Hormone und Kopfschmerzen

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Hormone und Kopfschmerzen
Hormone und Kopfschmerzen
Stefan Evers
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Universitätsklinikum Münster
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Hormone und Kopfschmerzen:
Systematik
ƒ Einfluss von Geschlechtshormonen auf Kopfschmerzen
(Epidemiologie, Semiologie)
ƒ Therapie hormongebundener Kopfschmerzen
ƒ Geschlechtshormone in der Therapie von Kopfschmerzen
(Wirksamkeit, Nebenwirkungen)
ƒ Einfluss von Stresshormonen auf Kopfschmerzen
ƒ Kopfschmerzen durch Hormone wie Prolaktin, SDHormone etc.
ƒ Clusterkopfschmerz und Biorhythmus
ƒ ...
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Hormone und Kopfschmerzen:
Geschichte 1
ƒ In der Antike keine sicheren Hinweise auf
hormongebundene Kopfschmerzen
ƒ 1660: Jan van der Linden „De hemicrania menstrua“
ƒ 1780: Auguste Tissot „Traits des nerfs et de leur
maladie“
ƒ 1846: Moritz Romberg „Lehrbuch der
Nervenkrankheiten“
ƒ 1873: Edward Liveing „On megrim, sick-headache
and allied disorders“
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Hormone und Kopfschmerzen:
Geschichte 2
ƒ 1962: Ad-hoc-Committee „premenstrual/menstrual
migraine“
ƒ 1972: Somerville. Neurology 1972; 22: 355-365
ƒ 1988: IHS schließt menstruelle Migräne als Entität
aus, gibt jedoch Definition (90% aller Attacken
innerhalb 2 Tage vor Menstruation)
ƒ 2004: IHS definiert in Forschungskriterien „pure
menstrual migraine“ und „menstrually related
migraine“
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Hormone und Kopfschmerzen:
allgemeine Epidemiologie
ƒ Migräne
ƒ
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M:W = 1:1 bei Kindern
M:W = 1:2 bei Jugendlichen
M:W = 1:3 bei Erwachsenen
M:W = 1:1,5 nach der Menopause, dann signifikant häufiger Migräne mit Aura
11% bis 17% aller Frauen haben ihre erste Migräneattacke im Jahr der
Menarche, dann häufiger hormonassoziierter Verlauf
ƒ Kopfschmerz vom Spannungstyp
ƒ M:W = 1:1 bis 4:5 in allen Altersstufen
ƒ Clusterkopfschmerz
ƒ M:W = 4,3:1
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Menstruelle Kopfschmerzen:
Zyklus
Menstruelle Kopfschmerzen:
Epidemiologie
ƒ Menstruation als Auslösefaktor einer Migräneattacke
ƒ
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7% bis 14% ausschließlich perimenstruell
24% bis 35% auch perimenstruell (davon 67% bis 70% überwiegend)
67% vor Menstruation; 28% während Menstruation; 5% während Ovulation
Signifikant häufiger Migräne ohne Aura als Migräne mit Aura
ƒ Menstruation als Auslösefaktor von Kopfschmerzen vom
Spannungstyp:
ƒ 39% perimenstruell (davon 45% überwiegend oder ausschließlich)
ƒ 71% vor Menstruation; 29% während Menstruation
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Menstruelle Migräne:
Einfluss von Östrogen
Somerville 1972
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Menstruelle Migräne:
Pathophysiologie 1
ƒ Somerville 1972:
ƒ Vulnerable Phase ist langsamer Östrogenabfall (bestätigt durch
MacGregor 2006)
ƒ Initial hohe Östrogenspiegel sind Voraussetzung
ƒ Unter Östrogengabe kann Migräne sistieren
ƒ Östradiol i.m.:
ƒ Migränepatienten können postmenopausal Migräneattacken
entwickeln, Gesunde nicht
ƒ Nach ca. 4 bis 7 Tagen ist Trigger wirksam
ƒ Nach ca. 18 Tahen (14-23) ist niedrigster Spiegel erreicht
ƒ „kritische Östrogengrenze“ 50 +/- 5 pg/ml
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Menstruelle Migräne:
Pathophysiologie 2
ƒ Serumhormonspiegel nicht signifikant unterschiedlich
ƒ Östrogene können zentralen Opioidtonus erhöhen (bei
Migränepatienten besonders ausgeprägt)
ƒ ES2 ist verkürzt während der Menstruation (bei allen
Frauen) und besonders bei Frauen und Migräne
ƒ Während Lutealphase vor Menstruation erhöhte MAOAktivität, dadurch vermehrter Abbau von 5-HT
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Menstruelle Migräne:
Pathophysiologie 3
ƒ PGF1 und PGE signifikant vermindert bei menstrueller
Migräne
ƒ Alle Geschlechtshormone bei menstrueller Migräne in
Lutealphase im Liquor erhöht → Folge von Depression und
Schmerz?
ƒ Kovarianz zwischen psychometrischen Stressparametern,
Geschlechtshormonen und menstrueller Migräne
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Menstruelle Migräne:
allgemeine Therapie
ƒ Empirisch: menstruelle Migräneattacken schwerer zu
kupieren als andere, Prophylaxe schlechter wirksam
ƒ Alle Akutmedikamente ähnlich wirksam wie bei anderen
Attacken (NSAR, Triptane etc.)
ƒ Cave: ASS, Ergotamin
ƒ Kurzzeitprophylaxe:
ƒ Naproxen 2 x 500 mg pro Tag ab ca. dem 6. Tag vor
Menstruationsbeginn über 3 bis 6 Tage
ƒ Triptane ab dem 6. Tag vor Menstruationsbeginn über 6 Tage: 2 x 25
mg Sumatriptan; 2 x 1 mg Naratriptan; 1-2 x 2,5 mg Frovatriptan;
12,5 mg Almotriptan
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Menstruelle Migräne:
Hormontherapie
ƒ Kurzzeitprophylaxe mit Estradermpflaster
ƒ Kein Einfluss von 50 µg bei menstrueller Migräne
ƒ 100 µg möglicherweise wirksam
ƒ Östradiol-Gel
ƒ Verminderung der Migräne möglich
ƒ Möglicherweise nur Verschiebung der Attacke
ƒ Östradiol s.c.
ƒ 46% keine Attacke; 37% verbessert
ƒ Erfolg nur bei rein menstrueller, sonst therapieresistenter Migräne
ƒ Progesteron
ƒ Kein Effekt
ƒ Kontrazeptivum (Zwei-Phasen) durchgehend!
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Migräne und hormonale Kontrazeption:
durchgehende Pilleneinnahme
Sulak 2007
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Kopfschmerzen während Schwangerschaft:
Epidemiologie 1
ƒ Migräne
ƒ Rasmussen 1993: 48% unverändert; 48% gebessert oder weg; 4%
verschlechtert (im 2./3. Trimenon); Chen 1993: 79% gebessert
ƒ 20% komplett ohne Migräne
ƒ Wenn Erstmanifestation der Migräne während Schwangerschaft,
signifikant häufiger Migräne mit Aura
ƒ Präpartal keine Migräne → postpartal keine Migräne bei 100% der
Stillenden und 43% der Nicht-Stillenden
ƒ Wiederkehr der alten Migränefrequenz nach Abstillen
ƒ (cave: Sinusthrombose etc.)
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Migräne während Schwangerschaft:
Angabe einer Verbesserung
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Kopfschmerzen während Schwangerschaft:
Epidemiologie 2
ƒ Kopfschmerz vom Spannungstyp:
ƒ Rasmussen 1993: 67% unverändert; 28% gebessert oder weg; 5%
verschlechtert
ƒ Clusterkopfschmerz
ƒ Kein Einfluss
ƒ Cervikogener Kopfschmerz
ƒ Kein Einfluss
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Kopfschmerzen während Schwangerschaft:
Einfluss vorheriger Schwangerschaften
controls
Aegidius 2009
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Kopfschmerzen nach Schwangerschaft:
Einfluss vorheriger Schwangerschaften
Aegidius 2009
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Migräne während Schwangerschaft:
Pathophysiologie
ƒ Hoher und konstanter Östrogenspiegel als Schutz
ƒ Habituation der kognitiven Reizverarbeitung normalisiert
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Kopfschmerzen während Schwangerschaft:
sonstige Assoziationen
ƒ Anteil der Frauen mit ≥ 1 Fehlgeburt
ƒ Migräne 37%
ƒ Clusterkopfschmerz 34%
ƒ Kontrollen 21% (OR=1,6; CI=1,1-2,3)
ƒ Operative Menopause
ƒ Migräne 5%
ƒ Clusterkopfschmerz 22%
ƒ Kontrollen 4% (OR=2,9; CI=1,3-6,7)
van Vliet 2006
EURAP-Seminar am 10.10.2009
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Peripartale Migräne:
Einfluss auf Entbindung
ƒ
ƒ
18,4 Mio. Entbindungen analysiert
Frauen mit aktiver Migräne bei Geburt: 185/100.000
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Peripartale Migräne:
Assoziation mit vaskulären Erkrankungen
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Peripartale Migräne:
Assoziation mit Geburtskomplikationen
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Migräne und Schwangerschaft:
Assoziation mit Gestosen
Facchinetti 2009
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Assoziation von Migräne und vaskulären
Erkrankungen in Schwangerschaft
Migräne
?
Präeklampsie
Herzinfarkt
Plazentaischämie
Angina pectoris
Hypertonie
MRT-Läsionen
Schlaganfall
Hypertonie
Koronare HK
Raynaud-Syndrom
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Behandlung der Migräne und anderer
Kopfschmerzen in Schwangerschaft und Stillzeit –
Leitlinie der Deutschen Migräne- und
Kopfschmerzgesellschaft (DMKG)
Ulrike Bingel1, Stefan Evers2, Frank Reister3,
Friedrich Ebinger4, Wolfgang E. Paulus5
EURAP-Seminar am 10.10.2009
EURAP-Seminar am 10.10.2009
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Triptane in Schwangerschaft:
Schwangerschaftsregister
ƒ Sumatriptan
ƒ 516 evaluierte Schwangerschaften bis 2008
ƒ Exposition im 1. Trimester: Fehlbildungsrate 4,4% (CI: 2,7-7,0)
ƒ Kein Unterschied zwischen oraler und subkutaner Gabe
ƒ Rizatriptan
ƒ 69 Schwangerschaften evaluiert bis 2006
ƒ Exposition im 1. Trimester: Fehlbildungsrate 3,1% (CI: 0,4-11,1)
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Akuttherapie der Migräne:
Besonderheiten in der Stillzeit
ƒ Sumatriptan
ƒ 14% orale Bioverfügbarkeit
ƒ Übergang in Muttermilch nachweisbar
ƒ Kein Nachweis mehr 8 Stunden nach Applikation
ƒ Ergotamine
ƒ Wegen vasokonstriktorischer Eigenschaften absolut kontraindiziert
ƒ Antiemetika
ƒ Dimenhydrinat am sichersten
ƒ Metoclopramid wegen der Gefahr extrapyramidaler Nebenwirkungen
vermeiden
EURAP-Seminar am 10.10.2009
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EURAP-Seminar am 10.10.2009
Orale Kontrazeptiva und Kopfschmerzen
ƒ Rasmussen 1993: kein signifikanter Einfluss, aber Trend zu
weniger Migränetagen
ƒ Whitty 1966; Epstein 1975: Verbesserung der Migräne
ƒ Dalton 1976; Mazal 1978: Verschlechterung der Migräne
ƒ Erstmalige Triggerung einer Migräneattacke möglich; dann
häufiger Migräne mit Aura und häufiger außerhalb der
„Pillenpause“
ƒ In doppelblinden, placebokontrollierten Studien keine erhöhte
Inzidenz von Kopfschmerzen unter Kontrazeptiva
ƒ Cave: Pseudotumor cerebri
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Orale Kontrazeptiva, Migräne und
Schlaganfall
Inzidenz (auf 100.000 Patientinnenjahre)
Becker 1999
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Postmenopausale Kopfschmerzen:
Epidemiologie
ƒ Erstmanifestation nach Menopause
ƒ Bis 17% aller Migränepatientinnen (sog. Late-life-migraine)
ƒ Bis 14% aller Patientinnen mit Kopfschmerz vom Spannungstyp
ƒ Verlauf vor/nach Menopause
ƒ Migräne 62% gebessert; 20% unverändert; 18% verschlechtert (positive
Prädiktoren: menstruelle Migräne; keine Migräne während Schwangerschaft)
ƒ Kopfschmerz vom Spannungstyp: 30% verbessert; 22% unverändert; 48%
verschlechtert
Nattero 1982; Neri 1993
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Postmenopausale Kopfschmerzen:
Epidemiologie
ƒ Kopfschmerzen nach operativer Menopause häufiger
ƒ Migräne nach operativer Menopause bei 66% verschlechtert;
Kopfschmerz vom Spannungstyp von Art der Menopause
unbeeinflusst
ƒ Migräne ist keine Indikation für Hysterektomie/Adnektomie
ƒ Lichten 1990: Postmenopausale Migräne bei ca. 2/3 gebessert
ƒ Geschlechtsverhältnis M:W = 1:1,5 bis 1:2; signifikant häufiger
Migräne mit Aura
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Hormone und Kopfschmerzen:
Pragmatisches Vorgehen
ƒ Menstruelle Migräne
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Naproxen als Kurzzeitprophylaxe
Östrogenpflaster (100 µg) oder Östrogengel als Kurzzeitprophylaxe
Hormonale Kontrazeption versuchsweise absetzen
Hormonale Kontrazeption durchgehend einnehmen
ƒ Schwangerschaft
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Nicht-medikamentöse Verfahren ausschöpfen
Paracetamol (evt. plus MCP) in der Attacke
Magnesium zur Prophylaxe
Nur bei strenger Indikation: Metoprolol oder Amitriptylin
ƒ Postmenopausale Migräne
ƒ Versuch der Östrogensubstitution
ƒ Betablocker als Prophylaxe
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Hormone und Kopfschmerzen:
Zusammenfassung
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Epidemiologische Daten sprechen für einen Zusammenhang
zwischen Geschlechtshormonen und Migräne; Kopfschmerz
vom Spannungstyp nur wenig beeinflusst
Schwankungen des Östrogenspiegels wahrscheinlich
entscheidende Einflussgröße
Pathomechanismen über Eingriff in 5HT-Metabolismus,
Opioidregulation und Prostaglandinsynthese
Hormongebundene Migräneformen i.a. schwerer zu behandeln
Leitlinien unter www.dmkg.de
EURAP-Seminar am 10.10.2009
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

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