Geschichte der Musik - Der ultimative Musik Guide

Transcrição

Geschichte der Musik - Der ultimative Musik Guide
Die
Geschichte
der
Musik
Musik ist kein aktuelles Phänomen, sondern begeistert die
Menschheit über Jahrhunderte hinweg. Stetiger Wandel,
neue Stars, neue Genres und topaktuelle Vertriebsformen
machen Musik derzeit jedoch so interessant wie nie.
Musik-geschichte
Musik-geschichte
MusikIndustrie
im Wandel
Ob beim Ausgehen oder in
den eigenen vier
Wänden – die Musik spielte schon
immer eine große
Rolle.
Die Charts hießen Top 40, weil in
den alten Wurlitzer-Maschinen maximal 40 Platten Platz hatten und
die Charts ganz früher nach den
aufgerufen Plays in den Jukeboxes
gewertet wurden.
Die Geschichte der Musik ist nicht nur für echte
Musikfans interessant. Hier erfahren Sie, was sich
von den Anfängen bis heute alles getan hat.
B
eim Thema Musik eignet sich
zum Einstieg natürlich ein
Blick in die Geschichte. Dieser
zeigt, wie sich die Musik, die dahinterstehende Industrie, die Künstler,
die Verbreitungsformen und last but
not least die Konsumation von Musik
in den letzten Jahren verändert hat.
Hier ist natürlich entscheidend, dass
ein echter Profi zu Wort kommt.
Deshalb sind wir auch besonders
stolz, dass wir für dieses Einstiegskapitel mit Andy Zahradnik einen Musikexperten gewinnen konnten, der
die heimische und internationale
Musikindustrie kennt wie kaum ein
anderer. Der 1958 geborene Österreicher ist Autor zahlreicher Fach-
10 Musikguide Austria
publikationen, Künstler-Biografien,
schreibt unter anderem Drehbücher
für Musikshows für TV und Bühne
und ist seit mehr als 40 Jahren in der
Musikwirtschaft tätig. Was er über
die Geschichte der Musik zu sagen
hat, lesen Sie in den folgenden Absätzen:
Das wars. Schluss. Totaler Ausverkauf. Store Closing stand in fetten
schwarzen Lettern auf dem gelben
Transparent.
Alles im Laden war verscherbelt
worden. Die Registrierkassen, die
CD-Racks und die Musik. New York
ist seit Juni 2009 Jungfrauen-frei.
Den Virgin Megastore am Times
Square gibts nicht mehr.
Aber, verdammt, wir hier, wir
leben noch, wir hören Musik, wir
kaufen Platten und stehen fassungslos da und müssen zusehen, wie die
Abrissbirne durch unsere Leidenschaft kracht. New York, der große
Apfel, hat seit 5 Jahren keinen großen Plattenladen mehr. Verrückt?
Ja, aber New York ist überall. Kleine,
feine Geschäfte, die tauchen wieder
auf und Vinyl erlebt ein Revival, aber
man kann es drehen und wenden,
wie man will: Die Musikindustrie
ist jene Industrie, die als Erste vom
Internet eine drüber gebraten gekriegt hat.
In der ersten Runde stehend k.
o.? Fast, aber das ist nicht das ers-
te Mal, dass es die Plattenbrüder und
-schwestern herbeutelt.
Die Geschichte der Musikindustrie – heute vielmehr Musikwirtschaft – wird seit jeher von Hochs
und Tiefs, von technischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen begleitet. Auf der Reise mit dem
One Way Ticket von der Edison-Walze zu Streams, die heute Musik aus
der Wolke liefern – spannend war
dieses Geschäft immer.
Staniolblatt als Anfang
1877
meldete
Herr
Thomas
Alva Edison ein Patent an:
Den
Phonographen,
seine
‚Sprechmaschine‘,
mit
der
man
Tonaufnahmen
von
mehreren Minuten speichern
konnte. Was auch immer
an Schallwellen produziert
wurde, auf dem Staniolblatt
von Edison konnten die
Töne eingefangen werden.
Nehmen wir daher das Jahr
1877 als das Geburtsjahr
der
Musikindustrie
an.
Ja, natürlich ließe sich da noch
zurückspringen, zu den ersten
Musikverlegern, der geschäftlich
gut organisierten Walzer-Familie
Strauss, aber den Grundstein zum
Aufnehmen
und
industriellen
Vervielfältigen von Tonaufnahmen
hat doch Herr Edison gelegt. Mit
dem Staniol-Ding ging es los.
Knapp 10 Jahre später wurde
Wachs als Tonträger verwendet,
dann probierte man es auch mit
Zelluloid.
Vervielfältigen
war
mühsam. Interessant ist aber, dass
einer der Vorteile des Apparates
auch der des Homerecordings war.
Musikguide Austria 11
Musik-geschichte
Musik-geschichte
MusikIndustrie
im Wandel
Ob beim Ausgehen oder in
den eigenen vier
Wänden – die Musik spielte schon
immer eine große
Rolle.
Die Charts hießen Top 40, weil in
den alten Wurlitzer-Maschinen maximal 40 Platten Platz hatten und
die Charts ganz früher nach den
aufgerufen Plays in den Jukeboxes
gewertet wurden.
Die Geschichte der Musik ist nicht nur für echte
Musikfans interessant. Hier erfahren Sie, was sich
von den Anfängen bis heute alles getan hat.
B
eim Thema Musik eignet sich
zum Einstieg natürlich ein
Blick in die Geschichte. Dieser
zeigt, wie sich die Musik, die dahinterstehende Industrie, die Künstler,
die Verbreitungsformen und last but
not least die Konsumation von Musik
in den letzten Jahren verändert hat.
Hier ist natürlich entscheidend, dass
ein echter Profi zu Wort kommt.
Deshalb sind wir auch besonders
stolz, dass wir für dieses Einstiegskapitel mit Andy Zahradnik einen Musikexperten gewinnen konnten, der
die heimische und internationale
Musikindustrie kennt wie kaum ein
anderer. Der 1958 geborene Österreicher ist Autor zahlreicher Fach-
10 Musikguide Austria
publikationen, Künstler-Biografien,
schreibt unter anderem Drehbücher
für Musikshows für TV und Bühne
und ist seit mehr als 40 Jahren in der
Musikwirtschaft tätig. Was er über
die Geschichte der Musik zu sagen
hat, lesen Sie in den folgenden Absätzen:
Das wars. Schluss. Totaler Ausverkauf. Store Closing stand in fetten
schwarzen Lettern auf dem gelben
Transparent.
Alles im Laden war verscherbelt
worden. Die Registrierkassen, die
CD-Racks und die Musik. New York
ist seit Juni 2009 Jungfrauen-frei.
Den Virgin Megastore am Times
Square gibts nicht mehr.
Aber, verdammt, wir hier, wir
leben noch, wir hören Musik, wir
kaufen Platten und stehen fassungslos da und müssen zusehen, wie die
Abrissbirne durch unsere Leidenschaft kracht. New York, der große
Apfel, hat seit 5 Jahren keinen großen Plattenladen mehr. Verrückt?
Ja, aber New York ist überall. Kleine,
feine Geschäfte, die tauchen wieder
auf und Vinyl erlebt ein Revival, aber
man kann es drehen und wenden,
wie man will: Die Musikindustrie
ist jene Industrie, die als Erste vom
Internet eine drüber gebraten gekriegt hat.
In der ersten Runde stehend k.
o.? Fast, aber das ist nicht das ers-
te Mal, dass es die Plattenbrüder und
-schwestern herbeutelt.
Die Geschichte der Musikindustrie – heute vielmehr Musikwirtschaft – wird seit jeher von Hochs
und Tiefs, von technischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen begleitet. Auf der Reise mit dem
One Way Ticket von der Edison-Walze zu Streams, die heute Musik aus
der Wolke liefern – spannend war
dieses Geschäft immer.
Staniolblatt als Anfang
1877
meldete
Herr
Thomas
Alva Edison ein Patent an:
Den
Phonographen,
seine
‚Sprechmaschine‘,
mit
der
man
Tonaufnahmen
von
mehreren Minuten speichern
konnte. Was auch immer
an Schallwellen produziert
wurde, auf dem Staniolblatt
von Edison konnten die
Töne eingefangen werden.
Nehmen wir daher das Jahr
1877 als das Geburtsjahr
der
Musikindustrie
an.
Ja, natürlich ließe sich da noch
zurückspringen, zu den ersten
Musikverlegern, der geschäftlich
gut organisierten Walzer-Familie
Strauss, aber den Grundstein zum
Aufnehmen
und
industriellen
Vervielfältigen von Tonaufnahmen
hat doch Herr Edison gelegt. Mit
dem Staniol-Ding ging es los.
Knapp 10 Jahre später wurde
Wachs als Tonträger verwendet,
dann probierte man es auch mit
Zelluloid.
Vervielfältigen
war
mühsam. Interessant ist aber, dass
einer der Vorteile des Apparates
auch der des Homerecordings war.
Musikguide Austria 11
Musik-geschichte
Verdammt, wir leben noch!
Wer’s jetzt nicht kapiert hat,
wird’s nie verstehn, dass die
Stern’ für uns anders steh’n,
dass wir im Fallen und im
Liegen erst so wirklich leben
Verdammt, wir leben noch –
na immer noch! (Falco, 1999)
Der Musikindustrie war somit das
Überspielen, Kopieren von fertigen
Werken schon von Anfang an mit in
die Wiege gelegt worden.
Auf die Walze folgte die
Platte. 1890 wurden bereits die
ersten Grammophone in Serie
hergestellt. Zwei Jahre zuvor
gründeten die Brüder Josef und
Emil Berliner (der Erfinder und
Vater der Schallplatte) die ‚Deutsche
Grammophon Gesellschaft‘, aus der
über viele Jahre und nach einigen
Eigentümerwechseln mittlerweile
Universal Music geworden ist.
1898 taten bereits die ersten
die
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12 Musikguide Austria
Jukeboxes, also Musikautomaten
ihren Dienst und die Platten,
die darin rotierten, diese Platten
hießen ‚Schellacks‘, waren schwarz,
rund und leicht zerbrechlich. Die
Schellack-Platte, gemeinsam mit
der Weltwirtschaftskrise, killte
1929 die Walze und auch Edisons
Plattenfirma. Land unter für den
Erfinder und schuld waren Läuse.
Schellack ist ein Produkt der
Lackschildläuse und um zu einem
Kilo Schellack zu kommen, müssen
rund 300.000 Läuse tätig gewesen
sein. Mit dem harten Material
Schellack wurden die Oberflächen
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Es dauerte auch
nicht allzu lange,
bis die ersten
großen Weltstars in
Erscheinung traten.
Wie etwa Elvis
Presley.
Viele nutzten Musikveranstaltungen als Abwechslung zum
eher tristen Alltag.
der Schallplatten versiegelt, damit
die Nadel des Grammophons
ihre Furchen nicht so tief ziehen
konnte und Platten eine längere
Lebensdauer hatten. Endlich war es
möglich, Musik in weit größerem
Umfang verbreiten.
Mit
dem
harten
Material
Schellack wurden die Oberflächen
der Schallplatten versiegelt, damit
die Nadel des Grammophons ihre
Furchen nicht so tief ziehen konnte
und Platten eine längere Lebensdauer
hatten. Endlich war es möglich,
Musik in weit größerem Umfang
verbreiten zu können, als es mit
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der Walze je geklappt hätte. Musik,
festhalten auf Scheiben, was noch
eine weitere, enorme Auswirkung
mit sich brachte: Radiostationen
in den USA, vor allem kleinere
mit
UKW-Standard,
begannen
Musik von der Platte zu spielen.
Turbulente Jahre
War es zuvor nötig, die Künstler live
in Mikros singen zu lassen und die
Darbietungen gleich auch zu senden,
waren Platten sehr praktisch. Musik
war auf einen Griff verfügbar und
konnte jederzeit aufgelegt werden.
1923 stieg alleine in den USA die
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Zahl er Radiostationen innerhalb
eines Jahres von 100.000 auf 500.000
und ohne Musik lief nix! Das führte schließlich, paradoxer Weise, zur
ersten Existenzkrise der Plattenfirmen in den USA. Kurz gefasst: Die
Musikunternehmen sahen durch
im Radio gespielte Platten ihr KernGeschäft gefährdet und ein wilder
Streit entbrannte, was in einem Sendeverbot gipfelte. Die Werbe-Wirkung von ‚Airplay‘ wurde von den
Firmen unterschätzt, Künstler und
Platten verloren ihre wichtigste Promotion-Plattform und das Geschäft
ging in die Knie. Schlussendlich wa-
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ren die Radiobetreiber nicht die Totengräber der Musikindustrie, sondern vielmehr deren Lebensretter.
CBS, NBC und wie sie alle heißen…
die großen US Radio Networks kauften die darbenden Labels, kauften
sich somit die Musik für ihre Sender
und diese Symbiose hielt bis in die
80er-Jahre des 20. Jahrhunderts.
Als der japanische ElektronikKonzern Sony das US-amerikanische
Traditionslabel Columbia Records
(CBS Records) vom US Radio- und TVNetwork CBS (Columbia Broadcasting System) kaufte, ging die Ära der
Networks als Plattenfirmen zu Ende.
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Platte
Musikguide Austria 13
MusikHistory
Vinyl, bis Ende der 80er
ein Massenprodukt, heute
mehr als nur Liebhaberei
für wahre Plattenfreunde.
Filmhits beflügelten die Musikindustrie zusätzlich.
Musik war schon
immer ein Garant
ausgelassener
Partys.
Musikstars (hier Peter Kraus)
sorgten schon immer für Massenaufläufe und Fan-Hysterie.
Es waren turbulente Jahre zwischen
der Erfindung der Walze 1877 und
der nächsten wichtigen Weichenstellung der Musikindustrie, dem Jahr
1948.
1948 wurde das Material Vinyl
(PVC) zum ersten Mal für Schallplatten getestet. 10 Jahre später produzierte die Firma EMI die letzte Schellack. Vinyl war das perfekte Material
für Tonträger. Die kleinen Platten hatten einen Durchmesser von 7 Inch
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Jukeb
14 Musikguide Austria
und wurden Singles genannt, auf 45
Rpm (Runden pro Minute) abgespielt
und der perfekte Träger für die tagesaktuellen Hits. LPs hatten – und haben – einen Durchmesser von 30 cm,
werden mit einer Umdrehung von 33
1/3 Rpm abgespielt und erlaubten die
Aufnahmen von kompletten Werken.
Bis in die 80er-Jahre hinein war Vinyl
der wichtigste Treibstoff für die Musikindustrie. Klar, auch fertig bespielte MusiCassetten hatten ihre Fans,
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Wachs
aber Platten waren eben Platten. Die
Magie von großen Covers, tollen Innenhüllen, die meist mit Song-Texten
und Informationen bedruckt waren.
Es ist dem bei Columbia Records
in New York angestellten Grafiker
Alex Steinweiss zu verdanken, dass
Plattenhüllen bunt wurden. Zuvor
waren die Schellacks in popeligen,
braunen Kartons verpackt. Steinweiss erkannte das Potenzial der
Hüllen als Werbeträger und begann
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ab 1940 daraus kleine Kunstwerke
zu machen. 2011 starb der Vater des
Plattencovers, seine ‚Kinder‘ haben
die Geschichte der Popularmusik
stark geprägt.
Vinyl, bis Ende der 80er ein
Massenprodukt, heute mehr als
nur Liebhaberei für die wahren
Plattenfreunde, war der hauptsächliche Grund für das enorme
Wachstum
der
Musikindustrie
von den 50er- bis in die 80er-Jahre.
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Durch seine Unzerbrechlichkeit war
es möglich, Platten über weite Strecken zu transportieren, sie mit der
Post zu verschicken, im Plattenladen anzubieten, ohne dass die Angst
mitregierte, bei einem Missgeschick
Scherben zu produzieren. Vinyl war
der eine Motor, der zweite der anbrechende Wohlstand nach dem
Zweiten Weltkrieg. Die Kids bekamen mehr Taschengeld und davon
kauften sie – genau – Platten. Sing-
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les vor allem. Die Zahl der Wurlitzer
und Rock-Olas wuchs gewaltig. Jede
kleine Kneipe, die etwas auf sich
hielt, legte sich eine Juke Box zu und
so kamen die großen Hits bis in die
letzten Winkel des Landes.
Daraus entstanden die Charts.
Top 40 hießen sie, weil in den alten
Wurlitzer-Maschinen nur 40 Platten
Platz hatten und die Charts ganz
früher nach den aufgerufen Plays in
den Jukeboxes gewertet wurden.
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Musikguide Austria 15
MusikHistory
MusikHistory
Von den 1950erJahren bis heute
Eine kurze Abhandlung jener Jahrzehnte, die die Musikindustrie
grundlegend verändert haben.
D
ie 50er in Österreich. Am Plattenspieler rotierten Freddy,
Die Nielsen Brothers, Dalida,
Caterina Valente und… ein junger
Mann, der bereits damals aufzeigte, dass nicht alles so brav bleiben
würde, wie es sich Mama und Papa
vorgestellt hatten. ‚Der SchluckaufSänger‘ wurde er genannt und gerade weil er nicht so war, wie die Altvorderen sich die Jugend wünschten,
stand das Jungvolk auf Peter Kraus.
Nein, er war nie der deutsche Elvis. Auch Ted Herold war es nicht.
Der deutsche Elvis existierte einfach
nicht, denn Elvis war Elvis und Rock
’n’ Roll eine amerikanische Angelegenheit. Da konnte man sich hier
noch so bemühen. Das, was die Amis
machten, das war etwas anderes.
Der Killer, Little Richard, Fats Domino… es war ein anderer Humus,
in den sie ihre Musik pflanzten.
Wo bitte geht es hier zur
Farbe?
Aber der Spirit dieser Ami-Musik,
der traf auch bei uns auf offene Ohren und obwohl Rhythmus und Be-
16 Musikguide Austria
setzung dem amerikanischen Vorbild mehr als ähnlich waren, wurde
trotzdem eine sehr deutsche Musik
daraus – und das war gut so, denn
damit entwickelte sich eine eigene
Identität. Im Grunde machten Kraus
und Co. Schlager mit allem was dazu
gehört. Liebe, Laster, Leidenschaft
gepaart mit zeitgemäßen Rhythmen. ‚Sugar-Sugar-Baby – sei doch
lieb zu mir – dann bleib ich bei dir.‘
Saat der Gewalt? Weiße, die Schwarze Musik machten? Quatsch! Es war
Spaß, Fun, den Krieg vergessen.
1959 schloss eine ganze Generation ein Jahrzehnt hinter sich ab,
warf den Schlüssel weg und machte
sich auf, das darauffolgende Jahrzehnt als das ihre zu betrachten.
Nichts sollte mehr so sein, wie es
war. Musik ist Zeitgeist und der ein
Spiegel unseres eigenen Tuns. Daher
war 1959 die Frage gestattet: Wo bitte geht es hier zur Farbe?
Wann ist schwarz-weiß vorbei
und wird die Welt bunter? Für die
Ohren kam bald Farbe ins Hören
durch ein Etwas namens ‚Stereo‘.
Stereo – das Wunderding
Es war (fast) so wie unsere Ohren
gewohnt waren ihre Arbeit zu verrichten. Mono, das ist wie der Name
schon sagt, eine eingleisige Geschichte. Jemand singt, spielt oder
rezitiert und das kommt dann aus
einem Lautsprecher. Stellt man
mehrere Lautsprecher neben einander, dann klingt’s zwar fetter, es
kommt auch da trotzdem überall
das Gleiche raus. Das was da unter
dem Namen ‚Stereo‘ auf einmal firmierte, war räumlicher Schalleindruck.
Da kamen plötzlich die Instrumente von unterschiedlichen Seiten, und je besser die Anlage und je
hochwertiger die Aufnahme, umso
fantastischer die Klänge. Das StereoDing: Es hat bis heute unterschiedliche Entwicklungsstufen durchgemacht, darunter auch das, was
im Museum unter ‚Quadrofonie‘ zu
sehen ist, aber das Grundprinzip
ist noch unverändert. High Fidelity
Stereo. Es wummert zwar auch in
Surround, aber kein Ghettoblaster
ohne Stereo, kein MP3-Handy, kein
Autoradio ohne Stereo, und das was
heute als Minimalstandard gilt, war
damals die Sensation.
Die Sixties waren das Jahrzehnt!
Ohne die 60er keine Beatles, keine
Stones, kein Aufbruch in eine neue
Zeit. Dann 1967. Was für ein Jahr!
Mit Ö3 gab es in Österreich zum
ersten Mal einen Sender, für den
Popmusik kein subversives Zeugs
war. Und es sollte noch besser kommen: Am 25. Juni 1967 traten die
Fab Four in der britischen TV-Show
„Our World“ live auf. Es war die
erste Übertragung eines Fernsehbildes, das tatsächlich rund um die
Internationale TopBands locken weltweit
die Massen an.
Welt ging. 400 Millionen Menschen
waren dabei. Die Beatles sangen im
Abbey Road Studio „All You Need Is
Love“ und unter den Gästen waren
Mick Jagger, Keith Richards, Keith
Moon, Eric Clapton und jede Menge
hübsche Mädchen. Ringo Starr trug
eine Weste im Zottel-Look, darunter
eines dieser Hemden mit Psychedelic-Muster und Stehkragen. Die Haare der Herren waren länger geworden und zum ersten Mal wirkten sie
nicht mehr nur wie ausgelassene
Buben, die im Kino zeigten, dass sie
nicht Ski fahren können.
1967 das Jahr der Jahre? In der
Tat, denn nun war sie endlich da,
die Farbe. Nicht nur die Hemden,
Hosen und Haare wurden bunt,
sondern auch das Schaufenster des
Landes. Am 25. August 1967 startete
in Deutschland das Farbfernsehen.
Österreich folgte 1969 und die erste
Sendung in Farbe war das Neujahrskonzert. Da war sie endlich, die Farbe und weil bunt alles lustiger wirkt,
erfand in Frankreich jemand einen
eigenartigen Winzling: Die ZehnZentimer-Schallplatte. Eine Mini-Vinyl, für die Toshiba in Japan einen
tragbaren Plattenspieler entwickelt.
Die Idee war für den Kübel, ähnlich
wie die Single Cassette, das hat wirklich niemand gebraucht.
Die 70er waren Boomjahre der
Musikindustrie. 1972 überstieg der
Umsatz mit Tonträgern in Deutschland zum ersten Mal die Milliarden
-DM-Schallmauer und nährte sich
damit allmählich dem Potenzial
des Buchmarktes. Die rasante Verbreitung der MusiCassette (ja, so offiziell geschrieben) tat ihr Übriges,
um junge Käufer der Popmusik in
Scharen zuzutreiben und der ver-
Musikguide Austria 17
Musik-Geschichte
Musik-Geschichte
MusikHistory
Weltstars wie Tina
Turner lassen eine neue
Art der Fankultur entstehen.
In den 1990er-Jahren starteten (gecastete)
Boygroups und Girlie-Bands durch.
Nena prägte
u.a. die
„Neue Deutsche Welle“.
kaufte Anteil an Leerkassetten stieg
stetig. In den 70ern wurde auch die
Compilation, oder Sampler genannt,
vom Exoten zum Umsatzbringer.
LPs wurden zum ersten Mal in TVWerbespots vermarktet und für die
Industrie sprang eine weitere Umsatztüre auf.
Zahlreiche legendäre SamplerReihen haben sich zum Teil bis heute
gehalten. Serien wie „Kuschelrock“,
„Bravo Hits“ oder in Österreich „Ö3
Greatest Hits“ sind Sammlerobjekte
geworden. Das Repertoire auf den
Compilation-Blockbustern war anfänglich stets gut kompiliert. Da
durften nur wirkliche Hits drauf.
Auf Experimente ließ man sich
nicht ein. Es galt, die Hits zu transportieren, das war es, was die Käufer wollten. Den Leuten irgendeinen
Mist unter- zujubeln, funktionierte
nicht. Dass das später trotzdem im-
18 Musikguide Austria
mer wieder versucht wurde, trug
auch dazu bei, dass sich die Compilation-Lawine Mitte der 90er-Jahre
selbst überrollte. Nur die wirklich
starken Marken überlebten. Internet und CD-Brenner sortierten die
schlechten Sampler gnadenlos aus.
Natürlich ist die Compilation die
große Verliererin, seitdem es bespielbare CDs gibt und das Internet
vermeintlich alles gratis liefert. Und
es ist auch nicht neu, dass selbst zusammengestellte CDs einfach mehr
bringen, weil niemand den eigenen
Musikgeschmack besser kennt als
man selbst. Aber damals, in den
noch jungen 70er-Jahren, erreichten
die Verkäufe von Platten wie „Pop
Greats“ oder „Music Power“ von K-tel
Millionenhöhe.
Die 70er-Jahre verabschiedeten
sich mit einem Ding, welches zum
ersten Mal die Musik tatsächlich
unkompliziert transportabel machte: Sony stellte den ersten Walkman vor. Wow, das war’s, und es
dauerte nicht lange, da sah man
mehr und mehr Menschen mit
kleinen Kopfhörern herumlaufen.
Willkommen in Silver City
– die 80er?
Mit den 80er-Jahren kam der Tod
auf die Plattenhüllen. Nein, das war
kein Vorbote der späteren DeathMetal-Bewegung, sondern mit zwei
gezeichneten Knochen, die eine Kassette durchkreuzten, versuchte die
Industrie in England die – angeblich
– tödliche Wirkung des Kopierens
darzustellen.
Es war ein wahrlich seltsamer
Versuch, die Leute vom Aufnehmen
abzuhalten. „Hometaping Is Killing
Music“ wurde bei den Fans zur Lachnummer und gebracht hatte es rein
Ikonen der 1980er wie Prince schaffen es
mit ihrer Musik noch heute, riesige Hallen zu
füllen oder Festival-Besucher zu begeistern.
gar nichts. Irgendwann verschwand
das Logo dann auch wieder.
1980, da setzte etwas die ersten
Duftmarken, was sich in den Early-Adopter-Medien ungefähr so las:
‚Die abnutzungsfreie digitale Schallplattentechnik macht auf sich aufmerksam.‘ Die CD, vorgestellt 1981
auf der Funkausstellung in Berlin.
Großes Staunen bei der Präsentation. Silbrig glänzend und klein und
rund… und so hält es sich auch bis
heute hartnäckig an der Gerüchtebörse: Unter dem Tisch lief die gesamte Technik extern, weil oben am
Tisch vor der Premiere nicht alles
so geklappt hatte, wie es sein sollte.
So wie sie in die Öffentlichkeit stolperte, so entwickelte sich die CD anfangs etwas zäh. Die ersten Player
kosteten ein Vermögen, aber als die
Preise zu rutschen begannen, zogen
auch die Scheiben an. Willkommen
in Silver City.
Die CD wurde vom Format her
der MusiCassette angepasst. Sie durfte nicht wesentlich größer sein und
– das war besonders wichtig – sie
sollte in Sakkotaschen passen. Aus
der ganzen Welt wurden demzufolge
Anzüge nach Japan gekarrt und Formate getestet. Das Ergebnis lautete:
12 Zentimeter. Mit 12 Zentimetern
sollte der Silberling samt Hülle in
den allermeisten Sakkos, die auf diesem Globus getragen wurden, auch
in die Taschen passen. It’s a Man’s
World. Wieso dachte eigentlich niemand an Damenhandtaschen?
Nett ist auch die Geschichte über
die maximale Aufnahmekapazität
der CD. Philips und Sony diskutierten über die maximale Spielzeit
und der damalige Vizepräsident von
Sony, Norio Ohga, ein ausgebildeter
Opernsänger, bestand darauf, dass
zumindest Beethovens 9. Symphonie in voller Länge draufpassen soll-
Musikguide Austria 19
Musik-Geschichte
Musik-Geschichte
te. Ohga wollte die 9. immer schon
mal im Ganzen hören, ohne dabei
die Platte umdrehen zu müssen.
Jene längste aufgenommene Version der Neunten, die den Technikern
damals zur Verfügung stand, war
die von Wilhelm Furtwängler, sie
dauerte 74 Minuten.
Das wars. So einfach kommts
zu Entscheidungen, die dann
auf der ganzen Welt Bedeutung bekommen. 74 Minuten ist
die
maximale
Aufnahmekapazität einer ganz normalen CD.
Das Loch der kleinen Scheibe, dessen Durchmesser 15 Millimeter beträgt, wiederum hat holländische
Wurzeln. Das weltweit kleinste
Geldstück, die zehn Cent der Nie-
derlande, hat genau den gleichen
Durchmesser und das hatte einer
der Techniker in der Hosentasche
und schon war das Maß geboren,
auf das dann später Milliarden von
CD und DVD-Player zugreifen mussten.
1985, als die Platte fast 100 war,
begann ihr Untergang und die CD
setzte sich endgültig durch. Genau
zum richtigen Zeitpunkt, denn die
Umsätze der Plattenfirmen wanderten dramatisch in den Keller. Die CD
war vom Klang brillant, aber auch
nicht so unzerstörbar wie sie angepriesen wurde. Aber die Verkaufsformel war einfach: digital = kratzund rauschfrei, keiner brauchte
mehr nach 20 Minuten aufzustehen
und die Platte umzudrehen. Die CD
war der rettende Engel. Der Markt
begann sich zu erholen.
1989 stirbt einer der Motoren,
ein Vater der CD: Herbert von Karajan. Der große Pionier der digitalen
Musikaufzeichnung bekommt nicht
mehr mit, wie die Erfindung des
Herrn Tim Berners-Lee das Schicksal der Musiker, der Autoren, der
Industrie und überhaupt das Leben
der Menschen vollkommen verändern wird. Internet? What the hell
is Internet?
Die 90er – Ein Jahrzehnt
der Weichenstellung
Bis zum Jahr 1996 ging alles gut.
Der Feldhamster wurde zum Tier
des Jahres gewählt, und der kleine
Pelznager wurde mehr als nur ein
Symbol für das Musikgeschäft. Ab
dem Herbst 1996 änderten sich die
Zeiten.
In Deutschland begann zum ersten Mal der Musik-Markt zu stagnieren. Die Alarmglocken in der Industrie schrillten. Die Zeichen standen
auf Sturm. In Österreich hielt man
sich noch vier weitere Jahre im satten Plus, dann wurde es auch hier
düsterer. MiniDisk, DAT, digitale
MusiCassette – alle diese Versuche
brachten nicht den erhofften Schub.
Vor den großen digitalen Umwälzungen war nichts zu erahnen.
Wollte man ein Lied in CD-Qualität über eine Telefonleitung schicken, dann dauerte das Stunden
und die Leitung war besetzt. ‚Das
wird niemand machen‘, war man
sich sicher. MP3 und Breitband-Leitungen stellten alles auf den Kopf.
Der große Plattenladen, wo
alles gratis ist
Bands wie ’N Sync oder die Backstreet
Boys scheffelten Millionen. Einigen
Mitgliedern stieg der große Hype und
Ruhm jedoch etwas zu Kopf.
20 Musikguide Austria
Die Nullerjahre. Das Internet hat
die Branche in voller Breitseite erwischt. Während weltweit das Lied
der depperten Musikindustrie angestimmt wurde, die einfach die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätte,
gingen bei den Firmen zuerst die
Umsätze flöten, dann die Mitarbeiter zum Arbeitsamt. Alles hat sich
halbiert.
Ja, die Industrie hat die Auswirkungen von MP3 und Tauschbörsen grob unterschätzt. Doch es
war die erste Industrie, die von der
technischen Entwicklung voll abgewatscht wurde. Und wie das so
ist, wenn man als Erster dran ist,
so darf man auch als Erster aus den
Erfahrungen lernen und so steht
wieder Falco stellvertretend für
das, was seit den Nullerjahren mit
der Musikindustrie passiert ist: Verdammt, wir leben noch!
Aus der Musikindustrie wurde die Musikwirtschaft. Zwar sind
70% der Umsätze noch immer dem
physischen Tonträger zuzurechnen, aber seit einigen Jahren ist das
Internet nicht mehr nur der Feind.
Visionäre wollten schon 2002 ausschließlich das Positive am Netz erkennen, aber es dauerte dann doch
noch Jahre, bis sich neue, tragfähige
Strukturen herausbildeten. Strukturen, die es den Konsumenten ermöglichten, auf legale Angebote zugreifen zu können. Es entwickelten
sich neue Möglichkeiten, Künstler
zu promoten, digitale Verkaufskanäle, Streaming… das Angebot ist
so vielfältig wie nie zuvor.
20 Millionen Musiktitel und
mehr stehen heute online zur Verfügung und Musikfirmen braucht
es dringender denn je, denn das
unglaubliche Angebot im Internet
bringt auch mit sich, dass es Profis
braucht, die mithelfen, durch diese
schiere Masse an Information geführt zu werden.
Die Attitüde bei den Musikfirmen hat sich ebenso deutlich gewandelt. Der Show-Zirkus ist heute viel weniger Zirkus, viel mehr
strukturierte Wirtschaft. Die alten,
legendären Branchenkapitäne haben abgedankt. Eine neue Managergeneration hat das gesamte Erscheinungsbild der Branche komplett
verändert. Das Bild des Plattenbosses mit der Zigarre, der Scham-
pus-Flasche unterm Ärmel und den
Starlets im Schlepptau ist längst
Geschichte. Die ausschweifenden
Feste, Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll –
alles in den 90ern zurückgeblieben
und nur mehr in G’schichtln von
früher lebendig.
Die Musikwirtschaft war Vorreiter, hat am eigenen Körper miterleben müssen, wie das ist, wenn
eine Dampfwalze kommt und alles
auf den Kopf stellt. Nahezu plattgewalzt und neu zusammengesetzt,
gesundgeschrumpft, gibt es die Industrie noch immer. Totgesagt, aber
auch diesmal wieder auferstanden
und sehr lebendig. Die Gelddruckmaschine der späten 80er- und frühen 90er-Jahre gibt es nicht mehr.
Und wenn da und dort etwas
über goldene Wasserhähne im Haus
von Superstar XY geschrieben steht,
dann ist das so gar nicht stellvertretend fürs Geschäft. Das sind seltene Ausnahmen, spannend für die
Yellow Press, aber weit entfernt von
der allgemeinen Realität. Für 99%
der Menschen im Musikgeschäft,
für Künstler gleichwohl wie RecordPeople gilt dieselbe Regel wie für
alle Arbeitsbienen im Land: Früh
aufstehen, hart arbeiten und wenn
einem dabei die Muse und dann
auch noch das Glück küsst, einfach
nur dankbar sein und die kurze Zeit
des Erfolges genießen.
Was bleibt von bald 140 Jahren
Musikgeschäft? Heißt es: Die Party
ist vorbei, weil es da das Internet
gibt, den großen Musikladen, wo eh
alles gratis ist? Wer für Musik zahlt,
ist ein Depp? Im Leben ist grundsätzlich nichts gratis. Irgendwer
zahlt immer. Zahlt immer drauf.
Musikguide Austria 21