Familiengottesdienst am 14.April 2013 // Predigt von Urte Heuß

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Familiengottesdienst am 14.April 2013 // Predigt von Urte Heuß
Familiengottesdienst am 14.April 2013 // Predigt von Urte Heuß-Rumler über die Emmausjünger – Lukas 24, 13-35
Einleitung:
Hatten Sie auch schon mal den Eindruck, etwas zum allerersten Mal wirklich zu sehen, obwohl Sie es schon tausendmal
vorher gesehen hatten?
Haben Sie schon einmal erlebt, dass etwas buchstäblich vor Ihren Augen lag, Sie es aber nicht gesehen haben?
Warum ist das so? Ein Grund kann sein, dass wir einfach keine Antenne für bestimmte Dinge haben und darum einen
selektiven Blick haben. Manche Leute sehen NUR den – wenn vielleicht auch nur sehr geringfügig vorhandenen – Staub,
der irgendwo liegt. Dafür sehen sie NICHT den schön dekorierten Tisch, die Blumen auf der Fensterbank oder sonstige
Dinge, die den Raum wohnlich gestalten. Anders herum ist es sicherlich genauso.
Männern wird nachgesagt, einen sogenannten „Tunnelblick“ zu haben. „Schau doch mal, ich war beim Friseur“, sagt
dann vielleicht die Frau. „Bist du auch drangekommen?“, ist die skeptische Gegenfrage. Technische Dinge werden oft
viel schneller wahrgenommen als andere Dinge – die dann vielleicht uns Frauen wichtig sind. Vor unserer Hochzeit hätte
ich wahrscheinlich mein Hochzeitskleid an die Garderobe hängen können, mein Mann hätte es trotzdem nicht gesehen.
Ich wollte kein Risiko eingehen und habe es nicht gemacht. Aber wir sehen tatsächlich selektiv, und das gilt für Frauen
genauso.
Man kann also im wahrsten Sinn des Wortes blind sein, obwohl man sehen kann. So erging es den Jüngern auf ihrem
Weg nach Emmaus.
Aber sie - wie mit Blindheit geschlagen - erkannten ihn nicht.
Die Jünger haben einen Tunnelblick. Schon deswegen, weil sie todtraurig sind. Sie sehen nichts um sich herum. Sie merken überhaupt nicht, dass es Jesus ist, der sich zu ihnen gesellt. Sie erkennen ihn nicht. „Ja, aber das hätten sie doch tun
müssen!“, denken wir. Der sah sich doch bestimmt auch nach der Auferstehung noch ähnlich. Nur: Stellen Sie sich mal
vor, Sie waren vor kurzem bei einer Beerdigung dabei und wissen hundert Prozent, dass der Mensch zu Grabe getragen
wurden. Würden Sie lebend mit ihm rechnen? Doch wohl niemals! Genauso ergeht es den Jüngern. Sie erwarten Jesus
nicht, denn er ist tot. Der da mit ihnen geht, sieht Jesus vielleicht ähnlich, es ist aber NICHT Jesus. Die Jünger haben
überhaupt keinen Blick für alternative Möglichkeiten. Für sie ist Jesus tot. Sie sind traurig. Sie gehen ins normale Leben
zurück. Ihre Hoffnung ist gestorben.
Worüber unterhaltet ihr euch?
Jesus stellt sich „dumm“ und fragt, was los ist. Sie erzählen. Reden sich den Kummer von der Seele. Das hilft schon einmal. Der Fremde hört zu und erklärt: „Das musste doch alles so kommen, denn es steht genauso ja schon in den heiligen
Schriften der Bibel geschrieben. Ihr versteht da etwas nicht richtig.“ Nein, die Jünger verstehen weiterhin erst einmal
gar nichts. Das macht für sie noch keinen Sinn. Ihnen geht nichts auf: Keine kleine Funzel, geschweige denn ein Licht.
Sie sind blind für Jesus. Kein Wunder übrigens.
Bei ihnen kommen zu diesem Zeitpunkt die Lösungsvorschläge nicht an.
Als sie dann aber in Emmaus ankommen, laden sie den Fremden ein, bei ihnen zu bleiben. Er stimmt zu. Er geht mit
ihnen ins Haus. Und erst dann geschieht es.
Jesus nahm das Brot, dankte dafür, teilte es in Stücke und gab es ihnen. Da plötzlich erkannten sie ihn.
Jesus redete nichts hoch Theologisches. Er machte etwas ganz Profanes. Das Brot zu brechen war eine Allerweltshandlung in der damaligen Welt. Der Fremde spricht das Dankgebet und bricht das Brot. Und da erkennen sie ihn. Auf einmal
wissen sie: Das ist Jesus, der mit ihnen spricht. Es geschieht kein großes Wunder. Aber auf einmal verstehen sie. Auf
einmal geht ihnen das Licht auf. Und in ihren Herzen wird es hell. Dieselben Jünger, die vorher traurig in ihr altes Umfeld
zurückgegangen waren, eilen nun zurück nach Jerusalem und erzählen von ihrem Erlebnis. Dieselben Jünger haben
keine Angst mehr, ihren Glauben zu bekennen, denn sie sind sich sicher: Es stimmt alles, was Jesus ihnen erklärt hatte.
Und nun verstehen sie auch, was er ihnen da vorher hatte verständlich machen wollen. Sie können es in den größeren
Zusammenhang stellen. Ihr Leben hat sich total verändert. Das hat ungeahnte Auswirkungen. Diese Jünger gehen los.
Sie erzählen die Geschichte von Jesus weiter. Eine Bewegung beginnt, die bis heute andauert.
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Diese Geschichte ist mehr als eine nette Erzählung aus der Vergangenheit. Sie kann uns auch heute noch etwas sagen:
Auf der zwischenmenschlichen Ebene und auf der Ebene der Mensch-Gott-Beziehung. Beide Ebenen möchte ich kurz
noch in den Blick nehmen.
1.
Blind sein
Für wen und was kann man alles blind sein:
-
Man kann blind für einen Menschen sein, ihn gar nicht wahrnehmen – das ist besonders schwer, wenn der andere
verliebt ist und inständig auf „Erhörung“ hofft.
-
Man kann blind sein für eigene Fehler. Wir sind Meister darin, die Schuld auf andere zu schieben, um vor uns
selbst und anderen gut da zu stehen.
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Man kann blind sein für eigenes Können. Dann sieht man immer nur die eigenen Fehler, das, was man nicht kann,
anstatt das zu sehen, was man kann. „Warum kann ich nicht so gut… wie der oder die?“ „Warum sehe ich nicht aus
wie George Clooney oder Angelina Jolie?“ Wenigstens annähernd… Etc.
-
Man kann blind sein für die Begabungen der Kinder, besonders dann, wenn man etwas anderes erwartet oder
wünscht. Ein Mathematiker wünscht sich sicherlich auch mathematisch begabte Kinder. Was, wenn es aber eher
musisch veranlagt ist als logisch? Was kann Ihr Kind besonders gut? Können Sie das sofort benennen?
-
Man kann blind sein für die Besonderheiten des Partners. Wissen Sie noch, warum Sie mit ihm oder ihr eine
Freundschaft begonnen haben, ihn oder sie geheiratet haben oder in eine Lebensgemeinschaft getreten sind? Fällt
Ihnen sofort ein, was das damals war, was Sie fasziniert hat, was Sie geliebt haben? Junge Liebende brauchen hier
nicht lange zu überlegen, diejenigen, die schon länger dabei sind, stellen vielleicht einigermaßen erschrocken fest,
dass sie ja anfangen müssen, NACHZUDENKEN, bevor ihnen etwas einfällt. Was sehen Sie heute? Das, was an Ihrer
Beziehung immer noch gut ist oder nur den abgebröckelten Putz am Boden? Damals war man blind für die Fehler
des anderen, heute ist man oftmals blind für seine Vorzüge und Fähigkeiten.
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Man kann blind sein für Gott. Für das, was er tut in seinem Leben. Viele haben an dieser Stelle tatsächlich einen
„blinden Fleck“. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
2.
Das Bedrückende beim Namen nennen
Auszusprechen, was bedrückt und Sorgen macht, hilft und heilt.
Auf dem Weg nach Emmaus sind es zwei Männer, die aussprechen, was sie traurig macht. Jesus – in ihren Augen
noch der Fremde – erklärt ihnen, warum das alles so geschehen musste. Aber sie verstehen es nicht. Das ist im Übrigen eine interessante Sache:
Frauen reden im Allgemeinen sehr viel häufiger über das, was sie bedrückt, belastet und worüber sie sich Sorgen
machen als Männer. Die meisten Männer hingegen schweigen oft so lange, bis sie meinen, die Lösung selbst gefunden zu haben. Wenn jemand von seinen Nöten erzählt, ist man häufig versucht, den „Werkzeugkoffer“ heraus zu holen und Lösungen anzubieten. Oft will der andere aber erst einmal gar keine Lösung präsentiert bekommen. Man
will einfach nur wahrgenommen und gehört werden. Manchmal auch bemitleidet. Das hilft schon. Und man hat erst
einmal auch gar kein Ohr für Lösungsvorschläge, so plausibel und logisch einsichtig sie auch klingen mögen. Erst später kann man es dann vielleicht verstehen und sogar umsetzen.
Für eine gute Kommunikation ist das sehr wichtig zu wissen. Wenn Ihr Gegenüber Ihnen demnächst davon erzählt,
was ihm Kummer macht, holen Sie bitte nicht direkt den Werkzeugkoffer hervor. Hören Sie erst einmal zu, zeigen Sie
Mitgefühl und versuchen dann vorsichtig, den Blick für Lösungen zu öffnen. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn Ihre
Hilfe nicht direkt ankommt. Vertrauen Sie darauf, dass es zu einer anderen Zeit fruchtet. Diejenigen, die sich eher
verschließen und wenig von ihren Gefühlen herauslassen, könnten einmal ausprobieren, wie es ist, einfach mal zu
sagen, was in einem vorgeht. So miteinander umgehen zu können, erfordert Vertrauen und den Willen, auf den anderen einzugehen. Jesus hat genau das gemacht: Zugehört, erklärt und das alltägliche Leben geteilt. Das hat den
Jüngern die Augen geöffnet.
3.
Im Alltäglichen das Besondere erblicken
2
Warten und hoffen Sie NICHT auf die besondere Begabung, die besondere Fähigkeit, das besondere Aussehen, etc.
Versuchen Sie, bewusst wahrnehmen was da IST.
Ein Familientherapeut hat einmal das „kleine Glück“ mit dem „großen Glück“ verglichen. Viele erwarten das „große
Glück“, „die große Liebe“, aber in der Erwartung darauf übersehen sie das „kleine Glück“ und die „kleine, aber beständige Liebe“, die sie täglich umgibt. Und manche werden darüber undankbar, unglücklich, unzufrieden. Sie beginnen, an anderer Stelle zu suchen, erhoffen sich von dort das wirklich „Große“ und stellen ernüchtert fest, dass sie
es auch da nicht finden.
Überlegen Sie einmal: Was umgibt Sie Gutes? Für was waren Sie bisher blind? Wofür können Sie bei Ihren Kindern,
ihrem Partner, den Eltern, etc. danken? Auch kleine und klitzekleine Dinge zählen. Sprechen Sie einmal mit dem
Partner, mit Ihren Kindern, mit den Geschwistern oder Freunden darüber. Man kann tatsächlich ins Staunen geraten! Das Herz wird warm und der einst so selektive und kritische Blick, der vielleicht nur das halbleere Glas gesehen
hat, entdeckt auf einmal, dass es in Wahrheit ja halb-voll ist!
Jesus
Die Geschichte ist auch eine Glaubensgeschichte. Sie erzählt davon, dass die Freunde Jesu erkennen, dass Jesus nicht tot
ist, sondern lebt und weiter wirkt. Das verändert sie so eingehend, dass sie ab da dafür bereit sind, in den hintersten
Winkel der Welt zu gehen, um es weiterzusagen. Sie sind bereit, für ihre Überzeugung zu sterben und erzählen überall
weiter, was sie erlebt haben.
Auch wir sind oft blind für das Angebot, das Jesus macht. Damals gab es andere Gründe, warum Menschen diese Botschaft von Jesus nicht angenommen haben. Heute sind es – so wie ich das sehe – oft unsere intellektuellen Einwände,
Vorurteile gegenüber der Institution Kirche, Erzählungen von anderen, die zum Kirchgang gezwungen wurden, die vielen
Möglichkeiten der Zerstreuung und und und …, was daran hindert, sich mit Jesus auseinanderzusetzen. Dabei ist es eine
umwälzende, unglaubliche und fundamentale Botschaft, die Jesus zu seinen Lebzeiten verbreitet hat und die seit dem
ersten Ostern um die Welt läuft. Diese Botschaft lautet: Gott nimmt jeden Menschen so an, wie er ist. Er hat ihn geschaffen. Er sieht ihn als sein geliebtes Geschöpf, zu dem er JA sagt. Gott steht auf der Seite der Unterdrückten, der
Ausgegrenzten und auf der Seite derjenigen, die „anders“ sind. Aber er steht auch auf der Seite der ganz normalen Leute, Leuten wie du und ich, die ihm vertrauen wollen. Gott hat keine Vorurteile. Lassen Sie sich das mal auf der Zunge
zergehen: Da ist jemand vollkommen FÜR mich. Ja, er findet mich gut. Er will mir helfen, das zu tun, was gut ist. Er verurteilt meine Unzulänglichkeiten nicht. Er kennt sie ja. Das hat Jesus leibhaftig vorgelebt. In ihm ist Gott den Menschen
nahe gekommen. Jesus hat damit gezeigt, wie GOTT den Menschen sieht. Gott ist viel mehr als ein „lieber Gott“. Er ist
ein liebender Gott. Liebe zeigt sich in Taten. Gott ist bereit, bis zum Letzten zu gehen, um das deutlich zu machen. Jesus
starb den Tod eines Verbrechers. Das Kreuz auf dem Tisch ist das Zeichen eines Todeswerkzeugs. Aber es hängt keiner
mehr daran. Der Tod hat nicht das letzte Wort. „Gestorben, gekreuzigt und begraben… Tot. Aber am dritten Tage auferstanden von den Toten.“ So sagen es die Christen im Glaubensbekenntnis, das wir vorhin gesprochen haben.
Auch heute kommt uns Gott entgegen. Wir können ihn entdecken in den Alltäglichkeiten unseres Lebens. Wir können
ihm unsere Zweifel, Fragen und Nöte anvertrauen. Er will uns die Augen öffnen für seine Wirklichkeit, für seine Liebe
und für das, was er uns geschenkt hat. Er bietet Vergebung an. Er will es – um im Bild zu bleiben in unseren Herzen hell
machen.
Ich möchte Sie heute dazu einladen, dem Glauben - und damit meine ich Jesus - eine Chance zu geben. Vielleicht entdecken Sie Dinge, die Sie vorher NIE gesehen haben.
Ich wünsche Ihnen in der kommenden Woche spannende Entdeckungen: In Ihrem persönlichen Umfeld, mit der Familie,
mit Freunden, aber auch auf dem Weg des Glaubens.
Ich möchte beten. Sagen Sie bitte nur dann Amen, wenn Sie dieses Gebet tatsächlich persönlich bestätigen möchten.
Gott ist nicht böse. Ehrlichkeit zählt mehr als Etikette.
Gott, durch Jesus bist du uns ganz nah gekommen. Du hast uns deine Liebe durch Taten konkret gezeigt. Hilf uns, unsere
Kinder, unseren Partner, auch unsere Eltern so zu sehen, wie du sie siehst und so zu lieben, wie du sie liebst. Öffne unsere Augen für das, was du uns geschenkt hast. Lass uns dich in unserem Alltag erkennen. Begegne uns, so dass wir wie
die Jünger sehend werden für deine Wunder.
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