Be it ecological footprint, “Factor Four”, “eco lo

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Be it ecological footprint, “Factor Four”, “eco lo
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intelligentes bauen ECOLOGY 2.0
Ob ökologischer Fußabdruck, „Faktor 4“, „ökolo­
gischer Rucksack“ oder Ökoeffizienz à la „Cradle
to Cradle“ – die Bemessungsgrundlagen für
umweltbewusstes Handeln und Produzieren
sind heute vielfältiger denn je und klingen be­
deutungsvoll. Welcher Kriterienkatalog aber
die ultimative Anleitung zum nachhaltigen Le­
bensstil vorgibt, ist noch nicht ausgefochten –
und vor allem nicht sofort erkennbar. Früher
war das einfacher. Da sah Öko nach Öko aus
und fühlte sich auch so an: Recyceltes Toilet­
tenpapier war dunkelgrau, Kleidung kratzig
und Biokosmetik farblos. Vor knapp 20 Jahren
schienen Umweltbewusstsein und anspre­
chende Gestaltung unüberbrückbare Gegen­
sätze. Doch heute gehen Ökologie und Ästhe­
tik eine perfekte Symbiose ein, und auf liebgewonnene Konsumgewohnheiten muss keiner
mehr verzichten. Das Verzwickte daran: Nie­
mand kann auf den ersten Blick sagen, ob sich
hinter guter Gestaltung mit Öko-Aushänge­
schild wirklich Nachhaltigkeit verbirgt.
Be it ecological footprint, “Factor Four”, “eco­
lo­gical rucksack” or eco-efficiency à la “­ cradle
to cradle”, today the assessment criteria for
an environmentally-friendly life and produc­
tion are more varied than ever and sound
meaningful. However, it has not yet been
settled which set of criteria is the ultimate
manual for a sustainable lifestyle – and nei­
ther is it an easy call. It was all that much
simpler in days gone by. Ecological products
looked, and also felt, like such: recycled toi­
let paper was dark gray, clothes scratchy
and organic cosmetics colorless. Not 20
years ago environmental awareness and at­
tractive design seemed irreconcilable oppo­
sites. Yet today, ecology and aesthetics work
in perfect symbiosis and no-one has to do
without the consumer habits they have
grown fond of anymore. The problem is, noone can say at first glance whether good de­
sign with an eco-label really is sustainable.
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intelligentes bauen ecology 2.0
greenwashing?
Längst haben Marketingabteilungen den
Wunsch ihrer Kunden nach einem gesunden
und nachhaltigen Lebensstil erkannt – und sich
auf dessen Befriedigung spezialisiert. Corporate
Social Responsibility, die soziale Verantwortung
als Teil der Unternehmensidentität, lautet das
vielgenutzte Schlagwort, mit dem allerorts ge­
worben wird. Orientierung im grünen Dschun­
gel sollen eine Vielzahl von Eco- oder Designlabel bieten. Seien es Versicherungen, Autos
oder Waschmittel – kaum ein Produkt, das sich
nicht mit einer auffallenden Auszeichnung
schmückt und so den Käufer zur Kasse und auf
den scheinbar ökologisch-schönen Weg bringt.
massengeschmack versus manufakturgedanke
Volltechnisierung und Massenproduktion auf
der einen, maximale Einfachheit und die Rück­
kehr zum Handwerk auf der anderen Seite –
das kennzeichnet das derzeitige Kaufverhalten
der Verbraucher. Auch Selbstgemachtes hat
Hochkonjunktur: So wird in New York gestrickt
wie zu Großmutters Zeiten und wer die Web­
stühle und Spinnräder mit der feuchten Schafs­
wolle im New Yorker In-Viertel Tribeca sieht,
der spürt den Wunsch nach Ehrlichkeit, Trans­
parenz und nachvollziehbaren Produktionspro­
zessen. Aber aller Sehnsucht zum Trotz, wer
will heute ernsthaft auf die technologischen
Errungenschaften verzichten, wenn selbst
scheinbare Gegensätze wie endloses Badever­
gnügen und geringer Wasserverbrauch dank
ausgefeilter Tüftelei nachhaltig vereinbar sind.
alles eins
Der Wunsch, die komplexe Welt zu vereinfa­
chen, ist riesig. Daher stehen Verbraucher im­
mer öfter vor omnipotenten Alleskönnern, wel­
che die unterschiedlichen, oft gegensätzlichen
Aspekte wie sozial, ökologisch, innovativ, funk­
tional und konservativ in sich vereinen. Die Fol­
ge: Gegenstände mit unterschiedlichen Funktionen verschmelzen zu einem einzigen Gerät.
Doch auch wenn es Apple vorgemacht hat,
wie durch einheitliche und intuitive Gestal­
tung von Benut­zeroberflächen Kunden erst zu
euphori­­schen Fans und dann treuen Anhängern
werden, die Gestaltungsformel „eine Form, ein
Interface, eine Ästhetik“ führt zu einer Reduk­
tion der Formenvielfalt und einer vereinfachten
Ästhetik. Und es geht auch etwas Wichtiges
verloren: die Lust und der Mut, Neues zu wagen
und auszuprobieren.
greenwashing?
Marketing departments identified their cus­
tomers’ desire for a healthy and sustainable
lifestyle long ago – and have in the meantime
specialized in fulfilling it. Corporate social re­
sponsibility, as a part of corporate identity, is
the oft-used term plastered around everywhere
as a form of advertising. A multitude of eco and
design labels is intended to provide orientation
in the green jungle. Be it insurances, cars or
detergents, there is hardly a product anymore
that is not decorated with a highly visible ecolabel that wins over customers and leaves them
with a clear eco-conscience. Or does it?
tastes of the masses versus the
industrial concept
Consumers’ current buying behavior is charac­
terized by complete mechanization and mass
production on the one side, and maximum sim­
plicity and a return to quality craftwork on the
other. Handmade objects are also enjoying a
revival, for instance, in New York knitting has
really taken off as in grandmother’s day and any­
one who sees the looms and spinning wheels
with the damp lamb’s wool in the trendy New
York district Tribeca can feel the desire for hon­
esty, transparency and clear production pro­
cesses. Yet all longings aside, who today seri­
ously wants to do without the technological
achievements of our age, when even apparent
opposites such as soaking endlessly in a hot
bathtub and low water consumption can be
sustainably reconciled thanks to sophisticated
technologies?
all in one
There is a great wish to simplify our complex
world. Which is why consumers are increas­
ingly often presented with omnipotent allrounders that combine different, often oppo­
site aspects such as the social, ecological,
innovative, functional and conservative. The re­
sult: Objects with various functions merge into
a single device. Yet even if Apple has shown
how, by way of its consistent and intuitive de­
sign of user interfaces, to first make customers
euphoric fans and then loyal followers, the de­
sign formula “one form, one interface, one aes­
thetic” leads to a reduction of formal diversity
and simplified aesthetics. And something im­
portant is also lost, namely, the desire and
courage to try out something new.
Buchhinweise und Links
Joachim Krausse (Hg.),
R. Buckmister Fuller:
Bedienungsanleitung für das
Raumschiff Erde und andere
Schriften.
Philo Fine Arts, 3. Aufl. 2010
Friedrich von Borries, Mathias
Böttger, Florian Heilmeyer:
Bessere Zukunft. Auf der Suche
nach den Räumen von Morgen.
Merve Verlag, 2008
Manfred Hegger /
Isabell Schäfer: Grüne Häuser.
Einfamilienhäuser – nachhaltig
ökologisch energieeffizient.
Callwey Verlag, 2010
Julian Nida-Rümelin,
Jakob Steinbrenner:
Ästhetische Werte und Design.
Reihe Kunst:
Philosophie 2009 – 2011,
Hatje und Cantz, 2010
www.faktor-x.info
Die Internetpräsenz der
Aachener Kathy Beys Stiftung
gibt einen guten Überblick zum
Thema Nachhaltigkeit und bietet
Interviews mit Entscheidern
der Weltwirtschaftsszene zur
aktuellen Umweltdiskussion.
Book recommendations
and links
Joachim Krausse (ed.):
R. Buckmister Fuller:
Bedienungsanleitung für das
Raumschiff Erde und andere
Schriften.
Philo Fine Arts, 3rd edition, 2010
Friedrich von Borries, Mathias
Böttger, Florian Heilmeyer:
Bessere Zukunft. Auf der Suche
nach den Räumen von Morgen.
Merve Verlag, 2008
Manfred Hegger /
Isabell Schäfer: Grüne Häuser.
Einfamilienhäuser – nachhaltig
ökologisch energieeffizient.
Callwey Verlag, 2010
Julian Nida-Rümelin,
Jakob Steinbrenner:
Ästhetische Werte und Design.
Reihe Kunst:
Philosophie 2009 – 2011,
Hatje und Cantz, 2010
www.faktor-x.info
Aachen Foundation Website
provides a good overview of the
topic of sustainability and fea­
tures interviews with decisionmakers in global economics
on the current debate on the
environment.
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intelligentes bauen ecology 2.0
„Heute gehen Ökologie und
Ästhetik eine perfekte Symbiose ein“
“Today, ecology and aesthetics
work in perfect symbiosis”
Ausstellung zum Thema
Zur Nachahmung empfohlen –
Expeditionen in Ästhetik und
Nachhaltigkeit.
Projekt von Adrienne Goehler
(Kuratorin) und Janaa Prüss
(Projektleitung)
Gleichnamiger Katalog ist 2010
bei Hatje Cantz, Ostfildern,
erschienen.
Die Ausstellung reist
Oktober 2010 bis März 2011
Westwendischer Kunstverein /
Wendepunkt Zukunft e. V.
Frühjahr 2011
Umweltbundesamt Dessau
6. Mai 2011 bis 12. Juni 2012
Kunstverein Ingolstadt e. V.,
Neuer Pfaffenhofener
Kunstverein, Städtische Galerie
Neuburg an der Donau
Exhibition on the topic
Zur Nachahmung empfohlen
Expeditionen in Ästhetik und
Nachhaltigkeit.
(Examples to follow. Expeditions
in aesthetics and sustainability.)
Project by Adrienne Goehler
(curator) and Janaa Prüss
(project manager)
The catalog of the same name
was published by Hatje Cantz,
Ostfildern, in 2010.
Exhibition stations:
October 2010 to March 2011
Westwendischer Kunstverein /
Wendepunkt Zukunft e. V.
Spring 2011
Umweltbundesamt Dessau
May 6, 2011 until June 12, 2012
Kunstverein Ingolstadt e. V.,
Neuer Pfaffenhofener
Kunstverein, Städtische Galerie
Neuburg an der Donau
weiterdenken nach dem öko-trend
„Wir müssen alles, was wir sehen, neu erfin­
den“, lautet die Formulierung des Chemikers
und Vertreters der Ökoeffektivität, Michael
Braungart. Er fordert damit Architekten, Desi­
gner und andere Gestalter auf, der Zukunft
trotz neuester technologischer und soziokul­tu­
rel­ler Entwicklungen eine eigenständige Ästhe­
tik zu geben und dabei das nachhaltige Potenzial
glaubhaft und transparent zu kommunizieren.
Ein Blick in die Natur kann bei der Bewälti­
gung dieser Aufgabe inspirieren, denn gegen
die Vereinheitlichung von Form und Funktion
hat sie ein Patentrezept: Ständige Mutation
und Erschließung von Nischen haben bislang
geholfen, eine biologische Vielfalt aufrechtzuerhalten und das Überleben zu sichern. Dies
könnte auch ein Weg für die gestaltete Umwelt
sein: Forschung, Weiterentwicklung sowie
ständige Anpassung und Verwandlung statt
ausschließlich Mimese und Mimikry, also
Nachahmen und Kopieren von Erfolgen. Auf
die Architektur übertragen heißt das beispiels­
weise: Umbau und Rückbau statt Abriss und
Neubau wie ihn die Franzosen Anne Lacaton
und Jean-Philippe Vassal mit ihrer Studie
„Plus“ propagieren und Hochhäuser in zeitge­
mäße Großstadtvillen verwandeln.
zeitgemässe, ästhetische ökologie
Das neue Umweltgewissen und die wachsen­
de Fangemeinde für nachhaltiges Leben – im
Marketingjargon auch „Lifestyle of health and
sustainability“ (Lohas) genannt – hat die Beurteilung von nachhaltigen Produkten und
Lebensstilen verändert. Die Herausforderung
besteht darin, das technisch-zivilisatorische
System im Zusammenhang mit dem der Natur
zu sehen und die Vermittlung zwischen beiden
als eine kulturelle Aufgabe zu begreifen. Oder
um es mit den Worten des Ingenieurs und Ar­
chitekten für nachhaltige Architektur, Werner
Sobek, zu sagen: „Die wichtigste Aufgabe, die
Architekten und Ingenieure in Zukunft zu lösen
haben, ist, nachhaltige Gebäude atemberau­
bend attraktiv und aufregend zu machen.“
thinking beyond the eco-trend
“We have to reinvent everything we see”, ac­
cording to the chemist and proponent of ecoeffectiveness Michael Braungart. He thus calls
on architects and all types of designers to
shape the future with an independent aesthet­
ic, despite the latest technological and sociocultural developments, and in so doing to com­
municate the potential for sustainability in a
believable and transparent way.
A look at nature can provide inspiration when
tackling this task, for it has the perfect remedy
for the standardization of form and function.
Constant mutation and the opening up of nich­
es have hitherto contributed to maintaining
­biological diversity and ensuring survival. This
could also prove crucial for our designed envi­
ronment: research, further development and
constant adaptation and transformation in­
stead of pure mimesis and mimicry, i.e. the im­
itation and copying of successes. In relation to
architecture, this means, for instance, conver­
sion and renaturation instead of demolition and
new construction, as propagated by French
architects Anne Lacaton and Jean-Philippe
Vassal with their study “Plus”, who transform
high-rises into contemporary city villas.
contemporary, aesthetic ecology
The new green conscience and growing adher­
ence to sustainable living – also called “lifestyle
of health and sustainability” (Lohas) in market­
ing jargon – has changed our assessment of
sustainable products and lifestyles. The chal­
lenge lies in seeing our technically civilizing
system in connection with that of nature and to
understand communication between the two
as a cultural task. Or to use the words of engi­
neer and architect for sustainable architecture
Werner Sobek: “The most important task that
architects and engineers will have to face in
the future is to make sustainable buildings
breathtakingly attractive and exciting.”
Hannah Bauhoff
Seite 18 und 22: Schutzraum für den Erhalt großer Ökosysteme, entworfen von der finnischen Künstlerin Ilkka Haslo
Seite 21 oben: Die Künstlerin Néle Azevedo vermittelt nachvollziehbar und ästhetisch ansprechend den Klimawandel
Seite 21 unten: Traditionelle Architektur in der Natur: Kleingärten
page 18 and 22: Shelter for preserving large ecosystems, designed by Finish artist Ilkka Haslo
page 21 top: The artist Néle Azevedo presents climate change in an understandable and aesthetically appealing way
page 21 bottom: Traditional architecture in nature: allotment gardens