Erfahrungsbericht - Deutsche Fatigue Gesellschaft eV

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Erfahrungsbericht - Deutsche Fatigue Gesellschaft eV
Bericht Patient mit aggressivem Non-Hodgkin Lymphom
1. Vorgeschichte
Im Dezember 2001 hatte ich (männlich, 29 Jahre alt) gerade eine längere Prüfungszeit
hinter mich gebracht, als ich mir eine ordentliche Erkältung einhandelte. Zunächst dachte ich
mir nichts dabei. Es fiel aber auf, dass die Erkältung für mich untypisch verlief: ich fühlte
mich schlapp und fiebrig, hustete leicht, hatte aber keinen Schnupfen und auch keine
Halsschmerzen- meine sonst häufigen Wehwehchen.
Ich verschickte in dieser Zeit 15 Bewerbungen für meinen ersten festen Job und wurde auch
zu allen Vorstellungsgesprächen eingeladen. Allerdings schaffte ich es lediglich, drei der
Einladungen auch wahrzunehmen. Ich fühlte mich so schwach, dass mich mein 77-jähriger
Vater zu den Gesprächen chauffieren musste. Eine der angebotenen Stellen sagte ich
schließlich zu und beschäftigte mich auch gern mit dem Notwendigen: Wohnungssuche,
Möbelkauf etc..
Besser ging es mir allerdings nicht. Ungefähr drei Wochen nach Beginn der "Erkältung", die
sich als ungewohnt hartnäckig entpuppt hatte, bemerkte ich eines morgens am ganzen
Körper blaue Flecken - freilich ohne mich zuvor irgendwie verletzt zu haben. Ich ging zu
meinem Hausarzt, der eine Thrombozytopenie diagnostizierte und mich an die "BlutSpezialisten", wie er sagte, der Uniklinik Gießen überwies. Dort bestätigte man die Diagnose.
Ich fragte den Arzt, ob dies eine Leukämie sein könne. Dies sei mit ziemlicher Sicherheit
auszuschließen, meinte er und empfahl, nach den Freiertagen - es war kurz vor
Weihnachten- eine weitere Blutuntersuchung vorzunehmen. Dies geschah dann auch.
Inzwischen hatten sich die Blutwerte allerdings normalisiert. Daher erfolgte auch keine
weitere Diagnostik.
Der Reizhusten war aber immer noch nicht verschwunden. Außerdem bemerkte ich eine
leichten Schmerz im Brustbereich und ein ständiges Jucken an den Beinen. Als ich dann
Anfang 2002 meine Stelle angetreten und in meine neue Wohnung gezogen war, bemerkte
ich nächtliches Schwitzen und häufiges, unregelmäßiges Herzklopfen. Einmal war dies so
stark, dass ich morgens kaum aufstehen konnte. Auch jetzt dachte ich mir noch nichts dabeiStress hatte ich in der letzten Zeit ja genug gehabt. Mein Hausarzt sagte allerdings, das
vorsichtshalber geschriebene EKG gefalle ihm gar nicht und er würde mich sofort ins
Krankenhaus schicken, wenn ich 20 Jahre älter wäre. Dafür, so sagte ich deutlich, hatte ich
nun wirklich keine Zeit! So langsam dämmerte mir allerdings, dass hier irgend etwas nicht
stimmte.
Da mein Bruder als kleines Kind Asthma gehabt hatte, vermutete ich bei mir etwas Ähnliches
- dies könnte ja den Husten erklären. Ich vereinbarte einen Untersuchungstermin in einer
Lungenklinik. Am Nachmittag vor diesem Termin kaufte ich mir einen neuen Pyjama - obwohl
ich eigentlich gar keinen brauchte - und am Abend ging ich in die städtische Bibliothek, die
nur ein paar Meter von meiner Wohnung entfernt lag. Bei den Neuzugängen fand ich ein
Buch über Chemotherapie. Ich weiß nicht mehr, was mich bewog, dieses Buch zu lesen.
Jedenfalls setzte ich mich in eine Ecke der Bücherei und las das Buch durch - von vorne bis
hinten. Ich ahnte nicht, dass mir beides - der neue Pyjama und mein neugewonnenes
Wissen über Behandlung von Tumorerkrankungen - schon am nächsten Tag sehr nützlich
sein würde.
In der Klinik am nächsten Tag geriet ich zu meiner Freude an einen echten Spezialisten, der
meinen Verdacht auf Asthma aber nicht bestätigen konnte. Vielmehr ließ er vorsichtshalber
eine Röntgenaufnahme der Lunge anfertigen. Als er die Aufnahme in der Hand hielt, machte
er eine ernste Miene und sagte, das Bild sei nicht in Ordnung und er vermute Morbus
Hodgkin. "Morbus was"? fragte ich ratlos. Ich hatte noch nie etwas davon gehört. Er erklärte
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mir, dies sei ein "Lymphom", eine Tumorerkrankung des Lymphsystems. Allerdings sei dies
nur seine Vermutung - er müsse dies näher untersuchen. Kurz: er nahm mich sofort stationär
auf!
Interessanterweise schockierte mich dies nicht im geringsten. Irgendwie hatte ich es geahnt.
Meine Eltern waren allerdings nicht gerade begeistert, dass ich schon nach zwei Wochen
"krankfeiern" wollte. "Du und Krebs? Das kann doch nicht sein! Was soll denn dein Chef
dazu sagen!?" Das wusste ich auch nicht. Trotzdem erschien ich - mitsamt dem neuen
Schlafanzug - am nächsten Tag in der Klinik, nachdem ich mich auf der Arbeit "für ein paar
Tage" abgemeldet hatte.
Aus diesen "paar Tagen" wurden anderthalb Jahre.
In der Klinik erbrachten die CT-Aufnahmen zwar deutlich sichtbare Lymphknoten, weitere
Untersuchungen blieben aber unklar. Daher erklärte man mir, es müsse eine Biopsie
genommen werden. Da dies aber in der Lunge gar nicht so einfach sei, wolle man die
Zellprobe nicht selbst entnehmen. Man organisierte mir einen Termin in der Lungenklinik
Hemer, die diese Eingriffe öfter machten. Also fuhr ich nach Hemer.
Bei der Untersuchung durch den Stationsarzt stellte sich dort allerdings heraus, dass eine
Zellentnahme aus der Lunge gar nicht mehr erforderlich war. Inzwischen hatte sich nämlich
auch Lymphknoten am Hals gebildet. Daher wurde dort die Biopsie entnommen. Am
nächsten Tag hielt ich die Diagnose in Händen: Morbus Hodgkin vom nodulär
sklerosierenden Typ - was denn immer das war. Die Diagnose hatte der Hauspathologe
gestellt.
Ich fuhr erst einmal zu meinen Eltern, wo eine gedrückte Stimmung herrschte, was ich aber
gar nicht verstehen konnte. Na, dann machen wir eben eine Chemotherapie, sagte ich.
Komischerweise hatte ich kaum Angst davor - ich war ja auch schon ein wenig informiert. Im
Krieg verbreitet schließlich ein bekannter Gegner weniger Schrecken als ein Phantom.
Irgendwie befand ich mich in einem Krieg und wollte diesen Gegner, Herrn Hodgkin, mit
allen Mitteln der Kunst bekämpfen. Notfalls mit Chemie und Atomtechnik!
Zufällig wusste ich, dass der Ehemann einer ehemaligen Kollegin Onkologe war. Zwar war
der gerade dabei, seine Zelte abzubrechen, weil er eine neue Stelle bekomme hatte.
Dennoch nahm er mich als einen seiner letzten Patienten an. Er erklärte mir, der Spezialist
für M. Hodgkin sei ein Professor Diehl in Köln. Dies war mir bekannt, denn ich hatte
entsprechend im Internet recherchiert. Er organisierte mir dort kurzfristig einen Termin,
entnahm aber vorher noch eine Probe aus dem Becken (Knochenmark; negativ) und ordnete
weitere CT- Untersuchungen an, die noch ausstanden. Abdominell waren darauf ebenfalls
Lymphknoten an mehreren Stellen zu finden.
In der onkologischen Ambulanz in Köln erfuhr ich vom Ambulanzarzt Dr. C., dass meine
Symptome (Reizhusten, Müdigkeit, Schwitzen und Juckreiz) typisch für M. Hodgkin seien.
Da ich diese Symptomatik aufwies, wurde meine Erkrankung als "Hodgkin Lymphom im
Stadium IVb" eingestuft - was eine Chemotherapie vom Typ BEACOPP erforderlich mache.
Dazu wolle man mich auch gern stationär aufnehmen.
Ehrlich gesagt fand ich den grässlichen Betonklotz, der sich Uniklinik-Bettenhaus nannte und
damals noch nicht renoviert war, ungefähr so einladend wie eine Bahnhofstoilette aus dem
letzten Krieg. Andererseits spürte ich, dass hier Profis am Werke waren. Von Anfang an
hatte ich den Eindruck hier an der richtigen Adresse zu sein.
Also sagte ich zu, erbat mir aber eine Woche Pause, weil ich erst ein paar Tage Ferien
machen wollte um den Kopf frei zu bekommen. Da Hodgkin nicht dramatisch schnell
wachse, sei dies akzeptabel, meinte Dr. C., danach solle aber zügig mit der Therapie
begonnen werden. Es war inzwischen März geworden und ich fuhr in meine Lieblingsstadt
Lübeck. Allerdings hätte ich mir die Reise sparen können, denn mir ging es jeden Tag
schlechter; ich verfiel regelrecht. Ich kam kaum noch aus dem Bett, konnte nur 100 Meter
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gehen, war dann völlig durchgeschwitzt und verbrachte die meiste Zeit auf dem Sofa. Meine
Eltern holten mich bald wieder ab - zur Rückfahrt wäre ich allein nicht mehr in der Lage
gewesen.
2. Erfahrungen während der Therapie
Zurück in Köln folgten weitere Untersuchungen, die aber keine wesentlichen Erkenntnisse
brachten (abgesehen von "Bulky Disease" in der Lunge). Die Ärzte wollten bald mit der
Therapie beginnen und fragten, ob ich noch Informationsbedarf hätte. Da sie mich sehr gut
aufgeklärt hatten und ich auch Wünsche äußern durfte - ich erbat reichlich Antiemetika, da
der Magen schon immer meine schwache Seite gewesen ist - fiel es mir schwer, frei heraus
zu sagen, dass die Diagnose meiner Meinung nach falsch sei!
"Wie bitte? Warum den das?! Falsche Diagnosen sind selten", meinte der Stationsarzt und
wollte wissen, warum ich solche Zweifel hätte. Das wusste es auch nicht, dennoch war ich
mir sicher: die Sache läuft falsch! Der Stationsarzt forderte eine Referenzpathologie an. Wie
wichtig dies ist, was mir zum damaligen Zeitpunkt aber noch nicht klar.
Als dann mit der Therapie begonnen werden sollte, bekam ich plötzlich einen Ruhepuls von
220 Schlägen in der Minute. Auch schlug meine Pumpe so unregelmäßig, dass ich kurzzeitig
wegdämmerte. Auf der Intensivstation stellte man mit Hilfe eines Herzechos einen malignen
Perikaderguss, Vorhofflimmern und einen Zustand kurz vor dem Herzinfarkt fest. Den
ganzen Tag musste ich auf eine Punktion warten, weil der OA mit Herzkathetern beschäftigt
war. Dies gab mir die Gelegenheit, mit meinem Discman alle 5 Klavierkonzerte von
Beethoven zu hören. Dabei kalkulierte ich durchaus mit ein, dass dies möglicherweise das
letzte Mal war. Daher ließ ich auch meinen Bruder kommen. Direkt Angst hatte ich aber
nicht. Als gläubiger Christ wusste ich mich in Gottes Händen geborgen.
Die Punktion war erfolgreich, auch wenn ich dabei fast in Ohnmacht gefallen wäre. Der OA
zeigte mir die Flüssigkeit, die er abgesaugt hatte und meinte lapidar: "Das gehört da nicht
hin". Insgesamt hatte die Pumpe gerade zum richtigen Zeitpunkt rebelliert. Darauf
unbehandelt die erste Chemo wäre wohl übel ausgegangen.
Ich bekam einige Medikamente zur Stabilisierung und nach einigen Tagen begann der erste
Chemo-Cocktail. Die Nebenwirkungen sind bekannt, daher möchte ich auch nicht weiter
darauf eingehen. Nur soviel: ich musste mich in der Nacht mehrfach übergeben und die
arme Nachtschwester war völlig ratlos, weil man "medikamentös dagegen jetzt nichts mehr
machen" könne. Nun, zum Glück ging es am nächsten Morgen wieder besser. Im übrigen
schrieb der Stationsarzt in den Entlassungsbericht nach dem ersten Zyklus: "der Patient
vertrug die Therapie sehr gut bis auf leichte Übelkeit".
Dem hätte ich gerne mal etwas erzählt von wegen "leichte Übelkeit"!
Mir war aber bald klar, dass der gute Mann gar nicht wissen konnte, wie man sich unter einer
reichlich dosierten Polychemotherapie fühlt. Die ungewöhnlichen Therapiefolgen fand ich viel
interessanter: man bekommt ein unglaubliches Geruchsempfinden: Mein Zimmerkamerad
und ich konnten die Schwestern bei geschlossenen Augen am Geruch erkennen! Fast wie
ein Hund! Außerdem hatte ich ganz komische Gedanken im Kopf. Ich wollte unbedingt in den
Schwarzwald ziehen und dort als Landwirt leben. Warum dies, weiß ich bis heute nicht- ich
war noch nie dort und halte auch mein Talent zum Melken von Vieh für recht eingeschränkt...
Als ich nach dem ersten Zyklus wieder zu Hause war, ca. 4 Wochen war ich in der Klinik
gewesen, fielen mir nach ein paar Tagen die Haare aus, was mich aber gar nicht so sehr
störte. Irgendwie cool, fand ich und praktisch dazu: kämmen oder das lästige Rasieren?
Nicht nötig! Mehr nervten mich Doppelbilder auf einem Auge und nachts starke Schmerzen
im ganzen Körper, die aber bald wieder weitgehend verschwanden.
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Wenig später bekam ich einen Anruf von meinem Hausarzt, der mich dringend sprechen
wollte. Er sagte mir, die Kollegen aus Köln hätten gerade angerufen. Die Diagnose müsse
korrigiert werden: ich hätte kein Hodgkin sondern ein hochmalignes Non-Hodgkin- Lymphom
(aggressives NHL). Der Arzt in Köln war dann bei meiner Rückkehr zum zweiten Zyklus auch
ein wenig kleinlaut, weil ich recht gehabt hatte mit der falschen Diagnose! Heute weiß ich,
dass Lymphome eine echte Herausforderung für jeden Pathologen sind und rate daher allen
Patienten, auf einer sorgfältigen Diagnostik zu bestehen!
Der neue Chemo-Zyklus wurde in das damalige up-to-date-Schema R-CHOEP 21 geändert.
Da ich CD-20 positiv war, konnte also auch der Antikörper Rituximab (bzw. Mabthera)
eingesetzt werden.
Über die weiteren Zyklen ist nicht viel zu berichten, außer dass ich interessante
Zimmerkameraden hatte, beim vierten Zyklus eine Venenentzündung bekam und beim
dritten Zyklus starke Angst verspürt hatte. Warum, weiß ich bis heute nicht. Der Zyklus zuvor
war nicht schlimmer als sonst gewesen und auch später ist diese Angst nie wieder
aufgetreten.
Nach 1X BEACOPP und 6X R-CHOEP war die "Giftkeule" zunächst beendet und die
Sozialarbeiterin der Klinik empfahl mir eine Anschlussheilbehandlung (AHB). Ich war davon
zwar am Anfang wenig begeistert, als ich aber hörte, dass eine Reha-Klinik auf meiner
Lieblingsinsel in der Nordsee lag, freute ich mich darauf. "Nach Föhr, oder gar nicht" grinste
ich und die pfiffige Sozialarbeiterin boxte meinen Aufenthalt auch kurzfristig durch.
Ich ließ mich von meinem Bruder, der sich extra zwei Tage frei genommen hatte, in meinem
Wagen nach Föhr fahren - die weite Strecke traute ich mir nicht alleine zu, wollte aber auch
gern meinen geliebten Wagen zur Verfügung haben. Mein Bruder fuhr anschließend mit dem
Zug zurück.
Die AHB war sehr angenehm, weil fast die ganze Zeit die Sonne schien - wohlgemerkt Ende
Oktober- und ich jeden Tag an den Strand gehen konnte. Es war der sonnigste und wärmste
Oktober seit Beginn der Wetteraufzeichnung gewesen! In der Klinik wurde ich sehr nett
behandelt, hatte aber z.T. Schmerzen und kam nur mühsam wieder in Fahrt. Außerdem
merkte ich, dass mich alles irgendwie anstrengte - selbst ein paar hundert Meter zu Fuß.
Außerdem fand ich manchmal meinen Wagen kaum wieder (!) weil ich vergessen hatte, wo
ich ihn abgestellt hatte. Auch sonst waren deutliche Konzentrationsstörungen zu bemerken.
Ich ahnte nicht, dass der eigentliche Frust jetzt erst beginnen sollte, wo ich doch den Gegner
schon längst besiegt zu haben glaubte.
Wieder zurück- inzwischen waren die Haare wieder langsam gewachsen und ich sah nicht
mehr wie ein Alien aus- wurde ein erstes nach- Therapie- Staging gemacht. Leider waren in
der Lunge bzw. dem Mediastinum noch Zellansammlungen zu sehen (ursprüngliche "Bulky
Disease"). Ob aktiv oder nicht konnte man nicht sagen. Daher empfahl man eine Radiatio
(Strahlentherapie). Ich hatte kein sehr gutes Gefühl dabei, weil ich mich gesund fühlte. Daher
zog ich es vor, eine Zweitmeinung einzuholen. Mein Bruder chauffierte mich nach
Heidelberg. Die Ärzte dort waren aber der gleichen Meinung: unbedingt zusätzliche "involved
field" -Strahlentherapie. Zwar war ich auch jetzt noch nicht überzeugt, kapitulierte aber und
bekam also bis Dezember, nach den üblichen Vorbereitungen, eine Strahlentherapie des
Mediastinums mit 36 Gy. Heute würde ich in diesem Fall unbedingt eine PET anfertigen
lassen. Dies war damals aber noch nicht so etabliert. Möglicherweise hätte ich mir die
Strahlerei sparen können.
Einer der Strahlentherapeuten scheint mir übrigens ein ziemlicher Pragmatiker gewesen zu
sein. Als ich ihn fragte, ob durch die Therapie die Lunge geschädigt würde, sagte er: "Ja,
aber was wollen Sie denn, Sie haben doch noch einen zweiten Lungenflügel"! Als ich fragte,
ob dadurch nicht das Herz geschädigt würde, meinte er lapidar: "doch, schon, aber dann
nehmen wir Ihnen eben später das Herz raus! Sie sind ja erst dreißig, das ist doch kein
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Problem". Aha! Jetzt wusste ich es! Nun gut, ein Crashkurs in Empathie oder Kommunikation
hätte ich ihm gern zum Geburtstag geschenkt!
Abgesehen von gelegentlichen Schmerzen - vor allem im Bereich der Speiseröhre, ich
konnte kaum schlucken- vertrug ich die Strahlentherapie recht gut, auch wenn ich sie als
anstrengend empfand ("Strahlenkater"). Kurz vor Weihnachten war auch diese Therapie
beendet.
3. Überlegungen nach der Therapie
Danach war ich zunächst unsicher, wie es weitergehen sollte. Mir war klar, dass ich zunächst
nicht arbeiten konnte. Ich fühlte mich einfach nicht fit genug dazu und wollte eine Niederlage
vermeiden. Allzu oft hatte ich erlebt, dass Zimmerkameraden, die ihre Therapie beendet
hatten, als ich meine ersten Zyklen erhielt, schon wieder zurückkehren mussten (Rezidiv!),
als meine Therapie sich dem Ende neigte. Wenn ich sie fragte, was sie denn in er
Zwischenzeit getan hätten, hörte ich oft: im Büro gepowert von oben bis unten; ein Haus
gebaut (!) oder ähnliches. Einer der Kameraden bestellte sogar Teile für seinen Kamin per
Handy vom Krankenbett aus. Diesen Kamin hat er wohl nie benutzen können, weil er gar
nicht mehr dazu kam! Eine Kur oder eine Erholungsphase nach der Therapie? "Ich doch
nicht, das ist für alte Leute"!, so war die Einstellung einiger "Helden". Ein anderer konnte es
gar nicht erwarten, seine Doktorarbeit beenden zu können. Er hat nach der Klinikzeit sofort
wieder mit der Arbeit daran begonnen, sie aber nie fertigbekommen, weil er bald ein Rezidiv
erlitt und inzwischen verstorben ist. Auch ich hätte gern meine Dissertation fertiggestellt. Mir
war aber klar, dass ich erst einmal gesund werden musste. Gesund heißt nicht, dass keine
Krebszellen mehr sichtbar sind, wie offenbar viele Leute meinen. Und geheilt ist noch einmal
etwas ganz anderes.
Zwar kann ich es nicht beweisen bzw. statistisch belegen. Ich habe aber die Erfahrung
gemacht, dass man die Patienten, die ein Rezidiv erleiden werden, trotzdem von vornherein
ausmachen kann, und zwar an deren Verhalten. Damit meine ich nicht, dass sie nicht die
nötige innere Kraft hätten. Oft genug höre ich den Unsinn, man könne selbst den Krebs
"besiegen"! Was für "Gute Ratschläge" prasselten nicht alle auf mich ein! Von einer
Körnerdiät über Homöopathie bis zu Meditation reichten die gutgemeinten Vorschläge. Ich
wandte keine davon an und bin auch sehr froh darüber.
Ein Bekannter, ungefähr in meinem Alter, hatte zu dieser Zeit ebenfalls ein Lymphom
(Hodgkin, noch dazu im Stadium Ia!) und versuchte es nach dem ersten Rezidiv mit einer
Vitamindiät. Welche Selbstdisziplin er und seine Frau dabei anwandten, die "richtige"
Ernährung monatelang durchzuziehen, ist schon fast bewundernswert und seiner sehr
lesenswerten Autobiographie zu entnehmen. Leider hatte die ganze Geschichte einen
Nachteil: sie funktionierte nicht und er ist jetzt schon seit drei Jahren tot. Diese Beispiele
könnte ich fortsetzen; auf Patientenkongressen, die ich besuchte, lernte ich viele Leute
kennen, die völlig falsch therapiert wurden. Und das bemerkte ich als Laie!
Weiterhin bekommt man z.B. beim Lesen der Bücher von Lance Armstrong den Eindruck,
durch Sport könne man den Krebs besiegen. Dabei sollte man sich mal ein Lehrbuch der
Onkologie zur Hand nehmen und nachlesen, dass Hodenkrebs (wie bei Armstrong) die
besten Heilungschancen aller Tumorerkrankungen überhaupt hat - auch wenn man kein
Spitzensportler ist und Komplikationen hinzukommen.
Im übrigen haben auch die Massenmedien ihren Anteil an der Verunsicherung der Leute,
allen voran der "Spiegel", der mit seiner Meldung, Chemotherapie verlängere das Leben
nicht, viel Unheil angerichtet hat- auch wenn dieser Artikel durchaus differenziert
geschrieben war und Lymphome ausdrücklich davon ausschloss. Nur verstehen dies die
Leute nicht. Wie oft habe ich Kollegen oder anderen Bekannten beibringen müssen dass es
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"den" Krebs nicht gibt. Hier versagen selbst intelligente Menschen völlig und verbreiten einen
Unsinn, dass mein Adrenalinspiegel ins Uferlose ansteigt, wenn ich es mir anhören muss!
Sinnvolles Verhalten ist also angesagt. Aber wie verhält man sich, wenn man es mit einem
unsichtbaren Gegner zu tun hat, von dem man gar nicht weiß, ob er vernichtet ist oder nicht?
Zunächst muss man nämlich davon ausgehen, dass die Therapie zuwar angeschlagen hat,
man aber noch nicht wirklich geheilt ist. Dies wissen die Ärzte auch nicht - sie können nur
sehen, dass auf dem CT keine Zellen mehr sichtbar sind oder sich die Blutwerte stabilisiert
haben. Heute stehen natürlich genauere mikrobiologische Methoden zur Verfügung, mit
denen das Risiko eines Patienten besser abgeschätzt werden kann.
Ich beschäftigte mich also zunächst mit der Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines
Rezidivs - diese war als recht hoch anzusehen, noch wichtiger war mir aber der mögliche
Rezidivzeitpunkt. Verschiedene Experten, die ich per e-mail danach fragte, kamen zu genau
demselben Ergebnis: das Rezidivrisiko sei bei meiner Variante im ersten Jahr am höchsten,
schon geringer im zweiten Jahr und danach vernachlässigbar. Damit war klar, dass ich im
ersten Jahr aufpassen musste.
Ich versuchte also, körperlich gesund zu leben und mich weder zu überanstrengen noch
total zu schonen. Ich glaube nämlich nicht, dass ein wenig Stress oder Arbeit ein Rezidiv
beschleunigt - jedenfalls sprechen entsprechende Untersuchungen dagegen. Manche Leute
können absolut nichts mit sich selbst anfangen und dann ist es wirklich besser, wenn sie
bald ins Büro zurückkehren. Trotzdem kann ich von meiner eigenen Erfahrung nur dazu
raten, dem Körper zumindest eine Ruhepause zu gönnen, in dieser Zeit wieder körperlich
aufzutanken und nicht verantwortungslos zu sein, d.h. so zu tun, als wenn überhaupt nichts
vorgefallen wäre.
Im Sommer machte ich erneut eine Kur- in derselben Klinik- und war froh, dass ich die
Jahrhunderthitze 2003 an der Nordsee verbringen durfte. Anschließend begann ich wieder
zu arbeiten, zunächst nur ein paar Stunden in der Woche, dann ungefähr halbe Arbeitszeit,
die in den folgenden Jahren schrittweise aufgestockt wurde. Diese Vorgehensweise habe ich
nie bereut. Ich habe bis heute kein Rezidiv erlitten. Ob dies an meiner "Strategie" lag, weiß
ich nicht. Ich weiß aber, dass ich mir bittere Vorwürfe gemacht hätte, wenn ich durch
Leichtsinn oder Ignoranz eine erneute Erkrankung geradezu provoziert hätte.
4. Fatigue, Spätfolgen u. Co.
Damit wäre die Geschichte eigentlich zu Ende und hätte sogar ein Happy End. Einschränken
muss ich diese Euphorie aber doch. Eigentlich ist dies der Grund, warum ich diesen Beitrag
überhaupt geschrieben habe. Leider werden nämlich genau an dem Punkt, an dem es
eigentlich am wichtigsten ist, die Patienten von der Schulmedizin völlig im Stich gelassen:
nach der erfolgreichen Therapie. Das Motto lautet: "Patient gesund und tschüss! Einmal im
Vierteljahr zur Nachsorge, dann halbjährlich". Basta.
So war für mich der Frust umso größer, als ich, jetzt alleingelassen, feststellen musste, dass
ich einfach nicht mehr derselbe war wie zuvor. Ich war etwas sarkastischer geworden, wie
meine Freunde feststellten. Viele Dinge und Problemchen regten mich andererseits gar nicht
mehr auf, sie waren Kinkerlitzchen in meinen Augen. Aber das meine ich nicht.
Vielmehr hatte ich bis dato alles recht gut in den Griff bekommen: Studium, Arbeit und dann
auch die anstrengende Therapie! Jetzt aber fiel mir alles schwer. Ich konnte mich kaum
konzentrieren. Manchmal fand ich, wie schon erwähnt, mein Auto nicht wieder. Ich löste das
Problem, indem ich immer an derselben Stelle parkte. Ich war so müde, dass ich manchmal
bis mittags schlief (Wochenende) oder zumindest abends um 9 Uhr ins Bett gehen musste,
damit ich morgens überhaupt aufstehen konnte. Ich entwickelte depressive Phasen, die z.T.
recht heftig waren. Insgesamt fühlte ich mich schlapp und wertlos. Geistige Arbeit fiel mir
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besonders schwer. Ich habe bis heute ganze 3 Seiten meiner Doktorarbeit geschrieben!
Früher schaffte ich soviel in zwei Stunden, oder, bei schwierigen Dingen, an einem Tag.
Ich konnte keine Dinge mehr gleichzeitig tun, wie ich frustriert feststellte: früher hatte ich die
Zeitung gelesen, Musik gehört und telefoniert - gleichzeitig wohlgemerkt, aber jetzt war dies
völlig unmöglich. Ich musste mich zu allem zwingen und raunzte andere Menschen, z.B.
meine Eltern, lautstark an, wenn sie mich beim Lesen unterbrachen um mir z.B. den
neuesten Klatsch zu erzählen. Oft stellte ich später fest, dass ich von dem, was sie mir
erzählten, gar nichts mitbekommen hatte. So stürzte ich von einem Frust zum nächsten.
Die Ärzte, die ich darauf ansprach, interessierte dies nicht besonders. Dies sei normal,
sagten sie. Danke, aber das nützte mir nichts! Therapieempfehlung? Fehlanzeige. "Leben
Sie einfach" war oft der Rat.
Weitere Fragen, z.B. ob der Antikörper Rituximab das Überleben der NHL-Patienten steigert
oder nur den Rezidivzeitpunkt verzögert, stellte ich verschiedenen Koryphäen, bekam aber
unklare Antworten. "Interessante Frage", war der Tenor, aber ansonsten: nichts Genaues
weiß man nicht. Jedem der mich kennt, ist sofort klar, dass dies für mich eine frustrierende
Situation war und ich mich nicht damit zufrieden geben würde.
Abgesehen vom Stichwort "Fatigue", das ich fand, mir aber nichts darunter vorstellen
konnte, weil es weder genau erklärt wurde noch eine Therapieempfehlung beinhaltete, gab
es auch keine brauchbaren Hinweise in der Fachliteratur. Offenbar interessierte dies die
Ärzte nicht.
Außerdem ärgerte mich, dass in der Literatur zu Spätfolgen nach Chemo- bzw.
Strahlentherapie fast gar nichts zulesen war, abgesehen von erhöhten Risiken für
Zweittumoren, kardiologischen oder pulmonalen Erkrankungen.
Dies wurde aber weder statistisch untermauert noch nach Ausgangserkrankungen
differenziert. Auch nicht in den neuesten Publikationen, die viel zu allgemein gehalten und
damit unbrauchbar sind. Konsequenzen für die persönliche Lebensgestaltung kann ich nicht
erkennen.
Lediglich ehemaligen Hodgkin Patienten wird eine lebenslange Nachsorge empfohlen, da sie
ein großes Risiko für Zweittumoren hätten und auch sonst eine 10-fach höhere Mortalität
aufwiesen. Meine Frage, ob dies denn auch auf NHL-Patienten zutreffe, wurde entweder mit
einem Achselzucken quittiert oder mit der Tatsache, dass Non-Hodgkin Patienten nicht
einmal erwähnt wurden; das wohl renomierteste, zweibändige amerikanische Lehrbuch der
inneren Medizin (Harrisons) schreibt allein, ex-NHL- Patienten hätten eine "sehr gute
Lebensqualität", freilich ohne irgendeinen empirischen Beweis!
Also - entweder war ich ein Simulant, oder der Autor obiger Zeilen hat keine Ahnung, wovon
er redet. Ich vermutete, möge man es mir verzeihen, das zweite. Denn ich musste
feststellen, dass alle NHL Patienten, die ich kannte, ähnliche Probleme hatten. Viele sind
beruflich stark eingeschränkt, mindestens ebenso viele berentet. Damit meine ich keine
Patienten, die ohnehin im Rentenalter sind. Ich kenne keinen einzigen NHL- Patienten, der
nicht unter massiven Einschränkungen zu leiden hätte. Die "sehr gute" Lebensqualität ist
nach meiner Erfahrung mehr Wunschvorstellung der Ärzte denn Realität. Mit Undankbarkeit
hat diese Erkenntnis nichts zu tun. Natürlich bin ich mir bewusst, dass es mir relativ gut geht
und die Sache auch ganz anders hätte ausgehen können.
Was also tun? Abwarten und Teetrinken und hoffen, dass es besser wird? Nicht mit mir!
So kam auf eine Idee. Ich hatte mich im Vorfeld meiner Doktorarbeit u.a. mit hyperaktiven
Kindern beschäftigt, war also auch über die Wirkungen der meisten Psychopharmaka gut
informiert. Bekannt ist schon seit 1936, dass ADHS-Kinder gut auf Methylphenidat (Ritalin)
ansprechen, obwohl dieses Mittel eigentlich paradox wirkt: es ist ein Psychostimulans, das
aber bei hyperaktiven Menschen - und nur dort !- beruhigend wirkt, weil es deren
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Konzentrationsschwäche neurobiologisch "ausgleicht". Dies hält aber nur solange an, wie
das Medikament wirkt. Experten nennen dies daher auch "Schalter" oder "Klick" - Effekt.
Ich kam nun auf den folgenden Gedanken: man könnte dieses Zeug doch bei exKrebspatienten mit Müdigkeit (Fatigue) in der normalen, d.h. stimulierenden Wirkung
einsetzen. Dies müsste doch funktionieren! Schließlich ist das Medikament auch für
chronische Somnolenz (plötzliche Schläfrigkeit, sog. Narkolepsie) zugelassen. Mein
Hausarzt fand die Idee interessant und gab mir auch ein entsprechendes Rezept (BtM!). Weil
ich aber kaum Hinweise in der Literatur über die Wirkung von Methylphenidat bei "normalen"
Patienten fand, war mir das Risiko zu groß und ich probierte die Sache nur kurzzeitig aus.
Außerdem hatte ich, ehrlich gesagt, Angst vor Nebenwirkungen (Magen!) und es
widerstrebte mir, einfach selbst mit psychoaktiven Mitteln zu experimentieren. Bislang hatte
ich keine Erfahrungen mit Drogen und das sollte auch so bleiben. Methylphenidat ist zwar
nicht direkt mit Drogen vergleichbar und auch Abhängigkeiten sind bislang nicht bekannt
geworden- diese Erkenntnis beschränkte sich aber auf die eigentliche Zielgruppe (ADHSMenschen). Erfahrungen mit anderen Patienten gab es praktisch nicht. Also unterließ ich
weitere Selbstversuche.
Leider wurde mein Allgemeinzustand auch in den folgenden Jahren nicht besser. Vielmehr
kamen weitere Probleme hinzu. Interessanterweise ging es mir unmittelbar nach der
Therapie noch am besten, in den folgenden Jahren war aber kein Fortschritt, sondern eher
ein Rückschritt zu verzeichnen. In den Jahren nach 2005 hatte ich zwar privat viel Schönes
erlebt. Ich hatte meine Frau kennen gelernt und sie 2006 geheiratet; sie bringt sehr viel
Verständnis für mich auf und unser Lebensrhythmus orientiert sich nicht zuletzt an meinem
Befinden. Ich litt aber unter häufiger Übelkeit und heftigem, krampfartigen Durchfall. Dies
verschwand auch nach gut einem halben Jahr nicht. Während der ganzen Therapiezeit ist
mir nie so elend gewesen. Antiemetika halfen nur wenig.
Außerdem wurde ich extrem bewegungsempfindlich - mir wurde im Auto sogar dann übel,
wenn ich selbst am Steuer saß. Am meisten frustrierte mich, dass ich wegen meines
Schwindels nicht mehr lesen konnte, mir wurde schon nach ein paar Zeilen extrem übel.
Filme gucken oder gar ins Kino gehen, war völlig ausgeschlossen. Ein Bekannter,
Neurologieprofessor seines Zeichens, checkte mich durch, fand aber nichts. Auch ein
Schädel-MRT war ebenso unauffällig wie HNO-Befunde.
Internistische Befunde? Unklar, der eine Arzt sagte Nahrungsmittelallergie, der andere
Morbus Crohn, der nächste "Reizdarmsyndrom", mit dem ich leben müsse. Ich hielt eine
Milch- und Ei-freie Diät ein, wodurch sich mein Zustand auch besserte, aber nicht der
Ausgangszustand erreicht wurde. Ich war noch mehr frustriert, und konnte mir auch gar nicht
vorstellen, dass jetzt, 5 Jahre nach der Therapie, noch Müdigkeit und weitere Spätfolgen
nicht nur sichtbar waren, sondern z.T. neu einsetzten oder sich gar verschlimmerten. Auch
die letzte onkologische Nachsorge erbrachte keine neuen Erkenntnisse.
5. Hoffnungsschimmer
Durch Zufall (Internet) wurde ich auf die DFG (Deutsche Fatigue Gesellschaft) aufmerksam
und organisierte dort einen Termin. Herr Dr. Rüffer erklärte mir, dass es keineswegs
ungewöhnlich sei, wenn man nach mehreren Jahren immer noch unter den Therapiefolgen
zu leiden hätte. Vielmehr komme dies sehr häufig vor und auch ein später Einsatz der
Beschwerden sei nichts Ungewöhnliches. Herr Rüffer erklärte mir, dass die Behandlung des
Fatigue Syndroms, das er bei mir sofort vermutete, dreistufig sei:
1. sportliche Betätigung
2. psychologische Unterstützung
3. Medikamente
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Zwar konnte ich mich zu Punkt zwei bislang nicht durchringen (ich glaube auch nicht, dass
meine Kasse dies bezahlen würde), mit Punkt 3 war aber genau das Medikament gemeint,
das ich selbst schon einmal in Erwägung gezogen hatte: Methylphenidat. Natürlich war ich
glücklich, dieses jetzt nehmen zu können, ohne ein unverantwortliches Risiko einzugehen.
Zwar sei, wie Herr Rüffer erklärte, die entsprechende Studie noch nicht abgeschlossen, die
Ergebnisse seien aber eindeutig: die Patienten verspürten eine deutliche Verbesserung. Da
Methylphenidat inzwischen auch in retard-Form vorliege, seien gute und anwenderfreundliche Ergebnisse möglich.
Obwohl Schwindel eigentlich zu den UAW gehört (Nebenwirkungen von Methylphenidat).
gehört, besserte sich mein Zustand erstmals wieder: zeitweise war der quälende Schwindel
völlig verschwunden! Seit der Einnahme von medikinet 10mg retard bin ich auch weit
weniger schlapp und müde - ohne dass dies den Nachtschlaf nennenswert beeinträchtigen
würde! Abgesehen von leichtem Magendrücken am ersten Tag und leichter Nervosität kann
ich keine weiteren Nebenwirkungen erkennen. Ich kann jetzt viele Dinge wieder tun, z.B. im
Internet surfen oder lange lesen.
Zwar hat das Medikament bislang noch keine Auswirkungen auf die sonstigen Beschwerden
(Magen/Darm), aber dies hatte ich auch nicht erwartet, da es sich hier wohl um einen
anderen Kriegsschauplatz handelt.
So geht es mir insgesamt wesentlich besser und ich bin der DFG bzw. Herrn Rüffer sehr
dankbar für den Hinweis. Da ich regelmäßig das Medikament absetze (Wochenende oder
Ferien), befürchte ich keine Suchtentwicklung und verspüre auch nicht im geringsten den
Drang, mehr davon zu nehmen. Ich möchte daher alle Patienten ermuntern, dieses
Medikament einmal auszuprobieren - sofern nicht andere medizinische Gründe dagegen
sprechen. Vielleicht wird das Medikament irgendwann einmal offiziell für die Indikation
"Fatigue Syndrom" zugelassen (bislang fällt es noch unter "Behandlungsversuch").
Ich wünsche mir natürlich auch, dass die Probleme geheilter Krebspatienten in absehbarer
Zeit in der Medizin mehr Aufmerksamkeit erlangen werden und vielen anderen
Leidensgenossen durch neue medizinische Erkenntnisse geholfen werden kann. Dazu sollte
nicht zuletzt dieser Beitrag dienen und ich hoffe, ein wenig "Sprachrohr" für andere
Betroffenen gewesen zu sein.
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