Die digitale Welt als Wahlhelfer

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Die digitale Welt als Wahlhelfer
Nr. 4 | 28. April 2013
Mani Matter Die Biografie | Judith Kuckart Wünsche | Mo Yan Frösche |
Doris Knecht Besser | Porträt von Alaa al-Aswani | Mario Vargas Llosa Alles
Boulevard | Werner Ort Heinrich Zschokke | Urs Schoettli Die neuen Asiaten |
Weitere Rezensionen zu Ernst Herbeck, Navid Kermani, Carlo Ginzburg,
Stephen Hawking und anderen | Charles Lewinsky Zitatenlese
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Inhalt
Den roten
Faden finden
Mani Matter
(Seite 19).
Illustration von
André Carrilho
Der italienische Historiker Carlo Ginzburg reflektiert in seinem neuen
Essayband über die Schwierigkeit eines Forschers, «im Labyrinth aus
Ideen, Hypothesen, Lektüren, das tausend Irrwege bereithält», den
roten Faden zu finden (Seite 18). Wie wahr! Häufig stehen auch wir vor
der Situation, zwischen «wahr, falsch und fiktiv» entscheiden zu
müssen – im Kontakt mit unbekannten Personen, fremden Kulturen, in
unerwarteten Situationen.
Solche Orientierung bietet zum Beispiel Urs Schoettli in seinem Buch
über die «neuen Asiaten». In seinem instruktiven Gang durch Politik,
Mentalität und Geschichte von zwölf Ländern Ostasiens legt er für uns
einen eigentlichen Pfad der Erkenntnis: Wie verläuft der Aufstieg der
Tigerstaaten? Worin unterscheiden sie sich? Wie kann ihnen der
Westen begegnen (S. 21)? Eine bereichernde Lektüre.
Dasselbe in der Belletristik. Der Besuch bei Alaa al-Aswani in Kairo
hilft uns, die politische Unruhe in Ägypten besser zu verstehen und
einen Blick auf inner-islamische Konflikte zu werfen (S. 12). Oder der
lebendige Kleinstadtroman von Judith Kuckart, der den Lebensträumen
einer Generation kurz vor 50 nachspürt (S. 4). Kuckarts Protagonistin
Vera, die neun Monate aus der Provinz flüchtet, macht nichts anderes,
als in ihrem Leben den verloren gegangenen roten Faden wieder zu
finden. Viel Spass mit diesen und anderen Büchern! Urs Rauber
Belletristik
Kurzkritiken Sachbuch
4
Judith Kuckart: Wünsche
15 Amanda Adams: Scherben bringen Glück
6
Beowulf. Das angelsächsische Heldenlied
Von Martin Zingg
Von Stefana Sabin
Jean Paul: Erschriebene Unendlichkeit
7
Von Manfred Papst
Mo Yan: Frösche
Von Sieglinde Geisel
8
Doris Knecht: Besser
9
Joey Goebel: Ich gegen Osborne
Von Sandra Leis
Von Janika Gelinek
19 Wilfried Meichtry: Mani Matter
Lisbeth Herger, Heinz Looser: Zwischen
Sehnsucht und Schande
20 E. O. Wilson: Die soziale Eroberung der Erde
Von Kathrin Meier-Rust
Von Thomas Feitknecht
Von Kathrin Meier-Rust
Von Urs Rauber
21 Urs Schoettli: Die neuen Asiaten
Von Urs Rauber
Gregor Spuhler: Anstaltsfeind und
Judenfreund
Hans Belting: Faces
Von Urs Rauber
Von Gerhard Mack
10 Ernst Herbeck: Der Hase!!!!
16 Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard – Wer
seine Kultur verliert, verliert sich selbst
11 E-Krimi des Monats
Nika Lubitsch: Der 7. Tag
17 Andreas Jungherr, Harald Schoen: Das
Internet in Wahlkämpfen
Von Christine Brand
Carlo Ginzburg: Faden und Fährten
Sebastian Conrad: Globalgeschichte
Sachbuch
Von Bruno Steiger
Von Ina Boesch
Von Geneviève Lüscher
Von Simone von Büren
Dirk Luckow: Harry Callahan
18 Navid Kermani: Ausnahmezustand
Von Geneviève Lüscher
22 Joschka Fischer, Fritz Stern: Gegen den Strom
Von Reinhard Meier
Markus Theunert: Co-Feminismus
Von Walter Hollstein
23 Werner Ort: Heinrich Zschokke 1771–1848
Von Katja Gentinetta
Von Tobias Kaestli
24 Gerhard A. Ritter: Hans-Dietrich Genscher,
das Auswärtige Amt und die Deutsche
Vereinigung
Von Andreas Hirstein
Von Gerd Kolbe
25 Jane Hawking: Die Liebe hat elf Dimensionen
Paul Parsons, Gail Dixon: Stephen Hawking im
3-Minuten-Takt
Kurzkritiken Belletristik
11 Sophokles: Elektra
Von Manfred Papst
Von André Behr
Im Reich der Wünsche
Hans Adelmann: Einfacher leben
Von Regula Freuler
Von David Strohm
Georges Perec: Anton Voyls Fortgang
26 Joseph Barber: Das Huhn
Von Manfred Papst
Von Geneviève Lüscher
Andrzej Stasiuk: Buch über das Sterben
Das amerikanische Buch
Meredith Mason Brown: Touching America’s
History
Von Regula Freuler
Von Andreas Mink
Porträt
12 Alaa al-Aswani, Schriftsteller und Zahnarzt
Agenda
PAMELA RUSSMANN
«Wir Ägypter sind wieder im Rennen»
Von Michael Holmes
Kolumne
15 Charles Lewinsky
Das Zitat von Iwan Gontscharow
Die Österreicherin Doris Knecht glossiert im neuen
Roman die Wiener Schickimicki-Szene (Seite 8).
27 Die Druckwerkstatt der Dichter
Von Manfred Papst
Bestseller April 2013
Belletristik und Sachbuch
Agenda Mai 2013
Veranstaltungshinweise
Chefredaktion Felix E. Müller (fem.) Redaktion Urs Rauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), Geneviève Lüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)
Ständige Mitarbeit Urs Altermatt, Urs Bitterli, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Sandra Leis, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer, Andreas Mink, Klara Obermüller, Angelika Overath,
Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hans Peter Hösli (Art Director), Urs Schilliger (Bildredaktion), Raffaela Breda (Layout), Korrektorat St. Galler Tagblatt AG
Verlag NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 044 258 11 11, Fax 044 261 70 70, E-Mail: [email protected]
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3
Belletristik
Roman Judith Kuckart gelingt das überzeugende Tableau einer kleinen Stadt und ihrer
Menschen, die von vagen Hoffnungen und geplatzten Träumen erfüllt sind
Flucht aus
der Provinz
Judith Kuckart: Wünsche. Dumont,
Köln 2013. 301 Seiten, Fr. 28.90,
E-Book 24.90.
Von Martin Zingg
Silvester in einer deutschen Kleinstadt.
Vera wird schwimmen gehen, ihr Mann
Karatsch wird inzwischen, zusammen
mit dem gemeinsamen Sohn Jo, erste
Vorbereitungen treffen für die traditionelle Silvesterparty, die zugleich Veras
Geburtstagsfest sein wird. An diesem
Tag wird sie 46 Jahre alt. Wie jedes Jahr
wird auch diesmal der Film gezeigt werden, in welchem die 14-jährige Vera
einst mitgespielt hat, zusammen mit anderen längst erwachsenen Kindern, die
an diesem Abend auch zugegen sein
werden. Die Vorführung des Films, der
seinerzeit auch kurz in den Kinos lief, ist
ein Ritual geworden, und es sind immer
dieselben Freunde aus der Kleinstadt,
die dazu eingeladen werden. Es sieht
alles nach einem geordneten und sorgfältig inszenierten Rückzug aus dem
eben zu Ende gehenden Jahr aus. Dass
das neue Jahr anders aussehen wird,
kündigt sich allerdings auch an, bereits
an Silvester.
Judith Kuckart
1959 in Schwelm (Westfalen) geboren,
lebt Judith Kuckart heute als
Schriftstellerin und Regisseurin in Berlin
und Zürich. Nach dem Studium und der
Tanzausbildung leitete sie von 1986 bis
1998 das Tanztheater Skoronel. Seit
1998 arbeitet sie als freie Regisseurin.
Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen
gehören die Romane «Kaiserstrasse»
(2006) und «Die Verdächtige» (2008),
daneben schrieb sie Theaterstücke und
Hörspiele. Sie hat zahlreiche Preise
erhalten, zuletzt den Annette-vonDroste-Hülshoff-Preis 2012.
4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
«Wünsche»: So heisst der jüngste
Roman von Judith Kuckart, und der
Titel, das stellt sich bald heraus, ist doppeldeutig. Zum einen sind es unklare, oft
unabgegoltene und wohl unerfüllbare
Wünsche und Lebensträume, die einige
Figuren umtreiben und aus der gewohnten Bahn drängen – und damit zugleich
die Handlung des Romans voranbringen. Zum andern ist «Wünsche» auch
der Name einer Familie, die in der Kleinstadt einst einiges Ansehen genoss, weil
sie das einzige Kaufhaus am Ort besass.
Die Geschwister Friedrich und Meret
Wünsche sind die Erben des kleinen
Unternehmens, und Friedrich will nach
dem Tod der Mutter das längst heruntergekommene Kaufhaus wieder zu
einem Einkaufsparadies machen. Das
«Haus Wünsche», so seine Strategie,
soll mit «Retro-Look», durch einen bewussten Schritt in die Vergangenheit,
wieder attraktiv werden. Die alten
Türen sollen wieder her, die alten Verkaufstische, mehr Personal – all das
eben, was in anderen Kaufhäusern inzwischen geändert worden ist. Eine Mischung von Alt und Neu, mit der Möglichkeit, ganz zeitgemäss auch per Internet zu bestellen. Am Vorabend des
neuen Jahres steht die Eröffnung des
neu-alten Kaufhauses bevor: «Neue Zeiten», sagt Friedrich, «brechen an, indem
wir die Zeit zurückdrehen.»
Für sein vermeintlich utopisches Projekt ist Friedrich Wünsche eigens in die
Kleinstadt zurückgekehrt, nach langen
Aufenthalten in anderen Städten und erfolgreicher Tätigkeit in grossen Betrieben. Er ist dabei zu Geld gekommen,
und was er sich in seiner Heimatstadt
nun vornimmt, hat auch mit Erinnerungen an die Kindheit und Jugend zu tun.
Unterwegs aber ist Friedrich von seiner
Frau Annalisa verlassen worden, sie hat
sich mit den beiden Kindern nach Italien abgesetzt, er ist allein.
Auch seine Schwester Meret war eine
Weile weg, auch sie ist wieder zurück.
Mit ihrem Bruder teilt sie nun ein statt-
liches Haus. Und gelegentlich nimmt sie
einen Mann zu sich, die Liste ihrer Liebhaber ist ziemlich lang.
Friedrich und Meret kennen Vera aus
frühen Kindheitstagen. Diese gemeinsame Vergangenheit wird im neuen Jahr,
dessen Anbruch Vera gar nicht mehr in
der Kleinstadt erlebt, immer wieder heraufbeschworen werden. Vera arbeitet
als Lehrerin, an einer Berufsschule unterrichtet sie Maler- und Lackiererklassen in Gestaltungstechnik und Deutsch.
Ihr Sohn Jo, eigentlich Joseph, mit ganzem Namen Joseph Conrad, wird bald
zur See fahren und dabei eine Ausbildung machen. Mit ihrem Mann Karatsch, der 65 Jahre alt ist, kommt sie
leidlich aus. Und insgesamt hat sie wohl
Glück gehabt. Als junges Mädchen aus
problematischen sozialen Verhältnissen
ist sie seinerzeit von ihm und dessen
Frau Suse aufgenommen worden, nach
Suses Tod hat Karatsch sie geheiratet.
Neue Identität annehmen
Vera, und das löst gleich mehrere Erzählstränge von Judith Kuckarts Roman
aus, geht an Silvester in ein Hallenbad –
kehrt aber von dort nicht mehr nach
Hause zurück, zu Mann und Kind und
all den Gästen, die sich allmählich einfinden. Sie hat beim Aufbruch Handy
und Haustürschlüssel zu Hause liegen
lassen, ein Zeichen, das erst hinterher
gedeutet werden wird. War sie bloss
vergesslich? Oder hatte sie schon eine
Absicht vor Augen? Im Hallenbad
kommt Vera, einer plötzlichen Eingebung folgend und mit einem Trick, an
den Ausweis und die Kleider einer anderen Frau heran. Das Hallenbad verlässt
Vera Conrad nun als Salomé Schreiner,
die gemäss neuem Ausweis zehn Jahre
jünger ist, auch etwas frischer im Gesicht, Vera aber durchaus ähnlich
scheint. Noch am gleichen Tag fährt sie
nach Köln und bucht einen Flug, kurze
Zeit später ist sie in London.
Weiss Vera denn, was sie will? Sie
wäre, sagt sie sich gelegentlich, gerne
überraschenden Begegnung kommen,
die Karatsch mit jener Frau hat, der Vera
den Ausweis entwendet hat: Salomé
Schreiner. Ein beinahe unwahrscheinliches Zusammentreffen, aber im Gedränge der Kleinstadt scheint es unausweichlich, dass die beiden irgendwann
aufeinanderstossen. Und natürlich finden die beiden einander nicht unsympathisch – aber plötzlich stellt sich die Geschichte mit Vera dazwischen. Immer
kommt etwas dazwischen, und fast
immer ist es die Vergangenheit: man
kennt sich hier seit immer, war mit einander in der Schule, kreuzt die Wege.
Den Ort verlässt man nicht. Und wer ihn
dennoch verlässt, kehrt irgendwann zurück. Auch Vera kommt nach neun Monaten wieder in die Stadt zurück, ausgerechnet in dem Moment, wo sich ihr
Mann, ihr Sohn und Friedrich nach London aufgemacht haben, um sie zu holen.
LAIMA CHENKELI
Filigrane Erzählweise
Schauspielerin geworden, aber nach
einem sehr kurzen Auftritt vor Jahrzehnten hat sie nie mehr etwas in dieser
Art unternommen. Bloss geträumt hat
sie immer wieder, wie so viele andere in
ihrer Kleinstadt auch gerne träumen
von etwas anderem. Bereits mit fünf Jahren ist Vera einmal ausgebüchst, mit
dem Dreirad. Später hat sie allerhand
ausgeheckt, zusammen mit Meret. In
London, einem Ort mit ungleich mehr
Möglichkeiten, als ihre Heimatstadt bieten kann, bleibt sie lange ratlos. Aber sie
ist zugleich offen und unkompliziert.
Öfter geht sie hinter irgendwelchen
Menschen her und lässt sich überraschen vom zufälligen Ziel.
In der Zwischenzeit, als noch niemand weiss, wo Vera steckt, geht das
Leben in der Kleinstadt weiter. Karatsch
ist ratlos, Jo ist auf See. Die Menschen,
das wird immer deutlicher und ist bald
einmal beklemmend, leben hier in einer
stickigen Enge. Sie laufen einander
immer wieder über den Weg, und so
kann es selbst zu der doch ziemlich
Judith Kuckart
schreibt über Traum
und Aufruhr in einem
kleinstädtischen Netz
von Beziehungen.
Und die erste Person, die sie trifft, ist
Meret. Ihr kann sie, warum sie damals
weggegangen und jetzt zurückgekommen ist, nur so erklären: «Weg bin ich
wegen all der Leute, die ich schon so
lange kenne. Aus dem gleichen Grund
bin ich wieder zurückgekommen. Ich
dachte immer, das ist schlimm, dass ich
bei uns nur die sein kann, die alle kennen. Jetzt weiss ich, genau die kann ich
nur sein.»
Das Tableau der kleinen Stadt und
ihrer von vagen Hoffnungen und geplatzten Träumen belagerten Menschen
ist Judith Kuckart auf eine sehr schöne
Weise gelungen. Der Roman ist ausserordentlich dicht und fein gewoben, aufmerksam und durchlässig für unzählige
Details, die ein weites Netz spannen.
Zusammen entwerfen die vielen kleinen
Verweise auf unaufdringliche Weise das
Bild einer Welt mit fast schon wasserdichten Verhältnissen, gegen die selbst
kühnste Träume am Ende nicht ankommen. Ein Rest an Traum und Aufruhr
bleibt dennoch, ein unerklärlicher Rest,
den diese Figuren bis zuletzt bewahren
dürfen. Auch daraus, aus dem genauen
Blick seiner Autorin und einer filigranen Erzählweise, schöpft dieser Roman
seine Lebendigkeit. l
Ein soziales Projekt der Stiftung Tosam
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28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5
Belletristik
Epos Der Bericht von den Heldentaten des Gotenprinzen
geht immer noch unter die Haut
Beowulf. Das angelsächsische Heldenlied.
Aus dem Altenglischen von
Johannes Frey. Reclam, Stuttgart 2013.
130 Seiten, Fr. 10.40.
Von Stefana Sabin
Es ist ein Epos aus uralten Zeiten, das
eine englische sprachliche und literarische Tradition begründet hat: «Beowulf». Der Bericht über die Heldentaten
des Gotenprinzen Beowulf wurde, so
nimmt man an, jahrhundertelang gesungen, bevor er um 1000 niedergeschrieben wurde. Die einzige überlieferte
Handschrift galt lange als verschollen,
wurde wiedergefunden, dann ignoriert,
dann beschädigt, gelangte erst ins British Museum, dann in die Sammlung der
British Library, wurde transkribiert,
ediert, aus dem ursprünglichen unverständlichen angelsächsischen Dialekt in
modernes Englisch übersetzt (zuletzt
2000 vom Nobelpreisträger Seamus
Heaney), von der Romantik zum identitätstiftenden Nationalepos geadelt, von
der Moderne zur Schullektüre trivialisiert und schliesslich in einem grossangelegten
philologisch-elektronischen
Projekt 1995 digitalisiert.
Anders als das Rolands- und das Nibelungenlied, die auch wegen der geographischen Übereinstimmung zwischen dem Ort der Handlung und dem
späteren Nationalstaat zur kulturellen
Selbstfindung dienlich wurden, spielt
«Beowulf» weit von den britischen Inseln entfernt im Norden Europas, im
heutigen Südschweden und Dänemark;
von Schweden, Dänen, Friesen und
Goten ist die Rede.
Dänen kommen schon in der ersten
Zeile vor: In der neuen Übersetzung von
Johannes Frey wird von «Ger-Dänen
vergangener Tage» berichtet, die für
ihren König «die grösste der Hallen»
bauen und dort in «Frohsinn und Freude» leben, bis ein «Feind aus der Hölle /
sein Treiben begann und Tücke vollbrachte». So kommt Beowulf übers
Meer, um König Hrothgar beizustehen;
er will «dem Riesen allein im Gerichtssaal begegnen» und mit ihm kämpfen:
«Held gegen Held.» Zuerst tötet Beowulf den Geist Grendel, dann Grendels
Mutter, er wird als Retter gefeiert, reich
beschenkt und kehrt mit den Schätzen
heim zu König Hygelac; als zuerst dieser
und dann dessen Sohn Heardred sterben, wird Beowulf selbst König. Fünfzig
Jahre regiert er friedlich, aber als sein
Reich von einem Drachen überfallen
wird, muss er als alter Mann noch einmal in den Kampf. Zwar gelingt es ihm,
den Drachen zu bezwingen, aber dabei
wird er selbst tödlich verwundet. «Er
selbst wusste nicht, / wie sein Abschied
von Erden sein Ende aussah.» Statt eines
Happy Ends der Tod des Helden im
Kampf, seine feierliche Bestattung und
das Klagen des Volkes: «Er wäre ein
wahrhafter Held, / ein König auf Erden,
und von allen der Beste: / gerecht und
auch freigebig, freundlich und gütig /
und zu ewigem Ruhm immer bereit.»
Wie viele kanonische Werke wurde
«Beowulf» immer wieder auch ins
Deutsche übersetzt, nachgedichtet und
nacherzählt. 2007 hat Gisbert Haefs in
BRIDGEMANART
Beowulf
neu erzählt
Beowulf kämpft mit
dem Unhold Grendel.
Lithografie von John
Henry F. Bacon
(um 1910).
einer Prosafassung Beowulf zu einem
«Krieger in der Not» entmystifiziert,
dessen ungewollter Kampf mit dem
Drachen die Unausweichlichkeit des
Todes in einer von der Schicksalsmacht
Wyrd regierten Welt suggeriert. Frey
dagegen deklariert das Epos, in dem
sich germanische Sagenstoffe mit christlichen Motiven vermengen, schon im
Untertitel als «Heldenlied» und bewahrt ihm sein Pathos. Er begradigt
nicht und behält gattungsübliche Redundanzen bei; und indem er den hohen
Ton heldischer Dichtung nachmacht,
gekünstelt archaisierende Wortfindungen und Stabreime einsetzt, lässt er die
atmosphärische Aura des Originals und
seine «literarische Schönheit und
Wucht» durchscheinen. ●
Briefe Jean Paul zeigt sich auch in seiner Korrespondenz als phantasievoller Wortschöpfer
Voll Sprachwitz und geistigem Wagemut
Jean Paul: Erschriebene Unendlichkeit.
Briefe. Hanser, München 2013.
783 Seiten, Fr. 46.90.
Von Manfred Papst
Zum 250. Geburtstag des wunderbaren
Erzählers Jean Paul (1763–1825) sind
mehrere umfangreiche Biografien erschienen (vgl. «Bücher am Sonntag»,
März 2013), aber kaum etwas von ihm.
Das Leben des Autors, das sich zwischen
Hof, Leipzig, Schwarzenbach und Berlin,
Meiningen, Coburg und Bayreuth abspielte, scheint die Menschen mehr zu
interessieren als seine von Sprachwitz
und geistigem Wagemut durchwirkten
Romane, Erzählungen und theoretischen
Schriften. Von der vorbildlichen Hanser6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
Ausgabe seiner Werke verkaufen sich
jährlich nur neun bis zehn Exemplare:
Das beklagt der Verleger Michael Krüger in seinem Blog.
Ein freundlicheres Schicksal möchte
man einer vortrefflichen Briefauswahl
wünschen, welche die Jean-Paul-Experten Markus Bernauer, Norbert Miller
und Helmut Pfotenhauer nun im gleichen Verlag vorlegen. Sie ist die erste
ihrer Art seit fast hundert Jahren und
zeigt Jean Paul in all seinen Facetten: als
Schwärmer, Plauderer und Phantasten,
als wortmächtigen Schilderer und zärtlichen Causeur, als selbstkritischen, ungemein offenen Geist, der auch die Niederungen des Alltags nicht scheut. Ob
er an Goethe, Herder («Einziger und
Erster!»), Jacobi oder Schlegel schreibt,
an seine Mutter, die Kinder oder sein
«geliebtes Weib»: Stets weiss er sich auf
den Adressaten einzustellen. Er beherrscht die Klaviatur verschiedenster
Tonfälle und bleibt doch immer er
selbst. Den Freundinnen seiner Jugend
schreibt er charmant virtuos verspielt,
mit den Dichterfreunden diskutiert er
über souverän poetische Fragen und
Probleme des Zeitgeists.
Die Auswahl «Erschriebene Unendlichkeit» beruht auf der achtbändigen,
1956 bis 1964 im Akademie-Verlag erschienenen Edition der Briefe Jean Pauls
im Rahmen der Historisch-kritischen
Ausgabe von Eduard Berend und folgt
deren Wortlaut exakt. Das erhöht den
Reiz der Lektüre, ohne sie zu erschweren. Erhellende Zwischentexte, Anmerkungen und ein tadelloses Register ergänzen den schön gestalteten Band. ●
Roman Der chinesische Literaturnobelpreisträger Mo Yan hat ein harmloses Buch über die
chinesische Ein-Kind-Politik geschrieben
Erlebnisse einer Frauenärztin
Mo Yan: Frösche. Aus dem Chinesischen
von Martina Hasse. Hanser, München
2013. 500 Seiten, Fr. 34.90, E-Book 27.90.
Im Nachwort zu seinem Roman «Frösche» aus dem Jahr 2009, also lange vor
dem Nobelpreis und den Debatten über
seine politische Haltung, richtet Mo Yan
sich offenkundig an westliche Leser. Er
beschreibt, in welche Konflikte ein chinesischer Autor gerät, wenn er «heikle
Themen» anspricht. «Man braucht für
heikle Fragen Mut, man braucht gute Fähigkeiten, sich schriftlich zu äussern,
aber man braucht genauso das ehrliche
Schriftstellergewissen.»
Wenn ein Autor vor heiklen Themen
zurückscheue, heisse es, er habe sich
von den Funktionären kaufen lassen.
Wende er sich jedoch heiklen Fragen zu,
werde er gleich «der Liebedienerei gegenüber dem Westen» bezichtigt. Eine
Zeitlang habe er sich Mühe gegeben,
nirgends anzuecken, so Mo Yan, doch
damit sei es nun vorbei. «Nur meinem
Gewissen Rechenschaft schuldig, suche
ich mir die Themen aus, über die ich
schreiben möchte.» Nun, das erwartet
man von einem Autor, den man ernst
nehmen soll, eigentlich immer, egal
unter welchen Bedingungen er schreibt.
Schon in der Wendung «heikle Themen» steckt die Akzeptanz der Zensur.
Ob das dem Autor bewusst ist?
Grausig, oft tödlich
Das heikle Thema, das der Nobelpreisträger Mo Yan in seinem Roman «Frösche» zur Sprache bringt, ist die EinKind-Politik, mit der China seit 1979 das
Bevölkerungswachstum eindämmt, mit
drastischen Massnahmen wie Zwangssterilisation und erzwungenen Spätabtreibungen. Der Roman umfasst ein halbes Jahrhundert chinesischer Geschichte, angefangen von der Zeit der Hungersnot 1960, in dem der 1953 geborene
Ich-Erzähler als Kind Kohle gegessen
hat, bis ins Jahr 2008, wo die Neureichen
im Ferrari herumfahren und die EinKind-Politik etwa durch ein organisiertes (und trauriges) Geschäft mit Leihmüttern ausgetrickst wird.
Die Protagonistin Gugu, geboren 1937
und Tante des Ich-Erzählers, ist Landfrauenärztin, und sie hat fast alle Figuren, die in dem Buch vorkommen, ans
Licht der Welt befördert, inklusive dem
Ich-Erzähler. Gugu ist eine energische,
begabte, tüchtige Frau. In den 1960er
Jahren, als die Chinesinnen noch viele
Kinder für ihr Land gebären sollten, war
sie eine der ersten, die sich auf die westliche Geburtshilfe verstand, doch ab
1979 stellt sie sich mit ihrer ganzen, zum
Fanatismus neigenden, Leidenschaft in
den Dienst der Ein-Kind-Politik. Oft ist
es ein Wettlauf mit der Zeit zwischen
den Schwangeren und dem Abtrei-
REUTERS
Von Sieglinde Geisel
Das Erstgeborene
hat Glück und darf
leben. Seit 1979
wird in China mit der
Ein-Kind-Politik das
Bevölkerungswachstum eingedämmt.
Wie eine Landärztin
mit diesem Verbot
umgeht, ist Thema in
Mo Yans neuem Buch.
bungskommando, denn «ist es erst
durch die Ofentür, zählt es als Mensch
(...). Ist es ein Mensch, geniesst es den
Schutz des Gesetzes.»
Die Szenen, die Mo Yan schildert,
sind grausig, und oft enden sie tödlich,
so auch bei der Spätabtreibung, zu welcher der Ich-Erzähler seine erste Frau
zwingt. Ein Geflecht von Schuld und
Verhängnis durchzieht das Buch, das
sich als Briefroman ausgibt: Der Empfänger der Briefe ist der Japaner Sugitani san, Sohn eines Generals aus dem japanisch-chinesischen Krieg. Er bittet
die Chinesen um Verzeihung für die
Taten seines Vaters, während der IchErzähler wiederum sagt, dass er durch
seine Berichte an den japanischen Brieffreund sein eigenes Verbrechen sühne.
Fast jeder versündigt sich in diesem
Roman in irgendeiner Weise an den anderen, allen voran Gugu, die sich zum
Instrument einer als notwendig empfundenen, gleichzeitig unmenschlichen
Politik hat machen lassen. Diese Politik
wird letztlich im Buch nicht in Frage gestellt: Die Kritik des Westens an der chinesischen Bevölkerungspolitik sei «unangebracht», so der Ich-Erzähler,
schliesslich sei die Eindämmung der
Bevölkerungsexplosion im Interesse der
ganzen Menschheit.
Fiktion und Realität durchdringen
sich in den Romanen Mo Yans. Manche
Szenen fransen ins Surreale aus, und das
Theaterstück über Gugu, von dem im
Roman ständig die Rede ist, ist im letzten Kapitel des Buchs abgedruckt und
gewinnt gleichzeitig seine eigene Wirklichkeit, wenn etwa der Regisseur in die
Handlung einzugreifen versucht. Doch
was auf den ersten Blick virtuos aussieht, bleibt erstaunlich flach. Die ausufernde Frosch-Symbolik etwa – die
Schriftzeichen für Frosch und Baby werden im Chinesischen gleich ausgesprochen – wirkt angestrengt. Gugu leidet an
einer Froschphobie (Froschquaken
klingt für sie wie das Weinen von Neugeborenen). Kaulquappen erinnern
zwar an Spermien, gelten jedoch auch
als Verhütungsmittel. Der Erzähler
selbst hat sich als Theaterautor das
Pseudonym Kaulquappe gegeben, als
Schriftsteller wiederum vergleicht er
sich mit einem Frosch, der auf einem
Seerosenblatt auf Mücken wartet – etc.
Farbiges Bauernmilieu
Bei aller Farbigkeit und Drastik des Bauernmilieus wirken die Figuren wie Fallbeispiele, an denen etwas demonstriert
wird. «Frösche» ist ein Buch über ein
Thema. Wir erfahren viel über die chinesische Bevölkerungspolitik – mit welchen Methoden die Ein-Kind-Politik
durchgesetzt wurde, welche Bussen für
die «überzähligen Kinder» bezahlt werden mussten, welche Lockerungen die
späteren Jahre brachten. Doch wie es
sich anfühlte, unter der Ein-Kind-Politik
zu leben, was es für die einzelnen Menschen (vor allem die Mütter) bedeutete,
in der intimen Frage des Kinderkriegens
derart gewaltsam fremdbestimmt zu
werden, welche Trauer damit verbunden ist – das erzählt Mo Yan nicht. Und
so bleibt der Roman, trotz aller aufwühlenden Ereignisse, die er schildert, seltsam harmlos. ●
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7
Belletristik
Roman Die österreichische Autorin Doris Knecht legt mit «Besser» ihr zweites grosses Werk vor. Darin
beschreibt sie, warum sich ihre Heldin als Hochstaplerin fühlt
Von der Unterschicht in die
Wiener Schickeria
regelmässig als DJane auf. Doch damit
nicht genug: Knecht, die Meisterin der
Kurzstrecke, probiert auch die Langstrecke aus. Vor zwei Jahren veröffentlichte
sie mit dem Roman «Gruber geht» ihr
literarisches Debüt, landete einen Überraschungserfolg und obendrein auf der
Longlist für den Deutschen Buchpreis.
Derzeit wird das Buch verfilmt.
Schildert Doris Knecht in ihrem Erstling das Leben eines frauenfressenden
Kotzbrockens, der eines Tages an Krebs
erkrankt und eine minimale Läuterung
durchmacht, so kippt der Zweitling der
Autorin auf den letzten vierzig Seiten
um in Kitsch. Die zornige Antonia Pollak
(«Ich wollte einen Gott, um ihn zu verfluchen») erlebt aufgrund des Mordes
an ihrer Putzfrau eine Katharsis, die zu
viel des Guten ist.
Die Stärken dieses Romans liegen anderswo – in der Milieustudie der Wiener
Schickeria sowie in Figurenporträts.
Wir wissen nun, warum und wie langjährige Freundschaften an Vegetarismus
zerbrechen können. Wir wundern uns
zusammen mit Antonia über Freunde,
die zu einer Einladung immer ihre
Nanny mitbringen, und denken nach
über die Frage: «Wer hat […] die Hoheit
über Rechte und Pflichten des Kindermädchens, die Arbeitgeber oder die
Gastgeber?» Was immer Doris Knecht
unters Mikroskop legt und seziert, sie
beobachtet exakt wie eine Naturwissenschafterin und schreibt launig und klug
wie eine Kolumnistin, ohne den Befund
zu werten. Wobei ihre Sprache gelegentlich zu sehr ihre eigene ist und weniger
die einer sozialen Aufsteigerin.
Doris Knecht: Besser. Rowohlt,
Berlin 2013. 285 Seiten, Fr. 28.50,
E-Book 25.90.
Von Sandra Leis
JODY HORTON / GALLERY STOCK
Antonia Pollak führt ein Leben, von dem
viele träumen: Sie hat einen umsichtigen Mann, der als Immobilienhändler
und Kunstsammler in den schicken
Wiener Kreisen verkehrt. Sie hat zwei
(meistens) schnucklige Kleinkinder, die
– dem österreichischen Sozialstaat sei
Dank – bereits den Kindergarten besuchen. Sie verfügt über eine Kreditkarte
und hat viel freie Zeit, in der sie sich als
Künstlerin betätigen kann. Im Moment
allerdings ist sie eine «Künstlerin i. R.»,
was sich nach ihren eigenen Angaben
jederzeit wieder ändern kann.
Alles paletti also, möchte man meinen. Doch das ist bloss die makellose
Oberfläche. Darunter versteckt Antonia
einen Liebhaber, der für Abwechslung
im geordneten Alltag sorgt. Und, das ist
gravierender, sie vertuscht ihre Vergangenheit, von der ihr Mann keine Ahnung
hat. Sie ist die Tochter einer alkoholkranken Mutter und gerät als Teenager schliesslich auf die schiefe Bahn.
Später wird sie heroinsüchtig, trägt eine
wie auch immer geartete Mitschuld am
Tod einer alten Frau und verirrt sich in
die Fänge eines ominösen Mannes, dessen äusserliches Merkmal eine grosse
rote Narbe am Hals ist. Dieser Mann,
der Inbegriff des Bösen, lauert ihr
schliesslich in ihrem neuen properen
Leben auf. Die beiden Welten drohen
miteinander zu kollidieren, doch Antonia weist das Böse in die Schranken. Das
alles ist sehr dick aufgetragen und wirkt
arg konstruiert – mehr behauptet denn
erzählt.
Spitzfedrige Kolumnistin
Glaubwürdig hingegen ist die Hauptfigur und Ich-Erzählerin, wenn sie schildert, wie es sich anfühlt, als Kind aus
der Unterschicht plötzlich Teil der Wiener Schickeria zu sein. Und immer wieder die Blicke zu spüren, die sie der
Hochstapelei überführen könnten. Antonia gehört durch Heirat zwar dazu,
doch nie ganz. Ihr, die an enge, kleine
Zimmer gewohnt war, sind grosse
Räume immer noch fremd. Und sie
weiss, dass sie nie so fantastisch aussehen wird wie andere in diesen Kreisen.
«Auf diese angeboren makellose Art,
wie es nur höhere Töchter draufhaben.
So einen Teint kriegt man in der Unterschicht nicht zugeteilt, nicht mal in der
Mittelschicht. […] Das hat man in den
Genen oder man hat es nicht», heisst es
im Roman «Besser» von Doris Knecht.
8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
In feinen Restaurants fühlt sich Antonia
unwohl. Ihren Adam behandeln die Kellner mit natürlichem Respekt. Bei ihr
spüren sie, dass sie nichts verloren hat
«in der Schönheit und Eleganz dieses
Raumes».
Bekannt geworden ist die gebürtige
Vorarlbergerin als spitzfedrige Kolumnistin; in der Schweiz hat sie lange für
den «Tages-Anzeiger» und «Das Magazin» geschrieben. Heute ist Knecht täglich im «Kurier» zu lesen; ihre wöchentliche Familienkolumne erscheint im
«Falter». Die Fangemeinde ist riesig, für
manch einen ist Knecht gar «die Garbo
der Kolumnenkunst». Und wer sie leibhaftig erleben will, der besucht am besten die Wiener «rhiz-bar» – dort legt sie
Einladung mit Kind
und Nanny: Doris
Knecht seziert
Freundschaften.
Süffig zu lesen
Zu Hochform läuft Doris Knecht auf,
wenn sie einzelne Menschen beschreibt:
Jennifer, die immer wieder von neuem
an die grosse Liebe glaubt und trotzdem
stets den gleichen Typ Mann auswählt.
Oder Moritz, der beste Freund der Heldin, der neben ihrer Schwester als Einziger alles über sie weiss. Kurz vor Abschluss seines Medizinstudiums hat er
aufgehört zu studieren. Nicht weil er die
Prüfungen nicht geschafft hätte, sondern weil er plötzlich merkt, dass er
doch nicht Arzt sein will. Er wollte weniger, als er haben konnte. «Weniger, als
man von ihm als Sohn einer Medizinerfamilie erwartete. Er empfand das als
unerträgliche Last.» Moritz wird Krankenpfleger in der Psychiatrie, wo er die
Protagonistin kennenlernt.
«Besser» ist ein süffiger Unterhaltungsroman. Doch die Geschichte von
der Frau mit der dunklen Vergangenheit
funktioniert nicht. Da wird viel geraunt
und angedeutet und zu wenig glaubhaft
oder beängstigend erzählt. ●
Roman Der US-Autor Joey Goebel erzählt von einem Teenager, der als Einziger an
seiner High School nicht dauernd an Sex und Pizza denkt
Ich will nicht immer so kritisch sein
Joey Goebel: Ich gegen Osborne. Aus dem
Amerikanischen von Hans M. Herzog.
Diogenes, Zürich 2013. 432 Seiten,
Fr. 32.90, E-Book 25.40.
Von Simone von Büren
Die Schule als gesellschaftlicher Mikrokosmos ist in der angelsächsischen Literatur immer wieder ein ergiebiges Motiv
– jüngst etwa im fulminanten Roman
«Skippy stirbt» (Kunstmann 2011) des
Iren Paul Murray, der anhand der Zustände an einer katholischen Internatsschule die irische Angewohnheit kritisiert, heikle Episoden der eigenen Geschichte über Generationen hinweg zu
verschweigen.
In Joey Goebels viertem Roman «Ich
gegen Osborne» repräsentiert eine High
School in Kentucky gar die Welt: «Osborne war die Welt in ihrer unabwendbarsten Form.» Zumindest steht sie für
ein Amerika, das Ende der neunziger
Jahre – der Roman spielt an einem einzigen Tag im Frühling 1999 – die aussereheliche Affäre seines Präsidenten zu
verarbeiten versucht.
Auch an der Osborne High School
dreht sich alles um Sex, um «die Grosse
Dumme Rumhurerei», wie es James
Weinbach, der 17-jährige Ich-Erzähler,
nennt. Der klapperdürre Teenager, der
im Anzug zur Schule kommt und den
generellen Mangel an Höflichkeit und
Stil in seiner Altersgruppe beklagt, arbeitet an seinem ersten Roman über
eine «geheimnisvolle Krankheit, die
dazu führt, dass sich alle zurückentwickeln». In einer Mischung aus Wut und
Überheblichkeit sieht er seine Mitschüler als «pickelgesichtige Trottel» mit
«Kaugummi kauenden Kiefern», als
hormongesteuerte «Deppen, die nur an
Pizza dachten».
Am ersten Schultag nach den Osterferien eskaliert James’ Wut, als seine bisherige Verbündete Chloe mit coolen
Schuhen und überhaupt unangenehm
verändert ausgerechnet mit seinem Erzfeind Hamilton, dem «ungekrönten
König aller Bumser», anbändelt. Um
sich an ihr und der ganzen hirnlosen
Bande zu rächen, bringt James den Rektor durch Erpressung dazu, den Abschlussball abzusagen, und rückt dadurch ausnahmsweise ins Zentrum des
Geschehens.
Goebel, der mit literarischen Grössen
wie T. C. Boyle und John Irving verglichen worden ist, gestaltet «Ich gegen
Osborne» als Gefühlsprotokoll eines
schwierigen Tages. Er unterteilt ihn in
Lektionen und viele durch Minutenangaben gekennzeichnete Abschnitte. In
der detaillierten emotionalen Aufzeichnung der Schulstunden von 7.47 bis 15.34
dominieren James’ Wuttiraden, die so
witzig wie langfädig geraten.
Man hätte sich neben einem strengeren Lektorat mehr von diesen feinfühligen Momenten gewünscht, in denen die
Gefühle durchscheinen, die die grosse
Wut nur verdeckt: James’ Liebe für
Chloe, seine Sehnsucht nach der Leichtigkeit seiner Altersgenossen, die Trauer um seinen eben verstorbenen Vater
und seine Unsicherheit: «Wenn ein
Seufzer menschliche Form annehmen
könnte, würde er wohl wie ich mit siebzehn aussehen.»
Die Wut ist nicht neu im Werk des
33-jährigen Autors. Schon in früheren
Romanen hat Goebel scharfzüngig abgerechnet mit gesellschaftlichen Missständen und engstirnigen Haltungen in
Amerika, wenn er zum Beispiel fünf
Aussenseiter in einer gottverlassenen
Kleinstadt gegen das System anrennen
liess («Freaks», in Deutsch 2007 erschienen) oder die Entfremdung zwischen Trailer-Park-Bewohnern und den
republikanischen Politikern beschrieb,
die ihre Stimme vertreten sollten
(«Heartland», 2010).
Auffallend ist im neuen Roman die
Häufung von James’ Einsichten und Vorsätzen am Ende: Ich mag nicht immer so
überkritisch sein, ich will die Menschen
mögen, ich hätte meine Energie gescheiter in meinen Roman investiert, ich
möchte andere unbeschwert anfassen
können.
Sogar in Anbetracht der überdurchschnittlich unbeständigen Emotionalität
von Teenagern geschehen diese Veränderungen zu plötzlich, um psychologisch plausibel zu sein. Es wirkt eher so,
als ob der Autor sich vorgenommen
hätte, auf einer positiven Note aufzuhören, versöhnlich statt verbittert. Vielleicht gibt es in den USA unter Obama
ein bisschen weniger Anlass für Wut als
unter G. W. Bush? ●
Harry Callahan Ein Fotoklassiker neu zu entdecken
Die Farbe der Tür ist verwittert, aber das Licht
verzaubert das Blau und schafft mit dem Rot der
Äpfel einen intensiven Klang. Für einen Moment ist
der Alltag verzaubert, und eine banale Situation wird
der Zeit entrückt. Harry Callahan fand solche Motive
bei seinen zahllosen Streifzügen durch amerikanische
Städte. Er fotografierte Schaufenster, Gebäude und
Passanten, und auf vielen Bildern glauben wir etwas
von der Atmosphäre eines Ortes und eines Jahrzehnts zu erkennen. Die Aufnahme von den roten
Äpfeln wurde 1951 in Chicago gemacht, man kann
darin die Schlichtheit und die Sehnsucht der Nachkriegsjahre spüren. In Providence und Atlanta hält
der Fotograf Häuser und Bürobauten wie abstrakte
Strukturen fest, die der industriellen Anonymität
jener Jahre entsprechen. Callahan hat sich früh vom
Realismus der Street Photography abgewandt und
das Bildmedium künstlerisch emanzipiert. Das
geschah mit skulpturalen und zeichnerischen
Abstraktionen auf den Schwarz-Weiss-Aufnahmen
und mit einer neuen Handhabung der Farbe. Der
1912 geborene Fotograf war einer der ersten, die sie
als Kompositionsmittel verstanden, gleich ob er
in Portugal, Irland oder Amerika fotografierte.
In Amerika hoch geschätzt, ist Harry Callahan in
Europa noch wenig bekannt. Der Band, der eine Ausstellung in Hamburg begleitet (Deichtorhallen, bis
16. Juni 2013) stellt das Werk in seinen Facetten vor.
Gerhard Mack
Dirk Luckow, Sabine Schnakenberg (Hrsg.): Harry
Callahan. Kehrer, Heidelberg 2013. 256 Seiten,
198 Abbildungen, Fr. 77.90.
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9
Belletristik
Lyrik Der schizophrene Künstler Ernst Herbeck (1920–1991) verbrachte Jahrzehnte in der
Nervenheilanstalt Gugging bei Wien. Dort ermunterte ihn sein Psychiater zum Schreiben
Eine Art universales
Ur-Gewisper
Ernst Herbeck: Der Hase!!!! Ausgewählte
Gedichte. Jung und Jung, Salzburg 2013.
264 Seiten, Fr. 33.90.
1966 gab der Psychiater Leo Navratil in
der kleinen, heute legendären Studie
«Schizophrenie und Sprache» erstmals
Einblick in das literarische Schaffen seines Patienten Ernst Herbeck. Dieser
schrieb damals noch unter dem Pseudonym Alexander. Sein erstes Gedicht
verfasste er 1960, im Alter von 40 Jahren, als Insasse der niederösterreichischen Landesnervenklinik Gugging.
Das Gedicht, sicherlich eines der ergreifendsten der deutschsprachigen Literatur, kann nicht oft genug zitiert werden: «Im Herbst da reiht der / Feenwind
/ da sich im Schnee die / Mähnen treffen. / Amseln pfeifen heer / im Wind
und fressen.»
Was daran, nebst all den geradezu
virtuos anmutenden formalen Tricks
und Regelbrüchen, bis heute tief bewegt, ist wohl die horrende Kälte in den
Versen, ebenso die Abwesenheit alles
Menschlichen. Es tritt in diesem «Naturgedicht» eine Verlorenheit zutage,
die man nur erschütternd nennen kann.
Den Eindruck, man habe es mit einer
Art universalem Ur-Gewisper zu tun,
bestätigt der Dichter selbst, in einem
wenig später entstandenen Vierzeiler,
wo er sich als einen Propheten bezeichnet, dem es möglich geworden sei,
«Gottes Vers zu ebnen».
Befremdlich schöne Poesie
Navratils stets reich dokumentierte
Hinweise auf Herbeck sorgten vorab in
Literatenkreisen für Aufregung. Nicht
nur bei Ernst Jandl und Friederike Mayröcker lösten die so befremdlich schönen Gedichte ein begeistertes Echo aus,
auch W. G. Sebald feierte, etwa in seinem Essayband «Die Beschreibung des
Unglücks», die Hervorbringungen seines leidgeprüften Kollegen. Mittlerweile sind etliche Sammlungen von
Herbecks Texten erschienen. Die hier
anzuzeigende jüngste Auswahl besorgte
Gisela Steinlechner, die viel bislang
Unveröffentlichtes zusammengetragen
und den Band mit einem ebenso kenntnisreichen wie inspirierten Nachwort
versehen hat. Der Buchtitel stellt mit
seinem vielfach bekräftigten «Hasen»
den Grundtenor einer Poesie heraus, die
unserer als entleert wahrgenommenen
Welt so etwas wie Substantialität einschreiben möchte.
Oder zu möchten hat. Denn aus eigenem Antrieb auch nur ein einziges Wort
zu Papier zu bringen, blieb dem seelisch
10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
MICHAEL HOROWITZ / ANZENBERGER
Von Bruno Steiger
Therapiestunde mit
dem Zwangspoeten
Ernst Herbeck, im
Hintergrund sein
Psychiater Leo
Navratil. Nervenklinik
Gugging, 1978.
Derangierten zeitlebens versagt. Herbeck schrieb nur in der Therapiestunde,
auf Drängen von Navratil hin, der ihm
jeweils den Titel vorgab. Ein leiser Widerwille des zum Dichten Angehaltenen
kommt nicht selten explizit zum Ausdruck, etwa in dem eingangs zitierten
Meisterwerk, wo Herbeck das Motiv
«Der Morgen» mutwillig in ein frostiges, ausserhalb jeder denkbaren Tageszeit liegendes Herbstszenario umbiegt.
Auch für die Fälle, wo Herbeck der vorgegebene Titel nur gerade einen kleinen
Einwurf wert war, finden sich zahlreiche Beispiele in dem Buch, etwa zum
einigermassen provokant wirkenden
Stichwort «Selbstbewusstsein», das der
nikotinsüchtige Zwangspoet mit einem
souveränen «Wenn man raucht erübrigt
es / sich.» abtut.
Von solitärem Rang
Auf die Frage, ob die vier Ausrufezeichen des Titelgedichts vom zeitlebens
unter der angeborenen Lippen-KieferGaumenspalte («Hasenscharte») leidenden Dichter oder gar von seinem
Arzt stammen, lässt sich keine schlüssige Antwort finden. Wie auch immer sie
ausfiele, am solitären Rang von Herbecks Werk würde sie nichts ändern.
Wie Gisela Steinlechner in ihrem Nachwort hervorhebt, lässt sich bei Herbeck
eine Stimme vernehmen, «die ebenso an
die Grundlagen wie an die Grenzen der
Poesie rührt». Gerade damit unterscheiden sich die Gedichte in aller wünschenswerten Deutlichkeit von den Designprodukten der heute gängigen Spit-
zenlyrik. Auch wenn gesagt werden
kann, dass die Texte des 1991 «ungeheilt» Verstorbenen ihren frühen Widerhall vorab in einem von Sprachkritik
und Experimentierfreude geprägten
Umfeld fanden, eignet ihnen eine Ursprünglichkeit, die sich jeder literaturgeschichtlichen Einordnung entzieht.
Eine gewisse Nähe von Herbecks
Texten zu den dichterischen Erzeugnissen des Multikünstlers Dieter Roth darf
gleichwohl festgestellt werden. Bei beiden ist das Prädikat «zustandsgebunden» nicht gänzlich fehl am Platz. Für
Herbeck ebenso wie für Roth hatte der
Schreibakt erste Priorität, noch vor allen
poetischen Absichten und Formvorstellungen. Herbecks Frage an seinen Arzt,
ob er «unbedingt alles» schreiben solle,
dürfte sich auch Dieter Roth gestellt
haben. In einem frappant an Gertrude
Stein erinnernden kleinen Prosastück
spricht Herbeck von «neutralen Texten», die sich in seiner Lyrik wie noch
im Schrifttum der Profanwelt unablässig
vermehren und verzweigen würden. Es
könnte nicht zuletzt diese von allem
kunsthaften Streben befreite «Neutralität» sein, in der die Sprache selbst zu
Wort kommt. Die an unsere ältesten Bewusstseinsschichten rührende Authentizität einer «Literatur von Geisteskranken» ist damit nicht hinreichend erklärt.
Ihre verstörende, noch diesseits aller
«Hermetik» liegende Unauflösbarkeit
ist es denn auch, die sie vor jedem Simulationsversuch schützt – zum Glück für
uns Normalneurotiker und, es lässt sich
nur erhoffen, noch für lange Zeit. ●
E-Krimi des Monats
Im Hotel zugestochen
Nika Lubitsch: Der 7. Tag. MVG-Verlag,
München 2013. 192 Seiten, Fr. 13.40,
E-Book 3.40.
Keine vier Franken kostet der E-BookKrimi mit dem blutigen Cover. Das hält
die Erwartungen tief. Zumal er im Eigenverlag erschienen ist. Und doch: Wochenlang führte «Der 7. Tag» der
Berlinerin Nika Lubitsch die KindleKrimi-Bestsellerliste an. Viele Leser
kommentierten begeistert. Darum an
dieser Stelle eine Rezension zu einem
4-Franken-Krimi aus einem Eigenverlag.
Das Wichtigste vorweg: Das Buch
bietet mehr, als es verspricht. Der
Krimi ist unkonventionell erzählt, gegliedert in mehrere Teile, in denen
gleiche Umstände aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert werden.
Und: Er ist spannend. Man liest ihn in
einem Zug, was aber auch heisst: Sehr
anspruchsvoll ist die Lektüre nicht.
Dafür trumpft der Plot am Schluss mit
einer überraschenden Wendung auf.
Die Handlung dreht sich um Sybille
Thalheim, eine Frau, die alles hat, was
es zum Glücklichsein braucht – und
alles verliert. Ihr Leben verwandelt
sich aufgrund eines Ereignisses in
einen Albtraum: Ihr Ehemann verschwindet. Sie verliert ihr ungeborenes Kind, ihr Geld, ihr Haus, auch ihre
Mutter stirbt. Alles zerfliesst. Und
dann taucht der Vermisste plötzlich
wieder auf: Als Toter in einem Hotelzimmer, mit 18 Messerstichen ermordet. Sybille Thalheim wird verhaftet –
und wegen Mordes verurteilt. Obwohl
sie sich nicht an die Tat erinnern kann
– oder nicht erinnern will?, wie sie
sich selber fragt. «Manche Menschen
werden als Opfer geboren. Bis vor
zwei Jahren glaubte ich, dass ich nicht
dazu gehöre. Seit sechs Monaten sitze
ich in einer Zelle und warte darauf, für
ein Verbrechen verurteilt zu werden,
das ich nicht begangen habe», schreibt
sie in ihr Tagebuch, in dem sie die Ereignisse vor Gericht als Ich-Erzählerin
schildert.
Wie in einem Puzzle muss sich der
Leser die Geschichte selbst zusammensetzen – mit Sybille Thalheims Bericht, mit Zeitungsartikeln über das
Verfahren und mit Erzählungen aus
der Aussenperspektive. Nur wer alle
Seiten kennt, realisiert, dass alles anders war, als man sich dachte.
«Der 7. Tag» ist nun auch als Taschenbuch erschienen. Ein später Erfolg für Nika Lubitsch. Bereits mit 26
hat die heute 60-Jährige versucht,
einen Krimi zu publizieren. Ein einziger Verlag hat ihr Manuskript nicht
entsorgt, sondern zurückgeschickt. Im Kommentar stand:
«Wir verlegen keine Kochbücher.»
Von Christine
Brand ●
Kurzkritiken Belletristik
Sophokles: Elektra. Griechisch/Deutsch.
Übersetzung K. Steinmann. Reclam,
Ditzingen 2013. 197 Seiten, Fr. 9.40.
Im Reich der Wünsche. Die schönsten
Märchen deutscher Dichterinnen. Hrsg.
Shawn C. Jarvis. C. H. Beck. 368 S., Fr. 28.40.
Die Geschichte der griechischen Königstochter Elektra, die mit ihrem Bruder Orest Blutrache an ihrer Mutter und
an ihrem Stiefvater übt, wurde literarisch immer wieder gestaltet. Sophokles, Aischylos und Euripides haben
sich des mythologischen Stoffs auf ganz
verschiedene Weise angenommen. Das
Drama des Sophokles legt der renommierte Luzerner Übersetzer Kurt Steinmann, dem wir eine formidable neue
Odyssee verdanken, nun in einer mustergültigen neuen Edition vor: Seine
Versübertragung ist exakt und auf dem
neuesten Stand der Forschung, aber
auch sprech- und spielbar. Die zweisprachige Ausgabe wird Philologen erfreuen, das luzide, ausführliche Nachwort
von Markus Janka, welches die Tragödie gedanklich und zeitlich zwischen
Aischylos und Euripides verortet,
spricht auch Kulturhistoriker an.
Manfred Papst
Für dieses von Isabel Grotze Holtforth
bestrickend schön illustrierte Buch benötigt man ein gewisses literaturhistorisches Interesse. In nicht wenigen der
21 Märchen aus der Feder von 21 deutschen Autorinnen, zu denen Katharina
die Grosse (1729–1796) ebenso gehört
wie Fanny Lewald (1811–1889), die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm (1831–1919)
und die promovierte Philosophin Ricarda Huch (1864–1947), dominieren pädagogische Ansinnen über Fabulierlust.
Das mag auch mit der Grund sein, weshalb sie weitgehend unbekannt beziehungsweise vergessen sind, was – nebenbei bemerkt – auch die Mehrheit der
Grimm’schen Märchen betrifft. Wenn
auch nicht als Gute-Nacht-Geschichten
für die Kinder, so lohnt sich die Lektüre
dennoch: Als Türöffner zu anderen Texten dieser Schriftstellerinnen, die zu
Unrecht kaum mehr gelesen werden.
Regula Freuler
Georges Perec: Anton Voyls Fortgang.
Roman. Deutsch von E. Helmlé. Diaphanes,
Zürich 2013. 410 Seiten, Fr. 21.90.
Andrzej Stasiuk: Kurzes Buch über das
Sterben. Deutsch von Renate Schmidgall.
Suhrkamp 2013. 112 S., Fr. 11.90, E-Book 9.90.
Der französische Autor und Filmemacher Georges Perec (1936-1982) zählte
zur legendären Oulipo-Gruppe, die sich
den waghalsigsten Sprachexperimenten
verschrieb. 1969 verfasste er aufgrund
einer Wette den Roman «La Disparition», in dem der Buchstabe E kein einziges Mal auftaucht. Das ist zuerst einmal eine Spielerei. Doch das Buch bietet
über die blosse Artistik hinaus eine
vergnügliche und erhellende Lektüre.
Erzählt wird eine krude Geschichte zwischen Revolutionskomödie und Krimiparodie. Eugen Helmlé hat das Kunststück fertiggebracht, den Roman ohne
ein einziges E (den häufigsten Vokal sowohl im Französischen als auch im
Deutschen) zu übertragen. 1986 ist seine
kongeniale Übersetzung bei Zweitausendeins erschienen; nun liegt sie, erweitert um ein kundiges Nachwort von
Ralph Schock, neu vor. Ein helles Vergnügen für alle Sprach-Turner!
Manfred Papst
1960 in Warschau geboren, seit Jahren
aber in der Abgeschiedenheit der Niederen Beskiden lebend, gehört Andrzej
Stasiuk zu den wichtigsten polnischen
Autoren seiner Generation: ein kritischer Kopf, der sich Anfang der 1980er
Jahre in der pazifistischen Oppositionsbewegung engagiert hat und wegen Desertion aus dem Militärdienst anderthalb Jahre im Gefängnis sass. Aus den
Erfahrungen, die er dort gemacht hat,
entstand 1992 sein aufsehenerregendes
Debüt «Die Mauern von Hebron». In
seinem neuesten Buch, das vier Geschichten enthält, setzt er sich mit seinen persönlichen Erfahrungen mit dem
Sterben und dem Tod auseinander. Mal
geht es um seine Grossmutter, mal um
seine Hündin, dann wieder um enge
Freunde. Allesamt sind es autobiografische Texte, in denen sich analytische
Selbstbefragung und Mitgefühl sicher
die Waage halten.
Regula Freuler
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11
Porträt
Der Schriftsteller und Arzt Alaa al-Aswani kämpfte auf dem Tahrir-Platz
für Freiheit und demokratische Rechte in Ägypten. Nun sieht er sie
gefährdet durch eine Diktatur der Muslimbrüder. Michael Holmes hat
den Autor in seiner Praxis in Kairo besucht
«Wir Ägypter sind
wieder im Rennen»
Fragt man liberale Aktivisten, welche die ägyptische Revolution im Frühling 2011 geplant und
zum Sieg geführt haben, nach ihren Vorbildern,
fällt ein Name besonders oft: «Ohne Alaa alAswani wäre all das nicht möglich gewesen».
Sie sprechen gern von diesem Mann, der ihnen
Mut, Selbstachtung und Hoffnung gibt. «Er
schreibt, was wir fühlen.»
Alaa al-Aswani ist Schriftsteller, Revolutionär und Zahnarzt. Seine Praxis liegt in Garden
City, einem wohlhabenden, gepflegten Stadtteil
Kairos am östlichen Nilufer mit Luxushotels,
Villen im klassisch-europäischen Stil und grünen Gärten. Sie ist klein – zwei Zimmer, hellgrüne Wände, kaum ein Bild. Vom Balkon hängt
die ägyptische Fahne. Der Hausherr empfängt
im eleganten Anzug – fester Händedruck, breites Lächeln. Er ist gross, kräftig, charismatisch
und mit einem natürlichen Selbstbewusstsein
gesegnet. Wäre er nicht so freundlich, könnte
er fast bedrohlich erscheinen. Der Zahnarzt
setzt sich hinter seinen Schreibtisch. Ich nehme
neben dem Zahnarztstuhl Platz.
Wie hat er selbst die Revolution erlebt? «In
den Tagen der Revolution auf dem Tahrir und
auf vielen anderen Plätzen in ganz Ägypten
haben wir uns in bessere Menschen verwandelt. Wer frisch verliebt ist, wird oft zu einem
besseren Menschen. Während dieser Tage
waren wir alle verliebt», erklärt der Schriftsteller. Man habe sich gegenseitig geholfen, war
hervorragend organisiert und blieb friedlich,
Alaa al-Aswani
Alaa al-Aswani wurde 1957 in Kairo in eine
weltoffene Mittelschichtfamilie geboren. Sein
Vater war Anwalt und Schriftsteller. In Kairo
besuchte er eine französische Schule. Das
Studium der Zahnmedizin führte ihn nach
Chicago. Heute lebt er mit seiner Frau und drei
Kindern in Kairo. Im Jahre 2002 veröffentlichte
er den ersten Roman «Der Jakubijan-Bau», ein
Bestseller in der arabischen Welt, heute in 23
Sprachen übersetzt. 2006 erschien der Roman
«Chicago» (Lenos 2012). Das Buch «Im Lande
Ägypten» (Fischer 2012) versammelt die
wichtigsten Zeitungskolumnen und politischen
Kommentare des Autors.
«Demokratie ist kein
Picknick! Alle westlichen
Gesellschaften haben
Jahrzehnte gebraucht, bis
ihre Demokratien voll
entwickelt waren.»
men. Al-Aswani bricht dabei viele Tabus der
ägyptischen Gesellschaft: Ein junges Mädchen
wird von ihren Arbeitgebern zum Sex genötigt.
Der Sohn des Türhüters darf nicht Polizist werden, wird grausam gefoltert und mutiert
zum rachedurstigen Gotteskrieger. Ein sensibler Schwuler verschafft sich als Chefredakteur
einer angesehenen Zeitung Respekt. Und an
der Spitze der kleptokratischen Machtpyramide steht der Präsident. Weil er die Sorgen und
Sehnsüchte der kleinen Leute in der Riesenmetropole Kairo schildert, wird al-Aswani oft mit
dem ägyptischen Nobelpreisträger Nagib
Machfus verglichen.
Hat al-Aswani die Revolution kommen
sehen? «Ich habe grosse Veränderungen erwartet – im Gegensatz zu fast allen westlichen Experten», sagt der Autor. Schon 2010 war er
überzeugt, dass Ägypten reif für einen Wechsel
sei. Er höre den jungen Aktivisten, seinen Patienten und Lesern genau zu, wenn sie ihm aus
ihrem Leben erzählten. Inzwischen fragen sich
viele, ob die Revolution nur ein schöner Traum
gewesen sei. Die ersten Wahlen nach der Revolution waren trotz Unregelmässigkeiten die
freiesten in der Geschichte des Landes. Trotzdem brachten sie mit einer knappen Mehrheit
die islamistische Muslimbruderschaft an die
Macht. Die Einheit vom Tahrir-Platz ist darüber zerbrochen.
Als Besucher in Kairo erlebt man, wie täglich
Demonstrationszüge gegen die Regierung von
Mohammed Mursi durch die Strassen ziehen.
Häufig kommt es zu schweren Auseinandersetzungen. Noch immer werden Demonstranten
verprügelt, gefoltert, erschossen. In rechtsfreien Räumen häufen sich Diebstähle und Vergewaltigungen. Touristen meiden das Land ebenso wie die dringend benötigten Investoren. Das
Wirtschaftswachstum sinkt. Haben sich die
Revolutionäre geirrt? Ist Ägypten noch nicht
reif für die Demokratie? Al-Aswanis Antwort
kommt sofort: «Nein! Demokratie ist kein Picknick.» Alle westlichen Gesellschaften hätten
Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte gebraucht,
bis ihre Demokratien voll entwickelt waren.
«Wir Ägypter sind nach dreissig Jahren Missherrschaft endlich wieder im Rennen.»
Wie ein Bruchpilot am Steuer
Immer wieder steht der Schriftsteller auf,
schreitet durch den Raum. «Die Diktatur hat
uns paralysiert. Jetzt sind wir auf dem richtigen
Weg.» Die Auseinandersetzung mit dem politischen Islam sei eine Prüfung, die drei Jahrzehnte hinausgeschoben worden sei. Die MubarakDiktatur habe die Islamisten gestärkt. Doch
nun verlören die Muslimbrüder an Popularität:
«Selbst völlig ungebildete Menschen sehen,
dass diese Regierung unglaublich inkompetent
ist.» Auch die neue Regierung erfüllt keine der
grundlegenden Aufgaben. Lärm, Abfall und
Korruption sind allgegenwärtig. Der Verkehr
ist lebensgefährlich.
Der Zahnarzt bohrt tief. Al-Aswanis Zeitungskolumnen führen immer wieder zu Debatten. Mit spitzer Feder hat er schon 2005 bis
2010 die brutale Repression, Vetternwirtschaft,
religiöse Doppelmoral und Frauenverachtung
angeprangert. Den Extremisten aller Seiten
wirft er vor, die höchsten Ideale der Ägypter in
ihr genaues Gegenteil zu verkehren. Als Patriot
streitet er für das Recht, das eigene Land zu kritisieren. Als frommer Moslem verteidigt er
▲
12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
selbst als Menschen vor aller Augen von Scharfschützen ermordet wurden und niemand wusste, wer als nächster stirbt.
2002 wird Alaa al-Aswani mit seinem Meisterstück «Der Jakubijan-Bau» schlagartig berühmt. In seinem ersten Roman zeichnet der
Autor ein vielschichtiges, buntes Panorama der
ägyptischen Gesellschaft. Der mehrstöckige
Wohnkomplex im Art-déco-Stil ist zunehmend
dem Verfall preisgegeben und beherbergt Dutzende Charaktere, die viele Ägypter an reale
Personen denken lassen. Auf dem Dach hausen
die Ärmsten in schäbigen Hütten. Unter ihnen
wohnen die Bessergestellten, meist durch
Härte, Tricks und Beziehungen zu Geld gekom-
BALTEL / SIPA / DUKAS
«Während dieser Tage waren wir alle verliebt», sagt der Kairoer Zahnarzt und Bestsellerautor Alaa al-Aswani über die Zeit auf dem Tahrir-Platz.
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13
Porträt
ANDRE PAIN / EPA
▲
den toleranten Islam gegen die Islamisten.
Und fast alle Texte enden mit der Parole: «Demokratie ist die Lösung.» Al-Aswani zählt zu
den Gründern der Widerstandsgruppe «Kefaya», wurde bespitzelt, verleumdet. Nach der
Revolution nahm er in einer legendären Fernsehdebatte den von Mubarak ernannten Premierminister Ahmad Shafiq so in die Mangel,
dass dieser am folgenden Tag zurücktrat.
Auch fromme Ägypter, sagt al-Aswani, der
gerne Bilder braucht, begännen zu verstehen,
wie gefährlich der politische Missbrauch der
Religion sei: «Die Muslimbrüder haben das
Flugzeug namens Ägypten entführt. Jetzt versuchen sie verzweifelt herauszufinden, wie
man eine solche Maschine fliegt.» Mit kindlichem Vergnügen spielt der Zahnarzt einen tollpatschigen Bruchpiloten, der hektisch am Steuer dreht und wahllos Knöpfe drückt.
«Mursi hat keinen Realitätsbezug»
Dann wird er ernst. «Wir leben heute in einer
faschistischen Diktatur». Die Muslimbrüder,
die glaubten, den Willen Gottes zu kennen und
mithin alles zu dürfen, selbst foltern und morden, versuchten die Macht ganz an sich zu reissen. Gerade Schriftsteller wie Mario Vargas
Llosa oder Gabriel Garcia Marquez hätten wunderbar beschrieben, wie Diktatoren zunehmend den Kontakt zur Realität und zum Volk
verlieren, weil sie von Bewunderern umgeben
sind, die ihnen nur sagen, was sie hören wollen.
«Mubarak hatte am Ende seiner Herrschaft
jeden Kontakt zur Realität verloren. Mursi hat
ihn schon verloren, als er Präsident wurde.»
Trotz allem bleibt er optimistisch: Die ägyptische Zivilgesellschaft sei stark. Einfache ebenso wie prominente Ägypter kritisierten heute
offen die Regierung, auf der Strasse, im Fernsehen, in den Zeitungen: «Wir werden einander
beistehen. Wir haben keine Angst und sind auf
alles vorbereitet. Wir erleben die zweite Welle
der Revolution.»
2006 hat al-Aswani seinen Roman «Chicago»
veröffentlicht, der im Milieu ägyptischer Studenten an der University of Illinois spielt, wo er
selbst studiert hat. Unter Stipendiaten und emigrierten Akademikern tobt der Konflikt zwischen Tradition und Moderne, verinnerlichten
Kulturnormen und Freizügigkeit. Es geht im
Buch um Abtreibung, Selbstbefriedigung und
die Liebe zwischen einem Ägypter und einer
Jüdin. Das Niveau des «Jakubijan-Bau» erreicht
«Chicago» nicht mehr. Die Darstellung Amerikas enthält Klischees und Übertreibungen. AlAswani versteht offensichtlich mehr von den
Institutionen als vom Alltag der westlichen
Welt. In zahlreichen Kolumnen hat er seinen
ägyptischen Lesern in einfachen Worten die
Prinzipien der offenen Gesellschaft erläutert.
NEU BEI AHRIMAN:
Der Protest geht weiter: 25. Januar 2013, zweiter Jahrestag des Volksaufstandes auf dem Tahrir-Platz in Kairo.
Auch deshalb verdient seine scharfe Kritik an
der massiven westlichen Unterstützung für
Mubarak unsere Aufmerksamkeit.
Vom Westen als einer Einheit zu sprechen,
sei genauso falsch wie alle Vorurteile gegen
«die» Araber, meint Alaa al-Aswani: «Die meisten Menschen im Westen wollen Menschenrechte für alle. Dennoch glauben sogar einflussreiche Denker, dass die armen Länder nicht
bereit seien für die Demokratie.» Er zündet
sich eine Zigarette an und öffnet eine Coladose.
Die meisten westlichen Regierungen würden
sich nicht für die Leiden der Ägypter interessieren. Sie kämen gut mit korrupten Diktaturen
zurecht, weil diese, immer für ausreichend
«Viele Künstler unterstützen
die Revolution. Aber Kunst
kann Politik nicht verändern.
Kunstwerke sensibilisieren
für die Bedürfnisse und
Ängste anderer Menschen.»
Schmiergeld, die westlichen Sicherheits- und
Wirtschaftsinteressen bedienten. «Nun unterstützen die USA sogar die Muslimbrüder.» Er
zuckt mit den Schultern. Man sieht ihm die Enttäuschung an.
Welche Rolle spielen die Kulturschaffenden
beim ägyptischen Frühling? «Viele Künstlerin-
nen und Künstler unterstützen die Revolution.» Aber Kunst könne die Politik nicht verändern. Grosse Kunstwerke sensibilisierten für
die Bedürfnisse, Ängste und Situationen anderer Menschen, sie schenken Mitgefühl: «Wenn
Menschen einander verstehen, werden sie sich
auch um die Rechte ihrer Mitmenschen kümmern.»
In seinem nächsten Buch will al-Aswani von
der Auseinandersetzung um die Einführung des
Autos in den 1940er-Jahren in Ägypten erzählen. Viel verrät er heute noch nicht. Im Mittelpunkt stehe die Beziehung zwischen den feinen
Mitgliedern des Kairoer Automobilclubs und
ihrer ägyptischen Dienerschaft.
Wird er dereinst einen Roman über die
ägyptische Revolution schreiben? «Ich hoffe
sehr!», ruft er aus. «Aber ebenso wie man sich
nicht dazu entschliessen kann, sich am Montagabend zu verlieben, kann man sich auch
nicht dazu zwingen, einen Roman zu schreiben. Der richtige Zeitpunkt lässt sich nicht
vorhersagen.» Seine Abschiedsworte sind voller Zuversicht: «Vielleicht sehen wir uns ja
schon bald auf dem Tahrir wieder. So Gott
will.»
Dort stehen jetzt nur noch wenige Zelte. Barfüssige, verdreckte Strassenkinder betteln um
Geld oder Essen. Ein junger Mann zeigt mir die
Narben eines Messerangriffs. «Ich wäre fast gestorben in unserer Revolution. Wofür?» Er ist
den Tränen nahe. «Kopf hoch, die halbe Welt
weiss wofür», entgegne ich. Er denkt nach.
Dann nickt er und lächelt. «Na klar! Wir dürfen
es nie vergessen!» l
VO N AN FAN G AN E I N E LÜ G E G EG E N G LE I C H H E IT,
LO G I K U N D S E XU E LLE S V E RG N Ü G E N
<wm>10CAsNsjY0MDAx0gUSluaWANEM-KcPAAAA</wm>
»Kerstin Steinbach gegen die Bewegung der Prüderie.«
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JUNGE FREIHEIT
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Tel: +49 761 502303, Fax 502247
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14 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
Kolumne
GAËTAN BALLY / KEYSTONE
Charles Lewinskys Zitatenlese
Der Autor Charles
Lewinsky arbeitet in
den verschiedensten
Sparten. Sein neues
Buch «Schweizen –
vierundzwanzig
Zukünfte» ist soeben
im Verlag Nagel &
Kimche erschienen.
. . . unbearbeitet, eine
rohe Tonmasse, voller
Kehricht, mit Baugerüsten, herumliegendem
Werkzeug und allerlei
Gerümpel.
Kurzkritiken Sachbuch
Amanda Adams: Scherben bringen
Glück. Gerstenberg, Hildesheim 2013.
240 Seiten, Fr. 36.90.
Sebastian Conrad: Globalgeschichte.
Eine Einführung. C. H. Beck, München 2013.
300 Seiten, Fr. 21.90.
«Pionierinnen der Archäologie» heisst
der Untertitel des reich bebilderten Buches, das sieben beherzte Frauen porträtiert, die im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ihrer Abenteuerlust nicht widerstehen konnten. Darunter sind bekannte Namen wie Agatha Christie oder
Gertrude Bell, aber auch unbekannte
wie die schöne Amelia Edwards oder
Jane Dieulafoy im Herrenanzug mit
Kurzhaarschnitt. Alle waren sie mutig,
eigenwillig und klug. Sie reisten allein
oder in Begleitung ihrer Ehemänner in
noch kaum erforschte Weltregionen, um
dort längst vergangene Kulturen zu entdecken. Amanda Adams, Autorin und
selber Archäologin, möchte diese Frauen aber nicht mythisieren. Sie waren
keine Feministinnen und übernahmen
gelegentlich sogar patriarchalische Klischees, wie sie kritisiert. Aber gerade
das mache sie «umso faszinierender».
Geneviève Lüscher
Globalgeschichte hat Konjunktur. Sebastian Conrad definiert sie als «eine
historische Analyse, bei der Phänomene, Ereignisse oder Prozesse in globale
Kontexte eingeordnet werden», und
präsentiert dann eine präzise und lesbare Einführung, voller konkreter Beispiele. Er diskutiert die grossen Kontroversen der Globalgeschichte: die Debatte
um die Hegemonie des Westens. Oder
die Frage nach dem Beginn der Globalisierung und nach den nichtwestlichen
Modernisierungsphänomenen. Umfassend beschreibt der Historiker auch die
typischen globalgeschichtlichen Themenfelder – wie Migration und Arbeitsmärkte, Geschichte der Ozeane oder
auch die Kulturgeschichte: Was sagt
«Tim und Struppi» über die Vernetzung
der Welt aus? Und er schliesst mit exzellenten Würdigungen der zehn wichtigsten Bücher zum Thema.
Kathrin Meier-Rust
Lisbeth Herger, Heinz Looser: Zwischen
Sehnsucht und Schande. Überarb. Aufl.
Hier + Jetzt, Baden 2013. 234 S., Fr. 39.90.
Gregor Spuhler (Hrsg.): Anstaltsfeind
und Judenfreund. Carl Albert Loosli.
Chronos, Zürich 2013. 138 Seiten, Fr. 37.90.
Das Autorenpaar Herger und Looser
geht auf Spurensuche nach dem Leben
der Ostschweizer Stickerin Anna Maria
Boxler (1884–1965). Die in der Familie
lange tabuisierte Grossmutter von
Heinz Looser war unehelich geboren,
galt als «liederlich» und «arbeitsscheu».
Wegen Abtreibung, Prostitution und
Diebstahl verurteilt, wurde sie zum Objekt und Opfer administrativer Fürsorge
und Verfolgung: ein tragisches, ein trauriges Schicksal in einer Welt voll Elend,
Alkohol und Armut. Die persönliche Betroffenheit und Irritation des Nachkommen ist spürbar; verständlich auch, dass
Behörden und Administrativ-Justiz als
kalt und gefühllos gezeichnet werden.
Die historische Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Fast etwas zu viel
wird aus den reichlich gefundenen
Akten zitiert. Doch die anschaulich erzählte Geschichte einer Gemassregelten
vermag unsere Herzen zu berühren.
Urs Rauber
Der Berner Schriftsteller Carl Albert
Loosli (1877–1959) war ein Unangepasster, ein Mundartdichter, Pamphletist
und Homme de Lettres. Als ehemaliger
Heimzögling kämpfte er gegen das
schweizerische Anstaltswesen – das er
reichlich überschiessend mit deutschen
Konzentrationslagern verglich – und für
das Recht der Jugend auf eine eigenständige Existenz. Später wurde der «Philosoph von Bümpliz» zu einem der ersten
und vehementesten nichtjüdischen Kritiker des Antisemitismus; so trat er als
Experte im Berner Prozess über die
«Protokolle der Weisen von Zion»
(1935) auf. Ob das eine mit dem anderen
zu tun hat? Dieser Frage und der biografischen Prägung des Seeländer Nonkonformisten sowie seinen gesellschaftspolitischen Wirkungen geht diese spät erschienene Textsammlung nach, die die
Resultate einer Loosli-Tagung von 2009
zusammenfasst.
Urs Rauber
Iwan Gontscharow über
einen unfertigen Text
Wer zum Teufel hat wieder diese Adjektive herumliegen lassen? Muss denn
ums Verrecken der nächste Unfall passieren? Erst letzte Woche ist einer über
ein vergessenes «nachhaltig» gestolpert und hat sich die Grammatik gebrochen. Und die Versicherung hat sich
geweigert, auch nur einen Rappen zu
bezahlen. Weil «nachhaltig» überhaupt
kein Wort sei, sondern nur ein modisches Klischee.
Und wenn ihr dabei seid: Räumt
auch gleich den Haufen mit den «und»
weg, gopfertellisiech! Wofür hängen
denn überall diese Plakate? «Zuviel und
ist ungesund!» Merkt euch das endlich!
Sonst hol ich mir meine nächsten
Schreiber aus einem Billiglohnland!
So ein Trupp Inder schraubt euch eine
Trilogie im Akkord zusammen, da
könnt ihr dann sehen, wo ihr bleibt!
Wie bitte? Was hast du? Einen
Bachelor in «Creative Writing»? Jöö!
Bist du nicht der Typ, der gestern einen
Nebensatz ohne Sicherheitsabsperrung
hat in der Luft hängen lassen? Und
dann behauptet, das sei kein Fehler
sondern Stil? Nicht nur, dass das
lebensgefährlich war – die ganze Baustelle ist stillgestanden, wegen diesem
Seich! Weil alle auf das Verb gewartet
haben, das du vergessen hast. Wir machen hier nicht Kunst, merk dir das, wir
machen einen Roman! Meinst du, der
Generalunternehmer will den Erscheinungstermin verschieben, bloss weil
der Herr Bachelor jedes Mal erst ein
Synonym suchen muss, bevor er ein
Substantiv festschraubt?
Und wer, huerecheibeschiissdräck,
hat diese beiden Kapitel aneinander
montiert! Ja, die beiden, mit dem Zeitsprung dazwischen, so gross dass sich
jeder Leser das Kontinuum verrenkt!
Soll sich melden, der Dilettant! Natürlich, jetzt will es wieder keiner gewesen sein! Aber «Ghostwriter» kommt
von «Geist», nicht von «Pfusch», merkt
euch das endlich!
Also, Leute, nehmt euch ein bisschen
zusammen! Sonst muss ich dann andere Seiten aufziehen!
Ihr seid ja wirklich die letzten Säcke!
Nicht einer hat gemerkt, dass das soeben ein brillantes Wortspiel war! Seiten statt Saiten. Von wegen Bücher.
Aber so was kriegt ihr ja überhaupt
nicht mit! Sucht euch doch einen Hilfsarbeiterjob bei einem Ärzteroman! Für
die echte Literatur seid ihr alle überhaupt nicht zu gebrauchen!
Und es soll mal sofort einer die viel
zu vielen Ausrufezeichen
wegräumen, die in diesem Text herumliegen!
Ich weiss auch nicht, wo
die alle herkommen.
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15
Sachbuch
Philosophie Mario Vargas Llosa kritisiert in seinem
neuen Essay das Verkümmern der Kultur zur seichten
Unterhaltung – brillant, aber überzogen
Was zählt, ist
das Spektakel
Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard – Wer
seine Kultur verliert, verliert sich selbst.
Suhrkamp, Berlin 2013. 229 Seiten,
Fr. 34.90.
Von Katja Gentinetta
Was Vargas Llosa bescheiden als Essay
ankündigt, ist ein fast 230 Seiten starker
Abgesang auf das, was Kultur einmal
war: eine den Erfahrungshorizont erweiternde, die Geheimnisse des Lebens
enthüllende, unser Empfinden revolutionierende, den Blick in unsere Abgründe öffnende, unsere Überzeugungen stetig überprüfende Summe grosser
Werke und Leistungen. In sechs Kapiteln durchforstet er die Massenmedien,
den Kunstbetrieb, die «Multikultur», die
Erotik, die Politik und die Religion – und
stellt ernüchtert fest: «Kultur ist Unterhaltung, und was nicht unterhält, ist
keine Kultur.»
Der Autor macht kein Hehl daraus,
dass er sich in die Reihe der Kulturpessimisten stellt. In Referenz an frühere und zeitgenössische Kulturkritiker
stellt er fest, dass sie alle, so unterschiedlich sie sind, in einem Punkt übereinstimmen: nämlich darin, dass die
Kultur in einer Krise steckt, ja im Niedergang begriffen ist. Dazu gehört auch
der Befund, dass die vielversprechende
Demokratisierung der Kultur, gipfelnd
in der weit verbreiteten Piraterie, zwar
allen Zugang zur Kultur eröffnet hat. Die
Kultur selbst aber – Werke, die einen in
Bann schlagen, weil sie die Gegenwart
zu transzendieren vermögen und die
Generationen überdauern – ist dabei auf
der Strecke geblieben.
Wie sehr unsere Gesellschaft auf
Spektakel aus ist, versinnbildlicht ein
Bericht über New York im September
2008, wo eine Meute von Pressefotografen nur darauf wartete, dass sich endlich
ein Broker aus dem Fenster eines Hochhauses stürzen würde. Wo Nachrichten
16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
nicht mehr aufgrund ihrer politischen,
ökonomischen oder sozialen Bedeutung
wichtig sind, sondern aufgrund ihres
Neuigkeits- und Skandalisierungspotenzials, schwinden die Grenzen zwischen
seriösem Journalismus und Boulevard.
Vargas Llosa ist jedoch umsichtig genug,
dass er diese Entwicklung nicht allein
den Medien anlastet, sondern letztlich
der Gesellschaft selbst, die nach dieser
Art der Information verlangt.
Zur «Kultur light» gehört auch, dass
nicht mehr Künstler oder Intellektuelle,
sondern Köche und Modedesigner die
Referenzfiguren von heute sind. Intellektuelle reden und schreiben zwar
noch, werden aber nicht wahrgenommen – ausser, sie spielen «das Spiel des
Tages» mit. Wohltuend direkt begründet der Schriftsteller, den man als vehementen Verfechter der Freiheit kennt,
den Ansehensverlust der Intellektuellen
auch mit deren weit verbreiteten Sympathien für Totalitarismen. Den wahren
Grund aber sieht er im geringen Ansehen des Denkens selbst – und dem Primat der Bilder sowie, möchte man noch
ergänzen, der Zahlen.
Schein über Sein
Ein Begriff, der Vargas Llosas Kulturkritik wie ein roter Faden durchzieht, ist
die Frivolität, wobei es ihm nicht um das
Bedenkenlose, Leichte, Leichtfertige
geht. Er beobachtet vielmehr eine
grundlegende Umkehrung der Werte:
Form geht über Inhalt, Schein über Sein,
Spektakel über Ernsthaftigkeit. Frivol –
und als solche Mitverursacher der Geringschätzung des Denkens – sind für
Vargas Llosa auch die postmodernen
Philosophen. Er beruft sich dabei auf andere Kritiker, schildert aber in einer witzigen Passage seine eigene angestrengte,
aber wenig erhellende Derrida-Lektüre.
Frivolität ortet Vargas Llosa auch in
der Politik. Nicht nur, weil sich die Politiker lieber mit Film- oder Fussballstars
ablichten lassen als mit Philosophen
Konfetti-Show bei
den Präsidentschaftswahlen in den USA
(7. November 2012).
oder Wissenschaftern, sondern weil –
hier wird er geradezu prophetisch – in
der «Kultur des Spektakels (...) der Komiker der König» ist. An die Stelle des
Programms ist die Plattitüde getreten, an
jene der Argumente Äusserlichkeiten.
Worauf der Autor letztlich zielt, ist
die Verschiebung – er spricht von einem
qualitativen Sprung – unseres gesamten
Koordinatensystems. Es sind nicht mehr
Theorien, Weltanschauungen oder Äusserungen von klugen und kritischen
Zeitgenossen, die unseren Blick für die
Welt schärfen. Heute sind es Werbeagenturen, Marketingtechniken und
Medien, die über Geschmack, Empfinden und Phantasie herrschen. Unterhaltung ist das Höchste, und im Zuge der
Internet Immer häufiger verhilft das
World Wide Web zum Erfolg in der Politik
Die digitale Welt als
Wahlhelfer
Andreas Jungherr, Harald Schoen:
Das Internet in Wahlkämpfen. Konzepte,
Wirkungen und Kampagnenfunktionen.
Springer VS, Wiesbaden 2013. 185 Seiten,
Fr. 34.20.
political correctness darf auch nicht
mehr unterschieden werden zwischen
gut und schlecht. Wo alles wertvoll ist,
gibt es keinen Wert mehr. Wenn alles
Kultur ist, gibt es keine Unkultur.
E-Book ist nicht das Ende
Die Befunde, die Vargas Llosa anführt,
sind zahlreich, und sie vermögen als
Einzelanalysen zu überzeugen. In den
pessimistischen Grundtenor einzustimmen, fällt dennoch schwer. Nicht nur,
weil man im E-Book, mit dessen Kritik
er seinen Essay schliesst, nicht das Ende
des Buchs sehen mag; und auch nicht,
weil man Fortschritt allenthalben erblickt, denn ein Grossteil dieses Fortschritts ist, wie Vargas Llosa richtig be-
merkt, Spezialisten verdankt, denen ein
Disziplinen übergreifender Blick oft abgeht. Nein, vor allem deshalb, weil sich
(und Vargas Llosa führt sie an seltenen
Stellen an) für jedes Kapitel auch Gegenbeispiele finden liessen.
Dennoch oder gerade deshalb ist der
Essay eine lohnende Lektüre, weil er in
konziser Form und Fülle den Blick auf
unsere Gegenwart richtet und dazu auffordert, genauer hinzusehen, manchmal
auch einfach wegzusehen und überhaupt wieder den Mut aufzubringen, zu
unterscheiden – und zu bewerten. ●
Katja Gentinetta ist Philosophin,
Lehrbeauftragte der Uni St. Gallen und
Gesprächsleiterin der «Sternstunde
Philosophie» am Schweizer Fernsehen.
REUTERS
TANNEN MAURY / EPA
Von Andreas Hirstein
Spätestens seit den Wahlerfolgen von
Barack Obama in den USA wissen die
politischen Strategen: Mit dem Internet
kann man Wahlen gewinnen. Und das
jetzt auch in Europa. Der Aufstieg des
italienischen Komikers Beppe Grillo zu
einem einflussreichen Politiker und
gegen die mediale Übermacht seiner
Konkurrenten wäre ohne das Internet
undenkbar gewesen.
Fast immer sind es die vermeintlichen Underdogs, die sich erfolgreich
des neuen Mediums bedienen. Das war
in Italien nicht anders als bei den Vorwahlen im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2008. Damals war es
der noch unbekannte Senator aus Illinois, der sich gegen Hillary Clinton, die
haushohe Favoritin des Partei-Establishments der Demokraten, durchsetzte.
Die Blaupause zu Obamas Erfolg
hatte 2004 der spätere Parteichef der
Demokraten, Howard Dean, geliefert.
Zwar unterlag Dean bei der parteiinternen Ausscheidung – Präsidentschaftskandidat wurde der heutige Aussenminister John Kerry. Deans E-Mailbasierter Wahlkampf aber machte in der
demokratischen Partei Karriere und begründete den Vorsprung, den die Partei
bis heute gegenüber den Republikanern
besitzt. Aus Deans Kampagne ging auch
die private, den Demokraten nahestehende Firma «Blue State Digital»
hervor, die inzwischen weltweit Politikberatung betreibt. In Frankreich half sie
François Hollande, in Brasilien der Ministerpräsidentin Dilma Rousseff.
Doch ist das Internet wirklich der
Auslöser einer gesellschaftlichen Revolution, die bisher machtlosen Randgruppen generell zu mehr Einfluss verhilft?
Die Politologen Andreas Jungherr und
Helmut Schoen (Uni Bamberg) äussern
Zweifel an dieser zwar Talkshow-tauglichen, empirisch aber nicht bewiesenen
These. Stattdessen wählen sie einen
differenzierteren Ansatz.
Es kommt eben ganz darauf an: wie
das Wahlsystem eines Landes aussieht,
wie intensiv das Internet genutzt wird
und wie die rechtlichen Grundlagen etwa des Datenschutzes sind.
Was in den USA funktioniert,
muss in Ländern wie zum Beispiel der Schweiz noch lange
keinen Erfolg bringen und
Web-Wahl: Dilma Rousseff.
könnte sogar illegal sein. ●
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17
Sachbuch
Islamische Welt Navid Kermanis Reiseberichte über Krisenregionen von Afghanistan bis Palästina
führen zu überraschenden Einsichten
Länder, in denen der
Ausnahmezustand normal ist
Navid Kermani: Ausnahmezustand.
Reisen in eine beunruhigende Welt.
C. H. Beck, München 2013. 253 Seiten,
Fr. 28.40, E-Book 19.40.
Als Navid Kermani nach langer Zeit in
Kairo wieder einmal sein Stammlokal
aufsuchte, fragte ihn der Oberkellner,
der dort zum Inventar gehört: Wo warst
du denn so lange? Diese Anekdote steht
am Schluss des Reportagenbandes, der
mit dem Besuch in eben jenem Lokal,
einem Teehaus, sechs Jahre zuvor beginnt. Für den Autor gibt es in Kairo keinen beständigeren, vom Fortschritt weniger beeindruckten Ort als das Teehaus, wo selbst das «Stühlerücken eine
Kulturrevolution» ist. Das Teehaus ist
für Kermani ein einzigartiger Pol der
Ruhe auf seinen «Reisen in eine beunruhigte Welt». In Ländern wie Syrien, Pakistan, Afghanistan, in Regionen wie
Kaschmir oder Palästina herrscht nämlich der Ausnahmezustand. Ein Zustand,
der schon so lange dauert, dass er einem
fast normal vorkommt.
Gegen die Akzeptanz dieser «Normalität» will der vielfach ausgezeichnete
Schriftsteller und Essayist ein Zeichen
setzen. Deshalb hat er in den letzten Jahren diese Krisenländer bereist und darüber berichtet. Die Texte sind zwischen
2005 und 2012, wenn auch in sehr viel
kürzerer Fassung, in deutschsprachigen
Zeitungen publiziert worden, unter anderem in der NZZ. Die Sammlung hat
SHAH MARAI / AFP
Von Ina Boesch
Besinnlicher Moment
in einem Friedhof von
Kabul, wo die Opfer
des Bürgerkriegs
ruhen (2007).
nichts von ihrer Aktualität eingebüsst,
bietet in ihrer Konzentration einen erhellenden Blick auf die vor allem von
Muslimen bewohnte Krisenregion vom
Mittelmeer bis zum Subkontinent Indien und korrigiert Vorurteile. So fühlen
sich beispielsweise in Pakistan, das wir
mit Gewalt assoziieren, vier Fünftel der
Pakistaner den Sufis nah, die Gewalt ablehnen und Toleranz vorleben.
Dank seiner umfassenden Kenntnisse
von Sprache, Kultur und Religion der
besuchten Länder hat sich der deutschiranische Islamwissenschafter Zugang
zu Menschen und Schicksalen erobert,
die in den täglichen Nachrichtenbulletins nicht vorkommen. Dabei gelingen
ihm berührende Porträts. Etwa von
einem Greis, der in Kabul auf dem Fried-
hof lebt und sich über das Ende der Taliban freut: «Niemand sagt mir mehr,
was ich tun, was ich sagen, wie ich meinen Bart tragen muss.» Und immer leitet Kermani die Frage, wie Menschen
mit einem jahrelangen Leben im Ausnahmezustand umgehen. Ganz unterschiedlich: In Kaschmir zum Beispiel
haben sie sich «im Ausnahmezustand
eingerichtet», sie sind «fed up», niemand mag mehr kämpfen. Ähnlich in
Syrien, wo die Bevölkerung tagtäglich
mit Kämpfen konfrontiert ist – und dennoch Angst und Hass verloren hat.
Als Grenzgänger zwischen den Genres, der ebenso die Kunst des Romanschreibens beherrscht wie die glasklare Sprache des Essays, schafft Navid
Kermani Texte von poetischer Kraft und
analytischer Einsicht. So wartet er mit
überraschenden Erkenntnissen auf, von
denen man in der tagesaktuellen Berichterstattung kaum etwas erfährt. Erhellend die Tatsache, dass in Kaschmir
sowohl Regierungspolitiker als auch
Widerständler das gleiche wollen: Autonomie, offene Grenzen, Rückzug der
Armee. Augen öffnend die Erkenntnis,
dass in Pakistan Bauern und Handwerker, jedoch nicht Bürger und Intellektuelle das weltliche Staatsmodell stützen.
Paradox schliesslich, dass in Syrien das
weltliche Regime Hauptsponsor einer
islamischen Theokratie ist, während der
Westen auf der Seite von teils ausgesprochen religiösen Menschen steht.
Man legt das Buch nach der Lektüre beglückt aus der Hand, weil man sowohl
berührt als auch belehrt worden ist. ●
Wissenschaft Der italienische Historiker Carlo Ginzburg über die Suche nach dem «roten Faden»
Im Labor historischen Forschens
Carlo Ginzburg: Faden und Fährten. Wahr
– falsch – fiktiv. Wagenbach, Berlin 2013.
156 Seiten, Fr. 32.90.
Von Janika Gelinek
In der Einleitung seines neuen Essaybands rekapituliert der Kulturwissenschafter Carlo Ginzburg die Geschichte
von Theseus, der sich mit Hilfe von
Ariadnes Faden im Labyrinth des Minotaurus orientiert und bemerkt lakonisch:
«Von den Fährten, die Theseus hinterliess, als er im Labyrinth umherlief, erzählt der Mythos nichts.»
Mit dieser Eingangsmetapher des
strukturverheissenden roten Fadens im
Verhältnis zu zahllosen, zunächst ziellosen Spuren, charakterisiert der Historiker den Alltag eines Forscherlebens: das
Labyrinth aus Ideen, Hypothesen, Lek18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
türen, das tausend Irrwege bereithält,
aber eben eines genau nicht – den roten
Faden, der gefahrlos zur Erkenntnis
führt. Das Handwerk der Historiker ist
zusätzlich vor die Herausforderung gestellt, den jeweiligen Gegenstand erzählen zu müssen und dabei das «Geflecht
von Wahr, Falsch und Fiktiv zu entwirren, das das Webmuster unseres In-derWelt-Seins bildet.»
Diese immer neu zu verhandelnde
Grenze zwischen fiktivem und historischem Erzählen, als produktiver Streit
im Ringen um die Darstellung von Wirklichkeit, stellt ein Axiom von Ginzburgs
Forschungen dar, die auch hier nicht in
Form von Thesen, sondern vielmehr als
Blick ins Laboratorium präsentiert werden: etwa das close-reading des Dialogs
«De la lecture des vieux romans» von
1646, eine Szene in Stendhals «Le Rouge
et le Noir» über die Langeweile als his-
torisches Phänomen, «Randbemerkungen» über Kracauer, die Begriffsgeschichte der Microstoria.
Die Genauigkeit, mit der Ginzburg
die Entstehungsbedingungen der einzelnen Texte untersucht und Verbindungen zu ästhetischen und sozialen Ereignissen der Zeit herstellt, die Fülle der
von ihm verarbeiteten Literatur, nötigt
Bewunderung ab. Gleichzeitig verweigern die Vielfalt der Themen und Paraphrasen, sowie das Fehlen einer einheitlichen Terminologie, was genau eine
historische Quelle von einem fiktionalen Text unterscheidet, zuletzt eine
schlüssige Erkenntnis, wie Historie und
Fiktion, Literatur und Wissenschaft
denn nun zusammenhängen könnten.
Der rote Faden ist mit Carlo Ginzburg
nicht zu finden – doch wer, wenn nicht
er, sollte uns sonst durchs Labyrinth von
Wissen und Erkenntnis führen? ●
Biografie Der Berner Jurist Mani Matter (1936–1972) war nicht nur ein populärer Chansonnier,
sondern auch ein scharfsinniger, selbstkritischer Denker
«Warum syt dir so truurig?»
(vgl. Rezension in Bücher am Sonntag,
März 2013). Cambridge wurde für Matter ein Wendepunkt – wissenschaftlich,
beruflich, politisch, künstlerisch und
persönlich. Er wurde nach der Rückkehr
in die Schweiz juristischer Mitarbeiter
der Berner Stadtverwaltung, stellte die
akademische Karriere zurück und liess
seine Habilitationsarbeit unvollendet.
Er engagierte sich in der Gruppe Olten,
in der sich Autorinnen und Autoren aus
Protest gegen die Politik des Schweizerischen Schriftstellervereins zusammenschlossen. Seine Chansons wurden
abgründiger, abstrakter, weniger «lustig», so dass sein Freund, der Komponist
und Pianist Jürg Wyttenbach, den Ausspruch vom «spröden Altersstil» des
Mittdreissigers prägte. Zunehmend belastete ihn die Frage, ob und wie er all
seine Verpflichtungen miteinander in
Einklang bringen könne.
Wilfried Meichtry: Mani Matter. Eine
Biographie. Nagel & Kimche,
Zürich 2013. 320 Seiten, Fr. 34.90.
Von Thomas Feitknecht
Ein Jahr in Cambridge
Schon 1977 veröffentlichte Franz Hohler
den auch heute noch sehr lesenswerten
Porträtband über den fünf Jahre zuvor
tödlich verunfallten Künstlerfreund.
Auf literaturwissenschaftlicher Ebene
setzten sich Christine Wirz und Stephan
Hammer mit seinem Werk auseinander.
Grosse Publikumserfolge waren 2002
Friedrich Kappelers Film «Warum syt
dir so truurig» und 2011 die Mani-Matter-Ausstellung, die – nach Zwischenstationen in Schwyz und Bern – jetzt
bereits zum zweiten Mal im Landesmuseum Zürich zu sehen ist (bis 8. September). Nun legt der Co-Kurator dieser
Ausstellung, Wilfried Meichtry, die
erste umfassende Monografie über
Mani Matter vor.
Der 48-jährige promovierte Walliser
Historiker und Germanist hat Erfahrung
im Umgang mit anspruchsvollen Biografien. Er ist schon der Geschichte des aus
dem Wallis stammenden deutschen
Viele unbekannte Seiten
JOY MATTER
Als Daniel Spoerri 1956 in einem Kellertheater der Berner Altstadt Stücke von
Eugène Ionesco und Pablo Picasso als
deutschsprachige Erstaufführungen inszenierte, brachte es der aus Zürich angereiste «Weltwoche»-Kritiker Hugo
Loetscher auf den Punkt: Bern habe
«etwas gemacht, worum sich Zürich,
das doch gerne mit Prätention aufgeschlossen ist, nicht einmal richtig bemüht hat: eine Experimentier- und Studioaufführung von Witz und Wert». Zur
illustren Schar der Künstler und Intellektuellen jener Zeit in Bern gehörten
u. a. Meret Oppenheim, Bernhard Luginbühl, Claus Bremer, Dieter Roth, Otto
Nebel und Harald Szeemann. Das war
das kulturelle Biotop, in das der Gymnasiast und Student Hans Peter Matter
hineinwuchs. Und schon bald galt er selber als einer der wichtigsten Vertreter
dieser «Berner Szene».
Seinen ersten Bühnenauftritt hatte
der 17-jährige Matter als Zeitungsjunge
in Thornton Wilders Stück «Unsere
kleine Stadt». In den folgenden Jahren
trug er auf den Spuren von Georges
Brassens seine ersten Chansons vor, an
einem Fest des Gymnasiums Kirchenfeld und an Unterhaltungsabenden der
Pfadfinderabteilung Patria. Der Name
Mani, auf den Hans Peter Matter bei den
Pfadfindern getauft wurde, war fortan
sein Markenzeichen. Und obwohl er seiner «kleinen» Stadt stets eng verbunden
blieb und bis auf ein Forschungsjahr in
Cambridge nie länger von dort weg kam,
gewann er als Berner Troubadour eine
Ausstrahlung, die weit über Bern hinausreicht und bis heute andauert.
Jagdfliegers Franz von Werra nachgegangen und hat das gemeinsame Leben
der «Verliebten Feinde» Peter und Iris
von Roten nachgezeichnet, das in diesem Frühjahr als Dokufiction in die
Kinos gekommen ist. Für sein ManiMatter-Buch hatte Meichtry Zugang zu
bisher verschlossenen Teilen des Nachlasses im Schweizerischen Literaturarchiv und zu unveröffentlichten Briefen aus Privatarchiven. Eine weitere
wichtige Quelle waren Manis Freunde
und Angehörige, allen voran seine Frau
Joy. In erzählerischen Passagen versucht
Meichtry, Lücken in der Überlieferung
der Dokumente und in der Erinnerung
der Zeitzeugen zu schliessen.
Das wichtigste Kapitel, das Meichtry
in Mani Matters Leben aufschlägt und
als erster ausführlich darstellt, ist der
Aufenthalt in Cambridge von Anfang
Oktober 1967 bis Ende September 1968.
Matter verbrachte dort mit seiner Familie ein Jahr, um an seiner juristischen
Habilitationsschrift über «Die pluralistische Staatstheorie» zu arbeiten, die
sich u. a. mit dem englischen Politikwissenschafter Harold Laski befasste
Einer der frühesten
Auftritte: Mani Matter
am 12. Juni 1954
an einem Schulfest
des KirchenfeldGymnasiums.
Das Cambridge-Kapitel ist typisch für
Wilfried Meichtrys Vorgehen. Um zu
verstehen, was dieser Aufenthalt für
Mani Matter bedeutete, reiste der Autor
mit Joy Matter in die englische Universitätsstadt. In langen Gesprächen auf der
Reise und am Ort selber nähert sich
Meichtry den Fragen und Problemen,
die Mani Matter damals beschäftigten.
Die beiden Reisenden treffen den Philosophen und Soziologen Alexander Stewart, mit dem Mani damals einen regen
wissenschaftlichen Gedankenaustausch
über Freiheit und Determination pflegte. Zitate aus Manis Tagebuch und aus
der Korrespondenz mit dem Vater und
mit Berner Freunden wie dem Troubadour Fritz Widmer, dem Juristen Christoph von Greyerz und dem Musikerpaar
Urs und Ingrid Frauchiger zeigen, wie
sehr ihn die Frage nach dem «Wie weiter?» umtrieb. Eine Antwort fand er
nicht, weil er die Komplexität der Dinge
kannte. Und er blieb häufig auch ratlos,
weil er selbstkritisch bis zur Selbstzerstörung war.
Nahtlos fügt Wilfried Meichtry Abschnitte ein, in denen er sich vorstellt,
wie «es» gewesen sein könnte. Diese
narrativen Stellen sind ein Wagnis – und
sie gelingen nicht immer gleich gut. Gelegentlich geraten sie inhaltlich etwas
weitschweifig oder bleiben sprachlich
in abgegriffenen Formulierungen stecken. Die Anmerkungen sind für ein
nichtwissenschaftliches Buch richtigerweise sparsam eingesetzt – allerdings in
einzelnen Fällen allzu sparsam: wenn
z. B. Mani Matter den Waadtländer
Chansonnier Gilles erwähnt, müsste
dieser dem deutschsprachigen Publikum von heute wohl näher vorgestellt
werden.
Aber diese Einwände schmälern den
Wert dieser Biografie nicht, die nicht
nur spannend zu lesen ist, sondern auch
dem Kenner von Mani Matter viele bisher unbekannte Seiten zeigt. ●
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19
ARCO IMAGES
Sachbuch
Evolution In einem Vergleich der Entwicklung der sozialen Insekten mit jener des Homo sapiens
will der grosse Ameisenforscher E. O. Wilson der Natur des Menschen auf die Spur kommen
Am Anfang war das Nest
E. O. Wilson: Die soziale Eroberung der
Erde. Eine biologische Geschichte des
Menschen. C. H. Beck, München 2013.
382 Seiten, Fr. 32.90.
Von Kathrin Meier-Rust
Den Vergleich mit Menschenaffen sind
wir gewohnt – doch Ameisen und Termiten? Genau dies unternimmt der
83-jährige emeritierte Harvard-Professor Edward Osborne Wilson, der weltweit grösste Kenner der Welt der Ameisen und Verfasser zahlreicher Standardwerke. Doch während in seinen Klassikern zu den sozialen Insekten im letzten
Kapitel dann jeweils auch noch der
Mensch zur Sprache kam, ist es diesmal
umgekehrt: Von der ersten Seite an geht
es dem Forscher darum, die biologischen Ursprünge der menschlichen
Natur und damit auch der menschlichen
Kreativität, Kultur und Geschichte zu
erhellen. Woher wir kommen, was wir
sind, wohin wir gehen – das sind die uralten Fragen, die der Naturwissenschafter mit Hilfe der Biologie zu beantworten verspricht.
Gelassen-selbstsicher und auch etwas
redundant lässt Wilson die Evolutionsgeschichte des Homo sapiens und der
Insekten Revue passieren, mal mit Details angereichert, mal in grossen Zügen.
Nur wenige Tierarten leben in sozialen
Verbänden, und noch viel seltener ist
der Schritt zur höchsten Form des sozialen Zusammenlebens, zur sogenannten
Eusozialität. Gemeint ist damit das Zusammenleben von mehreren Generationen mit einer Arbeitsteilung, die altruistische Züge zeigt. Abgesehen von Insekten und Menschen haben nur einige
Krebsarten sowie die Nacktmulle Afrikas dieses Stadium erreicht. Und selbst
die sozialen Insekten machen nur 2 Prozent von einer Million Insektenarten
aus – und doch dominieren sie die Welt
der wirbellosen Tieren genauso wie der
Mensch jene der Wirbeltiere: «Gemeinsam repräsentieren wir die beiden gros20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
sen Hegemonien der landbewohnten
Welt», schreibt Wilson.
Die Frage, wie eine natürliche Selektion, die Fortpflanzung belohnt, sterile
Arbeiterbienen hervorbringen konnte,
hat schon Darwin beunruhigt. Für Wilson gibt es keine grossen Fragen mehr.
Am Anfang zur Entwicklung zur Eusozialität steht immer der Nestbau. Der
nächste und entscheidende Schritt verlangt, dass die Jungtiere dieses Nest
nicht verlassen, sondern «daheimbleiben» und «mithelfen». In einer letzten
Phase entstehen dann die eigentlichen
sozialen Systeme oder Staaten, mit
ihrem Kastenwesen von spezialisierten
Wächtern, Soldaten, Arbeitern und
Ammen. Während den Ameisen dieser
Schritt schon vor 100 Millionen Jahren
gelang, begannen unsere Vorfahren allerdings erst vor 3 Millionen Jahren, sich
in grösseren Gruppen um feste Lagerplätze zu scharen.
Gruppenselektion umstritten
Ob Individuen, die an diesem Nest-Lagerplatz zusammenleben, verwandt sind
oder nicht, spielt für Wilson keine Rolle.
Denn sobald dieses Zusammenleben gelingt, findet der darwinistische Überlebenskampf nicht mehr nur zwischen
verschiedenen Individuen statt, sondern
gleichzeitig auch zwischen verschiedenen Gruppen: je besser eine Gruppe sich
zu ernähren, zu bewachen und zu verteidigen versteht, desto erfolgreicher wird
sie überleben. So harmlos diese These
für den Laien klingen mag – ihrem Autor
beschert sie die erbitterte Ablehnung
der Fachwelt. Seit Jahrzehnten hat sich
die Evolutionswissenschaft und mit ihr
auch E. O. Wilson darauf geeinigt, dass
die natürliche Selektion nur auf der
Ebene der Verwandtschaft ansetzt. Die
Abkehr von diesem Dogma zugunsten
einer bisher verfemten «Gruppenselektion» kommt hier deshalb nicht gut an.
Über 130 Evolutionsbiologen unterzeichneten Protestbriefe an «Nature»
(wo vor zwei Jahren Wilsons erster wissenschaftlicher Artikel zum Thema er-
schien), und entsprechend gehässig
wird das Buch nun von einigen Wissenschaftern als «unplausibel» und «selbstgefällig» taxiert.
Wilson, der «Die soziale Eroberung
der Erde» für eine allgemeine Leserschaft schreibt und wissenschaftliche
Kontroversen darin nur am Rande erwähnt, scheint dies wenig anzufechten.
Gerade die umstrittene Gruppenselektion ist nämlich für die Entstehung der
menschlichen Natur zentral. Denn während die natürliche Selektion beim Individuum den platten Egoismus in all
seinen negativen Spielarten fördert, erzeugt der Konkurrenzkampf zwischen
Gruppen ganz andere Werte: Es sind Eigenschaften wie Zusammenarbeit, Opferbereitschaft, Empathie, Altruismus
oder Pflichtbewusstsein, die dem Überleben der Gruppe dienen.
«Die genetische Fitness eines Menschen muss daher eine Folge sowohl
der individuellen als auch der Gruppenselektion sein», schreibt Wilson,
was dazu führe, dass die Natur des Menschen ein «endemisches Getümmel»
darstelle: «In unserer Natur existiert das
Schlimmste neben dem Besten, und das
wird immer so bleiben.» Nicht nur Krieg
und Gewalt sind deshalb unabänderlich
mit der menschlichen Geschichte verbunden, auch Religion, Kunst und Kultur will der Naturwissenschafter aus
dieser in unserer Biologie tief verankerten Ambivalenz erklären.
Biologische Deutung
Das neue Buch des grossen Ameisenforschers E. O. Wilson bietet viel Wissenswertes zu den sozialen Insekten,
Einsicht in die rätselhafte Entstehung
von sozialem Leben und eine einigermassen plausible, wenn auch etwas simplistische Erklärung der Zerrissenheit
der menschlichen Natur. Ob sich mit
dieser «wahren» biologischen Schöpfungsgeschichte nun wirklich, wie Wilson überzeugt ist, die mythischen und
religiösen erübrigen – das mag jeder
selbst entscheiden. ●
Globalisierung Das 21. ist das asiatische Jahrhundert. Der frühere NZZ-Korrespondent Urs Schoettli
zeichnet dessen Hintergründe kenntnisreich nach
Tigerstaaten fordern den Westen heraus
Urs Schoettli: Die neuen Asiaten. Ein
Generationenwechsel und seine Folgen.
NZZ Libro, Zürich 2013. 378 Seiten,
Fr. 39.90, E-Book 27.90.
Von Urs Rauber
Seit ein paar Jahren blickt die Welt fasziniert auf die rasanten Entwicklungen in
Ostasien. Der Aufstieg Chinas zur zweitgrössten Wirtschaftsmacht der Welt
2010, Indiens Sprung zur IT-Supermacht
und Japans ungeheure Innovationskraft
weckt in Europa Erstaunen, Begeisterung, aber auch Ängste vor der asiatischen Dominanz. Bei Schoettli, seit 30
Jahren Korrespondent und Kolumnist
für die NZZ aus Delhi, Hongkong, Peking und Tokio sowie Asienberater
mehrerer Schweizer Unternehmen, ver-
binden sich fundierte Landeskenntnisse
mit journalistischer Gestaltungskraft.
Seine 370 Seiten starke Auseinandersetzung mit Geschichte, Mentalität und
Entwicklungspotenzial der asiatischen
Völker und Regionen liest sich flüssig
und ist trotz Anreicherung mit neustem
Zahlenmaterial alles andere als ein trockener Wälzer.
Im Zentrum von Schoettlis Betrachtungen steht der Generationenwechsel,
der im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts in Asien über die Bühne geht. Er
spürt den Veränderungen und Konstanten nach, die sich mit der Übergabe der
politischen und wirtschaftlichen Macht
von der Generation der 68er auf deren
Kinder und Enkel ergeben.
In prägnanten Kapiteln wird die Entwicklung der drei Grossmächte China,
Indien und Japan aus ihren spezifischen
MAN RAY TRUS/ADAGP / PRO LITTERIS
Das Gesicht Von der antiken Maske zum Fotoporträt
Zweimal Gertrude Stein: Im Hintergrund ein Porträt
von Picasso (Paris, 1906), im Vordergrund fotografiert
durch von Man Ray (Paris, 1922). Die Schriftstellerin
sass vor dem Gemälde gleichsam vor sich selbst,
einem gemalten Double. Hans Belting schreibt in
«Eine Geschichte des Gesichts», diese Fotografie sei
ein «Schlüsselwerk für die Frage nach Maske und
Porträt». Um das frühe Gemälde Picassos rankt sich
eine Legende: Frau Stein soll dem Künstler über 80mal Modell gesessen haben, ohne dass er es schaffte,
ihr Antlitz darzustellen. Schliesslich malte er anstelle
ihres Gesichts eine prähistorische Maske, wodurch es
zeitlos und doch ein Porträt von Gertrude Stein
wurde. Für das Foto von Man Ray verwandelte Stein
ihr Gesicht wiederum in eine Maske, als wolle sie dem
Porträt ähneln. Der Kunsthistoriker Hans Belting ist
den Bildern nachgegangen, die sich der Mensch im
Laufe seiner Existenz von sich selbst gemacht hat.
Entstanden ist eine auf den europäischen Raum
beschränkte Kulturgeschichte des menschlichen
Gesichts – nicht des Porträts –, von den Anfängen in
der Steinzeit bis zu den modernen Massenmedien. Es
ist eine Geschichte des Scheiterns, da sich das Leben
in einem Antlitz nicht bannen lässt, es erstarrt immer
zur Maske, weshalb Beltings Buch auch eine
Geschichte der Maske ist. Geneviève Lüscher
Hans Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts.
C. H. Beck, München 2013. 343 Seiten, Fr. 40.90.
historischen Bedingungen heraus geschildert. Im Reich der Mitte steht die
Überwindung des Erbes von Mao, der
«zu den grössten Verbrechern der
Menschheitsgeschichte gehört», bevor.
Den entscheidenden Anstoss dazu gab
Maos Mitstreiter Deng Xiaoping mit seinen Reformen ab 1978: «Reich zu werden, ist wunderbar.» Diese ermöglichten die Zulassung des Privateigentums
und den Aufstieg der Mittelschichten –
allerdings verbunden mit einem wachsenden Reichtums- sowie dem StadtLand-Gefälle, zunehmender Korruption
und dem Weiterbestehen des totalitären
Einparteiensystems.
Im Gegensatz dazu hatte Indien aus
dem britischen Kolonialerbe eine robuste parlamentarische Demokratie sowie
Englisch als Verkehrs- und Verwaltungssprache übernommen, was den späteren
Aufstieg des Landes zur IT-Supermacht
erleichterte. Politische Stabilität garantierte die langanhaltende Macht des
Nehru-Gandhi-Clans, dessen sozialistische Politik das Land 1991 jedoch an den
Rand des Bankrotts brachte. Zu den spezifisch indischen Herausforderungen
gehört die Überwindung des Kastenwesens und der fehlenden Berufsbildung.
Für Japan bedeutete die periphere Insellage stets Gunst und Fluch. Der Pazifik wirkt als Barriere sowohl gegen
fremde Eroberer wie auch gegenüber
fremden Einflüssen. Der japanische
Sonderweg ist geprägt durch eine eigentliche «Obsession zur Verbesserung». Ist China ein Meister im Kopieren, besticht Japan durch seine Innovationskraft, in dem man alles, was man aus
fremden Kulturen und Zivilisationen
übernimmt, ständig perfektioniert. Dieses Rezept liess Japan in den 1970er Jahren zur zweitgrössten (heute: drittgrössten) Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen.
Schoettli skizziert auch die ostasiatischen «Tiger» Indonesien (Untertitel:
die Überraschung), Malaysia (stille Beständigkeit), Vietnam (das Prinzip zähe
Pragmatik), Thailand (machiavellische
Eliten), Singapur (Stadtstaat par excellence), Philippinen (ein Stück Lateinamerika), Myanmar (der Nachzügler),
Südkorea (Überlebenskünstler) sowie
Hongkong und Taiwan (Grosschina).
Die Zuschreibungen zeigen, wie präzise
es dem Verfasser gelingt, sowohl Eigenheiten wie Unterschiedlichkeiten herauszuarbeiten.
Die Bilanz lautet, dass das asiatische
Zeitalter, das um die Jahrtausendwende
begann, für Europa und die USA eine
wirtschaftliche wie sicherheitspolitische Herausforderung darstelle. Eine
Herausforderung, die – wenn sie positiv
gemeistert werde – zu «einer Welt mit
mehr Stabilität und grösserem Wohlstand» führen könne. Voraussetzung allerdings sei, dass der Westen sich mit
den Werten der östlichen Kulturen auseinandersetze und den «neuen Asiaten»
auf Augenhöhe begegne. ●
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21
Sachbuch
Politik Der frühere Aussenminister Joschka Fischer und der Geschichtsforscher Fritz Stern im
Gespräch über Deutschland, Europa und Amerika
Ex-Sponti lernt, historisch zu denken
Joschka Fischer, Fritz Stern: Gegen den
Strom. Ein Gespräch über Geschichte
und Politik. C. H. Beck, München 2013.
224 Seiten, Fr. 28.40, E-Book 19.90.
Vor drei Jahren ist im C.-H.-Beck-Verlag
unter dem Titel «Unser Jahrhundert»
ein mehrtägiges Gespräch zwischen
dem früheren Bundeskanzler Schmidt
und dem Historiker Fritz Stern erschienen. Die Debatte zwischen den beiden
kenntnisreichen Altmeistern wurde
schnell zum Bestseller. Nun legt der
Verlag einen ähnlich angelegten weltpolitischen Tour d’horizon in Buchform
vor. Der Gesprächspartner des 1926 in
Breslau geborenen und wegen der NaziHerrschaft nach Amerika geflohenen
Historikers Fritz Stern ist diesmal Joschka Fischer, deutscher Aussenminister
von 1998 bis 2005, Jahrgang 1948.
Der Dialog verläuft also zwischen
zwei Vertretern verschiedener Generationen mit höchst unterschiedlicher Lebenserfahrung. Fischers Eltern waren
kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von Ungarn nach Süddeutschland gezogen. Sie waren erzkatholisch,
klassische CDU-Wähler. Gegen dieses
Milieu habe er als jugendlicher Aktivist
in der sogenannten Sponti-Szene und
als prominenter Vertreter der bundesdeutschen Grünen rebelliert, erklärt er
im Gespräch.
Ungeachtet des Unterschieds in Alter
und Herkunft kommen sich Stern und
Fischer in der Beurteilung vieler aktuel-
HELMUT FRICKE
Von Reinhard Meier
Ungleich in Alter und
Herkunft, nahe in
den Auffassungen:
Historiker Fritz Stern
(links) und Joschka
Fischer am 28.5.2012.
ler und zeitgeschichtlicher Phänomene
erstaunlich nahe – was der Lebendigkeit
dieses informativen Gesprächs keinerlei
Abbruch tut. Wer hätte noch zu Zeiten
der alten Bundesrepublik je gedacht,
dass sich ein führender Grüner je zu
einem Kompliment für die «historische
Leistung» des früheren CSU-Chefs
Franz Josef Strauss bereitfinden würde?
Jetzt verweist Fischer darauf, dass es zu
den wesentlichen Verdiensten von
Strauss gehörte, die Integration der politischen Rechten in Westdeutschland befördert zu haben. Auch Helmut Kohl
wird für seine tatkräftige Rolle bei der
Vereinigung Deutschlands und bei der
Durchsetzung des Euro respektvolles
Lob zuteil.
Solche rückblickend positiven Einschätzungen ehemals scharfer politischer Gegner bezeugen den beeindruckenden Wandlungs- und Reifeprozess
vom jugendlichen Rebellen und Strassenkämpfer Fischer zum Verantwortungsträger, der durch Erfahrung gelernt hat, historisch zu denken. Das bedeutet, die Dinge in einen geschichtlichen Kontext einzuordnen. «Damals
lebten wir ja alle noch in unseren Feindbildern», sagt Fischer an einer Stelle im
Zusammenhang mit seinen Vorstellungen als junger Grüner im Bonner Bundestag. Kein Wunder, dass der Ex-Aussenminister von ideologisch verbohrten
ehemaligen Gesinnungsfreunden heute
mit Gift und Galle überzogen wird.
Zentrale Themen im Gespräch von
Stern und Fischer sind die EU-Krise, die
Zukunft Europas und die ideologische
Spaltung in den USA. Beide beklagen
ein Führungsdefizit in Europa. Das
Grundelement der europäischen Einigungsidee sei ein politisches, nicht ein
ökonomisches. Wenn aber die Europäer
noch Einfluss haben wollten auf das
Weltgeschehen, dann müssten sie, meint
Fischer, unmissverständlich erklären,
«wir gehören zusammen und wir bleiben zusammen, egal was es kostet».
Gegenüber Israel und seiner jetzigen
Politik äussert sich der Historiker mit
jüdischen Wurzeln kritischer als der
frühere Aussenminister. Dieser betont,
dass es völlig kontraproduktiv sei, als
Deutscher den Israeli die Leviten lesen
zu wollen. Und er fügt psychologisch
tiefblickend und auf das Beispiel Günter
Grass verweisend hinzu, dass es bei
deutscher Kritik an der israelischen Politik «meistens gar nicht um Israel geht»,
sondern – unbewusst – um ein Problem
der Deutschen mit sich selber. ●
Emanzipation Männer-Lobbyist Markus Theunert bleibt abstrakt in seinem Buch über Genderpolitik
Feministische Sexisten – die wahren Feinde
Markus Theunert: Co-Feminismus. Wie
Männer Emanzipation sabotieren – und
was Frauen davon haben. Hans Huber,
Bern 2013. 209 Seiten, Fr. 35.40.
Von Walter Hollstein
Erinnern wir uns: Im Frühsommer 2o12
hatte der Kanton Zürich für seine
Gleichstellungsarbeit einen «Männerbeauftragten» eingestellt: Markus Theunert. Nach rekordverdächtigen drei Wochen war das Arbeitsverhältnis schon
wieder aufgelöst.
Wenn Theunert nun ein Buch zur Geschlechterpolitik vorlegt, könnte erwartet werden, dass er dieses persönliche
Erlebnis mit der Gleichstellungswirklichkeit in unserem Land kritisch bearbeitet. Doch dem ist nicht so. Allenfalls
finden sich einige Seitenhiebe gegen
den «Gleichstellungsfeminismus», der
sich zu einem «bürokratischen Herr22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
schaftsinstrument» gewandelt habe.
Dies in der Tat ist das Problem, wie vor
längerer Zeit auch schon kritische Feministinnen wie Elisabeth Badinter oder
die kürzlich verstorbene Tissy Bruns
analysiert haben. Theunert hätte hier ja
wahrscheinlich auch mehr als nur einiges zu erzählen gehabt: als Mitglied der
Eidgenössischen Frauenkommission, als
Lobbyist von männer.ch, als Teilnehmer
von Gleichstellungskonferenzen.
Doch Theunert vermeidet es, aus
dem Nähkästchen zu plaudern. Kann
man verstehen. Schliesslich ist er primär Politiker und kann es sich nicht erlauben, die Gleichstellungskaste nachhaltig zu vergrätzen. So baut er denn als
bequemen Nebenkriegsschauplatz den
Popanz des «Co-Feminismus» auf.
Damit meint er Männer, die «die schweigende Mehrheit im Gleichstellungsprozess» bilden. Das sei der wirkliche
Feind: «Wölfe im Schafspelz der Geschlechtergerechtigkeit». Sie gehören
bekämpft und vor allem demaskiert.
«Der Co-Feminist findet Gleichstellung
eine gute Sache, solange er damit nichts
zu tun hat. Er ist sozusagen ein profeministischer Sexist. Aus Indifferenz, Angst
oder Kalkül gibt er den Frauenversteher
und drückt sich damit erfolgreich vor
der Auseinandersetzung mit seinem
Mann-Sein».
Über 2oo Seiten entwirft Theunert
Typologien, Raster, Kategorien und
schliesslich gar «zehn Spielarten» des
Co-Feminismus. Das alles bleibt aber
gar abstrakt. Irgendwann möchte der geneigte Leser gerne wissen, wer denn
nun eigentlich ein Co-Feminist ist.
Aber diese Antwort liefert der Autor
nicht: kein einziger Namen, null Literatur, nicht einmal ein Verweis, nichts.
Meint Theunert am Ende vielleicht sich
selber? ●
Walter Hollstein ist emeritierter
Professor für Soziologie und Autor
diverser Bücher zur Männerforschung.
Lebenswerk Eine solide Biografie zeigt den Beitrag des Aufklärers Heinrich Zschokke (1771± 1848)
zur Entwicklung der modernen Schweiz
Ein Deutscher prägte das
helvetische Nationalbewusstsein
Werner Ort: Heinrich Zschokke 1771–
1848. Eine Biografie. Hier + jetzt,
Baden 2013. 720 Seiten, Fr. 69.–.
Von Tobias Kaestli
Nach dem Ende der Alten Eidgenossenschaft im Jahr 1798 dauerte es
50 Jahre, bis die Schweiz mit der
Bundesverfassung von 1848 ihre
dauerhafte Staatsform fand.
Einer, der während der ganzen
Zeitspanne in verschiedensten
Funktionen die Transformation der Schweiz in einen modernen Nationalstaat begleitete und förderte, war Heinrich Zschokke.
Zschokke war zwar nur
ein zweitrangiger Politiker,
dafür aber ein erstrangiger
Aufklärer und «Volkserzieher». Seine patriotisch- moralischen Erzählungen und seine
allgemein verständlichen historischen Abhandlungen entfalteten eine kaum zu überschätzende
Wirkung. Von 1798 bis 1836 gab er
die populäre Zeitschrift «Der aufrichtige und wohlerfahrene Schweizer-Bote» heraus, in der er im Oktober
1822 das erste Kapitel seiner «Schweizerlandsgeschichte für das Schweizervolk» veröffentlichte. «Von wunderbaren Dingen, Heldenfahrten, guten und
bösen Tagen der Väter ist viel gesungen
und gelehrt», schrieb er in der Ankündigung. «Nun will ich die alten Sagen verjüngen im Gemüth alles Volks.» Eindrücklich liess er Gessler, Winkelried
und andere sagenhafte Gestalten auffahren, spannend schilderte er Tells Apfelschuss, den Rütlischwur, die Schlacht
am Morgarten.
Vom Lehrer zum Politiker
1822 erschien sein Werk in Buchform bei
Sauerländer in Aarau und wurde bis
1847 siebenmal neu aufgelegt. Nach seinem Tod wurde es, von Sohn Emil um
die neuesten geschichtlichen Ereignisse
erweitert, 1852 und 1859 erneut publiziert. Wahrscheinlich war es die am
meisten gelesene Schweizer Geschichte,
die es jemals gegeben hat, und sie widerstand lange der kritischen Geschichtsforschung. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war sie Leitlinie für den
Geschichtsunterricht in unseren Volksschulen und prägte nachhaltig das Nationalbewusstsein ganzer Generationen
junger Schweizerinnen und Schweizer.
Wer war Heinrich Zschokke? Geboren als Sohn eines Tuchmachers in Magdeburg absolvierte er das dortige Gymnasium und wurde als Sechzehnjähriger
Hauslehrer bei einem Buchdrucker in
Schwerin.
Nebenher schrieb er volkstümliche
Erzählungen und Theaterstücke, war
Autor einer Wanderbühne und nannte
sich «homme de lettres». Mit 19 Jahren
ging er an die Universität Frankfurt an
der Oder, wo er beim liberalen Theologen und Philosophen Gotthilf Samuel
Steinbart im Eiltempo studierte und
doktorierte. Mit 21 Jahren war er Privatdozent. Auf einem Urlaub in seiner Heimatstadt Magdeburg bekam er Gelegenheit, die Kanzel zu besteigen und als
Prediger sein rhetorisches Talent zu
üben. Zum Pfarrer fühlte er sich aber
nicht berufen. Er war kein frommer
Christ, eher ein Freigeist und Moralist.
Später sollte er in Aarau eine Freimaurerloge gründen.
Nach Aufenthalten in Zürich, Bern
und Paris wurde Zschokke 1796 Lehrer
am renommierten Seminar Reichenau
in Graubünden und bald schon dessen
Direktor. Er schrieb ein Lehrbuch für
die Volksschule und wollte, dass es auf
Romanisch übersetzt werde, weil dies
die eigentliche Sprache des Volkes sei.
Heinrich Zschokke
schrieb 1822 die
wohl meistgelesene
Schweizer
Geschichte. Hier auf
einem Gemälde als
Regierungsstatthalter
(um 1800).
Doch das Ende der alten Eidgenossenschaft im Jahr 1798 führte ihn auf andere
Wege. Der deutsche Pädagoge schloss
sich der helvetischen Revolution an;
und weil er die Rache der Bündner Aristokraten fürchten musste, floh er nach
Aarau, der ersten Hauptstadt der Helvetischen Republik. Er erhielt das helvetische Bürgerrecht, und Philipp
Alber Stapfer, der helvetische Kulturminister, ernannte ihn schon
bald zum Leiter des Büros für Nationalkultur.
Danach war Zschokke Regierungskommissar in Stans und
lernte Pestalozzi kennen, der
dort die Kriegswaisen betreute. 1804 ernannte ihn der Kanton Aarau zum Oberforst- und
Bergrat, 1810 wurde er kantonaler
Oberforstinspektor.
Gleichzeitig versuchte er sich
als Unternehmer, gründete zusammen mit zwei Lohgerbern
eine Gerberei und einen Handel
mit Leder. In dieser Sparte vermochte er sich aber nicht zu behaupten.
Sein schon bald beträchtliches
Vermögen erwarb er sich durch das
Schreiben, wobei ihm die Geschäftstüchtigkeit seines Verlegers Heinrich
Remigius Sauerländer sehr zustatten
kam. Während 20 Jahren sass Zschokke
im Grossen Rat des Kantons Aargau.
Daneben blieb er immer ein ungeheuer
produktiver Schriftsteller, Zeitschriftenherausgeber und effektvoller Vortragsredner.
Differenziertes Zeitbild
Zschokke selbst hat in verschiedenen
autobiografischen Schriften über sein
Leben Auskunft gegeben. Abgesehen
davon, dass diese Schriften heute kaum
noch bekannt sind, vermögen sie dem
Bedürfnis nach einem umfassenden und
kritischen Lebensbild in keiner Weise
zu genügen.
Erst mit der von der HeinrichZschokke-Gesellschaft initiierten wissenschaftlichen Arbeit von Werner Ort
bekommen wir eine solide, interessante,
stellenweise vielleicht etwas allzu weit
ausholende Biografie in die Hand. In
fruchtbarer Art hat der Biograf Geschichtsforschung und Literaturforschung miteinander verknüpft und ein
differenziertes Lebens- und Zeitbild geschaffen. Die Stofffülle hat er klug gegliedert und nie lässt er ob all der Erlebnisse und Taten Zschokkes den historischen Kontext vergessen. Mit diesem
Werk ist ein grosser Schritt zum besseren Verständnis der Geschichte der
Schweiz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts getan. ●
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 23
Sachbuch
Zeitgeschichte Der Historiker Gerhard Ritter schildert Hans-Dietrich Genschers Rolle beim Weg zur
deutschen Einheit
Kleinarbeit im langen Schatten
Helmut Kohls
heimdiplomatie. Auch deshalb überraschte Helmut Kohl Ende November
1989 nicht nur die vier Siegermächte des
Zweiten Weltkriegs, sondern den eigenen Aussenminister mit einem im Küchenkabinett des Bundeskanzlers verfassten Zehn-Punkte-Programm, das
über «konföderative Strukturen» einen
Weg zur Deutschen Einheit aufzeichnete. Genscher blieb, um keine Zweifel zu
wecken, gar keine andere Wahl, als Kohl
trotz Vorbehalten vor dem Bundestag
spontan zur Seite zu stehen. Ritter sieht
in Kohls Vorgehen einen Versuchsballon, der bei aller Kritik im Ausland «den
Menschen im Osten Deutschlands eine
klare Zielvorgabe» gab und in der DDR
wesentlich zum Ruf nach der Deutschen
Einheit beigetragen habe.
Gerhard A. Ritter: Hans-Dietrich
Genscher, das Auswärtige Amt und die
Deutsche Vereinigung. C. H. Beck,
München 2013. 263 Seiten, Fr. 36.90,
E-Book 26.90.
Von Gerd Kolbe
Wer wie Gerhard A. Ritter 23 Jahre nach
der Wiedervereinigung ein Buch über
dieses wohl spannendste Kapitel deutscher Geschichte am Ende eines ereignisreichen Jahrhunderts schreibt, muss
sich, mag er auch ein bedeutender Historiker und eine Art Doyen seiner Zunft
sein, unwillkürlich die Frage stellen lassen, was es denn noch wirklich Neues zu
analysieren und zu referieren gibt. Literatur über diese Zeit existiert bereits in
Hülle und Fülle. Doch sie stammt zu
grossen Teilen von den unmittelbar Beteiligten selbst. Ritters Verdienst besteht allemal darin, eine überschaubare
Zusammenfassung der Ereignisse zu liefern, Zusammenhänge zu erläutern und
Blicke in lange Zeit verschlossene Archive zu gestatten.
Kein störungsfreies Tandem
Auf diese Weise wird deutlich, dass
selbst der amerikanische Aussenminister James Baker anfangs geneigt war,
dem zweiten deutschen Staat, der DDR,
eine Chance zu geben. Nach einem Besuch in Potsdam berichtete er Präsident
Bush senior, dass er von dem «Willen
zur Reform und zum friedlichen Wandel» der letzten SED-geführten Regierung beeindruckt sei. Auch in Washington wollte man sich zunächst Zeit lassen
mit der Vereinigung. Doch früher als in
anderen westlichen Hauptstädten dämmerte im State Departement die Erkenntnis, dass die deutsche Einigung
aufgrund ihrer Eigendynamik «vermutlich schneller» verlaufen werde als die
europäische. Für die USA war fortan nur
noch wichtig, dass Deutschland in der
Nato bleibt. Margaret Thatcher und
François Mitterrand waren sich in ihrer
Ablehnung hingegen einig. Der Franzose gab allerdings im Gespräch mit der
Premierministerin zu bedenken, dass
man wenig Karten in der Hand habe, um
die Deutschen zu stoppen.
Als Mitterrand kurz vor Weihnachten
1989 zum Verdruss seines Freundes Helmut Kohl zum ersten und zugleich letzten Staatsbesuch in die DDR aufbrach –
die Berliner Mauer war immerhin seit
anderthalb Monaten Geschichte –, legte
er grossen Wert auf eine Begegnung mit
Gregor Gysi, der damals gerade Vorsitzender der in PDS umbenannten SED
geworden war und heute noch das Zugpferd der Partei «Die Linke» ist. Mitter24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
WOLFGANG KUMM / KEYSTONE
Totgeschwiegene Begegnung
rand erklärte sein Interesse, «die Bande
und Bindungen» mit der DDR «enger zu
gestalten». Gysi war bemüht, Mitterrand
davon zu überzeugen, dass eine klare
Mehrheit der Bevölkerung Ostdeutschlands gegen eine Wiedervereinigung sei,
weil sie die DDR zum «Armenhaus» der
Bundesrepublik machen würde. So kann
man sich irren.
Das eigentlich Überraschende an der
Begegnung mit Gysi ist, das sie in französischen Archiven totgeschwiegen
wird. Mitterrand hatte nicht einmal seinen Aussenminister Roland Dumas informiert. Zum Glück für die Nachwelt
fand sich im Nachlass des Ostberliner
Aussenministeriums ein Vermerk, der
das Gespräch zwischen «Genosse Dr.
Gysi und dem Präsidenten der Französischen Republik» festhielt. Es war dies
noch einmal eine grosse Zeit der Ge-
Erste gesamtdeutsche
Bundestagssitzung
am 4. Oktober 1990
mit Hans-Dietrich
Genscher, Helmut
Kohl und Gregor Gysi.
Genschers Wirken stand im entscheidenden Zeitraum vom Mauerfall bis zur
Wiedervereinigung ganz im Schatten
der Aktivitäten Kohls, dem es bei seiner
legendären Reise nach Moskau und in
den Kaukasus gelang, Staatspräsident
Gorbatschow die Vereinigung und den
Verbleib Deutschlands in der Nato abzuringen. Dabei war schon bei einem
Treffen der beiden Aussenminister
einen Monat vorher klar geworden, dass
Moskau zu Kompromissen bereit war.
Doch Fortschritte konnten den vor den
Türen wartenden Journalisten nur vage
angedeutet werden. Der Vorgang war
schliesslich Chefsache.
Unverkennbar verfolgt Ritters Buch
den Zweck einer Ehrenrettung. Kohls
Bild als «Kanzler der Deutschen Einheit», resümiert Ritter, müsse ergänzt
werden durch die Verdeutlichung der
mitentscheidenden Rolle Genschers
und des Auswärtigen Amtes. Der Autor
spricht von einem «nicht immer störungsfrei funktionierenden Tandem».
Man könnte auch sagen: Kohl und sein
Stab waren für die grossen Linien, die
Diplomaten und ihr Chef für die Kleinarbeit wie die Verhandlungen mit den
vier Mächten und Polen zuständig.
Was schliesslich wäre das Buch eines
Historikers wert, gäbe es nicht auch
Antworten auf aktuelle Fragen. Ist etwa
beim Maastricht-Vertrag über die Währungsunion seinerzeit geschludert worden? Ritter ist rigoros. Die These, Kohl
habe mit der Zustimmung zur Europäischen Währungsunion einen Preis für
Frankreichs Zustimmung zur Deutschen
Einheit gezahlt, sei falsch. Die Weichen
zur Währungsunion seien schon früher
gestellt worden. Gerhard A. Ritter – und
er steht damit nicht allein – bedauert jedoch, dass es damals in der Eile nicht
zur Festlegung auf eine gemeinsame Fiskalpolitik kam. ●
Astrophysik Das Buch seiner ersten Frau Jane erzählt das Martyrium von Stephen Hawking: ein
wacher Geist in einem gelähmten Körper
Popstar der Physik
Jane Hawking: Die Liebe hat elf
Dimensionen. Mein Leben mit Stephen
Hawking. Piper, München 2013.
448 Seiten, Fr. 35.90.
Paul Parsons, Gail Dixon: Stephen
Hawking im 3-Minuten-Takt. Spektrum,
Heidelberg 2013. 160 Seiten, Fr. 21.90.
In der Wissenschaft gibt es Preise aller
Art, aber keine Ranglisten. Sie würden
keinen Sinn ergeben, denn selbst so abstrakte Disziplinen wie Mathematik und
Theoretische Physik waren immer mehr
Mannschafts- als Einzelsport. Die PRMaschinerie jedoch will Helden. Das
führt zu Kaskaden von Superlativen. Ein
Paradebeispiel für diesen Mechanismus
ist der englische Physiker Stephen
Hawking, den man gerne auf gleiche
Höhe wie Albert Einstein stellt.
Hawking, 1942 in Oxford geboren, war
21 und ein hoffnungsvoller Student, als
ihm die Ärzte eröffneten, dass er an ALS
leidet, einer degenerativen Erkrankung
des motorischen Nervensystems. Mit
der Diagnose wurde ihm eine Lebenserwartung von wenigen Jahren vorausgesagt. Im Januar wurde er 71. Für seine
innovativen Arbeiten zu Schwarzen Löchern und Quantenaspekten des frühen
Universums hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten, zuletzt im März den
«Fundamental Physics Price», der vom
russischen Investor Juri Milner in Eigenregie vergeben wird.
Die Thematik von Hawkings Forschungen ist einer der Gründe für seine
Popularität, denn Gedanken über den
Kosmos sprechen uns naturgemäss an.
GUILLERMO GRANJA / KEYSTONE
Von André Behr
Stephen Hawking
leidet an einer
Nervenkrankheit,
die ihm nur wenige
Lebensjahre
bescheren sollte – im
Januar wurde er 71.
Als Schwarze Löcher, die Hawking studierte, bezeichnet man Gebiete des Universums, in denen die Gravitation so
stark ist, dass kein Lichtsignal entweichen kann. Etabliert wurde der Begriff
durch John Archibald Wheeler Ende der
sechziger Jahre. Hawking hatte 1975
postuliert, dass diese Objekte dennoch
Strahlung abgeben und damit viele weitere Untersuchungen angestossen.
Da es in Hawkings wichtigsten Forschungen bis Mitte der achtziger Jahre
um die möglichen Grenzen der Allgemeinen Relativitätstheorie geht, reihen
ihn seine Kollegen durchaus in die
oberste Klasse der Physiker nach Einstein ein. Zum zweiten Popstar nach
Einstein wurde er freilich aufgrund seines Martyriums als wacher Geist in
einem gelähmten Körper. Diese Hilflosigkeit ist für alle schwer auszuhalten.
Das schilderte bewegend Hawkings
erste Ehefrau Jane Wilde 1999 in ihrer
Autobiografie «Music to move the
stars», die ihn als Teenager kennen
und später lieben lernte, mit ihm eine
Tochter und zwei Söhne hat, und über
25 Jahre bis zur Trennung 1990 alle Phasen seines beruflichen Erfolgs und persönlichen Leids durchstand.
Das sehr freimütige Buch brachte der
promovierten Romanistin Solidaritätsbekundungen anderer Frauen, aber auch
einiges an harscher Kritik ein. In der
stark überarbeiteten Version von 2007,
die nun auf Deutsch vorliegt, spürt man
angenehm die Distanz zu jener Krise, als
Hawking einer seiner Helferinnen nahe
kam und dann heiratete. Inzwischen ist
er auch von dieser Frau geschieden und
wieder in gutem Kontakt mit Jane. Ihr
neues Buch ersetzt keine kritische Biografie von Leben und Werk Stephen
Hawkings, zeigt aber eindrücklich, dass
es zwischen Lobhudelei und Bashing
Wesentlicheres gibt.
Hawking selbst wurde als Autor weltberühmt mit seinem Bestseller «Eine
kurze Geschichte der Zeit», von dem
seit 1988 über 10 Millionen Stück verkauft worden sind. Im Schlepptau dieses
Erfolgs erscheinen immer wieder Bücher mit dem gelähmten Mann auf dem
Cover, der vorwiegend durch Wimpernschläge kommuniziert. Das jüngste von
Paul Parsons und Gail Dixon will ihn
uns «im 3-Minuten-Takt» näherbringen.
Es tappt an einigen Stellen unschön in
die Superlativfalle, etwa wenn Hawking
als «ausserordentlich begabt» und
Roger Penrose, von dem Hawking sehr
viel lernte, nur als «talentierter Mathematiker» bezeichnet wird. ●
Autobiografie Frank Stronachs kleiner Bruder erzählt seine Lebens- und Familiengeschichte
2000-mal auf die Hundwiler Höhe
Hans Adelmann: Einfacher leben. Warum
Frank Stronachs kleiner Bruder 2072-mal
den gleichen Berg bestieg. Edition a,
Wien 2013. 95 Seiten, Fr. 21.90.
Von David Strohm
Zwei Brüder, die unterschiedliche Wege
gingen und sich doch nie aus den Augen
verloren, zwei Charaktere mit gegensätzlichen Vorstellungen vom Leben:
Der eine ist ein erfolgreicher Unternehmer geworden, ehrgeizig, rastlos, fleissig. Der andere wurde ein bescheidener
Arbeiter. Er findet sein Glück im Kleinen, am Liebsten geht er zu Fuss hinaus
in die Natur.
Hans Adelmann hat sich mit «Einfacher leben» den eigenen Werdegang
von der Seele geschrieben und damit
eine persönlich gehaltene Begründung
geliefert für die ideellen und materiellen
Differenzen, die ihn von seinem sieben
Jahre älteren Halbbruder Frank Stronach trennen. Der österreichisch-kanadische Milliardär, Gründer des Autoteile-Konzerns Magna und Spiritus Rector
des populistischen, euroskeptischen
«Teams Stronach für Österreich», teilt
mit dem Autor Kindheit und Jugend in
der ländlichen Steiermark. Ihr gemeinsamer Vater war ein überzeugter Kommunist. Die beiden machen – nacheinander – eine Lehre zum Werkzeugmacher. Dann zieht es Frank in die weite
Welt, er geht nach Kanada und legt dort
den Grundstein zu seiner Karriere und
seinem Vermögen.
1958 holt er seinen kleinen Bruder
nach, Adelmann wird Stronachs erster
Angestellter. Doch ihre Wege trennen
sich bald wieder. Hans kann und will die
hohen Ansprüche von Frank nicht erfül-
len. Er zieht mit seiner Frau Eva in die
Ostschweiz, findet Arbeit als Monteur
und Abwart. Zwei Töchter machen das
Familienidyll komplett. In seiner freien
Zeit zieht es Hans Adelmann hinaus,
immer und immer wieder erwandert er
die Hundwiler Höhe. Im Laufe der Jahre
steht er mehr als 2000-mal auf dem Aussichtsberg im Appenzeller Hinterland.
«Kein Aufstieg war wie der andere»,
schreibt er über seinen geliebten Rückzugsort. In einer einfachen Hütte sinniert er über seine Vergangenheit und
den eigenen Weg. Die Welt seines Bruders ist ihm fremd geworden. Und doch
mag er sich von ihr nicht lösen.
95 Seiten dünn ist das Bändchen mit
der Lebensgeschichte eines Mannes, der
sich für das bescheidene Glück entschieden hat. Leicht liest es sich, es gibt
keine Schnörkel und Schlaufen. Ein einfaches Buch über ein einfaches Leben. ●
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25
Sachbuch
Zoologie Vom Küken zum Kampfhahn: Die Welt des Huhns ist faszinierend, wie uns ein bibliophiles
Buch über das Federvieh lehrt
Und jeden Tag ein Ei
Joseph Barber (Hrsg.): Das Huhn.
Geschichte, Biologie, Rassen. Haupt,
Bern 2013. 224 Seiten, Fr. 38.90.
Von Geneviève Lüscher
Wussten Sie, dass das Huhn vom Dinosaurier abstammt? Dass die kleinsten
Hühner nur 500 Gramm wiegen, während es Kampfhähne auf über fünf Kilo
bringen? Dass es keinen Hahn braucht,
damit die Henne Eier legt? Dass Hühner
mit dem einen Auge den Himmel nach
Feinden und mit dem anderen den
Boden nach Körnern absuchen können?
Das nennt man monokulares Sehen; der
Mensch kann nur binokular sehen, also
denselben Gegenstand mit beiden
Augen gleichzeitig; das Huhn ist ihm –
wenigstens diesbezüglich – überlegen.
Das und vieles andere lernt man im
schön gestalteten Buch aus dem Haupt-
Verlag. Es stammt aus der Feder von
Spezialisten, denen es vorzüglich gelungen ist, ihr Wissen für ein breites Publikum aufzubereiten. Die Hühner wachsen einem jedenfalls ans Herz.
Das Urhuhn stammt aus dem ostasiatischen Dschungel. Seine Domestikation begann vor rund 10 000 Jahren.
Nach Europa gelangte das Haushuhn
aber erst kurz vor der Zeitenwende, viel
später als die anderen Haustiere. Bis in
die Mitte des 20. Jahrhunderts lebten
Hühner in kleinen Gruppen auf dem
Bauernhof, gehalten wurden sie in erster Linie wegen der täglich «anfallenden» Eier. Wenn die Legeleistung merklich nachliess, kamen sie in den Topf.
Erst mit der wenig tiergerechten industriellen Haltung wurde das Huhn entweder zum Eier- oder zum Fleischlieferanten degradiert.
Hühner sind «angenehme Hausgenossen». Sie erkennen ihre Halterin und
reagieren auf sie. Ihr ausgeprägtes Hierarchieverhalten in der Gruppe unterliegt strengen Regeln, die faszinierend
zu beobachten sind. Obwohl mit Flügeln
ausgestattet, gehört das Fliegen nicht zu
ihren Lieblingsbeschäftigungen; nur
leichtere Arten können kleine Strecken
im Flug überwinden. Dafür erreichen
laufende Hühner Spitzengeschwindigkeiten von 14 Stundenkilometern.
Im letzten Buchkapitel werden einige
der über 1000 Hühnerrassen vorgestellt.
Sie unterscheiden sich nicht nur vom
Aussehen her, sondern auch vom Charakter. Ein paar sind zutraulich, andere
aggressiv. Es gibt ausdauernde Brüterinnen, aber auch Hennen, die ihre Eier
vernachlässigen. Viele Arten stammen
aus England. Aus der Schweiz hingegen
kommt die «Appenzeller Spitzhaube»:
Das Zierhuhn mit guten Legeeigenschaften gehört – wen wundert’s – zu
den kleinen Geflügelrassen. ●
Das amerikanische Buch Hobelspäne und Scherben: Geschichte zum Anfassen
Ein Kompass und ein Tagebuch, Hobelspäne eines Galgens und ein Groschenroman über den Goldrausch in Alaska,
dazu eine Toiletten-Scherbe von Hitlers Berghof am Obersalzberg. In einer
Schublade mögen diese Relikte ein
merkwürdiges Sammelsurium abgeben.
Zwischen Buchdeckeln wird daraus
eine spannende «amerikanische Geschichte zum Anfassen». Dafür ist dem
Historiker und Juristen Meredith Mason
Brown zu danken, dem die genannten
Gegenstände und über ein Dutzend
weitere als Grundlage für Touching
America’s History. From the Pequot
Wars through World War Two (Indiana
University Press, 271 Seiten) dienen.
Brown hat 2008 nach einer erfolgreichen Karriere bei einer grossen New
Yorker Kanzlei mit «Frontiersman»
eine vielbeachtete Daniel-Boone-Biografie vorgelegt. Nicht zufällig tritt der
legendäre Pionier auch in «Touching
America’s History» auf. Für ihn steht
der Kompass, den Browns Vorfahre
Colonel William Preston (1729–1783) als
Landvermesser in Virginia und Kentucky benutzt hat. Er hat dabei mit Boone
zusammengearbeitet. Doch im Gegensatz zu diesem konnte der Oberst ausgedehnte Ländereien erwerben, die
seinen Nachkommen eine prominente
Position nicht nur in Kentucky sicherten. Bald mit weiteren Sippen wie den
Browns und den Masons verschwägert,
blieben die Vorfahren des Autors als
Offiziere und Politiker prominente
Akteure auf der Bühne der amerikanischen Geschichte.
Gegenstände aus ihrem Nachlass dienen Brown als Einstieg in dieser Histo26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. April 2013
Kriegsbeginn 1859 gehängt wurde; mit
ihm ist der Autor indes nicht verwandt.
Als Literat tat sich dagegen John Mason
Brown (1900–1969) hervor, der Vater
des Autors. Dieser brachte als Presseoffizier im Stab von Dwight D. Eisenhower den Goldrausch-Roman in die
Heimat zurück, mit dem sich «Ike» am
Vorabend der Invasion in der Normandie das Warten auf besseres Wetter
verkürzt hatte. Ein Freund des Vaters
vertraute dem Autor später das Souvenir vom Berghof an.
Der Vater des Autors,
Presseoffizier John
Mason Brown, 1945 in
der Normandie.
Autor Meredith
Mason Brown (unten).
rie. Damit gibt er gerade europäischen
Lesern auch Aufschluss über ein Milieu:
die Familien, die Amerika aufgebaut und
zu seiner Weltmachtposition geführt
haben. Der Leser notiert, wie Pioniere
ihre Söhne auf Universitäten wie Yale
schicken und diese Eliten keine Schranken zwischen Wirtschaft, Militär und
Politik kannten. Auch literarisches
Talent taucht früh, etwa in den Tagebüchern von John Mason Brown (1837–
1890), auf. Diesen lockte Abenteuerlust
in den damals noch wilden Westen, ehe
er als Offizier im Bürgerkrieg für den
Norden ins Feld zog. Unter seinen Gegnern waren Verwandte wie der Sklavenbesitzer und General William Preston
(1816–1887), der nach der Niederlage des
Südens vorübergehend in Kanada Zuflucht fand. Die Hobelspäne stammen
derweil von dem Galgen, an dem der
Abolitionist John Brown kurz vor
Eine Ausnahme unter diesen nachgelassenen Relikten bilden zwei indianische Steinäxte aus dem Südosten
Connecticuts, die Brown jüngst in seinem Wohnort Stonington erworben
hat. Hier setzt seine chronologisch geordnete und mit Karten und Abbildungen leicht zugängliche Schilderung des
Massakers von 1637 an, das Briten und
indianische Verbündete unter dem
Stamm der Pequots angerichtet haben.
Damit setzt Brown ein Leitmotiv: In
einem kurzen Nachwort lässt er keinen
Zweifel daran, dass kriegerische Gewalt
wesentlich zum Wachstum der USA
beigetragen hat. Aber daneben will er
Forscherdrang, Landhunger, intellektuelle Neugierde, Einfallsreichtum,
Beharrlichkeit und «Mut im Überfluss»
ihren Rang nicht streitig machen.
Wenn das Buch einen Mangel hat, dann
die marginale Rolle, die Frauen darin
spielen. Aber dies stört den prominenten Historiker Joseph J. Ellis nicht, der
Brown für diesen innovativen Beitrag
zum Verständnis Amerikas lobt.
Von Andreas Mink ●
Agenda
Druckwerkstatt Rixdorfer Wort- und Bilderbögen
Agenda Mai 2013
Basel
Freitag, 3. Mai, 18.30 Uhr
Claude Lachat: Muttertag zum Ersten.
Buchvernissage, Lesung und Apéro, musikalisch umrahmt. Alterszentrum Zum
Lamm, Rebgasse 16, Tel. 061 690 21 11.
Montag, 6. Mai, 20 Uhr
Dani von Wattenwyl: Pfauenstolz. Buchvernissage mit Lesung. Thalia Bücher,
Freie Strasse 32, Tel. 061 264 26 55.
Mittwoch, 22. Mai, 19 Uhr
Thomas Hettche: Totenberg. Lesung,
Fr. 17.–. Literaturhaus, Barfüssergasse 3,
Tel. 061 261 29 50.
Bern
Dienstag, 7. Mai, 20 Uhr
Patrice Nganang: Mont Plaisant – Der
Schatten des Sultans. Lesung und
Gespräch, Fr. 15.–. ONO Bühne, Kramgasse 6. Info: www.onobern.ch.
stilbildenden Gruppe. Ihr Übervater war der grosse
Berliner Malerpoet Günter Bruno Fuchs, der sich aber
um 1970 zurückzog. Christian Döring hat als Herausgeber den «Rixdorfern» nun einen liebevoll gestalteten Bildband gewidmet. Grossformatige Abbildungen
der Handpressen-Drucke werden ergänzt durch
zahlreiche Fotos und Dokumente. Manfred Papst
Die Druckwerkstatt der Dichter. Rixdorfer Wort- und
Bilderbögen. Die Andere Bibliothek, Sonderband,
Berlin 2013. 447 Seiten, Fr. 139.–.
Belletristik
Sachbuch
1 Carl’s Books. 412 Seiten, Fr. 21.90.
2 Blanvalet. 576 Seiten, Fr. 28.40.
3 Nagel & Kimche. 224 Seiten, Fr. 27.90.
4 dtv. 656 Seiten, Fr. 27.90.
5 Diogenes. 192 Seiten, Fr. 25.90.
6 Luchterhand. 576 Seiten, Fr. 28.50.
7 Piper. 496 Seiten, Fr. 24.90.
8
dtv. 352 Seiten, Fr. 25.90.
9 Eichborn. 396 Seiten, Fr. 27.90.
10 Salis. 276 Seiten, Fr. 34.80.
1 Hanser. 246 Seiten, Fr. 24.90.
2 Droemer/Knaur. 188 Seiten, Fr. 27.90.
3 Hanser. 248 Seiten, Fr. 24.90.
4
Droemer/Knaur. 250 Seiten, Fr. 30.90.
5
Arkana. 351 Seiten, Fr. 28.40.
6
Nagel & Kimche. 204 Seiten, Fr. 25.90.
7
Bibliogr. Institut. 1216 Seiten, Fr. 35.90.
8
Fischer. 319 Seiten, Fr. 28.90.
9 Econ. 312 Seiten, Fr. 27.90.
10 Wörterseh. 224 Seiten, Fr. 34.90.
Nora Roberts: Die letzte Zeugin.
Eveline Hasler: Mit dem letzten Schiff.
Jussi Adler-Olsen: Das Washington-Dekret.
Paulo Coelho: Die Schriften von Accra.
Franz Hohler: Der Geisterfahrer.
Arne Dahl: Zorn.
Dora Heldt: Herzlichen Glückwunsch, Sie
haben gewonnen.
Timur Vermes: Er ist wieder da.
Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche
Reise.
Freitag, 10., bis Sonntag, 12. Mai
35. Solothurner Literaturtage.
Programm unter: www.literatur.ch.
Zürich
Donnerstag, 2. Mai, 20 Uhr
Bestseller April 2013
Jonas Jonasson: Der Hundertjährige.
Solothurn
Rolf Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens.
Manfred Lütz: Bluff! Die Fälschung der Welt.
Rolf Dobelli: Die Kunst des klugen Handelns.
Petra Bock: Mindfuck – Warum wir uns sabotieren.
Bronnie Ware: 5 Dinge, die Sterbende am
meisten bereuen.
Isabelle Neulinger: Meinen Sohn bekommt
ihr nie.
Duden. Die deutsche Rechtschreibung. 25.
Aufl.
Florian Illies: 1913 – der Sommer des Jahrhunderts.
Sheryl Sandberg: Lean In.
Frank Baumann: Single in 365 Tagen.
Erhebung Media Control im Auftrag des SBVV; 16.4.2013. Preise laut Angaben von www.buch.ch.
Sibylle Baumann liest Geschichten über
Bäume und Träume. Mit der Harfenistin
Rahel Schweizer. Palmenhaus, Alter
Botanischer Garten, Pelikanstrasse 40.
Info: 079 339 01 20.
Dienstag, 7. Mai, 19.30 Uhr
Ute Kröger: Nirgends Sünde, nirgends
Laster. Lesung, Fr. 18.– inkl. Apéro.
Literaturhaus, Limmatquai 62,
Tel. 044 254 50 00.
Dienstag, 14. Mai, 20 Uhr
Alain de Botton: Religion für Atheisten.
Lesung, Fr. 28.–. Kaufleuten, Festsaal,
Pelikanplatz 1, Tel. 044 225 33 77.
Mittwoch, 15. Mai, 20.30 Uhr
Doris Knecht: Besser. Lesung, Fr. 15.–.
Orell Füssli Buchhandlung am Bellevue,
Theaterstrasse 8, Tel. 0848 849 848.
Mittwoch, 22. Mai, 20 Uhr
Wilfried Meichtry:
Mani Matter. Lesung mit
Liedern, Fr. 25.–. Lieder:
Jacob Stickelberger.
Kaufleuten (s. oben).
NATHALIE BENELLI
Die «Rixdorfer» zählen zu den interessantesten und
langlebigsten deutschen Künstlergruppen der letzten
Jahrzehnte. Anfang der 1960er Jahre trafen sich die
damals noch jungen Männer erstmals in einem
Hinterhof der Berliner Oranienstrasse; bis heute ist
das Ensemble aktiv. Es arbeitete mittels ausgedienter
Blei- und Holzlettern und verband Wort und Bild in
bibliophilen Bilderbogen, Kalendern und Flugblättern.
Uwe Bremer, Albert Schindehütte, Johannes Vennekamp und Arno Waldschmidt zählten zum Kern der
Susanne Schanda:
Literatur der Rebellion.
Buchpräsentation.
Käfigturm, Marktgasse 67,
Tel. 031 322 75 00.
CHRISTIAN HELMLE
Mittwoch, 22. Mai, 20 Uhr
Bücher am Sonntag Nr. 5
erscheint am 26.5.2013
Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am
Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60
oder E-Mail [email protected]. Oder sind ± solange
Vorrat ± beim Kundendienst der NZZ, Falkenstrasse 11,
8001 Zürich, erhältlich.
28. April 2013 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27
Damit Ihre Neugierde gestillt
wird: Wir unterstützen
gute Literatur.
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