Während
eines Bombardements der deutschen Luftwaffe kam einer der engsten Mitarbeiter
des Institutes, der Bibliothekar Hans Meier, ums Leben und ein fast druckfertiger
dritter Band der „Bibliographie zum Nachleben der Antike“ wurde vernichtet. Bei
einem weiteren Bombardement verbrannte auch ein Teil des Katalogs.
Trotz aller Schwierigkeiten in den dreißiger und Anfang der vierziger Jahre bemühten
sich die Mitarbeiter der Bibliothek doch, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Außerdem
wurden Gefälligkeiten und Freundschaftsdienste geleistet sowie eine große
Ausstellung organisiert, welche Fotos von nicht zugänglichen Kunstwerken zeigte und
70
zu den Verhandlungen und Schwierigkeiten vgl. Buschendorf, Bernhard: Auf dem Weg nach England – Edgar
Wind und die Emigration der Bibliothek Warburg. In: Porträt aus Büchern, S. 96 ff. sowie Pfister, S. 42 f.
40
für die Londoner Bevölkerung bestimmt war, die das Angebot in den Kriegszeiten
auch gern annahm. Als der Vertrag für die Räume und Unterstützung ebenfalls
gekündigt wurde und aufgrund der geschilderten Ereignisse, sah sich das Warburg
Institute im Jahre 1943 fast der Auflösung oder der Übersiedlung in die Vereinigten
Staaten gegenüber. Auch lag ein Angebot vor, welches von der Library of Congress
und der National Gallery ausgesprochen wurde und auch den Unterhalt sicherte. Saxl
jedoch fühlte sich den Briten, welche ihn zehn Jahre lang unterstützt hatten, zu sehr
verpflichtet. In diesem Moment bekam das Institut die Chance seines Lebens: Es
sollte als kunsthistorisches Institut der University of London angegliedert werden. Es
hatte sich nämlich bei einer Studie, an der auch die British Library beteiligt war,
herausgestellt, dass 30% der Bücher, welche die Bibliothek des Warburg Institute im
Laufe der Jahre zusammengetragen hatte, in den Beständen der British Library
fehlten.71 Daraufhin äußerte sich die britische Nationalbibliothek dahingehend, dass
sie die Bestände der Warburgschen Bibliothek gern als Ergänzung zu ihren eigenen
Sammlungen in ihrer Nähe wissen wollte. Ein entsprechender Übergabevertrag
zwischen der Universität und der Familie Warburg wurde dann 1944 unterzeichnet.
Damit wurde die endgültige Institutionalisierung der emigrierten Bibliothek Warburg
in London abgeschlossen.72 In einem kleinen Aufsatz aus dem Jahre 1944 nimmt Saxl
auf die Situation seiner Bibliothek sowie auf die weltpolitische Situation Bezug und
schreibt abschließend:
„So wurde ein von einem deutschen Gelehrten geschaffenes Institut von seinen
Stiftern, in der Mehrzahl amerikanischen Bürgern, einer britischen Universität
übergeben, mit dem Wunsch, dass es den Wissenschaftlern dieses Landes
dienen und sich dem internationalen Kreise der gelehrten Gesellschaften als ein
würdiges Mitglied einreihen sollte. Vielleicht kann es auf seine bescheidene
Weise dazu beitragen, dem Humanismus in der Welt wieder seine Geltung zu
verschaffen.“73
III. 7. Die Wirkung der Bibliothek auf die jeweiligen Zeitgenossen
71
Friman, Mari u. a.: Chaos or order? : Aby Warburg’s library of cultural history. In: Knowledge Organisation –
22(1995),1, S. 25
72
zu den Problemen der Anfangszeit in London vgl. Pfister, S. 44 ff. sowie Buschendorf, Bernhard: Auf dem Weg
nach England – Edgar Wind und die Emigration der Bibliothek Warburg. In: Porträt aus Büchern, S. 110 ff.
73
Saxl, Fritz: Das Warburg-Institut. In: Porträt aus Büchern, S. 131
41
In diesem Abschnitt soll darauf eingegangen werden, wie die Bibliothek Warburg und
später das Warburg Institute auf diejenigen gewirkt hat, welche sie für ihre
Forschung genutzt haben. Dabei ist es sicher am besten, noch einmal die Mitarbeiter
selbst zu Wort kommen und sie erklären zu lassen, wie sich die Bibliothek selbst
sieht. Fritz Saxl schrieb beispielsweise in einem Artikel über die Bibliothek:
„Die Bibliothek Warburg ist sowohl Bibliothek wie Forschungsinstitut. Sie dient
der Bearbeitung eines Problems, und zwar so, dass sie erstens durch Auswahl,
Sammlung, und Anordnung des Bücher- und Bildmaterials das Problem, das sie
fördern will, darstellt und zweitens die Resultate der Forschungen, die sich auf
dieses Problem beziehen, veröffentlicht.“74
Diese zwei Dinge – darstellen und veröffentlichen – sind die Grundpfeiler der
Warburgschen Bibliothek. Sie ist einerseits ein „Museum“, in dem die Probleme in
Form von Büchern, Fotos und anderen Medien und ihrer Anordnung dargestellt
werden, andererseits ist sie ein „Labor“, in dem die Probleme, auf die gestoßen
wurde, mithilfe der vorhandenen Materialien gelöst und die Ergebnisse veröffentlicht
werden. Viele Benutzer haben damals, wenn sie zum Kreis derer gehörten, die die
Magazine betreten durften, sich aus Neugier vor die Regale gestellt und
unwahrscheinliche Entdeckungen gemacht. Gertrud Bing beschreibt es so:
„Ich würde Heinz Brauer deshalb den Besuch der Magazine nicht verwehren,
[...] Er hat in den letzten Wochen wichtige und ihn selbst sehr beglückende
Funde gemacht durch dieses „browsing“ (Frl. Reichardts Ausdruck.)“75
Dieser völlig andere Ansatz, eine Bibliothek zu gründen, zu führen und auszubauen,
ist nicht unumstritten. Wenn man sich nicht auf das „Gedankengebäude“ des
Gründers Warburg einlässt, kann man die Ordnung der Warburgschen Bibliothek
schnell für ein ausgewachsenes Chaos halten. Mitte der neunziger Jahre hat sich ein
Team von drei Wissenschaftlern der Universität Oulu in Finnland mit dem
Klassifikationsschema der Bibliothek des Warburg Institute auseinandergesetzt. Die
Wissenschaftler unterzogen das Klassifikationsschema mit dem Stand 1995 einer
Analyse und wiesen daran die wissenschaftlichen Herangehensweisen Aby Warburgs
nach. Zum Vergleich zu der in Abschnitt III. 5. geschilderten Aufstellung und
74
„Exhibition: Privatbibliothek to World Wide Web: Images from the history of the Warburg Library“ auf der
Website der Universität Hamburg. http://www.rrz.uni-hamburg.de/rz3a035/WIL6.html
75
Tagebuch, S. 123
42
Klassifikation sollen hier noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie
genannt werden.
Wie schon erwähnt wurde bereits zu Anfang der dreißiger Jahre die Farbstreifen
durch ein System von Großbuchstaben ersetzt. Das System, welches an die
Facettenklassifikation erinnert, bleibt jedoch unangetastet bzw. wird nur im Sinne
Warburgs erweitert und verbessert. Die vier Säulen der menschlichen Deutung von
Ereignissen existieren immer noch, auch wenn seit den fünfziger Jahren und dem
Umzug an den Londoner Woburn Square „Orientierung“ und „Wort“ die Plätze
getauscht haben, was zu dem in Abschnitt II. 5. besprochenen und von Gertrud Bing
beschriebenen gedanklichen Kreis führt. Zu den „Säulen“ gehören jetzt folgende
Klassen (general subject areas), welche durch den ersten Buchstaben der Signatur
gekennzeichnet werden:
„Image“:
C = European post-classical art
K = Pre-classical & Eastern art, Minoan, Greek & Roman art
„Word“:
N = Humanism, survival of classical literature, books and manuscripts,
education
E = Classical & Modern literatures
„Orientation“:
A = Philosophy
G = Eastern religions, ancient & modern
B = Comparative, Graeco-Roman & Christian religion
F = Magic & Science
„Action“:
D = Social history
H = Political history76
76
vgl. Friman, Mari u. a.: Chaos or order? : Aby Warburg’s library of cultural history. In: Knowledge Organisation
– 22(1995),1, S. 25
43
Auf diese Oberklassen folgen der zweite und dritte Buchstabe, wobei die Bedeutung
derselben an den verschiedenen Positionen unterschiedlich ist. Das folgende Schema
soll die Bedeutung der drei Buchstaben und ihre Beziehung zueinander
veranschaulichen:
Buchstabe 1 ist immer das
„general subject area“
Buchstabe 2 kann folgende
Bedeutung haben:
systematische Unterteilung
historische Unterteilung
geographische Unterteilung
In diesem Fall ist Buchstabe 3:
In diesem Fall ist Buchstabe 3:
In diesem Fall ist Buchstabe 3:
historische und
geographische Unterteilung
geographische und
systematische Unterteilung
systematische und
historische Unterteilung77
Gleichzeitig gibt es einige spezielle Eigenschaften dieser Unterteilung zu beachten.
Die Bibliothek des Warburg Institute trennt streng zwischen den „Sources“ und den
„Studies“. Ähnlich der Unterteilung in Primär- und Sekundärquellen in der
Geschichtswissenschaft sind die „Sources“ hier Bücher, welche sich mit dem Thema
selbst befassen und „Studies“ sind Bücher, welche eine wissenschaftliche oder
historische Aufarbeitung der Themen beinhalten. Die Bücher, welche den Quellen
zugeordnet werden, tragen als dritten Buchstaben quer durch alle Themen immer
das H, welches an dieser Stelle für „general“ steht. Eine weitere Unterteilung erfolgt
dann durch die Zahl, welche auf die Buchstaben folgt, wobei es immer noch so ist,
dass es keine spezifischen Signaturen für einzelne Bücher gibt. Die folgende Tabelle
soll ein Beispiel für die Hierarchie geben:
F: Magic & Science
FO: ZOOLOGY, BOTANY, PHARMACY
SOURCES
FOH 50 ff
Zoology
520 ff Botany
2005 ff Mineralogy
77
diese Tabelle wurde erarbeitet nach Ebd., S. 26
44
FOF
FON
FOM
FOB
FOG
STUDIES
Biology
Zoology
Botany
Mineralogy
Pharmacy78
Viel wichtiger als die Hierarchie sind jedoch die weiteren Eigenschaften dieses
Klassifikationssystems. Viele wurden bereits angerissen und sollen hier nur noch
einmal kurz genannt sein:
Das Aufteilen der Philosophie und die Unterbringung der Bücher bei den jeweiligen
„Philosophien“ der Unterthemen wird auch weiterhin praktiziert. Nur die allgemeine
Philosophie verbleibt bei dieser Gruppe (siehe Abschnitt II. 6.) Dies gilt ebenfalls für
andere Themen, deren Bestände zur Lösung anstehender wissenschaftlicher
Probleme oder zur Betrachtung eines Phänomens aufgeteilt werden können.
Auch das „Prinzip der Guten Nachbarschaft“ wird weiterhin erfolgreich angewandt.
Die Bücher über ein Phänomen werden mit derselben Notation versehen wie
literarische oder kunsthistorische Betrachtungen über dieses Phänomen. Hier gilt
weiterhin: Die Bibliothek Aby Warburgs ist eine „Problembibliothek“. In einem Regal
nebeneinander stehen unter der Notation DCA 1320 (Fools) beispielsweise:
·
Der weise Narr in der englischen Literatur von Erasmus bis Shakespeare
·
Clowning. An Exhibition Designed and Catalogued for Nottingham Festival
1977 by Rattenburg
·
Fools and Folly: During the Middle Ages and the Renaissance
·
Hofnarren im Mittelalter
·
Iconographical Notes towards a Definition of the Medieval Fool
·
Dwarfs and Jesters in Art
·
A Social History of the Fool
·
The Fool: His social and Literary History79
Hier werden Ansätze der Literaturwissenschaft, der Kunstgeschichte und der
Sozialgeschichte zu einem Phänomen unter einer Notation zusammengefasst.
78
79
Ebd.
Ebd., S. 26 f.
45
Außerdem werden die Polaritäten, welche sich aus den zwei unterschiedlichen
Deutungsweisen ergeben, verwendet. So gibt es sogar ein „general subject area“,
welches schon beide Polaritäten enthält: Magic & Science. Auch das kulturhistorische
Phänomen der Alchimie beispielsweise wird mit der heutigen Chemie in einer
Notation zweiten Grades zusammengefasst. Auch das bereits angerissene
„Gedächtnis der Menschheit“ wird unter der Überschrift „Memory and Symbol“ in die
Nähe der Psychologie gebracht, was größtenteils mit Warburgs Gedanken und
Denkweisen zusammenhängt, auf welche man sich auch in der heutigen Bibliothek
noch einlassen muss.
Wenn man also ein Phänomen der Kulturgeschichte in dieser Bibliothek untersuchen
will, benötigt man einen möglichst speziellen Ausgangspunkt. Dafür sind die Ordnung
und die Klassifikation da. Wenn man diesen Punkt gefunden hat, kann man das
Prinzip des browsings anwenden und wird Literatur zu den Dingen finden, welche
man untersucht, aber auch zu Dingen, die man nicht untersucht. Hier besteht die
Gefahr des Chaos, welchem man nur mit einer gewissen Einschränkung des Themas
und der Suche Herr werden kann. Eine Bibliothek, welche dem menschlichen Geist
nachempfunden ist, sieht sich ebenfalls mit einer Polarität konfrontiert: Die Ordnung
in der Bibliothek, welche notwendig ist, um die benötigte Literatur zu finden – oder
im Falle der Warburg-Bibliothek, um an den Ausgangspunkt der eigenen Suche zu
kommen – wird hier verbunden mit dem Chaos des menschlichen Geistes, welcher
durch seine Gabe, assoziativ zu denken, die Suche stark verbessern kann, da man
nur im Kopf genau weiß, was man wirklich sucht. Insofern sind beide Faktoren,
Chaos und Ordnung, notwendig, um eine derartige Bibliothek zu betreiben.80
80
vgl. Ebd., S. 29
46
IV. Die bibliothekstheoretischen Methoden Warburgs – eine
Zusammenfassung
In diesem Kapitel soll eine Zusammenfassung der in den Kapiteln II. und III.
gewonnenen Erkenntnisse erfolgen, mit dem Ziel, die Besonderheiten
herauszustellen, welche die Bibliothek Warburg oder eine hypothetische, ähnlich
einzurichtende und zu betreibende Bibliothek zu einer Besonderheit machen.
Zunächst ist wichtig zu wissen, dass es sich um eine Bibliothek von Wissenschaftlern
für Wissenschaftler handelte und handelt. Das gesamte System der Klassifikation ist
im Kopf von Wissenschaftlern mit bibliothekarischen Erfahrungen, ohne das Zutun
von rein bibliothekarisch ausgebildetem Personal, entstanden. Das hat den
historischen Grund, dass diese Bibliothek durch Aby Warburg nicht angelegt wurde,
um eine Bibliothek zu besitzen, sondern um Probleme seiner Forschungen lösen zu
können. Auch Vorgänge, die für eine konventionelle Bibliothek von existentieller
Bedeutung sind, wie eine kontrollierte Erwerbung und Katalogisierung, gab es
anfangs nicht: Erworben wurde das, was Warburg für seine Arbeit brauchte. Es gab
also keine Ausgewogenheit zwischen Erwerbungstiefe und Erwerbungsbreite, da es
nicht einmal ein ausformuliertes Erwerbungsprofil gab.
Ebenso im Kopf des Gründers der Bibliothek befand sich der Katalog. Jemand wie
Aby Warburg, der einerseits gezielt Bücher zu einzelnen Problemen sammelt und
andererseits das assoziative Denken und Forschen auf seine Fahnen geschrieben hat,
weiß aus dem Kopf, welche Bücher er besitzt und wo sie ungefähr zu finden sind.
Dies geht natürlich nur effektiv bis zu einer gewissen Menge an Literatur und nur in
47
Anwesenheit des Gründers oder langjähriger Mitarbeiter. Irgendwann führte es dazu,
dass Warburg sich in seinen Karteikästen, in denen er die Desideraten, die
eingegangenen Bücher u. ä. vermerkte, verzettelte. Als jedoch seine Krankheit seine
mehrjährige Abwesenheit bedingte und gleichzeitig die Bibliothek öffentlich gemacht
werden sollte, musste auch in diesem Haus ein mehr „bibliothekarischer Stil“ an den
Tag gelegt werden, einschließlich der Einführung einer kontrollierteren Erwerbung
und der Konstruktion zweier Kataloge.
Wie im vorigen Abschnitt beschrieben, ist es jedoch so, dass gerade bei der
Schaffung der Systematik durch Saxl und Bing damals und bei der ständigen
Erweiterung und Aktualisierung derselben durch die Mitarbeiter des Warburg
Institute heute bibliothekarische Gesichtspunkte nach herkömmlicher Art nur insoweit
eine Rolle spielen, wie sie dem Nutzer den Einstieg in das „geordnete Chaos“ und die
Orientierung darin erleichtern können. Ausschlaggebend für diese Systematik waren
und sind das „Gedankengebäude“ Warburgs und die von ihm entwickelten Theorien.
Da es sich jedoch mit ihrer innovativen Art der Wissenserschließung und –vermittlung
um eine sehr erfolgreiche Bibliothek handelte und handelt, soll hier versucht werden,
die Grundsätze der Bibliotheksarbeit Aby Warburgs und seiner Nachfolger aus den
Beschreibungen der Kapitel II. und III. zu extrahieren. Dabei treten folgende Punkte
in den Vordergrund:
1. Assoziation: Dieser Gedanke Warburgs ist der grundlegendste von allen und
sollte auch in vielerlei Gestalt in einer ähnlich seinen Gedanken aufgebauten
Bibliothek zu finden sein. Allerdings ist es fraglich, ob man eine solche
Bibliothek „aus dem Boden stampfen“ könnte, das heißt, ob man ohne das
grundlegende Problem, auf dem dann die Assoziationen aufbauen, den Faden
finden würde. Warburgs Bibliothek hätte sich ohne seine Studienthemen, sein
Promotionsthema, seine Reisen etc. nie zu dieser reichen Fundgrube
entwickeln können, die sie für Kulturwissenschaftler war und ist, da der
Ansatz, das Nachleben der Antike zu erforschen, sich nicht ergeben hätte. Die
Assoziation funktioniert nur von innen nach außen, also vom speziellen
Problem hin zum allgemeinen Thema. Am wichtigsten ist dieses Konzept bei
der Aufstellung der Bücher, was voraussetzt, dass es sich um einen
48
kompletten Freihandbestand und um eine Präsenzbibliothek handelt. Nur wer
als Suchender alle Bücher vor sich hat – kein Magazinbestand und keine
entliehenen Medien – kann mit Hilfe des „browsings“ den Aufbau und die
Aufstellung des Bestandes begreifen und anhand dieser Dinge die Lösung
seiner Forschungsprobleme in Angriff nehmen. Auch die Mitarbeiter müssen
ihren Beitrag leisten: Eine derartige Systematik erfordert sehr viel mehr
inhaltliche Beschäftigung mit dem Gesamtbestand sowie mit den neu
angeschafften Medien, als es das Einordnen von Büchern in eine vorgefertigte
Klassifikation erfordern würde. Die Medien müssen – zumindest grob –
inhaltlich verstanden werden, damit die Pflege der Systematik konsistent und
gleichmäßig voranschreiten kann. Wenn der Nutzer durch das browsing allein
den Bestand erschließen soll, muss ihm der Weg dorthin durch kompetente
Wissensspezialisten geebnet werden. Die Assoziation, die Erweiterung der
Suche in benachbarten Sachgebieten, führt auch dazu, dass
Erschließungsinstrumente über die Grenzen der konventionellen Fächer hinaus
anwendbar sind (Interdisziplinarität) und diese auch wie Facetten eines
Ganzen miteinander verbinden können. Dabei ist es notwendig, die Gliederung
des Bestandes zu überdenken bzw. dynamischer zu gestalten, was zur zweiten
wichtigen Eigenschaft führt:
2. Flexibilität: Diese Eigenschaft muss auch wieder für Bibliothekar und Nutzer
gleichermaßen gelten, da eine Bibliothek diesen Stils von einer
„Partnerschaft“, von einer Zusammenarbeit beider abhängig ist. Wie weiter
oben bereits geschildert, gilt Flexibilität hier zum Beispiel für die
Systematisierung und Aufstellung der Bücher (Schaffung neuer
Systematikgruppen etc.) sowie für die Erwerbung. Auch im Hinblick auf das
nächste Kapitel und die Beschreibung automatischer Instrumente der
Inhaltserschließung ist es hier wichtig, dass die geschilderte Methodik der
Wissenserschließung gleichermaßen anwendbar auf große und thematisch
unterschiedliche Bestände mit großen Datenmengen einerseits und
spezialisierte Bestände mit sich ähnelnden Inhalten andererseits ist. Dies führt
zum abschließenden Punkt der Kette:
49
3. Beschränkung: Bei solchen Herangehensweisen wie Assoziation und
Flexibilität, also der Erweiterung des „Wissensraumes“ von innen nach außen
sowohl im Bestand einer Wissenseinrichtung als auch im Kopf eines
Suchenden, kann es zwangsläufig dazu kommen, dass man sich einer
Datenflut gegenüber sieht, welche man als Mensch nicht mehr auswerten
kann. Beispielsweise ist der assoziative Gedanke, wenn man ihn fort spinnt,
durchaus fähig, „alle Assoziationen der Welt“ oder zumindest der Wissenschaft
nacheinander auszulösen. Hier muss ein Element greifen, welches so in
Warburgs Werk aus nachfolgenden Gründen nicht vorkam: die Beschränkung.
In materieller Hinsicht musste sich Warburg bei den Käufen für den Bestand
nie beschränken, in gedanklicher Hinsicht kam es bei Aby Warburg jedoch
häufig zu „Verzettelungen“, was die weiter oben bereits angeführten Aussagen
seines Bruders Max über den jungen Warburg sowie Saxls über den Gelehrten,
der über seinen Zettelkästen „brütet“, belegen. Von Seiten des
Wissensspezialisten bedeutet dieses Problem den schwierigen Spagat
zwischen den obigen zwei Punkten, also dem Drängen nach „außen“, und der
Entscheidung, wo beispielsweise das Erwerbungsprofil für Bücher, Dokumente
etc. endet. Aber weit schwieriger ist diese Entscheidung für den Nutzer: Er
muss seine Suche und seine Forschungen trotz der vielen Möglichkeiten der
Warburgschen Methodik letztendlich auf seine Problemstellung beschränken.
Dies setzt eine genaue Kenntnis und Sicherheit der Aufgabenstellung sowie
eine Menge Disziplin voraus und den Mut, notfalls einen „inhaltlichen
Schlussstrich“ zu ziehen. Gerade im Internet, wo einerseits alle Probleme der
Welt dargestellt werden und andererseits immer noch ein
informationswissenschaftliches Chaos herrscht und die Assoziationen auch
sehr einprägsam durch die Links dargestellt werden, ist es wichtig, durch
Beschränkung eine Gliederung des Bestandes zu erreichen. Hier müsste ein
Erschließungsinstrument ansetzen.
Diese Ausführungen bilden eine gedankliche Kette, bei der sich die Punkte 1 bis 3
gegenseitig hervorrufen. Die im nächsten Kapitel angeführten
Erschließungsmethodiken und –instrumente müssen sich fragen lassen, ob sie, aus
50
Warburgscher Sicht diesen Anforderungen genügen. Letztendlich ist es der Nutzer,
welcher genau weiß, welche Art von Wissen er benötigt. Der Informationsspezialist
kann ihm aber mit einer zeitgemäßen, nutzerfreundlichen und inhaltsspezifischen
Erschließung – solange das allgemeine Instrument nicht darunter leidet –
entgegenkommen. Hier treten wieder einmal die „Polaritäten“, das Betrachten aus
zwei unterschiedlichen Perspektiven, hervor. Einerseits muss der Inhalt der
erschlossenen Dokumente verstanden werden, andererseits ist es nötig, das
Instrument zur Erschließung des Bestandes – zur größeren Flexibilität – möglichst
allgemein zu halten.
51
V. Heutige Methoden der Sacherschließung – Anwendbarkeit im
Warburgschen Sinne
Aufbauend auf die Schlussfolgerungen des IV. Kapitels soll dieses Kapitel klären,
welche Methoden der Sacherschließung heute angewandt werden und ob und in
welchem Maße sie sich für die Warburgschen Theorien instrumentalisieren lassen.
Letztendlich wird die Frage sein: Ist Warburg wieder modern? Wie können die
informationswissenschaftlichen Grundsätze dieses Wissenschaftlers zur Verarbeitung
der heutigen Wissensmengen beitragen?
V. 1. Methoden der handwerklichen Sacherschließung
Der grundlegendste Unterschied zwischen den Methoden von heute ist wohl, dass es
die „handwerkliche“, also die vom Menschen in geistiger Arbeit vorgenommene
Sacherschließung sowie die automatische, mit Hilfe von Softwaretools
vorgenommene Sacherschließung gibt. Zur ersteren gehören solche Instrumente wie
Schlagwortvergabe und Klassifikationen, wobei es unterschiedliche Arten von
Klassifikationen sowie unterschiedliche Herangehensweisen bei der
Schlagwortvergabe gibt.
V. 1. 1. Die Schlagwortvergabe
Die „verbale Sacherschließung“, das Vergeben von Schlagwörtern, kann auf
unterschiedliche Art und Weise geschehen: Entweder unter Zuhilfenahme von
Schlagwortlisten wie beispielsweise in Deutschland der Schlagwortnormdatei (SWD)
oder Thesauri. Bei Schlagwortlisten werden die gewählten Schlagwörter zu Ketten
52
verbunden, welche das Buch oder Medium dann möglichst inhaltsnah beschreiben
sollen. Bei einem Thesaurus kommt das Element der Hierarchie hinzu. Bestimmte
Schlagwörter, welche hier „Deskriptoren“ genannt werden, sind in einer mehrstufigen
Anordnung so zueinender gesetzt, dass sich hierarchisch logische Verbindungen
ergeben. Beide Methoden arbeiten mit „kontrolliertem Vokabular“, das heißt, es sind
nur solche Schlagwörter zur Vergabe erlaubt, welche in der Schlagwortliste oder im
Thesaurus vorkommen. Damit soll sichergestellt werden, dass beim Prozess der
Inhaltsbeschreibung für ein und denselben Sachverhalt ein und derselbe Deskriptor
verwendet wird. Trotz des zugrunde liegenden Regelwerks ist bei der
Verschlagwortung jedoch immer noch Spielraum für Subjektivität. Die – um auf das
bibliothekarische Tagesgeschäft zurückzukommen – Fachreferenten könnten bei
schwierigen Fällen durchaus unterschiedliche Beschreibungen für dasselbe Medium
finden, da in ihrem Bewusstsein unterschiedliche Assoziationen ausgelöst werden. Mit
steigender Erfahrung des Referenten werden diese schwierigen Fälle jedoch weniger
werden, was auf größere Routine zurückzuführen ist.
Im Dokumentations- und verwandten Archivwesen (Medienarchive etc.) sind diese
Methodiken in Verbindung mit an die Themen angepassten Regelwerken noch immer
das Standardinstrument. Im Bibliothekswesen haben die Schlagwörter als erster
Einstieg in den Bestand allerdings ein wenig an Bedeutung eingebüßt. Dies liegt
sicherlich unter anderem daran, dass durch die OPAC-Arbeitsplätze gleichzeitig auf
die Daten der Formal- und Sacherschließung zurückgegriffen werden kann und man
mit Hilfe des Sachtitels und des Zusatzes zum Sachtitel meist schon den Inhalt eines
Mediums recht eindeutig intellektuell erfassen kann. Dies kann jedoch zu großen
Fehlern bei der Suche führen, da es sich bei den Titelstichwörtern nicht um das
kontrollierte Vokabular handelt. Ein Abgleich mit den vergebenen Schlagwörtern der
einzelnen gefundenen Medien und eine Wiederholung der Suche mit dem
kontrollierten Vokabular dürfte die Ergebnismenge deutlich erhöhen. Falls es sich
jedoch bei den Bibliotheksbeständen – wie heute sehr oft anzutreffen – um
klassifizierte, systematisierte Freihandbestände, bei denen man aufgrund der
Anordnung und mit Hilfe eines beschränkten browsings innerhalb der Sachgruppe
seine Literatur verhältnismäßig leicht findet, handelt, treten die Schlagwörter als
Suchmethodik schon wieder etwas in den Hintergrund. In wissenschaftlichen
53
Bibliotheken mit größeren Spezialbeständen sind die Schlagwörter jedoch sehr
nützlich beispielsweise zur Beschreibung des Inhalts von Büchern mit mehreren
Aufsätzen, deren Themen oft nicht alle durch den Sachtitel und seine Zusätze
abgedeckt werden können.
Im Dokumentationswesen nimmt die Ansicht zu, dass bei der heutigen Menge an
spezialisiertem Wissen die Vergabe von Schlagwörtern, gleichgültig ob aus Liste oder
Thesaurus, die Präzision des Suchergebnisses, die „Precision“, verschlechtern kann.
Dies liegt vor allem daran, dass die Schlagwortvergabe und auch die Klassifikation
„... nicht in der Lage sind, über eine rein syntaktische Gruppierung von
Schlagwörtern hinaus dokumentspezifische Beziehungen zwischen Schlagwörtern zu
erfassen und in eine Inhaltsbeschreibung aufzunehmen.“81
Nachteile einer rein verbalen Sacherschließung sind daher unter anderem:
·
Die Gefahr einer nicht konsistenten Erschließung aufgrund der vielen
Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bibliotheken an der ständigen Überarbeitung
der SWD
·
Die Gegenstände, welche erschlossen werden, stehen aufgrund der
unabhängigen und gänzlich hierarchielosen Erschließung inhaltlich „allein“ da
und können nicht so einfach zu Gruppen kombiniert werden, was dem Nutzer
aber entgegenkommen würde, da er ein gewisses Ordnungsschema benötigt,
um feststellen zu können, ob er in punkto Precision und Recall nach der Suche
richtig liegt
·
Nach den Indexaten einer Schlagwortsuche kann nicht hierarchisch oder
assoziativ gesucht werden, da durch die Schlagwörter nur Einzelgegenstände,
aber keine Themen beschrieben werden. Es fehlt das verknüpfende Element,
welches die inhaltlichen Beziehungen der Dokumente untereinander
darstellt.82
81
Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, S. 182
vgl. Heiner-Freiling, Magda: Der aktuelle Stand der Diskussion über die Dewey-Dezimalklassifikation (DDC) in
der Bundesrepublik Deutschland. In: Vorträge am Österreichischen Bibliothekartag 2000, Wien auf
http://www.uibk.ac.at/sci-org/voeb/kofsebt.html
82
54
Allerdings kann man, ähnlich dem in Abschnitt V. 2. 3. beschriebenen „Citation pearl
growing“, die Schlagwörter eines Dokuments benutzen, um die Suche zu erweitern.
Dazu muss aber erst einmal ein Dokument oder Medium gefunden werden, welches
durch den Nutzer als relevant eingestuft wurde.
V. 1. 2. Die Klassifikation
Das Hauptinstrument der Sacherschließung von heute ist jedoch die Klassifikation.
Dies war in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik nicht immer so, da es
noch Bibliotheken mit Magazinbeständen gab, welche ihre Bücher nicht systematisch
aufzustellen brauchten. So wurde nur durch Schlagwörter erschlossen und zu diesem
Zweck auch die deutschlandweit verbindlichen RSWK erarbeitet. Durch das Scheitern
des Projektes „Einheitsklassifikation“, welches zwischen 1972 und 1977 versuchte,
die unterschiedlichen angewandten Klassifikationen durch Konkordanzen miteinander
vergleichbar zu machen, geriet diese Art der Sacherschließung für einige Jahre ins
Hintertreffen. Erst durch das Aufkommen der Online-Kataloge und die Gründung der
Bibliotheksverbünde wurde es nötig, die unterschiedlichen, sich in Benutzung
befindlichen Klassifikationen miteinander kompatibel zu machen, da jetzt die
gleichzeitige Recherche in mehreren Bibliothekskatalogen sowie die
Fremddatenübernahme an der Tagesordnung waren.83
Die Klassifikation ist eine hierarchisch von außen nach innen, also vom allgemeinen
hin zum speziellen Thema, aufgebaute Anordnung von Notationen, oder, um es
anders auszudrücken, „ ... die schriftlich fixierte und systematisch geordnete
(strukturierte) Darstellung von Klassen und der zwischen ihnen bestehenden
Begriffsbeziehungen“.84 Sie legt bei der Festlegung des Wortlautes der Notationen
mehr Wert auf den Inhalt denn auf die semantischen Beziehungen untereinander.
Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, eine Klassifikation in einer
Bibliothek anzuwenden:
83
84
vgl. Klassifikationen für wissenschaftliche Bibliotheken, S. 13 ff.
Lorenz, S. 19
55
1. Als reines Rechercheinstrument, welches dem Bibliothekar und dem Nutzer
den Einstieg in die Suche in einem nach Numerus currens aufgestellten
Bestand ermöglicht und keine Auskunft über den Standort des Mediums gibt.
Die Notation stellt hier nur den Inhalt des Mediums dar. In dieser Funktion
ähnelt es dem System des Schlagwortkataloges, nur dass bei einem
systematisierten Bestand schon eine Grobgliederung vorhanden ist, auf die
der Nutzer zurückgreifen kann. Elemente des browsings greifen hier nur in
dem Maße, dass ein potentieller Nutzer die Medien einer Systematikgruppe
anhand des Kataloges durchsehen kann und auf Autopsie als Mittel der
Vorauswahl verzichtet. Bei dieser Methode muss er sich jedoch auf die
Erschließung des Bibliothekars verlassen und kann die Suche nicht assoziativ
erweitern.
2. Als Rechercheinstrument, welches Inhalt und Standort der gesuchten Medien
gleichermaßen darstellt, wobei die Notation schon ein Teil der
Individualsignatur ist. Die Signatur ist hier „ ... ein formelhafter Ausdruck für
den Platz, den das Buch innerhalb der Gesamtaufstellung einnimmt; sie
fungiert im Katalog als Stellvertreter des Buches und zugleich als Wegweiser
zu ihm“.85 Der entscheidende Vorteil einer systematischen Aufstellung ist „ ...
für den Benutzer die Möglichkeit des direkten Zugangs zum Gesamtbestand
der Bibliothek (Autopsie) ohne Rücksicht auf Fachgrenzen und
Einzelregelungen von Instituten. Benutzer geraten nicht mehr in die Rolle
eines ‚Bittstellers’, verbringen weniger Wartezeit bei der Ausleihe und haben
Zugang auch ohne Katalog“.86 Hier kommt man den Warburgschen Methoden
schon näher; der Bestand ist zwar immer noch „bibliothekarisch“ gegliedert,
die Möglichkeit des browsings besteht jedoch.
Mögliche Kritiker des zweiten Modells könnten bei ihren Einwänden genau da
ansetzen, wo es auch in Warburgs Theorien bzw. in seiner täglichen Arbeit in der
Bibliothek zu gewissen Problemen kam. Die Warburgsche Systematik ist auch eine
Aufstellungssystematik, wenn auch eine im theoretischen Ansatz viel ausgefeiltere als
die konventionellen. Also ist die Pflege einer solchen Systematik Personal-, Zeit-, und
85
86
Ebd., S. 25
Ebd., S. 30
56
Arbeitsaufwendig; auf Änderungen oder Erweiterungen der Systematik folgen auch
immer Änderungen der Aufstellung, was zu Lasten das Platzes in einer Bibliothek
geht. Auch die Erweiterungsfähigkeit einer konventionellen Systematik ist, gerade bei
den Dezimalklassifikationen, nicht unendlich. Außerdem kann man bemängeln, dass
die Reihen und Serien zu Problemen bei der Aufstellung des Bestandes führen
können.87 Kurz, hier treten genau die „Probleme“ zutage, mit den Warburg und seine
Mitstreiter während ihrer ganzen Arbeitszeit in Hamburg zu kämpfen hatten und
welche in den Kapiteln II. und III. geschildert wurden. Warburg jedoch nahm diese
Probleme billigend in Kauf, um die Qualität des bereitgestellten und vermittelten
Wissens sehr hoch zu halten.
·
Geld- und Personalsorgen hatte er aufgrund seines Vermögens kaum.
·
Der Platzmangel konnte durch den Zweckbau, den seine Familie ebenfalls
finanzierte, behoben werden.
·
Das „Hin- und Herschieben“ der einzelnen Bestände hielt er aufgrund seiner
theoretischen Ansätze ebenfalls für nötig, damit der Bestand in seiner
Gliederung immer den Erfordernissen der Forschungslage entsprach;
außerdem konnte so erreicht werden, dass die Bibliothekare das Wissen,
welches in den Büchern steckt, aktiver im Kopf behalten konnten.
·
Die Reihen und Serien stellte er aus den beschriebenen Gründen mit Absicht
an die inhaltlich richtigen Stellen.
·
Die ständige Erweiterung der Systematik hielt Warburg für geradezu
essentiell.
Für Warburg waren die Probleme einer Aufstellungsbasierten Klassifikation also
höchstens kleine, lösbare Probleme, wenn nicht sogar nützlich.
Eine mögliche Einteilung für Klassifikationen kann anhand der Strukturierungsmittel,
welche bei ihrer Gestaltung eingesetzt wurden, vorgenommen werden.
1. Präkombinierte Klassifikationssysteme
2. Klassifikationssysteme mit Schlüsseln
3. Facettenklassifikationen88
87
vgl. Ebd., S. 29
57
Die Unterschiede zwischen diesen Formen wirken sich nachhaltig auf die Flexibilität
bei der Erschließung der Dokumente oder Medien aus. Bei konventionellen,
präkombinierten Klassifikationen werden die begrifflichen Präkombinationen, also die
von Anfang an festgelegten Möglichkeiten der Inhaltsbeschreibung, zu Klassen, in
welche das Medium eingeordnet wird. Ein großer Vorteil ist, wie beschrieben, dass
eine solche Klassifikation auch als Aufstellungssystematik genutzt werden kann. Die
Nachteile dieses Instruments sind 1. eine ungleiche Konstruktion der
Hierarchieebenen aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse bei der Beschreibung von
Gegebenheiten der einzelnen Wissensgebiete und 2. kann mit diesem Instrument der
spezifische Inhalt eines Dokuments oftmals schwer dargestellt werden, da man nur
die vorgegebenen Klassen zur Verfügung hat und somit zum Beispiel spezielle
geographische, zeitliche oder Formbeschreibende Aspekte nur schwer berücksichtigt
werden können.89
Bei einem Klassifikationssystem mit Schlüsseln handelt es sich um eine Zwischenstufe
auf dem Wege zur Facettenklassifikation. Hier werden die allgemeinen
präkombinierten Klassen aufgelöst und es besteht die Möglichkeit, die Notation mit
einem oder mehreren Schlüsseln zu versehen und somit den Inhalt des zu
erschließenden Dokuments spezifischer darzustellen. Für den Suchenden ergibt sich
hier bereits die Möglichkeit, die Treffermenge durch die Auswahl von speziellen
Merkmalen (Geographika etc.) einzuengen. Allerdings ist es schwieriger, eine solche
Klassifikation zur Aufstellung von Medien zu verwenden.90 Für das dritte Modell, die
Facettenklassifikation, soll aufgrund ihrer Bedeutung und ihrer vielen
Berührungspunkte mit Warburgschen Ansätzen ein eigener Abschnitt bearbeitet
werden.
V. 1. 3. Die Facettenklassifikation
Eine Art Zwischending zwischen der Schlagwortvergabe und der konventionellen
Klassifikation sowohl von der Benutzung als auch vom Grad der Formalität her ist die
88
vgl. Gödert: Typen von Klassifikationssystemen und ihre Struktur. PDF-Dokument unter http://www.fbi.fhkoeln.de/fachbereich/personen/goedert/goedert_lehre.htm
89
vgl. Ebd., S. 11 f.
90
vgl. Ebd., S. 12
58
Facettenklassifikation. Sie kombiniert Begriffe (den Schlagwörtern ähnlich) nach
bestimmten Regeln so miteinander, dass möglichst viele Aspekte des zu
beschreibenden Sachverhalts abgedeckt werden.
Diese Art von Klassifikation wurde das erste Mal im Jahre 1933 von S. R.
Ranganathan herausgebracht.91 Ihre Bedeutung steigerte sich jedoch erst nach dem
II. Weltkrieg, was unter anderem folgende Gründe hatte:
1. Themen und Titel wurden vor allem in Zeitschriften und bei Dissertationen
immer spezieller, was eine Systematisierung erschwerte
2. Aus bisherigen Wissenschaften entwickeln sich Fächer übergreifend neue
Disziplinen, die besonders viel Literatur produzieren. Durch die aufkommende
Interdisziplinarität kommt es bei der Einordnung in konventionelle
Systematiken zu Dopplungen, was gerade bei der Aufstellung der Bücher
nachteilig ist.
3. Bei Erschließung und Retrieval zeigen sich Unzulänglichkeiten bei den
hierarchischen Klassifikationen, was an der Menge und dem
Spezialisierungsgrad der Literatur liegt.
4. Die wachsenden Möglichkeiten der Datenverarbeitung sollten genutzt werden,
mit deren Methoden man jeden Aspekt des Themas ansprechen könnte und
nicht mehr den Einstieg über die Hierarchie finden müsste. Außerdem ließen
sich mit Hilfe der EDV einzelne Aspekte bei der Suche miteinander
kombinieren.92
Die Facettenklassifikation verzichtet auf eine Hierarchie und ist dennoch in der Lage,
sowohl komplexe als auch sehr spezielle Themen einer Inhaltsbeschreibung zu
unterziehen. Das Erstellen eines solchen Systems erfordert große Beschäftigung mit
den Themen, mit denen sich die Klassifikation befassen soll. Aus Fachwörterbüchern
etc. werden Fachtermini extrahiert, aus denen dann die Facetten gewonnen werden.
Jede Facette stellt ein mögliches Wesensmerkmal des zu erschließenden Dokuments
dar. Anzahl und Art der Facetten sowie der „Isolaten“ (die „erlaubten“ Begriffe
innerhalb einer Facette) sind abhängig von den Notwendigkeiten des jeweiligen
91
92
Lorenz, S. 107
vgl. Ebd.
59
Wissensgebietes. Facetten können unter anderem Inhalte, Formen, Zeiten aber auch
Bezüge zu anderen Themen und weitere Merkmale des zu erschließenden
Dokuments sein, wobei sich alle Facetten grundsätzlich gleichwertig sind. Die
Ordnung der Facetten erfolgt – auch im Hinblick auf die Notationsbildung – von dem
„wichtigsten“ bzw. „konkretesten“ Aspekt des Dokuments angefangen in
absteigender Reihenfolge, wobei das System erst richtig funktioniert, wenn gerade
auch die Randgebiete des zu erschließenden Dokuments mit bedacht werden, da die
Inhaltsbeschreibung desselben dann viele Facetten aufweist und so bei einer
Recherche von vielen unterschiedlichen Stellen aus gefunden werden kann. Auf die
inhaltlichen Facetten folgen, ähnlich den hinteren Stellen bei den RSWK-Ketten, die
formalen Facetten, welche über Orte, Zeiten, Publikationsformen und ähnliches
informieren. Die Kombination all dieser Facetten soll das Dokument möglichst präzise
und aus möglichst vielen Blickwinkeln gleichzeitig beschreiben.93
Die Vorteile eines solchen Systems liegen auf der Hand: Durch die flexible
Handhabung und die nichthierarchische Gestaltung kann ein Dokument nach seinen
Gegebenheiten und im Einklang mit den Besonderheiten des Wissensgebietes – oder
der Wissensgebiete – aus dem es stammt, präzise aber sehr flexibel erschlossen
werden. Durch das Nichtvorhandensein einer Hierarchie veraltet ein solches System
nicht so schnell, da die sich stets verändernde hierarchische Einteilung und
Gliederung der Wissenschaften hier keinen Niederschlag findet. Ein weiterer Vorteil
ergibt sich aus der Kombination der Facettenklassifikation mit den Möglichkeiten der
EDV: Bei einer Suche kann jede Facette sofort angesprungen werden und dann kann
die Treffermenge durch Hinzufügen oder Entfernen weiterer Facetten eingeengt oder
erweitert werden. Allerdings erfordert das Arbeiten mit einem solchen System,
ähnlich wie bei der Warburgschen Systematik, ein hohes Maß an Kenntnissen sowohl
der wissenschaftlichen Inhalte als auch des Erschließungsinstruments, um eine hohe
Qualität und eine gleich bleibende Konsistenz der Erschließung zu gewährleisten.94
93
Zu den Merkmalen und Besonderheiten der Facettenklassifikation vgl. Ebd., S. 107 ff. sowie Gödert: Typen von
Klassifikationssystemen ...
94
zu den Vorteilen vgl. Lorenz, S. 111
60
Für eine Buchaufstellung ist dieses System jedoch ungeeignet, da man ein zu
erschließendes Medium hier quasi einer „Stammfacette“ zuordnen müsste, um seinen
Standort festzulegen, was nicht im Sinne des Systems ist.
Es ergeben sich einige Berührungspunkte zwischen dem eben geschilderten System
der Facettenklassifikation und den Warburgschen Ansätzen und deren praktischen
Umsetzungen in den Bibliotheken in Hamburg und London. Da die Warburgsche
Systematik für eine Buchaufstellung konzipiert war, konnte sie nicht ganz ohne
Hierarchie auskommen. Allerdings musste sie immer mit Warburgs Theorien im
Einklang bleiben, was auf eine Mischform aus Aufstellungssystematik und facettierter
Klassifikation hinauslief. Die Farbstreifen bzw. Buchstaben zweiter und dritter
Ordnung sind, wie in Abschnitt III. 7. beschrieben, in ähnlicher Weise konzipiert
worden wie Facetten, allerdings wurde, um die Bücher aufstellen zu können, eine
Ordnung zugrunde gelegt, die den Ablauf der einzelnen Gebiete innerhalb eines
Themas regelt. Die Eingliederung der „general subject areas“ in die vier großen
geistigen Teile der Bibliothek sowie die Unterteilung der GSA in Unterthemen bei den
„studies“ tragen jedoch eindeutig hierarchische Züge. Insofern ist das Warburgsche
System eine Mischform aus hierarchischer und facettierter Klassifikation.
Ein weiterer Berührungspunkt ist die Herangehensweise an die inhaltliche
Gliederung. Sowohl bei Warburg als auch bei der Methode der Facettenklassifikation
werden die einzelnen Bestandteile so gebildet und untergliedert, wie es die
Gegebenheiten und Notwendigkeiten der einzelnen Wissenschaften erfordern.
Außerdem besteht bei beiden Modellen durch das Vorhandensein von Lücken und
durch den hierarchielosen (bzw. –armen bei Warburg) Aufbau die Möglichkeit einer
schnellen Erweiterung oder Aktualisierung, ohne das ganze System überarbeiten zu
müssen. Dies war in Kapitel IV. mit dem Stichwort „Flexibilität“ beschrieben worden
und findet sich sowohl bei Warburg als auch bei der Facettenklassifikation.
Der wohl wichtigste Berührungspunkt ist aber sicherlich der
informationswissenschaftliche Ansatz, welcher beiden Modellen zugrunde liegt: Die
Recherche von innen nach außen. Was bei Warburg das „Problem“ ist, ist hier die
inhaltliche Facette, mit der der Nutzer seine Suche beginnen kann. Im Gegensatz zu
61
den hierarchischen Klassifikationen, bei denen das Problem des Nutzers erst in die
Hierarchieebenen umformuliert werden muss, was zu Komplikationen führen kann,
da in einigen Fällen – bewusst oder unbewusst – beim Nutzer Unsicherheit über das
Informationsbedürfnis besteht (Abschnitt V. 3. 3.), kann hier mit einem beliebigen
Aspekt des Problems begonnen und die Suche dann durch das Hinzuziehen weiterer
Facetten fortgesetzt werden. Dies ähnelt dem Warburgschen Prinzip der Assoziation.
Auch wird die „Ausbeute“ an Wissen bei einer solchen Suche höher sein, da alle
Treffer aufgelistet werden, die sich mit dem gesuchten Thema befassen, egal ob als
Hauptthema oder als nebensächlich behandeltes Thema. Letztere Treffer wären bei
der Benutzung einer konventionellen Klassifikation nicht erschienen, da sie unter dem
Thema zu finden gewesen wären, mit dem sie sich hauptsächlich befassen.
Dies führt zu einem weiteren Berührungspunkt: Bei einer Facettenklassifikation ist es
möglich und auch erwünscht, Randthemen des zu erschließenden Buches bzw.
Dokumentes mit in die Erschließung einzubeziehen. Dies ist hilfreich bei Dokumenten
aus Wissenschaften, welche Fächer übergreifend bzw. interdisziplinär sind und damit
mehrere potentielle Möglichkeiten einer Eingliederung in eine konventionelle
Klassifikation aufweisen und damit zu Problemen bei einer Suche führen würden.
Durch die Anwendung einer Facettenklassifikation wird dieses Problem umgangen
und der Nutzer findet auch Dokumente, welche sonst gar nicht unter diesem Punkt
erschlossen worden wären. Die geschilderte Herangehensweise ist mit Warburgs
grenzenlosem „Denkraum“ vergleichbar bzw. mit dem in den vorherigen Kapiteln
beschriebenen Prinzip der Interdisziplinarität. Auch kann man hier die Erschließung
von Beständen mit einer hohen Erwerbungstiefe besser durchführen, da das
Facettenmodell eine speziellere Beschreibung des Inhalts eines Dokuments
ermöglicht und nicht einfach alles, was sich einigermaßen inhaltlich ähnelt, in eine
Systematikgruppe gesteckt wird. Die Facettenklassifikation entfaltet also ihre
Wirkung am besten bei Spezialbeständen mit großer inhaltlicher Tiefe, was ja auch
auf die Bibliothek des Warburg Institute zutrifft.
V. 2. Methoden der automatischen Sacherschließung
62
V. 2. 1. Der historische Hintergrund
Bei der automatischen Sacherschließung, welche seit den sechziger Jahren erforscht
und entwickelt wird, liegt das Augenmerk auf der Auswertung großer Datenmengen
unter Berücksichtigung vorher festgelegter Spezifikationen. Es handelt sich dabei um
Software, welche die ihr zur Verfügung gestellten Texte oder sonstigen Dokumente
nach semantischen oder syntaktischen Gesichtspunkten auswertet oder die
Häufigkeit und Anordnung gewählter Wörter innerhalb des oder der Texte an den
Anwender zurückgibt. Eine der Herangehensweisen an diese Problematik, die
Theorien des Gerald Salton und das darauf aufgebaute Tool SMART sollen an
späterer Stelle genauer unter die Lupe genommen werden, da sie durchaus
Ähnlichkeiten mit Warburgs Assoziationen aufweisen.
Zunächst soll hier kurz auf die Geschichte der automatischen Inhaltserschließung
eingegangen werden. Seit Anfang der Fünfziger Jahre werden, meist an den
ausbildenden Einrichtungen des Bibliotheks- und Informationswesens, regelmäßig
Retrievaltests durchgeführt. Am Anfang waren dies noch Vergleiche verschiedener
intellektueller Ansätze der verbalen Sacherschließung, später richtete sich das
Augenmerk dann auf die Evaluierung automatischer Tools zur Indexierung und zum
Retrieval. Es stellte sich sehr bald heraus, dass für die Suche eine Erschließung der
Bestände mit natürlichsprachlichen Mitteln eine ähnlich hohe Trefferquote erzielen
konnte wie mit kontrolliertem Vokabular, was sich mit der Erkenntnis deckt, dass der
Nutzer selbst am besten weiß, welche Art von Information er benötigt. Daraus ergab
sich die Entwicklung der so genannten „Relevance Feedback“-Modelle, welche es
erlauben, die Parameter einer Suche nach dem ersten Durchgang abzuändern und so
einen möglichen „Drall“ der Suchergebnisse hin zu einem vom Suchenden nicht
gewünschten Thema zu vermeiden. Diese durch die „Iteration“ erhaltenen
Ergebnisse des zweiten Suchdurchgangs sind dann den vom Suchenden
gewünschten Themen schon viel näher und beinhalten unter Umständen auch
Treffer, welche durch das Erschließen mit verbalen Methoden nicht gefunden worden
wären. Wie bei Warburg hat der Suchende am Anfang des Prozesses eine Frage,
welche er dann mit assoziativen Methoden, durch das eigenständige Verändern der
Suchkriterien, versuchen kann zu beantworten. Dies wurde unter anderem bei den
63
Projekten der Salton-Schule erforscht und entwickelt.95 Die Unterschiede zwischen
den Strategien der erfahrenen Datenbankexperten einerseits und der unerfahrenen
Nutzer andererseits bei den Retrievaltests zeigt das folgende Zitat:
„Differiert das Themenverständnis der Versuchsperson von dem des Jurors,
wirkt sich das nicht nur in der Beurteilung der gefundenen Dokumente aus,
sondern es bestimmt durch die entsprechende Suchfrageformulierung auch,
welche Dokumente überhaupt gefunden werden und somit für die Beurteilung
vorliegen. Darüber hinaus führt dieses Beispiel vor Augen, wie groß der Einfluss
der Versuchspersonen bei derartigen Tests ist und wie schwierig es ist, letztlich
die Leistung des Retrievalsystems von den Fähigkeiten der Recherchierenden
Personen zu trennen.“96
Etwas später heißt es dann über die unerfahrenen Rechercheure weiter: „Gleichzeitig
haben weniger rechercheerfahrene Versuchspersonen teilweise bei einzelnen
Fragestellungen bessere Ergebnisse erzielt als erfahrene Versuchspersonen. Die
weniger erfahrenen Versuchspersonen haben in diesen Fällen die Frage
unmittelbarer in Suchbegriffe umgesetzt und weniger ausgefeilte Strategien
angewendet.“97 Dies zeigt, dass auch die unmittelbare Kommunikation zwischen dem
Nutzer und dem Retrievalsystem, ohne die „Dazwischenschaltung“ eines
Informationsspezialisten, funktionieren kann. Im Hinblick auf die weitere gezielte
Nutzbarmachung der enormen Wissensmengen des Internets ist dies eine wichtige
Erkenntnis.
V. 2. 2. SMART – das Vektorraummodell
In diesem Abschnitt soll das Modell des Gerald Salton beschrieben werden, welches
eine mathematische Grundlage zur Verarbeitung der Informationen verwendet. Auch
hier gibt es Berührungspunkte mit Warburg, die an entsprechender Stelle erläutert
werden sollen.
Bei konventionellen Retrievalsystemen liegt im Hintergrund die so genannte
„invertierte Liste“, welche für alle Deskriptoren die Verweise auf die entsprechenden
95
zur historischen Entwicklung vgl. Sachse, Elisabeth [u. a.]: Automatische Indexierung unter Einbeziehung
semantischer Relationen, S. 7 ff.
96
Ebd., S. 21
97
Ebd., S. 21 f.
64
Dokumente enthält, so dass die Suchanfrage nur mit der invertierten Liste und nicht
mit den – falls vorhanden – Volltexten verglichen werden muss. Dies ist eine große
Zeitersparnis und ein unbestrittener Vorteil. Ein weiterer Vorteil kann darin liegen,
dass, ähnlich wie bei der Schlagwortvergabe, das kontrollierte Vokabular durch die
Indexierer so routiniert und konsequent vergeben wird, dass wirklich eine sehr
konsistente Erschließung des Materials vorliegt. Arbeiten jedoch mehrere Indexierer
an einer Dokumentation oder das Personal wird ausgetauscht, kann es zu Brüchen in
der Erschließung des Materials kommen. Ein weiteres Problem ist die Darstellung der
syntaktischen Beziehungen der Dokumente untereinander. In Retrievalsystemen ist
die Beurteilung und Ausgabe von „benachbarten“ Dokumenten meist schwierig, da
die invertierte Liste willkürlich geordnet ist. Die Suche in der „Nachbarschaft“, also
das assoziative Herangehen und Erweitern der Suche, ist aber für spezialisierte,
Fächerübergreifende oder einfach nur sehr große Datenmengen wichtig, um von
einem Punkt ausgehend die Suche mit möglichst hoher und vor allem relevanter
„Ausbeute“ abschließen zu können. In den letzten Jahren sind zu diesem Zweck
verstärkt Verfahren zur Deskriptorgewichtung aufgekommen, um zumindest während
des Suchprozesses ein ranking erstellen zu können, was dann dem Nutzer erlaubt,
gefundene Dokumente besser beurteilen zu können, ohne sie erst lesen zu müssen.
Dieses Problem, das Berechnen und Darstellen der Beziehungen zwischen den
einzelnen Dokumenten einer Datenbank, ist dann auch das Hauptanliegen des
SMART-Projekts.98
Zunächst geht das Vektorraummodell von zwei grundlegenden gedanklichen
Voraussetzungen aus, die hier genannt seien:
1. Der Wissensraum hat so viele Dimensionen, wie Deskriptoren verwendet
wurden.
2. Jedes Dokument ist der Endpunkt eines Vektors, was bedeutet, jedes
Dokument hat seinen Platz im Wissensraum.99
Dies ist ein sehr abstraktes Modell. Da der Mensch sich in seinen Denkprozessen nur
drei Dimensionen vorstellen und auch nur so viele grafisch darstellen kann, wird bei
der Erklärung dieses Modells meist mit einem dreidimensionalen Raum gearbeitet.
98
99
zu den Vor- und Nachteilen konventioneller Retrievalsysteme vgl. Salton, S. 125 ff.
vgl. Ebd., S. 136 f.
65
Das SMART-System verfügt über die nachfolgend aufgelisteten Fähigkeiten, welche
weiter unten detaillierter erläutert werden:
1. „Es benutzt vollautomatische Indexierungsverfahren zur Vergabe von
Deskriptoren.
2. Es sammelt inhaltlich verwandte Dokumente in Sachgebietsklassen. Dadurch
wird es möglich, die Informationssuche mit den spezifischen Dokumenten
eines Sachgebietes zu beginnen und dann über Dokumente von
Nachbargebieten fortzusetzen.
3. Es bestimmt Dokumente durch eine Berechnung der Ähnlichkeit zwischen den
gespeicherten Dokumenten und der Suchanfrage. Es erstellt zudem eine
Rangfolge der nachgewiesenen Dokumente entsprechend ihrer Ähnlichkeit zur
Suchanfrage.
4. Es verfügt über ein Verfahren zur automatischen Präzisierung von
Suchanfragen, das auf die bereits nachgewiesenen Informationen
zurückgreift.“100
Es soll hier noch kurz angemerkt werden, dass bei der Beschreibung der Arbeitsweise
des SMART-Systems darauf verzichtet wird, die mathematischen Formeln zu zitieren.
Stattdessen wird eine verbale Erklärung versucht werden.
Werden nun Dokumente in die Datenbank aufgenommen, also indexiert, so passiert
das vollautomatisch. Das System extrahiert aus dem Text des Dokuments die
Deskriptoren, wobei es sich um Wörter aus dem Dokumenttext oder auch um
Mehrwortbegriffe handeln kann. Bei der Analyse der Dokumente wird darauf
geachtet, dass die Begriffe, welche später als Grundlage für die Bildung von
Deskriptoren dienen, in den Abstracts oder den Volltexten – je nachdem, welche Art
Dokumente indexiert werden sollen – nicht zu selten und nicht zu häufig vorkommen.
Nur Begriffe mit mittlerer Häufigkeit können nach dieser Theorie einzelne Dokumente
gut beschreiben und sind deswegen besser dafür geeignet, das Dokument von den
anderen Dokumenten der Datenbank zu unterscheiden. Begriffe mit einer höheren
Häufigkeit gelten als zu allgemein und zu unspezifisch, werden aber noch dazu
66
verwandt, Mehrwortbegriffe aus sich selbst und anderen Begriffen zu kombinieren,
um diese dann als Deskriptoren verwenden zu können. Begriffe, welche den vorher
festgelegten Schwellenwert unterschreiten, sind meist zu spezifisch und werden mit
Hilfe der bereits vorhandenen Deskriptoren der Datenbank sowie mit untergelegten
Thesauri verallgemeinert und so den Deskriptoren hinzugefügt.101
Um all diese sprachlichen und inhaltlichen Analysen durchführen zu können – noch
vor dem Abgleich von Suchanfragen mit den abgelegten Dokumenten – ist ein
umfangreiches Hintergrundmaterial notwendig, welches in das System integriert
wurde. Diese Sprachanalysekomponenten sind:
1. Synonymwörterbücher oder Thesauri zur Gruppierung einzelner Begriffe in
synonyme Begriffsklassen oder Klassen verwandter Begriffe. Mit einem
Thesaurus kann der ursprüngliche Begriff durch eine Klasse verwandter
Begriffe ersetzt werden, um eine breitere Deskribierung zu erzielen.
2. Begriffshierarchien, um Begriffe eines bestimmten Sachgebietes miteinander
verknüpfen zu können. Mit Begriffshierarchien kann die standardmäßige
Deskribierung von Dokumenten dadurch erweitert werden, dass hierarchisch
höher stehende Begriffe (Oberbegriffe) und hierarchisch tiefer stehende
Begriffe (Unterbegriffe) zusätzlich verwendet werden.
3. Eine syntaktische Analyse zur Spezifikation syntaktischer Rollen und zur
Deskribierung mit Mehrwortbegriffen und größeren syntaktischen Einheiten.
Mit einer syntaktischen Analyse können sehr spezifische Deskriptoren
generiert werden. Ferner wird die Erzeugung nichtsinntragender
Mehrwortbegriffe durch statistische Mehrwortbegriffsbildungsverfahren
unterbunden.
4. Eine semantische Analyse, die zur Generierung semantischer Informationen
der jeweiligen syntaktischen Rollen dient. Die semantische Analyse basiert auf
einer Wissensbasis, die meist über „semantische Netze“ oder andere
Beziehungssysteme realisiert wird.102
100
101
102
Ebd., S. 127
vgl. Ebd., S. 136
Ebd., S. 138 f.
67
Wird nun ein Dokument durch den Indexierungsprozess geschickt, geschieht
folgendes:
1. Extraktion der einzelnen Wörter eines Abstracts bzw. einer Suchanfrage
2. Ausschluss von Hochfrequenzbegriffen mit Hilfe einer Stoppwortliste
3. Reduzierung der übrigen Begriffe auf die Wortstämme unter Verwendung
einer Suffixanalyse
4. Zusammenfassung von mehrfach gefundenen Begriffen zu einem Deskriptor,
welcher dem Dokumentvektor oder dem Vektor der Suchanfrage hinzugefügt
wird.
Um dem maschinellen Erstellen der Deskriptoren eine intellektuelle Note geben und
damit die Suche weiter präzisieren und den Vorstellungen des Suchenden angleichen
zu können, kann nun noch einem oder mehreren der gefundenen Deskriptoren ein
bestimmtes Gewicht zugeordnet werden, was mit Hilfe von Worthäufigkeiten bzw.
Wortstellungen innerhalb des zu indexierenden Abstracts oder Volltextes
geschieht.103
Nun „trifft“ das indexierte Dokument auf andere Dokumente innerhalb des
Vektorraums. Das System berechnet die Ähnlichkeit von Dokumenten miteinander
durch den Winkel, welchen die Vektoren der Dokumente zueinander haben. Je
kleiner der Winkel zwischen den Vektoren, desto ähnlicher sind sich die Dokumente.
Es wird also nicht mehr auf einer völligen Übereinstimmung zwischen Anfrage und
Suchergebnis bestanden, sondern durch mathematische Prozesse die Ähnlichkeit
festgestellt und die ähnlichsten Dokumente als ein ranking ausgegeben. Bei der
Berechnung der Ähnlichkeit spielen sowohl die vergebenen Deskriptoren als auch die
Despriptorgewichtung, welche während des Indexierens angegeben werden kann,
eine Rolle und bestimmen so letztendlich die Position des Dokuments im
Vektorraum.104
SMART ist mit Tools ausgestattet, die es gestatten mehrere ähnliche Dokumente und
deren Vektoren zu so genannten Clustern zusammenzufassen. Die
Zusammenstellung der Dokumente zu Clustern erfolgt automatisch nach
103
104
vgl. Ebd., S. 139 f.
zur Berechnung der Ähnlichkeiten vgl. Ebd., S. 128 f.
68
vorgegebenen Spezifikationen. So können ähnliche Dokumente in viele kleinere, aber
auch in wenige große Cluster unterteilt werden. Sinn des ganzen ist es, alle
Dokumente mit ähnlichem Inhalt nahe beieinander zu haben, wobei es durchaus sein
kann und auch beabsichtigt ist, dass einige Dokumente zu mehreren Clustern
gleichzeitig gehören, da diese Dokumente mehrere Themen berühren. Diese
Überlappungen sind der Anwendung der Facetten bei der in Abschnitt V. 1. 3.
beschriebenen Facettenklassifikation sehr ähnlich, da auch hier aufgrund des
Vorkommens gemeinsamer Aspekte des Inhalts oder anderer Gemeinsamkeiten
besser auf die benachbarten Dokumente zugegriffen werden kann. Aus dem
Mittelwert der Dokumentvektoren wird dann der so genannte Zentroidvektor
berechnet, welcher stellvertretend für alle Dokumente des Clusters agiert, bis der
spezifische Inhalt des Clusters betrachtet werden soll. Das ganze lässt sich auf
mehreren Ebenen praktizieren, was ganz von der Menge der Dokumente in der
Gesamtdatenbank abhängt. Die Cluster können dann ihrerseits zu Superclustern
zusammengefasst werden, wobei es auch wieder zu Überlappungen kommen
kann.105
Wird nun eine Anfrage formuliert, wendet das System die selben Schritte wie bei
einer Indexierung an. Die Begriffe der Anfrage werden also sprachlich bearbeitet, zu
Deskriptoren bzw. Vektoren umgewandelt und mit dem bisher indexierten Material
verglichen. Für die Anfrage wird ein Vektor generiert, welcher seinen Endpunkt an
einer bestimmten Stelle in diesem mehrdimensionalen Raum hat. Die dort
vorgefundenen Dokumente werden dem Nutzer zur Beurteilung ausgegeben, wobei
man die „Nähe“ vorher definieren kann. Nun greift ein weiteres Feature des SMARTSystems: das Relevanzfeedback. Alle ausgegebenen Dokumente können nun vom
Nutzer auf ihre Relevanz hin überprüft werden und mit einem „relevant“ oder „nicht
relevant“ gekennzeichnet werden. Das System formuliert nun die Suchanfrage
aufgrund der übrig gebliebenen Dokumente neu und gibt eine neue Liste gefundener
Dokumente aus. Dabei hat sich der Vektor der Suchanfrage verschoben und zeigt
jetzt deutlicher in die Richtung, in der sich das Wissen, welcher der Nutzer benötigt,
in diesem Wissensraum befindet. Dabei kann es sein, dass Dokumente gefunden
werden, welche der Nutzer gar nicht erwartet hatte, ihm aber nun, aufgrund
105
vgl. zur Clusterung Ebd., S. 131 ff.
69
assoziativer Erweiterung der Suche, zugänglich sind. Dieses Vorgehen kann
theoretisch beliebig oft wiederholt werden, bis das Wissensbedürfnis des Nutzers
befriedigt ist oder das System keine neuen relevanten Dokumente mehr findet.106 In
der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, dass sich nach der zweiten Reformulierung
der Suchanfrage das Retrievalergebnis in der Regel nicht weiter verbessern lässt.107
Etwas komplexer findet der Prozess statt, wenn die Datenbank in Cluster aufgeteilt
ist: Ein zu indexierendes Dokument wird nach den oben beschriebenen Methoden
behandelt, gleichzeitig wird durch das System versucht, das neue Dokument einem
bestehenden Cluster hinzuzufügen. Wie bei einer Anfrage vergleicht das System die
Vektoren – in diesem Fall die Zentroiden – und ordnet das Dokument dem Cluster zu,
mit dem es die größte Ähnlichkeit aufweist. Sollte es zu keinem der Cluster inhaltlich
gehören, bleibt das Dokument außen vor; es bildet sich also, ähnlich wie bei
Warburgs Systematikgruppen, die extra für ein Buch neu geschaffen werden können,
ein neuer Cluster für dieses eine Dokument. Sollte jedoch das neue Dokument in
einen Cluster hineinpassen, wird es mit diesem vereinigt und der Zentroidvektor mit
den neuen Daten neu berechnet. Durch das neue Dokument hat sich die Lage des
Clusters und dessen Zentroidvektor leicht verschoben. Eine dritte Möglichkeit ist die,
dass das neue Dokument zwar in einen der Cluster hineinpasst, mit diesem jedoch
den Cluster „überfüllt“, das heißt seinen Schwellenwert für die Größe der Cluster
überschreitet. Nun wird durch das System das „Cluster-Splitting“ eingeleitet. Nach
neuen Ähnlichkeitsanalysen werden aus dem einen großen zwei kleinere Cluster
gebildet und neue Zentroiden gebildet. Die Datenbank des SMART-Systems hat also
keine feste Struktur, sie gliedert sich inhaltlich selbst nach den formalen Vorgaben
des Menschen.108
Betrachtet man nun die gedanklichen Berührungspunkte, die das SMART-System mit
den Warburgschen Theorein gemeinsam hat, so fällt auf, dass auch in einem solch
abstrakten, mathematischen System die informationswissenschaftlichen Grundsätze
ähnlich sind. Auch hier erfolgt die Arbeit von innen nach außen: Das einzelne
106
vgl. Abb. 4-8 „Vereinfachtes Flussdiagramm des SMART-Systems“ in Ebd., S. 137 sowie Kaiser, Abs. 3. 3. 2.:
http://wwwai.wu-wien.ac.at/Publikationen/Kaiser/diss.html#HTMLSection3.3.2
107
Kaiser, Abs. 3. 3. 2.
108
zum Cluster-Splitting vgl., Salton, S. 147 f.
70
Dokument bzw. die einzelne Anfrage werden als Grundlage sowie für die Suche als
auch für die Gliederung des Bestandes genutzt. Das zu indexierende Dokument
ähnelt hier dem zu erschließenden Buch bei Warburg, welches inhaltlich erfasst und
dann in eine der Sachgruppen integriert werden muss, wobei es auch erlaubt ist, für
dieses Medium extra eine Sachgruppe zu schaffen. Die Cluster, welche mit jedem
neuen Dokument ihren Gesamtinhalt und ihre innere Struktur verändern, ähneln den
Sachgruppen, welche bei Warburg immer aufs neue inhaltlich kontrolliert und
umgebaut werden müssen.
Die Anfrage und deren Vektor zeigen in die Richtung der möglichen Lösung des
Problems. Die Anfrage ist mit dem „Problem“ bei Warburg zu vergleichen, welches
am Anfang jeder Suche steht. Sie begibt sich in den Bestand, findet relevante und
irrelevante Dokumente, wird verändert und stößt im Idealfall am Ende auf die
Informationen, welche der Nutzer benötigt, durch eine hierarchisch von außen nach
innen gestaltete Suche aber vielleicht gar nicht gefunden hätte. Eine Fortsetzung der
Suche bei den Nachbardokumenten und gegebenenfalls bei den Nachbarclustern
steht dem Nutzer jederzeit offen, was mit dem System des „browsings“ identisch ist.
Auch das Relevanzfeedback ist ein der assoziativen Suche nahe stehender Aspekt. Es
erlaubt nach einer ersten Recherche einen gewissen Richtungswechsel bei der Suche,
das Einschlagen einer bestimmten inhaltlichen Richtung, was auch beim Laufen
zwischen den Regalen der Warburgschen Bibliothek möglich war und ist.
Zum Thema „Interdisziplinarität“ ist zu sagen, dass eine Datenanalyse sowohl von
breit gefächerten als auch spezialisierten Beständen möglich ist. Da die Extraktion
der Deskriptoren aus dem Wortschatz der indexierten Dokumente stammen und
dann die einzelnen Dokumente ihren Platz im Wissensraum einnehmen, ist es egal,
wie ähnlich sich die Dokumente am Anfang des Aufbaus einer solchen Datenbank
sind. Später, beim Hinzufügen weiterer Dokumente zur Datenbank, werden sich die
Ähnlichkeiten der Dokumente untereinander sowie die Gesamtstruktur der
Datenbank relativieren und der Grad der „Breite“ des verarbeiteten Wissens wird
anhand der Anordnung und Struktur der Cluster sowie an der Häufigkeit der
Überlappungen zwischen den Clustern zu erkennen sein. Nicht nur die Suche, auch
71
der Aufbau der Datenbank selbst funktioniert also von innen nach außen. Außerdem
ist das SMART-System, ähnlich wie die Facettenklassifikation, sehr gut dafür
geeignet, Literatur aus mehrere Fächer umfassenden Wissensgebieten zu
erschließen, da durch die Facettenmethode bzw. durch die Vergabe von Deskriptoren
auch für kleinere Aspekte des Inhalts eines Dokuments eine Erschließung möglich ist
und ein einzelnes Dokument dann bei der Suche aus verschiedenen „Richtungen“
kommend gefunden werden kann.
In punkto Flexibilität seien hier noch einmal die selbst gliedernden Möglichkeiten des
Systems genannt. Ähnlich den immer wieder neu aufzustellenden Sachgruppen in der
Bibliothek Warburgs gliedert sich hier die Datenbank nach den Gegebenheiten des
Bestandes. Es „erkennt“ die verschiedenen Themen oder Probleme und gliedert die
indexierten Dokumente um sie herum, wobei es gleichgültig ist, ob sich die
indexierten Themenkomplexe inhaltlich nahe sind oder nicht. So kann das System
sowohl für breit gefächerte als auch für spezialisierte Bestände genutzt werden. Bei
spezialisierten Beständen dürfte das System sogar hilfreicher sein als konventionelle
Retrievalsysteme, da es aufgrund der Wortanalysen die Unterschiede zwischen den
einzelnen Dokumenten noch feiner bestimmen kann.
Ein System, bei dem die meisten Abläufe vollautomatisch funktionieren, braucht vor
der Aufnahme des Betriebes detaillierte Anweisungen. Hier liegt die menschliche
Komponente, welche dem Programm sagt, was als inhaltliche Nähe einzustufen ist,
welche Art von Clustern zu bilden sind, welche Begriffe zu Deskriptoren gemacht
werden können etc. Der Mensch setzt also die Maßstäbe, nach denen das Programm
dann mit seinen überlegenen Fähigkeiten (Bearbeitung großer Datenmengen,
Schnelligkeit, Verknüpfungsmöglichkeiten, Vergleiche etc.) die Texte indexieren kann.
Außerdem ist es eine Eigenschaft der Computerprogramme, alle Daten mit denselben
Mitteln zu bearbeiten, das heißt hier, jeder zu indexierende Text wird mit der
gleichen Intensität und Methodik bearbeitet, was bei einem menschlichen Indexierer,
dem vielleicht bestimmte Themen mehr liegen als andere, nicht unbedingt
selbstverständlich ist. Aber auch hier nimmt der Mensch dann das Heft des Handelns
wieder in die Hand, wenn es um die Beurteilung der Dokumente für das
Relevanzfeedback geht. Der Computer kann nur (in diesem Falle sehr ausgefeilt)
72
mathematische Vergleiche ziehen, der Mensch kann allerdings assoziativ denken und
so das genaue Wissen, welches er benötigt, aus dem SMART-System herausholen. Es
handelt sich hier also um eine ziemlich gut gelungene Zusammenarbeit zwischen
Mensch und Maschine, um an das Wissen zu gelangen.
V. 2. 3. Suchstrategien für elektronische Datenbanken
Dieser Abschnitt soll sich mit bestimmten Suchstrategien befassen, welche den
Warburgschen Ansätzen ähneln und bei der Recherche in elektronischen
Datenbanken behilflich sein können, das Wissen zu extrahieren. Obwohl diese
Methoden keine Tools zur automatischen Inhaltsbeschreibung sind, werden sie doch
für die Bearbeitung von in elektronischen Systemen abgelegten Daten verwendet
und werden deshalb innerhalb dieses Kapitels angerissen.
Das „Citation pearl growing“ ist eine Suchstrategie, bei welcher ein oder zwei
Dokumente, welche als relevant bekannt sind, benutzt werden, um die darin
enthaltenen Zitate der Literatur weiterzuverfolgen. Man beginnt die Suche also mit
einem bekannten Dokument und setzt sie über die zitierten Werke fort. Dies kann
mehrere Ebenen der Weiterverweisung umfassen. Aber nicht nur Literatur kann so
gefunden werden, sondern auch weitere Deskriptoren für die Verbesserung der
Suchanfrage. Man beginnt hier mit einer hohen Precision und erhöht dann
schrittweise den Recall.109 Die Gewinnung von weiteren Informationen von innen
nach außen ähnelt dem Wachsen einer Perle um ein Sandkorn herum, deshalb die
Bezeichnung für diese Strategie.
109
vgl. „Themenblock Theorie des Online-Retrieval: Retrievalstrategien“: http://www.phil.unisb.de/~werner/ir/strat.htm
73
Abbildung 3: Modell des „Citation pearl growing“110
Zusammengefasst lässt es sich so ausdrücken:
„With one or two key books or articles, perhaps the question is answered — but
perhaps not. The next step is to use the references in those key sources as
pointers to other sources. This has been called "citation pearl growing": the
other sources contain bibliographies that provide further references, some
highly relevant, and these provide still more references, and so on, and the
"pearl" of information grows larger and larger.“111
Für die Suche nach Deskriptoren sieht die Strategie wie folgt aus:
1. Begin with a known relevant article (the pearl). If a known relevant article
isn't available, conduct a high precision search limiting all terms to the title
field.
2. Search the database for that article's record.
3. Review the descriptors (subject indexing) assigned to the record.
4. Conduct a new search using the relevant descriptors from the pearl.
5. Examine any new relevant records retrieved.
6. Review the descriptors assigned to the new records.
7. Conduct a new search using any additional relevant descriptors found in the
new records.
110
Quelle der Abbildung: Ebd.
„Appendix: Additional Sources of Sex Information“: http://www2.rz.huberlin.de/sexology/GESUND/ARCHIV/SEN/CH26.HTM
111
74
8. Repeat the process (steps 5-7) with additional relevant records until enough
relevant material has been retrieved.112
Wie bei Warburg geht man hier vom speziellen aus und führt die Suche von innen
nach außen durch, wobei diese Methode sowohl zum Ermitteln von bibliographischen
Nachweisen direkt als auch zum Ermitteln besserer Deskriptoren für eine neue Suche
geeignet ist. Da jedes neu gefundene Dokument auch in eine Sackgasse führen kann
und deshalb vom Suchenden erst auf seine Relevanz hin beurteilt werden muss,
kann man die Methode auch als „manuelles Äquivalent des RelevanzfeedbackVerfahrens“113 bezeichnen. Anwendung finden kann diese Methode sowohl bei der
Suche nach gedruckten Quellen als auch in Online-Datenbanken. Im Internet, wo die
Links auf die nächsten Quellen verweisen und man vermuten könnte, dass exzellente
Websites auch exzellente Links haben, was aber keinesfalls der Wahrheit
entsprechen und deshalb durch den Menschen überprüft werden muss, sollte man
auf die „Clearinghouses“ zurückgreifen, welche die verschiedenen Seiten auch
bewerten. In der Welt der gedruckten und durch die „peer review“ bewerteten
Quellen sowie in den einschlägigen Datenbanken ist das „pearl growing“ jedoch eine
für jedermann praktikable Methode, um den Anfang des Fadens zu finden und die
Suche von diesem Punkt aus fortzusetzen, womit die Methodik Warburgs wieder in
Erscheinung tritt. Wer mit der Thematik, der Literatursituation und der Terminologie
eines Wissensgebietes noch nicht vertraut ist, findet hier eine Methode des Einstiegs.
Eine zweite Möglichkeit der Informationssuche nach dieser Art ist der „Most specific
facet first approach“, bei dem das zu bearbeitende Problem in verschiedene Facetten
eingeteilt wird, welche dann nach und nach dem System präsentiert werden. Dabei
wird mit der Facette begonnen, welche die spezifischsten Ergebnisse im Bezug auf
die Gesamtfrage verspricht.114 Falls die Suche nach dem ersten Durchgang nicht
befriedigend war, kann eine nächste Facette, welche allgemeiner ist,
dazurecherchiert werden. „Dieser Ansatz eignet sich vor allem bei Fragestellungen,
112
„Citation pearl growing – Using one good article to search for others“:
http://www.hsl.creighton.edu/hsl/Searching/PearlGrowing.html
113
vgl. „Query Expansion“: http://faculty.washington.edu/efthimis/pubs/Pubs/qe-arist/QE-arist.html
114
vgl. Bekavac, Bernard: Skript zum Kurs „Information Retrieval“. PDF-Dokument unter http://www.inf-wiss.unikonstanz.de/CURR/winter0102/IR/ir_script_ws01.pdf
75
die im Kernproblem relativ spezifische Suchbegriffe enthalten, bei denen nicht allzu
große Treffermengen erwartet werden.“115
Abbildung 4: Modell des „Most specific facet first approach“116
V. 3. Bewertungen und Zusammenfassungen
V. 3. 1. Die vorgestellten Methoden im Vergleich mit Warburg
Dieser Abschnitt soll die im bisherigen Kapitel V. beschriebenen Methoden der
Informationserschließung mit den in Kapitel IV. benannten Eigenschaften des
Warburgschen Bibliothekskonzeptes vergleichen. Dazu soll wieder auf die
herausgearbeiteten drei Punkte zurückgegriffen werden.
Punkt 1: Assoziation:
Verschlagwortung
·
Klassifikation
·
115
116
Die assoziative Suche kann nur dann stattfinden, wenn
man ein Werk gefunden hat, dass man für sich persönlich
als relevant eingestuft hat. Dann kann mit dessen
Schlagwörtern nach weiteren Dokumenten gesucht
werden.
Eine Klassifikation funktioniert in diesem Punkt konträr zur
Ebd.
Quelle der Abbildung: http://www.phil.uni-sb.de/~werner/ir/strat.htm
76
·
·
Facettenmethode
·
·
·
Salton-Modell
·
Warburgschen Theorie: von außen nach innen. Das
Problem wird mit Hilfe einer Hierarchie vom allgemeinen
zum speziellen gelöst.
Wenn es sich bei der Klassifikation um eine
Aufstellungssystematik handelt, muss das Medium in eine
bestimmte Systematikgruppe eingeordnet werden. Da die
meisten Medien jedoch mehrere inhaltliche Aspekte
aufweisen, geht hier Potential für die Inhaltsbeschreibung
verloren. Auch Wissensgebiete, die einem ähnlichen
Kontext entspringen aber traditionell verschiedenen
Wissenschaften zugeordnet sind (Bsp.
Astronomie/Astrologie), werden hier künstlich getrennt. Für
die Suche braucht man also mehrere Einstiegspunkte, nach
Warburg sollte jedoch einer genügen, um die Suche zu
beginnen. Allerdings verfügt man hier über die Möglichkeit
der Autopsie als Mittel des browsings.
Bei einer aufstellungsfreien Klassifikation kann man die
Suche nur so weit ausdehnen, wie es die
Systematikgruppen zulassen. Eine Erweiterung der Suche
auf Nachbargruppen ist schlecht möglich. Auch die
Autopsie gestaltet sich schwierig, da diese Art von
Klassifikation meist für Numerus currens-Bestände
angewandt wird.
Alle inhaltlichen Aspekte eines Dokuments – auch
Randthemen – werden gleich behandelt. Demzufolge sind
alle Facetten einer Inhaltsbeschreibung gleichwertig.
Die Suche kann mit einer bestimmten Facette begonnen
und über weitere Facetten ausgedehnt werden (assoziative
Suche). Der Suchansatz erfolgt von innen nach außen, wie
bei Warburg.
Diese Methode unterstützt die schnellen
Verknüpfungsmöglichkeiten der EDV. Für eine Aufstellung
ist die Facettenmethode nicht geeignet, da es keinen
Stamm- oder Hauptaspekt eines Mediums gibt, welcher in
eine Systematikgruppe umgewandelt werden könnte. Dies
wird jedoch durch die vorgenannten Argumente
wettgemacht.
Bei Indexierung und Suche werden inhaltlich ähnliche
Dokumente anhand der vergebenen Deskriptoren
mathematisch berechnet und in einem abstrakten
Wissensraum nahe beieinander positioniert. Eine
Suchanfrage mit einem bestimmten Problem stößt in den
Wissensraum vor und wird mit den gefundenen
Dokumenten abgeglichen. Die assoziative Suche wird vom
Menschen spezifiziert und vom Computer durchgeführt.
Durch die nahe beieinander positionierten Dokumente
sowie durch den Ansatz von innen nach außen kann die
Suche beliebig auf die Nachbardokumente ausgedehnt
werden.
77
·
CPG u. a.
·
Die Gliederung des Bestandes selbst ist immer in
Bewegung, also nur für dynamische (elektronische)
Bestände geeignet.
Diese Methoden sind für die Suche nach weiterer Literatur
bzw. weiteren Deskriptoren für die Recherche geeignet,
wenn man bereits einen literarischen bzw. inhaltlichen
Ansatz hat. Dann erfolgt mit Hilfe von Zitaten weiterer
Literatur bzw. weiterer gefundener Deskriptoren die Suche
von innen nach außen (CPG) bzw. mit Hilfe inhaltlicher
Facetten die Suche von „speziell“ nach „allgemein“ (most
specific facet first).
Punkt 2: Flexibilität:
Verschlagwortung
·
Klassifikation
·
Facettenmethode
·
Salton-Modell
·
·
Eine Schlagwortliste und ein Thesaurus müssen aufgrund
der sich verändernden Begrifflichkeiten in regelmäßigen
Abständen aktualisiert und erweitert werden. Da sich aber
nicht nur die Begrifflichkeiten, sondern auch die
hierarchischen Zusammenhänge ändern und neue
hinzukommen, ist eine Aktualisierung immer eine
„Generalüberholung“, welche viel Zeit und Arbeit in
Anspruch nimmt.
Für die Aktualisierung gilt im Grunde dasselbe wie für die
Verschlagwortung. Zusätzlich gibt es bei einer
Aufstellungsbasierten Systematik das Problem, dass bei
einer Neuordnung des verwendeten Klassifikationssystems
verschiedene Bestände umgestellt werden müssten. Was
bei Warburg gewollt war, ist in einer (beispielsweise
Öffentlichen) Bibliothek zu zeitaufwendig. Auch weisen
viele Klassifikationssysteme keine Lücken in den
Notationen auf, so dass bei einer Neufassung der ganze
Bestand oder ein Teil davon umsigniert werden müssten.
Da das System auf eine Hierarchie verzichtet, ist es relativ
einfach aktualisier- und erweiterbar. Die Facetten sind
außerdem so aufgebaut, dass es den Besonderheiten des
jeweiligen Wissensgebietes entgegenkommt. So kann auch
die Erschließung nach flexiblen Methoden durchgeführt
werden.
Hier liegt die flexible Komponente vornehmlich bei der
„Selbstgliederung“ des Bestandes. Dieser lässt sich hier, da
nur elektronisch vorhanden, dynamisch und nach den
jeweiligen Bedürfnissen des Nutzers gliedern. So kann
beispielsweise die Größe der Themenklassen (Cluster)
durch den Suchenden vorher festgelegt werden. Auch
können zu große und thematisch unübersichtliche Cluster
durch das automatische Clustersplitting geteilt werden.
Da für alle Aspekte des Systems Schwellenwerte und
78
CPG u. a.
·
Spezifikationen definierbar sind, sind sowohl Indexierung
als auch Suche und Relevanzfeedback flexibel
durchführbar.
Die flexible Komponente liegt hier in der Anwendung: Da
man von innen nach außen recherchiert, ist es je nach
Literaturverweisen oder Deskriptoren möglich, die Suche in
eine gewisse Richtung hin zu lenken.
Punkt 3: Beschränkung:
Verschlagwortung
·
Klassifikation
·
Facettenmethode
·
·
Salton-Modell
·
CPG u. a.
·
Hier muss dem Verschlagworter vertraut werden: Es
werden nur die Dokumente gefunden, welche ein
bestimmtes Schlagwort erhalten haben. Allerdings kann bei
mehreren Dokumenten versucht werden, andere
gefundene Schlagwörter auszuprobieren, wobei nicht
sicher ist, ob es sich bei dem Beispielmedium um eines
handelt, dass den „Kern“ des Problems trifft und somit die
„richtigen“ Schlagwörter enthält.
Das Ende der durchsuchten Klassifikationsgruppen ist auch
erst einmal das Ende der Suche – durch die „Schubladen“
beschränkt sich die Suche auf diese. Da die Suche von
außen nach innen verläuft, ist es schwieriger, diese wieder
zu verallgemeinern
Die Begrenzung liegt hier vor allem darin, wie viele
inhaltliche Aspekte bei der Indexierung des Dokuments
berücksichtigt wurden. Je mehr Aspekte (Facetten), desto
mehr Möglichkeiten der Verknüpfung bestehen und desto
mehr Dokumente werden gefunden.
Bei einer Suche entscheidet der Recherchierende, wie viele
Facetten er einbeziehen will.
Die Suche wird durch den Menschen nach subjektiven
Gesichtspunkten begrenzt. Jedes Dokument ist von der
Stelle des Eintritts in den Wissensraum aus erreichbar.
Der Mensch entscheidet, wie viele Facetten er in die Suche
einbeziehen will und wann er genug Literatur bzw. neue
Deskriptoren gefunden hat.
V. 3. 2. Der aktuelle Stand der Forschung
Alle Methoden, bei denen Berührungspunkte mit den Warburgschen Theorien
nachgewiesen wurden, haben eines gemeinsam: den Umgang mit Facetten. Dieser
Aspekt, das Finden von Dokumenten, Büchern oder sonstigen Medien aus
verschiedenen „Richtungen“ einer Suche, ist gerade bei den elektronisch betriebenen
79
Suchverfahren sowie bei der Suche nach elektronischen Dokumenten die Grundlage
des Arbeitens. Für eine Mischform, wie es die Warburgsche Bibliothek in London ist,
ist es wichtig, aufstellungssystematische mit facettierten Methoden zu verbinden.
Dies geschieht in letzter Zeit dadurch, dass in die konventionellen
Klassifikationssysteme die Möglichkeit von Schlüsseln, also die eingeschränkte
Facettierung, eingebaut wird, um sowohl die Möglichkeit einer Aufstellungssystematik
für Medien zu haben als auch das Indexieren elektronischer Dokumente möglich
machen zu können. Das bedeutet, dass bei der Neufassung von
Klassifikationssystemen jetzt neben dem formalen, klassifizierenden, der kognitive
Aspekt ebenfalls beachtet wird117, welcher eine Wissensorganisation nach den
Denkstrukturen des Menschen erleichtern soll, was ja laut Warburg zur besseren
Formulierung des Problems und zum besseren Finden der Lösung beiträgt.
Um eine Klassifikation auch im 21. Jahrhundert sowohl für die Erschließung
konventioneller wie elektronischer Medien benutzbar zu machen, sollte sie folgende
Bedingungen erfüllen:
·
“Continuous updating to keep pace with knowledge
·
Support of classifier productivity
·
Development of meaningful notation
·
Expanded international use
·
Provision of flexible structures
·
Ongoing research”118
Um diesen Vorgaben gerecht zu werden, soll hier am Beispiel der Dewey Decimal
Classification beschrieben werden, wie die Klassifikationsforschung voranschreitet
und was noch für die Zukunft zu beachten ist.
Die DDC liegt seit 1996 in der 21. Auflage vor. Zusätzlich gibt es eine „abridged
edition“ in der momentan 13. Auflage. Außerdem fährt Dewey seit 1993 zweigleisig:
Zu den Print-Ausgaben gibt es auch die elektronische Version „Dewey for Windows“.
Vor dem Erscheinen einer neuen Auflage stehen immer größere, dem
wissenschaftlichen Stand sowie dem aktuellen Stand an Literatur angepasste Updates
117
vgl. Newton, Robert: Information technology and new directions. In: The future of classification, S.53 f.
80
ganzer Schedules. Es werden Umstrukturierungen vorgenommen, welche sich sogar
von unten ausgehend bis zur dritten Ebene (dreistellige Zahl) erstrecken können.119
Dabei sind naturgemäß die „weichen Wissenschaften“, wie Kultur-, Sozial- und
Politikwissenschaften stärker von den Veränderungen betroffen, da sich hier die
Themen stärker verändern und umstrukturieren. Auch ist eine Internationalisierung
zu beobachten, weg von der amerikanischen zu einer eher globalen Sichtweise,
sowie bei den Religionswissenschaften weg von der christlich dominierten Struktur.120
Dies ist der zunehmenden internationalen Anwendung der DDC geschuldet.121 Die
nächste Gesamtauflage ist für 2003 geplant, jedoch werden in der jährlich
erscheinenden Publikation „Decimal Classification Additions, Notes and Decisions“
sowie auf der ebenfalls jährlich erscheinenden Updatediskette für „Dewey for
Windows“ auch in der Zeit zwischen den Gesamtauflagen Änderungen publik
gemacht. Auf der Website der DDC gibt es sogar ein monatliches Update zum
Download.122 Auch findet dort eine Verknüpfung mit den „Library of Congress Subject
Headings“ statt, was eine konkordante Erschließung und Suche sowie gegebenenfalls
einen Wechsel zwischen den Erschließungsinstrumenten ermöglicht.
Unter dem Stichwort „meaningful notation“ wird die Bildung der Notationen
verstanden, welche sich zunehmend neben der reinen Hierarchie auch auf Facetten
stützt. Mit Hilfe von „facet indicators“ werden Notationen synthetisiert, welche den
genauen Inhalt des Dokuments wiedergeben, aber zum Zwecke der Buchaufstellung
nicht ganz auf eine hierarchische Gliederung verzichten sollen. Ein Beispiel:
„Rock groups“: 782.421660922
782.42 Songs
1
Facet indicator for general principles (from Table under 782.1-782.4)
118
Mitchell, Joan S.: The Dewey Decimal Classification in the twenty-first century. In: The future of classification,
S. 81
119
vgl. Ebd., S. 83
120
zu den Veränderungen von der 20. zur 21. Auflage vgl. Ebd., S. 83 f. sowie zu den Veränderungen bei der
Darstellung der Religion vgl. Broughton, Vanda: Eine neue Klassifikation für das Fach Religion. In: 66th IFLA
Council and General Conference auf http://www.ifla.org/IV/ifla66/papers/034-130g.htm
121
im Jahr 2000 war die DDC die Grundlage für weltweit 59 Nationalbibliographien, meist in Amerika, Asien und
Afrika. Vgl. Ebd., S. 88 f.
122
zu den Updatemöglichkeiten vgl. Ebd., S. 84 f.
81
66
Rock music (from 781.66 Rock)
0922
Collected persons treatment (from Table 1-0922)123
Dieses zugegebenermaßen komplizierte Beispiel zeigt, wie die unterschiedlichen
Aspekte einer Thematik alle in derselben Notation vereinigt werden können. Diese
Art der Facettierung ähnelt der Bedeutung der unterschiedlichen Buchstaben in der
Warburgschen Systematik und verbindet hier gekonnt aufstellungssystematische mit
kognitiven Bedürfnissen einer Klassifikation. DDC und andere, ähnlich
funktionierende Klassifikationen sind die von Gödert geschilderten „Klassifikationen
mit Schlüsseln“, welche beide Aspekte einer Bibliothek, Sammeln und Ordnen sowie
Vermitteln von Wissen, miteinander in Einklang bringen. Dieser Ansatz fand sich
schon bei Warburg, als er zwischen der „Bibliothek als Museum“ und der „Bibliothek
als Labor“ unterschied.124
Die DDC will nach eigenen Angaben (J. S. Mitchell im zitierten Artikel) das führende
Erschließungsinstrument weltweit werden. Um das zu erreichen, wird verstärkt Wert
gelegt auf regelmäßige Updates, eine internationale Sichtweise, viele Möglichkeiten
der Facettenbildung sowie flexible Strukturen für nationale, ethnische und kulturelle
Besonderheiten in den einzelnen anwendenden Ländern. So kann beispielsweise die
Erschließung von Literarischen Werken in mehrsprachigen Staaten anders gelöst
werden oder es wird die Erschließung religionswissenschaftlicher Literatur etwa im
Islam oder Judentum speziellen Strukturen unterworfen. Auch die Verknüpfung mit
bestimmten Fachthesauri steht im Vordergrund, um die Dewey-Klassifikation aus der
Sicht bestimmten Gebiete der Wissenschaft anwenden zu können. Sollte dann
jemand eine Suche beginnen, werden seine – beispielsweise mathematischen –
Fachtermini in Dewey-Zahlen umgewandelt, ohne dass sich der Nutzer erst in die
Arbeit mit der Universalklassifikation einarbeiten muss. Aber auch interdisziplinäre
Ansätze gibt es: So arbeiten zum Beispiel zwei Wissenschaftler an der Universität von
Alberta (Kanada) an einem Projekt namens „Fem/DDC“, welches einen Thesaurus zu
Frauenstudien („women’s studies“) mit der DDC verbindet und so den Sucheinstieg
123
124
Ebd., S. 87
vgl. Pfister, S. 55 ff.
82
aus der Sicht der Frau zu ermöglichen.125 Diese Projekte erleichtern den Umgang mit
der DDC, da man bei der Suche dann das zwar kontrollierte, aber doch gewohnte
Vokabular statt der verwirrenden Zahlen benutzen kann.
Die Forschung am OCLC, welches die DDC seit einigen Jahren betreut, konzentriert
sich neben den Grundlagen auch auf die Entwicklung automatischer Tools für die
beiden Aspekte Organisation und Navigation. So forscht man beispielsweise an einem
Tool, das die Sprache des Nutzers, die „end-user language“, in Dewey-Klassen
übertragen kann und damit mit Dewey erschlossene Dokumente recherchierbar
machen soll. Dies ist vor allem für die Erschließung von Web-Dokumenten nützlich,
da die Anfragen an die Suchmaschinen in Worten oder Wortgruppen der natürlichen
Sprache gestellt werden. Daraus ergeben sich jedoch einige Probleme: Die
Webangebote müssten zuerst einmal mit Hilfe eines automatischen Tools analysiert
und mit Ähnlichkeitsstudien (SMART etc.) zu Dewey-Zahlen geformt werden. Diese
müssten dann wieder mit den natürlichsprachlichen Nutzeranfragen verglichen
werden, was ein ähnlich funktionierendes Tool erfordern würde. Da sich die
Forschung zur Erschließung von Webdokumenten aber gerade erst bei der formalen
Ebene einigermaßen einig ist (Dublin Core Set), dürfte es noch lange dauern, eine
ähnlich einheitliche Verfahrensweise für die Inhaltsbeschreibung zu finden. Dies liegt
sicherlich unter anderem an der Dynamik von Webdokumenten, an ihrer großen
Menge sowie an der allgemeinen „Narrenfreiheit“, welche im Internet herrscht. Es
gibt jedoch ein Projekt von OCLC, welches sich mit dieser Problematik beschäftigt:
das „Scorpion“-Projekt. Hier werden die Dewey-Klassifikation und eine SMARTDatenbank miteinander verknüpft, um nach einer natürlichsprachigen Suche und
einer Ähnlichkeitsanalyse (siehe Abschnitt V. 2. 2.) zumindest eine Reihe von DeweyKlassen errechnet zu bekommen. Diese werden noch sortiert und als ranking
ausgegeben.126
Diese Methodiken und Ansätze, welche hier am Beispiel der DDC geschildert wurden,
finden sich auch bei den anderen, auf der Welt stark verbreiteten
125
zu den „flexible structures“ vgl. Mitchell, Joan S.: The Dewey Decimal Classification in the twenty-first century.
In: The future of classification, S. 89 f.
126
vgl. Ebd., S. 90
83
Klassifikationssystemen.127 Die aktuelle Forschung läuft also auf eine Synthese
zwischen dem klassifizierenden, die Hierarchie bildenden und Aufstellungsbasierten
Modell und einer facettierten, flexibel und assoziativ anwendbaren Methode hinaus,
welche man für die Erschließung sowohl gedruckter Medien als auch elektronischer
Dokumente nutzen kann. Hauptsächliche Messpunkte für die Qualität werden dabei,
wie oben geschildert, inhaltliche und methodische Aktualität, internationale
Anwendbarkeit sowie eine flexible Notationsbildung sein.
V. 3. 3. Anwendbarkeit für den Nutzer
Die vorgestellten Ansätze und Methoden sind alle sehr ausgefeilt und stellen zum Teil
hohe Ansprüche an die Informationsspezialisten und Nutzer. Letzterem soll jedoch
entgegengekommen werden, um die Suche transparenter und beeinflussbarer zu
machen und damit die Precision des Suchergebnisses zu erhöhen. Seit den sechziger
Jahren werden deshalb Untersuchungen durchgeführt, welche das Verhalten von
Nutzern in Bibliotheken allgemein und bei der Suche im Besonderen erforschen
sollen. Eine dieser Studien ist die Untersuchung des „information need“, des
Informationsbedürfnisses, durch den Wissenschaftler Robert S. Taylor.128 Darin
postuliert er, dass es vier verschiedene Arten des Wissensbedürfnisses gibt, welche
sowohl aufeinander aufbauen, als auch als Ausgangspunkt für die Suche dienen
können. Die Levels sind:
1. „The actual, but unexpressed need for information (the visceral need)
2. The conscious, within-brain description of the need (the conscious need)
3. The formal statement of the need (the formalised need)
4. The question as presented to the information system (the compromised
need)“129
127
beispielsweise wird die UDC dahingehend überarbeitet, dass eine stärkere Facettierung, eine komplette
Überarbeitung ganzer Bereiche und eine stärkere Anpassung an die Webumgebung vorgenommen wird. Vgl.
Woldering, Britta: Klassifikationen UDK und DDC : Workshop in Frankfurt. In: Bibliotheksdienst – (2001),3 auf
http://bibliotheksdienst.zlb.de/2001/01_03_07.htm
128
Taylor, Robert S.: Question-negociation and information seeking in libraries. In: College and research libraries,
29(1968), S. 178-194
129
Ebd., S. 182
84
Diese gedankliche Kette kann unterschiedlich bearbeitet werden. Entweder es
beginnt tatsächlich mit einem unbewussten Informationsbedürfnis, welches erst
kanalisiert werden muss, oder der Nutzer hat bereits Vorstellungen von den Inhalten
oder Methodiken und es ist möglich, bereits mit Stufe 2 oder 3 zu beginnen.
Die erste Stufe ist noch keine Frage, sondern laut Taylor „a vague sort of
dissatisfaction“.130 Das Problem kann noch nicht genau in Worte gefasst werden und
kann sich in Inhalt und Form noch sehr stark verändern, je nach dem, wie sich die
Wissensbasis des Nutzers oder die Dringlichkeit einer Lösung für den Nutzer
verändern.
In der zweiten Stufe hat der Nutzer das Problem bereits in natürlichsprachige Worte
gefasst, kann es aber noch nicht klar abgrenzen und beschäftigt sich noch mit
einigen inhaltlichen Problemen. Es fällt ihm jedoch noch schwer, Fachtermini zu
finden, um seine Suche zu formalisieren. In einem Auskunftsgespräch in einer
Bibliothek würde der Nutzer hier erwarten, dass der Bibliothekar durch Gegenfragen
versucht herauszufinden, welche konkreten Wünsche der Nutzer hat, um die
Unklarheiten bei der Formulierung des Problems verschwinden zu lassen.
Bei der dritten Stufe des Informationsbedürfnisses ist der Nutzer in der Lage, seine
Anfrage in qualifizierten und rationalen Fachtermini zu formulieren. Er weiß über den
Kontext des Problems und über die potentiellen Möglichkeiten der Problemlösung
bescheid und betrachtet den Bibliothekar und die Bibliothek als gleichberechtigten
Partner beim Auskunftsgespräch und der Lösung des Problems.
Die vierte Stufe stellt sowohl Nutzer als auch Informationsspezialist vor ein konkretes
Problem: Eine erste Suche ist bereits durchgeführt worden und man hat einen ersten
Überblick über das, was das Informationssystem oder die Bibliothek zu dem
formulierten Problem leisten kann. Nun geht es darum, die Frage so zu formulieren,
dass die Möglichkeiten des vorgefundenen Bestandes am besten genutzt werden
können. Dabei geht es darum, eventuell auch geistige Abstriche bei der Lösung des
Problems zu machen und einen Kompromiss mit dem Informationssystem zu
85
schließen, welches oftmals keine hundertprozentige Lösung anbieten, sich aber
bemühen kann, der Lösung bzw. den benötigten Informationen möglichst nahe zu
kommen.
Bei dieser Aufzählung sollte es darum gehen, zu zeigen, wie diffus das
Informationsbedürfnis eines Suchenden in den meisten Fällen ist und wie viel
geistige Arbeit es erfordert, das Bedürfnis zu kanalisieren und in die Termini und
Strukturen eines Informationssystems zu übertragen. Daher laufen die neueren
Forschungen des Informationssektors auch darauf hinaus, automatische Tools zur
„Übersetzung“ von natürlicher Sprache in die Sprache des jeweils genutzten
Informationssystems zu entwickeln. Nun könnte man sagen, diese Art von Arbeit
wäre der eigentliche Job des Informationsspezialisten und automatische Tools
würden diesen stark beschränken. Allerdings ist dazu zu sagen, dass erstens das
Wissen, über das die Menschheit verfügt, inzwischen astronomische Mengen
angenommen hat und weiterhin wächst und zweitens es sich schon längst nicht mehr
ausschließlich um statische Buchbestände handelt, sondern auch um
hochdynamische elektronische Publikationen, welche mehr als eine inhaltliche
Erschließung benötigen, da sich der Inhalt eines Dokuments nach einer
Überarbeitung auch zugunsten eines anderen Faktors des Inhalts verschieben kann,
was die inhaltliche Erschließung ungenau macht. Dem kann mit facettierter
Erschließung, aber auch mit elektronischen Tools begegnet werden, welche die
Anpassung der gefundenen Dokumente an das Bedürfnis des Nutzers erst kurz vor
der Konsumierung der Informationen vornehmen, wie es beispielsweise das SMARTProjekt mit der Gleichstellung von Indexierung und Abfrage, von „Füttern“ des
Systems und Entnahme der Informationen, vorführt. Durch diese Art der
Verfahrensweise gliedert sich der Bestand immer in aktuellster Form. Außerdem
sollte es verstärkt die Aufgabe der Informationsspezialisten der Zukunft sein, nicht
nur gesammeltes Wissen zu verwalten und zu vermitteln, sondern auch neue
Möglichkeiten zur möglichst inhaltsnahen Erschließung zu erdenken.
Da einzelne Klassifikationsgruppen oder einzelne Facetten das Informationsbedürfnis
oftmals nicht ganz befriedigen, der Nutzer aber seine Suchanfrage in natürlicher
130
Ebd.
86
Sprache recht gut präsentieren kann und die Systeme von heute damit auch
umgehen können, sollte es in der Zukunft möglich sein, dem Nutzer bereits bei Stufe
2 der Taylorschen Skala behilflich sein zu können. Eine natürlichsprachliche Anfrage
lässt sich in Deskriptoren oder Notationen der einschlägigen
Erschließungsinstrumente umwandeln, was das „Scorpion“-Projekt beweist. Damit ist
man bei Stufe 3, dem formalisierten Bedarf, angelangt. Nun müssen diese formalen
Bestandteile mit den gespeicherten Medien oder Dokumenten verglichen, ein
Relevanzfeedback ermöglicht und die Suche erneut durchgeführt werden. Da das
Relevanzfeedback dem „Kompromiss“ von Taylors Stufe 4 entspricht, müsste es jetzt
möglich sein, dem Nutzer auf eine natürlichsprachliche Anfrage eine Antwort zu
geben, welche sein Problem im Rahmen der Möglichkeiten der gespeicherten
Dokumente inhaltlich erfasst und beantwortet hat. So braucht der potentielle Nutzer
die Erschließungsinstrumente gar nicht zu kennen und sich mit ihnen zu
beschäftigen. Es reicht, wenn er weiß, dass sie im Hintergrund das Wissen für ihn
bearbeiten und er auf eine Anfrage in aus menschlichen Gründen nicht ganz präziser
natürlicher Sprache eine Antwort bekommt, welche ihn trotzdem befriedigt.
Zwischen Taylor und Warburg lassen sich auch einige Berührungspunkte feststellen.
Die Gedankenketten der Suche stellen sich auf eine ähnliche Art und Weise dar:
Taylors Stufen 1 und 2 ähneln dem Sucheinstieg mit dem „Problem“ bei Warburg.
Das noch nicht in informationswissenschaftliche Einheiten gekleidete Problem des
„wisceral need“ und des „conscious need“ lassen sich mit dem browsenden
Sucheinstieg bei Warburg vergleichen, bei dem noch nicht klar ist, in welche
Richtung sich die Suche entwickeln wird. Hat man dann mit Hilfe der Warburgschen
Methode den Sucheinstieg und die ersten befriedigenden Treffer gefunden, so
befindet man sich auf gleicher Höhe mit dem „formalised need“ Taylors, da man jetzt
auf die entsprechenden Systematikgruppen, Deskriptoren oder Notationen der
gefundenen Medien zurückgreifen kann, um die Suche entsprechend zu verändern
und zu wiederholen. Die dann durch das „Prinzip der guten Nachbarschaft“ Warburgs
bzw. durch die Wiederholung der Suche unter den neuen Gesichtspunkten bei
ähnlich funktionierenden Systemen gefundenen Treffer sind dann identisch mit dem
„compromised need“, dem Kompromiss zwischen gewolltem und gefundenem, den
man laut Taylor mit dem Informationssystem schließen muss.
87
Damit soll folgendes gesagt sein: Die Suche, wie sie Taylor vorschlägt, besteht aus
den Anfragen des Nutzers und den Gegenfragen des Bibliothekars bzw. des
Informationssystems. Gemeinsam nähert man sich dann einem Kompromiss aus
dem, was der Nutzer fordert mit dem, was das Informationssystem zu bieten hat,
wobei die Befriedigung des Nutzerbedürfnisses im Vordergrund stehen muss. Auch
bei den beschriebenen Projekten der elektronischen Sacherschließung ging es darum,
Nutzeranfrage und bereitgestelltes Wissen einander anzunähern und so auf die
genauestmögliche Weise zu beantworten, wobei der Nutzer Kriterien für die Suche
und die Organisation des präsentierten Wissens festlegen kann. Letztendlich läuft es
auf eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen dem Nutzer und dem
Informationsspezialisten bei der Beantwortung der Nutzerfrage hinaus. Die Mittel
dazu können die von Warburg aufgestellten Methoden der Assoziation und der
Flexibilität bei Suche und Strukturierung des Wissens sein.
88
VI. Schlussfolgerungen
Es war das Ziel dieser Arbeit, den von Warburg für sich und seine Bibliothek
aufgestellten Kanon von Herangehensweisen und Methoden mit den theoretischen
Ansätzen heutiger gebräuchlicher Sacherschließungsmethoden und –instrumente zu
vergleichen. Dabei hat sich herausgestellt, dass der theoretische Ansatz des
assoziativen Suchens unter Mitarbeit sowohl des Nutzers als auch des
Informationsspezialisten dabei ist, sich zu verbreiten. Er tritt zutage sowohl in den
Überarbeitungen der modernen Klassifikationssysteme, welche auf eine flexible,
facettierte Erschließung hin verändert werden, als auch in den Arbeitsweisen der
automatischen Tools zur Erschließung und Vermittlung der großen Datenbestände
unserer Zeit. Der Ansatz, dem Nutzer bei seiner Suche mehr Spielraum und
Entscheidungsfreiheit einzuräumen, beginnt sich durchzusetzen. Dazu haben neben
den oben beschriebenen modernen Mitteln der Wissensorganisation auch die
technischen Voraussetzungen beigetragen, welche sich in den letzten Jahren
gravierend weiterentwickelt haben und nun von jedem normalen Nutzer bedient
werden können. Die Lösung eines Problems mit Hilfe assoziativer und flexibler
Suchstrategien, kombiniert mit einfach zu bedienenden und die Suche, Verarbeitung
und Präsentation der Daten erleichternden elektronischen Systemen, lässt sich nun
relativ einfach bewerkstelligen. Voraussetzungen dafür sind jedoch eine konsistente
Anwendung der Erschließungsmethoden durch den Informationsspezialisten sowie
eine ebensolche Nutzung durch den Suchenden. Außerdem ist es nun ebenfalls die
Aufgabe des Nutzers, seine Suche bei einer derartig flexiblen Strategie sinnvoll zu
beschränken, um nicht zu viele Daten zur Verfügung gestellt zu bekommen und diese
unter Umständen nicht verarbeiten zu können. Letztendlich bleiben alle diese
Methoden nur Hilfsmittel für den Menschen, der sie sinnvoll nutzen muss, um das
Problem, welches er allein am besten in Worte fassen kann, lösen zu können.
89
VII. Literaturliste
Zu den Kapiteln II. und III.:
Diers, Michael (Hrsg.): Porträt aus Büchern : Bibliothek Warburg und Warburg
Institute ; Hamburg - 1933 - London. - Hamburg, 1993.
Frauen im Hamburger Kulturleben. – Hamburg, 2002.
Friman, Mari u. a.: Chaos or order? : Aby Warburg’s library of cultural history. In:
Knowledge Organisation – Frankfurt/M. – 22(1995),1, S. 23-29
Gombrich, Ernst Hans: Aby Warburg : eine intellektuelle Biographie. – Hamburg,
1992.
Habermas, Jürgen: Ernst Cassirer und die Bibliothek Warburg. - Berlin, 1997.
Pfister, Silvia: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg : Geschichte und
Konzeption in ausgewählten Aspekten. – Köln, 1992
Roeck, Bernd: Der junge Aby Warburg. – München, 1997.
Schäfer, Hans-Michael: Das Warburg-Haus Hamburg : Denkort und Denkmal ; seine
Buchbestände und eine bibliothekarische Situationsbestimmung. In: Auskunft –
Herzberg. – 19(1999)1, S. 48-53
Stockhausen, Tilman v.: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg : Architektur,
Einrichtung und Organisation. – Hamburg, 1992.
Warburg, Aby M.: Schlangenritual : Ein Reisebericht. – Berlin, 1996.
Warburg, Aby Moritz: Gesammelte Schriften : Studienausgabe. - Berlin, 2001. - Abt.
7 7, Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg
Wuttke, Dieter: Dazwischen : Kulturwissenschaft auf Warburgs Spuren. – BadenBaden, 1996.
Website des Warburg Institute in London: http://www.sas.ac.uk/warburg/default.htm
Website des Warburg-Hauses Hamburg: http://www.warburg-haus.hamburg.de
Website und verschiedene Unterseiten der Universität Hamburg: http://www.unihamburg.de
Website der „Ernst-Cassirer-Arbeitsstätte“ in Hamburg: http://sun07.sts.tuharburg.de/eca/homepage-eca.htm#top
90
Zu Kapitel V.:
Dervin, Brenda u. a.: Information needs and uses. In: ARIST, 21(1986), S. 3-33
Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation : ein Handbuch zur
Einführung in die fachliche Informationsarbeit. – 4., völlig neu gefasste Ausg. –
München [u. a.], 1997.
Klassifikationen für wissenschaftliche Bibliotheken : Analysen – Empfehlungen –
Modelle. – Berlin, 1998.
Kognitive Ansätze zum Ordnen und Darstellen von Wissen. – Frankfurt/M., 1992.
Kuhltau, Carol C.: Inside the search process : Information seeking from the user’s
perspective. In: JASIS, 42(1991), S. 361-371
Lorenz, Bernd: Klassifikatorische Sacherschließung : Eine Einführung. – Wiesbaden,
1998.
Moens, Marie-Francine: Automatic indexing and abstracting of document texts. –
Boston [u. a.], 2000.
Sachse, Elisabeth [u. a.]: Automatische Indexierung unter Einbeziehung
semantischer Relationen : Ergebnisse des Retrievaltests zum MILOS II-Projekt. –
Köln, 1998.
Salton, Gerald [u. a.]: Information Retrieval : Grundlegendes für
Informationswissenschaftler. – Hamburg, 1987.
Satija, M. P.: The revision and future of Colon Classification. In: Knowledge
Organisation, 24(1997),1, S. 18-23
Taylor, Robert S.: Question-negociation and information seeking in libraries. In:
College and research libraries, 29(1968), S. 178-194
The future of classification. – Aldershot [u. a.], 2000.
Westbrook, Lynn: User needs. In: Ecyclopedia of library and information science, vol.
59 (suppl. 22) – New York, 1997. S. 316-437
Kaiser, Alexander: Computer-unterstütztes Indexieren in Intelligenten Information
Retrieval Systemen. Ein Relevanz-Feedback orientierter Ansatz zur
Informationserschließung in unformatierten Datenbanken: http://wwwai.wuwien.ac.at/Publikationen/Kaiser/diss.html (Dissertation)
Website der „Health Sciences Library“ der Creighton University in Omaha, Nebraska:
http://www.hsl.creighton.edu/
91
Website der „Information School“ an der University of Washington:
http://www.ischool.washington.edu/
Website der Fachrichtung „Informationswissenschaft“ der Universität des Saarlandes:
http://is.uni-sb.de/
Website des „Labors für bibliographisches Information Retrieval“: http://www.fbi.fhkoeln.de/fachbereich/labor/bir/suche.htm
Website des Fachbereichs „Informationswissenschaften“ der Universität Konstanz:
http://www.inf-wiss.uni-konstanz.de
Website von Prof. Dipl-Math. Winfried Gödert, Fachhochschule Köln:
http://www.fbi.fh-koeln.de/fachbereich/personen/goedert/goedert.htm
Website der Zeitschrift „Bibliotheksdienst: http://bibliotheksdienst.zlb.de/index.html
Website der IFLA: http://www.ifla.org/index.htm
Website der Kommission für Sacherschließung der Vereinigung Österreichischer
Bibliothekarinnen und Bibliothekare: http://www.uibk.ac.at/sci-org/voeb/kofse.html
92

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