Eine junge Winzergeneration, die mit biologischem Anbau
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Eine junge Winzergeneration, die mit biologischem Anbau
Land & Leute AUSFLUG Weinprobe im Wonnegau Eine junge Winzergeneration, die mit biologischem Anbau Spitzenweine keltert, sorgt für eine viel beachtete Renaissance des Wonnegaus in Rheinhessen. COUNTRY war zu einer Verkostung des neuen Jahrgangs und einer herzhaften Winzervesper vor Ort. Produktion & Text Clark Parkin Fotos Sorin Morar Rezepte Ute Dreissigacker Laura und Jochen Dreissigacker laden auf dem Hof von Lauras Eltern zur Weinprobe in eine romantische rheinische Kuhkapelle mit typischem Kreuzgewölbe. 96 CountrY 6/2010 6/2010 Country 97 W ährend er dem Gast die Besonderheiten seiner Lage Geyersberg erklärt – das Kleinklima in einem Kessel rund um den Ort Bechtheim lässt die Trauben früher rei fen – kontrolliert Jochen Dreissigacker noch schnell den Beschnitt seines Weinlaubes. Sein Bruder Christian, der das Weingut Dr. Koehler betreibt, ist auch im Weinberg. Dafür, dass noch keine einzige reife Traube an den Stöcken hängt, geht es schon sehr geschäftig zu. Viele Aufgaben teilen Jochen und Christian sich, ihre Rebenreihen liegen oft di rekt nebeneinander. Jochen Dreissigackers prüfendem Blick entgeht nichts. Jeder Weinstock, jede Traube zählt, und ab und zu entfernt er noch ein Blatt, das einer Traube die lebensspendende Sonne nimmt. Für vieles gäbe es heute Maschinen. Schön aufgeräumt sehen die Weinberge der anderen Winzer auf den ersten Blick aus, die konventionell mit Herbiziden und Mine raldünger bewirtschaftet wurden. Doch Jochen Dreissigacker hat sich bewusst für den harten Weg entschieden. Einer der Nebeneffekte seiner Boden reform ist, dass bei ihm nach anhaltendem Regen der ungeschützte Mutterboden nicht mehr bis auf die Straße gespült wird. Beste Lage Schwenken, riechen, schlürfen: Jochen Dreissigacker pro biert Stefan Winters Dittelsheimer Weißburgunder. Christian und Jochen Dreissigacker verkosten in regel mäßigen Abständen den 2009er Spätburgunder, der im Keller der Schwiegereltern in Eichenholzfässern heranreift. Unten: Familie Wittmann beim Probieren. „Terroir“ ist das Zauberwort 98 CountrY 6/2010 Foto: xxx Foto: Sorin Morar Einladend Die Toreinfahrt zum Uexkuellhof von Laura Dreissig ackers Eltern. Unten: Jochen Dreissigacker hat sich den „Mog“ des Schwiegervaters geliehen. Vor sechs Jahren hat Dreissigacker damit begonnen, die Böden seiner Weinberge konsequent zu renatu rieren. Seither wird der Bereich unter und um den Rebstock ausschließlich mit der Hacke bearbeitet. Zur Erhöhung des Humusgehaltes des Bodens wer den Begrünungen gesät. Sie lockern den Boden, bin den überflüssigen Stickstoff und regulieren den Nährstoffgehalt. So wird das Wurzelwachstum der Reben gefördert, die in tiefere, mineralstoffreichere Bodenschichten vordringen. Ertragsreduktion ist Jochen Dreissigackers zweiter Schritt zum besseren Wein. Schon im Janu ar schneidet und drahtet er die Reben einzeln von Hand, verbessert so frühzeitig die spätere Laub wandstruktur. Während der sogenannten „grünen Lese“ im Sommer landet mindestens ein Drittel der Trauben auf den Boden und bildet zusätzlichen Hu mus. Die am Stock verbliebenen Trauben werden nun optimal mit Nährstoffen, Licht und Luft ver sorgt. So entsteht aromatischer, extraktreicher Most, der mit etwas Glück am Ende des Jahres zu ei nem großen Wein reift – mit dem für die Lage unver wechselbaren Aroma . „Terroir“ ist das Zauberwort, mit dem eine junge Generation Winzer, deren Biografien sich alle äh neln, dem rheinhessischen Wonnegau eine 6/2010 Country 99 erstaunliche Renaissance beschert hat. Die Winzer Philipp Wittmann, Stefan Winter und Jochen Dreis sigacker sind Botschafter einer neuen Weinphiloso phie, die das Image des früher für günstigen Mas senwein diskreditierten Rheinhessens gerade gehörig umkrempeln. Ihre Unbeirrbarkeit zahlt sich mittlerweile aus. Denn die Umstellungsphase kann für einen Winzer durchaus gefährlich werden. Während die Arbeitskosten pro Hektar steigen, hat man am Ende des Sommers bis zu sechzig Prozent weniger Wein in den Fässern. Generationenaustausch Bei einer Winzer vesper ist die ganze Familie dabei – mit Töchterchen Anne marie Wittmann als Mittelpunkt. Guter Wein, herzliche Menschen 100 CountrY 6/2010 Foto: xxx Ute Dreissigackers Kochkünste sind berühmt. Oft hört man im Wonnegau, wie schade es ist, dass sie im Sommer nicht mehr die Straußen wirtschaft des Weinguts betreibt. Foto: xxx Tafelfreuden In der „Rheinischen Kuhkapelle“ wurden zwei Biertische mit einer alten Leinen tischdecke und schönem Porzellan in eine festliche Tafel verwandelt (oben). Mit einer ganzen Reihe anderer junger Winzer ha ben sie sich zu der Vereinigung „message in a bottle“ zusammengeschlossen. Sie vermarkten ihre Weine nicht über das „Bio“-Etikett, sondern der biologische Anbau ist nur der erste Schritt zu mehr Qualität. Am Nachmittag haben sich vier der Winzer mit ihren Fa milien und Freunden zu einer klassischen Wonne gauer Winzervesper verabredet: Jochen und Christi an Dreissigacker, Stefan Winter und Philipp Wittmann. Sie sind Kollegen und Freunde und tref fen sich regelmäßig mit ihren Familien zu Weinpro ben. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus und erörtern bei jedem Wein, welche Überlegungen zur Bestim mung des Lesezeitpunkts führten. Früher behielt je der Winzer seine Methoden für sich. Aber dass das Teilen von Wissen zu einem „Mehr“ an Wissen führt, von dem jeder Einzelne und letztlich die ganze Regi on profitiert, ist Teil ihrer neuen Philosophie. Heute wird der neue 2009er Jahrgang verkostet. Dazu haben die Dreissigackers eine Tafel in der „Rheinischen Kuhkapelle“ von Jochen Dreissigackers Schwiegereltern aufgebaut, und Jochens Mutter Ute steuert für eine gesellige Runde die herz hafte Grundlage bei. Auf den Tisch kommen die 2009er Wei ne der vier Weingüter. Man ist erstaunt, wie facettenreich das Spektrum der Weine sein kann, die so dicht beieinander wachsen: die säurefrischen und geschliffenen Weine, die Philipp Wittmann aus den windoffenen Lagen in Westhofen verarbeitet, oder Stefan Winters rauchige, nachhal tige Weine, die er im nur drei Kilometer entfernten Dittelsheim auf Kalkmergelböden in kühleren und dadurch später reifen Lagen anbaut. Und während so gespeist, gescherzt, gefachsimpelt und der Wein ordentlich geschlürft wird, bekommt man einen Eindruck, dass dieses Terroir nicht nur be sondere Weine hervorbringt, sondern auch einen be sonders herzlichen Menschenschlag. 6/2010 Country 101 Die Winzervesper Eine Weinverkostung braucht eine ordentliche Grundlage. Ute Dreissigacker verrät ihre besten Spezialitäten-Rezepte aus der Region für eine große Tafelrunde von mindestens zehn Personen. Pfeffer abschmecken. 2 frische Zwiebeln in Würfel schneiden, zur Flüssigkeit ge ben und kurz vor dem Servieren auf dem Handkäs verteilen. TiPP: Frisches Bauernbrot mit Butter und ein gutes Glas Riesling dazu sind immer wieder ein Genuss. Das brauchen Sie: 400 g Frischkäse (Rahmstufe), 100 g Sonnenblumenmargarine, 1 kleine Zwiebel, fein gewürfelt (nicht im Mixer, sondern per Hand, da der Zwiebelsaft bitter macht), ½ TL Salz, Pfeffer aus der Mühle, gemahlener Paprika, Schnittlauch So wird's gemacht: Frischkäse, Margarine und Zwiebelwürfel mit einer Gabel gründlich durchmischen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Zum Verzie ren einen Hauch Paprika und Schnitt lauchröllchen darüberstreuen. Spunde käs reicht man mit frischem Bauernbrot oder frisch gebackenem Laugengebäck zum Wein. TiPP: Optional können Sie noch ein sehr frisches Eigelb unterrühren, der Spundekäs bekommt dann eine besonders schöne Farbe. Das brauchen Sie: 1 Kalbstafelspitz von ca. 1 Kg, Zucker, Salz, 1 Lorbeerblatt, 6 Wacholderbeeren, 3 Nelken, 1 Zwiebel, 50 ml Balsamico Rosso, 1/2 Bund Rucola, 2 Radieschen Für die Sauce: 200 g Mayonnaise (selbst ge macht oder aus dem Glas), 200 g Schmand, 1 TL Senf, Salz, Zucker, Pfeffer aus der Mühle, Saft von ½ Zitrone, 2 hart gekochte Eier, 1 Bund Petersilie, 3 Blatt Sauerampfer, je ½ Bund Pimpernelle, Kerbel, Zitronenmelisse So wird's gemacht: Einen Kalbstafel Das brauchen Sie: 1 reifer Bauernhandkäse vom Wochenmarkt, 200 ml Riesling, 2 cl fünfprozentiger Essig, kalt gepresstes Raps- oder Sonnenblumenöl, Salz, Zucker, Pfeffer aus der Mühle, 2 Zwiebeln So wird's gemacht: Den Bauernhand käse in eine flache Keramikschale legen und bei Zimmertemperatur warm stellen. Für die Musik Riesling, Essig und einen Schuss Öl verrühren, mit Salz, Zucker, 102 CountrY 6/2010 spitz beim Metzger vorbestellen und parieren lassen. In einem Sud aus Was ser, Salz, einer Prise Zucker, Lorbeer, Wacholderbeeren, Nelken und der gan zen geschälten Zwiebel das Fleisch circa 1 Stunde leicht köcheln lassen. Nach dem Erkalten den Tafelspitz in dünne Scheiben schneiden und fächerartig auf einer Platte anrichten. Balsamico Rosso zu gleichem Teil mit Tafelspitzbrühe mischen und die Fleischscheiben damit besprühen. Fein gehackten Rucola und in Stifte geschnit Der Trinkspruch: „Beim Rhoihessewoi do los dei Sorje Sorje soi – beim Rheinhessenwein da lass deine Sorgen Sorgen sein.“ tene Radieschen darüberstreuen. Für die Kräutersauce Mayonnaise, Schmand, Senf, je 1 kräftige Prise Salz, Zucker und Pfeffer mit dem Zitronensaft mixen. Eier in feine Würfel hacken und mit circa 200 g der gezupften und fein geschnittenen Kräuter unter die Sauce mischen. TiPP: Einige Minzeblättchen geben der Sauce einen frischen Geschmack. Rheinhessisches „Soulfood“ Handkäs mit Zwiebeln, Grüne Sauce zu Tafelspitz und ein Glas Riesling zaubern ein Strahlen auf die Gesichter der Gäste, darunter der Winzer Stefan Win ter (unten rechts). Das brauchen Sie: ½ Schweinekeule (ca. 4 Kg, reicht für 15 Portionen) ohne Knochen mit Schwarte, Paprika, Pfeffer aus der Mühle, ½ Flasche Riesling So wird's gemacht: Für den Ries lingschinken beim Schlachter ein Stück Schweinekeule vorgegart und in Salzlake eingelegt bestellen. Die Kruste rauten förmig einritzen und den Schinken mit Paprika und Pfeffer einreiben. Im Ofen je nach Größe bis zu 2 Stunden bei 120 Grad garen. Zwischendurch die Schwei nekeule mit einem guten Schuss Riesling übergießen. Für die knusprige Kruste den Ofen zum Ende der Garzeit ca. 15 Minuten auf 180 Grad hochdrehen. TiPP: Ein Rieslingschinken ist ein echter Hingucker, wenn Sie ihn vor Ihren Gästen aufschneiden. 6/2010 Country 103 1 2 Ausflüge in den Wein Unterwegs im Wonnegau 1 Majestätisch Der Wormser Dom von 1130 mit einem Hochaltar von Balthasar Neumann 2 Auffällig Wein berghäuschen im apulischen TrulloStil 3 Sagenhaft Die NibelungenFestspiele in Worms 4 Gemächlich Der Rhein bei Nierstein 5 Kurios Im Dit telsheimer „Heiden turm“ vermischen sich byzantinische und maurische Elemente 6 Romantisch Die Lese im Weinberg 3 6 Übernachtung Für eine Probierreise durch den Wonnegau empfehlen wir die Übernachtung gleich im Ort zu buchen. Gästezimmer bietet zum Beispiel das Weingut Schuhmacher-Weinreich, Riederbachstraße 7, 67596 Bechtheim, Tel. 062 42/76 75, www.schuhmacherweinreich.de Restaurant Eine der schönsten Aussichtsterras- sen mit bis zu 100 Kilometer weitem Blick über den Wonnegau liegt auf dem Kloppberg. Stöckbauers Weinkastell, Auf dem Kloppberg 1, 67596 Dittelsheim-Heßloch, Tel. 062 44/571 11, www.stoeckbauers-weinkastell.de Radtouren Unter dem verheißungsvollen Titel „Von Winzerhof zu Winzerhof“ vermittelt rheinhessen.de noch bis 24. Oktober Fahrradtouren mit Gepäcktransport und Übernachtung beim Winzer. Informationen unter Tel. 061 32/441 70, [email protected] Sehenswürdigkeit Die Geschichte der Städte Worms und Alzey sind fest mit der Nibelungensage verbunden. Vor dem Wormser Dom, neben Mainz und Speyer einer der drei rheinischen Kaiserdome, werden jeden August die Nibelungen-Festspiele aufgeführt Typisches Bekannt für Rheinhessen sind die „Trulli“, schneeweiße, steinerne Weinberghäuschen, die an die Architektur Apuliens erinnern. Der Überlieferung nach wurden sie von italienischen Steinmetzen im 18. Jahrhundert errichtet. Junge Winzer Unter dem Namen „message in a bottle“ haben sich 28 junge Winzer aus Rheinhessen zusammengeschlossen und laden regelmäßig zu gemeinsamen Events ein. Informationen unter www.message-in-a-bottle.info COUN T AktionRY- Wein z Bestel um len − 2009er Jahrgang − Die verkostung zum Nachmachen Unterschiedliche Böden, Traubensorten, Witterungsbedingungen und Lesezeitpunkte ergeben eine Vielfalt an Weinen aus dem gleichen 2009er Jahrgang. COUNTRY hat eine Auswahl von vier Weingütern verkostet, die Sie als Probierkiste mit zwölf Flaschen zum Vorzugspreis von 141,50 Euro inklusive Versand beim Weingut Dreissigacker bestellen können. 4 Fotos: Hendrik Holler / LOOK-foto (1), Peter Bischoff (1), Rheinhessen (4) 5 104 CountrY 6/2010 Weingut Dreissigacker Untere Klinggasse 4, 67595 Bechtheim Tel. 062 42/24 25, www.dreissigacker-wein.de Weingut Wittmann Mainzer Straße 19, 67593 Westhofen Tel. 062 44/90 50 36, www.weingutwittmann.de Riesling trocken Gutswein 6,90 Euro Hasensprung Riesling 17,50 Euro Westhofener Silvaner trocken 14,50 Euro Westhofener Riesling trocken 14,50 Euro Spätburgunder trocken 7,90 Euro Weißer Burgunder „S“ 23,50 Euro Weingut Winter Hauptstraße 17, 67596 Dittelsheim-Heßloch Tel. 062 44/74 46, www.weingut-winter.de Weingut Dr.Koehler Pfandturmstraße 16, 67595 Bechtheim Tel. 062 42/15 25, www.dr-koehler-wein.de Riesling trocken Gutswein 6,40 Euro Dittelsheimer Weißburgunder trocken 8,50 Euro Chardonnay und Weißburgunder 6,90 Euro Dittelsheimer Riesling Kalkstein trocken 9,80 Euro Bechtheimer Grauburgunder trocken 8,90 Euro Riesling trocken 5,50 Euro 6/2010 Country 105