Zwölf gute Gründe für die Innenstadt

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Zwölf gute Gründe für die Innenstadt
Zwölf gute Gründe für die Innenstadt
Inhalt
Vorwort – Hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr
und Landesentwicklung Dr. Alois Rhiel
3
Vorwort – Verbandsdirektor Stephan Wildhirt
4
Zwölf gute Gründe für die Innenstadt – kurz gefasst
5
Veränderte Ausgangslage für die Innenstadt
7
Innenstadt – wo Leben stattfindet
9
Innenstadt – das Gesicht der Stadt
12
Innenstadt – die Vielfalt erfahren
14
Innenstadt – im Zentrum der Erreichbarkeit
16
Innenstadt – immer nah versorgt
18
Innenstadt – Ort der Begegnung
20
Innenstadt – Geschichte zum Anfassen
22
Innenstadt – freie Zeit erleben
24
Innenstadt – künstlerisch wertvoll
26
Innenstadt – attraktiv gestaltet
28
Innenstadt – wo Arbeiten Spaß macht
30
Innenstadt – Investitionen, die sich lohnen
32
Ansprechpartnerinnen / Ansprechpartner, Links, Bildnachweis, Quellen
35
Vorwort – H
essischer Minister für Wirtschaft, Verkehr
und Landesentwicklung Dr. Alois Rhiel
Die Zukunftsfähigkeit der Innenstädte ist in großem Maße abhängig von ihrer Vitalität
und Urbanität. Innenstädte, in denen das Leben »pulsiert«, in denen der Handel und die
Kommunikation Chancen zur Entfaltung finden, haben deutliche Vorteile gegenüber Zen­
tren, die von der Stadtentwicklung vernachlässigt werden. Deshalb betreibt die Hessische
Landesregierung eine aktive Stadtentwicklungspolitik zur Steigerung der Attraktivität städ­
tischer Zentren.
Darüber hinaus wurde im Jahr 2005 das Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Ge­schäfts­quartieren (INGE)
im Hessischen Landtag verabschiedet. Damit sind Voraussetzungen für die Aufwertung von innerstädtischen
Einkaufsquartieren durch private Unternehmen und engagierte Bürger geschaffen worden.
Im gleichen Jahr hat das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung den sogenann­
ten »Einzelhandelserlass« als Arbeitshilfe für Kommunen und Behörden zur Beurteilung von großflächigen Ein­
zelhandelsvorhaben herausgegeben. Bei der Umsetzung des Einzelhandelserlasses ist das Land Hessen auf die
Träger der Regionalplanung sowie Kommunen angewiesen, denn sie legen Standorte für Einzelhandelsvorhaben
fest.
Dass Steuerungsbedarf bei der Ansiedlung von Einzelhandelsvorhaben besteht, zeigt das Beispiel des Ballungs­
raumes Frankfurt / Rhein-Main mit seinen engen räumlichen Verflechtungen. Hier konkurrieren die Innenstädte
in besonderem Maße mit Standorten auf der grünen Wiese. Diesen Steuerungsbedarf haben die Städte und
Gemeinden, die im Planungsverband Ballungsraum Frankfurt / Rhein-Main für die Region zusammenwirken, er­
kannt und mit der Erarbeitung eines Regionalen Einzelhandelskonzeptes begonnen.
Somit sind verbindliche regionale Vereinbarungen mit dem Ziel, großflächige Einzelhandelsvorhaben mit zen­
trenrelevanten Sortimenten in Innenstädten und Stadtteilzentren zu realisieren – und deren konsequente
Einhaltung –, ein unerlässlicher Beitrag für die Unterstützung der Initiativen des Landes Hessen und seiner
Partner für lebendige Innenstädte und eine nachhaltige Stadtentwicklung.
Dr. Alois Rhiel
Hessischer Minister
für Wirtschaft, Verkehr
und Landesentwicklung
Planungsverband
Vorwort – Verbandsdirektor Stephan Wildhirt
In der vorliegenden Broschüre präsentieren wir Ihnen zwölf gute Gründe, warum die Innen­
städte für die weitere Entwicklung der Region Frankfurt / Rhein-Main von so großer Bedeu­
tung sind. Dies geschieht nicht ohne Anlass, denn mit jeder Standortentscheidung über
Vorhaben des großflächigen Einzelhandels wird auch eine Entscheidung über das Zentrum,
die Mitte der Stadt, getroffen. Dabei wird der »hohe Preis«, den die Städte und Gemein­
den in der Region für die Entwicklung großflächiger Einzelhandelsstätten an der Peripherie
zu zahlen haben, immer deutlicher. Es steht viel auf dem Spiel.
Bei der Erarbeitung des Regionalen Einzelhandelskonzeptes nimmt sich der Planungsverband Ballungsraum
Frankfurt / Rhein-Main dieses Aspektes der Innenstadtentwicklung an, wobei der Begriff »Innenstadt« auch
stellver­tretend für die Stadtteil- und Ortszentren in unserer Region stehen soll. Verfolgt man das Ziel, die Innen­
städte als Einkaufsschwerpunkte, aber auch als Standort ergänzender Nutzungen – beispielsweise aus dem
Bereich der Kultur, der Freizeit oder der Gastronomie – zu stärken, werden wichtige Fragen aufgeworfen:
• Wie kann einem weiteren Funktions- und Bedeutungsverlust der Innenstädte entgegengewirkt werden?
• Wie kann der Zugang der gesamten Bevölkerung an Konsummöglichkeiten gesichert werden – auch für all
diejenigen, die nicht am motorisierten Individualverkehr teilnehmen können oder wollen?
• Wie können Initiativen der öffentlichen Hand für die Innenstädte beispielsweise mittels der Städtebauförderung
von Erfolg gekrönt sein, wenn nicht die Orte des Konsums an der Peripherie der Stadt mitbetrachtet werden?
• Wie ist es um die Zukunftsfähigkeit von sogenannten Einzelhandelsagglomerationen außerhalb der ge­
wachsenen Innenstädte bestellt?
Der Anspruch an eine nachhaltige Entwicklung unserer Region erfordert beides: Einerseits müssen wir uns den
Bedingungen der globalisierten Ökonomie und Standortkonkurrenz stellen. Andererseits ist es unsere Aufgabe,
den sozialen und kulturellen Anforderungen an Teilhabe, Zugang, Aneignung und Identifikation, die sich vor
allem in unseren Innenstädten manifestieren, gerecht zu werden. Die Weiterentwicklung des Zentrensystems
im Ballungsraum – und hierzu gehört insbesondere die Entwicklung der Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren –
ist ein wichtiger Beitrag hierzu.
Stephan Wildhirt
Verbandsdirektor
Planungsverband Ballungsraum
Frankfurt / Rhein-Main
Planungsverband
Zwölf gute Gründe für die Innenstadt – kurz gefasst
Auch in der Region Frankfurt / Rhein-Main ist die Lebenswirklichkeit vieler Bewohner davon geprägt, dass Woh­
nen, Arbeiten, Freizeitaktivitäten und soziale Kontakte nicht nur an einen bestimmten Ort gebunden sind. Zu
den alten historischen Siedlungskernen sind neue Standorte beispielsweise für Großkinos, Einkaufszentren,
Sportstadien und Büroparks getreten. Auf diese Weise sind Strukturen in Form sich überlagernder Netze mit
unterschiedlich ausgeprägten Knotenpunkten entstanden, die sich von der herkömmlichen Hierarchie der Städte
und Gemeinden mit allen zentralen Funktionen innerhalb ihrer Grenzen unterscheiden. Mit solchen Angeboten
an dezentralen Standorten ist den Innenstädten, Stadtteil- und Ortszentren der Region aber auch eine neue Kon­
kurrenz erwachsen.
Im Leitbild für den Regionalen Flächennutzungsplan und den Regionalplan Südhessen heißt es deshalb unter der
Überschrift »Lebendige Innenstädte«: »Zur Erhaltung der Funktionsfähigheit aller Städte und Gemeinden der Re­
gion soll eine Vision für lebendige Innenstädte entwickelt werden«. Dieses Ziel wird vom Planungsverband auch
bei der Erarbeitung des Regionalen Einzelhandelskonzeptes verfolgt, wobei die vorliegende Broschüre mit dem
Titel »Zwölf gute Gründe für die Innenstadt« einen weiteren Baustein zum Erreichen dieses Zieles bildet. Sie stellt
den Versuch dar, wichtigen Entscheidungsträgern, Politikern und Planern, aber auch den Bewohnern und Besu­
chern der Region anhand verschiedener Beispiele, Texte, Grafiken und Bilder deutlich zu machen, dass unsere In­
nenstädte über vielfältige und oft kaum bekannte Qualitäten verfügen. Und diese Qualitäten sind es wert, erhal­
ten und gefördert zu werden.
Nachfolgend eine Zusammenfassung:
• Innenstadt – wo Leben stattfindet: Durch Projekte wie die Bildung von Standortgemeinschaften örtlicher
Einzelhändler und Immobilieneigentümer – sogenannten Business Improvement Districts (BID's) – kann die
öffentliche Förderung zur Aufwertung und Belebung der Innenstadt sinnvoll ergänzt werden.
• Innenstadt – das Gesicht der Stadt: Historische Bauten und aufsehenerregende Beispiele moderner Archi­
tektur machen unsere Innenstädte unverwechselbar. Solche Innenstädte tragen mit dazu bei, dass sich die
Bewohner mit ihrer Stadt identifizieren und sich Besucher noch lange an ihren Aufenthalt erinnern.
• Innenstadt – die Vielfalt erfahren: Innenstädte sind mehr als nur Einkaufsstätten. Erst die Mischung ganz
unterschiedlicher Nutzungen – vom Handel über die Gastronomie bis hin zu Kultur und Freizeit – lassen uns
urbane Vielfalt in all ihren Facetten erfahren.
• Innenstadt – im Zentrum der Erreichbarkeit: Die Innenstadt ist immer zentral gelegen und damit sowohl
für Pkw-Fahrer als auch für Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs, für Radfahrer und Fußgänger gut er­
reichbar. Mit Konzepten wie »Shared Space« werden Mischverkehrsflächen geschaffen, die nicht nur allen
Nutzern gleichberechtigt zugänglich sind, sondern auch einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten.
• Innenstadt – immer nah versorgt: Die zentrale und gut erreichbare Innenstadt ist auch ein herausragender
Standort für die Nahversorgung – insbesondere für ältere oder weniger mobile Menschen. Nahversorgungs­
konzepte, die bislang mit durchaus unterschiedlichem Erfolg realisiert wurden, können ein innerstädtisches
Angebot nicht ersetzen.
• Innenstadt – Ort der Begegnung: Innenstädte sind mehr als Geschäftszentren, sie sind Bühne, Schauplatz
öffentlicher Ereignisse, Orte des unverbindlichen Miteinanders von Menschen und damit Mittelpunkt des öf­
fentlichen Lebens. Projekte wie »Ab in die Mitte« versuchen, durch besondere Aktionen der Erlebnisqualität
der Innenstadt neue Impulse zu verleihen.
• Innenstadt – Geschichte zum Anfassen: Viele unserer Städte und Gemeinden können auf eine Jahrtausende
alte Vergangenheit zurückblicken. Die Innenstädte sind in mancherlei Hinsicht die besten Zeugen dieser Ge­
schichte. Denn hier überlagern sich die historischen Schichten – von Funden keltischen Ursprungs über die
Reste römischer Besiedlung und mittelalterlicher Stadtbefestigungen bis hin zu den Bauten der Moderne.
Planungsverband
• Innenstadt – freie Zeit erleben: Die Verbindung von Einkauf, Freizeit und Erlebnis in der Innenstadt ist nicht
neu. Schon immer gab es in unseren Innenstädten neben der Möglichkeit einzukaufen auch Freizeitangebote,
die jedoch in jüngster Zeit eine andere Qualität gewonnen haben. Die Innenstadt selbst wird zur Bühne viel­
fältiger Freizeitaktivitäten.
• Innenstadt – künstlerisch wertvoll: Die Verbindung von Kunst, Kultur und Kommerz prägt das Einkaufs­
verhalten der Menschen. Neben – mitunter sehr spektakulären – einzelnen Events werden in den Innenstädten
regelmäßige Märkte, Feste und Ausstellungen, Stadtbegehungen und Führungen, Ideenwettbewerbe oder
Aktionen wie Tage der offenen Tür veranstaltet.
• Innenstadt – attraktiv gestaltet: Attraktiv gestaltete Plätze, Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen, die mit
interessanten Geschäften zum Bummeln und Schauen einladen, sind für viele Menschen ein willkommener
Anlass, einmal wieder die Innenstadt zu besuchen.
• Innenstadt – wo Arbeiten Spaß macht: Von vielen unbemerkt ist die Innenstadt auch ein wichtiger Arbeits­
platz für die Beschäftigten im Einzelhandel, in der Gastronomie, in den Verwaltungen, Freizeiteinrichtungen
und weiteren Wirtschaftsunternehmen. Diese Beschäftigten sind auch potenzielle Kunden und Besucher und
tragen somit ihren Teil zur Belebung der Innenstädte bei.
• Innenstadt – Investitionen, die sich lohnen: Kommunen, Land, Bund und Europäische Union fördern mit
verschiedenen Programmen innerstädtische Belange wie die Verschönerung von Gebäuden und Einrichtungen,
die Gestaltung von Verkehrsflächen, die Aufwertung von Freiräumen und anderes mehr. Die Bereitstellung
öffentlicher Mittel wird häufig durch private Anschubfinanzierungen ausgelöst – und umgekehrt.
Die zwölf aufgeführten Gründe mögen deutlich machen, dass es die Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren
sind, die unseren Städten ein Gesicht geben und so das Bild einer »Stadt mit Eigenschaften« entscheidend
prägen. Es sind die Innenstädte, für die wir uns engagieren müssen.
Planungsverband
Veränderte Ausgangslage für die Innenstadt
Seit dem Jahr 2000 leben auf der Welt mehr Menschen in den großen Ballungsräumen als auf dem Land. Das
Wachstum dieser Ballungsräume ist geschichtlich ohne Vorbild. Aber anders als die bekannten »klassischen« Me­
tropolen wie London, Paris oder Berlin mit ihrer monozentrischen Entwicklung stellen polyzentrische Regionen
wie Frankfurt / Rhein-Main unser konventionelles Bild von der Stadt, von Peripherie und Zentrum, auf den Prüf­
stand. Denn hier treffen eine Vielzahl von Siedlungskernen, Brüche in der Stadtstruktur und das unmittelbare Ne­
beneinander unterschiedlicher Nutzungen sehr viel unvermittelter aufeinander.
Frankfurt / Rhein-Main: Siedlungsflächen 1821 und 2000
Längst ist die Lebenswirklichkeit vieler Bewohner der Region Frankfurt / Rhein-Main davon geprägt, dass Woh­
nen, Arbeiten, Freizeit und soziale Kontakte nicht nur an einen Ort gebunden sind. Neben den historischen Sied­
lungskernen – den Marktplätzen, Innenstädten, Stadtteil- und Ortszentren – haben sich Großkinos, Einkaufs­
zentren, Flughäfen, Bahnhöfe, Sport- und Büroparks als Orte der Aktivität etabliert.
An die Stelle einer Hierarchie von Städten und Gemeinden mit dominanten Großstädten und ihren Innenstädten,
die alle zentralen Funktionen in ihren Grenzen vereinten, ist so eine neue urbane Realität getreten – eine Realität,
die sehr viel angemessener durch das Bild sich überlagernder Netze mit unterschiedlich ausgeprägten Knoten­
punkten beschrieben werden kann. Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig: Sie sind sozial, wirtschaftlich,
technologisch und kulturell bedingt.
Einkaufs- und Freizeiteinrichtungen in verkehrsorientierten peripheren Lagen in Eschborn und Sulzbach (Taunus)
Gleichzeitig ist an vielen Orten der Region Frankfurt / Rhein-Main die zweitausendjährige europäische Stadtkultur
mit ihren historischen Schichten, Spuren und Prägungen präsent – und wirkt bis heute nach. Dies ist anders als in
Planungsverband
den vergleichsweise jungen, großen Verdichtungsräumen Nordamerikas, die Ergebnis eines rasanten Stadtwachs­
tums insbesondere im 20. Jahrhundert sind. In der Region Frankfurt / Rhein-Main treffen die Infrastrukturen der
Moderne, die Ergebnisse der Massenmotorisierung, die Suburbanisierung des Wohnens, die neuen Arbeitsplatz­
konzentrationen in den früheren Vorstädten auf alte historische Strukturen im Raum. Altes und Neues prägen
gemeinsam die Städte in der Region und liefern damit ein Stück dessen, was für die Menschen hier Identität und
Heimat ausmacht.
Innenstädte: Römerberg in Frankfurt am Main und der Marktplatz von Seligenstadt
Die anfänglich beschriebene neue urbane Realität darf jedoch nicht dazu verleiten, in der alltäglichen Auseinan­
dersetzung um vernünftige Standortentscheidungen den unterschiedlichen Charakter der jeweiligen Innenstädte,
Stadtteil- und Ortszentren zu übersehen und in eine beliebige Haltung des »Alles geht überall« zu verfallen. Viel­
mehr muss es darum gehen, dem Verständnis für die Entwicklung an den peripheren Standorten ein zumindest
gleichberechtigtes Engagement für den Fortbestand der innerstädtischen Lagen entgegenzusetzen.
Die Weiterentwicklung unserer Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren ist eng mit Standortfragen des Einzel­
handels, der nach wie vor einen großen Teil der dortigen Aktivitäten ausmacht, verbunden. Somit wird mit jeder
Standortentscheidung für die Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsvorhabens mit innenstadtrelevanten
Sortimenten auch eine Entscheidung über die Attraktivität und Zukunft von Innenstädten, Stadtteil- und Orts­
zentren gefällt.
Das Grundprinzip, Angelegenheiten der örtlichen Verwaltung auch vor Ort in der Gemeinde bürgernah zu re­
geln, ist ein hohes Gut, das es zu respektieren gilt. Ebenso kann richtig verstandener Wettbewerb zwischen den
Kommunen um den jeweils besten, städtebaulich »richtigen« Standort wertvolle Beiträge zur Zentren- und Stadt­
entwicklung leisten. Da aber angesichts der engen räumlichen und funktionalen Verflechtungen in der Region
größere Projekte – und hier insbesondere die Ansiedlung großflächigen Einzelhandels – in einer Kommune fast
immer schädliche Auswirkungen auf die Nachbarkommune haben werden, ist eine entschiedene regionale
Rahmensetzung unverzichtbar. Denn nur so können solche Auswirkungen vermieden und ein ruinöser Stand­
ortwettbewerb zwischen den Städten und Gemeinden verhindert werden.
Die hier beschriebene Ausgangslage macht deutlich, dass den Innenstädten, Stadtteil- und Ortszentren der
Re­gion durch die Vielzahl der dezentralen Angebote an peripheren Standorten eine neue und nicht ungefähr­
liche Konkurrenz erwachsen ist, die ihre einstmals unangefochtene Position schwächt. Die vorliegende Broschüre
versucht deshalb im Einklang mit den regionalen Zielen das Bewusstsein der Betroffenen – und das sind wir alle –
für die Gefährdung unserer innerstädtischen Zentren zu schärfen und zum Handeln aufzufordern. Denn es sind
die besonderen Qualitäten der Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren, die unsere Städte zu dem machen, was
sie heute – immer noch – sind: Mittelpunkte des gesamten öffentlichen Lebens.
Planungsverband
Innenstadt – wo Leben stattfindet
Zu den klassischen Instrumenten zur Steigerung der Attraktivität und zur Belebung der Innenstädte sind in der
jüngeren Vergangenheit neue Möglichkeiten hinzugekommen. Bei den Investitionen in den öffentlichen Raum
und in private Immobilien wurde mit dem Instrument der Städtebauförderung viel erreicht. Erhebliche finanzielle
Mittel von Bund, Land und Kommunen ergänzt um private Investitionen flossen in den Erhalt historischer Bau­
substanz und die Behebung städtebaulicher Probleme in den Innenstädten. Die Möglichkeiten der Städtebauför­
derung sind jedoch begrenzt. Eine stärkere Einbindung privater Initiative und somit eines vitalen Eigeninteresses
der Eigen­tümer kann einen neuen Schub für die Weiterentwicklung eines Quartiers bewirken. Ein möglicher Weg,
dies zu er­reichen, ist das Konzept der Business Improvement Districts (BID's) und deren Umsetzung in Hessen.
Die Geburtsstunde des Business Improvement Districts (BID) in Kanada
Toronto (Kanada), 1976: Die Hauseigentümer und Händler in einer kleinen Einkaufsstraße, der Bloor Street
West, wollen sich ihrem Schicksal nicht ergeben. Sie befürchten, dass durch den Bau eines Einkaufszentrums
in ihrer Nähe ihre Kunden ausbleiben werden und somit ihr Stadtteilzentrum veröden wird. Deshalb beschlie­
ßen sie gemeinsam etwas zu tun, damit ihr Quartier konkurrenzfähig wird. Sie entwickeln ein Maßnahmenund Finanzierungskonzept, bei dem sich alle Nutznießer auch an der Finanzierung beteiligen müssen. Dies ist
die Geburtsstunde der Business Improvement Districts (BID's). Mittlerweile hat sich die Idee von Nordamerika
über Großbritannien bis nach Deutschland ausgebreitet.
Das Besondere an BID's im Vergleich zu herkömmlichen Initiativen ist, dass alle Betroffenen in einem Quartier
eingebunden werden; sogenannte Trittbrettfahrer haben keine Chance. Basis hierfür ist eine breite Zustimmung
und ein formales, über eine rechtliche Grundlage geregeltes Verfahren. In Hessen gibt es auf Initiative der Indus­
trie- und Handelskammern mit dem Gesetz zur Stärkung innerstädtischer Geschäftsquartiere (INGE) eine solche
Grundlage. Erste Pilotprojekte sind schon gestartet. In Gießen haben sich vier BID's gebildet, die nahezu die ge­
samte Fußgängerzone umfassen. Unter einem gemeinsamen konzeptionellen Dach wurden vier Einzelmarken
entwickelt, die den individuellen Charakter und die unterschiedlichen Zielgruppen der Quartiere abbilden. In
2007 werden die BID's beziehungsweise die BID-Vereine als deren Aufgabenträger erstmals in ihre Quartiere
investieren. Insgesamt beträgt das Investitionsvolumen für fünf Jahre gut zwei Millionen Euro.
Planungsverband
Das hessische INGE-Gesetz ermöglicht die Gründung von BID's auf der Grundlage eines kommunalen Satzungs­
beschlusses. In einem solchen hessischen BID schließen sich die Hauseigentümer zusammen und vereinbaren ein
Maßnahmen- und Finanzierungskonzept. Wenn sich nicht mehr als ein Viertel der betroffenen Eigentümer gegen
das Konzept aussprechen, werden das BID gegründet und die Maßnahmen von allen finanziert. Die Hauseigen­
tümer stehen zwar im Mittelpunkt des Konzepts, aber die Nutzer wie Händler und Gastronomen sind in der
Regel zumindest informell an der Konzeption beteiligt. Wichtiger Partner für die privaten Akteure ist die Stadt.
In einem Vertrag zwischen BID und Stadt wird festgelegt, wer zukünftig welche Aufgabe übernimmt. Die Stadt
hat dabei die Verpflichtung, den Grundstandard weiter aufrechtzuerhalten. Die Zusatzleistungen, sozusagen das
»Sahnehäubchen«, welches dann auch für das besondere Ambiente im Quartier sorgt, wird von den Privaten
finanziert.
Vorbereitung
Der Weg zu einem BID in Hessen
Überzeugung weiterer
privater Akteure
Idee
Konzeptentwicklung
Maßnahmen, Finanzierung
Gebietsabgrenzung
Entscheidung
Zustimmung von 15 % aller Betroffenen
Antrag bei
der Stadt
Information aller
Betroffenen
Kritik und Anregungen
zum Konzept
Umsetzung
Widerspruch geringer als 25 % aller Betroffenen
Einrichtung
Innovationsbereich
Umsetzung der Maßnahmen zur Aufwertung des
Quartiers durch Abgaben aller Betroffenen
Das Konzept der BID's passt sicher nicht auf jeden Standort. Neu ist, dass die Hauseigentümer stärker in Stadt­
entwicklungsprozesse eingebunden werden. Mit INGE können interessierte Akteure Eigeninitiativen fördern,
Hauseigentümer einbinden, Trittbrettfahrer ausschließen, gemeinsame Konzepte entwickeln, das Besondere
umsetzen und sich somit aktiv den Herausforderungen stellen.
Im Instrumentenkasten »Stadtentwicklung« gibt es verschiedene zusätzliche Möglichkeiten zur Weiterentwick­
lung der Innenstädte. Mit dem Städtebau allein lässt sich jedoch die Attraktivität von Innenstädten nicht steigern.
Wichtige Nutzungen in der Innenstadt
Die herausgeputzten Innenstädte müssen auch mit Leben gefüllt werden. Typisch für eine solche »Bespielung«
von Innenstädten sind Stadtfeste, Gewerbeschauen, verkaufsoffene Sonntage und weitere Marketingaktionen
beispielsweise des Handels. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl von kulturellen Aktivitäten, die ebenfalls Menschen
in die InnenstadtHandel
führen. Die einzelnen AktionenGastronomie
sind meist für sich genommen erfolgreich,
aber angesichts ihrer
Dienstleistungen
Vielzahl reicht dieser Ansatz oft nicht mehr aus, um die Innenstadt nachhaltig zu beleben. Eine bessere Verknüp­
fung des kommerziellen und des kul­turellen Sektors und eine stärkere Besinnung auf die individuellen Stärken
einer Stadt bieten die Chance eines anhaltenden Belebungseffekts für die Innenstadt. An dieser Stelle setzt der
Innenstadtwettbewerb »Ab in die Mitte!« an.
Freizeit
Kultur
10 Bildung
Planungsverband
Verwaltung
Wohnen
Arbeiten
»Ab in die Mitte!« – Die Innenstadt-Offensive Hessen
Die ursprünglich in Nordrhein-Westfalen ent­
wickel­te Idee kam 2003 nach Hessen. Seit dem
Start von »Ab in die Mitte!« in Hessen wurden
144 Konzepte für eine Belebung der Innenstädte
entwickelt, von denen 55 Projekte ausgezeichnet
und gefördert wurden. Die Industrie- und Han­
delskammern sind von Beginn an Mitinitiatoren
des Wettbewerbs und unter­stützen die Aktion
sowohl auf Hessenebene als auch bei der kon­
kreten Umsetzung vor Ort. Im Vordergrund ste­
hen Veranstal­tungen und Konzepte, die die Men­
schen in die Innenstädte führen sollen. Die Be­
sucher haben dabei die Möglichkeit, einen neuen
Blick auf das Besondere ihrer Innenstadt zu wer­
fen. Und die Akteure in den Innenstädten, also
Händler, Gastronomen, Künstler, Politik und Verwaltung, haben die Chance, bei einem solchen Wettbewerb
etwas Neues auszuprobieren. Die Fördermittel des Landes und der Schwung, der durch die Prämierung ent­
steht, helfen schon lange bestehende Hindernisse zu überwinden und neue Wege zu gehen.
Bei den »Ab in die Mitte«-Aktionen geht es nicht allein um die Events. Mindestens genauso wichtig ist der Weg
dorthin. Ziel des Wettbewerbs ist es, möglichst viele Akteure zusammenzubringen, die dann gemeinsam das
Konzept entwickeln und später auch umsetzen. Dabei sollte das Besondere, das Alleinstellungsmerkmal der Stadt
herausgearbeitet werden. Für viele Akteure ist dieser Ansatz eine neue Erfahrung. Die meist positiven Erlebnisse
mit den »Ab in die Mitte«-Aktionen führen zu einem Motivationsschub für die Akteure. Das hilft in den einzel­
nen Städten die Grundidee von »Ab in die Mitte!«, nämlich die Stärkung der Innenstadt, weit über die Aktion
hinauszutragen. Auch in 2007 wird es in Hessen wieder vielfältige und spannende »Ab in die Mitte«-Aktionen
geben.
Fazit ist: Es gibt kein Allheilmittel für »kränkelnde« Innenstädte. Für eine individuelle Therapie müssen die öffent­
lichen und privaten Akteure in den einzelnen Städten die richtigen Instrumente auswählen und innerhalb eines
Gesamtkonzepts anwenden. Und auch wenn INGE oder »Ab in die Mitte!« allein nicht alles werden leisten kön­
nen, als Bausteine in einer Strategie für die Gesundung der Innenstadt können diese neuen Instrumente in vielen
Fällen weiterhelfen.
Planungsverband
11
Innenstadt – das Gesicht der Stadt
Die Innenstädte sind die Visitenkarten der Städte. Mit ihren alten Marktplätzen und historischen Gebäuden kön­
nen sie das Image einer Stadt ebenso prägen wie mit aufwändig gestalteten Fußgängerzonen oder aufsehener­
regenden Bauten moderner Architektur. Berühmte Beispiele sind etwa der Domplatz in Köln oder der Römerberg
in Frankfurt am Main, die als besondere »Highlights« weit über die Grenzen dieser Städte hinaus bekannt sind.
Solche unverwechselbaren Ansichten einer Innenstadt gibt es aber nicht nur in Großstädten. Auch in kleineren
Städten und Gemeinden können Innenstädte mit besonderen Attraktionen Symbolcharakter erlangen und so
mit dazu beitragen, dass sich die Bewohner hier zu Hause fühlen.
Römer in Frankfurt am Main
Marktplatz in Butzbach
Je einmaliger sich die Innenstadt mit besonderen Gebäuden, Plätzen und Fußgängerzonen präsentiert, desto
größer ist nicht nur die Identitätsfunktion für die einheimische Bevölkerung. Auch die Eindrücke, die auswärtige
Besucher gewinnen, wirken oft noch lange nach. Liebevoll restaurierte Fachwerkhäuserzeilen, Brunnen, Türme
und Torbögen, schöne alte Kirchen und Rathäuser stellen Alleinstellungsmerkmale dar, die in Namen und Be­
zeichnungen wie Burgstadt Eppstein oder Fachwerkstadt Seligenstadt wieder aufgegriffen werden und mit
denen für die Stadt als Ganzes geworben werden kann.
Ausgewählte Beispiele für Städte und Gemeinden mit besonderen Attraktionen
Auch in der Region Frankfurt / Rhein-Main gibt es
diese besonderen Züge im Gesicht einer Stadt zu
entdecken – in den Stadt- und Ortsteilen, in vielen
Ortskernen und in nahezu jeder Innenstadt. Hier –
ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige ausge­
wählte Beispiele: Schloss Johannisburg in Aschaf­
fenburg • Landgrafenschloss mit Weißem Turm
in Bad Homburg vor der Höhe • Sprudelhof und
Trinkkuranlage in Bad Nauheim • Hundertwasser­
haus in Bad Soden am Taunus • Schloss und Mat­
hildenhöhe in Darmstadt • Burg und Altstadt Drei­
eich-Dreieichenhain • Hochhäuser in Frankfurt am
Main • Friedburg mit Adolfs­turm in Friedberg
Wiesbaden – Kurviertel
(Hessen) • Obermarkt in Gelnhausen • Marktplatz
und Altstadt von Heppenheim (Bergstraße) • Altstadt von Hochheim am Main • Mittelalterlicher Stadtkern
von Idstein • Schloss Langenselbold • Historischer Stadtkern mit St. Georgs-Dom zu Limburg an der Lahn
• Dom und Altstadt in Mainz • Rathaus zu Michelstadt • Altstadt von Miltenberg • Einhardsbasilika und
Kloster Seligenstadt • Schlossplatz und Marktplatz mit Hugenottenkirche in Usingen • Domplatz mit Dom
in Wetzlar • Kurviertel Wiesbaden • Dom St. Peter und Paul zu Worms
12 Planungsverband
Eppstein – Wernerplatz mit Burg
Hattersheim am Main – Marktplatz
Bad Nauheim – Brunnen am Aliceplatz
Heusenstamm – Torbau
Obwohl sich in der baulichen Substanz unserer Innenstädte vielfach längst vergangene Epochen spiegeln, sind es
nicht nur die historischen Relikte, die das reizvolle Ambiente unserer Innenstädte ausmachen. Beispiele moderner
Architektur leisten ebenfalls ihren Beitrag zum Gesicht der Stadt. Dies ist häufig gerade dann der Fall, wenn sich
Neu und Alt unvermittelt und in einem nicht immer konfliktfreien Kontrast gegenüberstehen. Aber auch aus
modernen Bauwerken, die aus sich heraus Widerspruch provozieren und öffentliche Diskussionen entfachen,
können einer Innenstadt ganz eigene Qualitäten wie Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit erwachsen.
Frankfurt am Main – Bahnhofsviertel
Planungsverband
Frankfurt am Main – Zeilgalerie
13
Vorbereitung
Überzeugung weiterer
privater Akteure
Idee
Konzeptentwicklung
Maßnahmen, Finanzierung
Gebietsabgrenzung
Zustimmung von 15 % aller Betroffenen
Entscheidung
Innenstadt – die Vielfalt erfahren
Antrag bei
Information aller
Kritik und Anregungen
Umsetzung
Stadt
Betroffenen
zum Konzept
Seit jeherdergilt
die Mischung ganz
unterschiedlicher Nutzungen
als Kernelement der europäischen Stadt. Dies
zeigt sich besonders deutlich in den Innenstädten. Der Einzelhandel in all seinen Formen – mit kleinen Fach­
geschäften und großenWiderspruch
Warenhäusern,
mit Wochenmärkten und Verkaufsveranstaltungen zu speziellen Angeringer als 25 % aller Betroffenen
­lässen – hat hier ebenso seinen Standort wie Restaurants, Cafés und Kneipen. Auch die verschiedenen Dienst­
leistungen, die von Banken und Versicherungen, Ärzten, Rechtsanwälten und vielen anderen großen und kleinen
Unternehmen
angeboten werden, sind
aus den
nicht wegzudenken.
Sie alle prägen in einer einzig­
Einrichtung
Umsetzung
der Innenstädten
Maßnahmen zur Aufwertung
des
Innovationsbereich
Quartiers
durch Abgaben aller
Betroffenen
artigen Zusammensetzung
das Bild eines
Stadtzentrums
oder
einer Ortsmitte und werden von Bewohnern wie
Besuchern als identitätsbildende Merkmale einer – eben dieser – Innenstadt wahrgenommen.
Neben solchen kommerziellen Nutzungen bieten die Innenstädte Raum für kulturelle Einrichtungen wie Kirchen,
Theater, Konzertsäle, Museen und Bibliotheken, für Bildungseinrichtungen oder für die Verwaltung einer Stadt
mit ihren verschiedenen Ämtern. Und nicht zuletzt ist die Innenstadt Wohn- und Arbeitsplatz für viele Menschen.
Wichtige Nutzungen in der Innenstadt
Handel
Gastronomie
Dienstleistungen
Freizeit
Kultur
Bildung
Verwaltung
Wohnen
Arbeiten
Diese Nutzungsvielfalt ist für die Attraktivität und Aufenthaltsqualität der Innenstädte von entscheidender Be­
deutung. Die Besucher der Innenstadt schätzen sie als eine besondere Stärke gegenüber der nur am Einkauf
orientierten Atmosphäre der großen Fachmärkte und anderer Einzelhandelseinrichtungen auf der grünen Wiese.
Auch wenn der Einkauf in unseren Innenstädten eine wichtige und meist sogar führende Rolle spielt, können
Menschen in der Innenstadt eben nicht nur einkaufen. Sie können ihre Bankgeschäfte erledigen, Behördenter­
mine wahrnehmen, ein Museum besuchen, einen Bummel machen oder sich mit Freunden und Bekannten verab­
reden. Sie können in einem Bistro bei Kaffee und Kuchen sitzen, sie können sehen und gesehen werden. Auf die­
se Weise ermöglichen vielfältige Nutzungen nicht nur die Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse direkt am Ort; sie
fördern auch die Belebung der Innenstadt und tragen so zum Erhalt vieler alter Gebäude und schöner Plätze bei.
Einkaufen, bummeln und verweilen ... 14 ... im Nordend von Frankfurt am Main
Planungsverband
Auch in der Region Frankfurt / Rhein-Main gibt es zahlreiche Innenstädte, die sich durch solche Qualitäten aus­
zeichnen und in denen sich die Menschen nicht nur zum Einkaufen aufhalten. Umfragen in Städten und Ge­
meinden haben ein breites Spektrum an Gründen für den Besuch der Innenstadt ergeben. Neben dem meist
wichtigsten Grund, dem Einkauf, ist die Inanspruchnahme verschiedener Dienstleistungen vom Arzttermin bis
zum Friseurbesuch als nahezu gleichberechtigter Aufenthaltsgrund anzusehen. Oft unterschätzt werden die
eher freizeitorientierten Beweggründe. So sind etwa der Schaufensterbummel, Verabredungen oder Café- und
Restaurantbesuche in rund einem Drittel aller Fälle Anlass genug, die Innenstadt aufzusuchen und noch wich­
tiger: auch dort zu verweilen!
Gute Gründe für den Aufenthalt in der Innenstadt
Frage: Was gehört für Sie zu
den wichtigsten Aufenthaltsgründen in der Innenstadt?
• Einkaufen
(32 – 47 Prozent der Antworten)
• Dienstleistungen
(32 – 45 Prozent der Antworten)
• Café-/Restaurantbesuch
(bis zu 16 Prozent der Antworten)
• Bummel / Verabredungen
(bis zu 15 Prozent der Antworten)
(Nicht repräsentative Umfrageergebnisse aus verschiedenen Mitgliedskommunen des Planungsverbandes)
Beispiel Bad Nauheim – Ergebnisse einer Umfrage aus dem Jahr 2002
Diese Ergebnisse machen deutlich, dass unsere Innenstädte mehr sind als Einkaufsstätten. Erst die besondere
Kombination vieler unterschiedlicher Nutzungen macht das unverwechselbare Gesicht einer Innenstadt aus,
in der urbane Vielfalt in all ihren Facetten erfahren und gelebt werden kann.
Planungsverband
15
Innenstadt – im Zentrum der Erreichbarkeit
»Die Innenstadt ist nur schlecht erreichbar!«, »Es fehlen Parkplätze!«, »Die Wege sind zu lang!« – so oder so
ähnlich pflegen Passanten bei Umfragen die Erreichbarkeit der Innenstadt mit dem Pkw zu beurteilen. Obwohl es
Studien gibt, die zeigen, dass dieser Eindruck häufig täuscht, werden solche Klagen sehr ernst genommen. Und
es sind nicht nur einzelne Geschäfte, die mit Parkgebührenerstattung, kostenfreien Stellplätzen oder gar einer
»ganzjährig befahrbaren Straße« werben; auch die Städte und Gemeinden bemühen sich, dem Wunsch der In­
nenstadtbesucher nach einer problemlosen Erreichbarkeit mit dem Auto entgegenzukommen. Innenstadtver­
kehrs- und Parkraumkonzepte sollen dazu beitragen, das Parkplatzangebot zu optimieren, den Verkehrsfluss
zu verbessern und die konkurrierenden Nutzungsansprüche von Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern, von
Anwohnern, Einzelhändlern und anderen Innenstadtakteuren miteinander in Einklang zu bringen.
Ein wichtiger Ansatz hierzu ist das Konzept des »Shared Space«, welches die herkömmliche Trennung der ver­
schiedenen räumlichen Funktionen aufhebt. Durch Deregulierung (Entfernung möglichst vieler Ver- und Gebots­
schilder, weitgehender Verzicht auf eindeutige Vorfahrtsregeln, Abbau von Ampeln, Fußgänger­inseln, Bord­
steinen und anderen Barrieren) entstehen aus Straßen mit abgegrenzten Fahrspuren und Gehwegen Mischver­
kehrsflächen, die von allen Nutzern gleichbe­rechtigt in Anspruch genommen werden können. Verkehrsverhalten,
das bislang anhand von Vorschriften geregeltet wurde, wird durch soziales Verhalten ersetzt, die Verantwortung
des einzelnen Verkehrsteilnehmers gestärkt. Das Konzept »Shared Space« wendet sich eindeutig nicht gegen das
Auto – ganz im Gegenteil: Die Innenstadt bleibt – so eine mehr als verständliche Forderung der dort ansässigen
Geschäftsleute – auch für Autofahrer weiterhin jederzeit erreichbar.
Werbung für die Erreichbarkeit in Hanau Fahrradfreundliche Goethestraße in Frankfurt am Main
Gleichzeitig steht das Konzept »Shared Space« für einen Gewinn an Lebensqualität. Die stärkere Durchmischung
und bessere Kommunikation der Nutzer untereinander führen zu ganz anderen räumlichen und sozialen Quali­
täten. Denn trotz der Bedeutung, die der Zugänglichkeit beigemessen werden muss, ist für die Bewertung einer
Innenstadt vor allem das Einkaufsangebot und die Atmosphäre maßgeblich. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund
kann die Erreichbarkeit der Innenstadt nicht auf die Erreichbarkeit mit dem Auto reduziert werden; viele Innen­
stadtbesucher steuern ihr Ziel denn auch ohne Auto, mit Bussen und Bahnen, per Fahrrad oder zu Fuß an und
leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Aufenthaltsqualität einer Innenstadt. Attraktive Fußgängerzonen, an­
sprechend gestaltete Haltestellen für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Busse und Bahnen, die die
Innenstadt regelmäßig, pünktlich und zu annehmbaren Preisen an­fahren, sichere Radwege, ausreichende Fahr­
radabstellanlagen … das alles gibt es – selbst wenn noch manche Verbesserung notwendig ist – auch in vielen
Innenstädten der Region Frankfurt / Rhein-Main.
Solche Innenstädte erschließen sich auch denjenigen Kunden und Besuchern, die als ÖPNV-Benutzer, Radfahrer
oder Fußgänger die autoorientierten peripher gelegenen Einkaufsstandorte nur schwer oder mit größerem Zeit­
aufwand erreichen können. Einen Hinweis auf die Bedeutung der einzelnen Verkehrsmittel liefern die folgenden Zahlen, die in einer umfassenden Erhebung »Mobilität in Deutschland (MiD)« aus dem Jahr 2002 erhoben
16 Planungsverband
wurden: Schon heute werden innerhalb des Planungsverbandsgebietes rund 45 Prozent aller Einkäufe – unab­
hängig davon, ob Einkaufszentren auf der grünen Wiese, Innenstädte oder Bäcker und Metzger »um die Ecke«
angesteuert werden – mit dem ÖPNV, dem Fahrrad oder zu Fuß erledigt; für den Schaufensterbummel werden in
fast 50 Prozent aller Fälle Busse und Bahnen, das Rad oder »die eigenen Füße« genutzt.
Verkehrsmittelwahl im Einkaufsverkehr im Gebiet des Planungsverbandes (alle Einkaufslagen)
Planungsverband
PV
F/OF
Frankfurt / Offenbach
Umland
Umland
0
20
40
60
80
100 %
Pkw-Selbstfahrt
Pkw-Mitfahrt
ÖPNV
Fahrrad
zu Fuß
Sonstige Möglichkeiten
Während innerhalb des
Planungsverbandes knapp
54 Prozent aller Einkäufe
mit dem Auto erledigt wer­
den, sind es im Umland über
60 Prozent und in Frankfurt
am Main und Offenbach am
Main etwa 40 Prozent. Dafür
sind in den beiden Großstäd­
ten gegenüber dem Umland
mehr Einkäufer zu Fuß unter­
wegs (44 Prozent zu 24 Pro­
zent). Auch beim ÖPNV ist
ein deutlicher Vorsprung der
beiden Großstädte (8 Prozent
zu 2 Prozent) auszumachen.
Quelle: MiD 2002, ausgewertet vom Planungsverband und TraffiQ, Frankfurt am Main
Im Spannungsfeld von Einkaufsambiente und Erreichbarkeit erfüllen ÖPNV-Benutzer, Radfahrer und Fußgänger
daher eine wichtige Funktion; sie benötigen weniger Fläche (etwa keine Abstellplätze) und schaffen somit auch
Raum für andere Nutzungen – beispielsweise für Begrünung und Beleuchtung, für eine ansprechende Innen­
stadtmöblierung, für Werbung und Auslagen der Geschäfte oder für Aktions- und Kommunikationsflächen.
Mit dem Fahrrad zum Einkauf in Großkrotzenburg
Planungsverband
Straßenbahnen im Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main
17
Innenstadt – immer nah versorgt
Die Gesellschaft wird immer älter; das betrifft natürlich auch die Städte und Gemeinden in der Region Frankfurt /
Rhein-Main. Gerade ältere Menschen haben aber besondere Ansprüche an das Einzelhandelsangebot; sie sind
häufig weniger mobil und damit – vor allem für den alltäglichen Bedarf – auf Angebote innerhalb ihres Wohn­
quartiers oder in zentralen Lagen wie der Innenstadt oder der Ortsmitte angewiesen.
Altersstruktur der Bevölkerung im Gebiet des Planungsverbandes (1995 = 100)
125
Unter 15 Jahre
120
15 bis 64 Jahre
115
Über 64 Jahre
110
Gesamt
105
100
95
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
Die Gesellschaft wird immer älter … auch
im Gebiet des Planungsverbandes. Im Zeit­
raum 1995 bis 2005 stieg der Anteil der
unter 15-Jährigen an der Gesamtbevölke­
rung im Planungsverband nur leicht. Da­
gegen hatten die über 64-Jährigen bis
1998 eher moderate und danach ausge­
sprochen steile Zuwächse zu verzeichnen.
Damit fügt sich die Entwicklung im Pla­
nungsverbandsgebiet – trotz zum Teil ge­
genläufiger Tendenzen durch die Wande­
rungsgewinne bei jüngeren Menschen –
in das für Deutsch­land bekannte Bild.
Quelle: Hess. Stat. Landesamt, Berechnungen des Planungsverbandes
Gleichzeitig nimmt aber gerade in den Zentren die Zahl der Nahversorger ständig ab. In immer mehr Innenstäd­
ten gibt es keine Bäcker und Metzger mehr, Lebensmittelgeschäfte wandern aus der Stadtmitte an die Periphe­
rie, Post- und Bankfilialen verschwinden. Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren sind aber bevorzugte Standorte
der Nahversorgung, sind sie doch zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Und in Verbin­
dung mit anderen Angeboten aus Handel, Dienstleistung oder Gastronomie erfüllen Nahversorgungseinrichtun­
gen in der Innenstadt nicht nur eine Versorgungs-, sondern auch eine wichtige soziale Funktion. Der Plausch
beim Bäcker nebenan oder der Lebensmittelladen »ums Eck« als Treffpunkt der Nachbarschaft bedeuten ins­
besondere für ältere Menschen auch ein Stück Lebensqualität.
Metzgerei-Leerstand in Großkrotzenburg
»Tante Emma« in Butzbach / Pohl-Göns
In ländlichen Regionen sind Orte schon Kilometer vom nächsten Lebensmittelanbieter entfernt, in städtischen
Räumen ist das oft nicht anders. Auch in der Region Frankfurt / Rhein-Main lassen sich viele Städte und Gemein­
den finden, in denen Bäcker, Metzger oder ein Lebensmittelgeschäft fehlen. Im Gebiet des Planungsverbandes
gibt es in etwa einem Drittel der rund dreihundert Stadt- und Ortsteile keine größeren Lebensmittelmärkte mehr,
18 Planungsverband
in anderen Kommunen stehen vor allem kleinere Nahversorger mangels Tragfähigkeit kurz vor dem Aus. Um
aber auch weniger mobilen Menschen die Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs zu ermöglichen, wurden
unterschiedliche Nahversorgungskonzepte entwickelt, die diese Lücke füllen sollen. Diese sind jedoch an be­
stimmte Voraussetzungen (Einwohnerpotenzial, Erreichbarkeit, geeignete Verkaufsräume) gebunden und stellen
in der Regel nur eine Notlösung dar. Ein entsprechendes Angebot in zentralen und gut erreichbaren Innenstadt­
lagen oder Ortszentren können sie nicht ersetzen.
Nahversorgungskonzepte
Bäckereien, Metzgereien mit Zusatzsortimenten
• Tankstellenläden • Ambulanter Handel
(»Rollende Verkaufswagen«) • E-Commerce /
Internet • Hofläden • Genossenschaftliche
Ansätze (»Unser Dorfladen«) • Kleinflächenkonzepte (»Ums Eck«, »Ihr Kaufmann«) • Ladengemeinschaften • Integrative Ansätze (zum
Beispiel die »CAP-Märkte«) • Zustelldienste
• Kioske • Bahnhofsläden • Markthalle / Wochenmärkte • Bäko-Shops • Bürgerläden • »Onkel Ali«
Hofladen in einem Bad Homburger Stadtteil
Dennoch hält der Wunsch nach autoorientierten Standorten fernab der Bevölkerung weiter an. Diese Ent­wick­
lung widerspricht aber den Bedürfnissen der immer älter werdenden Men­schen. Dass ein Gegensteuern möglich
ist und vernünftige Angebote zur Nahversorgung auch in den Zentren ange­siedelt werden können, zeigen zahl­
reiche Beispiele im Rhein-Main-Gebiet. Vor allem in kleineren Städten und Gemeinden konzentrieren sich Nah­
versorgungseinrichtungen in den Innenstädten und Ortsmitten, weil an einem solch zentral gelegenen Standort
noch am ehesten die notwendige »Mantelbevölkerung« (in der Regel ungefähr 5.000 Einwohner für einen Le­
bensmittelmarkt) erreicht werden kann. Aber auch in größeren Kommunen gibt es entsprechende Angebote wie
zum Beipiel »Kleinflächenformate« bekannter Lebensmittelketten, die sich auf wenige hundert Quadratmeter
Verkaufsfläche beschränken.
Nahversorgung in Kronberg am Taunus ...
Planungsverband
... und in Seligenstadt
19
Innenstadt – Ort der Begegnung
Seit jeher sind die Zentren unserer Städte mehr gewesen als Geschäftszentren. Obwohl der Einkauf nach wie
vor einer der wichtigsten Gründe für den Besuch der Innenstadt ist, ist sie – und dort insbesondere der Markt­
platz – nicht nur zentraler Versorgungsstandort. Ebenso wie die historischen Marktplätze, wie der orientalische
Basar oder das römische Forum sind die Zentren unserer Städte Versammlungsort, Bühne, Schauplatz öffentlicher
Ereignisse und mehr noch: Sie sind Raum des unverbindlichen Kontaktes von Menschen untereinander, sie sind
Orte der Begegnung und Mittelpunkt des öffentlichen Lebens.
Damit unterscheidet sich die gewachsene, allen zugängliche Innenstadt auch von privat verwalteten Einkaufs­
zentren, Ladengalerien und Passagen, die angesichts der vielen Schwierigkeiten, mit denen manche Innenstädte
zu kämpfen haben, oft als Maßstab und Vorbild für ein »funktionierendes« Geschäftszentrum hingestellt wer­
den. Aber auch wenn solche von privater Hand gemanagten Einkaufszentren einige Probleme gewachsener
Innenstädte nicht kennen, wenn Ladenöffnungszeiten einheitlich geregelt, Sauberkeit gewährleistet und uner­
wünschte Besuchergruppen ferngehalten werden können, fehlen ihnen doch wichtige Elemente dessen, was
eine Innenstadt ausmacht. Es fehlen (Frei-)Räume für Spontanes, Zufälliges, Zweckfreies und Gegensätzliches
– also genau jene Momente, die sich untrennbar mit den urbanen Qualitäten einer (Innen-)Stadt verbinden.
Innenstadtfacetten
20 Planungsverband
Um die Position der Innenstädte gegenüber den Einkaufszentren auf der grünen Wiese zu stärken, wurde vor
sieben Jahren in Nordrhein-Westfalen die City-Offensive »Ab in die Mitte!« gegründet. Seit 2003 gibt es diese
Initiative auch in Hessen. Zusammen mit Partnern wie etwa den Industrie- und Handelskammern und der priva­
ten Wirtschaft möchte das Land Hessen ein Zeichen setzen und Projekte zur Steigerung der Attraktivität von
Innenstädten fördern. Zu den wichtigsten Zielen gehören der Erhalt der Multifunktionalität der Innenstädte, die
Sicherung eines breiten Angebots für alle Bevölkerungsgruppen und die Vernetzung von Handel, Gastronomie
und Kultur. So soll die Erlebnisqualität verbessert und die Verweildauer der Innenstadtbesucher erhöht werden
(vergleiche Seite 11).
»Ab in die Mitte!« – Das Beispiel Usingen
Im Jahr 2006 wurde die Stadt Usingen mit dem Projekt »stadtLICHTkunst – Kunst belebt Räume« Preisträge­
rin des Wettbewerbs »Ab in die Mitte! Die Innenstadt-Offensive Hessen 2006«. Die Idee dieses Projektes
wurde von den Initiatoren wie folgt beschrieben:
»In der Zeit vom 6. bis zum 11. Oktober 2006 verwandelt sich die Usinger Innenstadt in den Abendstunden
in eine lichternde Erlebniswelt und es ist einen Rundgang wert, die Stadt zu bestaunen und neu zu erleben
(...). Die historische Altstadt, durch zwei Bundesstraßen zerschnitten, wird durch den Lichtpfad in den leuch­
tenden Fokus gestellt. Ehemals »tote Ecken und Winkel« (Unorte) werden so zu vitalen interessanten Erleb­
nisräumen und schärfen den Blick für die Stadt, die positiven wie negativen Aspekte. Der Stadtraum wird
durch die Lichtinszenierungen aufgewertet und es entwickelt sich ein urbanes Lebensgefühl. Mit diesem
Projekt werden in Usingen neue Wege beschritten, die üblicherweise nur größere Städte gehen. Das ist das
Spannende und Neue.«
Die Stadt Usingen ist nur ein Beispiel für die Erfolge der Initiative »Ab in die Mitte!« in Hessen. Andere Städte
und Gemeinden in der Region Frankfurt / Rhein-Main haben sich mit eigenen Projekten ebenfalls an der Innen­
stadtinitiative beteiligt, wobei der Phantasie, was die inhaltlichen Schwerpunkte angeht, kaum Grenzen gesetzt
sind. Während »Friedberg frühstückt«, »Langen Verbindungen schafft« und »Raunheim pulsiert«, thematisieren
Seligenstadt und Rosbach vor der Höhe den Aspekt »Wasser« und laden in die Wasserstadt oder zu Brunnen­
tagen ein. Gleichzeitig finden auch jenseits der Initiative »Ab in die Mitte!« in vielen Städten und Gemeinden
der Re­gion Aktionen statt, die den Besuchern der Innenstadt etwas Besonderes bieten wollen. So wird in der
Altstadt von Michelstadt seit mehreren Jahren eine Veranstaltung »schwarz auf weiss – the art of paper« zum
Thema Papier organisiert. Neben Vorführungen zur Kunst des Papierschöpfens, -schneidens und -faltens gibt es
eine Papier- und Schreibwerkstatt, Ausstellungen mit Papierfiguren, -möbeln und anderen Papierobjekten, Stän­
de, an denen Zubehör für Papierarbeiten erworben werden kann, und vieles andere mehr. Die hier skizzierten
Beispiele zeigen, dass unabhänig von den Rahmenbedingungen, dem Thema und der Ausgestaltung des gewähl­
ten Projektes für die beteiligten Städte und Gemeinden ein entscheidendes Resümee bleibt: Durch die Teilnahme
an solchen Ak­tionen haben ihre Innenstädte an Vielfalt und Lebendigkeit gewonnen und als Orte der Begegnung
für Bewohner wie Besucher wichtige neue Impulse erhalten.
Planungsverband
21
Innenstadt – Geschichte zum Anfassen
Auch außerhalb Europas, in anderen Ländern und Kontinenten, gibt es viele alte Städte, deren Geschichte weit
in längst vergangene Jahrtausende zurückweist. Dennoch wird die Geschichte der europäischen Stadt immer
wieder als eines ihrer wesentlichen Merkmale zitiert. Und die Innenstädte und Zentren unserer Städte sind in
vielerlei Hinsicht die besten Zeugen dieser Geschichte. Gerade hier können – so Albrecht Göschel – die drei
entscheidenden Funktionen der Stadt in symbolisch überhöhter Form wiedergefunden werden: Die Kirche als
Sinnbild der geistig-kulturellen Kraft, das Rathaus als Abbild der politisch-staatlichen Macht und der Markt als
realer Ort und Zeichen der wirtschaftlichen Basis, die auf dem Handel beruhte. »Alle Zentren deutscher Städte
sind von diesem urbanen Dreiklang bestimmt (…)«. Aber auch jenseits von Kirche, Rathaus und Markt, an den
Gebäuden und Plätzen, an Straßenverläufen und Stadtgrundrissen lassen sich die verschiedenen zeitlichen
Epochen ablesen.
Frankfurt am Main: Schirn, Römisches Bad ...
... und Staufenmauer
Die vielerorts erfolgten Ausgrabungen bestätigen, dass sich insbesondere in den Zentren unserer Städte solche
historischen Schichten überlagern. Ersten Siedlungshinweisen aus Stein- und Jungsteinzeit (zum Beispiel Aschaf­
fenburg, Frankfurt am Main), Funden keltischen Ursprungs (zum Beispiel Mainz, Bad Nauheim) und römischer
Besiedlung (zum Beispiel Mainz, Frankfurt am Main, Wiesbaden) folgen die in manchen Städten heute noch gut
erhaltenen Teile mittelalterlicher Stadt­befestigung und Überreste der Judenviertel aus dem 12. Jahrhundert bis
hin zu gründerzeitlichen Bauten, den Zerstörungen der beiden Weltkriege und den mitunter kritisch betrachteten
jüngeren Zweckbauten aus der Zeit des Wiederaufbaus und den folgenden Jahrzehnten.
»Altes« in Dreieich
22 »Neues« in Bad Homburg v. d. Höhe und »Altes in Neu« im Hessenpark
Planungsverband
Unabhängig von der Geschichte der jeweiligen Innenstädte wiederholt sich jedoch in den Kernbereichen der
Innenstädte ein Bild: Die Ladenzonen im Erdgeschoss der Gebäude. Das häufig anzutreffende Bild der Wohnund Geschäftshäuser ist also weder ein Relikt der Vergangenheit noch eine Erfindung der Gegenwart. Solche
Gebäude und ihre Funktionen sind zugleich Kommentatoren des Funktions- und Bedeutungswandels der Innen­
städte beziehungsweise der jeweiligen Stadt insgesamt.
Jugendstil in Bad Nauheim
In unmittelbarer Nähe der Innenstadt verfügt
Bad Nauheim mit Sprudelhof und Trinkkuranla­
ge über eine der größten noch erhaltenen Ju­
gendstilanlagen in Deutschland. Besonders der
zwischen 1905 und 1912 erbaute Sprudelhof
mit seinen üppig ausgestatteten Badehäusern,
Wartesälen, Innenhöfen, Brunnen und Spru­
deln zählt zu den eindrucksvollsten Zeugnissen
des deutschen Jugendstils. Fassaden und In­
nenwände, Torbögen, Türen und Fenster sind
mit verschiedenen Schmuckelementen und
Jugendstilmalereien reich ausgestaltet; mit
Meeres­tieren, Muscheln, Nymphen, Nixen und
Wellen wird immer wieder auf das Wasser als
Gesundheit spendende Kraft verwiesen. Zu der
südlich der Innenstadt gelegenen Trinkkuran­
lage, die zwischen 1910 und 1912 entstand,
gehört neben Trinkhalle und Wandelgängen,
Konzertmuschel mit vorgelagertem Wasserbe­
cken auch ein achteckiger Brunnen mit gol­
dener Kuppel und Krone. Die meisten Einrich­
tungen gehen auf Entwürfe des Regierungs­
bauinspektors Wilhelm Jost unter Mitwirkung
zahlreicher Künstler der Darmstädter Künstler­
kolonie auf der Mathildenhöhe zurück. Vom
9. September bis zum 29. Oktober 2006 war
Bad Nauheim als einzige Stadt in Deutschland
Station der Wanderausstellung »Jugendstil im
Wandel« des europäischen Jugendstilnetz­
werkes »Réseau Art Nouveau Network«, in
dem 13 europäische Städte von Barcelona bis
Riga vertreten sind.
Diese Anlagen sind aber nicht nur ein Anzie­
hungspunkt für die vielen Gäste aus der nähe­
ren und weiteren Umgebung; sie stellen auch
– zusammen mit dem Kurpark und den dor­
tigen Freizeit- und gastronomischen Ange­
boten – einen beliebten Aufenthalts- und Er­
holungsort für die Besucher der unmittelbar
angrenzenden Innenstadt dar.
Der gerade unseren Innenstädten und Zentren eigene historische Hintergrund ermöglicht den Besuchern ein
ebenso spannungsreiches wie authentisches Erleben von Stadt, welches sich deutlich von den künstlich ge­
schaffenen, historisierenden Einkaufswelten, die – zumindest in ihrer zugespitzten Form (zum Beispiel Wertheim
Village) – eher als touristische Attraktionen aufzufassen sind, unterscheidet.
Planungsverband
23
Innenstadt – freie Zeit erleben
Ein Schlagwort wie Shoppotainment – Synonym für die Verbindung von Einkauf und Unterhaltung – spricht für
sich. Einkaufen soll Spaß machen … aber Spaß und Unterhaltung gibt es in unseren Innenstädten nicht nur in der
»Einkaufstüte«. Gleichgültig, wie viel Vergnügen das Einkaufen an sich bereiten kann, wie viel Zerstreuung ein
Schaufensterbummel bieten oder die Plauderei mit Freunden im Café bedeuten mag … die Innenstadt wird auch
unabhängig vom Einkauf mehr und mehr zum (Stand-)Ort von Freizeit und Erlebnis. Die Verbindung von Einkauf,
Freizeit und Erlebnis ist nicht neu. Schon immer gab es in unseren Innenstädten neben der Möglichkeit einzukau­
fen auch Freizeitangebote – für Kinder in Form von Spielplätzen und den allseits beliebten Spielecken in größeren
Geschäften. Und für Erwachsene in Museen, Ausstellungen und Büchereien, im Kino direkt an der Hauptein­
kaufsstraße, in Spielsalons, Billardcafés und Fitnessstudios oder beim Freiluftschach und Minigolf im nahe ge­
legenen Park. Solche Möglichkeiten haben das Einkaufsgeschehen in unseren Innenstädten seit jeher begleitet.
In der jüngsten Vergangenheit häufen sich jeoch die Meldungen von Sport- und anderen Großereignissen in un­
seren Innenstädten. Aber es sind nicht nur einzelne Geschäfte für Sport- und Freizeitbedarf, die mit Kletterwän­
den, Tauchbecken und ähnlichen Angeboten die Besucher zu sportlichem Engagement animieren. Die Innenstadt
selbst wird zur Bühne vielfältiger Freizeitaktivitäten. Es gibt Kanuwettbewerbe, Meisterschaften im Beach-Volley­
ball; es werden Ski- und Rodelbahnen aufgebaut und im Winter bei entsprechenden Temperaturen Marktplätze
geflutet, um die Eisläufer anzulocken. Im Sommer werden an Flüssen, Bächen und selbst auf Hochhäusern künst­
liche Sandstrände angelegt und Beachparties gefeiert. Und wenn anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006
zehntausende Menschen aus aller Herren Länder in unseren Innenstädten feiern, dann hat nicht nur der Einzel­
handel Grund zur Freude. Auch unsere Innenstädte als Ganzes profitieren von solchen Veranstaltungen.
Historische Eisenbahn am Mainufer in Frankfurt am Main
Hessentag in Dietzenbach
Kerb in Bad Nauheim
Meenzer Schwellköpp
24 Planungsverband
Hinzu kommen die im Jahresrhythmus wiederkehrenden Märkte und Feste, die in manchen Fällen seit Jahrhun­
derten in unseren Innenstädten abgehalten und gefeiert werden. So lädt die Stadt Hochheim am Main alljährlich
im Juli zu ihrem Weinfest in die historische Altstadt ein. Begleitet von einem umfänglichen Festprogramm prä­
sentieren die Hochheimer Winzer ihren Gästen ein vielfältiges Angebot an Weinen und Sekten. Den Höhepunkt
des Festes, zu dem im Durchschnitt rund 100.000 Besucher anreisen, bildet die Krönung der neuen Weinkönigin.
Aber auch die traditionellen Fassnachtsumzüge, Oster- und Künstlermärkte, Stadt- und Straßenfeste, Flohmärkte,
Kirchweih mit Kirmes (Kerb) und Weihnachtsmärkte sind immer wieder willkommene Anlässe in die Innenstadt
zu gehen, um dort Menschen zu begegnen, neue Kontakte zu knüpfen und miteinander zu feiern.
Weihnachtsmärkte in der Region Frankfurt / Rhein-Main
In der Region Frankfurt / Rhein-Main gibt es in der Adventszeit in fast jeder Stadt oder Gemeinde einen Weih­
nachtsmarkt. Bei der Bevölkerung sind aber nicht nur die Weihnachtsmärkte in den Zentren der Großstädte,
die mitunter mehrere Millionen Besucher anlocken, ausgesprochen beliebt. Auch die kleineren Märkte in den
Stadtteil- und Ortszentren haben ihr Publikum. Solche Weihnachtsmärkte bezaubern weniger durch Größe,
denn durch einzelne Attraktionen und ihre besondere Atmosphäre, die in vielen Fällen durch eine entspre­
chende »Kulisse« – etwa in Form historischer Marktplätze mit alten Rathäusern, Fachwerkhauszeilen, Burgen
und Schlössern – noch betont wird. So zählt der Weihnachtsmarkt in Michelstadt im Odenwald zu den
schönsten in ganz Deutschland.
Ausgewählte Beispiele:
Aschaffenburger Weihnachtsmarkt am Schloss Johannisburg • Romantischer Weihnachtsmarkt in Bad Hom­
burg vor der Höhe • Bergweihnacht und Weihnachtsmarkt im Sprudelhof in Bad Nauheim • Weihnachts­
markt im alten Kurpark in Bad Soden am Taunus • Weihnachtsmarkt in Darmstadt • Burgweihnacht in
Eppstein • Erbacher Schlossweihnacht • Weihnachtsmarkt auf dem Paulsplatz und Römerberg in Frankfurt
am Main • Künstlerweihnachtsmarkt Hanau • Christkindlmarkt in Limburg an der Lahn • Mainzer Weih­
nachtsmarkt auf dem historischen Marktplatz vor dem Martinsdom • Odenwälder Weihnachtsmarkt in
Michelstadt • Kunsthandwerkermarkt in Obernburg am Main • Historischer Weihnachtsmarkt Ronneburg
• Weihnachtsmarkt der Nationen in Rüdesheim am Rhein • Adventsmarkt im Kloster Seligenstadt • Mittel­
alterliche Weihnacht in Taunusstein-Wehen • Wies­badener Sternschnuppenmarkt
Planungsverband
25
Innenstadt – künstlerisch wertvoll
Die Differenzierung des Einkaufs in Erlebnis- und Versorgungseinkauf bietet auch den Innenstädten große Chan­
cen. Denn während der schnelle Versorgungseinkauf meist in Discountern, SB-Warenhäusern und Verbraucher­
märkten auf der grünen Wiese am Rand der Städte und Gemeinden stattfindet, konzentriert sich der erlebnis­
orientierte Einkauf auf qualitativ hochwertige Angebotsformen in innerstädtischer Lage. Zum Erlebniseinkauf
gehört eben auch das Erleben von Stadt und Innenstadt. Angebote aus Kunst und Kultur können hierzu Ent­
scheidendes beitragen.
Die Verbindung von »Kunst und Kommerz« prägt das Einkaufsverhalten der Menschen. Die Konsumenten er­
warten eine spannende Inszenierung ihrer Einkaufswelt in einem attraktiven und animierenden innerstädtischen
Umfeld. Kunst, aber auch Komisches und Kurioses, Elemente, die das Spielerische oder den Sinn für das Schöne
im Menschen ansprechen, sind deshalb eine Bereicherung für jede Innenstadt.
Kunst-Events als Teil des Stadtmarketings – »Kühe, Bären und andere Tiere …«
In den vergangen Jahren sind in zahlreichen Innenstädten in Deutschland Kunst-Events organisiert worden,
die viel Aufmerksamkeit erregt haben. Bekannt sind etwa die Aktionen der Gruppe Troja 2000, die von
Horst Matthes gegründet wurde. Von namhaften Künstlern entworfene und bemalte Tierfiguren wie Kühe,
Schweine oder Vögel werden in der Innenstadt aufgestellt und locken dort neugierige Passanten an. In­
zwischen hat diese Idee viele Nachahmer gefunden, denn der mit solchen Attraktionen verbundene Auf­
wand zahlt sich aus. Mehr Besucher bringen mehr Leben in die Stadt und den Geschäftsleuten mehr Umsatz.
Allerdings ist darauf zu achten, dass solche spektakulären Aktionen auch zur Stadt passen … wie in Frank­
furt am Main, wo aufwändig bemalte Buchplastiken die Bedeutung Frankfurts als Bücherstadt hervor­heben
oder anlässlich der Einführung des Euros überall in der Stadt bunt gestaltete Euros zu sehen waren.
26 Planungsverband
Vor diesem Hintergrund sind »Kunst-Events« (beispielsweise Museumsfeste, Büchernächte, Luminalen) zu einem
wichtigen Bestandteil des Stadtmarketings geworden. Zielgruppe sind nicht nur Touristen, die für einen oder
mehrere Tage in der Stadt verweilen, sondern auch die einheimische Bevölkerung, deren Interesse an »ihrer«
Innenstadt auf diese Weise wieder neu geweckt werden kann. Damit können solche Aktionen – ebenso wie die
Rückbesinnung auf historische Relikte der Innenstadt – eine identitätsfördernde Wirkung entfalten.
Neben den – mitunter recht spektakulären – Einzelaktionen in vielen und nicht nur großen Städten gibt es auch
zahlreiche weniger aufwändige Veranstaltungen. Märkte, Feste und Ausstellungen, Stadtbegehungen und Füh­
rungen, Ideenwettbewerbe oder Einzelaktionen wie Tage der offenen Tür werden auch in vielen kleineren Städ­
ten organisiert, um so für die Innenstadt und ihre Angebote ein breites Publikum zu gewinnen. In Friedberg
(Hessen) haben Wetterauer Künstler und Schulen die Hausfassaden der »Einkaufsmeile Kaiserstraße« kreativ
gestaltet. Die schönste Fassade wurde ausgewählt und prämiert. An­dere Städte suchen das »interessanteste
Schaufenster der Innenstadt« oder vermieten vorübergehend leer stehende Geschäftslokale als Ausstellungs­
räume an Künstler.
Bockenheimer Warte in Frankfurt am Main
Hundertwasserhaus in Bad Soden am Taunus
»Tierisches Gelächter« in Dietzenbach
»Liegende« in Frankfurt am Main
Über solche zeitlich begrenzten Aktionen hinaus bieten unsere (Innen-)Städte Raum für Skulpturen, Denkmäler,
künstlerisch gestaltete Brunnen, Fassaden oder »Kunst am Bau«. Auch in den Städten und Gemeinden in der
Region Frankfurt / Rhein-Main gibt es viel Interessantes zu sehen. Neben einer weithin bekannten Attraktion wie
dem Hammering Man in Frankfurt am Main ist entsprechend Kunstvolles, Komisches und Skurriles auch in vielen
kleineren Gemeinden zu entdecken.
Planungsverband
27
Innenstadt – attraktiv gestaltet
Schon im Leitbild für den Regionalen Flächennutzungsplan des Planungsverbandes und den Regionalplan Süd­
hessen wird auf das Ziel »Region der starken Zentren« verwiesen. Hierzu heißt es unter der Überschrift »Leben­
dige Innenstädte«: »Zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit aller Städte und Gemeinden der Region soll eine Vision
für lebendige Innenstädte entwickelt werden. Es gilt, den besonderen kulturellen, historischen Reiz zu erhalten
und stärker die Atmosphäre für eine Einkaufskultur zu schaffen, auch um dem Trend zum schnellen Einkauf auf
der grünen Wiese entgegenzuwirken. Die Innenstädte sollen zum Ausgehen einladen …«.
Innenstädte laden aber nur dann zum Ausgehen ein, wenn über das Einkaufsangebot hinaus auch die Einkaufs­
atmosphäre »stimmt«. Attraktiv gestaltete Plätze, Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen können hierzu ihren Teil
beitragen. Manche Innenstadt ist sich erst in den letzten Jahren der verborgenen Schätze in ihren eigenen Mau­
ern bewusst geworden. Fachwerk, das in mühsamer Kleinarbeit freigelegt wird, Brunnen, die restauriert, Plätze,
die neu gestaltet, und Parkanlagen, die hergerichtet und damit für die Besucher der Innenstadt als »grüne Mit­
ten« wieder erlebbar gemacht werden, sind auch in den Innenstädten der Region Frankfurt / Rhein-Main zu fin­
den. Oft sind solche Maßnahmen Teil umfassender Gestaltungskonzepte, in denen auch die Möblierung von In­
nenstadtstraßen, die Begrünung oder die Beleuchtung geregelt werden. Überlegungen, durch eine besondere
»Lichtarchitektur« Innenstädte in ein »besseres Licht zu rücken«, haben durch die Luminale 2006 mit Lichtpar­
cours, Lichtdächern und anderen faszinierenden Illuminierungen neue Impulse erhalten. Vielerorts wird über
spezielle Beleuchtungskonzepte zur Aufwertung der Innenstadt nach­gedacht. Auf diese Weise sind viele Städte
gewillt, die ästhetischen Qualitäten ihrer Innenstadt zu verbessern und »Einkaufsorte« zu attraktiven Quartieren
weiterzuentwickeln.
Seligenstadt
Rüsselsheim
Hofheim am Taunus
Friedberg (Hessen)
28 Planungsverband
Auch interessante Geschäfte tragen zu einer attraktiven Innenstadt bei – mit aufwändig gestalteten Verkaufs­
räumen, mit einer ansprechenden, aktuellen und auf die jeweilige Kundengruppe hin ab­gestimmten Waren­
präsentation, mit großzügigen Eingängen, die zum Betreten eines Ladens einladen, mit gepflegten Fassaden
und einer Werbung, die – ohne »marktschreierisch« zu wirken – Aufmerksamkeit weckt.
Schöne Schaufenster und Verkaufsräume – auch in der Region Frankfurt / Rhein-Main
Dabei kommt vor allem dem Schaufenster als der Visitenkarte eines Geschäftes große Bedeutung zu. Eine ge­
lungene Schaufenstergestaltung mit geschickt platzierten Waren und pfiffiger Dekoration belebt nicht nur das
jeweilige Geschäft, indem es Kunden neugierig macht. Schöne Schaufenster wirken sich auch positiv auf das ge­
samte Erscheinungsbild der Innenstadt aus, sie laden zum Bummeln und Schauen ein, sie sind Kommunikations­
plattform und Bühne, die den Besuchern bestimmte Erlebniswelten vermitteln. In die gleiche Richtung zielen
Ladenkonzepte, bei denen es längst nicht nur um eine adäquate Anordnung der Waren, sondern immer auch
um die emotionale Ansprache der Kunden geht. Auch ein einzelnes Geschäft kann sich in seiner Waren­präsen­
tation durch einen überraschenden Einfall, eine besondere Note, durch eine ganz eigene Atmosphäre von dem,
was sonst »üblich« ist, absetzen und so die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich ziehen. Dies gilt erst recht
für den Einzelhandel in der Innenstadt als Ganzes.
Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass besonders gelungene Ladenkonzepte ausge­
zeichnet werden und in einigen Städten der Region regelmäßige Schaufensterwettbewerbe stattfinden, bei de­
nen zum Beispiel das überraschendste, farbschönste oder Kinder ansprechendste Fenster gekürt wird – für viele
Menschen ein guter Grund, einmal wieder ihre Innenstadt zu besuchen.
Planungsverband
29
Innenstadt – wo Arbeiten Spaß macht
Die Innenstadt ist nicht nur ein Handels- und Marktplatz, ein Standort der Nahversorgung oder ein Ort, wo wir
uns gerne aufhalten, an Schaufenstern vorbei bummeln, einen Kaffee trinken und unsere freie Zeit verbringen.
Die Innenstadt ist auch ein wichtiger Arbeitsplatz für die Beschäftigten im Einzelhandel. Hier arbeiten aber nicht
nur Bäcker und Metzger oder die Verkäufer in den verschiedenen Fachgeschäften. Auch die Arbeitsplätze von
den Beschäftigten in der Gastronomie und der Hotellerie, in den Verwaltungen, Schulen, Krankenhäusern, Ban­
ken und Versicherungen oder von Mitarbeitern in kulturellen und Freizeiteinrichtungen wie Bi­bliotheken und
Museen liegen häufig in der Innenstadt. Hinzu kommen die Beschäftigten in den freien Berufen – etwa Ärzte
oder Rechtsanwälte –, die ebenfalls innerstädtische Standorte bevorzugen.
Würstchenverkäufer in Frankfurt am Main
Bürotürme in Frankfurt am Main
Ärztezentrum in der Innenstadt von Bad Nauheim
Einzelhändlerin in Bad Homburg v. d. Höhe
Viele dieser Arbeitsplätze werden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, weil sie sich – wie Büroarbeits­
plätze – der Aufmerksamkeit des Publikums entziehen beziehungsweise für sich genommen kaum auffallen
(beispielsweise in Arztpraxen oder Anwaltsbüros). Andere Arbeitsplätze in der Gastronomie oder sonstigen ein­
zelhandelsnahen Dienstleistungsbetrieben (etwa in Friseursalons, Kosmetikstudios, Reinigungen, Schuh- / Schlüs­
seldiensten) treten schon deshalb stärker in Erscheinung, weil sie das Leben einer Innenstadt unmittelbar prägen
und mitgestalten.
Die Gesamtzahl der Beschäftigten in einer Innenstadt lässt sich nur schwer ermitteln, allerdings sind allein im
Einzelhandel im Gebiet des Planungsverbandes mehr als 60.000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäf­
tigt. Darüber hinaus arbeiten im Einzelhandel nicht nur zahlreiche Auszubildende, sondern auch viele Aushilfen,
Beschäftigte in »Minijobs« oder Selbstständige, die von dieser Statistik gar nicht erfasst werden.
30 Planungsverband
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Gebiet des Planungsverbandes 2005
Mitte 2005 arbeiteten im Gebiet des
Planungsverbandes 955.781 sozial­
versicherungspflichtig Beschäftigte.
Zusammen mit den Beamten, Selbst­
ständigen sowie den geringfügig Be­
schäftigten wird in der Summe ein Wert
von weit über eine Million Erwerbs­
tätige erreicht. Ein großer Teil dieser
Arbeitsplätze – insbesondere aus den
Branchen Handel, Gastronomie und
sonstige Dienstleistungen – liegt in
den Innenstädten.
200.000
175.000
150.000
125.000
100.000
75.000
50.000
25.000
0
Handel
Gastgewerbe
Öffentl. Verw.,
Dienstleistungen
Quelle: Hess. Stat. Landesamt, Berechnungen des Planungsverbandes
Im Gebiet des Planungsverbandes ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Einzelhandel
zwischen 1999 und 2005 um rund vier Prozent beziehungsweise etwa 2.800 Beschäftigte auf inzwischen 62.555
gesunken. Dieser Rückgang fällt nicht nur deutlich geringer aus als im Bundesdurchschnitt, er konnte auch – zu­
mindest teilweise – durch neue Arbeitsplätze in anderen Branchen kompensiert werden. Allein in Frank­furt am
Main waren im Jahr 2005 rund 24.000 Menschen im Einzelhandel beschäftigt. Es ist davon auszugehen, dass
eine große Zahl dieser Beschäftigten ihren Arbeitsplatz in einer Innenstadt, einem Stadtteil- oder Ortszentrum
hat, da sich gerade hier der service- und beratungsintensive Facheinzelhandel konzentriert. In den periphe­ren
Einkaufslagen sind in der Regel auf deutlich größeren Flächen sehr viel weniger Mitarbeiter tätig.
Beratungsgespräch in einem Fachgeschäft
Markt in Aschaffenburg
Dabei profitieren unsere Innenstädte nicht nur von der Arbeit der Einzelhandelsbeschäftigten. Die Beschäftigten
dort sind auch potenzielle Kunden und Innenstadtbesucher und tragen so ihren Teil zur Belebung der Innen­
städte bei.
Planungsverband
31
Innenstadt – Investitionen, die sich lohnen
Innenstädte sind das Ziel von Investitionen. Mit Investitionen wird der Erhalt der verschiedenen innerstädtischen
Funktionen gesichert, die Verschönerung von Gebäuden und Einrichtungen betrieben, der Fortbestand von
Wohnraum, das Angebot an Arbeitsplätzen im Handel und anderen Wirtschaftsbereichen, die Gestaltung von
Verkehrsflächen, die Aufwertung von Freiräumen und anderes mehr. Innenstadtentwicklung ist Wirtschafts- und
Arbeitsplatzförderung im engsten Sinne. Einer groben Schätzung zufolge wurden in den vergangenen zehn
Jahren in Hessen im Durchschnitt 100 Millionen Euro in die städtebauliche Entwicklung investiert. Ein großer
Teil dieses Geldes wurde dabei für die städtebauliche Gestaltung und Sanierung öffentlicher Plätze verwendet.
Solche öffentlichen Investitionen stehen aber nicht für sich allein. Sie werden entweder von privaten Investitionen
begleitet beziehungsweise ausgelöst. So erfolgt beispielsweise die Modernisierung eines Bahnhofs in Verbindung
mit der Neugestaltung des Bahnhofsplatzes oder der Bau eines neuen Einkaufszentrums führt zur Sanierung des
umgeben­den öffentlichen Raumes.
Neubebauung Berliner Platz in Kronberg im Taunus
Noch weitaus häufiger folgt jedoch den öffentlichen Investitionen das private Engagement, so dass sich die öf­
fentlich investierte Summe nach der Formel »Ein öffentlich investierter Euro generiert sieben private!« bis zum
Siebenfachen erhöhen kann. Bei 100 Millionen Euro jährlicher öffentlicher Investition in Hessen ergäbe sich da­
mit ein Gesamtinvestitionsvolumen von 700 Millionen Euro pro Jahr. Ein Beispiel für ein umfangreiches Investiti­
onsprogramm ist der Frankfurter Stadtteil Höchst, für den im August 2006 eine städtbauliche Rahmenplanung
mit Vorschlägen zur zukünftigen Entwicklung vorgestellt wurde. Ziel ist es, das »gewachsene Stadtgefüge mit
seiner urbanen Qualität und dem vielfältigen Nutzungsspektrum – einschließlich der überwiegenden Wohnnut­
zung – zu erhalten und zu entwickeln«. Zur Umsetzung der städtebaulichen Entwicklungsziele sollen Investi­
tionen in einer Größenordnung von rund 20 Millionen Euro getätigt werden. Diese Mittel dienen nicht nur der
Aufwertung des öffentlichen Raumes und einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit; sie richten sich auch als
Förderangebot an die Hauseigentümer zur Modernisierung ihrer Wohnungen und Liegenschaften. Darüber
hinaus werden beispielsweise durch Projekte wie BID / INGE (vergleiche Seite 9 – 11) Maßnahmen zur Förderung
innerstädtischer Quartiere von privaten Geschäftsleuten, Hauseigentümern und so weiter finanziert. Die Kom­
munen und andere öffentliche Einrichtungen unterstützen solche Vorhaben weniger durch Geld denn durch die
Bereitstellung von Mit­arbeitern und ihrem Know-how.
Es fließen also nicht nur direkte finanzielle Mittel. Auch die Europäische Union will die Innenstädte stärken, bei­
spielsweise mit dem Projekt »Vital Cities«, welches bis Ende 2006 entsprechende Maßnahmen finanziert. Hierzu
gehören etwa Untersuchungen zum Einkaufs- und Kundenverhalten, die Darstellung und Erläuterung der recht­
lichen Rahmenbedingungen für die Ansiedlung innerstädtischer Einzelhandelsvorhaben, die Organisation von
Einzelhandelsforen oder der allgemeine Erfahrungsaustausch anhand konkreter Fallstudien in verschiedenen
Ländern.
32 Planungsverband
Förderprogramme
Landesmittel
Wohnungsbauförderung, Modernisierungs- und
Instandsetzungsförderung, Förderung der Stadtent­
wicklung / -erneuerung, Förderung der Wohnum­
feldverbesserung, Denkmalschutzförderung
Mittel aus Bund-/Länderprogrammen
Städtebauförderung, Städtebaulicher Denkmal­
schutz, Stadtumbau West
Bundesmittel
Wohnungsbauförderung, Mittel der Kreditanstalt für
Wiederaufbau
EU-Mittel
Projekt »Vital Cities« (Interreg IIIB CADSES), Struktur­
fonds Jeremie zur Förderung der Wachstums­kerne
und Städte, Förderprogramm der Europäischen In­
vestitionsbank 2004 für Stadterneuerungs­aufgaben
»Stadtumbau West« und »Soziale Stadt«
Das Förderprogramm »Stadtumbau West« soll
unter anderem dazu beitragen, die Innenstädte
zu stärken und nicht mehr bedarfsgerechte Bau­
ten neu zu nutzen oder abzureißen. Dabei kön­
nen die Fördermittel auch für den innenstadt- /
stadtteilbedingten Mehr­aufwand beim Bau sowie
der Herrichtung von Gebäuden und ihres Um­
feldes für Handel, Dienstleistungen, innenstadtoder stadtteilverträgliches Gewerbe eingesetzt
werden.
Beim Programm »Soziale Stadt« stehen weniger
bauliche Aspekte, denn die Frage nach der Funk­
tionsfähigkeit unserer Städte im Vordergrund. Zu
den Förderschwerpunkten hier gehören Maßnah­
men für eine sichere Stadt, Öffentlichen Personen­
nah­ver­kehr, Stadtteilkultur und Freizeit. Im Jahr
2006 flossen allein innerhalb dieser beiden Pro­
gramme rund 4,2 Millionen Euro (Stad­t­umbau
West) und 8,1 Millionen Euro (Soziale St­adt) För­
dergelder des Bundes nach Hessen.
Dem Verbleib dieses Geldes wird inzwischen erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet; eine kontraproduktive Verwen­
dung soll als Verschwendung sanktioniert werden. Diese Strategie wird auch seitens des Hessischen Ministeriums
für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vertreten. So sollen bei der Städtebauförderung, den Program­
men »Einfache Stadterneuerung«, »Soziale Stadt« oder »Stadtumbau West« Mittel nicht mehr bereitgestellt
oder gar zurückgefordert werden, falls die Kommunen durch die Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel
in Außenbereichen ihre Innenstadtentwicklung ad absurdum führen.
Baustellen in der Innenstadt
Planungsverband
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34 Planungsverband
Ansprechpartnerinnen/Ansprechpartner
Dr. Claudia Junkersfeld, Doris Krüger-Röth, Peter Kreisl
Planungsverband Ballungsraum Frankfurt / Rhein-Main
Telefon: +49 69 2577-1626 / 1620 / 1530
E-Mail: [email protected]
[email protected]
[email protected]
Frank Achenbach
Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern
Telefon: +49 69 8207247
E-Mail: [email protected]
Karin Brandtönnies
Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung
Telefon: +49 611 815-2963
E-Mail: [email protected]
Links
www.bmvbs.de
www.cadses.net
www.giessen-entdecken.de
www.stadtlichtkunst.de
www.troja2000.com
www.united-buddy-bears.com
www.usingen.de
www.zwischenstadt.net
Bildnachweis
Mit freundlicher Genehmigung der Bad Nauheim Stadtmarketing und Tourismus GmbH (Blumenmarkt S. 20,
Innen­hof des Badehauses 3, Plakat zur Jugendstilausstellung 2006, Badehaus 3, Sprudelhof S. 23, Bad Nau­
heimer Kerb S. 24, Beratungsgespräch in einem Fachgeschäft S. 31), der Stadt Usingen (Beleuchtetes Haus,
Zusammengewürfelter Haufen S. 21) und der Stadt Mainz (Meenzer Schwellköpp S. 24); Bildarchiv des
Planungsverbandes
Quellen
Dr. Donato Acocella Stadt- und Regionalentwicklung (2006): Gutachten zum Regionalen Einzelhandelskonzept
für den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt / Rhein-Main. Lörrach.
Göschel, Albrecht (2004): Was macht das Zentrum aus? Vortrag im Rahmen der Fachtagung »Handeln beim
Handel?« am 15. Juni 2004 in Frankfurt am Main. (Unveröffentlichtes Manuskript).
infas Institut für Sozialwissenschaft GmbH (2004): Mobilität in Deutschland (MiD) 2002. Ergebnisbericht.
Sechs Regionen im Vergleich. Bonn.
Magistrat der Stadt Frankfurt am Main. Stadtplanungsamt (Herausgeber) (2006): Städtebauliche Rahmenplanung
Revitalisierung der Innenstadt Höchst 2006. Frankfurt am Main.
Planungsverband
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Herausgeber
Planungsverband Ballungsraum
Frankfurt / Rhein-Main
Der Verbandsvorstand
Poststraße 16
60329 Frankfurt am Main
Telefon: +49 69 2577 0
Telefax: +49 69 2577 1204
E-Mail: [email protected]
www.planungsverband.de
Stand: April 2007
Layout
Sabine Müller, Planungsverband
Druck
Frotscher Druck GmbH, Darmstadt
© 2007 Planungsverband Ballungsraum Frankfurt /Rhein-Main

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