Dauernd Kopfschmerzen – Was steckt dahinter?

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Dauernd Kopfschmerzen – Was steckt dahinter?
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I n f o r m a t i o n s m a t e r i a l
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Dauernd Kopfschmerzen – Was steckt dahinter?
Millionen Deutsche plagen sich täglich mit Kopfschmerzen. Sie können zwar sehr
schmerzhaft aber harmlos oder Zeichen einer ernsten Erkrankung sein. Von chronischen Kopfschmerzen spricht man erst, wenn die Beschwerden im Durchschnitt innerhalb eines Vierteljahres an mehr als 15 Tagen im Monat und für mindestens vier Stunden täglich bestehen. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz!
Es gibt mehr als 200 verschiedene Arten
dieses Beschwerdebildes. Doch etwa 90
Prozent der Betroffenen leiden entweder
unter dem sogenannten Spannungskopfschmerz, dem selteneren Clusterkopfschmerz oder unter Migräne. Aber was
macht hier den Unterschied aus? Spannungskopfschmerz kann nur eine halbe
Stunde anhalten, aber auch bis zu einer
Woche andauern. Er fühlt sich dumpf an
und baut sich allmählich auf. Die Betroffenen haben das Gefühl, mit dem Kopf in
einem Schraubstock zu stecken oder einen
viel zu engen Helm zu tragen. Clusterkopfschmerz hingegen ist eher eine zeitlich begrenzte Schmerzattacke von maximal drei
Stunden. Er tritt plötzlich mit sehr hoher
Intensität auf, ist auf eine Kopfseite beschränkt und wird von Patienten oft mit
spitzen Messerstichen verglichen. Typischerweise liegt das Schmerzzentrum hinter
einem Auge. Bei Migräne kommt neben bis
zu zwei Tagen anhaltendem mitunter heftigem Kopfschmerz noch eine Reihe von Begleitsymptomen dazu. Die Betroffenen können sehr lichtempfindlich sein, starke Übelkeit empfinden, unter Sehstörungen,
Schwindel und vielem mehr leiden. Neben
diesen sogenannten primären Kopfschmerzen gibt es noch eine Vielzahl von Kopfschmerzen, die durch Erkrankungen oder
Verletzungen ausgelöst werden. Häufig
gehen Infekte, Durchblutungsstörungen,
aber auch Probleme mit der Halswirbelsäule
mit Kopfschmerzen einher. Ein Hirntumor
oder ein drohender Schlaganfall können
ebenfalls mit Kopfschmerzen einhergehen.
Sonderform Medikamentenkopfschmerz
Unter dieser Form erkranken besonders
Menschen, die an Spannungskopfschmerzen oder Migräne leiden. Wegen ihrer zum
Teil mehrere Tage andauernden Beschwerden nehmen sie täglich mehrere Schmerztabletten. Das Übermaß an diesen Arzneien
hat eine folgenschwere Nebenwirkung. Die
Medikamente verursachen selbst Kopfschmerzen! In der Folge werden weiterhin
Tabletten, quasi ohne einen Tag Pause, eingenommen. An die Stelle der Ausgangsbeschwerden tritt nun der Medikamentenkopfschmerz. Er fühlt sich ähnlich wie
Spannungskopfschmerz an. Im Unterschied
dazu gibt es jedoch kaum noch beschwerdefreie Tage. Ein Teufelskreis aus dem die
meisten nur mit absolutem Tablettenentzug
wieder hinaus finden. Viele Menschen
schaffen den Weg aus diesem Teufelskreis
nur in der Klinik.
Eine Sonderform stellt der Kopfschmerz als
direkte Nebenwirkung von anderen Wirkstoffen dar, die nicht in die Palette der
Schmerzmittel gehören. Unter den Medikamenten spielen besonders Nitrate, Calciumantagonisten, Amiodaron, Lithium und
Steroidhormone eine wichtige Rolle.
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Der Fall Uwe S.
Ganz plötzlich, quasi aus dem Nichts, bekommt er Kopfschmerzen. So heftig hatte
Uwe S. diese noch nie erlebt. Weil nichts
hilft und Wochenende ist, schleppt er sich
zum Notarzt. Der verschreibt jedoch erst
einmal Schmerztabletten und schickt ihn
nach Hause. Doch der Schmerz ist kaum zu
unterdrücken. Drei Tage später stellt sich
Herr S. erneut in einem Notfallzentrum vor.
Wieder kann man ihm hier nur eine
Schmerzbehandlung anbieten. Den Patienten beschleichen Zweifel. Deshalb lässt er
sich nach einer Woche Dauerschmerz in die
neurologische Klinik in Weimar überweisen.
Dort hat der behandelnde Neurologe bald
einen Verdacht: Donnerschlagkopfschmerz!
Dieses sekundenschnelle Einschießen von
Schmerzen in den Kopf heißt nichts Gutes.
Liegt hier eine akute Hirnblutung vor? Hat
der Patient ein ausgebeultes Hirngefäß, ein
Aneurysma, das undicht ist? Der Verdacht
ruft eine spezielle Diagnostik auf den Plan.
Der Patient wird mit Ultraschall und Compu-
tertomographie untersucht. Doch nichts
bestätigt die Vermutung. Für die Ärzte kein
Grund zur Entwarnung. Es könnte daran
liegen, dass schon zu viel Zeit vergangen ist
und sich das Blut so verteilt hat und verdünnt ist, dass es mit der Tomographie nicht
mehr sichtbar ist. Die Neurologen untersuchen das Nervenwasser von Uwe S. Darin
lässt sich Blut nachweisen. Also ist doch ein
Gefäß undicht. Es ist Gefahr in Verzug. Der
Mann aus Weimar muss unters Messer. Die
Operation zeigt, die Hirnblutung ist zwar
zum Stillstand gekommen, doch unbehandelt droht ihm schon bald die nächste. Eines
seiner Hirngefäße war „ausgeleiert“. Es
hatte sich eine Aussackung, ein Aneurysma,
gebildet. Die gedehnten Wände der Beule
drohten jederzeit erneut aufzuplatzen. Das
ausströmende Blut hätte das Gehirn lebensgefährlich schädigen können. Während des
Eingriffs wird das Aneurysma sofort abgedichtet. Das ist Uwe S. Rettung. Sein Kopfschmerz war für ihn ein Warnzeichen, was
letztlich sein Leben gerettet hat.
Warnzeichen Donnerschlagkopfschmerz
Wenn der Schmerz ganz plötzlich und zum ersten Mal regelrecht wie ein Donner in den Kopf
einschlägt, dann ist Vorsicht geboten. Der sogenannte Donnerschlagkopfschmerz sollte sofort
abgeklärt werden. Möglicherweise ist er die Folge einer Hirnblutung oder eines Schlaganfalls.
Weitere Ursachen könnten Verschlüsse von Hirnvenen, stark erhöhter Blutdruck oder eine Hirnhautentzündung sein. Wichtigster Anhaltspunkt ist der schlagartige, explosionsartige Beginn
und die meist heftigen Schmerzen. Kommen Begleitsymptome wie plötzliches Schwitzen und
Herzklopfen dazu, deutet dies ebenfalls auf ein Hirnproblem hin.
Wann mit Kopfschmerzen zum Arzt?
Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) gibt zusammen mit anderen Fachgesellschaften hierzu folgenden
Rat: Wenn…
 Kopfschmerzen an mehr als zehn
Tagen pro Monat auftreten.
 Kopfschmerzen mit weiteren Symptomen wie Lähmungen, Gefühls-,
Seh-, Gleichgewichtsstörungen, Augentränen oder starkem Schwindel
einhergehen.
 Kopfschmerzen mit psychischen
Veränderungen wie Störungen des
Kurzzeitgedächtnisses oder Störungen der Orientierung zu Zeit, Ort
und Person einhergehen.
 Kopfschmerzen erstmals im Alter
von über 40 Jahren auftreten
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Kopfschmerzen in ihrer Intensität,
Dauer und/oder Lokalisation unüblich sind.
Kopfschmerzen erstmals während
oder nach körperlicher Anstrengung
auftreten und/oder sehr stark sind
und in den Nacken ausstrahlen.
Kopfschmerzen von hohem Fieber
begleitet sind.
Kopfschmerzen nach einer Kopfverletzung, zum Beispiel einem Sturz
auftreten.
Kopfschmerzen trotz Behandlung an
Häufigkeit, Stärke und Dauer zunehmen.
Kopfschmerzen zusammen mit einem epileptischen Anfall und Bewusstlosigkeit auftreten.
Kopfschmerzen nicht mehr auf die
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bisher wirksamen Medikamente ansprechen.
Hilfe bei Spannungskopfschmerz
Sind andere Krankheiten als Auslöser ausgeschlossen, können die Beschwerden in der
akuten Phase bei Bedarf mit Schmerzmitteln
(ASS, Ibuprofen oder Paracetamol) behandelt werden. Allerdings sollte die Einnahme
zehn Tage pro Monat nicht überschreiten,
da sich sonst ein Medikamentenkopfschmerz ausbilden kann. Um Schmerzphasen besser zu überstehen und neuen zugleich vorzubeugen, haben sich begleitende
Maßnahmen wie Entspannungsmethoden,
Biofeedbackverfahren und Verhaltenstherapie bewährt. Auch das Vermeiden von auslösenden und verstärkenden Faktoren wie
Stress und muskulärer Fehlbelastung (Verspannung) lohnt sich. Ausdauertraining wie
Joggen, Schwimmen oder Radfahren aktiviert den Körper zusätzlich und wirkt Kopfschmerzen entgegen.
Mit Muskelkontrolle gegen Kopfweh
Die sogenannte Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen hilft vielen Patienten
mit chronischen Kopfschmerzen. Man kann
das Verfahren in Kursen zum Beispiel von
Krankenkassen, an Volkshochschulen oder
bei speziell geschulten Therapeuten erlernen. Bei der Progressiven Muskelentspannung, kurz PMR, handelt es sich um eine
Methode, bei der durch bewusste An- und
Entspannung bestimmter Muskeln und
Muskelgruppen ein Zustand tiefer Entspannung erzeugt werden soll. Dazu werden in
einer ganz bestimmten Reihenfolge Muskelpartien angespannt. Nach einem kurzen
Halten richten sich alle Gedanken auf das
Lockerlassen der Muskeln. Effekt ist das
Bewusstmachen der eigenen unbemerkten
Körperspannung und eine Absenkung derselben unter Normalniveau. Die Betroffenen
lernen zudem, das Herabsenken der Anspannung gezielt selbst herbeizuführen und
so Druck abzubauen.
Geld sparen bei Kopfschmerztabletten
Schmerzmittel sind der häufigste Grund für
den Gang in die Apotheke. In anderen Ländern gibt es solche Medikamente auch in
Drogerien, hierzulande sind sie apothekenpflichtig. Woran viele nicht denken – bei
Schmerzmitteln gibt es eine gewaltige Preisspanne zwischen Markenprodukten und
Nachahmerpräparaten (Generika). Beispiel –
Aspirin. Wirkstoff: Acetylsalicylsäure, kurz
ASS. Das Mittel hilft gegen Schmerzen, Entzündungen und Fieber. Doch neben dem
Original gibt es viele weiterer Präparate mit
dem gleichen Wirkstoff. Und die sind deutlich billiger. 20 Tabletten Aspirin kosten, je
nach Apotheke, etwa 5,47 Euro. 20 Tabletten ASS vom Hersteller 1APharma kosten
2,00 Euro. Gleicher Wirkstoff, gleiche Menge, Preis jedoch – weniger als die Hälfte.
Warum kaufen viele dennoch das teurere
Produkt? Dr. Lisa Goltz von der unabhängigen Arzneimittelberatung weiß aus vielen
Patientengesprächen: „Das hat oft mit der
Gewohnheit zu tun. Außerdem wagen viele
keine Experimente, wenn sie mit einem Präparat einmal gute Erfahrungen gemacht
haben.“ Ein anderer Wirkstoff in Schmerzmitteln –Paracetamol. Stillt Schmerzen,
senkt Fieber, hilft aber weniger bei Entzündungen. Beim Hersteller ratiopharm kosten
20 Tabletten 2,30 Euro. Gleicher Wirkstoff,
gleiche Menge – Paracetamol 500 von 1a
Pharma kostet nur 1,34 Euro. Immerhin
knapp ein Euro weniger. Aber sind die billigen Pillen wirklich wirksam? Dr. Lisa Goltz
erklärt: „Sie sind prinzipiell gleichwertig,
denn das ist die Voraussetzung für die Zulassung. Dadurch, dass der Wirkstoff eben
im gleichen Zeitrahmen und im gleichen
Ausmaß im Körper ankommt, muss man
davon ausgehen, dass auch die Wirksamkeit
die gleiche ist.“ Noch ein Beispiel – der
Wirkstoff Ibuprofen. Oft besser verträglich
als ASS, wirkt auch gegen Entzündungen.
Das Markenprodukt Dolormin Migräne, 20
Tabletten, kostet 9,97 Euro. Ibuprofen von
Ibu beta dagegen nur 3,95 Euro, sage und
schreibe sechs Euro weniger. Viel Sparpotential, aber sollte wirklich immer der Preis
entscheiden? „Wenn man gute Erfahrungen
mit einem Arzneimittel gemacht hat und
gern dabei bleiben möchte, spricht natürlich
überhaupt nichts dagegen. Es spricht aber
andersrum auch nichts dagegen, ein günstigeres Arzneimittel auszuprobieren, wenn
man keine Vorbehalte dagegen hat“, rät Dr.
Lisa Goltz. Eine gute Apotheke wird in jedem Fall auch eine preiswerte Alternative
empfehlen. Ansonsten – fragen lohnt sich.
Billiger geht fast immer.
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Hilfe bei Clusterkopfschmerz
Clusterkopfschmerz ist zwar nicht heilbar, kann aber in den meisten Fällen medikamentös behandelt werden. Normale Kopfschmerzmittel wirken bei ihm kaum. Die Behandlung gehört in
die Hand von Neurologen. Sie haben ein Spektrum an Wirkstoffen zur Verfügung, was fein auf
Patient und Beschwerden abgestimmt werden kann. Auch eine dazu parallel verlaufende psychosoziale Therapie hilft vielen Patienten wieder Freude am Alltag zu finden und sich von der
Angst vor den Attacken nicht einschüchtern zu lassen.
Behandlung von Migräne
Der Begriff Migräne stammt aus dem Griechischen und heißt so viel wie „halber
Schädel“. Zehn Prozent unserer Bevölkerung, zumeist Frauen, leiden an dieser neurologischen Erkrankung. Die anfallsartigen
starken und zumeist einseitigen Kopfschmerzen gehen häufig einher mit Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Bei etwa 15-20 Prozent der
Migränepatienten bildet sich neben der Attacke eine sogenannte Aura aus. Sie zeigt
sich durch Einschränkungen und Veränderungen des Sehens und des Gesichtsfeldes
sowie Störungen des Geruchssinns, des
Gleichgewichts oder der Sprache. Migräne
ist wie der Spannungskopfschmerz und der
Clusterkopfschmerz eine primäre Kopfschmerzerkrankung. Das heißt, sie ist nicht
die Folge anderer Erkrankungen wie Hirntumoren, -traumata oder -blutungen oder
Entzündungen. Nach Empfehlung der Deutschen
Migräneund
KopfschmerzGesellschaft (DMKG) können zur Akutbehandlung der Migräne Schmerz- und Entzündungsprozesse hemmende Schmerzmittel wie zum Beispiel Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Ibuprofen einerseits und andererseits spezifische Migränetherapeutika aus
den Gruppen der Triptane (zum Beispiel
Sumatriptan, Naratriptan und Eletriptan)
eingesetzt werden. Wer häufig unter Migräne leidet, sollte Dosis und Menge der Medikamente von einem Arzt kontrollieren und
optimieren lassen. Neben den Schmerzmitteln brauchen die Betroffenen Ruhe und
Dunkelheit. Etwas Linderung kann auch die
Einreibung mit Pfefferminzöl auf Stirn und
Schläfen und Autogenes Training verschaffen. Wer häufigen Migräneattacken vorbeugen möchte, erzielt gute Effekte mit
Progressiver
Muskelentspannung,
mit
Biofeetback, autogenem Training, leichtem
Ausdauersport, Akupunktur und dem Abbau von Übergewicht. Mit dem Arzt kann
auch die Einnahme eines Antidepressivums
(Amitriptylin) besprochen werden. Studien
haben gezeigt, dass der Wirkstoff Migräne
vorbeugt.
Sex gegen Migräne
Echte Migräne ist normalerweise ein Spaßverderber. Wissenschaftler der Universität
Münster wollten jedoch herausfinden, ob
Kopfschmerz vielleicht sogar durch Sex gelindert werden kann. In einer Studie untersuchten sie Sexgewohnheiten von rund 800
Migränepatienten. Danach lassen sich die
Lust an der Lust erstaunlich viele nicht durch
ihre Kopfschmerzen nehmen. Im Gegenteil:
Sex zeigt sogar Wirkung. Der Neurologe
Prof. Dr. Stefan Evers betreute die SexMigräne-Studie und sagt: „Über die Hälfte
aller Migräne-Patienten hat Erfahrung mit
sexueller Aktivität – während einer MigräneAttacke. Und davon haben über 70 Prozent
eine Linderung bis hin zu einer deutlichen
Besserung der Migräne erfahren.“ Die Forscher erklären sich die Wirkung so: „Während der sexuellen Aktivität werden starke
Endorphine ausgeschüttet. Das sind bestimmte Opiate, opioidähnliche Substanzen,
die anscheinend auf die Migräne Einfluss
nehmen.“ Doch ist die häufigste aller Ausreden damit hinfällig? Prof. Dr. Stefan Evers:
„Dieser Spruch ‚Ich hab’ Migräne und deshalb fällt Sex heute aus!’ ist damit nicht
komplett widerlegt worden. Das heißt ja
nicht, dass alle Patienten davon profitieren.
Aber wenn du es willst, wenn du dich auf
sexuelle Aktivität einlassen willst, tue das
ruhig. Es gibt keinen Grund, es nicht bei
Migräne zu tun.“
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Elektroden gegen Migräne
Migränepatientin Ursel M. beschreibt ihr Leiden als „Hölle im Kopf“. Regelmäßig ist sie durch
Migräneattacken tagelang außer Gefecht gesetzt. Der Schmerz bestimmt ihr Leben. Medikamente helfen nur bedingt und auch ihre Ärzte sind zuweilen ratlos. Einige Kliniken in Deutschland empfehlen in solchen schweren und ausbehandelten Fällen einen medizinischen Eingriff.
Eingesetzt wird ein kleiner Impulsgeber, der aussieht wie ein herkömmlicher Herzschrittmacher.
Ursel M. ließ ihn sich einsetzen. Das Gerät wird unter der Haut platziert. Von ihm gehen Kabel
bis hoch zum Kopf. An ihren Enden befinden sich Elektroden, die am Hirnhauptnerv platziert
werden. Das Gerät schickt von nun an konstant elektrische Impulse und stört so die
Schmerzweiterleitung in diesen Nerven. Im Fall von Frau M. zeigt die experimentelle Methode
die gewünschte Wirkung. Die Migräneattacken werden sozusagen elektrisch abgeschaltet. Nicht
immer, aber doch so, dass es auszuhalten ist. Seitdem sie den Impulsgeber hat, ist ihr Leben
endlich wieder unbeschwerter. Leider wirkt die Methode nicht bei allen Migränepatienten. Ihre
Erfolgsquote liegt nur bei etwa 30 Prozent. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht.
Die Serie „Herzenssache“
Herzmuskelschwäche (Herzinsuffizienz) steht im November im Mittelpunkt der
„Herzwochen“ der Deutschen Herzstiftung. Aus diesem Anlass haben wir in unserer
Reihe „Herzenssache“ führende Kliniken in Mitteldeutschland besucht und erkundet,
wie Herzpatienten versorgt werden.
Eine der Einrichtungen darunter ist das
Herzzentrum in Leipzig. In einer kleinen
Ambulanz leisten zwei Krankenschwestern
dort fast Unglaubliches. Sie bieten im Anschluss an den Klinikaufenthalt individuelle
und intensive Nachsorge via Telefon an. Mit
diesem sogenannten Tele-Monitoring retten
sie Leben. Es geht um eine Krankheit mit
dem tückisch harmlosen Namen: Herzmuskelschwäche. Pia Hertel ist eine der Schwestern an der Herzinsuffizienz-Ambulanz
Leipzig: „Die Krankheit betrifft viele ältere
Patienten, aber wir haben auch ganz viele
junge Patienten.“ Sie und ihre Kollegin
Susann Wehle kennen sich aus mit dieser
Krankheit, es ist ihr Spezialgebiet. Sie rufen
die Patienten kontinuierlich zu Hause an.
Nach einem fest vorgegebenen Rhythmus.
Susann Wehle erklärt, wie es funktioniert:
„Die Patienten werden zuerst von uns geschult. Wenn Sie hier in der Klinik die Diagnose Herzmuskelschwäche bekommen, wissen sie anfangs damit nichts anzufangen.
Wir versuchen sie durch die Gespräche aufzuklären, was diese Krankheit für sie persönlich bedeutet und wie sie ihr Leben damit bewältigen.“ Zum Programm gehören
die regelmäßigen telefonischen Fragen nach
dem aktuellen Gesundheitszustand und
nach der Einnahme der Herztabletten. Zusätzlich werden vierteljährlich alle 370 Pati-
enten, die zurzeit im Programm sind, einbestellt. Blutdruck, EKG, Bauchumfang und
Gewicht werden ermittelt und protokolliert.
Die Werte werden einzeln und im zeitlichen
Verlauf ausgewertet. So ergibt sich ein genaues Bild über den Verlauf der Krankheit.
Das Ergebnis eines sechsminütigen GehTests gehört auch dazu. Damit soll die körperliche Belastbarkeit der Herzkranken ermittelt werden. Durch die enge Beobachtung des Gesundheitszustandes kann für
jeden einzelnen individuell die optimale Medikamentenkombination und Dosis ermittelt
werden. Durch ihre spezielle Ausbildung
können Susann Wehle und Pia Hertel in
Absprache mit ihrem Oberarzt Empfehlungen an die Hausärzte geben. Medikamente
und Betreuung, zusammen eine hochwirksame Kombination, sagt Pia Hertel: „Für den
Patienten lohnt es sich sehr, weil durch unsere Betreuung die Leistungsfähigkeit und
seine Lebensqualität verbessert wird. Er
muss seltener ins Krankenhaus. Und wenn
er ins Krankenhaus muss, ist die Liegezeit
kürzer. Das ist erwiesen und das Langzeitüberleben wird auch verbessert.“ Und zwar
entscheidend. Eine Studie zeigte: Durch die
Telebetreuung sank nach nur einem halben
Jahr die Sterblichkeit um 43 Prozent! Bei
den 370 Patienten der HerzinsuffizienzAmbulanz wären das 159 gerettete Leben.
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Glück auf Rezept
Gibt es das, Glück auf Rezept? Einfach eine Pille schlucken, um Schweres leicht zu machen, Angst in Mut zu verwandeln, eine Portion Glück zu kriegen, wenn man sie gerade braucht? Der Psychiater und Psychotherapeut Prof. Dr. Ulrich Hegerl versteht den
Wunsch nach einer Glückspille als zutiefst menschlich: „Die Sehnsucht ist da, allem Unangenehmen, den Bitternissen auszuweichen, die Sorgen irgendwie weg zu kriegen,
die Schuldgefühle zu betäuben. Dieses Bedürfnis ist natürlich groß.“
Es gibt Menschen, die das genaue Gegenteil
von Glück erleben. Depression. Keine Freude mehr, kein Schlaf, kein Appetit. Helfen
hier Glückspillen? Tatsächlich gibt es Medikamente, die Antidepressiva, die hier wirken. Durch sie verspüren die Betroffenen
wieder ein bisschen mehr Hoffnung, haben
mehr Energie, der Appetit kommt zurück
und sie erfreuen sich auch mal wieder an
kleinen Dingen. Aber sind Antidepressiva
Glückspillen? Patientin Christel R. kann davon erzählen. Sie arbeitet für das Bündnis
gegen Depression, bereitet gerade eine Fotoausstellung vor. Vor 18 Jahren undenkbar.
Sie war selbst betroffen. Antidepressiva retteten sie. Glücklich machten sie die Pillen
nicht: „Also high wurde ich nicht. Das habe
ich auch überhaupt nicht erwartet. Ich war
froh, dass das Weinen aufhörte, dass ich
einigermaßen stabil war. Aber ich war deswegen nicht fröhlicher oder glücklicher. Das
kann ich überhaupt nicht sagen.“ Immer
mal wird diskutiert, Medikamente wie Antidepressiva als Lifestyle-Drogen einzusetzen,
um möglichst vielen Menschen auch leichte
Ängste oder Schuldgefühle zu nehmen.
Doch das funktioniert kaum, sagt Prof. Dr.
Ulrich Hegerl: „Ein Gesunder, der Antidepressiva einnimmt, der hat keine Vorteile
davon, der wird davon nicht glücklicher,
sondern hat möglicherweise, wenn er Pech
hat, nur Nebenwirkungen.“ Um das Glück
zu zwingen, für mehr Leistung und sicheres
Auftreten, setzen Menschen auch auf andere Pillen. Aufputschmittel, Beruhigungsmittel, Rauschmittel. Doch nach dem Kick geht
es abwärts. Es droht Abhängigkeit. Manche
Mittel müssen illegal beschafft werden.
Glücklich macht das nicht. Im Reinen sein, in
der Schwebe – Medikamente können das
bisher höchstens unterstützen, aber nicht
allein herstellen. „Es ist ein Irrweg zu glauben, mit Drogen und kurzfristigem Lustempfinden irgendetwas wie Glück, vor allem
anhaltendes Glück, erleben zu können“,
weiß Prof. Dr. Ulrich Hegerl. Glück auf Rezept – noch gibt es das nicht. Wir können
die Chemie in unserem Kopf beeinflussen.
Doch das ist kein Ersatz für Glück durch
wirkliches Erleben. Dafür muss es andere
Rezepte geben.
Gäste im Studio
Oberarzt Dr. Torsten Kraya, Neurologe, Universitätsklinikum Halle/Saale
Josephine Reinshagen, Leitende Psychologin, Schmerzzentrum Klinikum St. Georg, Leipzig
Buchtipp
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Anschrift/ Thema der nächsten Sendung
MDR FERNSEHEN, Redaktion Wirtschaft und Ratgeber „Hauptsache Gesund“
in 04360 Leipzig, Faxabruf: 01803/151534, Internet:
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Thema der Sendung vom 28.11.2013: „Sanfte Therapien gegen Arthrose und Rückenschmerzen“
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