Eine junge Winzergeneration, die mit biologischem Anbau

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Eine junge Winzergeneration, die mit biologischem Anbau
Land & Leute AUSFLUG
Weinprobe im
Wonnegau
Eine junge Winzergeneration, die mit biologischem Anbau
Spitzenweine keltert, sorgt für eine viel beachtete Renaissance des
Wonnegaus in Rheinhessen. COUNTRY war zu einer Verkostung
des neuen Jahrgangs und einer herzhaften Winzervesper vor Ort.
Produktion & Text Clark Parkin Fotos Sorin Morar Rezepte Ute Dreissigacker
Laura und Jochen Dreissigacker laden auf
dem Hof von Lauras Eltern zur Weinprobe in
eine romantische rheinische Kuhkapelle mit
typischem Kreuzgewölbe.
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ährend er dem Gast die
Besonderheiten seiner Lage
Geyersberg erklärt – das
Kleinklima in einem Kessel
rund um den Ort Bechtheim
lässt die Trauben früher rei­
fen – kontrolliert Jochen Dreissigacker noch schnell
den Beschnitt seines Weinlaubes. Sein Bruder
Christian, der das Weingut Dr. Koehler betreibt, ist
auch im Weinberg. Dafür, dass noch keine einzige
reife Traube an den Stöcken hängt, geht es schon
sehr geschäftig zu. Viele Aufgaben teilen Jochen
und Christian sich, ihre Rebenreihen liegen oft di­
rekt nebeneinander.
Jochen Dreissigackers prüfendem Blick entgeht
nichts. Jeder Weinstock, jede Traube zählt, und ab
und zu entfernt er noch ein Blatt, das einer Traube
die lebensspendende Sonne nimmt. Für vieles gäbe
es heute Maschinen. Schön aufgeräumt sehen die
Weinberge der anderen Winzer auf den ersten Blick
aus, die konventionell mit Herbiziden und Mine­
raldünger bewirtschaftet wurden. Doch Jochen
Dreissigacker hat sich bewusst für den harten Weg
entschieden. Einer der Nebeneffekte seiner Boden­
reform ist, dass bei ihm nach anhaltendem Regen
der ungeschützte Mutterboden nicht mehr bis auf
die Straße gespült wird.
Beste Lage
Schwenken, riechen,
schlürfen: Jochen
Dreissigacker pro­
biert Stefan Winters
Dittelsheimer
Weißburgunder.
Christian und Jochen Dreissigacker verkosten in regel­
mäßigen Abständen den 2009er Spätburgunder,
der im Keller der Schwiegereltern in Eichenholzfässern
heranreift. Unten: Familie Wittmann beim Probieren.
„Terroir“ ist das Zauberwort
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Foto: Sorin Morar
Einladend Die
Toreinfahrt zum
Uexkuellhof von
Laura Dreissig­
ackers Eltern. Unten:
Jochen Dreissigacker
hat sich den „Mog“
des Schwiegervaters
geliehen.
Vor sechs Jahren hat Dreissigacker damit begonnen,
die Böden seiner Weinberge konsequent zu renatu­
rieren. Seither wird der Bereich unter und um den
Rebstock ausschließlich mit der Hacke bearbeitet.
Zur Erhöhung des Humusgehaltes des Bodens wer­
den Begrünungen gesät. Sie lockern den Boden, bin­
den überflüssigen Stickstoff und regulieren den
Nährstoffgehalt. So wird das Wurzelwachstum der
Reben gefördert, die in tiefere, mineralstoffreichere
Bodenschichten vordringen.
Ertragsreduktion ist Jochen Dreissigackers
zweiter Schritt zum besseren Wein. Schon im Janu­
ar schneidet und drahtet er die Reben einzeln von
Hand, verbessert so frühzeitig die spätere Laub­
wandstruktur. Während der sogenannten „grünen
Lese“ im Sommer landet mindestens ein Drittel der
Trauben auf den Boden und bildet zusätzlichen Hu­
mus. Die am Stock verbliebenen Trauben werden
nun optimal mit Nährstoffen, Licht und Luft ver­
sorgt. So entsteht aromatischer, extraktreicher
Most, der mit etwas Glück am Ende des Jahres zu ei­
nem großen Wein reift – mit dem für die Lage unver­
wechselbaren Aroma .
„Terroir“ ist das Zauberwort, mit dem eine junge
Generation Winzer, deren Biografien sich alle äh­
neln, dem rheinhessischen Wonnegau eine
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erstaunliche Renaissance beschert hat. Die Winzer
Philipp Wittmann, Stefan Winter und Jochen Dreis­
sigacker sind Botschafter einer neuen Weinphiloso­
phie, die das Image des früher für günstigen Mas­
senwein diskreditierten Rheinhessens gerade
gehörig umkrempeln. Ihre Unbeirrbarkeit zahlt
sich mittlerweile aus. Denn die Umstellungsphase
kann für einen Winzer durchaus gefährlich werden.
Während die Arbeitskosten pro Hektar steigen, hat
man am Ende des Sommers bis zu sechzig Prozent
weniger Wein in den Fässern.
Generationenaustausch
Bei einer Winzer­
vesper ist die ganze
Familie dabei – mit
Töchterchen Anne­
marie Wittmann als
Mittelpunkt.
Guter Wein, herzliche Menschen
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Ute Dreissigackers Kochkünste sind berühmt.
Oft hört man im Wonnegau, wie schade es ist,
dass sie im Sommer nicht mehr die Straußen­
wirtschaft des Weinguts betreibt.
Foto: xxx
Tafelfreuden
In der „Rheinischen
Kuhkapelle“ wurden
zwei Biertische mit
einer alten Leinen­
tischdecke und
schönem Porzellan
in eine festliche
Tafel verwandelt
(oben).
Mit einer ganzen Reihe anderer junger Winzer ha­
ben sie sich zu der Vereinigung „message in a bottle“
zusammengeschlossen. Sie vermarkten ihre Weine
nicht über das „Bio“-Etikett, sondern der biologische
Anbau ist nur der erste Schritt zu mehr Qualität. Am
Nachmittag haben sich vier der Winzer mit ihren Fa­
milien und Freunden zu einer klassischen Wonne­
gauer Winzervesper verabredet: Jochen und Christi­
an Dreissigacker, Stefan Winter und Philipp
Wittmann. Sie sind Kollegen und Freunde und tref­
fen sich regelmäßig mit ihren Familien zu Weinpro­
ben. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus und erörtern
bei jedem Wein, welche Überlegungen zur Bestim­
mung des Lesezeitpunkts führten. Früher behielt je­
der Winzer seine Methoden für sich. Aber dass das
Teilen von Wissen zu einem „Mehr“ an Wissen führt,
von dem jeder Einzelne und letztlich die ganze Regi­
on profitiert, ist Teil ihrer neuen Philosophie.
Heute wird der neue 2009er
Jahrgang verkostet. Dazu haben
die Dreissigackers eine Tafel in
der „Rheinischen Kuhkapelle“
von Jochen Dreissigackers
Schwiegereltern aufgebaut, und
Jochens Mutter Ute steuert für
eine gesellige Runde die herz­
hafte Grundlage bei. Auf den
Tisch kommen die 2009er Wei­
ne der vier Weingüter. Man ist
erstaunt, wie facettenreich das Spektrum der Weine
sein kann, die so dicht beieinander wachsen: die
säurefrischen und geschliffenen Weine, die Philipp
Wittmann aus den windoffenen Lagen in Westhofen
verarbeitet, oder Stefan Winters rauchige, nachhal­
tige Weine, die er im nur drei Kilometer entfernten
Dittelsheim auf Kalkmergelböden in kühleren und
dadurch später reifen Lagen anbaut.
Und während so gespeist, gescherzt, gefachsimpelt
und der Wein ordentlich geschlürft wird, bekommt
man einen Eindruck, dass dieses Terroir nicht nur be­
sondere Weine hervorbringt, sondern auch einen be­
sonders herzlichen Menschenschlag.
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Die Winzervesper
Eine Weinverkostung braucht eine ordentliche Grundlage. Ute
Dreissigacker verrät ihre besten Spezialitäten-Rezepte aus der
Region für eine große Tafelrunde von mindestens zehn Personen.
Pfeffer abschmecken. 2 frische Zwiebeln
in Würfel schneiden, zur Flüssigkeit ge­
ben und kurz vor dem Servieren auf dem
Handkäs verteilen.
TiPP: Frisches Bauernbrot mit Butter
und ein gutes Glas Riesling dazu sind immer wieder ein Genuss.
Das brauchen Sie: 400 g Frischkäse
(Rahmstufe), 100 g Sonnenblumenmargarine,
1 kleine Zwiebel, fein gewürfelt (nicht im
Mixer, sondern per Hand, da der Zwiebelsaft
bitter macht), ½ TL Salz, Pfeffer aus der
Mühle, gemahlener Paprika, Schnittlauch
So wird's gemacht: Frischkäse,
Margarine und Zwiebelwürfel mit einer
Gabel gründlich durchmischen. Mit Salz
und Pfeffer abschmecken. Zum Verzie­
ren einen Hauch Paprika und Schnitt­
lauchröllchen darüberstreuen. Spunde­
käs reicht man mit frischem Bauern­brot
oder frisch gebackenem Laugengebäck
zum Wein.
TiPP: Optional können Sie noch ein sehr
frisches Eigelb unterrühren, der Spundekäs bekommt dann eine besonders schöne
Farbe.
Das brauchen Sie: 1 Kalbstafelspitz von
ca. 1 Kg, Zucker, Salz, 1 Lorbeerblatt, 6 Wacholderbeeren, 3 Nelken, 1 Zwiebel, 50 ml
Balsamico Rosso, 1/2 Bund Rucola, 2 Radieschen
Für die Sauce: 200 g Mayonnaise (selbst ge­
macht oder aus dem Glas), 200 g Schmand,
1 TL Senf, Salz, Zucker, Pfeffer aus der Mühle, Saft von ½ Zitrone, 2 hart gekochte Eier,
1 Bund Petersilie, 3 Blatt Sauerampfer, je ½
Bund Pimpernelle, Kerbel, Zitronenmelisse
So wird's gemacht: Einen Kalbstafel­
Das brauchen Sie: 1 reifer Bauernhandkäse vom Wochenmarkt, 200 ml Riesling,
2 cl fünfprozentiger Essig, kalt gepresstes
Raps- oder Sonnenblumenöl, Salz, Zucker,
Pfeffer aus der Mühle, 2 Zwiebeln
So wird's gemacht: Den Bauernhand­
käse in eine flache Keramikschale legen
und bei Zimmertemperatur warm stellen.
Für die Musik Riesling, Essig und einen
Schuss Öl verrühren, mit Salz, Zucker,
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spitz beim Metzger vorbestellen und
parieren lassen. In einem Sud aus Was­
ser, Salz, einer Prise Zucker, Lorbeer,
Wacholderbeeren, Nelken und der gan­
zen geschälten Zwiebel das Fleisch
circa 1 Stunde leicht köcheln lassen.
Nach dem Erkalten den Tafelspitz in
dünne Scheiben schneiden und
fächerartig auf einer Platte anrichten.
Balsamico Rosso zu gleichem Teil
mit Tafelspitzbrühe mischen und die
Fleischscheiben damit be­sprühen. Fein
gehackten Rucola und in Stifte geschnit­
Der Trinkspruch: „Beim
Rhoihessewoi do los dei
Sorje Sorje soi – beim
Rheinhessenwein da lass
deine Sorgen Sorgen sein.“
tene Radieschen darüberstreuen.
Für die Kräutersauce Mayonnaise,
Schmand, Senf, je 1 kräftige Prise Salz,
Zucker und Pfeffer mit dem Zitronensaft
mixen. Eier in feine Würfel hacken und
mit circa 200 g der gezupften und fein
geschnittenen Kräuter unter die Sauce
mischen.
TiPP: Einige Minzeblättchen geben der
Sauce einen frischen Geschmack.
Rheinhessisches
„Soulfood“ Handkäs
mit Zwiebeln, Grüne
Sauce zu Tafelspitz
und ein Glas Riesling
zaubern ein Strahlen
auf die Gesichter der
Gäste, darunter der
Winzer Stefan Win­
ter (unten rechts).
Das brauchen Sie: ½ Schweinekeule
(ca. 4 Kg, reicht für 15 Portionen) ohne Knochen mit Schwarte, Paprika, Pfeffer aus der
Mühle, ½ Flasche Riesling
So wird's gemacht: Für den Ries­
lingschinken beim Schlachter ein Stück
Schweinekeule vorgegart und in Salzlake
eingelegt bestellen. Die Kruste rauten­
förmig einritzen und den Schinken mit
Paprika und Pfeffer einreiben. Im Ofen
je nach Größe bis zu 2 Stunden bei 120
Grad garen. Zwischendurch die Schwei­
nekeule mit einem guten Schuss Riesling
übergießen. Für die knusprige Kruste
den Ofen zum Ende der Garzeit ca. 15
Minuten auf 180 Grad hochdrehen.
TiPP: Ein Rieslingschinken ist ein echter
Hingucker, wenn Sie ihn vor Ihren Gästen
aufschneiden.
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Ausflüge in den Wein
Unterwegs im Wonnegau
1 Majestätisch
Der Wormser Dom
von 1130 mit einem
Hochaltar von
Balthasar Neumann
2 Auffällig Wein­
berghäuschen im
apulischen TrulloStil 3 Sagenhaft
Die NibelungenFestspiele in Worms
4 Gemächlich Der
Rhein bei Nierstein
5 Kurios Im Dit­
telsheimer „Heiden­
turm“ vermischen
sich byzantinische
und maurische
Elemente 6 Romantisch Die Lese
im Weinberg
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6
Übernachtung Für eine Probierreise durch
den Wonnegau empfehlen wir die Übernachtung gleich
im Ort zu buchen. Gästezimmer bietet zum Beispiel das
Weingut Schuhmacher-Weinreich, Riederbachstraße 7,
67596 Bechtheim, Tel. 062 42/76 75, www.schuhmacherweinreich.de
Restaurant Eine der schönsten Aussichtsterras-
sen mit bis zu 100 Kilometer weitem Blick über den
Wonnegau liegt auf dem Kloppberg. Stöckbauers Weinkastell, Auf dem Kloppberg 1, 67596 Dittelsheim-Heßloch,
Tel. 062 44/571 11, www.stoeckbauers-weinkastell.de
Radtouren Unter dem verheißungsvollen Titel
„Von Winzerhof zu Winzerhof“ vermittelt rheinhessen.de
noch bis 24. Oktober Fahrradtouren mit Gepäcktransport und Übernachtung beim Winzer. Informationen unter
Tel. 061 32/441 70, [email protected]
Sehenswürdigkeit
Die Geschichte der
Städte Worms und Alzey sind fest mit der Nibelungensage verbunden. Vor dem Wormser Dom, neben Mainz
und Speyer einer der drei rheinischen Kaiserdome, werden jeden August die Nibelungen-Festspiele aufgeführt
Typisches
Bekannt für Rheinhessen sind die
„Trulli“, schneeweiße, steinerne Weinberghäuschen, die
an die Architektur Apuliens erinnern. Der Überlieferung
nach wurden sie von italienischen Steinmetzen im 18.
Jahrhundert errichtet.
Junge Winzer Unter dem Namen „message
in a bottle“ haben sich 28 junge Winzer aus Rheinhessen
zusammengeschlossen und laden regelmäßig zu
gemeinsamen Events ein. Informationen unter
www.message-in-a-bottle.info
COUN
T
AktionRY-
Wein z
Bestel um
len
− 2009er Jahrgang −
Die verkostung zum Nachmachen
Unterschiedliche Böden, Traubensorten, Witterungsbedingungen und Lesezeitpunkte ergeben eine
Vielfalt an Weinen aus dem gleichen 2009er Jahrgang. COUNTRY hat eine Auswahl von vier
Weingütern verkostet, die Sie als Probierkiste mit zwölf Flaschen zum Vorzugspreis von 141,50 Euro
inklusive Versand beim Weingut Dreissigacker bestellen können.
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Fotos: Hendrik Holler / LOOK-foto (1), Peter Bischoff (1), Rheinhessen (4)
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Weingut Dreissigacker
Untere Klinggasse 4, 67595 Bechtheim
Tel. 062 42/24 25,
www.dreissigacker-wein.de
Weingut Wittmann
Mainzer Straße 19, 67593 Westhofen
Tel. 062 44/90 50 36,
www.weingutwittmann.de
Riesling trocken Gutswein 6,90 Euro
Hasensprung Riesling 17,50 Euro
Westhofener Silvaner trocken 14,50 Euro
Westhofener Riesling trocken 14,50 Euro
Spätburgunder trocken 7,90 Euro
Weißer Burgunder „S“ 23,50 Euro
Weingut Winter
Hauptstraße 17, 67596 Dittelsheim-Heßloch
Tel. 062 44/74 46,
www.weingut-winter.de
Weingut Dr.Koehler
Pfandturmstraße 16, 67595 Bechtheim
Tel. 062 42/15 25,
www.dr-koehler-wein.de
Riesling trocken Gutswein 6,40 Euro
Dittelsheimer Weißburgunder
trocken 8,50 Euro
Chardonnay und
Weißburgunder 6,90 Euro
Dittelsheimer Riesling Kalkstein
trocken 9,80 Euro
Bechtheimer Grauburgunder
trocken 8,90 Euro
Riesling trocken 5,50 Euro
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