1. Das Spiel `Die Werwölfe von Düsterwald`

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1. Das Spiel `Die Werwölfe von Düsterwald`
Die Werwölfe von Düsterwald – Rhetorische Analyse des Spielgeschehens
Einleitung
„Egal ob Sie lügen, bluffen oder nur die Wahrheit sagen: Bleiben Sie glaubwürdig.“, dieser Satz
findet sich zu Recht in der Anleitung zum Spiel 'Die Werwölfe von Düsterwald'1 (Tafel 16 der
Spielanleitung). Und das Erreichen von Glaubwürdigkeit ist ja auch das Ziel angewandter Rhetorik. Aus dieser Überlegung heraus entstand der Gedanke diese Arbeit zu schreiben.
Objekt der folgenden Analyse sind drei Spieldurchgänge von Werwölfe. Zu diesen wurde ein Audiomitschnitt angefertigt, welcher später transkribiert wurde. Daneben wurde auch noch ein Spielprotokoll geführt, nach dem jeweiligen Spiel ein schriftliches Kurzinterview mit den Spielern2 gemacht und einige wenige persönliche Angaben der Spieler erfragt.3 Mit Hilfe dieser Daten lassen
sich die Spielabläufe weitestgehend rekonstruieren.
Die Arbeit selber wird, nachdem das Spiel und die rhetorische Komponente darin kurz dargestellt
und einige notwendige Einschränkungen gemacht worden sind, an diesem Punkt einsetzen. Wie
im Zitat eingangs festgehalten geht es um das Erreichen von Glaubwürdigkeit. Im Rekonstrukt des
Spieles sollen nun verschiedene Versuche dazu analysiert werden. Welche Argumente wurden
gebracht? Welche Argumente haben funktioniert? Und wieso haben diese Argumente
funktioniert? Die Spielsituation bietet hierzu ein relativ überschaubares und geschlossenes System, in welchem sich die Antworten auf diese Fragen klarer festmachen lassen. Exemplarisch
werden hierfür drei Spielrunden der Reihe nach auf die rhetorisch relevanten Punkte hin untersucht.
Spiele im allgemeinen Sinne sind Untersuchungsgegenstand verschiedener Disziplinen und
dementsprechend existieren dazu bereits diverse Forschungsarbeiten. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird aber nicht der Versuch unternommen, die erworbenen Erkenntnisse in Bezug zu anderen Arbeiten zu setzen. Auch erscheint es nicht notwendig, sich für die anstehende
Analyse explizit auf rhetorische Sekundärliteratur zu berufen, da für die Analyse lediglich die allgemein bekannten Termini der Rhetorik benützt werden4. Insofern wird also die Ebene der Detailanalyse nicht überschritten.
1 Der Einfachheit halber wird das Spiel im weiteren Verlauf nur noch 'Werwölfe' genannt werden
2 An dem Spiel nahmen 4 Spieler und 4 Spielerinnen teil. Im allgemeinen Fall ist von 'Spielern' die Rede, doch sind
hierbei die Spielerinnen selbstverständlich mit eingeschlossen
3 Vgl. hierzu die jeweiligen Abschnitte I-VI im Anhang
4 Einen guten Überblick über diese Termini und wie sie in dieser Arbeit verstanden werden bietet: Göttert, KarlHeinz, Einführung in die Rhetorik: Grundbegriffe – Geschichte – Rezeption, München 1991
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Die Werwölfe von Düsterwald – Rhetorische Analyse des Spielgeschehens
1. Das Spiel 'Die Werwölfe von Düsterwald'
1.1. Spielablauf und Rollen
Bevor man in die Analyse einzelner Spielsituationen einsteigen kann, ist es notwendig sich den
Spielablauf zu vergegenwärtigen. Werwölfe ist ein einfaches Spiel, welches ohne komplexes
Regelwerk und aufwändiges Spielzubehör auskommt. Das Spiel ist für 8-18 Spieler ausgelegt, die
nach Angaben der Macher mindestens 10 Jahre alt sein sollen. Die Testspiele fanden mit 8
Spielern, also einer kleinen Gruppe, deren Durchschnittsalter über 26 liegt, statt. Im Spiel übernimmt jemand die Rolle des Spielleiters, den anderen werden zufällig Rollen (jeweils durch eine
Spielkarte symbolisiert) zugewiesen.
Grundsätzlich wird im Spiel zwischen Werwölfen und Menschen unterschieden. Die WerwolfSpieler bringen in der Nacht jemanden um; am Tag hat die gesamte Spielrunde (also Werwölfe
und Menschen) die Möglichkeit jemanden durch Mehrheitsentscheid zum Tod auf dem Scheiterhaufen zu verurteilen. Das Spiel endet mit dem Tod aller Menschen oder Werwölfe; gewonnen
hat also derjenige, der am Ende noch lebt.
Der Sieg der Werwölfe ist aber aus zwei Gründen nicht von vornherein gesetzt. Zum einen stellt
der Spielleiter aus allen möglichen Rollen ein Set zusammen, mit welchem gespielt wird. Dadurch
bestimmt er auch das Verhältnis von Menschen und Werwölfen (Auf 7 Spieler werden somit zwischen 1 und 3 Werwölfe vorkommen). Zum anderen befinden sich in den Reihen der Menschen
verschiedene Spezialisten, die den Werwölfen das Leben schwer machen können. Alle diese Spezialisten handeln, wie auch die Werwölfe, nachts und erscheinen tagsüber als normale Menschen.
Der Spielleiter koordiniert den Einsatz aller Spieler in der Nacht durch Kommandos (das heisst,
nur der jeweils Betroffene agiert, die andern bekommen davon nichts mit).
Dabei folgt der
Spielleiter einem fixen Muster:
Als erster erwacht der Amor. Er hat die Kraft zwei Spieler zu unsterblich Verliebten zu machen.
Nachdem er seine Pfeile verschossen hat, wird er zu einem Normalen Dorfbewohner (und agiert
somit nicht mehr nachts). Die Verliebtheit seiner beiden 'Opfer' ist wortwörtlich unsterblich:
Verstirbt einer der Beiden, so nimmt sich der andere das Leben. Für das Spiel hat das die Auswirkung, dass sie sich gegenseitig schützen werden, wo sie können. Sollte der Fall eintreten, dass
ein Mensch und ein Werwolf in einander verliebt sind, können sie nur gewinnen, indem sie alle
Mitspieler (Menschen und Werwölfe) ausschalten.
Nach dem Amor ist die Seherin an der Reihe. Sie kann in jeder Nacht die wahre Identität eines
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Die Werwölfe von Düsterwald – Rhetorische Analyse des Spielgeschehens
Mitspielers in Erfahrung bringen. Nach ihr erwachen die Werwölfe, die wie bereits erwähnt, einen
Menschen töten. Zusammen mit ihnen hat das kleine Mädchen die Möglichkeit zu spionieren. Sie
darf versuchen zu erkennen, wer ein Werwolf ist. Wenn sie das aber zu offensichtlich tut, so wird
sie wahrscheinlich selber das Opfer der Werwölfe. Als letztes erwacht die Hexe, die über zwei
Tränke verfügt. Sie hat einen Heiltrank, mit welchem sie ein Opfer der Werwölfe vor dem Tod bewahren kann. Auch hat sie einen Gifttrank, den sie auf eine Person, welche sie im Verdacht hat,
anwenden kann um diese zu töten.
Schliesslich gibt es noch eine letzte Rolle: Den Jäger. Der Jäger kann, wenn er stirbt (durch
Werwölfe oder den Scheiterhaufen), jemanden erschiessen und mit in den Tod nehmen. Neben all
diesen Rollen gibt es noch eine Funktion, die einem Spieler zugeteilt wird, den Hauptmann. Da
die Entscheide tagsüber aufgrund von Mehrheitsverhältnissen gefällt werden, kann es zu Stimmgleichheit kommen. In diesem Fall hat er den Stichentscheid. (Sind nur noch zwei Spieler im Spiel,
entfällt dieser Bonus, da dann der Werwolf automatisch gewinnt.)
Wie bereits angedeutet, führt der Spielleiter durch die Nacht. Er gibt dann auch das Kommando
zum Aufwachen am nächsten Tag und von da an sprechen die Spieler. Durch die Diskussion wird
jemand bestimmt, der auf den Scheiterhaufen muss. Dabei spielen natürlich die verschiedenen Interessen und Wissensstände eine Rolle. Der Spielleiter kann in diesen Prozess mehr oder weniger
stark eingreifen. Im Normalfall kommt es aber zu einer Abstimmung der Spieler und einem Tod
auf dem Scheiterhaufen ehe sich wieder die Nacht über das Dorf legt.
1.2. Die Rhetorik im Spiel
Im Spiel gibt es gewisse strategische Gegebenheiten und auch der Zufall übt einen Einfluss aus,
doch wird in Diskussionen, also im Gebrauch von Rhetorik, das Spiel entschieden. In erster Linie
probiert sich dabei jeder so darzustellen, dass er nicht durch die Gruppe zum Tod verurteilt wird.
Die Menschen haben aber zusätzlich die Aufgabe, in diesen Verhandlungen die Werwölfe zu
eliminieren. Jeder Spieler startet hierbei mit einer anderen Vorgabe.
Die Werwölfe wollen einfach nicht getötet werden. Sie haben den Vorteil, dass sie genau wissen
wer ein Werwolf ist, und können sich gegenseitig schützen. Natürlich weckt eine zu offensichtliche
Zusammenarbeit den Verdacht der Mitspieler. Auf Seite der Menschen gibt es das kleine Mädchen
und die Seherin, die theoretisch einige Werwölfe haben identifizieren können. Sie haben nun die
Aufgabe ihr Wissen in die Diskussion einfliessen zu lassen, ohne sich dabei selbst zu stark zu exponieren (da sie sonst von den Werwölfen in der kommenden Nacht mit ziemlicher Sicherheit umgebracht würden). Und selbst die Hexe und der Amor haben gewisse Erkenntnisse, die weiterhel3
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fen können. Und letztlich können auch nächtliche Geräusche vom Spieler nebenan, ein Hinweis
sein.
Vom Regelwerk her ist alles erlaubt. Einzig die Toten dürfen nicht mehr mit diskutieren und kein
Spieler darf, durch aufdecken seiner Spielkarte, seine Identität belegen. Es macht jetzt wenig Sinn
an dieser Stelle verschiedene Taktiken oder Finten aufzuzeigen, da es diverse gibt. Am Ende geht
es darum seinem Ziel, zu überleben und die Gegenseite zu dezimieren, näher zu kommen. Der
Schlüssel dazu liegt in der Glaubwürdigkeit und das soll in den kommenden Kapiteln untersucht
werden.
2. Einschränkungen und Problemstellungen
2.1. Analyse von Einzelfällen
In dieser Arbeit werden 3 Spieldurchgänge untersucht. Es versteht sich von selbst, dass aus einer
so geringen Anzahl keine allgemeingültigen Erkenntnisse gewonnen werden können. Das soll
aber nicht das Ziel dieser Arbeit sein. Im Folgenden sollen die einzelnen Spieldurchgänge als in
sich geschlossene Problemstellungen, welche die Spieler zu bewältigen haben, verstanden
werden. Die Analyse und demnach auch die daraus gewonnenen Erkenntnisse haben also nur jeweils auf diese eine Situation Gültigkeit.
Aus einer adäquaten Sammlung von Detailanalysen liessen sich wahrscheinlich allgemeingültige
Tendenzen ableiten, doch haben auch die Einzelbelege exemplarischen Wert. Durch die Erkenntnis, wie etwas in einer speziellen Situation gewirkt hat, wieso eine Argumentationsweise an einer
anderen Stelle nicht gegriffen hat, lassen sich auch ganz direkt, ohne die Verallgemeinerung,
Schlüsse ziehen.
2.2. Analyse auf Rhetorik
Wie in der Einleitung angesprochen, sind Spiele Untersuchungsgegenstand verschiedener
wissenschaftlicher Disziplinen. Diese Arbeit hier beschäftigt sich mit Rhetorik und auf dieses Ziel
hin ist auch die Testspielsituation angelegt. Schlussendlich wird hier nur noch mit einem Text, dem
Transkript, gearbeitet. Dadurch fallen Körpersprache, Mimik u.a. aus dem Untersuchungsbereich.
Und selbst diese Textform liesse sich noch auf anderes Untersuchen, als auf ihre rhetorische
Wirkungsweise.
Sicherlich muss man sich die Frage stellen, in wie weit diese Abstraktion, diese Einengung des
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Gegenstands noch Sinn macht. Für diese Arbeit hier wurde entschieden, dass dieser textbezogene Blick aussagekräftige Erkenntnisse bezüglich des rhetorischen Gehalts zulässt.
2.3. Testsituation / Mängel der Transkription
Das Spiel fand an einem runden Tisch statt, an welchem die 7 Spieler sassen, der Spielleiter bewegte sich um den Tisch herum. Der Versuchsleiter hat ein Einfürungsspiel geleitet, hielt sich aber
während der Testspiele im Hintergrund und führt von da aus die Spielprotokolle. Auf dem Tisch
standen Nummernkarten und ein Laptop mit einem Stereomikrophon. Vor dem Spiel haben alle
Spieler die Kurzprofile ausgefüllt und nach dem Spiel jeweils ein kurzes Frageblatt. All diese
Massnahmen haben den Testspieler sicherlich stetes vor Augen gehalten, dass sie sich in einer
Untersuchungssituation befinden. Nach abschliessender Sichtung des Materials kann der
störende Effekt davon aber als unerheblich eingestuft werden. Es scheint, dass sich die Spieler in
den relevanten Momenten davon haben lösen können.
Die Transkripte stellen das Tischgespräch von 8 Personen in seinem zeitlichen Verlauf dar. Beim
transkribieren waren dabei verschiedene Probleme zu lösen. Da es dem Sinn keinen Gesprächsleiter gegeben hat, trat oft der Fall ein, dass mehrere Personen gleichzeitig gesprochen haben.
Damit wurde verschieden umgegangen. Hatte eine Person klar das Wort und eine andere hat dazwischen gesprochen, so wurde die Grundaussage zweigeteilt und mittels '...' verbunden
(Transk.1 04:53 ff.). Der Zwischenruf steht dabei auch in der Darstellung dazwischen. Haben zwei
Personen wirklich parallel gesprochen, ohne direkt auch sich gegenseitig Bezug zu nehmen, so
stehen die Aussagen mit entsprechenden Zeitangaben im Skript (Transk.1, 09:50 ff.). Die Reihenfolge ist dabei im aufgrund der vorhergehenden / der nachfolgenden Aussagen festgelegt worden.
Es ist auch der Fall eingetreten, dass mehrere Personen zum Sprechen angesetzt haben, aber
nicht alle ihre Aussage abgeschlossen haben. Wenn eine solche fragmentarische Aussage auf die
Diskussion keinen Einfluss hatte, ist sie in der Transkription weggelassen worden.
Da alles über ein zentrales Mikrophon aufgezeichnet worden ist, waren gewisse Aussagen leider
nicht mehr nachvollziehbar. In solchen Fällen findet sich im Transkript ein kursiver Vermerk
(Transk.1, 06:27). In der gleichen Art vermerkt sind an gewissen Stellen nonverbale Äusserungen,
auch wenn das nicht konsequent der Fall ist. Der Vermerkt wurde jeweils dann gesetzt, wenn es
für das Verständnis der Situation hilfreich erschien (Transk.1, 04:44). In der gleichen Weise
verhält es sich mit den Angaben der Spielleiterkommandos (Transk.1, 01:30). Schliesslich haben
sich die Spieler untereinander mit Namen, Nicknames, Nummern und Pronomen angesprochen.
In praktisch allen Fällen ist es gelungen im Transkript einen Vermerk mit der Spielernummer zu
setzen (Transk.1, 01:29). Dadurch soll gewährleistet werden, dass ein Leser stets die Möglichkeit
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hat eine Aussage korrekt einzuordnen.
Am Tisch wurde Standartdeutsch gesprochen, doch stammt ein Teil der Spieler aus Bonn, während die anderen Schweizer sind. Dialektale Einfärbungen und grammatikalische Unsauberkeiten
wurden bei der Umsetzung in Schrift weitestgehend belassen. Es sei hier noch angemerkt, dass in
der Linguistik verschiedene, mehr oder weniger, komplexe Transkriptionssysteme existieren (CA,
HIAT, GAT oder DIDA), diese jedoch aus verschiedenen Gründen nicht angewandt wurden. Zum
einen war eine detailliertere Transkription aufgrund der technischen Möglichkeiten (nur ein Mikrophon, keine Videoaufzeichnung) nicht umsetzbar, zum andere erscheint eine solche für die
angestrebte Untersuchung auch nicht nötig, da auf Intonation udg. nicht eingegangen wird.
Durch all diese Massnahmen wurde versucht möglichst viel Objektivität zu erreichen. Es bleibt
aber festzuhalten, dass, wenn der Forscher und der Transkriptor die selbe Person sind, diese
Objektivität nicht vollends erreicht wird.
2.4. Spielerprofile
Vor dem Spiel haben die Testpersonen ein kurzes Profil ausgefüllt. Die dabei erhobenen Daten
sollen in der Arbeit keine grosse Rolle einnehmen, doch seien hier noch einige Anmerkungen
erlaubt.
Das Durchschnittsalter der Gruppe liegt über 26 Jahren. Was Beruf und Bildung betrifft, so lässt
sich festhalten, dass die Mehrheit Abitur/Matura gemacht hat. Nur eine Person hat sich aber
schon vorher mit Rhetorik/Sprechausbildung beschäftigt. Die meisten würden ihre argumentatorischen Fähigkeiten auf einer Skala von 1-5 als 3 einschätzen. Nur jemand würde sie als unterdurchschnittlich, 2, zwei Personen als überdurchschnittlich, 4 und 5, angeben.
Es ist davon auszugehen, dass eine Gruppe von unter 18-jährigen oder eine Gruppe mit weniger
Schulbildung dieses Spiel anders gespielt hätte.
2.5. Die Rolle des Spielleiters
Dem Spielleiter kommt im Spiel eine entscheidende Rolle zu. Es liegt an ihm die Diskussion anzufachen, wenn sie nicht in Gang kommen will, und zur Abstimmung aufzurufen, wenn er es für
angebracht hält. Für diese Untersuchung wurden dem Spielleiter diesbezüglich keine Vorgaben
gemacht, er wurde lediglich anschliessend ans Spiel befragt, wie er seine Einflussnahme selber
einschätzen würde.
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Die Antworten auf diese Frage sowie das effektive Wirken des Spielleiters sollen aber Gegenstand
der Untersuchung selber sein. Der Versuchsleiter und der Spielleiter sind ganz klar absichtlich
nicht die selbe Person.
3. Analyse des ersten Spiels
3.1. Spielablauf
In diesem Spiel ist gleich in der ersten Nacht vieles geschehen. Die Werwölfe haben den Jäger (5)
umgebracht, der hat die Hexe (6) umgebracht und deren Geliebte (2) hat sich daraufhin das
Leben genommen. Somit sind am ersten Tag von den 7 Spielern nur noch 4 am leben. 7 ist ein
normaler Bürger und 1, der ja als Amor seine beiden Verliebten nicht mehr im Spiel hat, weiss
auch nichts Besonderes. Es bleiben also noch 4, der der letzte verbleibende Werwolf ist und 3,
der die Seherin ist.
Letzterer hat, um das Unglück für die Werwölfe komplett zu machen, in der Nacht ausgerechnet
die Identität von 4 erfahren. Somit hat sich tagsüber folgendes Problem gestellt: 3 muss seine
vermeintlichen Mitmenschen, 1 und 7 davon überzeugen, dass 4 ein Werwolf ist. Er kann sich
dabei aber nicht sicher sein, dass 4 der letzte Werwolf im Spiel ist. Dem Spieler 7, der der Hauptmann ist, kommt dabei eine spezielle Rolle zu, sofern nicht alle 3 anderen gegen ihn stimmen,
wird seine Stimme (durch das Stichentscheidsrecht) die entscheidende sein.
Das Spiel wurde dann auch in der Abstimmung des ersten Tages bereits entschieden, 1 und 3, die
Seherin, stimmten gegen 4, den Werwolf; 7, der Hauptmann, hat sich enthalten. Insofern scheint
es interessant zu sein, wie es der Seherin gelungen mit ihre Anklage zu réussieren und warum es
dem Werwolf nicht gelungen ist sich erfolgreich zu verteidigen.
3.2. Die Anklage der Seherin
Besieht man sich das Wahlprotokoll, so stellt man fest, dass die Seherin mit ihrer Anklage erfolgreich gewesen ist. Zwar hat nur 1 mit ihr zusammen gegen 4 gestimmt, doch hat sich 7 nicht
dagegen gestellt. Im Interview nach dem Spiel hat der Spielleiter, auf die Frage welcher Spieler
am geschicktesten agiert habe, sie genannt, mit der Begründung, dass sie die anderen 'sanft' gelenkt hätte.
Interessanterweise hat 3 im Verlauf des Spieles mehrere Male recht 'unsanfte' Anklagen erhoben,
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Die Werwölfe von Düsterwald – Rhetorische Analyse des Spielgeschehens
doch zielten die stets gegen 7 (Transk.1, 04:54, 05:07, 05:35 und 06:27); gegen 4 wurde direkt
kein Angriff gestartet. Dennoch hat 1 ohne zu zögern mit gegen 4 gestimmt. Durch die
Scheinangriffe auf 7 wurde zum einen 4 aus der Reserve gelockt und 7 selber die Möglichkeit
gegeben sich zu verteidigen.
Und weiter wurde damit noch eine ungünstige Situation umgangen: Es ist nicht zu einer direkten
Konfrontation mit 4 gekommen. In einer solchen stehen die Chancen für 3 nämlich nicht besonders gut. Sein Wort als Aggressor stünde gegen dasjenige von 4. Um hier einmal rhetorische
Termini zu bemühen: 3 hat auf der Ebene des Ethos erfolgreich agiert. Gerade als Ankläger ist es,
in einer Zweifelssituation, schwierig sympathisch, also unterstützenswert zu erscheinen.
Betrachtet man nun noch die anderen Ebenen, Pathos und Logos, so sieht man, dass in Richtung
des Pathos nichts Nennenswertes versucht wurde. Ein Ansatz zu einem Logos-Argument
(Transk.1, 06:24 ff.) wurde nicht weiter verfolgt. Das Konsequente hinwirken auf eine Abstimmung
(Transk.1, 07:25, 08:01 ff., 08:30, 08:36 und 08:46) ist wohl eher der Taktik, denn dem Bereich
des Logos zuzuordnen.
3.3. Die Verteidigung des Werwolfes
Im vorliegenden Fall ist nicht direkt von einem Dialog in der Art des Genus iudicale zu sprechen. 3
Äussert gar keine Anklage, wodurch 4 in seiner Verteidigung gezwungen ist, andere Wege zu
beschreiten. Doch damit geht auch eine gewisse Verunsicherung einher. 4 erlangt im Verlauf der
Diskussion weder Klarheit darüber, was sein Ziel ist (einen Menschen auf den Scheiterhaufen zu
schicken oder einfach nur zu überleben) noch wer seine Gegner sind. Da er von 3 nicht angegriffen wird, verteidigt er sich auch nicht gegen ihn, was ihm aber am Ende zum Verhängnis wird.
Als einziger Werwolf in der Runde empfiehlt sich eine passive Strategie, da man sich sonst unnötig exponiert. So ist die einzige Wortmeldung von 4 in den ersten zwei Minuten der Diskussion
auch eine absolut unverfängliche, humoristische (Transk.1, 05:26). Im Anschuss daran schliesst
er sich dann den Scheinangriffen von 3 an (Transk.1, 06:26, 06:44 und 06:51 ff.) (im Erfolgsfall
würde ihm das einen zusätzlichen Menschen vom Hals schaffen). Nachher aber wird 4 defensiver
und versucht, wie 7, eine Abstimmung zu verhindern (Transk.1, 07:45 ff., 08:31, 08:35 und 08:42)
(was ihm als Werwolf eine zusätzliche Nacht bringen würde). Er ist dabei aber so defensiv, das er
sich nicht auf die Seite von 7 stellt, sondern stets versucht Teil einer Mehrheit zu sein (Transk.1,
08:45).
Für sein Verhalten bringt er sogar das Argument, dass er sich ziere Flagge zu zeigen, da das
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nachher gegen ihn verwendet würde. Doch wird dieses Argument gleich mit Pathos, „Du willst
doch Leben?“, von 1 gekontert. Und 4 lässt es damit dann auch auf sich bewenden. (Transk.1,
08:08 ff.). Weiss man, dass 7 sich in der Abstimmung enthalten hat, so erscheint eine bessere
Taktik für 4 klar. Da sich 1 und 3 offen zu einer Abstimmung bekennen, hätte man mit 7 eine
Gegenpartei bilden müssen. Wenn es 1 und 3 dann immer noch auf ein Kräftemessen hätten ankommen lassen, so wäre man, durch den Stichentscheid von 7, auf der Gewinnerseite gewesen.
Das schwanken in den Zielen und die Unsicherheit die eigenen Gegner betreffend wurde von den
Mitspielern verschieden empfunden. Während 7 4 eine zurückhaltende Spielweise attestiert und
das als Vorteil sieht, erkennen 1 und 5 darin eine Schwäche.
3.4. Der verdächtige Hauptmann / Einfluss des Spielleiters
Bisher wurde immer von Scheinangriffen von 3 gegen 7 gesprochen, auf welche 1 und 4 dann aus
verschiedenen Gründen eingestiegen sind. Sieht man sich das Spielprotokoll und die Interviews
an, so erkennt man, dass sich 3 seiner Sache gar nicht so sicher ist. In der zweiten Nacht nutzt er
seine Sehergabe und sich abzusichern und im Interview gibt er an, dass er 7 im Verdacht gehabt
habe in Werwolf zu sein, nachdem er sich der Stimme enthalten habe. Das hat auch verbalen Niederschlag gefunden (Transk.1, 09:31 ff.). Nur auf das Spiel hat dieser späte Verdacht keinen
Einfluss mehr gehabt.
Auch 5 und 6 haben nach dem Spiel angegeben, dass sie 7 als den, im Lager der Menschen, verdächtigsten empfanden. Generell lässt sich sagen, dass sich 7 seiner Sache sehr gewiss war, was
seine Glaubwürdigkeit bei einigen Mitspielern in Mitleidenschaft gezogen hat. Nur waren sich 1
und 3 relativ sicher und somit bot sich 4 diese Option (7 auf den Scheiterhaufen zu schicken)
nicht.
Im Vorfeld der entscheidenden Abstimmung wurde ja rege darüber beraten, ob man überhaupt abstimmen sollte. Der Spielleiter gab an, dass er am zustandekommen dieser Abstimmung entscheidend beteiligt gewesen sein. Das lässt sich auch belegen (Transk.1,
07:13, 07:39 und
09:03). Der Spielleiter hat sich in dieser Situation durchaus den Spielregeln entsprechend verhalten, doch wäre auch eine andere Handlungsweise möglich gewesen. Vielleicht hätte 4 das Spiel
so sogar gewinnen können.
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4. Analyse des zweiten Spiels
4.1. Spielablauf
In der ersten Nacht haben sich die Werwölfe dazu entschlossen 6 umzubringen. Dummerweise
war dieser der Jäger und hat auf gut Glück 7 erschossen, der dann prompt einer der Werwölfe
war. Weil die Hexe sich dann noch entschlossen hat den Jäger wieder zu heilen, ergab sich am
ersten Morgen die ungewöhnliche Situation, dass als einziges ein Werwolf tot war. Spieler 4, die
Seherin, stellte das mit entsetzen fest und brachte sich danach aus Liebeskummer um.
Tagsüber wurde dann beraten, ob sich noch ein Werwolf im Dorf befände (2 war tatsächlich
einer), und man kam zu einem Urteil: Einstimmig wurde 3 zum Tode verurteilt, der leider die Hexe
war. In der kommenden Nacht hat sich 2 dann an 1, dem Amor, schadlos gehalten, so dass der
zweite Tag nur noch von drei Spielern in Angriff genommen wurde: 2, dem letzten Werwolf, 5,
dem kleinen Mädchen und 6, dem Jäger, der zugleich auch noch Hauptmann war. Das Mädchen
war sich unterdessen sicher, dass 2 der letzte Werwolf war und versuchte auf verschiedensten
Wegen der Hauptmann zu überzeugen. Dieses Vorhaben gelang schliesslich, nachdem das Mädchen minutenlang auf den Hauptmann eingeredet hat.
Es wird nun interessant sein zu untersuchen warum am ersten Tag alle geschlossen gegen 3 gestimmt haben (obwohl er ja unschuldig war) und wieso 5 am zweiten Tag so lange gebraucht hat
um 6 zu überzeugen.
4.2. Verbrennt die Hexe!
Bei der Abstimmung des ersten Tages haben ja alle vier Mitspieler gegen 3 gestimmt. Nur einer,
der Werwolf, kann Interesse daran gehabt haben die Hexe umzubringen. Die anderen drei haben
nicht aufgrund der taktischen Sachlage so gestimmt. Da stellt sich natürlich die Frage, wie 3 den
Unwillen seiner Mitspieler auf sich gezogen hat.
Theoretisch bestünde die Möglichkeit, dass 2, der Werwolf, die anderen gegen 3 aufgehetzt hat,
doch finden sich dafür keine Belege. Zunächst hat einmal das übliche Abtasten stattgefunden, aus
welchem sich 2 und 3 heraus gehalten haben. Als der Bürgermeister5, 6, Ziel solcher Angriffe
wurde, hat sich 3, der als Hexe ja 6, den Jäger, gerettet hat, für ihn eingesetzt (Transk.2, 05:29
ff.). Das war dann auch erfolgreich, und die allgemeine Aufmerksamkeit hat sich 2 zugewandt.
Diesen Angriffen hat sich 3 dann auch angeschlossen (Transk.2, 06:45 ff. und 07:05). Es kommt
5 Im Regelwerk ist an dieser Stelle von 'Hauptmann' die Rede, in der Spielrunde hat sich aber die Bezeichnung
'Bürgermeister' durchgesetzt.
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zu weiteren Beschuldigungen, bei denen 3 auch noch 5 belasten will (Transk.2, 07:23).
3 hat hierbei stets aus einer Position der gerechten Autorität heraus agiert, exemplarisch hierfür ist
die Aussage „Weil ich das will!“ (Transk.2, 07:13). Die Taktik, sich erst zurückzuhalten und danach
Leute ganz direkt zu attackieren, verbunden mit dieser leichten Note von Überheblichkeit, hat das
Misstrauen der Gruppe erweckt. Faktisch mögen die Aussagen durchaus korrekt gewesen sein (6
verteidigen), doch war die Argumentationsweise nicht den Mitspielern angepasst (Man kann hier
den Begriff des Aptums im Bezug auf das Publikum bemühen). 5 hat genau dieses auch im Abschlussinterview angeprangert.
Dass 3 hierbei die Reaktionen seiner Mitspieler falsch eingeschätzt hat, lässt sich an der Person
des Bürgermeisters festmachen. Zuerst hat 3 ihn, als Hexe, gerettet, danach in der Diskussion
verteidigt und dennoch hat dieser sich am Ende dem gemeinsamen Votum gegen die eigene Person angeschlossen (Transk.2, 08:11 ff. und 08:19 ff.).
Eine kleine Anmerkung zu den 'letzten Worten' von 3, dass er 6 gerettet habe, (Transk.2, 08:56)
muss noch gemacht werden. Nach dem Regelwerk ist es klar, dass tote Mitspieler nichts mehr
sagen dürfen. 3 hat das auch am Ende des Spieles eingesehen (Transk.2, 16:51) und im Interview
angegeben. Sehr leicht hätte dies auch im Rahmen des Regelwerkes zu einem 'Killerargument'
auf der Logosebene gemacht werden können. Hätte die Hexe noch zu Lebzeiten das selbe gesagt, hätte sie sich zwar exponiert, auf jeden Fall aber das uneingeschränkte Vertrauen des
Bürgermeisters gewonnen.
4.3. Bürgermeister, so glaub mir doch!
Die über fünf minütige Szene, in welcher das kleine Mädchen probiert, den Bürgermeister zu überzeugen, kann als Glücksfall für diese Untersuchung angesehen werden. Die Sachlage ist ganz
klar. Es gibt 3 Spieler, 2 weiss, dass die anderen beiden Menschen sind und er die Unterstützung
von einem der beiden braucht, 5 als kleines Mädchen, weiss, dass 2 der Werwolf und 6 keiner ist.
Letzterer hat keine Ahnung, ist aber der Dorfvorsteher (und als Jäger zudem noch bewaffnet). 2
und 5 probieren nun, ihn gegen den jeweils anderen aufzubringen.
2 hat im Interview geschrieben „Ich konnte dem Schlüsselmonolog nicht mehr wirklich argumentativ was entgegensetzen...“. Diese Auffassung bestätigt auch ein Blick auf die Verteilung der
Sprechzeiten (Transk.2, 10:15 bis 16:40). 5 Hat es schlussendlich ja geschafft 6 zu überzeugen,
doch stellt sich die Frage, wieso er so lange dafür gebraucht hat.
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Eigentlich hat 5 alles richtig gemacht. Er hat seinen Gegner, 2, kaum zu Wort kommen lassen und
seine Einwürfe stets abgekanzelt (Transk.2, 10:15 ff., 10:25 ff., 10:55 ff., 11:01 ff., 11:34 ff., 14:34
ff. und 15:39 ff). Wenn 1 im Interview gesagt hat, 5 habe die Wahrheit gesagt, so bringt das zum
Ausdruck, dass dem Rednerideal der Perspicuitas Genüge getan wurde. Auch wenn hier eine Debattensituation vorliegt, ist es 5 gelungen einiges an sprachlicher Wohlgeformtheit einzubringen.
Er moduliert seine Stimme und spricht Formelhaft, indem er mit Wiederholungen arbeitet
(„Bürgermeister, Bürgermeister“ oder die die stetige Wiederholung der Phrase „Ich hab's
gesehen“) (Transk.2, 10:15, 10:18, 10:25, 10:31, 10:52, 11:19, 11:34, 12:07, 15:39). Besonders
herauszuheben ist hier die Stelle „Ich hab's gesehen! Ich schwör's auf die Bibel! Ich schwör's auf die
Bibel! Ich hab's gesehen!“ (Transk.2, 12:07), in der es 5 sogar gelingt auf syntagmatischer Ebene
einen Chiasmus einzubauen.
Das seine Rede durchaus ihre Qualitäten hatte lässt sich auch an dem Umstand ersehen, dass 1
(unerlaubterweise) für ihn Partei genommen hat (Transk.2, 13:01, 13:09, 13:42 ff. und 13:56). In
den Interviews haben 1, 4 und 7 angegeben, dass sie die Argumentation als logisch empfunden
haben. Insofern lässt sich sagen, dass 5 das (unbeteiligte) Publikum auf seiner Seite hatte, was
auch die vielen 'Lacher' belegen (Transk.2, 11:19, 11:52, 12:12, 13:27, 13:35, 13:58, 15:06 und
16:15). Gerade diesem Fakt ist es wohl zuzuschreiben, dass 2 sich gar nicht mehr richtig
verteidigt und resigniert: „Dazu sag ich gar nichts mehr.“ (Transk.2, 13:25)
7 hat also die ganze Spielrunde, inklusive seines Gegners überzeugen können, nur die eine Person, auf die ankam, hat ihm nicht vertraut. Das ganze rhetorische Feuerwerk, welches 5 abgebrannt hat, zeigte hier lange keine Wirkung. Dafür lassen sich zwei Ursachen finden: Zum einen
war die Argumentation nicht auf 6 ausgerichtet. Formell hat sich 5 zwar an 6 gerichtet, doch war
sein eigentliches Publikum klar die ganze Spielrunde. So zum Beispiel geht er mit keinem Wort
darauf ein, dass 6 der Jäger ist, obwohl er das eigentlich hätte wissen müssen. Diese Spielsituation, mit nur drei Spielern, unterscheidet sich klar von der offenen Gruppendiskussion mit mehreren
Beteiligten. Diesem Umstand hat 5 nicht Rechnung getragen. Zum anderen sprachliche Dominanz
ihm zwar viel Aufmerksamkeit beschert, doch hat sie 6 auch unter Druck gesetzt. 5 hat unablässig
versucht ihn zu einer Entscheidung zu drängen, hat aber nie einen empathischen Zugang zu seinem Gegenüber gefunden.
4.4. Ein unauffälliger Werwolf
Vom Spieler 2 haben wir nach diesen beiden Teilanalysen ein recht ambivalentes Bild. Am ersten
Tag gelingt es ihm ziemlich unverdächtig zu erscheinen und seine Mitspieler von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen, am zweiten Tag scheint er keine Chance gegen die Anklage von 5 zu
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haben. Auch in der Interviews wurde das so festgehalten: Der Spielleiter hat den positiven
Eindruck des ersten Tages festgehalten, die Spieler 1, 4 und 7 den negativen des zweiten.
Soweit das aus dem Transkript zu ersehen ist, hat 2 seine Taktik nicht geändert. Da sich aber die
Umstände drastisch verändert haben, führte das einmal zum Erfolg und dann aber zum Misserfolg. Am ersten Tag, als unter anderen auch er Angegriffen wurde, hat er sich passiv verhalten
und ruhig alles, was an ihn herangetragen wurde, beantwortet (Transk.2, 05:44 ff.). Dadurch
haben die anderen das Interesse an ihm verloren. Auf der Ethosebene ist es ihm gelungen, den
anderen seine Harmlosigkeit glaubhaft zu machen.
Am zweiten Tag aber lief die Situation schnell darauf hinaus, dass entweder 2 oder 5 sterben
werden. Nun erwies sich die Taktik Harmlosigkeit vorzuschützen nicht mehr als adäquat. 2 erkennt zwar rasch worum es geht und reagiert auf die Anklagen von 5 (Transk.2, 10:15 ff., 10:31,
10:54, 10:59, 11:02, 11:34 ff. und 15:45), doch kommt er dabei nie über die Reaktion hinaus. Es
bleibt stets 5, der am Drücker ist. Die Entscheidungsschwierigkeiten, welche 6 offenbarte sind
nicht das Produkt der dezenten Spielweise von 2, was sich daran erkennen lässt, dass 6 stets davon ausgeht, dass er es zwei Werwölfen zu tun hat.
Im ersten Fall war die Redeweise der Situation angepasst, im zweiten aber nicht mehr. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre die offenkundige Verunsicherung von 6 gewesen. Vielleicht wäre es
möglich gewesen ihm den dominant auftretenden 5 suspekt zu machen und so zum Erfolg zu
kommen.
5. Analyse des dritten Spiels
5.1. Spielablauf
Da in den bisherigen Spielen die Werwölfe immer recht deutlich verloren haben, entschloss sich
der Spielleiter ihre Chance deutlich zu verbessern und hat einen dritten Werwolf ins Spiel gebracht. Zum Unglück für die Menschen wurde gleich in der ersten Nacht die Hexe umgebracht, so
dass sich am ersten Tag die verbliebenen drei Menschen den drei Werwölfen gegenüber sahen.
Da aber das Hauptmannsamt von 7, einem der Werwölfe gehalten wurde, war an dieser Stelle
eigentlich schon alles klar: Die Werwölfe brauchten sich bloss noch einig zu sein und ihnen wäre
der Sieg nicht mehr zu nehmen gewesen.
Zum Glück für diese Arbeit schien das keinem von ihnen bewusst zu sein und man hat das ausdiskutiert. Dem Wahlprotokoll ist zu entnehmen, dass die Entscheidung des ersten Tages, zwi13
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schen 5 und 7 sehr knapp war, der Stichentscheid des Hauptmanns gab den Ausschlag. Interessanterweise hat aber 1, der ein Mensch war gegen 5 und 2, der ein Werwolf war gegen 7 gestimmt. Für beide Dinge lassen sich verschiedene Ursachen festmachen. Die Werwölfe, 2, 4 und 7
haben keinesfalls 'einheitlich' agiert, was 4 auch im Interview festhält. Durch diese Taktik ist es ihnen gelungen 1 bis zum letzten Moment im Dunkeln tappen zu lassen. Dass 1 aber gegen 5 gestimmt hat, ist das Resultat einer interessanten Auseinandersetzung die zwischen 1, 4, 5 und 7
stattgefunden hat, bei der es um den Begriff des Arguments geht.
5.2. Argumentier jetzt, oder du stirbst!
1 hat im Verlauf des Spiels all seine Mitspieler verdächtigt, wobei die Anklagen gegen 3 und 4
wohl nicht sonderlich erst gemeint waren. Er war aber sehr überzeugt davon, 2 und 7 (Transk.3,
03:40, 03:51 ff., 04:05, 05:36, 06:29, 07:45, 09:37, 10:00, 11:00 und 11:46) während der ersten
Nacht gehört zu haben, was sich ja auch als korrekt erweisen hat. Dennoch hat er sich am ersten
Tag gegen 5 gestellt. 5 führte im Interview als Grund dafür an, dass er sich gegen 1 verteidigt
habe, was sie entzweit hätte. 1 gab zu, dass er ob der Aussagen von 5 verwirrt gewesen sei.
Geht man diesen Spuren im Transkript nach, so findet sich eine erste Anschuldigung von 1 gegen
5, die aber noch ohne direkte Folgen geblieben ist (Transk.3, 04:34 ff.). Erst eine Minute später
kommt es, von 7 initialisiert zu einer Auseinandersetzung zwischen 1 und 5. 5 gibt an, dass er
gegen eine voreilige Abstimmung sei, da er mehr wisse, als andere (Transk.3, 05:22). 1 besteht
weiterhin auf einer sofortigen Abstimmung, was 5 als Grund ansieht in diesem Falle halt 1 selber
zu verbrennen. 7 kommentiert das dann ganz tendenziös: „Du bist erste, der jetzt hier einen Stein
geworfen hat.“ (Transk.3, 05:29), worauf mit 4 dann gleich ein weiterer Werwolf anspringt.
In der Folge beklagt sich 5, dass man ihm kein Gehör schenken würde (Transk.3, 05:19) und
findet in 7, der ja auch der Hauptmann ist, einen helfenden Moderator der dazu aufruft noch etwas
zu argumentieren (Transk.3, 06:04). Der Begriff des Arguments wird dann auch noch von 1 aufgenommen und in einer Forderung gegen 5 zugespitzt: „Argumentier jetzt, oder du stirbst!“
(Transk.3, 06:40 und 06:48). 5 gibt nun an, dass er bereits ein Argument gebracht habe und zwar,
dass er mehr wisse als andere. Es kommt dann zu einem ersten Anlauf zu einer Abstimmung, der
dann aber scheitert, weil sich noch nicht alle daran beteiligen wollen. 7 der wohl spürt, dass in
dieser Argument-Angelegenheit noch etwas Potential zur Entzweiung von 1 und 5 steckt, greift
das nochmals auf (Transk.3, 07:09).
7 hält dann fest, das „Ich weiss mehr als ihr!“ ein 'verdächtiges' Argument sei (Transk.3, 07:26)
und 4 doppelt nach, dass dies eine 'typische Masche' von 5 sei (Transk.3, 07:33). Nachdem 5
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darauf reagiert hat und nochmal ans Vertrauen der Gruppe appelliert hat, stellt 7 fest, dass 5 wohl
nicht vertrauenswürdig sei (Transk.3, 07:38). 5 pocht darauf, dass er der einzige sei, der bisher
ein Argument vorgebracht habe (Transk.3, 07:53), worauf 7 kontert „Ich weiss mehr als ihr!“ sei
gar kein Argument (Transk.3, 07:56). Die abschliessende Bemerkung von 5 „Doch, das ist ein Argument, es ist nur offen zur Interpretation.“ führt schlussendlich nicht zum Erfolg, da 1 gegen ihn
stimmen wird.
Es soll jetzt hier nicht der Platz sein, zu entscheiden ob dies ein Argument ist oder nicht. Es versteht sich, dass die klare Form der philosophischen Logik für das Argument in seinem
rhetorischen Gebrauch zu eng ist. Es ist bloss interessant festzuhalten, dass 7 zunächst einmal
akzeptiert hat, dass 5 von einem Argument spricht, ihm anschliessend aber diese Qualität wieder
abspricht. 4 und 7 haben es also auf der Metakommunikationsebene geschafft 5 unglaubwürdig
zu machen.
5.3. Die Taktik der Werwölfe
In den Interviews haben 1 und 5 auf die Frage, wer der geschickteste Werwolf gewesen sei, 4 genannt. Als Begründung wurde seine Zurückhaltung genannt. Besieht man sich das Transkript, so
stellt man fest, dass 4 gar nicht so zurückhaltend war. Ein anderer Werwolf, nämlich 2 war wirklich
zurückhaltend: Er hat sich zum ersten Mal nach über neun Minuten (!) in die Diskussion eingeschaltet (Transk.3, 09:45). Es ist nicht so, dass er nicht angegriffen worden wäre, doch schein das
Nicht-darauf-reagieren eine adäquate Lösung gewesen zu sein.
In der Tat haben sich die der Werwölfe recht unterschiedlich verhalten (und am ersten Tag auch
abgestimmt). Während 2 sich erfolgreich in Zurückhaltung übte, hat 7, in seiner Funktion als
Hauptmann, eine zentrale, moderierende Rolle in der Diskussion eingenommen. Er hat vorgegeben, eine vorurteilslose, neutrale Instanz zu sein, die es jedem ermöglichen will zu Wort zu kommen (Transk.3, 04:16, 04:23, 05:20, 05:29, 05:50, 06:04, 07:09, 08:24). Auffällig ist dabei, dass
die meisten dieser Moderationen 5 betrafen, was wie bereits angesprochen, darin liegen kann,
dass hier ein Konflikt zwischen 1 und 5 geschürt werden sollte. Diese Taktik führte zwar dazu,
dass 7 bei der ersten Abstimmung dem Tod nur knapp entronnen ist. Neutral betrachtet bestand
diese Gefahr aber nicht, da die Werwölfe die Abstimmung im Normalfall gar nicht hätten verlieren
können.
Der letzte der Werwölfe, 4, nun verhielt sich eigentlich wie ein typischer Werwolf. Er hat keine
Attacke gegen einen Mitspieler gestartet, andererseits aber oft genug Angriffe gegen Mitspieler
unterstützt (Transk.3, 03:42, 04:15, 04:17, 04:26, 04:55, 05:31, 05:32, 06:57, 07:33, 08:04). Alle
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diese Aussagen richteten sich aber gegen Menschen, nie hat er einen Mit-Werwolf angegriffen.
Auch ist sich 4 des demographischen Vorteils bewusst gewesen und hat 1 darin unterstützt
schnell zu einer Abstimmung zu kommen (Transk.3, 06:00, 06:20, 08:24, 08:36, 11:08 und 11:12).
1, der von allen Menschen am längsten überlebt hat / von den Werwölfen am Leben gelassen
worden ist, hatte zwar einen relativ konkreten Verdacht, war sich seiner misslichen Lage bis am
Ende nicht bewusst. Noch am zweiten Tag, als er alleine unter 3 Werwölfen ist, meint er von irgend einer Seite Unterstützung zu bekommen (Transk.3, 10:59 ff.). Den Werwölfen ist es durch
ihre unterschiedliche Taktik, ihren unterschiedlichen Umgang mit Perspicuitas-Ideal, gelungen ihre
Ziele vollends zu erreichen.
Fazit
Ziel dieser Arbeit war es das unterschiedliche Wirken von Redetaktiken und -weisen im Spiel 'Die
Werwölfe von Düsterwald' aufzuzeigen. In den einzelnen analysierten Spielsituationen konnte
dabei auf die verschiedensten Punkte eingegangen werden. Das Ziel, bestimmte Abläufe mit Hilfe
der Erkenntnisse der Rhetoriklehre zu erklären, liess sich in einigen Punkten gut verwirklichen.
Eine der Hauptschwierigkeiten, die es dabei zu bewältigen galt, war eine Abgrenzung zwischen
Spieltaktik und Argumentationstaktik zu finden. Da die entscheidenden Dinge aber meist in der
Diskussion, und nicht ausserhalb, geschahen, muss diese Trennlinie auch nicht so klar gezogen
werden. Es gilt dabei aber stets im Hinterkopf zu behalten, dass viele, so direkt nicht ausgesprochene, spieltaktische Elemente in auf die Diskussionen einen nicht unerheblichen Einfluss hatten.
Die Versuchsanordnung (mit nur 7 Spielern) und der jeweilige Spielverlauf führten zu kurzen
Spielen. Nur in einem Spiel, dem zweiten, kam es zu zwei zusammenhängenden Debatten. Für
die Analyse wäre es sicher spannender, ergiebiger gewesen mehrere solcher Situationen zu untersuchen. Durch eine grössere Testspielrunde hätte sich das erreichen lassen.
Da in der Arbeit Diskussionen, also keine konstruierten Reden untersucht wurden, liessen sich natürlich nicht alle Kategorien der Rhetorik in der Analyse verwenden. Insbesondere aber die
Sprachtugenden (Perspicuitas, Ornatus und Aptum) erwiesen sich aber als fruchtbar. Die Begriffe
der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens, auf die hin die Analyse ausgerichtet war, hängen mit
diesen Eng zusammen, was sich in mehreren Fällen bewiesen hat. Es konnte aufgezeigt werden,
wie Glaubwürdigkeit erreicht wurde (Kapitel 3), wie sie zunichte gemacht werden kann (Kapitel 5)
oder welche Schwierigkeiten sich einstellen, wenn man versucht, sie zu erlangen (Kapitel 4).
Spannt man den Bogen etwas weiter, so kann man auch Spuren der Bearbeitungsphasen von Re-
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den finden (Inventio / Dispositio). Im Kapitel 3 spielte das Situationsbewusstsein (Wer sind meine
Gegner? Wen muss ich wovon überzeugen?) eine grosse Rolle. Die selben Fragen muss sich
auch ein Redenschreiber stellen.
Es war nicht das Ziel dieser Arbeit verbindliche Antworten auf die Frage „Wie muss ich Spielen,
um zu gewinnen?“ zu finden. Anhand der untersuchten Fälle konnte gezeigt werden, wie etwas in
einer gegebenen Situation funktioniert hat oder nicht funktioniert hat. Gerade die Reflektionen, die
die Spieler in den Interviews gegeben haben, zeigen aber auf, dass etwas Bestimmtes (wie zum
Beispiel eine zurückhaltende Spielweise) verschieden aufgenommen werden kann. Durch die
Analyse konnte auch verdeutlicht werden, dass jeweils auch die Situation einen entscheidenden
Einfluss auf den Erfolg eines bestimmten Vorgehens hat.
Es ist gelungen das Wirken der Rhetorik an einem lebendigen Gegenstand aufzuzeigen. Jeder
Mensch, der sich auf eine Diskussion einlässt, wie es dieses Spiel explizit verlangt, benützt Rhetorik. Sicherlich lassen sich einige Fakten anders deuten, doch lasst sich die Grundaussage nicht
bestreiten: Das Spiel 'Die Werwölfe von Düsterwald' ist ein stark auf die Rhetorik ausgerichtetes
Spiel. Gerade deswegen ist es ein so interessantes Spiel.
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