isadora duncan died

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isadora duncan died
Neue Z}rcer Zeitung
FEUILLETON
Dienstag, 25.06.1996 Nr.145
45
Stürmische Liebe
Isadora Duncan und Sergei Jessenin
Für gewöhnlich vermeidet man die in modernen Ohren grob klingende Bezugnahme auf eine
Frau nur mit ihrem Nachnamen. Im Falle der
amerikanischen
Tänzerin
Isadora
Duncan
(1878–1927) geht einem die Verbindung von Artikel und Name jedoch leicht von der Zunge. Es
mag an dem provokativen Lebensstil dieser männerfressenden Diva liegen, dass sich die Nachwelt
durch solch halb despektierliches, halb eingeschüchtertes Reden gewissermassen an «der Duncan» rächt.
Kaum ein gesellschaftliches Tabu ist von Isadora Duncan unangetastet geblieben. Die Unabhängigkeit in Geldsachen – zur Zeit der Jahrhundertwende noch exotisch für eine Frau – bildet
die Grundlage ihrer freien Existenz. Zur finanziellen Autonomie paart sich die sexuelle: Die Duncan wahrt ihren zahlreichen Liebhabern gegenüber immer jene Distanz, die sie zur Ausübung
ihrer Kunst für erforderlich hält. Die freie Liebe
zielt aber auch gegen die Ehe, die das Skandalon
des Geschlechtstriebs in bürgerlich geordnete
Bahnen lenkt – eine Institution, die von der Duncan als Versklavung der Frau denunziert wird.
Die militante Ablehnung aller Unterdrückung
dehnt sich auf alle Lebensbereiche aus, nicht zuletzt auch auf die Politik: Als erklärte Kommunistin schockiert die Tänzerin ihr Publikum in der
westlichen Welt. Auf einer Bostoner Bühne
schwenkt sie ihren roten Umhang und ruft den
Zuschauern zu: «Ich bin ebenso rot wie dieser
Schal!»
Die Triebfeder solchen Verhaltens dürfte kaum
in einer moralischen Entrüstung oder gar Betroffenheit zu suchen sein – Champagner, Chiffon
und Chauffeur gehören zu Isadora Duncans notwendigen Lebensrequisiten. Vielmehr darf man
vermuten, dass der Genuss des Extravaganten
und die Lust am Rampenlicht für Isadora Duncans Attitüden verantwortlich sind. Das liegt in
der Familie: Mit den ersten Gagen der Tochter
hatten sich die Duncans einen einjährigen Griechenlandaufenthalt finanziert und sogar mit dem
Bau eines eigenen Tempels begonnen. Bald
jedoch wird der Duncan das Lächeln der heiteren
Antike sauer. Die Suche nach Alternativen währt
nicht lange: Ebenso leicht wie nach Athen findet
Isadora Duncan auch in das revolutionäre Moskau der frühen zwanziger Jahre. Die problemlose
Ersetzbarkeit des Griechenkults durch die Begeisterung für den kommunistischen Aufbau darf als
Zeichen dafür gewertet werden, dass es der Duncan weniger auf den Inhalt als auf die ausgefalCopyright © Neue Zürcher Zeitung AG
lene Form ihrer Überzeugungen ankommt.
Der
aufstrebende
Dichter
Sergei
Jessenin
(1895–1925) kommt da gerade recht. Der junge
Poet und die berühmte Tänzerin als Liebespaar –
in dieser Vision können sich sowohl Jessenins
Eitelkeit als auch Isadora Duncans Extravaganz
bespiegeln. Der Altersunterschied spielt keine
Rolle. Die Duncan wird später in ihren Memoiren die passenden Metaphern für das Verhältnis
der eigenen Reife zur Jugendlichkeit ihres Liebhabers finden: Sie vergleicht sich mit «einer voll
erblühten Rose, deren Blütenkelch sich ungestüm
über der männlichen Beute schliesst», die Freuden des Herbstes seien «gewaltiger, verzehrender,
herrlicher» als die des Frühlings oder des Sommers.
Die Verbindung zwischen Isadora Duncan und
Sergei Jessenin verläuft stürmisch. Treueschwüre,
Eifersuchtsszenen, Liebesbeteuerungen und Tobsuchtsanfälle lösen sich in rituellem Wechsel ab.
Jessenins Alkoholismus ist nicht eben geeignet,
die Wogen zu glätten: Im Suff zertrümmert der
Dichter in Paris eine ganze Hotelsuite.
Als wäre das Leben ein Schmierenstückschreiber: Das Melodramatische dieser Liebesaffäre
wird nur noch von ihrem Ende übertroffen. Sergei
Jessenin erhängt sich im selben Leningrader
Hotelzimmer, in dem er Isadora Duncan zum
erstenmal getroffen hatte; er hinterlässt ein mit
seinem eigenen Blut geschriebenes Abschiedsgedicht. Zwei Jahre später wird auch die Duncan
von einem nicht weniger theatralischen Tod ereilt:
Während einer Ausfahrt mit einem jungen Liebhaber in Nizza verfängt sich ihr Schal im Hinterrad des schnittigen Bugatti und erdrosselt die
Diva.
Das ist der Stoff, aus dem die guten Geschichten gemacht sind. Machen kann sie aber nicht
jeder. Carola Sterns Darstellung der Liebe zwischen Isadora Duncan und Sergei Jessenin fängt
zwar stellenweise die Atmosphäre der Roaring
Twenties gut ein, krankt aber an einem Strukturfehler: Sie kann sich nicht zwischen historisierender Dokumentation und psychologisierender Fiktion entscheiden. Da wird einerseits auf Quellen
und Briefe verwiesen, andererseits aber findet
man auch den Versuch einer romanhaften Durchdringung der Hauptpersonen. Auf beiden Seiten
lauern Gefahren: Die historischen Informationen,
die Carola Stern liefert, sind nicht immer akkurat
(Isaak Babel und Wsewolod Meyerhold starben
nicht im Lager, sondern im Keller der Lubjanka);
als Erzählerin des Romans kann sie bisweilen der
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Versuchung nicht widerstehen, ihren Stoff in ein
moralisches Lehrstück zu verwandeln: «Diese
beiden Künstler, Aussenseiter und Exzentriker
von hohen Graden, beherrschten nicht die Spielregeln, die der Liebe Dauer verleihen. Dazu gehören Toleranz und Nachsicht, sich gegenseitig
Freiheit zu lassen und da, wo die Leidenschaften
schwinden, Freundschaft einzubringen.»
Dies ist die Liebe zwischen Isadora Duncan
und Sergei Jessenin zuletzt: ein Menetekel für alle
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braven Pärchen, die in Pärken sitzen und Händchen halten. Menschen, die ausschliesslich für
ihre Kunst leben, sogar ihre Liebe als Kunstwerk
gestalten und daran scheitern, wird man hier
kaum antreffen.
Ulrich M. Schmid
Carola
Stern:
Dichter und die
Fr. 32.–.
Isadora
Tänzerin.
Duncan
und
Sergei
Jessenin.
Der
Verlag Rowohlt, Berlin 1996. 176 S.,
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